Das Glück wartet in Griechenland

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Amy erkennt ihn auf der Fähre zur griechischen Insel sofort: Dr. Nico Leonides, ihre einstige Liebe. Nie wieder wollte sie ihn sehen - zu spät! Sie ahnt, was jetzt passiert: Nico wird die Ähnlichkeit zwischen sich und ihrem achtjährigen Sohn Jacob bemerken. Und Fragen stellen …


  • Erscheinungstag 11.08.2019
  • Bandnummer 1
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749880
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Zu Hause in England schien es eine so gute Idee gewesen zu sein, doch jetzt war sie nicht mehr ganz so sicher. Was wäre, wenn etwas schiefging? Etwas, mit dem sie nicht gerechnet hatte? Sie musste vorsichtig sein, um nicht noch mehr Probleme zu schaffen.

Amy Prentice spürte ihre Besorgnis wachsen, während sie und ihr achtjähriger Sohn Jacob sich in die Warteschlange für die Fähre einreihten, die sie zu der kleinen griechischen Insel Constantis bringen sollte. Vor dem Abflug heute Morgen hatte noch alles völlig unkompliziert ausgesehen. Amy wollte mit Jacob auf Constantis Urlaub machen und ihm bei dieser Gelegenheit erzählen, dass sein Vater Grieche war. Im Augenblick wusste Jacob sehr wenig über seinen Vater. Nur dass dieser Arzt war und in Amerika arbeitete, weshalb sie ihn nie zu Gesicht bekamen. Bisher hatte Jacob das einfach hingenommen. Jedenfalls bis die Kinder in seiner Klasse angefangen hatten, ihn deshalb zu hänseln. Obwohl viele von ihnen auch aus einem Alleinerziehenden-Haushalt kamen, hatten die meisten doch zumindest etwas Kontakt zu dem jeweils anderen Elternteil. Jacob dagegen hatte seinen Vater nie kennengelernt, und das war Amys Schuld.

Nicolaus Leonides hatte seine Haltung vor neun Jahren unmissverständlich klargemacht. Er hatte kein Interesse an dem Kind gehabt, mit dem Amy schwanger gewesen war. Es war unwahrscheinlich, dass er seine Meinung mittlerweile geändert hatte, nicht nach all dem, was sie über ihn gelesen hatte. Nico hatte alles erreicht, was er sich damals vorgenommen hatte, und er war einer der besten Schönheitschirurgen der Welt. Der Name Nicolaus Leonides stand für Perfektion, nur Leute mit sehr viel Geld konnten sich eine Behandlung in seiner Klinik in Kalifornien überhaupt leisten.

Nein, Nico würde sich sicher nicht für Jacobs Probleme interessieren, selbst wenn Amy bereit gewesen wäre, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Das hatte sie jedoch nicht vor. Auf die Insel zu fahren, auf der Nico einen Großteil seiner Kindheit verbracht hatte, schien ihr die beste Möglichkeit zu sein, um Jacob eine Vorstellung von der Herkunft seines Vaters zu geben. Also warum fühlte sie sich auf einmal so unsicher? Wegen des schweren Koffers blieb sie ein wenig zurück. Jacob, der die Gangway bereits hinaufgerannt war, blieb stehen, als er merkte, dass sie ihm nicht folgte.

„Beeil dich, Mum! Sonst verpasst du die Fähre!“, rief er.

Amy seufzte. Diese Reise hatte ihm einen dringend benötigten Auftrieb geschenkt, und es war schön, ihn mal wieder so fröhlich zu sehen. Wenn sie ihm jetzt verkündete, dass sie doch nicht auf die Insel fahren würden, wäre er garantiert bitter enttäuscht. Als Stationsschwester in der Notaufnahme im Dalverston General Hospital waren ihre Arbeitstage so lang, dass sie ihren Sohn viel zu selten sah. Diese Reise sollte auch eine Chance sein, Zeit mit ihm zu verbringen.

Amy holte tief Luft, ehe sie den großen Koffer über die Gangway hievte. Nachdem sie schon so weit gekommen waren, konnte sie jetzt nicht einfach aufgeben. Wieso sollte es schwierig werden? Schließlich bestand keine Gefahr, Nico zu begegnen. Er war Tausende von Kilometern weit weg und häufte noch mehr Dollars auf seine ohnehin schon prall gefüllten Konten.

Nico begann zu rennen. Die letzten Passagiere waren bereits an Bord der Fähre gegangen, und die Crew bereitete sich auf das Ablegen vor. Die nächste Fähre fuhr erst morgen wieder, aber Nico wollte auf keinen Fall auf dem Festland übernachten. Morgen früh hatte er eine offene Sprechstunde, die immer gut besucht war. Er durfte seine Patienten nicht im Stich lassen.

Mit einem schnellen Spurt gelang es ihm gerade noch an Bord zu springen, als die Besatzung das letzte Tau löste. Die älteren Männer tadelten ihn, und Nico nickte entschuldigend. Vermutlich hätte er das Risiko nicht eingehen sollen, aber es fühlte sich so gut an, zu wissen, dass er für solche Aktionen wieder fit genug war. Nach seinem Herzinfarkt vor drei Jahren hatte er geglaubt, derartige Dinge wären ein für alle Mal vorbei. Und dass er von da an nur noch ein langweiliges Leben führen würde. Es hatte eine Weile gedauert, bis Nico sich an den Gedanken seiner eigenen Sterblichkeit gewöhnt hatte. Aber dann hatte er gemerkt, dass er das Leben durchaus noch genießen konnte, solange er vernünftig mit seinen Kräften umging.

Er hatte seinen Lebensstil geändert, angefangen mit dem größten Problem von allen: dem ständigen Stress, den er sich zumutete. Eine erfolgreiche Praxis in Kalifornien aufzubauen war Nicos ganzer Lebensinhalt gewesen. Er hatte achtzehn Stunden am Tag gearbeitet und seine gesamte Freizeit damit verbracht, neue Kontakte zu knüpfen. Doch sein Kardiologe hatte ihm deutlich gemacht, dass dies nicht mehr möglich war. Jedenfalls nicht, wenn Nico einen weiteren Herzinfarkt vermeiden wollte.

Er hatte seine Praxis verkauft, war nach Griechenland zurückgezogen und hatte sich ein Jahr Auszeit genommen, um herauszufinden, was er mit dem Rest seines Lebens anfangen sollte. Es war nicht leicht gewesen, sich irgendetwas anderes vorzustellen als das, was er in den vergangenen zwanzig Jahren getan hatte. Es war ihm schwergefallen, ein neues Ziel zu finden. Eines Tages hatte er einen Ausflug nach Constantis unternommen, zu der kleinen Insel, auf der er und seine Schwester so viele schöne Ferien bei den Großeltern verbracht hatten. Zu seinem Erstaunen hatte Nico festgestellt, dass er genau dort leben wollte.

Zu dem Zeitpunkt gab es keinerlei medizinische Versorgung auf der Insel. Wer krank wurde, musste zur Behandlung mit der Fähre aufs Festland fahren. Nico hatte sich bei der griechischen Gesundheitsbehörde gemeldet, die durchaus von seiner Idee angetan war, eine Klinik für Allgemeinmedizinische Versorgung mit zehn Betten zu bauen. Nach langen Verhandlungen hatte er endlich die Genehmigung dafür bekommen – hauptsächlich weil er bereit gewesen war, die Finanzierung selbst zu übernehmen. Ein Jahr war es nun her, dass die Ariana-Leonides-Klinik eröffnet worden war, und sie hatte mittlerweile regen Zulauf.

Während Nico über das Deck ging, lächelte er mehreren Leuten zu, die er kannte. Obwohl er zehn Mitarbeiter in der Klinik beschäftigte, war er den Inselbewohnern gut bekannt, und er musste zugeben, dass ihm dieser Teil seiner Arbeit gefiel. In Kalifornien hatte er ein aktives gesellschaftliches Leben geführt. Doch die zahlreichen Einladungen, die er erhalten hatte, waren vor allem auf seinen Status zurückzuführen gewesen. Sein Name auf der Gästeliste galt bei den jeweiligen Gastgeberinnen als besonders prestigeträchtig. Etwas, womit man glänzen konnte. Nico war reich und erfolgreich, nur das zählte.

Ein plötzlicher Tumult veranlasste ihn, sich umzudrehen. Fahrgäste drängten sich um die Reling, und als Nico sich einen Weg durch die Menge bahnte, erblickte er ein Mädchen, das auf dem Deck lag. Ihrer Kleidung nach zu schließen, war sie Touristin. Jeans-Hotpants und ein ebenso knappes Top. Das Mädchen schien bewusstlos zu sein.

Ein junger Mann kniete neben ihr, er schaute panisch zu Nico auf. „Ich weiß nicht, was passiert ist. Sie hat mit dem Handy Fotos gemacht, und dann ist sie einfach zusammengebrochen!“

„Kommt es öfter vor, dass sie ohnmächtig wird?“ Nico hockte sich neben das Mädchen.

„Ich hab keine Ahnung! Wir kennen uns erst einige Tage“, erklärte der junge Mann.

„Verstehe. Wie heißt sie?“ Nico prüfte den Puls des Mädchens, der extrem schnell war.

„Jane.“ Der Junge schluckte. „Sie kommt aus Australien, aber woher genau, weiß ich nicht. Wie gesagt, wir haben uns erst vor ein paar Tagen getroffen. Wir waren die meiste Zeit feiern.“

Nico seufzte. Das Pärchen hatte vermutlich getrunken und möglicherweise auch Drogen konsumiert. In letzter Zeit hatte er mehrfach solche Fälle behandelt. Das Schwierigste daran war, die Jugendlichen dazu zu bringen, ihm zu erzählen, was sie genommen hatten. Nur dann konnte er sie richtig behandeln.

Nico stand auf und zog den jungen Mann beiseite. „Hat sie irgendwas genommen? Ich bin Arzt, du musst mir sagen, ob sie Drogen genommen hat. Sonst kann ich ihr nicht helfen.“

„Nein, nein, das ist es nicht“, protestierte der Junge.

Doch Nico merkte, dass er log. Sein Tonfall wurde hart. „Es geht hier nicht um dich. Falls Jane Drogen konsumiert hat, muss ich es wissen. Ohne die korrekte medizinische Behandlung könnte sie sterben.“

„Ich weiß nichts von irgendwelchen Drogen!“, sagte der junge Mann unwirsch. Dann wandte er sich plötzlich ab und verschwand in der Menge.

Mit einem gedämpften Fluch kniete Nico sich wieder neben das Mädchen. Er konnte dem Jungen nicht folgen, er musste bei seiner Patientin bleiben. Er rollte sie in die stabile Seitenlage, da er davon ausging, dass sie irgendein Betäubungsmittel eingenommen hatte und sich womöglich erbrechen würde. Sie war glühend heiß und ihre Atmung flach, was seine Theorie bestätigte, dass eine Überdosis Drogen der Grund für ihren Zusammenbruch war.

„Meine Mummy ist Krankenschwester“, hörte er da eine kindliche Stimme. „Sie kann helfen, die Frau wieder gesund zu machen. Soll ich sie holen?“

Als Nico aufschaute, sah er einen Jungen, der ihn aufmerksam beobachtete. Er hatte hellbraunes Haar und dunkelbraune Augen. Er kam Nico seltsam bekannt vor.

Rasch schob er den Gedanken beiseite und lächelte dem Kind zu. „Ja, gern. Ein bisschen Hilfe könnte ich gut gebrauchen.“

Der Kleine nickte und eilte davon. Erneut prüfte Nico Puls und Atmung des Mädchens. Es hatte sich nichts verändert, aber zum Glück auch nicht verschlechtert.

„Jacob hat gesagt, dass Sie Hilfe brauchen.“

Eine klare Stimme drang durch das aufgeregte Stimmengewirr, und Nicos Herz schien auf einmal stillzustehen. Gegen das gleißende Sonnenlicht blinzelnd, sah er hoch. Das kann nicht sein, dachte er, als sein Blick auf die schlanke Gestalt fiel, die neben ihm stand. Nicht hier, nicht jetzt, ausgerechnet auf dieser Fähre. Es war ein zu großer Zufall, als dass das Schicksal sie nach so langer Zeit wieder zusammengeführt hätte.

„Du!“, stieß sie leise hervor.

Nico richtete sich auf. Es gab nur sehr wenige Dinge in seinem Leben, die er bereute. Er hatte immer gewusst, was er wollte und wie er es erreichen konnte. Alle seine Entscheidungen waren genau durchdacht. Bis auf eine. Er hatte nie geplant, dass sie schwanger werden würde.

„Amy.“ Ihr Name kam ihm so leicht über die Lippen, dass es ihn erschreckte. Obwohl er sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte, war die Erinnerung sofort wieder da. Rasch ließ er den Blick über sie gleiten: das hellbraune, schulterlange Haar, die leuchtend grünen Augen, die Rundungen ihres schlanken Körpers. Verblüfft stellte Nico fest, dass sie keinen Tag älter wirkte als damals.

„Weißt du, was mit ihr los ist?“

Ihre Frage brachte ihn auf den Boden der Tatsachen zurück. Er hockte sich wieder zu dem Mädchen. „Ich vermute, eine Rauschgiftüberdosis.“ Mit einem Nicken wies er auf den Rucksack des Mädchens. „Kannst du mal da reingucken und schauen, ob du irgendwas findest? Etwas, das uns einen Hinweis darauf gibt, was sie genommen hat?“

„Klar.“ Amy kniete sich hin und öffnete den Rucksack, wobei sie sich bemühte, das Zittern ihrer Hände zu unterdrücken. Nico so zu begegnen war ein Schock, und es fiel ihr schwer, die Fassung zu bewahren. Aber das musste sie, wegen Jacob. Auf gar keinen Fall konnte er jetzt erfahren, dass dieser Mann sein Vater war!

Sie durchsuchte den Inhalt des Rucksacks. T-Shirts, Unterwäsche und Kosmetik-Utensilien, das Übliche. Doch dann, ganz unten am Boden, fand sie, wonach sie suchte.

Amy hielt die kleine Glasflasche hoch. „Liquid Ecstasy, wenn ich mich nicht täusche. Die Flasche ist halb voll, aber es lässt sich natürlich nicht feststellen, wie viel davon sie heute genommen hat.“

„Gut“, sagte Nico grimmig. „Dann wissen wir wenigstens, womit wir es zu tun haben. Obwohl es keine Garantie dafür ist, dass wir ihr helfen können.“

Amy nickte. Liquid Ecstasy war bei Studenten sehr beliebt. Selbst eine kleine Dosis konnte eine stark sedative Wirkung haben, und zusammen mit Alkohol war das Zeug extrem gefährlich. Oft führte es zu Bewusstlosigkeit oder sogar zum Tod. Um überhaupt eine Chance zu haben, musste das Mädchen sofort behandelt werden.

„Was ist das, Mummy? Medizin, damit die Frau wieder gesund wird?“

Amy versuchte, sich ihre Bestürzung nicht anmerken zu lassen, dass Jacob die Szene miterlebt hatte. Er war erst acht, und sie wollte ihn so lange wie möglich vor solchen Dingen bewahren. Ehe sie antworten konnte, kam Nico ihr schon zuvor.

„Das ist keine Medizin. Medizin hilft den Menschen, wieder gesund zu werden, aber das hier ist etwas ganz anderes“, erklärte er ruhig. „Etwas, das sie nicht hätte nehmen sollen.“

„Ach, Sie meinen Drogen.“ Jacob nickte verstehend. „In der Schule haben sie uns was darüber erzählt. Ich weiß nicht, warum Leute so was nehmen, wenn sie davon krank werden. Und Sie?“

„Nein, ich auch nicht.“ Nico lächelte den Jungen an, und Amy drehte sich vor Angst fast das Herz um. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden war in diesem Moment so eindeutig, dass sie kaum glauben konnte, dass es Nico nicht auffiel. Obwohl Jacob genauso hellbraunes Haar hatte wie sie, hatte er doch Nicos dunkle Haut und seine dunkelbraunen Augen geerbt. Sogar seine Nase war eine Miniaturausgabe von Nicos Nase: absolut pfeilgerade. Nur mit Mühe beherrschte sie sich, um nicht sofort mit Jacob zu verschwinden und ihn zu verstecken, damit Nico niemals erriet, dass der Kleine sein Kind war. Einen so wunderbaren Sohn wie Jacob hatte er nicht verdient. Nicht nach dem, was er nach Amys Fehlgeburt gesagt hatte.

„Es ist am besten so“, hatte er in kaltem Ton festgestellt, als sie ihm erzählte, dass sie das Baby verloren hatte. Sie hatten schließlich nie ein Kind geplant, und die Fehlgeburt machte es einfacher.

Auch wenn Amy von Anfang gewusst hatte, wie wenig erfreut Nico über ihre Schwangerschaft war, verletzte es sie zutiefst.

Sie waren einander in dem Krankenhaus begegnet, in dem Amy das letzte Jahr ihrer Schwesternausbildung absolvierte. Das Krankenhaus galt als Spitzenforschungszentrum auf dem Gebiet der Plastischen Chirurgie, Nico hatte dort damals eine Facharzt-Stelle. Eines Abends hatten beide an einer Spendengala teilgenommen, und Amy, die buchstäblich mit Nico zusammengestoßen war, hatte ihm dabei ihren Drink über sein Jackett gekippt. Es war ihr entsetzlich peinlich gewesen, doch Nico hatte erstaunlich gelassen reagiert. Er hatte ihre Entschuldigungen beiseitegewischt und darauf bestanden, ihr einen neuen Drink zu holen. Sie waren miteinander ins Gespräch gekommen, und danach hatte eins zum andern geführt. Zwei Monate später war Amy sehr verliebt gewesen und hatte gehofft, er würde genauso empfinden. Doch seine Reaktionen auf ihre Schwangerschaft und dann auf die Fehlgeburt machten ihre Hoffnungen zunichte. Ihr wurde klar, dass sie für Nico nur ein nettes kleines Zwischenspiel darstellte. Eine Frau, mit der er seine Zeit verbringen konnte, solange er sich in London aufhielt. Ganz sicher hatte er nicht die Absicht, sich fest an sie zu binden, mit oder ohne Kind.

Amy hatte die Beziehung schließlich beendet. Sie konnte es einfach nicht mehr ertragen, mit ihm zusammen zu sein, nachdem sie wusste, wie wenig sie ihm bedeutete. Sie erzählte ihm nichts, als sie zwei Monate später feststellte, dass sie noch immer schwanger war. Es war eine Zwillingsschwangerschaft gewesen, und sie hatte nur eines der Babys verloren. Als sie es erfuhr, hatte Nico London bereits verlassen und war nach Los Angeles gezogen, um seine Karriere weiter zu vervollkommnen. Vermutlich hätte sie ihn ausfindig machen können, wenn sie es versucht hätte. Doch wozu? Nico hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass er weder sie noch ihr gemeinsames Kind wollte.

Wahrscheinlich würde er uns auch jetzt nicht wollen, dachte Amy voller Bitterkeit. Sie musste vorsichtig sein. Sie selbst war über ihr gebrochenes Herz hinweggekommen, aber auf keinen Fall würde sie zulassen, dass Jacob dasselbe passierte wie ihr. Tief atmete sie durch. Sie durfte jetzt nicht in Panik geraten, sondern musste alles tun, was in ihrer Macht stand, damit Nico nicht herausfand, dass Jacob sein Sohn war!

2. KAPITEL

Über das Funkgerät der Fähre rief Nico in der Klinik an, und als sie in dem kleinen malerischen Hafen von Constantis anlegten, wartete bereits ein Krankenwagen. Nico überwachte den Transfer persönlich, das Mädchen musste so schnell wie möglich ins Krankenhaus gebracht werden. Sie war immer noch bewusstlos, und je länger ihre Bewusstlosigkeit andauerte, desto höher wurde das Risiko, dass sie sich nicht mehr davon erholen würde.

Sobald der Krankenwagen unterwegs war, ging Nico zu seinem Auto. Er hielt jedoch inne, als er sah, wie Amy und das Kind von der Fähre kamen. Er konnte nicht einfach wegfahren, ohne sich wenigstens bei ihr zu bedanken, schließlich waren sie sich nicht fremd. Hitze floss durch seine Adern, als er an die Zeit dachte, die sie in London zusammen verbracht hatten. Obwohl es schon Jahre her war, erinnerte er sich nur allzu deutlich daran, wie er sich gefühlt hatte, wenn sie miteinander geschlafen hatten. Amy hatte ihn auf eine Weise berührt wie keine andere Frau jemals zuvor.

Der Gedanke erschreckte und beunruhigte ihn, er löste alle möglichen seltsamen Dinge in ihm aus, was sonst nie vorkam. Nico hatte schon früh gelernt, seine Gefühle zu beherrschen, und er zog es vor, sie möglichst zu verbergen. Sein jetziger Gefühlsaufruhr war ihm unangenehm, und er tat sein Bestes, um sich wieder in den Griff zu kriegen. Die Sache mit Amy war längst Vergangenheit, und seitdem war eine Menge passiert. Sein Blick ging zu dem Jungen an ihrer Seite, und er presste den Mund zusammen. Wie alt mochte der Junge sein? Acht? Neun? So oder so war das Kind der beste Beweis dafür, dass Amy keine Zeit verschwendet hatte, um sich über ihn hinwegzutrösten.

Während er zu den beiden hinüberging, zwang Nico sich zu einem Lächeln, was ihm schwerer fiel als gedacht. Dass Amy ihn so schnell durch einen anderen Mann ersetzt hatte, störte ihn komischerweise. Er dachte an ihren Kummer nach der Fehlgeburt. Ob das wohl ein wesentlicher Auslöser dafür gewesen war? Wollte sie nicht nur ihn, sondern auch das Kind ersetzen, das sie verloren hatte? Einerseits erschien ihm dies plausibel, andererseits konnte er es nicht recht glauben. Amy war keine Frau, die so ohne Weiteres von einem Mann zum nächsten sprang.

„Danke für deine Hilfe.“ Er schaute auf den Koffer, der neben ihr stand. „Ich nehme an, ihr wollt auf der Insel bleiben?“

„Ja. Wir wohnen im Hotel Marina, direkt am Strand. Wir freuen uns schon sehr darauf, stimmt’s, Jacob?“ Lächelnd sah sie den Jungen an, obwohl Nico merkte, dass ein Schatten über ihre Züge flog. Fast so etwas wie Angst.

„Es wird euch hier bestimmt gefallen“, sagte Nico höflich. „Meine Schwester und ich haben als Kinder viele schöne Ferien hier verbracht.“

„Bist du deshalb hier?“, fragte Amy. „Um Urlaub zu machen?“

„Nein. Ich habe vor einem Jahr eine Klinik auf der Insel eröffnet und lebe jetzt hier“, erwiderte er.

„Wirklich?“

„Ja.“ Er zuckte die Achseln. „Ich habe großes Glück, an einem so schönen Ort wohnen und arbeiten zu können.“

„Das stimmt. Obwohl ich vermute, das ist nicht der Hauptgrund dafür, dass du hier eine Klinik aufgebaut hast.“ Sie lachte, wobei ein verächtlicher Unterton in ihrer Stimme mitschwang. „Zweifellos ist es der ideale Standort, um den lukrativen europäischen Markt zu erschließen. Ich bin sicher, dass es in ganz Europa einen großen Bedarf für kosmetische Eingriffe gibt. Und eine Reise nach Griechenland geht viel schneller als eine Reise in die USA.“

„In der Ariana-Leonides-Klinik werden keine kosmetischen Operationen angeboten. Die Klinik bietet Einheimischen und Touristen eine medizinische Grundversorgung.“ Auf Amys überraschten Blick hin fügte Nico hinzu: „Wir haben auch eine Station mit zehn Betten für kleinere Operationen.“

„Das wusste ich nicht.“ Achselzuckend fuhr sie fort: „Das klingt ganz anders als das, was ich erwartet hätte. Aber wir haben uns ja auch schon lange nicht mehr gesehen. Da gab es sicher einige Veränderungen in deinem Leben.“

„Genau wie in deinem.“ Er warf dem Jungen einen Blick zu.

„Allerdings.“ Amy lächelte flüchtig, doch wieder huschte dieser ängstliche Ausdruck über ihr Gesicht. Dann nahm sie den Koffer in die Hand. „Aber ich will dich nicht aufhalten. Du möchtest dich sicher um deine Patientin kümmern. Es war schön, dich wiederzusehen, Nico. Mach’s gut.“

Damit ging sie zum Taxistand hinüber. Auf der gesamten Insel gab es nur drei Taxis, und eines davon war zufällig gerade frei. Nico beobachtete, wie sie Aristoteles, dem Fahrer, ihren Koffer reichte, ehe sie mit dem Jungen einstieg. Mit aufheulendem Motor raste der Wagen davon, und plötzlich wünschte Nico sich, er hätte ein Treffen mit Amy vereinbart. Obwohl es verrückt war, spürte er eine Art Verlust, als das Taxi um die Landspitze bog.

Kopfschüttelnd versuchte er, dieses seltsame Gefühl loszuwerden. Er stieg in sein Auto und startete den Motor. Er hatte alles, was er brauchte und wollte. Vor langer Zeit hatte er sich entschieden, nie eine langfristige Beziehung einzugehen. Dazu war er seinem Vater viel zu ähnlich. Zwar hatte Nico seit seinem Herzinfarkt vieles in seinem Leben verändert, aber im Grunde war er immer noch derselbe Mensch wie vorher. Man konnte seiner genetischen Veranlagung nicht entgehen. Nein, sich auf eine Beziehung mit Amy einzulassen kam nicht infrage. Selbst wenn sie interessiert wäre, was er sehr bezweifelte.

Nico hatte niemals vorgehabt, eine eigene Familie zu gründen, er wollte keinem Kind ein solches Elternhaus zumuten, wie er es erlebt hatte. Er war bestürzt gewesen, als Amy ihm von ihrer Schwangerschaft erzählt hatte. Ständig musste er daran denken, wie er sich in seiner Kindheit als Sohn von Christos Leonides gefühlt hatte. Obwohl sein Vater auch heute noch in der Geschäftswelt große Achtung genoss, kannten nur wenige Leute seine wahre Persönlichkeit.

Christos Leonides war ein kalter, skrupelloser Mann, dessen Geschäftsinteressen immer an oberster Stelle standen und der nicht das geringste Interesse für seine Frau und seine Kinder zeigte. Obwohl weder Nico noch seine Schwester Electra jemals körperlich misshandelt worden waren, hatten sie dennoch psychische Narben von der Gleichgültigkeit ihres Vaters davongetragen. Als ihre Mutter noch lebte, hatte sie ihr Bestes getan, um diesen Mangel auszugleichen. Doch das Verhalten seines Vaters hatte die beiden Geschwister nachhaltig geprägt, vor allem Nico. Electra schien ihre Vergangenheit überwunden zu haben, sie hatte geheiratet und ihre eigene Familie gegründet. Nico hingegen war nicht imstande, sich von seiner Befürchtung zu befreien, dass er genauso werden könnte wie sein Vater.

Er war erleichtert gewesen, als er von Amys Fehlgeburt erfahren hatte, auch wenn ein Teil von ihm das verlorene Kind betrauerte. Nico war so sehr erschüttert darüber, dass er es unter einer Maske aus Desinteresse verbarg. Es tat ihm leid, wie sehr er Amy damit verletzt hatte. Sie hatte eine der schlimmsten Erfahrungen erlitten, die einer Frau zustoßen konnten, und durch seine vorgetäuschte Gleichgültigkeit hatte er es noch schlimmer gemacht.

Ihm war das Herz schwer, als er zur Klinik fuhr. Nico bereute nicht viele Dinge in seinem Leben, aber das gehörte definitiv dazu.

Nachdem Amy ausgepackt und den Koffer in einer Ecke verstaut hatte, schaute sie sich in dem kleinen, weiß getünchten Hotelzimmer um. Allmählich ließ ihre Anspannung nach. Die Begegnung mit Nico war ein Schock gewesen, den sie jedoch relativ gut verkraftet hatte. Sie fühlte sich nicht viel anders als sonst auch. Nur dass ihr Herz etwas schneller schlug.

Autor

Jennifer Taylor
Jennifer Taylor ist Bibliothekarin und nahm nach der Geburt ihres Sohnes eine Halbtagsstelle in einer öffentlichen Bibliothek an, wo sie die Liebesromane von Mills & Boon entdeckte. Bis dato hatte sie noch nie Bücher aus diesem Genre gelesen, wurde aber sofort in ihren Bann gezogen. Je mehr Bücher Sie las,...
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