Das Geständnis des Scheichs

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Scheich Khalid ist der begehrteste Junggeselle des Wüstenreichs. Doch er hat sich geschworen, niemals zu heiraten. Die einzige Frau in seinem Leben ist Ella, seine beste Freundin. Auch sie glaubt sich nicht binden zu können, bis ein gefährlicher Einsatz in den Ölfeldern alles zwischen ihnen verändert.


  • Erscheinungstag 18.07.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747879
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Ella Ponti schlenderte am Strand entlang. Die Nacht war dunkler als gewöhnlich, denn es herrschte Neumond. Nur die Sterne tauchten die sanft am Ufer auslaufenden Wellen in ein fahles Licht. Alexander hatte nächtliche Spaziergänge ebenso geliebt wie sie, und um diese Zeit fühlte sie sich ihm besonders verbunden.

Er war nun seit über einem Jahr tot, und ihre Verzweiflung war einem dumpfen Schmerz gewichen, der sie ständig daran erinnerte, dass sie ihren Mann nie wiedersehen würde.

Seufzend schaute sie zum Himmel empor: Dann ließ sie den Blick über den Persischen Golf gleiten, der sich wie eine dunkle Fläche endlos vor ihr ausbreitete. In manchen Nächten fuhren beleuchtete Schiffe vorbei. Sie kehrte um und ging langsam durch das seichte Wasser zurück, das erfrischend ihre Füße umspülte.

Sie liebte dieses Land voller Kontraste. Hier am Meer fühlte man sich wie an einen exklusiven italienischen Badeort voller Palmen und bunter Blumen versetzt, denn die Hausbesitzer entlang der Küste schienen einander mit ihren prachtvollen Parkanlagen übertreffen zu wollen.

Oft setzte sie sich nachmittags in einen schattigen Winkel des Gartens und sog den Duft der verschiedenen Blüten ein. Alkaahdar, die moderne Hauptstadt des Landes mit ihren Hochhäusern aus Stahl und Glas, lag nicht weit entfernt. Gleichwohl fühlte man sich hier am Meer wie in einer anderen Welt.

Jetzt war es schon nach Mitternacht. Es kam oft vor, dass sie lange arbeitete und danach noch zur Entspannung hier spazieren ging. So wie an diesem Abend. Nur sie, der Sand, der Himmel und das Meer.

Der Küstenstreifen war dünn besiedelt, und man musste sich gut auskennen, um auf Anhieb den schmalen Pfad zu finden, der vom Strand zu den im Grünen verborgenen Anwesen führte. Mit traumwandlerischer Sicherheit fand Ella den Weg selbst im Dunkeln.

Als sie sich der Stelle näherte, nahm sie plötzlich die Umrisse eines Mannes wahr, der direkt am Ufer stand. Unwillkürlich verlangsamte sie ihre Schritte. In den Monaten, seit sie hier wohnte, war sie hier nach Einbruch der Dunkelheit noch nie jemandem begegnet. Wer mochte das sein? Ein Fremder, der die Gegend erkundete oder sogar einen Einbruch plante?

Sie verwarf den Gedanken. Die Häuser gehörten den Superreichen von Quishari. An deren Wachpersonal und Sicherheitsvorkehrungen kam so schnell keiner vorbei. Deshalb hatte sie bei ihren nächtlichen Strandspaziergängen bisher auch keine Angst gehabt.

Sie kannte ihre Nachbarn zwar nur vom Sehen, da sie selbst sehr zurückgezogen lebte. Gleichwohl war sie überzeugt, dass einer der Bediensteten vom großen Haus sie informiert hätte, falls Grund zur Sorge bestanden hätte.

Sie hätte jetzt eine Begegnung mit dem Fremden vermeiden können, doch ihre Neugier gewann die Oberhand, und sie beschloss, im Wasser geradeaus weiterzugehen, ohne darauf zu achten, dass ihr Kleid, dessen Saum ihr bis zu den Waden reichte, nass wurde.

„Ist es für eine Frau nicht zu gefährlich, hier allein in der Dunkelheit spazieren zu gehen?“, fragte der Mann, als sie nahe genug herangekommen war, um ihn zu verstehen.

„Wohl nicht, wenn Sie mir nichts tun“, antwortete sie und ging unerschrocken auf ihn zu.

„Wohnen Sie hier in der Nähe?“, erkundigte er sich.

Sie stand nun fast vor ihm. Der Fremde, dessen Gesichtszüge in der Dunkelheit nicht zu erkennen waren, schien größer als Alexander zu sein. Allerdings konnte sie im Licht der Sterne ausmachen, dass er ein traditionelles weißes Gewand trug.

„Ja, nicht weit von hier“, antwortete sie ausweichend. „Aber Sie sind nicht aus dieser Gegend, sonst wären wir uns sicher schon einmal begegnet.“

„Ich halte mich nur vorübergehend hier auf.“ Er blickte wieder auf das glatte Meer hinaus. „Das hier ist wirklich ein Kontrast zu der Umgebung, in der ich mich in den vergangenen Wochen aufgehalten habe.“

Ella sah ihn fragend an.

„Ich war in der Wüste. Deshalb wollte ich sofort nach meiner Ankunft das Meer sehen, obwohl ich vierundzwanzig Stunden unterwegs war und eigentlich hundemüde bin. Trotzdem hatte ich vor, noch zu schwimmen.“

„So allein im Dunkeln? Keiner würde es bemerken, falls Ihnen etwas zustieße.“ Auch Ella war schon allein nachts ins Meer gegangen. Kurz nach Alexanders Tod. Damals war ihr alles egal gewesen. Inzwischen war das Leben aber wieder lebenswert für sie, und sie würde kein unbedachtes Risiko mehr eingehen.

„Sie sind doch hier“, sagte er.

„Und Sie glauben, ich wäre in der Lage, Ihnen zu helfen, wenn Sie in Not geraten würden?“

„Zumindest könnten Sie Hilfe holen“, erwiderte er, während er aus seinem Gewand schlüpfte und die Schuhe abstreifte, was Ella erschrocken verfolgte.

Wollte er sich etwa ganz ausziehen?

Doch wenige Sekunden später stürzte er sich schon ins kühle Nass, und kurz darauf sah sie ihn nicht mehr, sondern vernahm nur noch seine kräftigen Schwimmzüge.

„Und ich bin hiermit zur Lebensretterin ernannt“, murmelte sie und setzte sich in den schneeweißen feinen Sand, der noch warm von der Hitze des Tages war. Sie ließ eine Handvoll durch ihre Finger rieseln. Dann blickte sie wieder in die Richtung, in der der Fremde verschwunden war. Am nächsten Tag werde ich vielleicht erfahren, wer er ist, dachte sie. Möglicherweise werde ich ihn aber auch nie mehr wiedersehen.

Während sie aufs Meer hinaussah, verlor sie jedes Zeitgefühl. Er kam also aus der Wüste. Auch sie hatte vor einiger Zeit einen Ausflug dorthin gemacht, und die Schönheit der unendlichen Weite, die den Großteil des Landes ausmachte, hatte sie fasziniert. Trotz der lebensfeindlichen Umgebung gab es im Verborgenen Wunder wie die kleinen Blumen, die nach einem seltenen Regenguss nur für kurze Zeit erblühten. Die unterschiedlichsten Dünenformationen, die nur während der kurzen spektakulären Sonnenuntergänge in den unbeschreiblichsten Farben leuchteten, erinnerten sie an die Wellen im Meer. Begierig hatte Ella alles in sich aufgesogen und sich gewünscht, sie könnte das einzigartige Naturschauspiel in ihre eigene Arbeit einfließen lassen.

Nach Beendigung ihres derzeitigen Projekts wollte sie damit beginnen. Sie sah die Form der Schale bereits vor sich. Es bedurfte dazu allerdings einer neuen Technik. Auch die Farbgebung war alles andere als einfach. Die Farben sollten wirbeln und eine Ahnung von flüchtiger und verlockender Schönheit erwecken.

Wie immer, wenn sie in Gedanken bei ihrer Arbeit war, fiel jegliche Anspannung von ihr ab. Der warme Sand und das leise Rauschen des Meeres taten ein Übriges. Wo blieb denn nur der Mann?

Schließlich hörte sie ihn aus dem Wasser kommen. Sie stand auf und beobachtete, wie er seine Kleidung aufhob.

„Sie sind noch hier?“

„Sie haben mich doch zu Ihrer Aufpasserin abgestellt. Haben Sie Ihr nächtliches Bad genossen?“

„Ja, nach der Hitze in der Wüste war es wunderbar.“ Er trocknete sich kurz mit seinem Gewand ab und zog es dann über.

Sie wandte sich zum Gehen. „Dann also gute Nacht.“

„Danke, dass Sie so lange ausgeharrt haben.“

„Ich weiß nicht, ob ich im Notfall tatsächlich hätte helfen können“, sagte sie.

„Soll ich Sie nicht lieber begleiten?“

„Nein, danke“, lehnte sie sein Angebot ab. Schließlich kannte sie den Mann nicht, außerdem wollte sie nicht, dass er erfuhr, wo sie wohnte und dass sie allein lebte.

„Vielleicht bin ich morgen wieder hier“, meinte er.

„Ich möglicherweise auch“, erwiderte sie und lief dann auf einen Pfad zu, der nicht direkt zu ihrem Haus führte. Der Fremde brauchte nicht zu wissen, wo ihre Bleibe war. Nur wenig später betrat sie das Grundstück, auf dem ihr gemietetes Häuschen stand.

Khalid sah ihr nach, bis sie seinem Blickfeld entschwunden war. Er hatte keine Ahnung, wer die Frau war und warum sie sich nach Mitternacht an einem verlassenen Strand aufhielt. Er warf einen letzten Blick auf das Meer, in dem sich das Licht der Sterne spiegelte. Dann wandte er sich um und ging zu dem Haus, das seine energische Großmutter ihm im vergangenen Sommer vererbt hatte. Ihr Tod war ein schwerer Schlag für ihn gewesen. Wie ein Fels in der Brandung war sie stets für ihn da gewesen, hatte ihm zugehört, wenn er Probleme hatte, und ihn immer unterstützt. Wie oft hatte sie ihn ermahnt, wieder mehr unter Menschen zu gehen. Doch in diesem Punkt hatte er nicht mit sich reden lassen.

Die Fremde vom Strand kam ihm wieder in den Sinn. Er hatte in der Dunkelheit nicht viel von ihr erkennen können. Sie war nicht sehr groß gewesen, und ihre Stimme hatte jung geklungen. Er vermutete, dass sie schlank war. Dabei wollte er sich gar nicht für sie interessieren, zumal ihm bewusst war, wie hässlich seine vernarbte Gesichtshälfte war. Die Reaktionen seiner Mitmenschen waren eindeutig gewesen. Selbst seine Verlobte Damara hatte ihn nach dem Unfall auf dem brennenden Ölfeld verlassen.

Sein Bruder Rashid versicherte ihm zwar immer wieder, wie froh er sein könne, eine Frau loszusein, die nach einer solchen Tragödie nicht zu ihm gehalten hatte. Doch obgleich er seinem Bruder recht geben musste, hatte er sich immer mehr in sein Schneckenhaus zurückgezogen.

Er wusste, dass er besser in die Wüste passte, in eine Gegend, die zu unwirtlich für Frauen war. Die Männer, mit denen er dort zusammenarbeitete, akzeptierten ihn um seiner selbst willen.

Er war mit seinem Leben zufrieden. Sein einziges Problem war das Haus, das er von seiner Großmutter geerbt hatte. Es stand seit einem Jahr leer. Immer wieder hatte er die Entscheidung, wie es damit weitergehen sollte, aufgeschoben, bis der Schmerz über den Verlust erträglich geworden war.

Schnellen Schritts ging er jetzt über den Strand zu dem Pfad, der zu seinem Grundstück führte. Das Haus, so nah am Meer, inmitten eines großen Gartens mit Gästedependance und jeder Menge Platz, war für eine Familie geradezu ideal. Auf dem Rasen sollten Kinder spielen, wie einst sein Bruder und er. Und vor ihnen sein Vater mit seinen Brüdern.

Er stellte sich vor, dass wieder jemand Blumen pflückte und die Sträuße in den Räumen verteilte. Überall sollte es von fröhlichen, lachenden Stimmen widerhallen. So wie früher, wenn er und Rashid die Großeltern besucht hatten.

Doch nun war das Anwesen, von einigen Dienstboten abgesehen, unbewohnt. Und so würde es bleiben, wenn er es nicht verkaufte. Sein Apartment in Alkaahdar genügte ihm völlig.

Von einem Strauch, den er im Vorbeigehen streifte, stieg ihm ein betörender Duft nach Jasmin in die Nase. Die Luft hier war so anders als die trockene in der Wüste. Sofort fühlte er sich in seine Kindheit zurückversetzt, als sein Vater und auch seine Großmutter noch gelebt hatten. Durch einen Schicksalsschlag würde ihm ein glückliches Familienleben, wie er es damals kennengelernt hatte, für immer verwehrt bleiben.

Dennoch bereute er nichts. Er hatte seine Pflicht getan und Leben gerettet. Narben waren dagegen nichts.

Er betrat das Haus durch die angelehnte Terrassentür. Es war spät geworden, und er sehnte sich nach seinem Bett. Am nächsten Tag werde ich dann den Verkauf des Anwesens in die Wege leiten, dachte er.

Ella erwachte erst spät am nächsten Morgen. Sie hatte nach der Begegnung mit dem Fremden lange nicht einschlafen können, weil sie überlegt hatte, wer er sein mochte und wo er wohl herkam. Vermutlich würde sie ihn nie wiedersehen. Doch wer weiß, dachte sie, als sie die Beine aus dem Bett schwang. Nichts sprach dagegen, erneut um Mitternacht einen Spaziergang zu machen. Immerhin hatte der Mann gesagt, er würde kommen.

Doch zuvor gab es viel zu tun. Sie wollte mit der Glasschale beginnen, die sie schon seit Tagen in Gedanken entworfen hatte.

Nach einem kurzen Frühstück in der kleinen Essecke ihrer Küche ging sie in ihr Atelier. Wie immer wenn sie den Raum betrat, dachte sie voller Dankbarkeit an die wunderbare Frau, die ihr geholfen hatte, in ihrem Traumberuf Fuß zu fassen. Sie fehlte ihr so sehr. Nicht nur sich selbst wollte Ella nun beweisen, dass sie als Glasbläserin erfolgreich sein konnte. Sie war es ihrer Wohltäterin einfach schuldig.

In kürzester Zeit hatte sie alles um sich her vergessen und ging völlig darin auf, das zu formen, was in ihrer Vorstellung schon lange Gestalt angenommen hatte.

Erst als sie die Rückenschmerzen nicht mehr länger ignorieren konnte, streckte sie sich und warf einen Blick auf die Uhr. Schon später Nachmittag. Sie hatte sieben Stunden lang durchgearbeitet. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk. Es war nichts Großartiges, aber es war ihr gelungen, das Gefühl von Erhabenheit, das sie jedes Mal beim Anblick der Wüste überkam, zum Ausdruck zu bringen. Für einen ersten Versuch mit der neuen Technik war es durchaus passabel. Nach zwei weiteren Arbeitsgängen wäre die Schale fertig. Eine anständige Leistung für einen Tag.

Ella massierte sich den Rücken. Sie wusste, dass sie ihre Kräfte besser einteilen sollte. Doch sobald sie anfing, mit Glas zu arbeiten, vergaß sie alles um sich her. Und war das Glas erst einmal geschmolzen, musste es schnell in die gewünschte Form gebracht werden. Anschließend kam es in den Kühlofen zum Ausglühen, und, wie sie hoffte, ohne Risse zu bekommen. In diesem Stadium wurde es noch einmal richtig spannend. Besonders wenn sie Glasarten und Farben gewählt hatte, die unterschiedlich schnell abkühlten.

Inzwischen hatte sie gelernt, das Ganze gelassen zu betrachten, denn es brachte nichts, um jedes Stück tausend Ängste auszustehen. Entweder es klappte oder nicht.

Nachdem sie jetzt die Schale in den Kühlofen gestellt hatte, ging sie in die Küche und bereitete sich ein leichtes Abendessen zu, das sie nach draußen auf die kleine schattige Terrasse trug. Es wurde allmählich kühler. Während sie sich das klein geschnittene Obst schmecken ließ, schweifte ihr Blick über die üppig blühenden Blumen. Unvorstellbar, wie viel das Anwesen ihr bedeutete, obwohl sie noch nicht lange dort lebte. Hier fühlte sie sich sicher und geborgen, ja beinahe glücklich.

Nach Alexanders Tod hatte sie die gemeinsame Wohnung aufgegeben. Das kleine Haus war zu ihrem Refugium geworden, und inzwischen hatte sie das Gefühl, wirklich hierher zu gehören. Sie kannte jeden Baum und Strauch im Garten. Wusste, in welchen verborgenen Ecken man tagsüber Schatten fand. Es kam ihr vor, als hätte das gesamte Anwesen auf sie gewartet und sie tröstend aufgenommen.

Es war ganz anders als das Zuhause ihrer Kindheit. In den vergangenen Monaten hatte sie jeden Gedanken daran verdrängt. Sie wollte sich auf die Gegenwart und die Zukunft konzentrieren. Die Vergangenheit war jedenfalls tabu.

Sie atmete tief ein, hielt dann die Luft an und lauschte. War das ein Auto? Sie erwartete doch niemanden. Keiner wusste, wo sie sich aufhielt. Und der Gärtner würde erst in einigen Tagen kommen. Sie verharrte für einen Augenblick reglos. Das Motorengeräusch schien sich zu entfernen und war nach einer Weile gänzlich verklungen. Erst jetzt entspannte sie sich wieder.

Sie beendete ihre Mahlzeit und ging anschließend einmal ums Haus. Niemand schien hier gewesen zu sein. Seltsam, das Motorengeräusch hatte so nah geklungen.

Da es immer noch heiß war, überlegte sie, ob sie kurz schwimmen gehen sollte. Nein, sie wollte lieber am Abend zum Strand gehen, um zu sehen, ob der Fremde auch gekommen war. Zum ersten Mal seit einem Jahr verspürte sie wieder so etwas wie Neugier. Sie konnte es kaum erwarten, dass es Mitternacht wurde. Ein völlig neues Gefühl für sie. In den vergangenen Monaten war sie wie betäubt gewesen. Nun freute sie sich plötzlich darauf, dem Fremden möglicherweise wiederzubegegnen.

Aber würde er überhaupt da sein?

Punkt zwölf Uhr nachts verließ Ella ihr Haus und eilte über den zugewachsenen Pfad zum Strand. Enttäuschung durchzuckte sie, als sie sah, dass der Fremde nicht erschienen war. Sie seufzte angesichts ihrer Naivität, ging langsam zum Wasser hinunter und dann in dieselbe Richtung wie in der vergangenen Nacht.

„Ich war mir nicht sicher, ob Sie kommen würden“, sagte plötzlich eine ihr bekannte Stimme hinter ihr. Sie drehte sich unvermittelt um und bemerkte, dass er dieses Mal kein Gewand trug, sondern eine dunkle Hose und ein weißes Hemd.

„Ich gehe hier oft um Mitternacht spazieren“, erklärte sie etwas abweisend, denn er sollte nicht glauben, sie sei seinetwegen gekommen.

„Ich auch, aber hauptsächlich, weil es tagsüber zu heiß ist.“

„Und weil Sie nicht zur Ruhe kommen können?“

Er passte seinen Schritt ihrem an.

„Auch das kann der Fall sein“, gab er zu. „Haben Sie auch damit Probleme?“

„Manchmal.“ Sie fühlte sich mit einem Mal ungewohnt befangen. Ihr Herz schlug schneller, und ein seltsames Hochgefühl überkam sie. „Konnten Sie denn nach Ihrer langen Reise einigermaßen gut schlafen?“

„Ein paar Stunden reichen mir.“

„Im Urlaub kann man sich endlich mal so richtig gehen lassen und sich erholen“, sagte sie und überlegte, wie sie mehr über ihn erfahren konnte, ohne neugierig zu wirken.

„Auch dann brauche ich nur wenig Schlaf. Aber ich bin nicht zur Erholung hier.“

„Oh, nach allem, was Sie gestern …“ Sie unterbrach sich.

„Obwohl ich gerade einen Auftrag auf einem Ölfeld in der Wüste beendet habe, bin ich in einer geschäftlichen Angelegenheit hier, einer privaten sozusagen.“

„Oh.“ Wie lange würde die Abwicklung dauern? Würden sie sich noch einmal sehen? Genau genommen hatte sie ihn ja noch gar nicht richtig gesehen. Dazu war es auch jetzt zu dunkel. Gleichwohl genoss sie es, neben ihm am Strand entlang zu gehen. Auch wenn es nur noch dieses eine Mal sein sollte.

„Ich muss nachdenken und dann eine Entscheidung treffen“, nahm er das Gespräch nach einer Weile wieder auf.

„Hm.“

„Sie sprechen arabisch, aber Sie sind nicht von hier, habe ich recht?“, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe viele Jahre lang die Sprache gelernt und verstehe alles sehr gut. Mache ich etwa Fehler?“

„Nein, Sie haben nur einen leichten Akzent. Woher kommen Sie?“

„Aus Italien. Aber ich war lange nicht mehr dort. Mein Zuhause ist hier.“

„Sind Sie mit Ihrer Familie hier?“

Sie zögerte zu antworten. War es klug, einem Fremden zu erzählen, dass sie allein lebte? „Denken Sie, ich brauche eine Anstandsdame?“, fragte sie ausweichend.

„Wohl eher nicht. Wie alt sind Sie?“

„Alt genug.“ Sie blieb stehen, sah zu ihm auf und wünschte, sie könnte seine Gesichtszüge besser erkennen. „Ich bin Witwe und brauche schon lange niemanden mehr, der auf mich aufpasst.“

„Sie klingen nicht alt genug, um verwitwet zu sein.“

„Manchmal fühle ich mich aber wie hundert.“ Niemand sollte mit achtundzwanzig seinen Ehemann verlieren. Leider war das Leben nicht immer fair.

„Das tut mir leid für Sie“, sagte er sanft.

Sie ging weiter, lauschte den Wellen und spürte den nassen Sand unter ihren Füßen und die Energie, die der Mann an ihrer Seite ausstrahlte. Wie alt mochte er sein? Es war schwer einzuschätzen. Er klang dynamisch und noch jung.

„Danke.“ Sie wusste nie, was sie auf Beileidsbekundungen erwidern sollte. Er hatte ihren Mann nicht gekannt und konnte sich bestimmt nicht vorstellen, wie sehr sie ihn geliebt hatte. Niemand würde je in der Lage sein, nachzuempfinden, was der Verlust für sie bedeutete. Ob er wohl auch einen geliebten Menschen verloren hatte?

Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. Schließlich fragte sie: „Was hatten Sie denn auf dem Ölfeld zu tun?“

„Ich berate Bashiri-Öl bei der Erschließung neuer Quellen. Außerdem ist meine Firma darauf spezialisiert, brennende Ölfelder zu löschen.“

„Tatsächlich?“ Sie war verblüfft.

Sie hatte Fotos von brennenden Ölquellen gesehen. Dabei schossen die Flammen oft mehrere hundert Meter in die Höhe. „Gibt es überhaupt einen gefährlicheren Job auf Erden?“

Er lachte leise. „Ich denke schon. Es ist nicht einfach, aber jemand muss es tun.“

„Und was hat Sie dazu gebracht, es mit solchen Feuersbrünsten aufzunehmen? Hätte es nicht gereicht, einfach nur Feuerwehrmann zu werden?“

„Der ganze Förderprozess fasziniert mich. Angefangen mit der Entdeckung neuer Vorkommen, bis hin zum Bau der entsprechenden Anlagen und dem Bohrbeginn. Zu Bränden kommt es dabei leider immer wieder. Oft sind es Unfälle, manchmal wird das Feuer gelegt. Es ist wichtig, es dann so schnell wie möglich unter Kontrolle zu bringen. Aus diesem Grund beraten wir die Leute schon beim Bau der Anlage und stellen ihnen die besten Sicherheitsvorkehrungen vor. Ich habe mich schon immer dafür interessiert, deshalb habe ich es zu meinem Beruf gemacht.“

„Es muss doch unvorstellbar heiß sein.“

Er lachte wieder. Sein Lachen gefiel ihr, und sie lächelte.

„Oh ja, das ist es. Sogar in den Schutzanzügen, die wir tragen.“

Der Mann erklärte ihr kurz, wie er beim Löschen der Ölquellen vorging.

Ella hörte ihm fasziniert und entsetzt zugleich zu. „Sie könnten dabei umkommen“, unterbrach sie ihn unvermittelt.

„Noch lebe ich“, entgegnete er.

Doch seine Stimme hatte sich verändert, und er lachte nicht mehr.

„Hoffentlich kommt es nie wieder zu einem Brand“, meinte sie leidenschaftlich. „Kein Wunder, dass Sie letzte Nacht schwimmen wollten. Wenn ich so etwas miterlebt hätte, würde ich das Meer nicht mehr verlassen wollen.“

„Ich bin zu ruhelos. Mich zieht es immer wieder in die Wüste.“

„Dann würden Sie diese Arbeit also auch machen, wenn Sie nicht Ihren Lebensunterhalt verdienen müssten?“

Er lachte wieder. „Genau.“

Sie blieb stehen. „Hier kehre ich meistens um.“

„Da drüben wohnt Ben al Saliqi“, sagte er und deutete auf ein Licht, das plötzlich zwischen den Bäumen zu sehen war.

„Woher wissen Sie das?“

„Ich habe viele Sommer hier im Haus meiner Großmutter verbracht“, erklärte er. „Ich kenne jede Familie an der Küste, außer Ihrer.“

„Oh nein, dann sind Sie einer der al-Harum-Brüder, stimmt’s? Ich bin übrigens Ella Ponti, Ihre Mieterin.“

2. KAPITEL

„Meine Mieterin?“

„Ich habe das Gästehaus auf dem Grundstück Ihrer Großmutter gemietet. Sie war sozusagen meine Mäzenin. Mit der Zeit haben wir uns angefreundet. Sie fehlt mir sehr.“

„Sie hat das Gästehaus vermietet?“

„Sie können den Vertrag gern einsehen. Ihre Großmutter hat darauf bestanden, alles schriftlich zu regeln, damit wir das Geschäftliche dann vergessen und einander Gesellschaft leisten können. Sie war eine großartige Frau.“

„Mir fehlt sie auch sehr. Aber ich habe von all dem nichts gewusst.“

„Ihre Großmutter hat mir viel von ihren Enkeln erzählt. Welcher sind Sie, Rashid oder Khalid?“

„Khalid.“

„Ach, der Ruhelose.“

„Der Ruhelose?“

Autor

Barbara Mc Mahon
Barbara McMahon wuchs in einer Kleinstadt in Virginia auf. Ihr großer Traum war es, zu reisen und die Welt kennenzulernen. Nach ihrem College-Abschluss wurde sie zunächst Stewardess und verbrachte einige Jahre damit, die exotischsten Länder zu erforschen. Um sich später möglichst genau an diese Reisen erinnern zu können, schreib Barbara...
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