Das doppelte Glück

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So gern die hübsche Modedesignerin Paige auch eine Familie hätte - sie ist überzeugt, dass sie nicht die Verantwortung für ein Kind übernehmen kann. Aber das sehen die beiden süßen Töchter des attraktiven Zeke völlig anders. Denn sie wissen mehr als Paige und Zeke …


  • Erscheinungstag 02.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757403
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Das Haus nebenan ist todsicher verhext.“ Paige Watkins seufzte dramatisch in den Hörer. Natürlich wusste sie, dass ihre Worte verrückt klangen. Aber das war ihr egal – sie musste einfach mit jemandem sprechen.

„Was redest du da?“, fragte Amelia, Paiges beste Freundin. „Meinst du etwa, dass es dort spukt?“

„Nein, das wäre völlig in Ordnung“, erwiderte Paige verzweifelt. „Es ist wieder ein alleinstehender Mann eingezogen.“

„In Erics Haus?“

Paige zuckte zusammen. „Genau.“

„Oh, das ist ja wirklich schrecklich“, bemerkte Amelia ironisch. „Wahrscheinlich ist er genauso süß wie Eric.“

Paige verdrehte die Augen, als sie Amelias Armbänder klimpern hörte. Amelia sammelte Armbänder als Abschiedsgeschenk von ihren Exfreunden. Bis jetzt hatte sie drei silberne, zwei goldene und eines aus Jade. „Ich weiß nicht, ob er süß ist oder nicht. Und ich habe auch nicht vor, es herauszufinden.“

„Spinnst du, Paige?“, zischte Amelia. „Falls du ärztliche Hilfe brauchst, kann ich dich gerne in die Stadt fahren.“

„Ich brauche weder einen Arzt noch einen Psychiater.“ Paige lachte. „Aber mein neuer Nachbar hat Kinder, und ich werde mich nie wieder auf eine Affäre mit einem alleinerziehenden Vater einlassen – niemals wieder.“

Ihre Freundin lachte zustimmend. „Sieh mal, Paige, nur weil Eric zu seiner Exfrau zurückgegangen ist …“

„Zu seiner hinreißenden Exfrau mit dem Doppel-D-Körbchen.“

„Ja, richtig. Aber nur, weil er zu seiner hinreißenden Exfrau mit dem Doppel-D-Körbchen zurückgegangen ist, heißt das noch lange nicht, dass du dir alle Männer aus dem Kopf schlagen musst.“

„Warum sollte ich zweimal den gleichen Fehler machen? Und außerdem habe ich immer noch nicht verkraftet, was damals mit dem kleinen Joey passiert ist.“

„Es war nicht deine Schuld, Paige. Kleine Kinder entwischen einem manchmal innerhalb von Sekunden.“

„Trotzdem, wenn das Auto Joey erwischt hätte …“ Ein Angstschauer jagte ihr über den Rücken. Paige versuchte, die Erinnerung abzuschütteln. „Ich möchte einfach nicht für Kinder verantwortlich sein. Und schon gar nicht für die von jemand anders. Der Gedanke ist mir unheimlich.“

Amelia atmete geräuschvoll aus. „Vergiss die Kinder und erzähl mir, ob er süß ist oder nicht?“

„Woher soll ich das wissen? Ich bin dem Mann bis jetzt aus dem Weg gegangen.“

„Du bist eine Schande für jede Frau“, erwiderte Amelia mit offensichtlichem Missfallen. Sie übertrieb ein wenig. „Wenn du ihn noch gar nicht getroffen hast, woher weißt du dann, dass er Single ist?“

„Mrs. Spivy von gegenüber.“ Paige musste lachen, als sie daran dachte, wie die redselige, aber gutherzige Frau ihr die brandheiße Nachricht überbracht hatte. „Sie ist unser Begrüßungskomitee für neue Nachbarn. Als er eingezogen ist, hat sie ihm einen Apfelkuchen überreicht.“

„Das ist doch eine gute Idee“, sagte Amelia. „Warum machst du nicht deine fantastische Mousse au Chocolat und bringst sie ihm? Du könntest sie mit einem Sahnehäubchen garnieren und noch eine kleine Kirsche obendrauf setzen.“

Paige hustete. „Ich werde mir den Weg in das Bett eines Mannes doch nicht mit Backkünsten bahnen.“

„Das klingt tatsächlich frauenfeindlich“, gab Amelia zu. „Okay, dann schneidere dir doch ein sexy Outfit, irgendetwas Kurzes. Du weißt schon, zeig einfach deine Beine.“

„Und das klingt nicht frauenfeindlich?“

Amelia lachte. „Na gut, eigentlich könntest du ihn auch mir überlassen, aber die Sache mit Derrick läuft wirklich ausgezeichnet …“

„Du magst ihn wirklich?“, fragte Paige. Sie war dankbar für den Themenwechsel.

„Er ist einfach wundervoll“, seufzte Amelia verträumt. „Ich bin überrascht, dass du ihn mir überlassen hast, anstatt ihn selbst zu behalten.“

„Wir sind seit der Grundschule miteinander befreundet“, meinte Paige. „Aber irgendwie hat es zwischen uns nicht gefunkt.“

„Umso besser“, erwiderte Amelia begeistert. „Ich glaube, er ist der Richtige für mich.“

„Du bist hoffnungslos romantisch, Amelia. Ich für meinen Teil denke, dass ich eine Zeit lang die Finger von den Männern lasse.“

„Komm schon, Paige. Es gibt auch gute Männer. Du darfst einfach nicht aufgeben.“

„Um mir wieder das Herz brechen zu lassen? Ich denke gar nicht daran.“

„Glaub mir, es lohnt sich.“

Paige lachte auf und schüttelte dann den Kopf. „Lass uns jetzt Schluss machen. Ich muss noch die Flugblätter verteilen. Ich habe Mrs. Spivy versprochen, dass ich mich um unsere Nachbarschaftshilfe kümmern werde.“

„Habt ihr immer noch Ärger mit den Einbrüchen und dem Vandalismus?“

„Ja. Aber vielleicht hilft gegenseitige Wachsamkeit.“

„Ein ausgezeichneter Vorwand, um dich mit deinem neuen Nachbarn zu treffen.“

Paige verdrehte die Augen. „Du bist hoffnungslos. Sicher ist er ein unverbesserlicher Casanova. Und seine Kinder sind unerträgliche Monster.“ Sie legte auf und schüttelte den Kopf über Amelias Gelächter. Dann griff sie nach den Flugblättern und eilte zur Tür. Dabei war es ihr durchaus ernst. Für die nächste Zeit waren Männer für sie tabu, und erst recht solche mit Kindern und Haustieren. Nie wieder liegen gebliebenes Kinderspielzeug auf dem Teppich. Nie wieder Streit ums Auto. Nie wieder quengelnde Kinder auf dem Rücksitz. Nie wieder als Ersatzmutti missbraucht werden. Sie hatte sich vorgenommen, auf den Ratschlag ihrer Mutter zu hören und sich um ihre beruflichen Pläne zu kümmern.

Zunächst wollte sie ihr Studium beenden und als Modedesignerin arbeiten. Dann wollte sie reisen und sich in der internationalen Modewelt einen Namen machen.

Während Paige die Flugblätter in die Briefkästen warf, betrachtete sie gedankenverloren die zarten Frühjahrspflänzchen, die die Nachbarn in ihren Gärten hegten und pflegten. Ungefähr dreißig Meilen nördlich von Atlanta genossen die Einwohner von Crabapple zwar noch alle Annehmlichkeiten der Stadt, aber hier draußen waren die Immobilien wesentlich preisgünstiger. Außerdem waren die grünen Bäume der Kleinstadt nicht zu verachten. Auf dem Weg in das Stadtzentrum, das aus nichts anderem als einer Kirche, einer Tankstelle, einer Grundschule und einer zweispurigen Schnellstraße bestand, gab es ein paar malerische Antiquitätenläden. In Crabapple kannte jeder jeden. Dennoch wurde der idyllische Ort in der letzten Zeit öfter von mysteriösen Einbrüchen und von Vandalismus heimgesucht, der die Einwohner des Städtchens nervös und gereizt machte.

Sie hatte die Flugblätter fast verteilt, als sie die Zwillinge mit den Pferdeschwänzen bemerkte. Angestrengt zogen sie einen hellroten Wagen hinter sich her und bemühten sich, ihren übergewichtigen Hund mit herunterhängenden Ohren spazieren zu führen. Oder vielleicht führte der Hund auch die Zwillinge spazieren. Das Kind mit der Leine in der Hand rief „Hüh, Henrietta“, aber der Hund gähnte nur gelangweilt und machte Anstalten, sich hinzulegen. Doch das Gör zog und zerrte so lange, bis der Hund sich widerwillig und mit hängendem Kopf mitschleppen ließ. Die Mädchen waren ungefähr vier oder fünf Jahre alt. Das eine trug eine gelbe Latzhose, das andere eine blaue.

Wo waren ihre Eltern?

Hör auf, befahl sie sich leise. Du bist nicht für sie verantwortlich. Gott sei Dank. Nach der Sache mit Joey …

Und überhaupt, abgesehen von den Einbrüchen und dem Vandalismus, lebte sie in einer ruhigen, friedlichen Nachbarschaft. Für die Verbrechen waren sicher Teenager verantwortlich.

Trotzdem hatten die Mädchen ihre Neugier geweckt. Sie drehte um und eilte auf sie zu. Die Mädchen hatten bei einem Telefonmasten angehalten. Die in der gelben Hose verhinderte krampfhaft, dass der Hund auf der Straße einem Vogel nachjagte, während die andere einen Hammer und ein Flugblatt aus dem Wagen hervorholte. Ungeschickt versuchte sie, das Flugblatt an den Masten zu nageln.

Sie musste lachen, als das Kind mit dem Hammer daneben schlug und es gleich noch einmal versuchte. Der Hund jaulte. Das Mädchen kraulte ihm liebevoll die langen braunen Ohren, als ein plötzlicher Windstoß dem zweiten Mädchen das Blatt Papier aus der Hand riss.

„O nein, nicht!“, schrie sie.

Ihre Schwester zeigte auf das Blatt, das durch die Luft segelte. „Halt fest!“

„Ich kriege es!“, rief Paige. Ihr mütterlicher Instinkt meldete sich automatisch, als sie das Blatt auf die Straße fliegen sah.

Die Mädchen blieben stehen und rissen vor Schreck die Augen auf. Der Hund bellte, stellte die Ohren auf und wollte dem Papier ebenfalls nachjagen. Immerhin, der Hund konnte also rennen.

„Kinder, lauft nicht auf die Straße“, warnte Paige.

Das Mädchen in Gelb zerrte an der Leine und stemmte sich gegen das Gewicht des Hundes. Ihre Schwester fasste sie an der Hüfte, um zu verhindern, dass sie auf die Straße gezogen wurde. Der Hund stöhnte und plumpste zu Boden, die Zwillinge stolperten übereinander und landeten schließlich auf dem Hund.

Paige schnappte sich das Papier und wollte lauthals auflachen, als sie zusah, wie die Kinder und der Hund ihre Gliedmaßen sortierten. Ihr Blick fiel auf das Flugblatt. Beim Anblick der Buchstaben, die mit ungelenker Kinderhand auf das Blatt gekritzelt waren, breitete sich ein Lächeln auf ihren Lippen aus. Aber dann blieb ihr vor Überraschung der Mund offen stehen.

FRAU UND MOMMI TRINGENT GESUCHT

sofort

Für liben Daddy & nitliche Zwilinge

Muss Tire mögen und prima Schoko Keckse baken

Zeke Blalock 555-1200

Paige musterte die Mädchen – rotblondes Haar, große grüne Augen, und auf der Nase ein paar freche Sommersprossen – sie waren wirklich niedlich.

Aber warum inserierten sie für eine Mutter?

Sie gab ihnen das Flugblatt zurück. „Ich glaube, ihr habt etwas verloren.“

„Danke, aber das kannst du behalten“, antwortete das Mädchen in Gelb und lächelte sie hoffnungsvoll an.

Ihre Schwester runzelte die Stirn. „Natürlich nur, wenn du noch keine eigenen Mädchen hast.“

„Kannst du Schokokekse backen?“

„Nun, ja …“

„Hast du einen Daddy?“

Der Zwilling in Blau stupste seine Schwester in die Seite. „Du meinst einen Ehe…mann. Er ist unser Daddy.“

Paige unterdrückte ein Lachen. Die kleinen Mädchen meinten es offensichtlich ernst. Wusste ihr Daddy eigentlich, was sie hier anzettelten?

„Wie heißt ihr?“, fragte Paige. Sie bemerkte, dass dem Mädchen in Gelb ein Zahn fehlte. So konnte sie die beiden auseinander halten.

„Ich bin Augustine“, antwortete das Mädchen mit der Zahnlücke.

„Und ich bin Summer.“ Der Zwilling mit dem Handwagen zeigte auf sich selbst. „Unsere Mommy hat uns so genannt, weil wir im Sommer zur Welt gekommen sind.“

„Aber sie hat uns verlassen“, fügte Augustine traurig hinzu.

„Und wir sehen sie überhaupt nicht mehr“, meinte Summer. Ihre Unterlippe zitterte plötzlich. Paiges Magen krampfte sich zusammen. Sie sahen aus, als würden sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen.

„Ich heiße Paige Watkins“, sagte Paige und wechselte schnell das Thema. Sie streichelte dem Hund den Kopf. „Einen großartigen Hund habt ihr hier.“ Sicher war es unverfänglich, über den Hund zu sprechen.

„Sie heißt Henrietta“, meinte Summer. Ihr Gesicht hellte sich auf.

„Ja, zuerst hieß sie Henry, aber dann haben wir herausgefunden, dass sie ein Mädchen ist.“

„Mädchen sehen anders aus als Jungens“, fügte Augustine hinzu.

„Weißt du, Jungens haben einen …“

„Ja, Liebling, ich kenne den Unterschied“, unterbrach Paige grinsend. Das Hunde-Thema war offensichtlich auch nicht ganz ungefährlich. „Ich habe euch zwei noch nie hier gesehen. Wo wohnt ihr denn?“

Die Mädchen sahen sich verunsichert an. Eines von ihnen zeigte in die Richtung von Paiges Haus. „Da drüben, glaube ich.“

„In einem braunen Haus.“

„Es hat eine Veranda.“

„Wir sind gerade erst eingezogen.“

Paige sah die Straße hinunter. Das einzige braune Haus in der Maple Street stand neben ihrem. Die beiden waren ihre neuen Nachbarn! Und es waren Monster – süße, liebenswerte kleine Monster.

„Hast du einen Daddy – ich meine, einen Mann?“, fragte Augustine.

Paige verspürte einen Stich in ihrem Herz. „Nein, Süße, ich habe keinen.“ Sie las das Flugblatt noch einmal durch. „Hat euer Daddy das hier gesehen?“

Die beiden Mädchen schüttelten heftig den Kopf. Summer beugte sich vor. „Wir wollen ihn doch überraschen“, flüsterte sie leise.

„Außerdem hat er geschlafen“, fügte sie hinzu.

„Ich verstehe“, sagte Paige gerührt. Was war das nur für ein Vater, der tagsüber schlief, während sich seine Kinder auf der Straße herumtrieben? Der ihnen außerdem das Gefühl vermittelte, dass er so dringend eine Frau brauchte, dass sie sogar an Telefonmasten inserierten!

Wahrscheinlich suchte er nur eine Köchin, eine Putzfrau und einen Babysitter. Vielleicht gehörte er auch zu der Sorte, die vor Frauen Angst hat. Aber wenn er die Mädchen oft allein ließ … wie dem auch sei, er musste für seine Kinder die Verantwortung übernehmen. Und was war mit der Mutter der Kinder? Sie war ihm offensichtlich davongelaufen! Wie konnte eine Mutter so etwas nur tun?

Paige biss die Zähne zusammen, als sie spürte, wie der Ärger in ihr hochkroch. „Ich bringe euch jetzt nach Hause.“

Die Mädchen wechselten Blicke. „Unser Daddy hat gesagt, dass wir nicht mit Fremden gehen dürfen“, wandte Summer ein.

Paige tätschelte ihr den Rücken. „Das ist richtig. Aber ich bin nicht wirklich fremd. Ich lebe in dem gelben Haus neben euch. Wir wohnen praktisch Tür an Tür.“

In den Augen der Mädchen blitzte der Schalk auf. Ganz offensichtlich überlegten sie, wie sie ihren Daddy und die neue Nachbarin zusammenbringen könnten. Paiges Magen zog sich zusammen. Eine böse Vorahnung nistete sich tief in ihrem Innern ein – das Haus war todsicher verhext. Sie wollte den Mädchen keine falschen Hoffnungen machen. Sie würde sie einfach nur nach Hause bringen. Sie würde kurz mit ihrem Vater sprechen müssen und hätte nichts mehr mit ihnen zu schaffen.

Zeke Blalock erschrak, als er aufwachte. Er wollte gar nicht einschlafen, aber in all dem Umzugstrubel, zwischen den unausgepackten Kisten und dem kranken Retriever, den er die ganze Nacht hindurch versorgt hatte, war er völlig erschöpft. Die Stille im Haus erschreckte ihn. Er sprang vom Sofa auf und überlegte aufgeregt. Wo waren die Mädchen?

Hinten im Garten mit Henrietta – es ist ein umzäunter Garten in einer ruhigen und sicheren Gegend, darum bist du hier hergezogen – es geht ihnen gut, sagte er sich. Aber sein Herz klopfte trotzdem wild. Er würde sich erst beruhigen, wenn er die süßen, unschuldigen Gesichter seiner Töchter vor sich sah. Schlaftrunken hastete er durch das Haus, wich der dösenden Katze im letzten Moment aus und stolperte fast über einen Turm von Umzugskartons. Verdammt. Er musste endlich den Rest auspacken. Er stieß sich den Zeh, ignorierte den stechenden Schmerz und eilte zur Tür. Sein Puls raste, als er mit einem Blick den leeren Garten absuchte und schließlich die Pforte entdeckte, die langsam auf und zu schwang.

Sie waren weg! Hatte sie jemand entführt, während er auf dem Sofa lag und schlummerte? Sollte er die Polizei rufen?

Ihm war übel vor Angst um seine Kinder, als es plötzlich klingelte. Er schrie fast auf vor Schreck. Wer könnte das sein? Er kannte niemanden aus der Straße. Wahrscheinlich ein Versicherungsvertreter. Der Teufel wusste, dass er dafür jetzt ganz bestimmt keine Zeit hatte. Aber vielleicht war es auch die ältere Dame, Mrs. Spivy, mit einem neuen Kuchen. Vielleicht hatte sie ja seine Kinder gesehen!

Und wenn es die Polizei war, die seine Töchter gefunden hatte …

Beruhige dich, ermahnte er sich. Vielleicht spielen sie ja vor dem Haus.

Es klingelte wieder. Er raste zur Tür und kümmerte sich nicht darum, dass er barfuß war und das Hemd offen stand. Als er die Tür aufriss, erblickte er eine rothaarige Schönheit auf dem Treppenabsatz, die ihm einen bitterbösen Blick zuwarf. Wollte sie etwas verkaufen? Wenn ja, dann musste sie dringend an ihrem Auftritt arbeiten.

„Mr. …“

„Daddy!“

„Kinder!“, rief er. Erleichtert fiel er auf die Knie und schloss sie in seine Arme. „Wo seid ihr zwei denn gewesen? Ich habe euch doch gesagt, dass ihr hinten im Garten bleiben sollt.“ Er lehnte sich zurück, um die beiden genau anzusehen. Die finster blickende Frau auf seiner Veranda hatte er völlig vergessen. Den Mädchen schien nichts zu fehlen. Sie hörten sich gut an. Sie waren nicht entführt worden. „Ich habe mir große Sorgen gemacht“, sagte er mit fester Stimme.

„Es tut uns leid, Daddy“, sagte Summer.

„Ja, aber wir hatten zu tun“, wandte Augustine ein.

Zeke setzte sein strengstes väterliches Gesicht auf. „Ich will keine Entschuldigungen hören. Ihr habt es mir versprochen. Die Vereinbarung ist, dass ihr den Garten ohne mich nicht verlassen dürft. Habt ihr mich verstanden?“

Die Mädchen senkten den Kopf und betrachteten eingehend ihre bunten Schuhe. „Ja, Sir“, sagte Summer.

„Augustine?“

„Okay, Daddy.“

„Aber wir haben jemand gefunden.“ Summer zeigte auf die Frau. „Sie wohnt in dem gelben Haus.“

„Gleich neben uns“, fügte Augustine hinzu. „Sie hat uns nach Haus gebracht.“

Zeke sah die Frau an, die immer noch auf dem Treppenabsatz stand. Der finstere Blick war verschwunden, aber ihre hellen grünen Augen sahen immer noch beunruhigt aus.

„Danke, dass Sie sie zurückgebracht haben“, sagte er.

Augustine zog ihn am Ärmel. „Sie heißt Paige.“

„Das ist unser Daddy“, sagte Summer stolz. „Heute ist er schrecklich, aber nur, weil er auspacken muss und weil er die letzte Nacht nicht geschlafen hat, weil er ein Hundedoktor ist.“

„Ein Beterinär“, erklärte Augustine. „Daddy, du siehst ganz zerknittert aus.“

Zeke fuhr sich mit der Hand durch sein dunkelbraunes Haar und versuchte, die abstehenden Strähnen zu glätten. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er sich dringend rasieren musste. Sein Hemd stand offen und seine Jeans war voller Löcher. Außerdem hatte er höchstens zwei Stunden geschlafen. Sicher sah er aus wie ein streunendes Tier, das im Garten gebuddelt hatte.

Eilig knöpfte er sich das Hemd zu. Plötzlich wurde ihm die Spannung zwischen ihm und der rothaarigen Frau bewusst, die den Blick auf seine nackte Brust krampfhaft vermied.

Schließlich reichte er ihr die Hand. Vielleicht würde sie ihn jetzt ansehen. „Hi. Ich bin Zeke Blalock.“

„Hallo. Paige Watkins.“ Sie atmete tief ein. Ihr kurz geschnittenes T-Shirt straffte sich über den kleinen, festen Brüsten. Jetzt erst bemerkte er ihre verführerische Ausstrahlung. Sei frei, sei du selbst prangte in großen roten Buchstaben vorne auf ihrem T-Shirt. Die schwarze Shorts betonte ihre schmalen Hüften. Sie wischte sich ein paar Schweißperlen von der Stirn. War es die Hitze oder war sie nervös?

„Ich hoffe, dass meine Kinder sie nicht gestört haben“, sagte Zeke.

„Haben wir nicht, Daddy“, antwortete Augustine.

„Nein, sie waren brav“, erwiderte Paige. „Bis …“

Henrietta schlüpfte auf die Veranda und jaulte. „Hoffentlich hat mein Hund nicht das Blumenbeet in Ihrem Garten umgegraben.“

„O nein, nichts Derartiges.“ Paige griff nach dem Flugblatt, das im Handwagen lag.

„Wir gehen spielen“, sagte Summer.

„Ja“, ergänzte Augustine.

„Wartet, Kinder.“ Paige hielt sie zurück.

Oooh. Also hatten sie doch etwas angestellt. Er hatte auf Nachbarn gehofft, die Kinder gern hatten. Paige Watkins schien nicht unbedingt zu ihnen zu gehören. „Mrs. Watkins, falls die Kinder Sie belästigt haben sollten, dann tut es mir leid. Sie sind noch so …“

Sie gab ihm das Flugblatt. „Das haben die Kinder in der Nachbarschaft verteilt. Ich frage mich, ob Sie es gelesen haben.“

Die Mädchen haben Flugblätter gemacht? Zeke fasste es nicht. Schuldbewusst senkten die Mädchen den Blick und wollten sich unauffällig aus dem Staub machen. „Wir bringen Henrietta in den Garten“, sagte Augustine leise.

„Ja.“ Summer schob das Kinn nach vorn und vermied es, dem Blick ihres Vaters zu begegnen.

„Hier geblieben.“ Zeke hielt die Kinder zurück. Eingehend studierte er die Handschrift auf dem Blatt. Schließlich las er die hingekritzelten Worte. Und dann kroch plötzlich eine unerträgliche Hitze seinen Nacken hinauf und die Veranda drehte sich vor seinen Augen.

2. KAPITEL

„Ach, du lieber Gott!“ Zeke fuchtelte mit dem Papier vor seinen Töchtern herum.

Augustine kniff ihn in den Arm. „Daddy, das sagt man nicht.“

„Außer in der Kirche“, fügte Summer hinzu.

Zeke starrte entsetzt von einem unschuldigen grünen Augenpaar zum nächsten. Und dann begegnete er wieder Paiges Blick. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Auf der Stelle vergaß er den Streich seiner Töchter. Es traf ihn völlig unvorbereitet. Paige sah atemberaubend aus. Das Sonnenlicht glitzerte in ihrem roten Haar, und er verspürte den Impuls, die Hand ausstrecken und es zu berühren.

Summer zupfte ihn am Ärmel. „Daddy, Paige hat keinen Mann.“

„Und sie kann Schokokekse backen.“

„Daddy, sei nett.“ Augustine legte eine gewölbte Hand vor den Mund und stellte sich auf Zehenspitzen. „Und kämm dir die Haare. Du siehst aus wie ein alter Pudel.“

Zum ersten Mal seit dreißig Jahren spürte er, wie er errötete. Am liebsten würde er seine geliebten Töchter durchschütteln und sich dann in Henriettas Hundehütte verkriechen. Stattdessen deutete er auf das Flugblatt. „Ich … ich wusste nichts davon.“

Paige zwinkerte mit ihren grünen Augen. „Genau das haben die Mädchen auch gesagt. Ich dachte, Sie würden es sich vielleicht ansehen wollen, bevor sie sie alle verteilt haben.“

„Verteilen?“ Aufs Neue traf Zeke das blanke Entsetzen. Wie viele genau hatten sie schon verteilt? Er wandte sich an die Zwillinge und versuchte verzweifelt, sich zu beherrschen. „Summer, Augustine, wo habt ihr diese Flugblätter verteilt?“

Summer nagte gedankenvoll an ihrer Unterlippe und trat von einem Fuß auf den anderen.

Augustine ergriff das Wort. „In den Briefkästen.“

„In der ganzen Straße“, fügte Summer hinzu.

„Und wie viele habt ihr verteilt?“, fragte er und betrachtete den kläglichen Rest, der noch im Wagen lag.

„Weiß nicht“, antwortete Augustine und wickelte ihren Pferdeschwanz um ihre Finger.

„Hundert“, erwiderte Summer.

„Oh, verdammt!“ Zekes Magen rebellierte.

„Daddy!“, kreischten die Mädchen.

Zeke presste die Hand auf sein rasendes Herz. Was mussten die Nachbarn denken?

„Du findest niemals eine neue Mommy für uns, wenn du immer fluchst“, flüsterte Augustine sorgenvoll.

Zeke biss die Zähne zusammen. Paige zog die Unterlippe zwischen die Zähne, um sich ein Lachen zu verkneifen.

„Kinder, wir müssen diese Flugblätter zurückholen“, bemerkte Zeke mit ersterbender Stimme.

„Aber warum, Daddy?“, fragte Augustine.

„Darum“, erwiderte Zeke fest. „Ich erkläre es euch später.“

„Oh.“ Augustine riss die Augen auf. „Werden wir wieder ein langes Gespräch haben?“

„Ja, das werden wir“, erwiderte Zeke lakonisch und wedelte mit dem unglückseligen Papier in der Luft herum. „Auf diese Art findet man keine Frau. Oder eine neue Mommy.“

Autor

Rita Herron
Schon im Alter von 12 schrieb Rita Herron ihre ersten Krimis. Doch sie wuchs in einer Kleinstadt auf – noch dazu in bescheidenen Verhältnissen – und konnte sich eigentlich nicht vorstellen, das „echte“ und einfache Leute wie sie Autoren werden könnten. So dauerte es viele Jahre, bis sie den Weg...
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