Das geborgte Glück

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Seit Colt McClure da ist, hat sich auf Bethanys Farm viel geändert: Sicher, der Cowboy ist schweigsam, arbeitet aber schwer, liebt Pferde und ist zu Bethany auf ruhige, verlässliche Art sehr aufmerksam. Doch dann wünscht Bethany, sie hätte ihn mehr gefragt, denn ein Baby liegt vor der Tür - ist Colt der Vater?


  • Erscheinungstag 12.04.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733737184
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Schon von Weitem vermutete Colt McClure, dass die Frau auf der Banner-B-Ranch eine Schönheit sein musste. Allerdings war das nicht der Grund, warum er sein Pferd antrieb. Er freute sich auf das kalte Bier, das in einem Kühlbehälter in der Satteltasche steckte.

Der heiße texanische Wind wehte ihm Sand ins unrasierte Gesicht, doch das störte Colt nicht. Für ihn zählte nur noch, dass er irgendwo arbeiten und wohnen konnte. Ach ja, und das Bier.

Beim Dröhnen der Hufschläge beschirmte die Frau sich mit der Hand die Augen vor dem Licht der untergehenden Sonne. Colt zügelte das Pferd auf dem vertrockneten Gras vor dem einstöckigen Haus und stieg ab. Jetzt konnte er sehen, dass die Augen der Frau blau waren wie das Meer. So unglaublich blau, dass er einen Moment lang fürchtete, darin zu versinken.

„Bethany Burke?“, fragte er.

Heiße Luft flimmerte zwischen ihnen. Ihr langes goldblondes Haar fiel bis auf die Schultern, und die Locken schimmerten im Sonnenschein, als die Frau nickte.

Es war sagenhaftes Haar, und der Anblick weckte merkwürdige Gefühle in Colt. Vielleicht waren es aber auch keine Gefühle, sondern es lag daran, dass er schon lange nichts mehr mit Frauen zu tun gehabt hatte. Nun, dagegen wollte er etwas unternehmen, und wie es aussah, war Gompers in Texas der richtige Ort dafür.

„Ich bin der Cowboy, den Sie über die Zeitung gefunden haben“, erklärte er, als sie nichts sagte.

Ihre Haut war sonnengebräunt, und sie hatte wunderschöne Augen sowie einen sanften Mund mit vollen, roten Lippen.

„Sie haben mir geschrieben, weil Sie einen Helfer auf der Ranch brauchen“, fuhr er fort. Seine Stimme klang heiser wie bei jemandem, der nicht besonders viel sprach. Und tatsächlich hatte er im Gefängnis die meiste Zeit geschwiegen.

„Stimmt, ich brauche jemanden“, erwiderte sie. „Ich habe nur nicht damit gerechnet, dass Sie so einfach hier auftauchen würden.“

„Jemand hat mich von Oklahoma hierher mitgenommen und hatte auch für Buckaroo Platz im Pferdeanhänger.“

Sie war klein, vielleicht ein Meter fünfundfünfzig ohne Stiefel, aber sie war eindeutig ganz Frau. Das karierte Männerhemd war für sie zu groß, dennoch schmiegte es sich um ihre Brüste. Kein BH. Die obersten Knöpfe hatte sie nicht geschlossen. Das Hemd enthüllte einen tiefen Ausschnitt. Faszinierend.

Nervös tastete sie nach den Knöpfen, als sie merkte, dass Colt sie betrachtete, und ließ die Hand wieder sinken. Es war eine vom Arbeiten raue Hand, wirkte aber doch zierlich.

„Wo schlafe ich?“ Wozu sollte er Zeit verlieren? Die Ranch war heruntergekommen. Die Zäune standen schief, das Mannschaftshaus war verfallen. Wer weiß, was noch alles zu tun war.

„Sie … Sie können über dem Stall schlafen. Ich hätte die Wohnung gereinigt, hätte ich gewusst, dass Sie kommen.“

„Mir genügt es, egal, ob es sauber ist oder nicht.“ Er nickte ihr knapp zu und wollte sein Pferd wegführen.

„Sie haben mir Ihren Namen noch nicht genannt.“

Er drehte sich langsam um. „McClure“, sagte er zurückhaltend. „Clayton McClure. Ich werde Colt genannt.“

„Gut, Mr. McClure, wir sehen uns morgen früh Punkt sieben Uhr in der Küche zum Frühstück. Dann sprechen wir über Ihre Aufgaben.“

„In Ordnung.“

Er wusste, dass sie ihm nachblickte, während er zum Stall ging, doch das störte ihn nicht. Nachdem er die Bierflasche geöffnet hatte, stieg er die Treppe hinauf und sah sich in der winzigen Wohnung um. Sie bestand aus anderthalb Zimmern und einem Miniatur-Bad. Auf allem lag eine dicke Staubschicht, aber sie waren schließlich in Texas. Nur die nötigen Möbel, sonst nichts. Doch es reichte tatsächlich.

Colt duschte unter dem dürftigen Wasserstrahl, rollte seine Decke aus und legte sich nackt darauf. Hier drinnen war es stickig, weil das Fenster klein war. Noch ehe er einschlief, war seine Haut schon wieder schweißbedeckt.

Er träumte nicht. Das hatte er sich abgewöhnt. So war es besser, weil man dadurch die Albträume vermied, aus denen man schreiend erwachte.

Bethany Burke sah Colt nach, bis er im Stall verschwand. Als er in einer Staubwolke aufgetaucht war, hatte sie ihn zuerst für eine Luftspiegelung an einem heißen Sommertag gehalten. Schließlich hatte sie gar nicht mehr daran gedacht, dass sie auf eine Zeitungsanzeige geantwortet hatte.

Hätte sie sich einen Cowboy nach ihren Vorstellungen bestellen können, wäre er nicht besser ausgefallen. Colt war schlank und geschmeidig, hatte schmale Hüften und kein Gramm Fett am Körper. Er saß auf dem Pferd, als wäre er darauf geboren. Die breiten Schultern und muskulösen Arme versprachen Gutes für die Arbeit mit dem Vieh. Und er hatte einen hungrigen Blick.

Allerdings wirkten seine Augen nicht nur hungrig, sondern auch hart. Bethany fröstelte, obwohl es fünfunddreißig Grad im Schatten hatte.

„Wer ist denn da in den Stall gegangen?“

Bethany drehte sich um zu Frisco, ihrem Vorarbeiter, der gerade aus dem Werkzeugschuppen kam. Jesse James, ein struppiger Collie, lief neben ihm her.

„Ein neuer Helfer auf der Ranch“, gab Bethany Auskunft. „Colt McClure. Ich habe auf eine Anzeige geantwortet.“

„Was für eine Anzeige?“

Bethany wurde verlegen. „Man konnte ihn sozusagen per Post bestellen.“

„Wovon redest du?“, fragte Frisco misstrauisch.

„Ich habe ihn aufgrund einer Zeitungsanzeige bestellt, und jetzt ist er hier. Mehr kann ich dir auch nicht sagen.“ Sie wollte zum Haus gehen, doch Frisco hielt sie fest.

„Du hast dir diesen Typ aus einem deiner Kataloge bestellt?“, fragte Frisco ungläubig. Er zog sie ständig auf, weil sie Versandhauskataloge sehr mochte. Kataloge für Blumensamen, Schnickschnack, Unterwäsche und Sonstiges – alles landete im Briefkasten der Banner-B-Ranch.

Bethany biss sich auf die Unterlippe. „Die Anzeige erschien in der Fachzeitung für Viehzüchter. Sie ging über ein Viertel der Seite und hatte einen breiten Rand. Ich konnte sie gar nicht übersehen.“

Frisco ließ sie los und warf ihr aus seinem einzigen Auge einen vorwurfsvollen Blick zu. „Das riecht nach Ärger, wenn du mich fragst.“

„Ich habe dich aber nicht gefragt, Frisco. Wir brauchen jemanden, und zwar ganz dringend.“ Darüber hatten sie schon so oft gesprochen, dass es ihr zum Hals heraushing.

„Ich tue ja, was ich kann“, wehrte Frisco ab. „Schön, ich bin nicht mehr der Jüngste, aber zum alten Eisen gehöre ich auch noch nicht.“

Bethany legte ihm den Arm um die Schultern. Gern hätte sie sein Selbstbewusstsein geschont, doch es ging nicht. „Du solltest dich an Doc Hogans Rat halten und kürzertreten. Ich möchte keinesfalls, dass dir etwas zustößt.“

„Und darum lässt du einen völlig fremden Kerl über dem Stall wohnen“, entgegnete er eigensinnig. „Noch dazu einen Fremden, der sich dringend rasieren muss. Und die Haare sind auch zu lang. Der sieht einfach nicht anständig aus.“

„Wir hatten schon früher Helfer, die nicht viel vom Rasieren hielten, Frisco.“ Bethany versuchte, nicht an Colt McClures Augen und seinen bohrenden Blick zu denken.

„Einer von denen, die du meinst, hat sich für ein fremdes Pferd interessiert, ein anderer hat in Pug’s Tavern gewaltige Schulden gemacht, bevor er abhaute, und der Letzte fuhr den Pick-up zu Schrott. Das kommt davon, wenn man Leute einstellt, die man nicht kennt.“

„Jetzt reg dich nicht so auf Frisco. Keiner, den wir kennen, will bei uns arbeiten. Dafür hat Mott Findley gesorgt.“ Mott war der Cousin ihres verstorbenen Mannes, und sein Herzenswunsch war, dass die Banner-B-Ranch Pleite machte.

Frisco runzelte die Stirn. „Mal sehen, wie sich der Neue macht“, grollte er.

Bethany streichelte Jesse, und der Hund hörte sofort auf, mit dem wedelnden Schwanz Staub aufzuwirbeln. Stattdessen erleichterte er sich auf den Sonnenblumensamen, die Bethany vor Kurzem neben dem Haus gesät hatte. Frisco behauptete, er würde das immer machen, wenn er sich über etwas freute. Trotzdem fand sie diese Angewohnheit des Hundes ziemlich ärgerlich.

„Hör mal, Jesse“, schimpfte sie, „du kostest mich viel Geld. Für zwei Cents würde ich dich gegen eine tüchtige Katze eintauschen.“

„Jesse verspeist Katzen zum Nachtisch“, warnte Frisco. „Er hat aus dem Stall alle Katzen vertrieben, die wir dort hatten.“

„Vielleicht schaffe ich mir eine hübsche Hauskatze an, eine von diesen weißen Perserkatzen mit den flachen Gesichtern. Die sitzt dann auf dem Fensterbrett und beherrscht uns alle, auch diesen undankbaren Köter.“

„Wenn du Jesse ernsthaft verärgern willst, mach das ruhig“, entgegnete Frisco gequält. „Aber ich kann dann für nichts garantieren.“

Bethany seufzte. Sie hatten sich den Hund angeschafft, damit er beim Sortieren der Herden half, doch von Anfang an hatte er von solchen Albernheiten nichts gehalten. Er weigerte sich einfach, sich für irgendetwas ausbilden zu lassen. Leider hatte Frisco sein Herz an ihn gehängt.

„Dann werde ich dafür sorgen, dass die Löcher für die Zaunpfähle gegraben werden“, sagte sie. „Unser neuer Helfer soll morgen Zäune aufstellen.“

Frisco richtete das gesunde Auge auf sie. „Verlass dich bloß nicht auf diesen Typ aus dem Katalog.“

Bethany störte sich nicht daran und ging zum Schuppen. Frisco hatte schließlich etliche Jahre gebraucht, bis er Befehle von einer Frau annahm. Außerdem hatte sie Justin versprochen, die Banner-B-Ranch erfolgreich zu führen. Und das wollte sie auch machen, koste es, was es wolle.

Am nächsten Morgen eilte Bethany im Bademantel nach unten und schaltete Punkt Viertel nach sechs die Kaffeemaschine ein. Sie brauchte keinen Wecker, weil sie immer zu genau dieser Zeit aufwachte. Es gab keinen Unterschied zwischen Wochentagen und Wochenende, Sonnenschein oder Regenwetter. Heute war jedoch etwas anders. Heute wollte sie Colt McClure ausführlich befragen.

Während sie schon eine erste Tasse Kaffee trank, lauschte sie dem Vogelgezwitscher vor dem Fenster. Silbrig graues Licht stahl sich hinter dem Horizont herauf.

Wie gewöhnlich stellte sie das Radio ein, um sich das Morgenmagazin für Farmer und Rancher anzuhören. „… das Ihnen von Rubye’s Beauty Box gebracht wird. Vergessen Sie nicht, wir machen Ihre Dauerwelle und färben Ihr Haar“. Im Hühnerstall begrüßte ein Hahn die ersten Sonnenstrahlen mit lautem Krähen. Die Hitze, die sämtliche Pflanzen verdorren ließ, würde sich erst später einstellen.

Als Bethany damals auf die Banner-B-Ranch kam, hasste sie das westliche Texas mit dem ständigen Wind, dem Staub, der Hitze und der unerträglichen Helligkeit, ganz zu schweigen von dem ungenießbaren Essen. Erst nach langer Eingewöhnung und Unmengen scharfer Soße hatte sie gelernt, die Weite und die freundlichen Menschen zu schätzen. Jedenfalls war sie jetzt hier und blieb auch.

Während sie mit einem Ohr der Sendung im Radio zuhörte, erstellte sie den Tagesplan. Zuerst wollte sie sich davon überzeugen, dass dieser McClure wusste, wie man einen Zaun errichtete. Während er arbeitete, musste sie in die Stadt fahren und den reizenden alten Fred Kraegel überreden, ihr Stacheldraht auf Lieferschein zu überlassen. Später dann wollte sie sich um Sidewinder kümmern, das widerspenstigste Pferd auf der ganzen Welt.

Bevor sie jedoch etwas in Angriff nahm, musste sie eine Jeans und eines von Justins Hemden anziehen, so wie sie das täglich machte. Für den neuen Helfer war keine Ausnahme angesagt. Ein Kleid hatte sie das letzte Mal vor fünf Jahren beim Begräbnis ihres Mannes getragen.

Vor der Heirat mit Justin Bethany und dem damit verbundenen Umzug von Wichita nach Gompers in Texas hatte sie im Büro gearbeitet. Es war ein Hochhaus mit Klimaanlage gewesen. Sie hatte bei der geregelten Tätigkeit für eine Versicherungsgesellschaft elegante Kostüme, Nylonstrümpfe und Schuhe mit schmalen Absätzen getragen. Damals war sie noch Bethany Carroll gewesen, Mitglied in einem Single-Club. Sie war in einem roten Cabrio durch die Großstadt gekurvt und hatte nicht im Traum daran gedacht, Feuchtigkeitscreme für die Haut zu kaufen.

Jetzt ritt sie auf einem Pferd, arbeitete mit Vieh und steuerte einen verbeulten Pick-up durch die felsigen Schluchten und ausgetrockneten Flussbetten der Banner-B-Ranch. Zur Hautpflege bestellte sie in regelmäßigen Abständen riesige Tiegel Feuchtigkeitscreme aus den Katalogen, über die Frisco ständig meckerte. Und sie träumte davon, die Ranch, die Justin von seinem Vater geerbt hatte, in einen erfolgreichen Betrieb zu verwandeln.

Das lag allerdings in ferner Zukunft, wahrscheinlich sogar so fern, dass sie weder das geeignete Gesicht noch die passende Figur haben würde, wenn sie sich wieder anständige Kleidung und Make-up leisten konnte.

Dabei war sie erst dreißig! Aus purer Verzweiflung rief sie sich das oft ins Gedächtnis. Meistens fühlte sie sich nämlich viel älter. Die Verantwortung für die Ranch stellte eine große Belastung dar, und da sie keine Angehörigen hatte und ihre Freunde in Wichita zurückgeblieben waren, fühlte sie sich oft sehr allein.

Schritte auf der hinteren Veranda unterbrachen ihre Gedanken. Hastig warf sie einen Blick auf die Uhr. Halb sieben, zu zeitig für Frisco und vor allem für Colt McClure. Und Mott Findley zeigte sich sonst auch nie zu einer so unchristlichen Zeit bei ihr.

Vorsichtig spähte sie durch einen Vorhangspalt ins Freie. Draußen war es noch nicht einmal richtig hell.

„Ma’am?“ Colt McClure stand vor dem Fenster.

Bethany verschüttete etwas Kaffee und stellte hastig die Tasse in die Spüle. Plötzlich war sie sich deutlich der Tatsache bewusst, dass sie unter dem alten Bademantel völlig nackt war. Sie wich vom Fenster zurück und hielt krampfhaft den Mantel zu. „Ich sagte doch sieben Uhr“, entgegnete sie scharf.

Er räusperte sich. „Nichts für ungut, Ma’am, aber ich bin zum Arbeiten hier, und ich fange gern früh an.“

Ob der Bademantel etwas enthüllte, das Colt nicht sehen sollte? Bethany warf einen Blick auf ihr Spiegelbild in der Tür der Mikrowelle und war erleichtert. Ein verwaschener Bademantel aus Frottee war nicht gerade Reizwäsche.

„Kommen Sie herein“, sagte sie und schaltete das Radio aus. Mit dem Rücken zur Tür, zog sie den Gürtel enger zu und schenkte Colt McClure eine Tasse Kaffee ein.

Als sie sich umdrehte, stand McClure in seiner vollen Größe von mindestens ein Meter achtzig am Küchentisch und hielt den alten schwarzen Stetson in seinen kräftigen Händen. Das dunkle Haar hatte er zurückgestrichen. Heute Morgen wirkte er schon nicht mehr so wild. Er hatte sich rasiert, das kantige Kinn war völlig glatt, und er betrachtete sie auch nicht so unverschämt wie bei seiner Ankunft.

Er war kein hinreißend gut aussehender Mann. Dafür sorgte allein schon die Narbe auf der rechten Wange. Doch irgendwie strahlte er Kraft aus. Die breiten Schultern, der flache Bauch und die langen, sehnigen Beine ließen ihn beeindruckend aussehen. Die Jeans saß wie eine zweite Haut, vor allem um die Schenkel … Nein, sie sollte nicht an seine Schenkel denken – und an alles andere auch nicht.

„Bitte, setzen Sie sich“, sagte sie knapp und bemühte sich um ein flüchtiges, unpersönliches Lächeln. „Zucker? Sahne?“

„Schwarz.“ Der Stuhl knarrte unter seinem Gewicht, und sogar im Sitzen kam er Bethany unglaublich groß vor.

Sie stellte eine Tasse vor ihn und legte einen Löffel daneben. Er hielt den Blick gesenkt, was sie respektvoll fand, bis sie merkte, dass er auf ihre nackten Füße starrte. Prompt wurde sie verlegen und wandte sich so hastig ab, dass der Bademantel unten aufklaffte. Nervös zog sie ihn wieder zusammen. Am liebsten hätte sie den Stoff zwischen den Knien festgehalten, doch das war unmöglich. Schließlich konnte sie sich nicht lächerlich machen. Der neue Helfer sollte sie ernst nehmen.

„In Ihrer Anzeige stand, dass Sie schon früher auf einer Ranch gearbeitet haben“, begann sie, während sie Eier, Mehl, Milch und Schinken neben dem Herd auf die Arbeitsplatte stellte.

„Ja, Ma’am“, erwiderte er mit dieser merkwürdig eingerostet klingenden Stimme.

Offenbar musste sie ihm jede Auskunft einzeln abringen. „Was haben Sie da gemacht?“

„Alles.“

„Könnten Sie mehr in Einzelheiten gehen?“

„Vieh einfangen, mit Brandzeichen versehen, Zäune aufstellen, Ställe reparieren und ausmisten, Heu einfahren, Pferde ausbilden und …“

„Können Sie das gut?“ Bethany legte Schinkenstreifen in die Pfanne.

„Was, Ma’am?“

„Pferde zureiten.“

„Ich denke schon.“

„Und wie gehen Sie das an?“ Sie stach Brötchen aus dem Teig und benützte dafür ein Marmeladenglas. Dita, Friscos Frau, hatte ihr das bei der Ankunft auf die Ranch gezeigt, als sie vom Brötchenbacken so wenig verstand wie von der Arbeit mit dem Lasso oder der Kontrolle der Zäune.

Colt sah zu, wie sie die einzelnen Teigklumpen in Mehl wälzte, und kniff die Augen zusammen, als würde er ihrer Frage misstrauen. „Was meinen Sie, wie ich es angehe, Ma’am?“

„Nennen sie mich bitte nicht Ma’am, sondern Mrs. Burke. Oder Bethany, wenn Ihnen das lieber ist.“

Er schwieg.

„Ich wollte wissen, nach welcher Methode Sie Pferde zureiten.“

Er ließ sich mit der Antwort Zeit. „Ich reite sie nicht zu, sondern bilde sie aus. Mit einem Pferd ist das wie mit einem Kind. Bei beiden hängt die zukünftige Beziehung davon ab, wie man es angeht.“

Sie war überrascht, dass er mit einem Mal so flüssig sprach, und warf ihm aus dem Augenwinkel einen flüchtigen Blick zu. „Haben Sie schon viele Pferde ausgebildet?“

„Eine ganze Reihe, darunter etliche recht schwierige Fälle.“

Jetzt drehte sie sich um und sah ihm genauer in die tief liegenden grauen Augen. „Und wie stellen Sie es bei einem unwilligen Pferd an?“ Dabei dachte sie an Sidewinder, das zwei Jahre alte Pferd, das sich vorgenommen hatte, ihr das Leben schwer zu machen.

In Colts sagenhaften Augen erschien ein amüsierter Ausdruck. Jegliche Härte war verschwunden. „Ein unwilliges Pferd bildet man so aus, wie Stachelschweine sich lieben. Sehr behutsam, Ma’am … Mrs. Burke.“

Rasch wandte sie ihm wieder den Rücken zu, damit er nicht merkte, dass sie gleichzeitig beeindruckt und befangen war, schob das Blech mit den Brötchen in den Backofen und schloss die Tür. „Mr. McClure, wie viele Eier essen Sie und wie sollen sie sein?“

„Nennen Sie mich doch Colt. Fünf oder sechs Eier, nur auf einer Seite gebraten.“

„Normalerweise koche ich nicht für meinen Helfer. Ab jetzt essen Sie beim Vorarbeiter in seinem Haus.“ Es war besser, sofort Grenzen zu ziehen, weil sie Vertraulichkeit mit den Helfern mied.

„In Ordnung.“

Sie holte tief Luft. „Ich muss Ihnen einiges erklären. Frisco ist mein Vorarbeiter. Er ist schon auf der Ranch, seit mein verstorbener Mann ein Kind war. Dita, seine Frau, arbeitet sehr hart. Wie ein Mann. Eddie, ihr neunzehn Jahre alter Sohn, kocht, versorgt den Garten und macht auch andere Sachen.“ Den Rest verschwieg sie. Colt würde schon von selbst dahinterkommen.

„Diese Dita … Sie meinen, dass sie eine reguläre Arbeitskraft ist?“

„Genau. Sie ist etwas über vierzig und stark wie ein Stier. Außerdem ist sie anständig und zuverlässig, was man wirklich nicht von allen Menschen behaupten kann.“

„Verstehe“, meinte Colt knapp, obwohl Bethany merkte, dass er über eine Frau mittleren Alters staunte, die als reguläre Arbeitskraft auf der Ranch arbeite. Dita war sogar ein wahrer Segen, und außerdem waren Dita, Frisco und Eddie für Bethany wie ihre eigene Familie. Seit Justins Tod waren die drei alles, was sie hatte, selbst wenn keine direkte Verwandtschaft bestand. Ihre eigenen Eltern waren schon früh gestorben.

„Haben Sie etwas gegen harte Arbeit einzuwenden, Cowboy?“, fragte sie.

„Ich habe harte Arbeit gesucht“, erwiderte er gelassen.

„Die haben Sie auf der Banner-B-Ranch garantiert gefunden.“

„Ja, sieht so aus. Also, was soll ich heute machen?“

„Löcher für Zaunpfosten graben. Sie finden das Gerät in einer leeren Box im Stall, und mein Vormann zeigt Ihnen, wo Sie anfangen.“

Sie ertappte ihn dabei, dass er ihre Brüste betrachtete, doch er wandte den Blick sofort wieder ab. Trotzdem richteten sich die Brustspitzen unter dem weichen Stoff auf. Dabei war Colt McClure gar nicht ihr Typ. Ein Herumtreiber mit einer harten Ausstrahlung, hart und zäh und gefährlich.

Bethany hatte Colt fragen wollen, wo er zuletzt gearbeitet hatte, und sie wollte eigentlich auch Referenzen, doch sie reagierte körperlich viel zu heftig auf ihn. Das war ihr nicht nur peinlich, sondern machte ihr auch Schuldgefühle. Seit Justin hatte sie keinen anderen Mann angesehen. Sex kam für sie nicht mehr in Frage.

Wieso aber verspürte sie dann eindeutig Lustgefühle? Wieso bekam sie Herzklopfen? Der Mann, der dafür verantwortlich war, merkte nichts davon, sondern schob sich Spiegeleier und Brötchen in den Mund, als wäre er völlig verhungert. Und Bethany stellte sich vor, wie er mit diesem Mund über ihren Körper fuhr und mit seinen Händen ihre Brüste streichelte und …

Halt!

Sie wusste nichts weiter über diesen Mann, als dass er für die Arbeit geeignet und auch bereit war, auf der Banner-B-Ranch zu schuften. Eigentlich hätte sie ihn gar nicht einstellen sollen, doch was blieb ihr anderes übrig? Sie allein mit Frisco und seiner Familie schaffte es nicht. Und wenn Cousin Mott ihr die Ranch wegnahm, was sie endgültig erledigt.

Warum dachte sie ausgerechnet jetzt daran? Tränen stiegen ihr in die Augen. Dabei hatte sie sich vorgenommen, sich von Mott nicht unterkriegen zu lassen, mochte er auch noch so mächtig sein und gute Beziehungen haben.

„Stimmt was nicht, Mrs. Burke?“

Dieser Mann durfte sie nicht verletzlich sehen. Oft genug wurde Verletzlichkeit als Schwäche ausgelegt. Doch manchmal schnürte ihr die Einsamkeit die Luft ab.

Sie warf den Kochlöffel in die Spüle und hastete zur Treppe. „Wenn Sie noch Fragen haben, wenden Sie sich an Frisco.“

„Vielen Dank für das Frühstück!“, rief Colt ihr nach. „Haben Sie übrigens Bezüge für mein Bett?“

Sie tat, als hätte sie nichts gehört, aber sie hätte daran denken sollen, dass er Bettbezüge und auch andere Dinge brauchte.

Diese … anderen Dinge verursachten ihr erneut Schuldgefühle, weil sie bestimmt auch etwas mit dem Bett zu tun hatten.

2. KAPITEL

Gegen ein Uhr mittags brannte die Sonne mit voller Kraft. Colt wischte sich mit einem Ärmel des Hemdes, das er sich um die Hüften gebunden hatte, über die Stirn. Er versuchte, die Blässe des Gefängnisses loszuwerden. In den letzten drei Jahren war er nicht viel in der Sonne gewesen. Häftlingen war täglich nur eine Stunde im Freien zugestanden worden.

Er warf einen Blick auf die Staubwolke, die sich näherte, und grub weiter Löcher. Es war keine interessante Tätigkeit, aber er konnte dabei nachdenken.

Nachdenken war im Gefängnis seine Hauptbeschäftigung gewesen. Schließlich konnte er nichts weiter machen, als in der Bücherei Informationen sammeln, mit deren Hilfe er eine neue Gerichtsverhandlung erreichen wollte. Diese Informationen hatten sich letztlich gefunden, und er war endlich freigekommen. Allerdings wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was er nun mit seinem Leben anfangen sollte.

Er wechselte zur nächsten Stelle über. Jetzt konnte er erkennen, dass es der Pick-up der Ranch war, der die Staubwolke aufwirbelte. Wahrscheinlich wollte Frisco ihn überprüfen. Der Typ mochte ihn nicht. Das hatte Colt sofort gespürt, als sie einander in die Augen sahen, beziehungsweise in das eine Auge von Frisco, weil er über dem zweiten eine schwarze Klappe trug.

Der Pick-up hielt, und Colt arbeitete ungerührt weiter. Zu seiner Überraschung stieg jedoch nicht Frisco, sondern Bethany Burke aus.

„Hallo, Cowboy“, grüßte sie. „Wie läuft’s?“ Dabei wirkte sie so zurückhaltend und ernst, dass Colt überlegte, wie man sie aus der Reserve locken konnte.

Er richtete sich auf und stützte sich auf das Gerät. Schweiß rann ihm über den Rücken. „Es läuft gut.“

„Ich bringe Ihnen etwas zu trinken.“ Sie wirkte sehr zierlich, als sie eine große Thermoskanne sowie einen Emaillebecher aus dem Wagen holte und Eistee einschenkte. Colt bedankte sich, leerte den Becher und hielt ihn ihr zum Nachschenken hin.

Sogar in dieser unerträglichen Hitze wirkte Bethany kühl. Sie stand so nahe bei ihm, dass er den Duft ihrer Haut auffing, einen Duft, der ihn an Blumen auf der Prärie erinnerte. Unwillkürlich richtete Colt den Blick auf ihren Ausschnitt beziehungsweise auf die Stelle, an der er am Vortag bei seiner Ankunft einen Ausschnitt gesehen hatte. Heute hatte sie das Hemd höher zugeknöpft.

Vorsichtshalber ließ er den Blick weiterwandern und betrachtete ihre blonden Locken und die Hüften, auf denen sie das Gewicht der Thermoskanne abstützte. Prompt entflammte unterhalb seiner Gürtellinie ein Feuer, das er mit einem zweiten Becher eiskalten Tees zu löschen versuchte.

Schnell blickte er in eine völlig andere Richtung und entdeckte einen hellen Pkw, der auf der Landstraße stark abbremste. Das war ungewöhnlich, weil die Leute auf diesen einsamen Strecken in menschenleeren Gegenden meistens aufs Gas traten. Der Wagen hielt kurz an, ehe er weiterfuhr.

Bethany hatte ihn ebenfalls gesehen, ehe sie sich wieder an Colt wandte. „Haben Sie mit Frisco über das Essen gesprochen?“, fragte sie.

„Ja, Ma’am.“ Colt erinnerte sich, dass sie nicht so genannt werden wollte. Mrs. Burke passte aber nicht zu ihr, und Bethany war ihm zu vertraut. Von jetzt an wollte er sie gar nicht anreden, obwohl Bethany eigentlich gut zu ihr passte. Der Name klang weich und weiblich, genau so, wie sie war.

„Sagte er auch, wann Sie da sein sollen?“

„Um sechs.“ Weil er sie nicht mit Ma’am anredete, klang die Antwort in seinen eigenen Ohren zu schroff. „Das Essen war heute sehr gut“, fügte er deshalb hinzu.

„Mittags kocht Eddie. Das kann er.“ Sie beobachtete den neuen Cowboy eingehend, doch er zeigte keine Reaktion.

Natürlich hatte er gemerkt, dass Eddie das Down-Syndrom hatte. Geistig behindert, wie es manche Leute nannten. Ihn störte das nicht. Eddie hatte sich höflich, freundlich und sehr interessiert gezeigt. „Ich hatte noch nie einen besseren Hackbraten.“

Daraufhin lächelte Bethany. Offenbar mochte sie den Jungen sehr. „Bei den Neilsons isst man gut.“

Er nickte, weil er bei ihrem strahlenden Lächeln kein Wort hervorbrachte.

„Ich lasse Ihnen die Thermoskanne mit dem Tee hier“, fuhr Bethany fort und stellte den Behälter auf die Erde. „Im Stall finden Sie Salztabletten, die Sie bei dieser Hitze nehmen sollten. Die Thermoskanne können Sie behalten, weil Sie etwas trinken müssen, wenn Sie so weit vom Haus entfernt arbeiten.“

Autor

Pamela Browning
Bevor Pamela Browning Autorin wurde, war sie Reporterin und Kolumnistin bei einer Zeitung, arbeitete im Werbebereich und leitete das Zulassungsbüro eines kleinen Colleges. Bis jetzt umfasst ihr Werk 40 Romane, und immer wieder werden ihre Bücher von begeisterten Leserinnen gelobt. Außerdem ist sie Sprecherin der Romance-Autorinnen. Sie wird häufig zu...
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