Daddy unbekannt

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Nur zu gern erfüllt Trevyn McGinty seinem besten Freund die Bitte: Während David mit seiner Frau Athena in die Flitterwochen fährt, soll er dessen kleine Brüder versorgen. Der Reiz an der ganzen Geschichte ist allerdings, dass er diese Aufgabe nicht allein erledigen wird. Auch Alexis, Athenas schöne Drillingsschwester wird mit ihnen diese Tage verbringen. Vor Monaten - auf Davids Maskenball - lernte er sie kennen. Keinen Tanz ließen sie aus. Wird sich sein Traum, Alexis ganz für sich zu erobern, endlich erfüllen? Sein Glück kennt keine Grenzen, als er spürt, dass auch Alexis ihn begehrt. Trevyn scheint am Ziel seiner Träume zu sein, da erfährt er zu seinem Entsetzen, dass Augusta - die dritte im Bunde - ein Kind erwartet. Sollte er auf dem Maskenball etwa sie und nicht Alexis in den Armen gehalten haben? An einige Stunden dieser turbulenten Nacht kann er sich nicht erinnern ...


  • Erscheinungstag 20.12.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733754631
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Alexis Ames sah vom Bett aus zu, wie ihre Schwester Athena Kleidungsstücke zusammenfaltete. Die sonst so zurückhaltende Athena verstaute soeben einen geblümten BH und einen Slip aus dem gleichen Material in der dunkelblauen Reisetasche.

„Damit hätte ich nie gerechnet.“ Alexis deutete auf die zarten, fast durchsichtigen Dessous. „Kannst du denn vor den Geschworenen ernst bleiben, wenn du diese Dinger trägst?“

Athena lachte, wurde aber dabei rot. „David hat sie mir gekauft, und ich arbeite nicht vor Gericht. Wir verreisen schließlich.“

Es faszinierte Alexis, dass ihre Schwester rot wurde. Seit Athena mit David Hartford zusammen war, hatte sie sich in vielfacher Hinsicht geändert.

Athena vertrat als Anwältin in Washington hauptsächlich Unterprivilegierte. Sie war von den Ames-Drillingen stets die Verantwortungsbewusste gewesen und hatte ihr Leben völlig durchorganisiert.

Der Tod ihrer Tante bei einem Flugzeugabsturz auf Hawaii hatte allerdings zu Veränderungen geführt. Athena machte Urlaub von ihrer Anwaltskanzlei, Alexis hatte ihr Maleratelier in Rom verlassen, und Augusta ließ sich in ihrer Schule vertreten und war von Kalifornien nach Oregon geflogen. Dort war das Testament ihrer Tante verlesen worden.

Dass Tante Sadie den Familiensitz Cliffside dem ihnen unbekannten David Hartford hinterlassen hatte, machte die drei Schwestern misstrauisch. Sadie hatte ihren Nichten das Haus versprochen, und das Testament erklärte diesen Sinneswandel nicht.

David Hartford wohnte bereits in Cliffside und hatte das Gästehaus sowie die Wohnung über der Garage an Freunde vermietet. Alexis und ihre Schwestern fuhren daraufhin nach Dancer’s Beach an der Küste von Oregon. Um die Wahrheit herauszufinden, schlichen sie sich bei einem Kostümfest ein, das die drei Männer gaben.

Es klappte nicht richtig. Die Männer hatten sich als die drei Musketiere verkleidet und waren nicht voneinander zu unterscheiden. Jede Schwester suchte sich einen Mann aus, dem sie Informationen entlocken wollte.

Hinterher zweifelte nur noch Athena an der Ehrlichkeit der drei Freunde. Alexis und Gusty fanden sich jedoch mit der Lage ab und gaben auf.

Vor einer Woche sah Alexis in Rom im Fernsehen des American Club das Foto einer unbekannten jungen Frau, die in Oregon bei Astoria aus dem Columbia River geborgen worden war. Durch einen Schlag auf den Kopf hatte sie das Gedächtnis verloren.

Alexis traute ihren Augen nicht. Das war eine ihrer Schwestern! Und sie war hochschwanger!

„Als die Schwester der Unbekannten, Athena Ames, mit einem Freund nach Astoria kam“, berichtete der Reporter, „war die geheimnisvolle Frau verschwunden. Sie ist einssiebzig groß, wiegt hundertzwanzig Pfund und hat langes rotes Haar und dunkelblaue Augen. Mittlerweile wird sie seit acht Tagen vermisst.“

Alexis versuchte daraufhin vergeblich, Athena in deren Büro in Washington zu erreichen. Von Patrick Connelly, einem Privatdetektiv, der oft für Athena arbeitete, erhielt Alexis eine Adresse in Oregon. Ihre Schwester wohnte demnach im ehemaligen Haus ihrer Tante. Doch wo war der Mann, dem das Haus jetzt gehörte?

In den Nachrichten war von ihrer Schwester und deren Freund die Rede gewesen. Athena und David Hartford hatten sich im Krankenhaus getroffen und gemeinsam nach Gusty gesucht, und daraus war eine dauerhafte Beziehung geworden.

Alexis und Davids Freund Trevyn McGinty waren vor zwei Tagen ihre Trauzeugen gewesen. Athena war hoffnungslos in David verliebt.

„Schriftsteller haben kein sicheres Einkommen“, sagte Alexis und meinte damit den derzeitigen Beruf ihres neuen Schwagers. Alles war verwirrend. Eine ihrer Schwestern wurde vermisst, und die andere hatte sich völlig verändert. Darüber hinaus hatten sie herausgefunden, dass Tante Sadie wie David früher für die CIA gearbeitet hatte. Ihr Deckname war Tantchen gewesen, und sie hatte David das Haus hinterlassen, weil er ihr einmal das Leben gerettet hatte. „Ist es wirklich gut, dass du dein Büro in Washington schließt und ein neues in Dancer’s Beach einrichtest? Ich meine, du bist an die Großstadt und an wichtige Fälle gewöhnt. Was wirst du hier finden, das dich entschädigt?“

Athena lächelte heiter. „Ich habe es schon gefunden, und es ist viel schöner als alles, was ich jemals erlebt habe.“

Alexis wäre die Bemerkung kitschig vorgekommen, hätte Athena es nicht so ernst gemeint. „Was ist, wenn sich dieser Literaturagent irrt und der Verleger, der David kennen lernen soll, sein Buch doch nicht veröffentlichen will?“

„Dann sucht er sich einen anderen. Es ist ein großartiges Buch.“

Alexis warf ein Paar Socken, die neben der Tasche gelandet waren, zu ihrer Schwester zurück. „Sie waren tatsächlich CIA-Agenten? Unsere Musketiere?“

„Tatsächlich.“ Athena schloss die Tasche. „Darum ist ja auch das Buch so gut. Es ist eine erfundene Geschichte, die jedoch auf Davids Erfahrungen basiert.“

Alexis setzte sich auf. „Ich kann mir Trevyn McGinty einfach nicht als CIA-Agent vorstellen, höchstens als Polizist in einer Fernsehserie.“

Athena setzte die Tasche an der Tür ab und holte einen Regenmantel aus dem Schrank. „Lex, du wirst mindestens eine Woche mit ihm und den Jungs hier allein sein, während David in New York ist und ich mein Büro schließe. Du solltest ihn besser behandeln.“

„Er knallt mir ständig bissige Bemerkungen an den Kopf.“

„Weil du ihm bissige Bemerkungen an den Kopf knallst.“ Athena lachte. „Du ärgerst dich doch nur, weil du ihn für einen Einbrecher gehalten hast und er in dem Handgemenge gesiegt hat.“

„Natürlich hat er gesiegt.“ Alexis sah ihre Schwester nicht an. „Er ist größer als ich und hat das schamlos ausgenutzt.“

„Es war dunkel“, hielt Athena ihr vor. „Und du hast ihn angegriffen.“

Alexis hatte nicht vergessen, wie McGinty auf dem Küchenboden auf ihr gesessen hatte, während die von ihr eingesetzte Bratpfanne durch die Luft flog. „Ich darf gar nicht daran denken, dass ich drei Monate lang zwei Mal wöchentlich an einem Selbstverteidigungskurs teilgenommen habe.“

Vergnügt öffnete Athena die Tür. „Die CIA hat ihn sicher besser ausgebildet als dich dein Trainer. Kommst du denn wirklich klar, wenn wir dir die Jungs und den Hund anvertrauen? Du musst alles ohne Haushälterin schaffen, weil Dotty erst am Montag wiederkommt. Du musst für das Essen sorgen, darauf achten, dass die Jungs zur Schule gehen, und den Hund füttern.“

Brandon, zwölf, und Brady, zehn, waren die Halbbrüder von Athenas Mann David. Alexis kannte die beiden erst seit einigen Tagen, mochte sie jedoch sehr – genau wie Ferdie, den bärenartigen Mischlingshund der beiden.

„Ich schaffe das schon“, versicherte Alexis. „Wieso traust du mir das nicht zu?“

„Ich traue es dir zu“, behauptete Athena. „Als Künstlerin vergisst du nur manchmal die einfachsten alltäglichen Dinge.“

„Nun ja, im Moment ist es bei mir mit der Kunst nicht weit her.“ Alexis schob ihre Schwester zur Tür hinaus. „Ihr beide verreist nicht zum Vergnügen, aber es wird dir trotzdem gut tun. Du hast viel durchgemacht, seit Gusty aus dem Fluss geborgen wurde. Und wir können die Suche nach ihr ohnedies erst fortsetzen, wenn Officer Holden die Passagierlisten überprüft hat.“

Brandon und Brady hatten Athena mit einer rothaarigen Frau verwechselt, die sie auf dem Flughafen von Portland beobachtet hatten. Die Jungen waren die Ersten gewesen, die Gusty seit ihrem Verschwinden aus dem Krankenhaus gesehen hatten. Sie waren ihrer Mutter weggelaufen, um bei David zu bleiben.

Seither ging Officer Holden von der Polizei in Astoria die Passagierlisten durch, doch das war eine langwierige Sache. Gusty war mit einem Mann unterwegs gewesen, den die Jungen als unheimlich beschrieben hatten. Die Polizei überprüfte nun jeden einzelnen Passagier zur fraglichen Zeit, weil man annahm, dass Gusty unter einem falschen Namen gereist war. Schließlich erinnerte sie sich nicht mehr an ihren eigenen.

Alexis ging mit Athena zur Treppe. „Es tut mir leid, dass ich in der letzten Zeit nicht hier war, um dir zu helfen.“

Athena winkte ab. „Schlimm war vor allem, dass ich nicht wusste, um welche von euch es sich handelte, da ich keine von euch erreichen konnte.“

„Als ob ich plötzlich im siebenten Monat schwanger auftauchen würde“, hielt Alexis ihr vor.

„Eines Tages“, erwiderte Athena lächelnd, „wirst du den Richtigen treffen. Dann wirst du dich fragen, wie du jemals so etwas sagen konntest.“ Sie ging die Treppe hinunter. „Die Jungs. Der Hund. Holdens Telefonnummer am Kühlschrank. Habe ich etwas vergessen?“

„Nein. Mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich um alles und werde Holden täglich drängen. Genieße zusammen mit deinem Mann die Reise, und wenn ihr zurückkommt, wartet Gusty vielleicht schon auf dich.“

Unten angekommen, umarmten sie sich fest, um die Leere auszugleichen, die durch Gustys Verschwinden in ihrem Leben entstanden war.

„Ja, das wäre schön“, meinte Athena. „Ich rufe dich aus Washington an.“ Sie griff wieder nach der Reisetasche und ging zur Tür. „Und fang keinen Streit mit Trevyn an.“

„Er fängt immer an!“, widersprach Alexis.

„Musst du stets das letzte Wort haben?“, fragte Athena.

Trevyn McGinty half seinem Freund und Vermieter David Hartford, das Gepäck im Kofferraum zu verstauen. „Wie lautet der erste Punkt im Vertrag, falls du dein Buch verkaufen solltest?“, fragte er.

David reichte ihm eine prall gefüllte Aktentasche. „Dass du mich für den Einband fotografierst.“

Trevyn klopfte ihm auf den Rücken. „Sehr gut. Jetzt freut es mich ja doch, dass ich dir damals in Bangkok das Leben gerettet habe.“

„Wenn ich mich recht erinnere, war es das Standbild, hinter dem ich mich versteckte.“

„Aber ich tauchte rechtzeitig auf und erwiderte das Feuer.“

„Du hast dich um drei Minuten verspätet.“

„Musst du mir das immer wieder unter die Nase reiben? Wo steckt eigentlich Bram? Er kann doch nicht noch in Mexiko sein.“

„Doch. Der untreue Ehemann, den er beschattet, hat seinen Wagen mit hübschen Mädchen vollgeladen, und Bram folgte ihm nach Mexiko. Vor der Grenze hat er mich angerufen. Da unten tut sich was.“

Bram Bishop, ein Sicherheitsexperte mit über zwanzigjähriger Erfahrung, war oft der dritte Mann in ihrem Team bei der CIA gewesen. Vor fast zehn Monaten war er gemeinsam mit ihnen beim Geheimdienst ausgeschieden und hatte in Dancer’s Beach eine Privatdetektei eröffnet. Er wohnte über der Garage von Cliffside.

„Glaubst du, es geht um Drogen?“, fragte Trevyn. „Oder verschleppte Frauen?“

„Keine Ahnung. Ich habe nichts mehr von ihm gehört. Ich bekomme keine Verbindung zu seinem Handy.“

„Wie lange ist er schon fort?“

„Drei Wochen.“

Trevyn überlegte nur kurz. „Bei einem anderen würde ich mir Sorgen machen.“

„Ihm ist bestimmt nichts passiert.“ David lächelte, als Athena und Alexis aus dem Haus kamen. Die Jungen, die bis jetzt neben der Zufahrt Ringe geworfen hatten, griffen nach ihren Rucksäcken und folgten ihnen zusammen mit dem Hund. „Kommst du mit Lex und den Jungs klar, während Dotty ihren Sohn besucht? Oder soll ich für ein Kindermädchen und Polizeischutz sorgen?“

„Sehr witzig.“ Trevyn warf einen Blick auf das Gepäck, das die Frauen brachten, und schaffte im Kofferraum Platz. „Die Jungs sind prima. Alexis wohnt im Haus, ich wohne im Gästehaus, und der Herr im Himmel möge dafür sorgen, dass wir einander nie begegnen.“

In Trevyns Augen war Alexis das schwarze Schaf unter den Drillingen. Sie war so schön wie Athena und hatte auch langes rotes Haar und dunkelblaue Augen, war jedoch unhöflich und reizte ihn ständig. Sie hatte versucht, ihn mit einer Bratpfanne niederzuschlagen. Einer solchen Frau konnte er kaum freundschaftliche Gefühle entgegenbringen.

„Was ist, wenn Holden etwas über Gusty erfährt?“, fragte David.

„Ich finde sie auch ohne Lex’ Hilfe“, versicherte Trevyn.

„Aber Alexis kennt ihre Schwester besser als du“, wandte David ein, „auch wenn du …“

Trevyn seufzte, als David zögerte. „Auch wenn ich für Gustys Schwangerschaft verantwortlich bin. Sprich es ruhig aus. Wir wissen schließlich alle, dass sie hochschwanger ist.“

„Bist du denn sicher, dass du mit ihr zusammen warst?“, fragte David. „Die Drillinge sehen einander wirklich zum Verwechseln ähnlich, und dann noch die Kostüme und die Masken und …“

„Ich habe sie geliebt“, fiel Trevyn ihm ins Wort. „Und sie ist die einzige Schwester, die schwanger ist. Also war ich es.“

„Hältst du es aus, hier auf ein Ergebnis zu warten?“, fragte David. „Ich weiß, dass du Gusty am liebsten sofort suchen würdest, aber ich habe Wren auf sie angesetzt. Es wäre für mich eine Beruhigung, wenn du bei Lex und den Jungs bleibst.“

Wren war ein Freund aus den Tagen beim Geheimdienst. Auch er hatte bei der CIA seinen Abschied genommen und arbeitete jetzt selbstständig.

Trevyn hätte tatsächlich lieber sofort gehandelt, aber er stand tief in Davids Schuld. Wenn sie nicht für die CIA im Einsatz gewesen waren, hatten er und David zusammen für die Chicago Tribune gearbeitet, David als Journalist und Trevyn als Fotoreporter. „Mir ist das recht. Ich passe auf die Jungs auf. Falls allerdings Alexis verschwinden sollte …“

„Trev!“

„Schon gut, schon gut, ich passe auch auf sie auf.“

„Danke, Trevyn, dass du den Wagen vollgepackt hast.“ Athena lächelte ihn an. „Hätten wir das David überlassen, hätte ich das meiste machen müssen.“

„Ach, er war schon immer sehr selbstsüchtig“, scherzte Trevyn und schloss den Kofferraum. „Niemand versteht, was du an ihm findest.“

Athena umarmte die Jungen, versprach anzurufen und fragte, welche Souvenirs sie sich aus Washington und New York wünschten.

„Eine Mütze von den New York Yankees.“ Brandon umarmte David. Der Junge hatte helles Haar, war sehr mager und äußerst klug.

Brady stand mit verschränkten Armen daneben und machte ein finsteres Gesicht, obwohl er bisher stets fröhlich gewesen war. Trevyn vermutete, dass dem Jungen Davids Abreise nicht gefiel.

„Wann kommt ihr zurück?“, fragte Brady.

„In ungefähr einer Woche, höchstens zehn Tagen“, erwiderte David.

„Sicher?“

„Sicher.“

„Wenn ihr nämlich länger wegbleibt, versäumt ihr den Elternabend. Ihr müsst euch aber meine Arbeiten und auch das Klassenzimmer ansehen. Und es gibt Plätzchen.“

„Wir versäumen ihn nicht, das verspreche ich dir.“

Brady sah David unverwandt an.

Alexis und Athena zogen sich zum Wagen zurück und taten, als hätten sie die Spannung zwischen den beiden nicht bemerkt.

Brandon stieß Brady an. „Stell dich nicht so doof an“, raunte er ihm zu.

Brady warf ihm einen scharfen Blick zu und umarmte David. „Also, gute Reise.“

David drückte ihn an sich. „Was ist denn los?“

Brady zögerte. „Es geht mir nur um den Elternabend.“

„Wir kommen rechtzeitig zurück“, versicherte David und führte ihn auf die Fahrerseite des Wagens. „Brady, hast du Angst, unsere Mom könnte Darby noch einmal herschicken, damit er euch abholt?“

Darby war der neue Ehemann der Mutter von David, Brady und Brandon. Die Jungs waren von zu Hause ausgerissen, als er Ferdie ins Tierheim abschob.

Brady verschränkte erneut die Arme. „Manchmal schon“, räumte er ein.

David legte ihm die Hände auf die Schultern. „Mom hat die Papiere unterschrieben, die mich zu eurem gesetzlichen Vormund machen. Ich habe sie euch gezeigt.“

„Ich weiß“, bestätigte Brady.

„Dann brauchst du keine Angst zu haben.“

„Ja.“ Brady lächelte unsicher.

David blickte zu Trevyn hoch. „Dein Onkel Trev sorgt dafür, dass euch niemand mitnimmt und euch auch sonst nichts geschieht, während ich fort bin. Stimmt es, Trev?“

„Na ja“, meinte Trevyn, „es sei denn, es kommen hübsche Mädchen daher und wollen mich ebenfalls verschleppen. Dann allerdings …“

Brandon lachte schallend, und Brady musste lächeln. David warf Trevyn einen finsteren Blick zu.

„Niemand nimmt euch mit“, versicherte Trevyn ernst, legte die Arme um Brady und Brandon und zog sie vom Wagen weg. „Macht euch keine Sorgen.“

„Fällt einem nicht leicht, wenn man dich kennt“, entgegnete David und öffnete die Wagentür.

„Ich bin ja auch noch hier und kann eingreifen, wenn er Mist baut“, erklärte Alexis und umarmte David. „Pass auf meine Schwester auf, Kamerad, sonst kriegst du es mit mir zu tun.“

Nachdem David eingestiegen war, schloss sie die Tür.

Ferdie wollte bellend hinter dem Wagen herlaufen, doch Brandon hielt ihn am Halsband fest.

Alexis sah dem Wagen nach, und als er verschwand, fühlte sie sich sehr einsam. Gusty wurde vermisst, und Athena führte jetzt ihr eigenes Leben.

So ergeht es mir eigentlich immer, dachte Alexis. Sie gehörte nie wirklich irgendwo dazu. Sie war … anders. Und sie war einsam.

„Kommen die Jungs nicht zu spät in die Schule?“

Trevyn störte ihre Gedanken und erinnerte sie daran, dass sie nicht allein war. Vielleicht einsam, aber nicht allein.

Da stand er vor ihr, hoch gewachsen und mit breiten Schultern. Der Wind spielte mit seinem Haar, und aus seinen dunklen Augen traf sie ein herausfordernder Blick. Bei einem anderen Mann hätte sie zugegeben, dass er sagenhaft aussah, aber nicht bei Trevyn. Er hatte sie schließlich zu Boden gerungen und sich noch dazu auf sie gesetzt.

„Ich kenne den Fahrplan, vielen Dank“, erwiderte sie höflich und wandte sich an Brandon und Brady. „Soll ich mit euch zur Bushaltestelle gehen?“

Die Jungen sahen einander so entsetzt an, dass Alexis sofort ihren Fehler erkannte.

Brandon wandte sich hoffnungsvoll an Trevyn. „Kannst du uns mit dem Geländewagen hinfahren?“

„Sicher.“ Trevyn holte die Schlüssel aus der Tasche, während die Jungen schon in die Garage liefen. Alexis hielt Ferdie am Halsband fest. „Nehmen Sie es nicht schwer“, sagte Trevyn lächelnd zu ihr. „Es wirkt eben auf die Kameraden besser, wenn man in einem Geländewagen vorfährt, als wenn man eine Frau im Schlepptau hat. Bin gleich wieder hier.“

Alexis sah den dreien seufzend nach. Schon mit zehn und zwölf Jahren unter der Herrschaft von Testosteron! Was für eine Welt!

Die Jungen winkten ihr zu, und Ferdie winselte hinter dem Wagen her.

Alexis trat an die Hecke, die das Grundstück umgab, und lockte den Hund zu sich. Ohne ihre Schwestern fühlte sie sich hier fehl am Platz. Seit sie erwachsen war, hatte sie die beiden nur selten gesehen, doch in Cliffside waren sie stets zusammen gewesen.

Von ihrem Standort genoss sie den Ausblick auf den blauen Himmel und das blaue Meer, die in der Ferne miteinander verschmolzen. Die frische salzige Luft brachte Erinnerungen daran zurück, wie sie, Athena und Augusta hier als Kinder gespielt hatten.

Damals hatte sie düstere und selbstsüchtige Gedanken gehegt. Sie glaubte, ihre Mutter würde sie lieben, sofern sie sich der Konkurrenz entledigen konnte. Athena war äußerst tüchtig, und Gusty war reizend und liebenswert. Alexis dagegen neigte zu unverblümter Offenheit und besaß ein Talent für Kunst, und ihre Mutter schätzte beides nicht.

In positiven Momenten war Alexis damals dankbar gewesen für ihre Schwestern, ohne die ihr Leben trostlos gewesen wäre. Ihre Mutter ignorierte die Drillinge, weil sie selbst im Rampenlicht stehen wollte. Ihr Vater nutzte jede Gelegenheit, um von daheim fern zu sein. Dadurch hatten die Schwestern nur einander und die Aufenthalte bei Tante Sadie in Dancer’s Beach gehabt.

War sie verletzt oder verärgert gewesen, hatte sie sich ein Leben ohne Athena und Gusty vorgestellt und so getan, als gäbe es nur sie und ihre Mutter.

Dann wären die Leute auf der Straße nicht von drei kleinen rothaarigen und identisch gekleideten Mädchen begeistert gewesen. Niemand wäre stehen geblieben, um ihrer Mutter vorzuschwärmen, wie schön doch ihre Kinder waren und wie ähnlich sie ihr sahen.

Dann wären sie zu zweit gewesen. Niemand hätte sie beachtet. Sie wären gemeinsam einkaufen gegangen, und ihre Mutter hätte sich nur um sie gekümmert.

Alexis sah damals, wie andere Mütter ihre Kinder anlächelten. Sie brauchten nicht einmal etwas zu sagen. Die Liebe erkannte man allein schon an den Blicken, am Lächeln oder an einer Umarmung.

Auf all das hatte Alexis vergeblich gewartet.

Als Jugendliche hatte sie sich mit ihrem Schicksal abgefunden und zusammen mit ihren Schwestern versucht, Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein zu entwickeln.

Athena verstand es, über alles zu diskutieren und zu streiten. Schon früh stand fest, dass sie Jura studieren würde.

Augusta liebte es, zu lernen und Wissen weiterzugeben, und sie mochte Kinder. Voll Begeisterung sprach sie darüber, Lehrerin werden zu wollen.

Alexis beschloss, die Kunst zu ihrem Leben zu machen. Kunst war nicht einfach ein Beruf.

Dank ihres Talents gewann sie ein Stipendium in Europa und blieb nach der Ausbildung dort. Einerseits genoss sie die Nähe zu den Kunstwerken der Renaissance. Andererseits war es auch eine Flucht. Auf diese Weise brauchte sie nicht ständig ihre Schwestern zu sehen, die sich ihrer Fähigkeiten so sicher waren und genau wussten, was sie wollten.

Mittlerweile hatte sie schöne Erfolge erzielt und wurde von der Künstlergemeinde Roms akzeptiert. In einer kleinen, aber angesehenen Galerie in New York City verkaufte sie erfolgreich ihre Werke. Das war mehr, als die meisten Künstler erreichten.

Alexis kehrte zum Haus zurück, um das Essen vorzubereiten. Als sie die Einfahrt erreichte, kam Trevyn zurück, hielt neben ihr und stieg aus.

„Haben Sie den Bus erreicht?“, fragte sie.

„Gerade noch. Haben Athena oder Dave Ihnen erklärt, wie Sie mich vom Haus aus anrufen können, falls Sie etwas brauchen?“

„Vielen Dank“, wehrte sie höflich ab, „aber ich bin nicht ängstlich und werde Sie kaum brauchen.“

Er ließ sich von der kühlen Antwort nicht abschrecken. „Was ist denn, wenn Sie wieder einen Eindringling überraschen sollten?“, fragte er unschuldig.

„Sie können wohl nicht wie ein Gentleman über den Zwischenfall schweigen, wie?“, fragte sie gereizt.

„Sie geben ja auch nicht zu, dass ich das Recht hatte, ins Haus zu kommen.“

„Sie haben mit einem Dietrich geöffnet!“, rief sie. „Wieso haben Sie nicht wie jeder normale Mensch angeklopft?“

„Weil es halb fünf morgens war“, erwiderte er. „Wieso haben Sie nicht wie jeder normale Mensch geschlafen?“

„Weil ich …“ Alexis stockte. Es ging ihn nichts an, dass sie sich Sorgen gemacht hatte. „Weil ich über einiges nachdachte. Sicher, Sie kamen gerade aus Kanada zurück, aber hätten Sie nicht zwei oder drei Stunden in Ihrem Wagen warten können, bis jemand im Haus wach ist?“

„Ich hatte die Nachricht über Gusty gesehen und musste mehr wissen“, hielt er ihr vor. „Und ich wusste, dass Dave sich nicht daran stört, wenn ich mir Zutritt zum Haus verschaffe.“

Das hielt sie ihm allerdings zugute, auch wenn er blöd genug gewesen war, ihre Schwester schon nach wenigen Stunden Bekanntschaft zu schwängern. Trotzdem fragte sie unfreundlich: „Was für ein Mensch reist eigentlich mit einem Dietrich?“

„Ein ehemaliger Agent. Ich konnte damit immer besser als Dave oder Bram umgehen.“

„In den Augen anderer Menschen ist das ein sehr fragliches Talent.“

„Tut mir leid, die Macht der Gewohnheit. Ich rechnete auch nicht damit, dass sich außer Dave jemand im Haus aufhält, abgesehen natürlich von Dotty. Woher sollte ich wissen, dass er noch vier Leute bei sich aufgenommen hat?“

„Haben Sie als Spion nicht gelernt, lieber Fakten als Vermutungen zu trauen?“

Aus seinen Augen traf sie ein schmerzlicher Blick. „Ich versuche, einiges von früher zu vergessen. Bei dieser Arbeit lernt man, nichts und niemandem zu vertrauen. Man darf nur glauben, was man selbst gesehen hat. Diese Einstellung hilft beim Wechsel zu einem normalen Leben so wenig wie die Fähigkeit, jedes Schloss zu öffnen.“

Er streichelte den Hund und deutete zum Gästehaus, das dem einstöckigen Hauptgebäude von Cliffside sehr ähnlich war. Es besaß ebenfalls Erdgeschoss und ersten Stock, aber an der Vorderfront nur zwei Fenster anstelle von vier, und kein Giebeldach. Es war von Tannen und Eschen umgeben.

„Ich muss arbeiten“, erklärte er. „Falls Sie etwas brauchen, drücken Sie die Taste für Hausgespräche und danach die Zwei.“

„Danke.“

Trevyn stieg wieder in den Wagen und fuhr ihn in die Garage.

Ferdie lief ihm bellend nach, doch Alexis rief ihn zu sich. Er kehrte gehorsam zu ihr zurück. Sie beugte sich zu ihm hinunter. „Du brauchst ihn nicht“, sagte sie ziemlich laut. „Ich werde dich füttern und mit dir spazieren gehen. Wir leisten uns gegenseitig Gesellschaft.“

Ferdie folgte ihr zum Hauptgebäude, blickte jedoch sehnsüchtig zu Trevyn.

Alexis drückte die Klinke, doch nichts tat sich. Verblüfft betrachtete sie die verschlossene Tür, lächelte dann jedoch dem Hund zu, als sie sich daran erinnerte, dass Athena ihr einen Schlüssel gegeben hatte.

Sie fasste in die Hosentasche. Leer. Der Schlüssel lag drinnen auf der Kommode.

„Verdammt“, sagte sie seufzend zu dem Hund. „Sieht so aus, als würde ich McGinty ja doch brauchen.“

Autor

Muriel Jensen

So lange Muriel Jensen zurückdenken kann, wollte sie nie etwas andere als Autorin sein. Sie wuchs in einer Industriestadt im Südosten von Massachusetts auf und hat die Menschen dort als sehr liebevoll und aufmerksam empfunden. Noch heute verwendet sie in ihren Romances Charaktere, die sie an Bekannte von damals erinnern....

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