Das gefährliche Spiel des italienischen Playboys

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Als der unverschämt attraktive Ivo Greco in einer Sturmnacht in ihr abgelegenes Hotel platzt, spürt Flora bei seinem Anblick sofort kribbelndes Begehren. Noch nie hat sie sich von einem Mann so angezogen gefühlt. Doch der smarte Italiener ist nicht etwa ein Filmstar, der sich in den schottischen Highlands verirrt hat, sondern der Onkel ihrer verwaisten Nichte. Für ihn steht fest, dass die kleine Jamie in der Toskana leben soll. Aber Ivo nachgeben? Für Flora undenkbar! Bis der sexy Milliardär ihr ein Angebot bracht, das sie nicht ablehnen darf …


  • Erscheinungstag 30.07.2019
  • Bandnummer 2399
  • ISBN / Artikelnummer 9783733712358
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Der lange Korridor, den Ivo Greco hinunterging, hatte keine Fenster, doch die kostbaren Wandteppiche, die an den steinernen Mauern hingen, erzeugten die Illusion von Weite und Licht.

Am Ende des Flurs lag eine Doppeltür, die zu den privaten Räumen seines Großvaters führte, der Ivo herbeizitiert hatte. Genau genommen sogar bereits vor achtundvierzig Stunden, und Salvatore Greco war kein Mann, den man warten ließ.

Salvatore behauptete immer, dass er Menschen respektierte, die ihm die Stirn boten. In Wahrheit aber verfügte er neben schier unvorstellbarem Reichtum und ebensolcher Macht auch über ein sehr empfindliches Ego.

Als Achtjähriger – damals hatte Salvatore die Vormundschaft über ihn und seinen Bruder übernommen – hatte Ivo nichts von solchen Dingen gewusst. Dafür war ihm rasch klar geworden, wie leicht man seinen Großvater in Wut versetzen konnte.

Er war ein harter Mann, und es war so gut wie unmöglich, ihn zufriedenzustellen. Nein, Salvatore Greco war kein Schutzengel und auch kein Ritter in strahlender Rüstung. Und dennoch schuldete Ivo ihm mehr, als er jemals zurückzahlen konnte.

Am Tag vor Ivos achtem Geburtstag war sein Vater zu dem Schluss gekommen, dass er ohne seine verstorbene Frau nicht länger leben konnte und wollte. Ivo hatte ihn gefunden – und sein Großvater ihn.

Die Ereignisse dieses Tages sah Ivo in seiner Erinnerung nur sehr verschwommen. Ganz deutlich aber sah er die starken Arme seines Großvaters und wie sie ihn gehalten und ihm Schutz gespendet hatten, als er ihn mit sich genommen hatte. Fort von den Dingen, die ihn auch Jahre später noch in seinen Träumen verfolgten.

Salvatore mochte also nicht der ideale Ziehvater gewesen sein, doch er hatte Ivo gerettet. Diese Schuld blieb bestehen, und Ivos Dankbarkeit reichte tief.

Er hatte schon vor langer Zeit aufgegeben, den alten Mann zufriedenstellen zu wollen. Und das, obwohl er wusste, wie boshaft Salvatore werden konnte, wenn es nicht nach seinen Vorstellungen ging. Von den Menschen, mit denen er sich umgab, sagten ihm nur die wenigsten die Meinung.

Ivo war daran gewöhnt, von seinem Großvater gedemütigt und beschimpft zu werden, daher machte er sich darüber keine Gedanken. Es bekümmerte ihn mehr, dass er wegen dieses Besuchs ein wichtiges Meeting hatte verschieben müssen.

Das war nicht immer so gewesen. Mehr als einmal hatte sein Bruder ihn in einem der verlassenen Speicherräume des Palazzos gefunden, wohin er sich vor Salvatores Zorn geflüchtet hatte. Ivo erinnerte sich noch gut daran, was sein Bruder ihm damals gesagt hatte: „Zeig ihm niemals deine Angst, dann wird sie irgendwann vergehen.“

Damals hatte er nicht daran glauben können.

Ivo schob die unbequemen Gedanken beiseite. Die Vergangenheit war vergangen, und seiner Meinung nach war nichts armseliger, als sich an Erinnerungen festzuklammern. Er begegnete ihnen überall, den Menschen, die wie besessen waren von verpassten Chancen, alten Ungerechtigkeiten und Schmähungen. Es machte sie blind für all die neuen Möglichkeiten, die die Zukunft ihnen eröffnete.

Ivos Blick war stets nach vorn gerichtet und niemals zurück.

Er setzte seinen Weg fort, vorbei an unschätzbar wertvollen Kunstwerken. Ivo selbst bevorzugte einen etwas minimalistischeren Einrichtungsstil – Funktionalität konnte das Auge schließlich ebenfalls erfreuen –, doch er wusste Schönheit und Kunstfertigkeit durchaus zu schätzen. Es erschien ihm ironisch, dass sein Großvater dazu nicht in der Lage war.

Zu Salvatores Sammlung gehörten zahllose seltene und wertvolle Objekte – Jadeskulpturen, Gemälde, Porzellan –, doch ihm ging es nur darum, sie zu besitzen. Etwas zu haben, was andere wollten. Er mochte die Geschichte eines Kunstwerks vergessen oder den Namen eines Künstlers, aber er vergaß niemals den Preis, den er dafür gezahlt, oder den Sammler, den er beim Kauf überboten hatte.

Ivo trat durch die Tür in einen weiteren, helleren Korridor, gesäumt von riesigen Fenstern, die einen atemberaubend schönen Blick auf das Tyrrhenische Meer freigaben.

Die Privatgemächer von Salvatore lagen in einem älteren Teil des Gebäudes. Die gewaltige Tür zum Arbeitszimmer stand offen, und Ivo trat ein. Er hatte gewusst, was ihn erwartete, und fühlte sich trotzdem einen Moment lang wie vor den Kopf gestoßen.

Es war, als würde man durch ein Zeitportal in eine ferne Zukunft treten, eine Zukunft in klinischem Weiß und glänzendem Chrom.

Vor fünf Jahren hatte sein Großvater die hölzerne Vertäfelung und die Bücherregale herausreißen lassen. Die jetzige Einrichtung war glänzend und modern. Übrig geblieben war nur noch der antike Schreibtisch, der das Herz des Raumes bildete.

Einmal hatte Ivo erwähnt, er würde den alten Raum und den Geruch nach vergilbten Büchern irgendwie vermissen. Damit hatte er die Befürchtungen seines Großvaters bestätigt, dass er ein sentimentaler Idiot war.

Ivo hatte seine beleidigenden Worte mit einem Schulterzucken abgetan. Wäre Salvatore wirklich dieser Ansicht, hätte er ihm niemals die Kontrolle über die IT-Abteilung von Greco Industries überlassen. Wobei – überlassen war vielleicht nicht ganz das richtige Wort.

Sein Großvater hatte ihm die Position mit der Erwartung übertragen, dass er scheitern würde. Ja, es war sogar Salvatores Absicht gewesen, dass das passierte. Um dem ehrgeizigen Emporkömmling seine Grenzen aufzuzeigen – und zwar so öffentlich wie irgend möglich.

Doch Ivo hatte Salvatore die Gelegenheit versagt, zu seiner Rettung zu eilen – eine peinigende Frustration für den Mann, der stets die Zügel in der Hand halten musste.

Und bisher hatte Salvatore ihm freie Hand gelassen.

Wird sich das jetzt ändern?

Ivo neigte nicht zu Paranoia, aber er glaubte auch nicht an Zufälle. Und das Timing seines Großvaters ließ sämtliche Alarmglocken in seinem Kopf schrillen. Denn Ivo hatte gerade erst eine große Fusion zum Abschluss gebracht. Eine Fusion, durch die die IT-Abteilung – lange das Stiefkind von Greco Industries – es nicht nur mit den anderen Firmenzweigen aufnehmen konnte, nein. Inzwischen machte Ivo mit seinen Leuten sogar der Medienabteilung, dem Stolz der Firma, Konkurrenz.

Bisher war Salvatore damit zufrieden gewesen, sich im Erfolg seines Enkelsohns zu sonnen. Was, wenn ihm das jetzt nicht mehr reichte? Wenn er in Zukunft wieder mehr selbst mitmischen wollte?

Ehrlich gesagt, war Ivo eher neugierig als besorgt. Salvatore war ein Kontrollfreak, daher war eine solche Entwicklung absehbar gewesen. Und Ivo hatte bereits für sich entschieden, dass er, bevor er die Zügel an seinen Großvater übergab, lieber ganz seinen Hut nehmen würde.

Du wartest doch nur auf eine Entschuldigung.

Er runzelte die Stirn und ignorierte seine innere Stimme. Natürlich wusste er, dass er sich seiner Verantwortung ebenso wenig entziehen würde, wie sein Großvater es bei ihm getan hatte. Ivo war nicht sein Vater.

„Guten Morgen, Großvater.“

Salvatore Greco ging auf die achtzig zu, bot aber immer noch eine imposante Figur. An ihm war nichts schwächlich oder gebrechlich. Dennoch dachte Ivo, als Salvatore sich nun zu ihm umdrehte, zum ersten Mal in seinem Leben, dass sein Großvater alt geworden war.

Vielleicht war es das grelle Morgenlicht, das dem älteren Mann direkt ins Gesicht fiel. Es betonte die tiefen Linien und Falten, die sich in seine Stirn und um seine Mundwinkel herum gegraben hatten.

„Dein Bruder ist tot.“ Salvatore setzte sich auf den Stuhl hinter dem gewaltigen Schreibtisch, der noch immer den Raum dominierte. Seine Stimme klang fest und unberührt, als er weitersprach – doch seine Worte rollten einfach über Ivo hinweg, bis ein Satz das statische Summen in seinem Kopf übertönte. „Ich wünsche, dass du dich persönlich darum kümmerst, verstanden?“

Ivo kämpfte gegen den Sturm in seinem Inneren an. Seine Kehle war wie zugeschnürt, sodass er sich räuspern musste, ehe er auch nur ein Wort hervorbrachte.

„Die Beerdigung?“ Es kam ihm immer noch unwirklich vor. Bruno war neun Jahre älter als er selbst. Also achtunddreißig. Leute starben nicht mit achtunddreißig!

Ivo schüttelte den Kopf. Das musste alles ein Irrtum sein. Wenn sein Bruder tot wäre, wüsste er davon.

Die Augen seines Großvaters wurden schmal, und er presste die Lippen fest zusammen. „Ihre Beerdigung war bereits vergangenen Monat, soweit ich weiß.“

Das Pochen zwischen Ivos Schläfen wurde heftiger. Er musste sich hinsetzen. Seine Finger krallten sich in die ledernen Armlehnen des Stuhls. Wochenlang war er seiner Arbeit nachgegangen, als wäre nichts geschehen, und Bruno war bereits tot gewesen. Wie konnte das sein? Hätte er nicht irgendetwas spüren müssen?

Wieder schüttelte er den Kopf. „Vergangenen Monat?“

Sein Großvater griff nach der Karaffe, die auf einem silbernen Tablett auf dem Schreibtisch stand, und goss etwas von der darin enthaltenen, bernsteinfarbenen Flüssigkeit in ein Kristallglas. Dieses schob er seinem Enkelsohn hinüber.

Ivo schüttelte den Kopf. Er war nicht so naiv anzunehmen, dass es eine Geste des Mitgefühls war. Zu so etwas war sein Großvater nicht fähig. Gefühle waren in Salvatores Augen Schwächen, die man studieren und ausnutzen konnte. Es kam nicht von ungefähr, dass Ivo für sein undurchdringliches Pokerface bekannt war. Es hatte als Selbstschutz angefangen und war ihm irgendwann in Fleisch und Blut übergegangen.

„Moment mal. Ihre?“

Langsam nahm Ivos Hirn wieder seine Arbeit auf. Er war sich allerdings nicht sicher, ob er froh darüber war. Das Gefühl von Verlust war so heftig, dass es ihm schier den Atem raubte. Dabei hatte er sich geschworen, sich niemals wieder einem solchen Schmerz auszusetzen. Denn er wollte sich niemals wieder so fühlen wie damals, als Bruno sich aus dem Staub gemacht hatte und ihm klar geworden war, dass er sich auf niemanden verlassen konnte.

Jetzt kehrte mit einem Schlag alles wieder zurück.

„Die Frau war bei ihm“, informierte Salvatore ihn knapp.

„Seine Ehefrau“, betonte Ivo und blinzelte, als ein Bild vor seinem inneren Auge aufblitzte, das vermutlich nicht einmal besonders wirklichkeitsgetreu war.

Er hatte die Frau seines Bruders nur einmal getroffen, und das war vierzehn Jahre her. Ihre Augen waren vermutlich nicht so blau gewesen, doch die Erinnerung an ihre Augenfarbe war geblieben, auch als sein Zorn auf Samantha Henderson langsam verblasst war.

Der Zorn darüber, dass Samantha ihm den geliebten Bruder gestohlen hatte – und die Zukunft, von der er geträumt hatte. Bruno hatte versprochen, ihn nachzuholen. Aber er war nie gekommen – und irgendwann hatte das selbst Ivo begriffen.

Was für ein Narr er doch gewesen war. Er hatte gewartet und gehofft. Bruno hatte ihm nur gesagt, was Ivo hören wollte. In Wahrheit hatte er nie vorgehabt zurückzukommen.

Er hatte ihn im Stich gelassen.

Und er war nicht der erste Mensch gewesen, der das getan hatte. Erst sein Vater, dann Bruno. Jemand, der sich so angreifbar machte, musste ein Idiot sein.

Ivo war kein Idiot. Er nutzte es zu seinem Vorteil, dass er nicht auf der Suche nach Liebe oder einer Partnerschaft war, wie so viele andere. Diese Dinge verstärkten nur die Schwächen eines Menschen, und es war ihm bisher glücklicherweise gelungen, einer solchen Infektion zu entgehen. Er hatte Affären, keine Beziehungen.

Liebe kam für ihn nicht infrage. Loyalität war jedoch eine vollkommen andere Angelegenheit.

Sein Großvater verlangte keine Zuneigung, aber er erwartete Loyalität, und Ivo nahm an, dass er sie auch verdiente. Salvatore war als Einziger immer für ihn da gewesen. Der alte Mann war ein Teufel in Menschengestalt – aber zumindest versuchte er nicht, diese Tatsache hinter der Maske eines Heiligen zu verbergen.

Bruno war sein Lieblingsenkel gewesen.

Sein Erbe.

Und Ivo, der seinen Bruder verehrt hatte, war damit einverstanden gewesen.

Von ihm war nie viel erwartet worden, abgesehen davon, dass er eines Tages rebellieren würde. Es hieß, dass er wie sein Vater sei und seine Schwäche von ihm geerbt habe.

Das hatte Ivo nur in seiner Entschlossenheit bestärkt, es allen zu beweisen. Dass sein Vater schwach gewesen war, hatte er gewusst. Nur ein schwacher Mann würde sich umbringen und seine zwei Söhne mutterseelenallein zurücklassen, nur weil er nicht ohne seine geliebte Frau leben wollte.

Seine Mutter musste etwas ganz Besonderes gewesen sein. Das hatte auch Bruno immer gesagt, doch Ivo konnte sich nicht an sie erinnern. Und an seinen Vater wollte er sich nicht erinnern.

Für seinen Bruder, den goldenen Jungen, war es anders gewesen. Nicht leichter, nein. Dazu waren Salvatores Ansprüche an den Erben seines Imperiums einfach zu hoch. Doch Bruno schaffte es, sämtliche Erwartungen noch zu übertreffen. Möglicherweise waren die Konsequenzen auch deshalb so extrem, als er Salvatore schließlich doch einmal die Stirn bot.

Salvatore hatte für seinen Erben bereits eine Braut ausgewählt. Es würde eine einträgliche Verbindung sein, denn die Frau war die einzige Tochter eines Unternehmers, der fast so reich war wie die Grecos – und ebenso angesehen.

Ivo war fünfzehn gewesen, als Bruno fortgegangen war, um mit der Frau zusammen zu sein, die er liebte. Am Ende war also Bruno derjenige gewesen, der die Schwäche ihres Vaters geerbt hatte. Bruno war derjenige, der nicht ohne seine große Liebe leben konnte.

Wohl aber ohne Ehre – und ohne seinen kleinen Bruder.

Sein älterer Bruder hatte ihn verraten und im Stich gelassen, aber er hatte gelebt – und nun war er tot.

Das erschien Ivo unglaublich.

„Hat dich niemand in Kenntnis gesetzt?“ Ivo massierte seine Schläfen mit den Fingerspitzen, während er versuchte, in alldem irgendeinen Sinn zu sehen.

„Selbstverständlich wurde ich vom Notar deines Bruders informiert. Oh, und die Schwester der Frau hat mir einen handgeschriebenen Brief geschickt.“ Salvatore schnaubte. „Kaum leserlich.“

Ivo spürte, wie Wut die Oberhand über die Gefühle übernahm, die in seinem Inneren tobten. Vermischt mit einem irrationalen Anflug von Schuld, den er hastig beiseitewischte.

„Du wusstest es?“

Der alte Mann zuckte zur Antwort lediglich mit den Schultern.

„Und du hast es bisher nicht für nötig erachtet, mich ebenfalls zu informieren?“

Sein Großvater bedachte ihn mit einem beinahe trotzigen Blick. „Und wem hätte das genützt, Bruno?“

Ivo biss die Zähne so fest zusammen, dass seine Kiefer schmerzten. Sein Großvater schien nicht bemerkt zu haben, wie er ihn genannt hatte.

„Ist dir nicht in den Sinn gekommen, dass ich vielleicht gern zur Beerdigung gegangen wäre?“

Wäre ich gegangen? Das werde ich nun wohl nie erfahren, dachte er bitter.

„Nein, ist es nicht. Du hast mit all dem schon vor Jahren abgeschlossen, als er sich aus dem Staub gemacht hat.“ Salvatore musterte seinen Enkel, ehe er eine Braue hob. „Und du bist doch kein Heuchler – oder?“

Ivo sah ihn durchdringend an. Seine olivfarbene Haut wirkte wächsern, und seine Miene war bar jeder Emotion. Nur die fest zusammengepressten, blutleeren Lippen verrieten seine Anspannung. Schließlich senkte er den Blick und sagte: „Bruno hat mich vor anderthalb Jahren kontaktiert und um ein Treffen gebeten.“

Er spürte den Zorn, der von seinem Großvater ausstrahlte. Doch das war nichts im Vergleich zu den Schuldgefühlen, die an ihm nagten.

„Und? Hast du ihn getroffen?“

Ivo holte tief Luft. Wenn meine Liebe zu Bruno wirklich damals gestorben ist – warum reißt mir die Nachricht von seinem Tod dann derart den Boden unter den Füßen weg?

Er straffte die Schultern. „Nein, habe ich nicht.“

Und diese Entscheidung würde er sich wohl niemals im Leben vergeben.

Bruno hatte ihm die Hand gereicht, und er hatte ihn zurückgewiesen. Warum? Weil er Bruno bestrafen wollte? Er hätte ihm vergeben können, dass er damals weggegangen war. Doch die Lüge, die Ivos Hoffnung am Leben gehalten hatte, war unverzeihlich.

„Ich dachte wirklich, das hätte ich ihm ausgetrieben“, murmelte der alte Mann und fuhr nachdenklich mit einer Hand über die grauen Stoppeln auf seinem Kinn.

„Ausgetrieben?“

„Bruno ist weggeblieben, nachdem ich die einstweilige Verfügung gegen ihn erlassen hatte. Aber seine Briefe kamen weiter, bis auch sie irgendwann ausblieben.“ Salvatore runzelte die Stirn. „Die Ankündigung meiner Anwälte, dass ich euch beide enterben würde, wenn er nicht unverzüglich jeden Kontaktversuch einstellt, und dass das dann seine Schuld wäre, hat Wunder gewirkt.“

Ivo hatte das Gefühl, in einem nicht endenden Albtraum gefangen zu sein. „Er wollte mich holen?“

Salvatore schnaubte. „Er wollte das Sorgerecht, kannst du dir das vorstellen?“ Er schien zu erwarten, dass Ivo seine Geringschätzung teilte. Doch Ivo versuchte noch immer zu begreifen, was er gerade gehört hatte.

Bruno hatte nicht gelogen.

Er hat mich nicht im Stich gelassen.

„Er ist zurückgekommen.“ Ungeduldig schnalzte Salvatore mit der Zunge. „Als hätte irgendein Gericht ihm recht gegeben, mit seiner Vorstrafe.“

„Vorstrafe?“

„Oh, ich nehme an, du weißt nicht, dass dein Bruder in seiner Jugend ein wenig herumexperimentiert hat. Er geriet in der Schule an die falschen Freunde und wurde mit einer geringen Menge Drogen erwischt. Es war nicht weiter schwierig, die Angelegenheit unter den Teppich zu kehren. Trotzdem gibt es eine Akte über ihn.“

Drogen? Bruno? Davon hatte Ivo nie auch nur das Geringste gehört. Unwillkürlich fragte er sich, vor was man ihn noch alles beschützt haben mochte.

Er hatte seinen Bruder aufgegeben, und Bruno hatte ihn nie im Stich gelassen. Die Erkenntnis hinterließ einen bitteren Nachgeschmack in seinem Mund.

Salvatores Worte legten sogar nahe, dass er nicht nur zurückgekommen war, sondern auch um ihn gekämpft hatte. Er war noch immer dabei, das alles zu verarbeiten, als sein Großvater die nächste Bombe platzen ließ.

„Das Kind …“

Ivo starrte ihn an. „Was für ein Kind?“

„Dein Bruder hatte einen Sohn. Ein Baby. Er heißt …“ Salvatore schüttelte den Kopf. „Ist auch egal, wie sie ihn genannt haben. Jedenfalls musst du deswegen nach Schottland, auf die Isle of Skye, wo dein Bruder vermutlich in irgendeiner Blockhütte gehaust hat. Vermutlich ohne Elektrizität und fließendes Wasser … Ich will, dass du das Kind holst. Es gehört zu uns. Sein Vater mag ein Narr gewesen sein, und seine Mutter …“ Er verzog das Gesicht. „Aber der Junge ist ein Greco.“

„Wie …“ Ivo holte tief Luft. „Wie sind sie gestorben?“

„Ein Kletterunfall. Sie waren wohl aneinander festgeleint. Ein Zeuge meinte, er hätte gehört, wie Bruno sie angefleht hat, das Seil zu durchtrennen. Aber das hat sie nicht …“ Zum ersten Mal glaubte Ivo einen Anflug von Emotionen in der Stimme seines Großvaters zu hören. „Ivo hatte schon immer eine unbesonnene Ader.“

Bruno liebte die Berge“, erklärte Ivo leise. Die leichte Betonung auf den Namen seines Bruders schien an seinem Großvater vorüberzugehen.

„Das habe ich doch gerade gesagt. Und sieh dir an, wohin es ihn gebracht hat. Wäre er nicht geklettert und hätte er diese Frau nicht kennengelernt … Eine Töpferin, die in einer klapprigen Hütte lebte!“

Das war eine gnadenlose Übertreibung. Doch Samantha hatte tatsächlich nichts mit den perfekt gestylten Models und Society-Ladies zu tun, mit denen sein Bruder vorher bevorzugt ausgegangen war.

Liebe auf den ersten Blick, hatte Bruno gesagt.

Als hätte er nie auch nur die geringste Wahl gehabt. Ivo hatte damals nicht an so etwas geglaubt, und er tat es auch jetzt nicht. Es war die Ausrede eines Schwächlings.

Man hatte immer eine Wahl.

„Ich habe mit den Anwälten gesprochen, aber es gibt keinen Weg, das Testament zu umgehen.“

„Es gibt ein Testament? Was steht darin?“ Ivo fiel es schwer, Interesse vorzuheucheln. Er konnte nur an Bruno denken – und an die Tatsache, dass er all die Jahre versucht hatte, für ihn da zu sein.

„Irrelevant.“

Es kam Ivo durchaus relevant vor, aber er sagte nichts. Er dachte an den Sohn, den Bruno zurückgelassen hatte. Ein Kind, das er nicht im Stich lassen konnte. Er hatte seinem Bruder den Rücken gekehrt, aber bei seinem Neffen würde ihm nicht derselbe Fehler unterlaufen.

„Sie waren jung, und die Jungen rechnen nie damit zu sterben. Und diese Henderson-Person … die Schwester …“

Ivo hatte nicht gewusst, dass es eine Schwester gab – aber woher sollte er auch? „Hat sie auch einen Namen?“

„Irgendetwas Schottisches. Fiona? Nein, nein, ich glaube Flora.“

„Und sie ist der rechtliche Vormund des Kindes?“ Ein Teil von Ivo klammerte sich an die Vorstellung, dass Bruno einen Sohn hatte, dass ein Teil von ihm weiterlebte.

Vielleicht würde ihm dieses Wissen eines Tages ein Trost sein, wenn der Schmerz nicht mehr so schneidend und die Schuldgefühle weniger überwältigend waren.

Worauf er sich jetzt konzentrieren musste, war das vaterlose Kind.

Es geht hier nicht um dich, Ivo, rief er sich selbst in Erinnerung.

Sein Großvater schlug mit der Faust auf die Schreibtischplatte. „Es ist absurd! Sie hat … sie ist ein Niemand!“

„Wenn du eine Rolle im Leben dieses Kindes spielen willst, solltest du dir vielleicht ihren Namen merken“, entgegnete Ivo.

„Ich will aber nicht, dass sie eine Rolle im Leben dieses Kindes spielt. Diese Familie hat meinen Enkelsohn auf dem Gewissen.“

So konnte man es natürlich auch sehen – doch Ivo hatte Mühe, diesen Standpunkt einzunehmen.

„Nun, bisher scheint die Keine-Kompromisse-Strategie für dich ja nicht besonders gut zu laufen, oder Großvater? Vielleicht solltest du realistisch sein und dich einfach mit dem zufriedengeben, was du bekommen kannst.“

Salvatores Augen wurden schmal. „Zufriedengeben?“, knurrte er wütend. „Ich habe ihr ein absolut vernünftiges Angebot gemacht. Mehr als großzügig außerdem. Doch sie hat rundweg abgelehnt.“

„Du hast angeboten, das Kind zu kaufen?“ Dio, das wurde ja immer schlimmer. Sein Großvater schien jeglichen Sinn für die Realität verloren zu haben. „Und es überrascht dich wirklich, dass sie abgelehnt hat?“

„Oh, ich weiß, worum es ihr geht. Sie ist unfruchtbar und kann selbst keine Kinder bekommen. Also klammert sie sich mit aller Kraft an dieses.“ Salvatore verzog abschätzig das Gesicht. „Ihr Brief sagt alles. Sentimentales Geschwätz. Sie hat mich eingeladen, ihn zu besuchen. Ich will diese Familie nicht im Leben dieses Kindes. Sie haben ihn mir weggenommen …“ Die Stimme des alten Mannes bebte leicht, und sein Blick wirkte glasig und leer.

Vor Wut? Oder Trauer?

Oder einfach nur, weil jemand es gewagt hatte, sich ihm in den Weg zu stellen?

Was immer dieses Beben auch ausgelöst hatte, es ließ Salvatore schwer schlucken und sich abwenden. Es kam nicht häufig vor, dass er ein Zeichen von Schwäche zeigte, und rief unwillkürlich in Ivo die Erinnerungen an jenen Tag hervor, an dem sein Großvater stark gewesen war. An dem er ihn, als er versucht hatte, seinen leblosen Vater aufzuwecken, gerettet hatte.

Salvatore will dieses Baby retten, wie er auch mich gerettet hat. Ihm geht es nur um den Stammbaum eines Menschen.

Ivo stutzte. Und was war mit ihm selbst? War er wirklich in der Position, auf ihn herabzublicken? Du willst dich doch auch nur weniger schuldig fühlen.

Beide Motive waren nicht besonders nobel – die Grecos waren allerdings auch nicht unbedingt für ihre hohen Ideale bekannt. Sie waren bekannt dafür, dass sie stets das bekamen, was sie wollten.

Die Erkenntnis traf Ivo wie ein Schock. Er wollte dieses Kind großziehen. Den Teil von Bruno, der ihm geblieben war.

Er hatte seinem Bruder Unrecht getan, auch wenn dieser alles mit Füßen getreten hatte, woran Ivo glaubte. Doch er war zu ihm zurückgekommen. Und er schuldete es Bruno, seinem Sohn die Kindheit zu schenken, die ihnen beiden nicht vergönnt gewesen war.

Sein Großvater schien sich von seinem Moment der Schwäche erholt zu haben. „Wir brauchen etwas, um sie unter Druck zu setzen, aber sie scheint eine weiße Weste zu haben.“

„Also keine Leichen im Keller?“

„Es wird von einer Affäre mit irgendeinem Footballspieler gemunkelt, aber er war zu der Zeit nicht verheiratet.“

„Was soll ich also tun? Das Kind entführen?“

Ein unverblümtes Ja hätte ihn vermutlich weniger schockiert als die Antwort, die er erhielt.

„Ich erwarte von dir, dass du diese Frau heiratest und das Kind hierher nach Hause bringst. Die Anwälte sagen, dass du auf diese Weise Rechtsansprüche erhältst. So sollte es nicht schwierig werden, bei der Scheidung das Sorgerecht zu bekommen.“

Ivo starrte ihn einen Moment fassungslos an, dann lachte er ungläubig.

„Bist du fertig“, fragte Salvatore scharf.

Es hatte Zeiten gegeben, in denen die eisige Missbilligung seines Großvaters ihn tief getroffen hätte, doch sie lagen lange hinter ihm. „Du scheinst dir bereits einen Plan zurechtgelegt zu haben.“

„Soll das heißen, du könntest sie nicht in dich verliebt machen, wenn du dich ein wenig anstrengst?“

„Vielen Dank für den Vertrauensvorschuss“, entgegnete Ivo trocken, stand auf und lehnte sich mit beiden Händen auf den Schreibtisch. „Aber zu deiner Information: Das will ich gar nicht.“

Er hatte die Tür erreicht, als Salvatore sagte: „Ich sterbe, und ich will, dass du mir meinen Urenkel herbringst. Willst du wirklich, dass der Sohn deines Bruders von einer Fremden aufgezogen wird? Dass er niemals seine eigene Sprache lernt? Nie die Vorteile erfährt, die es mit sich bringt, ein Greco zu sein? Bist du wirklich so selbstsüchtig?“

Autor

Kim Lawrence
Kim Lawrence, deren Vorfahren aus England und Irland stammen, ist in Nordwales groß geworden. Nach der Hochzeit kehrten sie und ihr Mann in ihre Heimat zurück, wo sie auch ihre beiden Söhne zur Welt brachte. Auf der kleinen Insel Anlesey, lebt Kim nun mit ihren Lieben auf einer kleinen Farm,...
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