Das Glück kommt zurück

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Mit zarten Händen pflegt die sensible Krankenschwester Paige den verletzten US-Marine Thane Hamilton. Sie spürt instinktiv, dass er an einem Wendepunkt in seinem Leben angekommen ist: Entweder er entscheidet sich für die Liebe - für sie! - oder er tritt sofort nach seiner Genesung wieder seinen gefährlichen Dienst an. Und gerade deshalb will sie ihm ihre Gefühle nicht gestehen. Denn Thane soll ganz frei in seiner Entscheidung sein …


  • Erscheinungstag 24.02.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733755683
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Noch zwei Minuten bis zum Kontakt! Keuchend rannte Captain Thane Hamilton weiter. Er musste es schaffen.

„Lauf weiter!“, rief er heiser.

Vor ihm stolperte ein vierzehn Jahre altes Mädchen über den steinigen Boden der Schlucht. In seinem Kampfanzug und mit dem Sturmgewehr in der Hand war er deutlich als U.S. Marine zu erkennen. Er warf einen Blick über die Schulter. Die Drogenschmuggler mussten dicht hinter ihnen sein.

Hubschrauber! Die Hilfe war ganz in der Nähe! Er packte das Funkgerät fester. „Schneller, Valerie!“

Schluchzend ruderte das rothaarige Mädchen mit beiden Armen, um nicht zu stürzen.

Thane tat die Tochter des Senators leid. Aber sie durfte jetzt nicht aufgeben. Der Canyon, durch den sie flüchteten, verlief direkt an der bolivianischen Grenze, und die dünne Luft in dieser mörderischen Höhe ließ seine Lungen brennen. Schweiß rann ihm über das Gesicht. Der Rest seines Teams war tot. Sie hatten fünf Leben riskiert, um ein Mädchen zu retten. Thane war der Letzte, und vielleicht würde auch er diese Aktion nicht überleben.

Der Himmel war strahlend blau. Er hörte die CIA-Hubschrauber. Das Geräusch ihrer Rotoren zerriss die Stille und hallte von den steilen Felswänden der Schlucht wider. Der vereinbarte Landeplatz lag auf einer Hochebene vor dem Ausgang des Canyons. Aber die Retter würden nur landen, wenn er ihnen ein Signal gab.

„Weiter, Valerie!“, schrie er.

„Ich kann nicht! Ich bin müde! Ich will mich ausruhen!“ Sie wurde langsamer.

Mit einem leisen Fluch schob Thane das Funkgerät in den Patronengurt. Dann packte er Valeries dünnen Arm. Sie war vom guten Leben verwöhnt. Sie hatte einen reichen und mächtigen Daddy in Washington, D.C. Und selbst in ihrem jungen Alter war sie schon ein Snob. Natürlich war es nicht Valerie Winstons Schuld, dass der Drogenbaron sie hatte entführen lassen. Sie war mit einer kirchlichen Jugendgruppe durch Peru gereist. Thane konnte ihr nicht böse sein.

„Aua!“, rief sie und versuchte, sich loszureißen. „Sie tun mir weh!“

Es war Juni, aber in vierzehntausend Fuß Höhe war es höllisch kalt. Der Titicacasee war nur dreißig Meilen entfernt. Thane hörte, wie die Helikopter mit der dünnen Luft kämpften. Allein das machte den Flug hierher schon lebensgefährlich.

Thane zerrte das Mädchen um die letzte Biegung des Canyons. Vor ihnen ging er in eine kahle Mondlandschaft über, flach, ohne Felsbrocken und jegliche Vegetation. Das musste die Landezone sein! Hinter sich hörte er spanische Stimmen. Sie kamen rasch näher.

Verdammt! fluchte er stumm.

Als er sich umdrehte, sah er zehn Gangster auf sie zurennen, keine halbe Meile entfernt. Schüsse fielen. Die beiden schwarzen Hubschrauber setzten zur Landung an wie zwei Falken, die sich vom Himmel herab auf ihre Beute stürzten.

Thane riss einen kleinen Kanister aus dem Gürtel und postierte sich hinter Valerie. Die Kugeln trafen die Felswände neben ihnen. Unter keinen Umständen durfte Valerie verletzt werden! Er und seine schusssichere Weste mussten die tödlichen Geschosse abfangen.

Als sie das Ende der Schlucht erreichten, schob er sie gegen eine Felswand.

„Bleib stehen“, rief er keuchend und entsicherte die Granate, bevor er sie in weitem Bogen dorthin warf, wo die Retter sie aufnehmen sollten. Sie segelte durch die Luft, und als sie aufprallte, stieg eine pinkfarbene Wolke aus ihr auf. Das war das Signal für die Hubschrauber.

Thane hob das Gewehr an die Schulter. „Valerie, renn weiter, aber halt dich dicht an der Felswand“, befahl er.

Das Mädchen nickte mit weit aufgerissenen Augen und gehorchte.

Thane war klar, dass die Gangster sie genau dann einholen würden, wenn die Hubschrauber landeten. Er gab einige Schüsse ab, um sie aufzuhalten. Es funktionierte. Dann hob er das Funkgerät.

„Black Jaguar One. Black Jaguar One. Hier ist Checkerboard One. Over.“ Ungeduldig wartete er auf die Antwort aus dem großen schwarzen Apache, der vom Himmel zu fallen schien.

„Kommt schon!“, knurrte er. „Antwortet mir!“

„Hier ist Black Jaguar One, Checkerboard One“, meldete sich eine ruhige Frauenstimme. „Wie ist die Lage? Over.“

„Landezone ist heiß“, warnte er. „Ich habe das Paket. Und zehn böse Buben, etwa eine halbe Meile entfernt. Sie kommen aus dem Canyon vor euch. Ich könnte etwas Unterstützung gebrauchen. Verstanden? Over.“

„Roger. Wir sehen sie. Schlage vor, Sie gehen in Deckung.“

Erst jetzt registrierte Thane, dass er mit einer Frau gesprochen hatte. Natürlich, in der U.S. Army gab es auch weibliche Hubschrauberpiloten. Aber hinter den feindlichen Linien bei geheimen Missionen der CIA? Davon hatte er noch nie etwas gehört. „Danke, Black Jaguar One. Freue mich, Sie zu sehen. Ende und aus.“

Thane grinste vor Erleichterung. Eine Luft-Boden-Rakete würde genügen, ihm die Gangster vom Hals zu schaffen. Er beobachtete, wie der unmarkierte Helikopter den Anflug abbrach und über dem Felsplateau schwebte, um die Rakete abzufeuern. Der zweite Hubschrauber, eine alte Cobra, verlor rasch an Höhe. Thane sah nach rechts. Valerie kauerte an der Wand der Schlucht.

Er fuhr wieder herum und gab fünf oder sechs gezielte Schüsse ab. Zwei der Verfolger wurden getroffen.

Dann sah er etwas, bei dem ihm fast das Herz stehen blieb. Nein!

Einer der Gangster zielte mit einer Boden-Luft-Rakete auf den Apache.

Verdammt!

Thane verließ seine Deckung. Das ohrenbetäubende Knattern der Rotoren traf ihn wie ein Schlag, als er sich dem Feuer der Verfolger aussetzte. Er musste verhindern, dass sie den Apache vom Himmel holten! Darauf zählend, dass keiner der Gangster ein Scharfschütze war, legte er auf den Mann mit der Boden-Luft-Rakete an. Er zielte, schoss und sah, wie der Gangster getroffen wurde. Der Mann brach zusammen, aber mit ihm senkte sich auch der Raketenwerfer. Das Geschoss verließ den Lauf – und flog direkt auf Thane zu!

Die Zeit schien stillzustehen, als er sich aufrichtete. Weg! Nein! Nein, ich werde sterben! Das war sein letzter Gedanke. Als er sich nach links warf und Deckung suchte, wusste er, dass er ein toter Mann war.

Um ihn herum wurde alles schwarz. Er fühlte einen brennenden Schmerz im rechten Bein und hörte Valeries hysterischen Aufschrei. Dann war es vorbei.

Der Lärm in der Kabine der Cobra war unerträglich. Die Triebwerke des Hubschraubers liefen auf Hochtouren. Er war alt, und der Rumpf vibrierte, als er mit Vollgas nach Cusco flog. Tausend Fuß unter ihnen erstreckte sich der Dschungel Perus. Die weißen Wolken an den Berghängen zerstoben wie Rauchwolken vor der Windschutzscheibe.

„Sie leben“, schrie Captain Maya Stevenson dem schwer verletzten U.S. Marine ins Ohr. „Wir haben die Tochter des Senators an Bord. Sie sind beide in Sicherheit.“

Seine Augen öffneten sich einen Spalt weit.

Maya sah, wie er etwas zu sagen versuchte. Seine Pupillen waren riesig und pechschwarz von dem Morphium, das die Sanitäterin ihm gegen die Schmerzen injiziert hatte. Gut, dachte sie. Er brauchte nicht zu wissen, was mit seinem Bein los war. Der Marine blinzelte zweimal. Er hatte einen energischen Mund, und sie war sicher, dass man ihm gehorchte, wenn er Befehle erteilte. An seiner Uniform war nirgendwo ein Rangabzeichen, aber sie ahnte, dass er Offizier war.

„Sie sind in Sicherheit. Das Mädchen auch. Halten Sie durch. Wir bringen Sie nach Cusco ins Krankenhaus. Ihr Zustand ist stabil.“ Das war gelogen, aber Maya wollte nicht riskieren, dass der Mann durchdrehte, wenn er die Wahrheit erfuhr.

Es war so laut, dass Thane kaum verstand, was die Frau in der schwarzen Uniform zu ihm sagte. Wo war er? Sein Gehirn funktionierte nicht richtig, und er hatte das Gefühl, als befände er sich nicht mehr ganz in seinem Körper, als schwebte er halb darüber.

Die Frau trug einen Helm, also war sie … Nein, keine Soldatin … Pilotin. Ja, das war es. Ein Hubschrauber. Er fühlte das vertraute Vibrieren im Rücken und in allen Gliedern … nur im rechten Bein nicht. Warum spürte er dort nichts?

Thane Hamilton schaute in ihr Gesicht, sah den grimmigen Zug um die vollen Lippen, die zusammengekniffenen Augen, in denen es gefährlich glitzerte. Sie war eine Kriegerin, kein Zweifel. Und eine Jägerin.

„Captain Hamilton“, krächzte er und schmeckte Schlamm auf der Zunge.

Sie nickte. „Okay … jetzt wissen wir, wer Sie sind.“ Bei Einsätzen wie diesem hatten Soldaten keine Papiere bei sich, nicht einmal die Hundemarke um den Hals. „Wir werden die entsprechenden Stellen informieren, Captain. Ich bin Captain Maya Stevenson, Pilotin der Army. Halten Sie durch. Wir sehen zwar nicht sehr vertrauenerweckend aus, aber glauben Sie mir, Sie sind in den besten Händen.“ Sie grinste.

Er versuchte zu lächeln und bemerkte erst jetzt, dass sich eine andere Frau, ebenfalls in schwarzer Montur, über seine Beine beugte. Sie war dabei, ihm einen Verband anzulegen. Seltsam, er fühlte es gar nicht. Was war los? Er wollte den Kopf heben, aber der Captain legte eine Hand auf seine Schulter und drückte ihn sanft nach unten.

„Bleiben Sie ruhig liegen, Captain. Das ist meine Sanitäterin, Sergeant Angelina Paredes“, erklärte sie.

Sein Mund war wie ausgedörrt. Er hatte Durst. Vorsichtig drehte er den Kopf nach links und sah das rothaarige Mädchen. Es dauerte eine Weile, bis er wusste, wer sie war. Sein Verstand war nichts mehr wert. Er schloss die Augen.

„Gott sei Dank, ihr ist nichts passiert …“

Maya nickte lächelnd. „Sie haben sie gerettet, Captain. Sie sind ein echter Held. Keiner von uns hat geglaubt, dass Sie den direkten Raketentreffer überlebt hätten. Sie sind ein verdammt zäher Bursche … für einen Marine.“ Sie sah, wie sein Mundwinkel zuckte. Vielleicht konnte er es ja doch schaffen. Aber der Blutverlust war gewaltig. Ihr Sergeant arbeitete wie verrückt an seinem verletzten Bein. Maya wollte nicht, dass dieser Offizier erfuhr, wie schwer verletzt er war. In Cusco würden die Ärzte ihm vielleicht das Bein abnehmen müssen.

Die Vorstellung brach ihr fast das Herz. Maya schaute zu dem Mädchen hinüber, das mit großen Augen in einer Ecke kauerte. Das hier würde Valerie Winston nie vergessen. Und Maya hoffte, dass sie auch die Männer nie vergessen würde, die ihr Leben für sie geopfert hatten.

Sie beugte sich zu Captain Hamilton hinab. „Ruhen Sie sich aus. In weniger als dreißig Minuten landen wir in Cusco. Bis dahin kümmert die beste Sanitäterin der Welt sich um sie.“

„Danke … für alles“, stöhnte Thane, bevor er wieder das Bewusstsein verlor.

Maya sah ihren Sergeant an. „Es ist traurig, Angel“, sagte sie zu ihr. „Dieser Bursche verdient einen Orden. Stattdessen sieht es aus, als würde er zur Belohnung sein Bein verlieren.“

„Ich weiß nicht“, keuchte Angel. „Wenn Dr. Prado im Krankenhaus von Cusco Dienst hat, wird er bestimmt versuchen, das Bein zu retten. Er ist der Einzige in Peru, der es schaffen kann.“

„Dann wollen wir hoffen, dass er Dienst hat“, erwiderte Maya grimmig.

„Wird Captain Hamilton sein Bein verlieren?“, fragte Morgan Trayhern den Chirurgen Dr. Jose Del Prado in dessen Büro im Krankenhaus von Cusco.

Der Arzt, ein drahtiger Mann von Anfang dreißig, stand hinter einem schlichten Mahagonischreibtisch. Er trug einen langen weißen Kittel, ein Stethoskop hing ihm aus der Tasche, und in der Hand hielt er den Bericht über Hamilton. „Ich weiß es nicht … noch nicht, Mr. Trayhern“, sagte er.

Morgan verzog das Gesicht. Gleich nachdem er den verschlüsselten Funkspruch aus Peru bekommen hatte, war er auf direktem Weg von Washington nach Cusco geflogen. Captain Thane Hamilton gehörte dem U.S. Marine Corps an und unterstand daher nicht seinem Kommando, aber der Undercover-Einsatz, an dem Hamilton teilgenommen hatte, war von Morgans Behörde organisiert worden.

„Ich verstehe …“

„Nein, das tun Sie nicht“, erwiderte Del Prado scharf. „Ich habe sein Bein nicht amputiert. Irgendwann wird das Bein dieses Offiziers so sehr schmerzen, dass er nicht darauf laufen kann. Im Moment mache ich mir allerdings mehr Sorgen um eine mögliche Infektion. Wenn wir die nicht stoppen können, wird er das Bein doch noch verlieren.“

„Und was jetzt? Darf ich Captain Hamilton in meinem Jet mitnehmen, damit er in den USA weiterbehandelt werden kann?“

„Natürlich. Er ist jetzt stabil. Haben Sie einen Arzt an Bord?“

Morgan nickte. „Ja.“

„Dann schlage ich vor, Sie warten noch zwölf Stunden. Er ist erst vor drei Stunden aus dem OP gekommen und hat ein Einzelzimmer, wie Sie es angeordnet haben. Er ist noch nicht wieder ganz bei Bewusstsein, also lassen Sie ihm Zeit.“

„Wenn er Ihr Patient wäre, was würden Sie noch für ihn tun?“, fragte Morgan.

Die blauen Augen des Arztes funkelten belustigt. „Die Medizin, die wir hier in Peru praktizieren, ist ein wenig anders als die bei Ihnen zu Hause.“

„Man hat mir gesagt, Sie seien hier der Beste auf Ihrem Gebiet, Doktor. Ich möchte, dass Captain Hamilton sein Bein behält. Verraten Sie mir Ihr Geheimnis.“

„Ich würde eine schulmedizinische Behandlung mit alternativen Methoden kombinieren. Hier in Peru nutzen wir die Erkenntnisse der Homöopathie. Wenn ich den Captain hier behalten könnte, würde ich also einen unserer Homöopathen hinzuziehen. Außerdem würde ich dem Patienten physikalische Therapie und Massage verordnen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Sie haben mich gefragt.“

„Allerdings. Danke, Doktor.“

„Möchten Sie eine Überweisung an einen meiner nordamerikanischen Kollegen, der ein Jahr lang hier mit mir an derartigen Fällen gearbeitet hat?“

Morgan erwiderte das amüsierte Lächeln des Peruaners. „Gern. Wen schlagen Sie vor?“

„Dr. Jonathan Briggs, einen Fachmann für Knochenerkrankungen in Arizona, der sich vor einigen Jahren bei uns weitergebildet hat. Er ist mit unseren Methoden vertraut und hat in Fällen wie diesem schon wahre Wunder vollbracht. Er arbeitet im Red Rock Hospital in Sedona, Arizona.“

„Dieser Dr. Briggs … wird er Ihre Methoden einsetzen?“

„Ja.“

„Ganz sicher?“

Dr. Del Prado lachte. „Dr. Briggs hat unsere Methoden entwickelt.“

Morgan strahlte. „Danke, Doktor. Ich werde dafür sorgen, dass Captain Hamilton in Dr. Briggs’ Klinik landet.“

„Gut. Sie können den Patienten jetzt sehen. Danach kommen Sie zu mir, und ich unterschreibe die Entlassungspapiere. Captain Hamilton liegt auf Zimmer 404.“

Morgan gab ihm die Hand und eilte zum Fahrstuhl.

Verdammt, dachte er. Wenn Hamilton sein Bein verliert, wird er das Marine Corps verlassen müssen …

Er kannte Hamiltons Personalakte fast auswendig, wie bei jedem, der für ihn arbeitete. Der Captain war erst siebenundzwanzig, hatte aber schon mit großem Erfolg an vielen Einsätzen hinter den feindlichen Linien teilgenommen. Eigentlich stand seine vorgezogene Beförderung zum Major an. Als Morgan im vierten Stock aus dem Fahrstuhl stieg, rümpfte er die Nase. Der antiseptische Geruch erinnerte ihn daran, wie oft er selbst in ausländischen Krankenhäusern Verwundungen auskuriert hatte.

Er schwor sich, Hamilton so schnell wie möglich in die Heimat zu schaffen. Möglichst zu Menschen, die ihn liebten und ihm Kraft geben würden. Als er die richtige Tür fand, öffnete er sie leise. Es war ein kleines Zimmer, ganz weiß, und die geschlossene Jalousie am einzigen Fenster tauchte es in ein deprimierendes Grau. Der junge Marine-Corps-Offizier lag mit geschlossenen Augen da. Sein rechtes Bein war eingegipst und hing in einer Schlaufe über dem Bett.

Morgan ging ans Fenster, zog die Jalousie auf und öffnete es einen Spalt weit. Frische Luft drang herein, zusammen mit einem Hauch von Autoabgasen. Hier oben klang das unaufhörliche Hupkonzert auf den Straßen Cuscos gedämpft.

Er drehte sich zu dem Patienten um. Als er ans Bett trat, zuckten die dunklen Wimpern, und die Lider hoben sich gerade weit genug, um grüne Augen mit riesigen schwarzen Pupillen erkennen zu lassen. Offenbar war Hamilton noch nicht vollständig aus der Narkose erwacht.

„Ganz ruhig, Captain Hamilton“, sagte Morgan. „Ich bin Ihr Kontakt, Morgan Trayhern. Als ich hörte, dass Sie den Einsatz überlebt haben, bin ich sofort hergeflogen.“ Behutsam legte er eine Hand auf die Schulter des Offiziers. „Willkommen im Land der Lebenden, mein Junge. Sie sind in Cusco und vor drei Stunden operiert worden. Wie fühlen Sie sich? Schmerzen?“

Thane starrte in das besorgte Gesicht seines hoch gewachsenen Besuchers. Die grauen Schläfen verrieten sein Alter, aber in dem perfekt sitzenden Nadelstreifenanzug mit der konservativen dunkelblauen Krawatte wirkte er fit und energisch. Es dauerte eine Weile, bis Thane begriff, was der Mann gesagt hatte, aber der warme Druck seiner Hand half ihm dabei.

Er öffnete den Mund. Der Gaumen fühlte sich trocken an, ausgedörrt wie die bolivianische Wüste.

„Durst?“

Thane nickte mühsam.

Morgan goss Wasser in einen Becher und steckte einen Strohhalm hinein. „Haben die Schwestern schon nach Ihnen gesehen?“

Gierig sog Thane an dem Halm. Sein Hals schien nicht richtig zu funktionieren, und das Schlucken fiel ihm schwer. Er flüsterte ein Dankeschön und fiel erschöpft aufs Kissen zurück.

„Kann mich … nicht erinnern … Sir“, krächzte er heiser und sah sich mit gerunzelter Stirn um. Ein dumpfes Pochen drang aus dem rechten Bein bis in die Hüfte. Was war los? Automatisch tastete er danach, und als sein Blick der Hand folgte, stellte er fest, dass es in einer Art Flaschenzug an der Decke hing. Er musste sich konzentrieren, bis ihm einfiel, warum sein Bein so dahing.

Vor seinen geschlossenen Augen lief die Endphase des Einsatzes noch einmal ab. Die Schüsse. Der Tod seiner Männer. Das Mädchen … Valerie. Und dann … das Gesicht einer Frau. Sie trug einen engen schwarzen Overall ohne jedes Abzeichen. Sie schien über ihm zu schweben und musterte ihn voller Besorgnis. Ein Hubschrauber … ja, er erinnerte sich an das Schwanken und Vibrieren. Und sein Bein … Irgendwo in seinem noch halb narkotisierten Kopf sah er eine andere Frau in Schwarz und hörte sie sagen, dass er sein Bein verlieren könnte. Nein! Die Panik vertrieb die Nebelschwaden, und er spürte das Adrenalin, das in seinen Kreislauf schoss und sein Herz schneller schlagen ließ.

„Ruhig, Junge …“

Thane riss die Augen auf. Das Bein saß noch am Körper. Oder nicht? Sein Atem ging jetzt heftiger. Entsetzt darüber, wie schwach er war, hob er den rechten Arm und zerrte am Laken, das sein Knie bedeckte.

„Sie haben Ihr Bein noch.“

Eine noch nie erlebte Erleichterung durchströmte ihn, und er ließ den Arm wieder sinken. Sein Bein konnte er nicht fühlen, nur das schmerzhafte Pochen, das daraus aufstieg. Er stöhnte auf und ballte die rechte Hand zur Faust.

„Mein Bein …“ Er spürte, wie Trayherns Hand sich fester um seine Schulter legte.

„Captain Hamilton, man hat mir berichtet, dass eine Boden-Luft-Rakete Sie knapp verfehlt hat. Sie sind hinter einem Felsen in Deckung gegangen, das Geschoss ist direkt davor explodiert. Ich bin sicher, Sie erinnern sich nicht daran … noch nicht.“

Er versuchte ruhiger zu werden. Seine Gedanken waren wie eine Herde Wildpferde auf der Ranch in Arizona, auf der er aufgewachsen war. Er konzentrierte sich auf den ernsten Mann namens Trayhern.

„Mein Bein? Was noch?“

„Die Ärzte machen sich wegen einer Infektion Sorgen …“

„Lassen Sie nicht zu, dass sie es amputieren …“

Erneut drückte Morgan die Schultern des Verwundeten und fühlte die Muskeln unter dem weißen Krankenhaushemd. Der Mann war topfit. Als Aufklärer im Marine Corps musste er das auch sein. „Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, Captain.“

Schlagartig setzte die Panik wieder ein. „Sie meinen … ich könnte es verlieren?“

Morgan hob die Hand. „Ich weiß es nicht, Captain. Ich muss telefonieren. Wenn ich zurückkomme, werde ich mehr wissen. Ich werde alles versuchen.“

„Ich werde mein Bein nicht verlieren … Sir“, flüsterte Thane. „Eher friert die Hölle zu, als dass ich mir das Bein abschneiden lasse …“

Morgan sah das gefährliche Glitzern in Hamiltons Augen. Die Pupillen wurden kleiner, die Miene trotzig. „Ich bin bald zurück“, sagte er leise.

Als Morgan Trayhern eine Stunde später wiederkam, war Thane bei vollem Bewusstsein. Die Schwester hatte ihm geholfen, sich aufzusetzen, und ihm etwas gegen die Schmerzen gegeben. Sein Blick zuckte immer zum rechten Bein. Vor fünfzehn Minuten hatte Dr. Del Prado ihm gesagt, dass die Chance, das Bein auf Dauer zu retten, denkbar gering war. Das machte Thane Angst. Große Angst.

Hoffnungsvoll sah er auf, als Morgan Trayhern das Krankenzimmer betrat. Der Mann war selbst einmal bei den Marines gewesen, und ein Marine ließ keinen Kameraden im Stich.

„Entspannen Sie sich, mein Junge“, begann Morgan. „Ich erzähle Ihnen jetzt, wie es weitergeht.“

Er sah die Hoffnung in Hamiltons Augen und bemühte sich, zuversichtlich zu klingen. „Ich werde Sie in meinem Jet nach Sedona in Arizona bringen. Vom Flughafen aus werden Sie direkt ins Red Rock Hospital gefahren. Dr. Briggs, der dortige Knochenspezialist, ist der Beste seines Fachs. Jedenfalls laut Dr. Del Prado.“ Er lächelte. „Ich habe gerade mit Dr. Briggs gesprochen, und er ist bereit, Ihre Behandlung zu übernehmen. Außerdem habe ich Ihre Mutter angerufen und ihr erzählt, dass Sie am Leben sind und nach Hause kommen. Im Red Rock Hospital gibt es einen ausgezeichneten physikalischen Therapeuten und in Sedona eine Homöopathin namens Rachel Donovan-Cunningham, die Sie ebenfalls betreuen wird. Dr. Briggs hat kein Problem damit, die Schulmedizin mit alternativen Methoden zu verbinden. Sobald wir dort eintreffen, wird er sich die Berichte und Röntgenbilder anschauen.“

Die Augen des jungen Offiziers weiteten sich vor Schreck. Obwohl Morgan den Grund dafür nicht kannte, fuhr er ruhig fort. „Dr. Briggs ist ein Spitzenmann. Ich wollte nicht, dass Sie in irgendein Militärhospital kommen. Sie waren im Auftrag meiner Behörde in Peru, deshalb bestimmen wir, wo Sie behandelt werden. Wir zahlen für alles, falls Sie sich deswegen Sorgen machen. Ich kümmere mich um meine Leute, Captain. Sie bekommen das Beste. Dass Sie zufällig aus Sedona stammen, ist ein glücklicher Zufall.“

Morgan lächelte. „Ihre Mutter freut sich schon darauf, Sie in ihrer Nähe zu haben. Noch kann niemand garantieren, dass Sie das Bein behalten werden. Aber ich weiß, wie wichtig die Familie und Freunde bei einem solchen Kampf sind. Sie sind bald wieder zu Hause.“

Wie vom Blitz getroffen lag Thane da. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Was zum Teufel sollte er jetzt tun? Er zerknüllte die Bettdecke zwischen den Fäusten, während der Schmerz mit jedem Herzschlag größer wurde. Zu Hause. Nicht gerade ein Begriff, bei dem er vor Freude jubelte. Und seine Mutter …

„Sir, bei allem Respekt … ich muss nicht nach Hause, um mein Bein zu behalten“, protestierte er heiser.

Morgan legte die Stirn in Falten. Er spürte, dass hier etwas nicht stimmte, und zögerte einen Moment.

„Captain, ich war selbst einmal schwer verwundet. Als ich wieder zu mir kam, lag ich in einem ausländischen Krankenhaus und war umgeben von Fremden, deren Sprache ich nicht verstand. Ich hatte niemanden. Keine Familie, keine Freunde. Ich weiß noch, wie einsam ich mich fühlte … wie ich nachts im Dunkeln weinte. Der Schmerz darüber war schlimmer als der von den Wunden. Ich wette, ich wäre schneller wieder gesund geworden, wenn ich von geliebten Menschen umgeben gewesen wäre.“

Thane schluckte schwer. Der Schmerz bohrte sich in sein Herz. Er wehrte sich dagegen. Vergeblich. „Es muss doch noch einen Knochenspezialisten in den USA geben. Oder etwa nicht, Sir?“

Morgan hörte die Verzweiflung in seiner Stimme und sah sie ihm an. „Dr. Briggs ist der Beste, und ich will Sie in seinen Händen wissen.“

Verdammt! „Ich würde lieber im Militärhospital in Camp Reed bleiben, Sir.“

Autor

Lindsay Mc Kenna
Lindsay McKenna führt ein unglaublich buntes, interessantes Leben und hat so viele Dinge gemacht und gesehen, dass es kein Wunder ist, dass ihre Romances zu den beliebtesten, meist gelesenen überhaupt gehören! Sie ist von indianischer Herkunft und glaubt fest daran, dass man sein eigenes Schicksal in die Hände nehmen muss,...
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