Das Herz des griechischen Milliardärs

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GLÜHENDE KÜSSE UNTER GRIECHISCHER SONNE

Wie ein griechischer Gott sieht Akis Giannopoulos mit seinem athletischen Körper aus. Doch auch wenn sein Überraschungskuss verzehrende Leidenschaft in Raina weckt, muss sie ihm widerstehen. Zu groß ist ihre Angst, verletzt zu werden, wenn er erfährt, wer sie wirklich ist …

VERFÜHRT UNTER GRIECHISCHEN STERNEN

Der gut aussehende griechische Millionär Vasso Giannopoulos ist der faszinierendste Mann, der Zoe je begegnet ist. Doch während sie sich nach einer Nacht in seinen Armen eingesteht, dass sie unrettbar ihr Herz an ihn verloren hat, scheint er nur Mitleid für sie zu empfinden, oder?

VERFÜHRUNG ÜBER DEN WOLKEN

Ist sie tatsächlich so unschuldig, wie ihr Lächeln wirkt? Gage darf sich nicht blenden lassen. Denn Lauren ist die Halbschwester seines besten Freundes Trent Hightower und hat es offenbar auf das Geld der Familie abgesehen! Um die Wahrheit ans Licht zu bringen, hat Gage sie als Pilotin engagiert. Aber ihre blauen Augen, die vollen Lippen, die erregenden Kurven … In dem schwarzen Lederrock sieht sie einfach atemberaubend sexy aus. Vielleicht fliege ich mit ihr in den siebten Himmel der Leidenschaft, denkt Gage - und ahnt nicht, dass Lauren sich genau das verboten hat …

KOMM HER UND KÜSS MICH

... und halt mich ganz fest in deinen Armen, wünscht sich Alice, als sie Kyros wiedersieht. Nicht etwa, weil der faszinierende Grieche sie mit Luxus verwöhnt: Sie hat ihn immer geliebt. Fast hofft sie auf ein Happy End - da erfährt sie etwas, das all ihre Illusionen zerstört ...


  • Erscheinungstag 26.09.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733727321
  • Seitenanzahl 576
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Emilie Rose, Rebecca Winters, Sharon Kendrick

Das Herz des griechischen Milliardärs

Emilie Rose

Verführung über den Wolken

IMPRESSUM

BACCARA erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Brieffach 8500, 20350 Hamburg
Telefon: 040/347-25852
Fax: 040/347-25991

© 2009 by Emilie Rose Cunningham
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1608 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Roswitha Enright

Fotos: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format im 12/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86295-583-1

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

1. KAPITEL

Schon wieder.

Wütend stieß Lauren die Luft aus und drückte den Fahrstuhlknopf für das oberste Stockwerk. Immer wenn ihr Halbbruder nach ihr verlangte, war ihr, als würde sie zum Direktor ihrer Schule befohlen, weil sie irgendetwas ausgefressen hatte. Dabei hatte sie früher nie den Mut gehabt, unangenehm aufzufallen.

Trent wollte sie los sein, das hatte er bereits mehr als deutlich gemacht. Eigentlich schon, seit ihre gemeinsame Mutter ihn sechs Wochen zuvor dazu gezwungen hatte, sie, Lauren, als Pilotin für die Hightower Aviation Management Corporation einzustellen. Die Mutter hatte als Präsidentin des Vorstands und Hauptaktionärin darauf bestehen können.

Trent konnte sie nicht entlassen, aber er hatte sämtliche Mittel angewandt, um sie dazu zu bringen, von sich aus zu kündigen. Es machte ihm offenbar Freude, ihr die Aufgaben zu geben, die niemand sonst übernehmen wollte, die anstrengendsten Kunden, die Nachtflüge und die miesesten Flugplätze. Wahrscheinlich hatte er sich heute wieder etwas besonders Unangenehmes für sie ausgedacht. Aber er würde schon noch merken, dass ihr nichts zu schwierig war.

Der Fahrstuhl hielt im zweiten Stock, und zwei Frauen in maßgeschneiderten Kostümen stiegen zu. Ihre Dienstmarken wiesen sie als Angestellte der HAMC aus. Beide musterten Lauren abschätzig von oben bis unten, sodass sie beinahe wünschte, sie hätte ihre Pilotenuniform angezogen. Aber im Rock konnte sie schließlich nicht auf ihrer Harley fahren. Vielleicht hatte ihr Bruder diesen beiden Frauen sogar nahegelegt, Lauren das Berufsleben schwer zu machen, aber so schnell war sie nicht einzuschüchtern.

Noch nie war sie jemandem begegnet, der sie hasste. Und nun waren nicht nur die Angestellten ausgesprochen kühl zu ihr. Auch drei ihrer vier Halbgeschwister schienen sich zu wünschen, dass sie einfach verschwinden würde. Eigentlich konnte man ihnen das nicht einmal verübeln. Lauren war schließlich der lebende Beweis für die Untreue der Mutter. Jacqueline Hightower war es gelungen, dieses peinliche kleine Geheimnis namens Lauren fünfundzwanzig Jahre lang in einem anderen Teil der USA zu verstecken.

Der Fahrstuhl hielt im neunten Stock, die Tür glitt auf, und die beiden Frauen stolzierten hinaus. Als die Fahrstuhltüren sich wieder schlossen, hätte Lauren am liebsten den Knopf für das Erdgeschoss gedrückt. Vielleicht sollte sie zurück nach Florida gehen und ihre neue Familie vergessen. Aber leider waren die Hightowers die einzigen Verwandten, die sie noch hatte. Sie musste sich zusammenreißen, der Erinnerung an ihren verstorbenen Vater zuliebe. Er war Pilot bei Falcon Air gewesen, und sie wollte unbedingt herausfinden, was es mit seinem Tod auf sich hatte. Dahinter steckte ein Geheimnis, und das konnte nur ihre Mutter aufklären.

Hatte er sich umgebracht, oder war der Absturz ein Unfall gewesen? Ihre Mutter hatte als Letzte mit ihm gesprochen. Wenn er etwas so Entsetzliches vorgehabt hätte, dann hätte er Jacqui, wie er Jacqueline immer genannt hatte, doch irgendwelche Hinweise gegeben. Aber Jacqui schwieg.

Lauren wollte nicht glauben, dass ihr Vater sich das Leben genommen hatte, aber die Alternative sah noch schlimmer aus. Sie selbst hatte ihm bei der Entwicklung und dem Bau des kleinen Flugzeugs geholfen, mit dem er abgestürzt war. Wenn das Unglück passiert war, weil ein Teil der Ausrüstung versagt hatte, dann war sie mitschuldig an seinem Tod.

Kummer und Schuldgefühle machten ihr das Herz schwer. Dennoch hob sie den Kopf und straffte die Schultern. Die Fahrstuhltüren glitten auseinander, und Lauren trat auf die Vorstandsetage hinaus. Ein paar Mal atmete sie tief durch, um sich auf eine unerfreuliche Begegnung vorzubereiten.

Das tue ich nur für dich, Daddy.

Sie legte die Lederhandschuhe in den Motorradhelm. Die Absätze ihrer derben Stiefel versanken in dem weichen Teppich, auch das ein Zeichen, dass sie nicht mehr in Daytona war. Dieser luxuriöse Wolkenkratzer hatte absolut nichts mit dem zugigen Hangar und dem kalten Zementboden in Florida gemein, wo sie aufgewachsen war.

Während sie den Reißverschluss ihrer Jacke aufzog, ging sie mit einem strahlenden Lächeln auf die „Sphinx“ zu, wie sie die Chefsekretärin insgeheim nannte. Wenn sie es doch nur schaffen könnte, deren Gesichtsausdruck ein einziges Mal zu verändern! Aber auch diesmal hatte sie damit keinen Erfolg. Die Sphinx könnte sich ihren Lebensunterhalt glatt mit Poker verdienen.

„Hallo, Becky. Der Chef hat nach mir verlangt.“ Becky – was für ein warmer, freundlicher Name für eine so kalte Person.

Mit tadelnd hochgezogenen Brauen sah Becky auf ihre Uhr. „Ich werde ihm sagen, dass Sie endlich da sind.“

Lauren biss sich auf die Zunge. Trent sollte froh sein, dass sie überhaupt gekommen war. Aber sie bemühte sich, zuvorkommend zu sein.

Kurz warf sie einen Blick auf das luxuriöse Blumenarrangement auf dem Sideboard. Wahrscheinlich hatte das genauso viel gekostet wie der Sprit, den ein Jet benötigte, um eine Stunde zu fliegen. Was für eine Geldverschwendung.

„Sie können jetzt hineingehen.“

Wie formell hier alles ablief. Zu Hause bei Falcon Air hatte Lauren einfach kurz an die Bürotüren ihres Vaters und Onkel Lous geklopft, wenn sie die beiden sprechen wollte. Sie hatten schließlich keine Geheimnisse voreinander gehabt. Zumindest hatte Lauren das immer geglaubt.

„Danke.“ Sie schob die schwere Tür auf. Ihr Halbbruder saß hinter seinem riesigen Schreibtisch in einem schweren Ledersessel und sah ihr mit unbewegtem Gesicht entgegen.

„Du hast mich angerufen?“ Eine überflüssige Frage, denn ihr Handy hatte gerade in dem Moment geklingelt, als sie die kurvigen Straßen außerhalb von Knoxville entlanggerast war, um die Anspannung abzustreifen, die ihr dieses neue Leben auferlegte. Aber natürlich würde sie ihm nicht sagen, dass er ihr den Tag verdorben hatte.

Missbilligend musterte Trent ihre Motorradkleidung.

Plötzlich fühlte Lauren ein Prickeln im Nacken und wandte den Kopf. Ein schwarzhaariger Mann in den Dreißigern erhob sich aus dem Besuchersessel. Aufmerksam sah er sie mit seinen wachen dunklen Augen von oben bis unten an. Unter anderen Umständen hätte sie die Ausstrahlung von Macht und Charisma attraktiv gefunden, aber an diesem Tag war sie davon nicht zu beeindrucken.

Er war überdurchschnittlich groß, hatte breite Schultern und ein energisches Kinn. Sein schwarzer Anzug saß perfekt. Er war sicher ein Kunde und wahrscheinlich unausstehlich, so gut er auch aussah. Denn warum hätte Trent ihn ihr sonst zugeteilt?

Sie streckte die Hand aus. „Ich bin Lauren Lynch.“

„Gage Faulkner.“ Er ergriff ihre Hand und hielt sie fest. Seinen warmen Händedruck spürte sie bis in die Fußspitzen. Kurz schloss sie die Augen und versuchte dann lächelnd ihm ihre Hand zu entziehen.

Gage Faulkner warf Trent einen fragenden Blick zu. „Ist sie nicht zu jung für eine Berufspilotin?“

„Ich würde dir nie jemanden zuteilen, der nicht qualifiziert ist.“ Trent lächelte zuvorkommend.

Warum sprach man über sie, als sei sie nicht im Raum?

Verärgert machte Lauren sich mit einer schnellen Armbewegung frei. „Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt und besitze seit meinem sechzehnten Lebensjahr einen Flugschein. Ich habe schon mehr als zehntausend Stunden Flugerfahrung.“

Kühl sah Faulkner sie an. In seiner braunen Iris funkelten goldene Pünktchen. Dann lächelte er kurz. Was für ein sinnlicher Mund. Wie geschaffen zum Küssen …

Er ist ein Kunde.

Das musste sie sich immer wieder vor Augen führen. Denn sie wusste genau, dass man entlassen wurde, wenn man etwasmit einemKundenanfing. WardasTrentsneuesterTrick? Hatte er ihr deshalb dieses Prachtexemplar von einem Mann zugeteilt?

Sie warf dem Bruder einen misstrauischen Blick zu. Glaubte er etwa, sie könne einem gut aussehenden Mann nicht widerstehen? Offenbar wusste er nicht, dass ihr die Männer seit der Pubertät nachliefen. Sie war zwar keine Bilderbuchschönheit, aber sie war attraktiv, das wusste sie. Bei Falcon Air arbeiteten weitaus mehr Männer als Frauen. Ihr Vater und Onkel Lou hatten sie zwar bewacht, aber sie waren auch nicht immer da gewesen. Mehr als einmal hatte sie sich verteidigen müssen.

Trent verzog den Mund zu einem Lächeln. „Gage, du musst Laurens Aufzug entschuldigen. So läuft man bei Hightower Aviation normalerweise nicht rum.“

Empört sah sie ihn an. „Heute ist mein freier Tag. Ich habe schließlich nicht zu Hause herumgesessen und auf deinen Anruf gewartet. Es schien dir eilig zu sein, und so bin ich hergekommen, wie ich war, statt nach Hause zu fahren und mich umzuziehen.“

Faulkner unterdrückte ein Lachen. Sie warf ihm einen warnenden Blick zu. Schnell strich er sich über das Kinn und verbarg den Mund hinter der Hand. Aber seine Augen funkelten amüsiert. Irgendwie machte das Lauren nur wütender. Ihre Probleme mit der Familie gingen ihn überhaupt nichts an.

„Setz dich, Lauren.“ Trents Befehlston war unerträglich. Wie gern wäre sie dabei, wenn ihm jemand mal ordentlich Kontra gab.

Lauren setzte sich in den zweiten Besuchersessel. Ein Hauch von Faulkners herbem Rasierwasser stieg ihr in die Nase. Sie wandte sich dem Bruder zu. „Was ist so wichtig, dass es nicht bis morgen warten kann?“

„Gage braucht einen Piloten.“

Okay, das war ihr Job bei HAMC. Warum fing ihr dann der Nacken so verräterisch zu kribbeln an – normalerweise eine Warnung, dass etwas Ungewöhnliches bevorstand?

„Mit was und wohin werde ich fliegen?“

Wahrscheinlich mit einem Albatross zu irgendeiner holperigen, schlammigen Landebahn oder mit einem ungeheizten Frachtflieger in die eiskalte Tundra. Das würde ihrem Bruder ähnlich sehen.

„Gage braucht verschiedene Flugzeugtypen, abhängig davon, wie weit er fliegt und wie groß das Team ist, das er mitnimmt. Die meiste Zeit wirst du wohl einen kleinen bis mittelgroßen Jet fliegen, aber manchmal auch einen Hubschrauber oder eine Cessna.“

Lauren sah Trent mit leuchtenden Augen an. Das klang ja zu gut, um wahr zu sein. Normalerweise waren die Piloten von HAMC auf einen Flugzeugtyp spezialisiert. Das empfand Lauren immer als besonders langweilig. Sie testete liebend gern die Möglichkeiten verschiedener Flugzeuge. Was war nur in ihren Bruder gefahren?

„Trent hat mir versichert, dass Sie mit allem, was ich brauche, umgehen können.“

Faulkners dunkle Stimme riss sie aus ihren Überlegungen. Er meinte doch wohl, was er an Flugzeugen brauchte, oder? Ihr Herz klopfte schneller.

„Ich habe Flugscheine für sämtliche zivile Luftfahrzeuge und es zu meinem Hobby gemacht, die verschiedensten Modelle zu beherrschen. Wo liegt das Problem?“

Irrte sie sich, oder hatte Faulkner eben leicht mit den breiten Schultern gezuckt? Und unterdrückte er nicht wieder ein Lächeln, als er nach kurzem Zögern sagte: „Wenn Sie für mich arbeiten, dann müssen Sie jederzeit einsatzbereit sein, schon ab morgen früh um fünf.“

Daran war nichts Ungewöhnliches. Irgendetwas stimmte hier nicht. „Und?“

„Du wirst nur für Gage arbeiten.“

Lauren sah Trent verblüfft an. „Ich habe keinen Bereitschaftsdienst mehr?“

„Nein, dies ist ein Spezialauftrag.“

So war das also. Er verlieh sie sozusagen an jemand anderen, ohne dass sie etwas dagegen unternehmen konnte. Da ein Protest im Beisein des Kunden ihr jedoch sofort eine Kündigung eingebracht hätte, schwieg sie. So einfach wollte sie es Trent nicht machen.

Auch bei ihrer Mutter konnte sie sich nicht beschweren. Die Beziehung war noch zu neu und zu wenig gefestigt. Sie konnte von der Mutter nicht erwarten, gegen den ältesten Sohn Partei für die jüngste Tochter zu ergreifen.

Fest sah Lauren dem Bruder in die Augen. „Das heißt, ich arbeite als Flugkapitän und nicht als erster Offizier?“

Bisher hatte sie nur als erster Offizier fliegen dürfen, obgleich die Flugkapitäne selbst häufig weniger qualifiziert waren als sie. Aber sie hatte sich vorgenommen, alles zu tun, um ihr Ziel zu erreichen, auch wenn es bedeutete, entgegen ihrem eigentlichen Gefühl lieb und nett zu ihrer Mutter zu sein.

Trent warf den Kugelschreiber auf die Schreibunterlage und lehnte sich zurück. „Ja. Außerdem können alle von Gage angeforderten Typen ohne Kopiloten geflogen werden. Du bist also allein verantwortlich.“

Das sollte ihr wohl die Tatsache versüßen, dass sie in Zukunft keine freie Stunde mehr hatte. „Aber keiner der anderen HAMC-Piloten hat jemals einen solchen Job gemacht.“

„Meine anderen Piloten haben nicht deine Erfahrung.“

Was ein Kompliment sein sollte, klang eher wie eine Beleidigung. Doch sie beherrschte sich. „Wie lange soll ich Mr. Faulkner zur Verfügung stehen?“

„So lange, wie Gage dich braucht. Becky hat deine Termine und weiß, welche Flugzeuge gebraucht werden.“ Trent stand auf und wies auf die Tür. Das war deutlich.

Lauren sprang auf. Sie war gespannt, welche Flugzeugtypen ausgewählt worden waren. Vielleicht dürfte sie endlich einmal einige der neuesten Maschinen fliegen, die HAMC im Sortiment hatte.

Faulkner erhob sich geschmeidig und richtete sich zu seiner ganzen Länge auf. Er überragte sie um etliches, als er ihr die Hand hinhielt. „Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit, Lauren.“

Zögernd legte Lauren die Hand in seine. Wieder stockte ihr der Atem vor Erregung, und auch in seinen Augen glaubte sie ein Funkeln zu sehen. Vielleicht fühlte er es auch. Egal, auf etwas anderes als eine Arbeitsbeziehung würde sie sich nicht einlassen.

„Ich werde mir Mühe geben, immer pünktlich zu sein und Ihnen die Flüge so angenehm wie möglich zu machen.“ Sie entzog ihm die Hand, drehte sich um und verließ den Raum. Trent folgte ihr ins Vorzimmer.

„Lauren, Gage ist ein guter Freund von mir“, sagte er leise und drohend. „Wenn du hier Mist baust, dann musst du dir einen neuen Job suchen.“

Aha, daher wehte der Wind. Der Freund sollte ihm helfen, sie endlich loszuwerden. Wenn das kein Zeichen brüderlicher Zuneigung war! Am liebsten hätte sie ihm deutlich gesagt, was sie von ihm hielt. Aber sie würde den Mund halten, bis sie ihr Ziel erreicht hatte. „Kein Problem, Brüderchen. Ich werde deinen Kumpel wie eine wertvolle Fracht behandeln.“

Bei dem Wort „Brüderchen“ biss Trent die Zähne zusammen. Lauren grinste innerlich. Diese Schlacht war noch lange nicht entschieden.

Engel oder Hexe?

Gage sah Lauren Lynch hinterher, als sie den Raum verließ. Die Frau war voller Gegensätze. Die großen grünblauen Augen, die makellose Haut, das sehr weibliche Lächeln und dann die schwarze Bikermontur, die allerdings ihre Kurven gut zur Geltung brachte.

Die erregende Wirkung ihrer Berührung hatte er nicht als angenehm empfunden. Selbst wenn sie nicht Trents Schwester wäre, sie war zu jung für ihn, und er hatte weder Zeit noch Lust, sein Leben zu komplizieren. Er war seinem Ziel, Faulkner Consulting zu einem Topunternehmen der Branche zu machen, sehr nahe.

„Hast du nicht etwas übereilt gehandelt?“, fragte Gage, sobald Trent die Tür wieder hinter sich geschlossen hatte. „Du hast mich doch noch gar nicht ganz davon überzeugt, dass ich deine Firma in Anspruch nehmen sollte.“

„Das werde ich aber.“

Vielleicht, vielleicht auch nicht. Er würde Trent sagen lassen, was er zu sagen hatte. Das war er ihm schuldig. „Lauren ist wohl nicht ganz einfach?“

„Das stimmt, aber sie ist schlau genug, nie zu weit zu gehen, um mir keinen Grund zu liefern, sie zu entlassen. Meine Mutter hat sie bereits um den Finger gewickelt.“

„Wirklich? Jacqueline ist doch nicht dumm. Schließlich hat sie Hightower Aviation vor dem Konkurs gerettet.“

Trent setzte sich hinter den Schreibtisch. „Dieses Mal hat sie sich einwickeln lassen.“

„Was habe ich damit zu tun? In deiner E-Mail stand, du bräuchtest meine Hilfe, aber das war auch alles.“

„Vor achtzehn Monaten ist Mom nach Florida geflogen. Kurz darauf hat sie damit angefangen, regelmäßig Summen zwischen zwanzig- und dreißigtausend Dollar vom Konto abzuheben, und ist alle zwei Monate nach Daytona geflogen.“

„Handelt es sich um Firmengelder?“ Veruntreuung wäre ein Problem.

„Nein, es ist Geld von ihrem persönlichen Konto. Aber ihr Finanzberater hat mich neulich mal angerufen. Ich hatte ihn gebeten, mir ungewöhnliche Transaktionen zu melden. Erinnerst du dich an die Eskapaden unserer Väter?“

Gage presste kurz die Lippen aufeinander. „Allerdings.“

Er war erst zehn gewesen, als sein Vater riesige Kredite aufs Geschäft und Hypotheken aufs Haus aufgenommen hatte, bis alles verloren war. Gage würde nie vergessen, dass die Familie daraufhin sechs Monate im Auto gewohnt hatte. Trent war der Einzige, der davon wusste.

„Warum sollte Jacqueline plötzlich so etwas machen?“

„Das versuche ich gerade herauszubekommen. Wenn Mutter nicht mehr richtig beurteilen kann, was sie tut, wenn sie senil wird, dann muss sie so bald wie möglich vom Vorstand ausgeschlossen werden, bevor sie Schlimmeres anrichtet.“

„Dafür brauchst du aber Beweise.“

Trent sah auf die Papiere, die vor ihm lagen. „Bevor Lauren nach Knoxville gekommen ist, hat Mom mehr und mehr von ihrem Konto abgehoben und ist immer häufiger nach Florida geflogen. Lauren stammt aus Daytona. Ich vermute, dass sie herausgefunden hat, dass ihre leibliche Mutter vermögend ist, und umgarnt sie jetzt, um von deren Reichtum zu profitieren.“

„Lauren sieht aber eigentlich gar nicht wie eine Betrügerin aus.“

„Wegen ihrer großen blauen Augen und ihres unschuldigen Gesichtsausdrucks? Wenn ich nicht gute Gründe hätte zu glauben, dass sie meine Mutter finanziell ausnimmt, dann hätte ich dich nicht gebeten herzukommen.“

Wie Gage war auch Trent nicht der Typ, der leichtfertig um Hilfe bat. Dass der Freund ihn gerufen hatte, bedeutete, dass

er ihn dringend brauchte. „Wenn deine Mutter deiner kleinen Schwester Geld gibt …“

„Halbschwester“, unterbrach ihn Trent. „Ich habe einen DNA-Test machen lassen.“

„Ist das legal, und weiß Lauren davon?“

„Ich glaube nicht, dass sie so genau Bescheid weiß, aber sie hat sich damit einverstanden erklärt, dass wir alles getestet haben, was wir wollten.“

„Und, war sie sauber?“

„Ja, leider. Keine Drogen, keine Schulden, keine Leichen im Keller – nichts.“

Trent schien dem Mädchen gegenüber zutiefst misstrauisch zu sein, was ihm eigentlich gar nicht ähnlich sah. Zwar hatte er wegen seines Reichtums viel mit Menschen zu tun, die es nur auf sein Geld abgesehen hatten. Aber er hatte ein feines Gespür dafür entwickelt, wem zu trauen war, und irrte sich selten. Also musste er gute Gründe für seinen Verdacht haben.

„Hast du mit deiner Mutter wegen des Geldes gesprochen?“

Trent nickte. „Sie war verschlossen wie eine Auster. Wenn sie nichts zu verbergen hat, warum kann sie dann nicht offen sein?“

„Und Lauren? Hast du sie gefragt, warum sie nach Knoxville gekommen ist?“

„Ja. Sie hat irgendeinen Blödsinn erzählt. Angeblich wollte ihr Vater, dass sie ihre Geschwister kennenlernt oder so. Sie behauptet, sie wisse nichts von irgendwelchem Geld.“

„Warum hat deine Mutter Lauren nicht schon früher Geld gegeben? Warum hat sie so lange gewartet?“

„Vielleicht wusste Mom nicht, wo Lauren war. Vielleicht aber hat sie ihr hin und wieder kleinere Summen geschickt, was dem Finanzberater nicht aufgefallen ist. Wir haben überhaupt nichts von Mutters kleinem Fehltritt gewusst, bis Lauren vor der Tür stand, mit ihrem Pilotenschein gewedelt und erwartet hat, dass wir ihr einen Job geben.“

„Genügt sie denn euren Anforderungen?“

Trent runzelte die Stirn. „Mehr als das. Aber, Gage, sie ist viel zu jung, als dass sie schon eine solche Flugerfahrung haben könnte, wie sie behauptet. Ich habe ihr nur nie nachweisen können, dass sie schwindelt. Ich habe ihre Zeugnisse doppelt und dreifach geprüft, habe Lauren in jeder Beziehung getestet, um einen Grund zu finden, sie abzulehnen. Sogar in einen Flugsimulator habe ich sie gesteckt, bevor sie in einem echten Cockpit sitzen durfte. Aber sie hat jeden Test bestanden und lässt sich einfach nicht loswerden.“

Dafür musste man sie bewundern. „Vielleicht hat sie einfach ein besonderes Talent zum Fliegen?“

„Niemand kann in dem Alter so gut sein.“

„Du warst es.“

Trent versteifte sich, und Gage hätte seine Worte am liebsten zurückgenommen. Trent war sozusagen im Cockpit groß geworden. Er hatte Pilot bei der Air Force werden wollen. Aber sein Vater hatte HAMC wegen seiner Spielsucht beinahe zugrunde gerichtet. Also hatte Trent nach dem College auf eine militärische Karriere verzichten, HAMC wieder aus dem Sumpf ziehen und als Spitzenmanager bleiben müssen.

„Tut mir leid. Ich hätte das nicht sagen sollen.“

„Macht nichts. Es ist schon lange her, und ich bin darüber hinweg.“ Trent räusperte sich. „Eins ist offensichtlich: Meine Mutter hat ihre Schwangerschaft verbergen können und ließ Lauren von deren Vater adoptieren. Sie hat meinem Vater also nie erzählt, dass sie ein Kind von einem ihrer Liebhaber hatte.“

„Dein Vater muss das doch gewusst haben. Als Jacquelines Ehemann war er vor dem Gesetz automatisch der Vater von Lauren. Er muss also zugunsten des leiblichen Vaters auf sie verzichtet haben.“

Erregt fuhr Trent sich durch das dunkelblonde Haar. „Dad behauptet, er erinnere sich nicht daran und habe keine Formulare unterschrieben. Wahrscheinlich hätte er alles getan, nur damit meine Mutter weiterhin seine Spielschulden bezahlt. HAMC war damals ja noch viel kleiner, und das Geld für die Firma stammte im Wesentlichen von der Familie meiner Mutter.“

„Sicher.“ Gage nickte langsam. Doch trotz ihrer Motorradkluft und einer gewissen Aufmüpfigkeit kam ihm Lauren nicht wie eine geldgierige Hexe vor. „Lauren sieht eigentlich nicht aus wie jemand, der mit Geschenken einer reichen Gönnerin überschüttet wird. Sie trägt weder Schmuck oder Designerklamotten noch Make-up.“

„Nein, aber sie fährt ein Motorrad, das zwanzigtausend Dollar, einen Pick-up, der sechzigtausend gekostet hat, und fliegt ein Flugzeug, das eine Viertelmillion wert ist. Was sagt dir das?“

Hm, das hätte er nicht gedacht. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass er sich in einer Frau getäuscht hatte. Leicht verärgert fragte er: „Sie kann sich offenbar gut verstellen. Aber was hat das alles mit mir zu tun?“

„Ich habe Cashflow-Probleme. Und ich möchte Lauren eine Weile vom Hals haben, vor allen Dingen aus der Reichweite meiner Mutter.“

„Und dafür, dass ich Lauren beschäftige, überlässt du mir euren Service gratis?“

Trent nickte. „Du wirst viel Zeit sparen, wenn du für deine Reisen einen Privatjet zur Verfügung hast.“

„Okay.“

„Auf diese Weise können wir uns gegenseitig helfen“, fuhr Trent fort. „Ich habe einfach Angst, dass meine Mutter sich an den Geldern von Hightower Aviation vergreift, wenn ihr selbst das Geld ausgeht. Wie mein Vater damals. Wenn Lauren zwei bis drei Monate lang weg ist und meine Mutter ihr nichts zustecken kann, dann kann ich in der Zeit das Problem lösen.“

Gage nahm ungern Gefälligkeiten an. „Faulkner Consulting kann sich den Service von HAMC locker leisten. Mir wäre es lieber, wenn du einen ganz normalen Vertrag aufsetzen würdest.“

„Nein, auf keinen Fall. Glaub mir, wenn du mir Lauren ein paar Monate vom Hals und aus der Reichweite meiner Mutter hältst, dann bin ich dir was schuldig.“

Unschlüssig schüttelte Gage den Kopf. „Ich weiß nicht, Trent …“

„Ich brauche deine Hilfe, Mann. Muss ich erst betteln?“

Gage massierte sich mit der Hand die angespannten Nackenmuskeln. „Wir machen es so: Du setzt einen zeitlich begrenzten Vertrag auf, in dem steht, dass ich für den Service bezahle. Und wenn ich feststelle, dass ich wirklich Geld spare, dann ändern wir den Vertrag. Wenn nicht, dann weiß ich wenigstens, dass ich mich für früher revanchiert und meine Schuld bezahlt habe.“

„Aber …“

„Kein Aber. Sonst musst du dir jemand anderen suchen.“

Trent wollte noch etwas erwidern, sagte dann aber doch nichts. „Okay. Und wenn du auch noch herausfinden könntest, was Lauren vorhat, umso besser.“

Gage runzelte die Stirn und sah den Freund fragend an. Er hatte dreizehn Jahre gewartet, um seine Schuld zu begleichen. Aber es gab Grenzen. „Ich werde hier nicht den Spion für dich spielen.“

„Ich verlange ja nicht von dir, dass du mit ihr schläfst oder sie heiratest, um alles über sie herauszufinden. Ich will nur wissen, wie lange sie noch hierzubleiben gedenkt. Sie nervt mich.“

„Wenn Lauren wirklich so geldgierig ist, wie du meinst, dann werde ich dir das sagen, um dich und dein Unternehmen zu schützen. Aber das ist auch alles.“

Trent nickte zögernd. „Abgemacht.“

2. KAPITEL

Lauren sah hoch, als Gage sich an ihr vorbei durch die Tür zum Cockpit zwängte.

„Mr. Faulkner, wir wollen gleich starten. Gehen Sie bitte zurück zu Ihrem Sitz, und schnallen Sie sich an.“

„Nennen Sie mich Gage. Ich sitze lieber vorne.“ Damit ließ er sich in den Sessel des Kopiloten fallen.

„Und mir wäre es lieber, wenn Sie in die Passagierkabine zurückgehen.“

Gage griff nach dem Sitzgurt und schnallte sich an. „Haben Sie Angst, dass ich Sie kontrolliere, um Ihnen Fehler nachweisen zu können?“

Lauren unterdrückte einen Seufzer. Der Mann hatte sie von Anfang an genervt. Schon als er darauf bestanden hatte, sein Gepäck selbst an Bord zu bringen und zu verstauen, was ganz klar ihre Aufgabe war.

„Ich mache keine Fehler.“

„Umso besser. Haben Sie noch ein Paar Kopfhörer?“

Wut stieg in ihr hoch, und sie errötete. „Sie haben die Cessna Mustang gewählt, weil die Kabine sehr bequem ist und Sie auf dem Weg nach Baton Rouge arbeiten wollten. Sie haben sogar eine Flugbegleiterin abgelehnt, damit Sie nicht gestört werden.“

Ruhig sah er sie an. „Ich bin heute Morgen sehr früh aufgewacht und konnte meine Arbeit erledigen. Ich sitze lieber vorne, wo ich mehr sehen kann.“

Lauren zwang sich zu einem Lächeln. „Die Kabine hat sechs Fenster. Außerdem werden wir über den Wolken fliegen, da gibt es nicht viel zu sehen.“

„Vielleicht doch.“

Stumm zählte sie bis drei, um sich zu beruhigen. „Die Sitze in der Kabine sind aber sehr viel bequemer, und die Rückenlehnen sind verstellbar. Sie könnten so besser schlafen.“

„Das ist nicht nötig.“

Ihr schrecklicher Halbbruder hatte Gage sicher als Spion auf sie angesetzt und ihm aufgetragen, sie so lange zu nerven, bis sie die Fassung verlor. Und nach dem Funkeln in seinen Augen zu schließen, wusste Gage offenbar, dass er ihr bereits unter die Haut ging.

„Dann hätten wir auch ein kleineres Flugzeug nehmen können.“

„Das wäre nicht so schnell gewesen.“

Natürlich nicht. Lauren kochte vor Wut. „Passagiere im Cockpit sind nach den Vorschriften von HAMC nicht erlaubt“, versuchte sie es erneut.

„Rufen Sie doch Ihren Bruder an.“

„Halbbruder. Sie wissen ganz genau, dass er den ganzen Morgen in einer wichtigen Sitzung ist und seine Sekretärin den Anruf nicht durchstellen würde.“

„Ja, dann müssen Sie es wohl oder übel mit mir im Kopiloten-Sessel aushalten.“

Was hatte ihr Vater immer gepredigt? Der Kunde hat so lange recht, wie seine Sicherheit nicht gefährdet ist. Sie holte tief Luft. „Okay. Unter Ihrem Sitz liegt ein Paar Kopfhörer.“

Gage bückte sich und zog den Beutel mit den Kopfhörern hervor, setzte sie auf und stöpselte sich ein. Dann lehnte er sich zurück und legte die Hände auf die Oberschenkel.

Er hatte muskulöse Oberschenkel.

Er ist ein Kunde!

Lauren räusperte sich und sah Gage ins Gesicht. „Wenn Sie eine Sonnenbrille dabeihaben, dann setzen Sie sie bitte auf.

Bitte, sprechen Sie nicht, bis ich die Starterlaubnis habe, und fassen Sie nichts an. Sie können sich während des Flugs entspannen, aber ich muss mich konzentrieren, wenn wir nicht abstürzen wollen.“

So wie ihr Vater.

Das tat weh. Sie schluckte und konzentrierte sich darauf, ihre Flugdaten in den Bordcomputer einzugeben. Zwanzig Minuten später hatte sie die Vorbereitungen abgeschlossen und die Starterlaubnis erhalten. Schon nach kurzer Zeit war das Flugzeug in der Luft. Während der ganzen Zeit hatte Gage Lauren nur stumm beobachtet.

Sie war ganz in ihrem Element, fühlte sich absolut sicher und wusste, dass sie eine verdammt gute Pilotin war. Und doch musste sie sich zusammennehmen, um nicht durch den Mann abgelenkt zu werden, der neben ihr saß. Sie war sich jeder seiner Bewegungen bewusst und nahm sein herbes Aftershave wahr. Keine Sekunde konnte sie Gages Anwesenheit vergessen.

Unverwandt sah er sie an, und sie bedauerte, dass sie ihre dunkelblonden Haare an diesem Tag nur lieblos in einem Pferdeschwanz zusammengefasst hatte, dass sie sich überhaupt nicht geschminkt hatte und ihre kurz geschnittenen Fingernägel wenig elegant aussahen.

Als sie die endgültige Flughöhe erreicht hatten, wandte sie sich zur Seite und sah Gage direkt in die dunklen Augen. Ihr Puls beschleunigte sich. Mit Mühe brachte sie ein leicht verkrampftes Lächeln zustande. „Wenn Sie wollen, können Sie jetzt sprechen.“

„Warum sind Sie Pilotin geworden?“

Das war sie schon oft gefragt worden. „Ich bin mehr oder weniger auf Flugplätzen groß geworden. Wollte nie etwas anderes werden.“

„Was haben Sie denn gemacht, bevor Sie zu Hightower kamen?“

Wahrscheinlich hatte Trent ihn gebeten, sie auszufragen. Deshalb wählte sie ihre Worte mit Bedacht. „Fünfzig Prozent der Zeit war ich Fluglehrerin, außerdem habe ich Jets für Falcon Air geflogen.“

„Falcon Air?“, fragte er überrascht. „Das ist die Charterfirma, die mein Vater oft engagiert. Und wenn Sie nicht da sind, so wie jetzt, übernimmt dann Ihr Vater Ihre Aufgaben?“

Sie zuckte zusammen. Wie ein Stich ins Herz schmerzte die Erinnerung an den geliebten toten Vater. „Früher schon, jetzt nicht mehr. Er ist vor Kurzem gestorben.“

„Das tut mit leid“, erwiderte er kühl, ja teilnahmslos.

„Und was machen Sie, Gage?“ Eigentlich interessierte es sie nicht besonders, aber sie wollte das Gespräch von sich ablenken. Sonst sagte sie versehentlich noch etwas, das sie lieber für sich behalten hätte. Wenn das Gerücht aufkäme, ihr Vater hätte Selbstmord begangen, würde Falcon Air Kunden verlieren. Denn wer würde eine Fluggesellschaft anheuern, deren Piloten das Flugzeug absichtlich abstürzen ließen, vielleicht mit Passagieren an Bord? Auch ein Unfall war nicht gut für ihr Image. So etwas konnte doch nur passieren, wenn die Maschinen nicht gründlich gewartet wurden, oder? Das Aufkommen eines solchen Verdachts musste Falcon Air unbedingt vermeiden, da die Geschäfte sowieso nicht besonders gut liefen.

„Ich bin Unternehmensberater und helfe Firmen dabei, rationeller und rentabler zu arbeiten.“

„Haben Sie internationale Kunden?“

„Ja.“ Er machte eine kurze Pause. „Haben Sie nach dem Tod Ihres Vaters nach Ihrer leiblichen Mutter gesucht?“

Lauren ärgerte sich, dass es jetzt wieder um sie ging. Also antwortete sie nur kurz: „Nein. Sie kam zu mir.“

„Das muss ja eine Überraschung gewesen sein.“

„Nicht unbedingt. Ich weiß nicht, was Trent Ihnen erzählt hat, aber ich habe Jacqui mein Leben lang gekannt. Ich wusste zwar nicht, dass die zeitweilige Freundin meines Vaters meine Mutter war, bis sie sich entschlossen haben, mir an meinem achtzehnten Geburtstag die Wahrheit zu sagen. Aber auch da wusste ich noch nichts davon, dass sie verheiratet war. Erst nach der Beerdigung meines Vaters hat sie mir gesagt, es sei sein letzter Wunsch gewesen, dass ich meine … Halbgeschwister kennenlerne.“

„War sie eine, sagen wir mal, großzügige Mutter?“

Was sollte das nun schon wieder? Sekundenlang schloss Lauren die Augen und richtete dann den Blick auf den Horizont. Alle schienen zu glauben, dass sie nur am Geld ihrer Mutter interessiert war. Dabei wollte sie etwas ganz anderes von ihr.

„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Jacqui sich achtzehn Jahre lang nicht als meine Mutter zu erkennen gab. Nein, sie hat mich nicht teuer beschenkt. Mein Vater hätte das nie erlaubt, und ich hätte auch nichts von ihr angenommen.“

Es war ganz offensichtlich, dass er ihr nicht glaubte, und das ärgerte Lauren. Trent hatte Gage offenbar allerlei Lügen erzählt, und Gage hatte alles für bare Münze genommen. Dass ihr Halbbruder sie hasste, damit konnte sie leben. Aber dass er sie auch an ihrem Arbeitsplatz schlechtmachte, war unverzeihlich. Die Feindseligkeit der anderen Angestellten war oft schwer zu ertragen.

„Jacqueline wollte, dass Sie für Hightower arbeiten?“

„Ja, aber Jacqui weiß auch, dass ich in ein paar Monaten zurück zu Falcon Air gehe.“

„Warum so bald?“

„Warum wollen Sie das wissen?“

„Es interessiert mich, warum Sie von sich aus einen so gut zahlenden Arbeitgeber verlassen wollen.“

„Ich gehöre nicht hierher. Ich bin keine Hightower. Und wenn ich für Sie arbeiten soll, dann gewöhnen Sie sich lieber an diesen Gedanken. Falls Trent Ihnen nahegelegt hat, mich auszufragen, dann sagen Sie ihm bitte, dass er schon selbst zu mir kommen muss.“

Natürlich würde sie Trent nie die ganze Wahrheit erzählen. Aber auch Gage würde nichts Wesentliches von ihr erfahren. Denn sie war ziemlich sicher, dass er alles an den Freund weitergeben würde. Und der zögerte ganz bestimmt nicht, es gegen sie zu verwenden. Das könnte das Ende von Falcon Air sein.

Gage spürte, dass Lauren ihm etwas verheimlichte. Und sein Instinkt hatte ihn noch nie getrogen.

Sobald das Gespräch auf ihre Mutter gekommen war, hatte sie auf seine Fragen nur sehr ausweichend geantwortet. Aber so leicht gab er nicht auf.

Der Sicherheitsbeamte winkte ihn durch die Schranke, als Gage ihm den Ausweis zeigte, den er von Hightower Aviation bekommen hatte. Gage ging auf das Flugfeld hinaus, wo der Jet auf ihn wartete. Trent hatte recht. Es war weitaus effizienter, einen Privatjet zur Verfügung zu haben.

Gage war müde. Seine Aufgaben in Baton Rouge hatte er zu seiner Zufriedenheit abgeschlossen und war sogar eine Stunde früher am Flugplatz angekommen, als erwartet. Sieben Stunden zuvor hatte er Lauren zuletzt gesehen. Sie hatte sich kaum von ihm verabschiedet, als sei sie froh, ihn endlich los zu sein. Das war seltsam, normalerweise waren Frauen gern mit ihm zusammen.

Aber Lauren hatte ihm nur ihre Handynummer gegeben und gesagt, er solle sie anrufen, wenn er fertig und auf dem Weg zum Flugplatz sei. Doch er hatte sie absichtlich nicht angerufen. Vielleicht konnte er sie bei irgendetwas überraschen, was ihm Aufschluss über ihr Vorhaben geben würde.

Die Tür der kleinen Cessna stand offen, und die Treppe war heruntergelassen. Als er hinaufstieg, bewegte sich die kleine Maschine leicht unter seinem Tritt. Lauren sah überrascht hoch. Sie saß in einem der komfortablen Passagiersessel und hatte einen Laptop auf dem Schoß. „Sie sind schon da?“

„Störe ich?“

„Nein, ich habe nur die Zeit totgeschlagen“,sagte sie schnell.

Die untergehende Sonne schien durch das Fenster und ließ Laurens langes dunkelblondes Haar kupfern aufleuchten. Sie hatte die Pilotenmütze auf ein Tischchen gelegt und das Jackett über die Rückenlehne gehängt. Schnell knöpfte sie den obersten Knopf ihrer Bluse zu, da sie nicht wollte, dass Gage einen Blick auf ihr sanft gebräuntes Dekolleté erhaschte.

„Sie hatten mich doch anrufen sollen. Dann hätte ich schon die notwendigen Checks durchgeführt, und wir hätten früher starten können.“

Sie sah ihn nicht an und wirkte verwirrt. Verbarg sie etwas?

„Tut mir leid. Ich war mit den Gedanken noch bei dem Kunden.“ Gage verstaute den Aktenkoffer.

Sie kniff kurz die Augen zusammen, als glaubte sie ihm nicht ganz, und tippte dann etwas in den Rechner. „Jacqui lässt grüßen.“

„Sie haben Mails mit Ihrer Mutter ausgetauscht?“

„Ja, warum nicht?“ Lauren klappte den Laptop zu, steckte ihn in die Tasche und stand auf. Dann setzte sie sich die Pilotenmütze auf den Kopf. „Sie erinnert sich noch aus Collegezeiten an Sie.“

Ja, er war früher oft zu Gast bei den Hightowers gewesen. Er hatte sie sogar auf Ferienreisen begleitet, weil sein Vater zu der Zeit nicht selten auf der Straße oder in einem Obdachlosenheim gelebt hatte. Wo seine Mutter gewesen war, hatte er nicht gewusst. Das Ganze war damals eine schrecklich peinliche Situation für ihn gewesen.

„Ich hätte nicht gedacht, dass Jacqueline mit einem Computer umgehen kann.“

„Doch, sie ist technisch sogar ziemlich begabt.“

Das war ungünstig. Er konnte Mutter und Tochter zwar räumlich trennen, aber er hatte nicht an die Möglichkeiten der Kommunikation via E-Mail gerechnet.

Lauren stellte den schmalen Laptop hinter den Pilotensessel. „Ich habe die Maschine zwar schon gleich nach unserer Ankunft wieder aufgetankt, aber ich brauche noch etwa dreißig Minuten, bevor wir starten können.“

„Ich bin nicht in Eile. Wie wäre es, wenn wir vorher noch etwas essen?“ Er musste unbedingt erfahren, wie eng das Verhältnis zwischen Tochter und Mutter war. „Ich bin vorhin an einem brasilianischen Steakhaus vorbeigekommen.“

Unwillkürlich befeuchtete sie sich die Lippen. Gage folgte der Bewegung ihrer kleinen rosa Zunge und fühlte, wie sich etwas in ihm zusammenzog. Verdammt, warum fand er diese Frau so faszinierend?

Sie stand auf und zog sich den Mantel an. „Wir können mit dem Start warten, bis Sie gegessen haben.“

„Haben Sie keinen Hunger? Kommen Sie doch mit mir, Lauren.“

„Das wäre gegen die Regeln von HAMC.“

„Ich rufe Trent an und frage ihn.“

Wieder kniff sie leicht die Augen zusammen und musterte ihn. Wieso hatte er nie bemerkt, wie lang ihre Wimpern waren?

Dann schüttelte sie den Kopf. „Danke, ich hab schon gegessen.“

„Was denn?“

Sie zögerte kurz, bevor sie antwortete: „Ich hatte ein Sandwich im Flughafen.“

„Das genügt mir auch. Kommen Sie, und leisten Sie mir Gesellschaft.“ Auf diese Weise würde sie wenigstens nicht mit ihrer Mutter Kontakt aufnehmen können.

Ausdruckslos sah Lauren ihn an. „Nein, ich werde den Start vorbereiten, während Sie sich Ihr Sandwich holen.“

Hinter Lauren knirschte der Kies, und sie wandte sich hastig um. Es war stockfinster. Trent trat in den trüben Lichtkreis einer Straßenlampe und lächelte beruhigend.

Als sie ihn erkannt hatte, atmete sie erleichtert aus. Doch erst allmählich verlangsamte sich ihr Pulsschlag. Nach dem langen Tag mit Gage war sie müde und gereizt. Am liebsten hätte sie den Halbbruder ignoriert, wäre in ihren Pick-up gestiegen und nach Hause gefahren. Außerdem musste sie unbedingt mit ihrer Mutter und ihrem Onkel telefonieren. Sie würde sich nicht lange von Trent aufhalten lassen.

„Dieser Parkplatz muss unbedingt besser beleuchtet werden.“

Trent sah sich kurz um. „Ich werde es veranlassen.“

Darauf konnte man wohl lange warten. „Wolltest du etwas von mir?“

„Lauren, wenn Gage vorne bei dir im Cockpit sitzen will, dann lass ihn. Wenn er mit dir zusammen zum Essen gehen möchte, dann geh darauf ein. Du solltest tun, was er will.“

Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Er tat gerade so, als sei sein Wort Gesetz. „Wie weit muss ich denn gehen, um den Kunden … zufriedenzustellen?“

Tadelnd schüttelte er den Kopf. „Natürlich sollst du nichts Illegales oder Unmoralisches tun.“

„Du verlangst aber, dass ich gegen die Regeln von HAMC verstoße. Das solltest du mir lieber schriftlich geben.“

„Vertraust du mir nicht, Schwesterchen?“

„Halbschwester, bitte.“ Sie hängte sich die Tasche über die Schulter. „Du hast von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen, dass du mich hier nicht haben willst. Und ich will dir keine Gelegenheit geben, mich einfach zu feuern.“

Hinter ihnen waren Schritte zu hören. Beide wandten sich schnell um. Es war Gage.

Auch das noch. „Wir reden morgen weiter“, stieß Lauren zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Ich habe keine Geheimnisse vor Gage. Er gehört quasi zur Familie.“

Lauren wurde wütend. „Wohl ganz im Gegensatz zu mir, die ich wirklich mit euch verwandt bin? Ich bewundere deine Loyalität gegenüber deinen Freunden.“

Trent seufzte leise. „Was willst du, Lauren? Warum gehst du nicht zurück nach Daytona?“

„Du hast mehr als dreißig Jahre lang eine Mutter gehabt. Jetzt bin ich mal dran. Keine Angst, ich nehme sie dir nicht weg.“

„Wieso? Du hast sie doch dein Leben lang immer wieder gesehen.“

Empört sah Lauren Gage an. „Dein Spion hat dich ja wohl genauestens unterrichtet.“

Jetzt schaltete Gage sich ein. „Na und? Unsere Unterhaltung war schließlich nicht geheim, oder?“

„Ich habe von Anfang an gewusst, wem deine Loyalität gehört, Faulkner.“

Trent richtete sich zu seiner vollen Größe auf, so als wolle er Lauren einschüchtern. „Wenn du Mutter schon immer gekannt hast, warum hat sie uns nie von dir erzählt?“

„Sie wird ihre Gründe gehabt haben. Ich habe ja auch nichts von euch gewusst.“

Lauren ging auf ihr Auto zu, wandte sich aber noch einmal um. „Wusstest du, dass mein Vater einer der Gründer von Hightower Aviation war?“

„Was?“ Empört sah Trent sie an. „Das glaube ich nicht.“

„Ich hatte auch keine Ahnung, bis ich nach seinem Tod die alten Papiere durchgesehen habe. Unsere Väter waren zusammen in der Air Force. Es gibt Bilder davon. Nach der Militärzeit gründeten sie HAMC. Die ersten Jahre waren schwierig, eigentlich bis unser Großvater Waterman, also Mutters Vater, ihnen anbot, ein Drittel der Firma zu kaufen. Ich weiß nicht, welche Rolle Mutter dabei gespielt hat.“

„Diese Geschichte muss ich mir erst mal bestätigen lassen.“

„Viel Erfolg. Jacqui sagt nichts.“ Aber warum hatte ihr Vater geschwiegen? „Keine Angst, Boss“, fuhr Lauren fort. „Ich erwarte keine Anteile. Mein Vater hat seinen Teil an Mutter verkauft, als sie mit mir schwanger war. Mit dem Geld hat er dann Falcon Air gegründet, zusammen mit meinem Nennonkel Lou, der früher auch hier gearbeitet hat.“

Gage schob die Hände in die Manteltaschen. „Trent und ich wollten noch einen trinken gehen. Möchten Sie nicht mitkommen und uns mehr über die Geschichte von HAMC erzählen?“

Lauren öffnete die Autotür und warf ihre Tasche auf den Beifahrersitz. „Nein, Faulkner, ich muss morgen früh wieder fliegen, und wenn ich zwölf Stunden vor Abflug Alkohol trinke, dann ist das ein Kündigungsgrund.“

Sie setzte sich hinter das Steuerrad. „Also dann bis morgen. Ich bin seit heute früh um vier unterwegs und brauche meinen Schlaf. Morgen geht es wieder früh nach Lancaster.“

Trent nickte. „Okay.“

„Geh schon vor“, sagte Gage. „Ich treffe dich dann in der Bar.“

Trent sah ihn einen Moment fragend an, drehte sich dann aber um und ging auf seinen BMW zu.

„Sie trauen mir nicht, Lauren, oder?“, fragte Gage.

„Ich kenne Sie nicht gut genug, um Ihnen zu trauen.“

„Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben, solange Sie den Hightowers nicht schaden wollen.“

So? „Ich werd’s mir merken.“

Er stützte die Hände im offenen Fenster ab und beugte sich vor. Sein nun schon vertrauter Duft stieg ihr wieder in die Nase, der Mund wurde ihr trocken, und ihr Puls begann zu rasen.

Ernst sah Gage ihr in die Augen. „Wir wollen eins klarstellen: Wenn ich Sie zum Essen einlade, dann tue ich das, weil ich ungern allein esse. Ich habe nichts mit Ihnen vor. Sie sind nicht mein Typ.“

„Umso besser. Sie nämlich auch nicht meiner“, gab sie trotzig zurück.

Langsam richtete er sich auf. „Bis morgen früh dann.“

Wer aber ist Gages Typ? Stirnrunzelnd ließ Lauren den Motor an.

Das ist doch ganz egal. Vergiss es. Fahr nach Hause.

Doch sie hatte das dumpfe Gefühl, dass sie diese Frage noch lange beschäftigen würde.

3. KAPITEL

Nachdem Lauren geklingelt hatte, wartete sie ungeduldig darauf, dass die Tür geöffnet wurde. Nach diesem anstrengenden Tag war sie hundemüde, aber da Trent und Gage gerade zusammensaßen, musste sie die Gelegenheit nutzen, allein mit ihrer Mutter sprechen zu können.

Die Tür wurde geöffnet. „Guten Abend.“ Der Butler trat zur Seite und ließ sie eintreten.

„Hallo, Fritz.“

„Madame wartet im Salon.“ Fritz wandte sich um und ging voraus. Mit seinem britischen Akzent, der schwarzen Dienstkleidung und dem aufrechten Gang entsprach er ganz dem Klischee eines Butlers aus alten Filmen.

Lauren war jedes Mal wieder beeindruckt von der riesigen Halle mit den kostbaren Gemälden an den Wänden, von der aus eine breite Treppe nach oben führte. Das Haus hätte ein Präsidentenpalais oder ein Museum sein können, aber ein Wohnhaus? Wie konnte man sich hier nur wohlfühlen?

Fritz trat zur Seite und wies auf die offene Tür. „Kann ich Ihnen irgendetwas bringen? Vielleicht Kaffee oder ein Glas Wein oder eine Kleinigkeit zu essen?“

„Nein danke.“ Im Beisein ihrer Mutter brachte sie selten etwas herunter.

Fritz verbeugte sich leicht und verschwand. Lauren holte tief Luft und trat ein. Die ganze Atmosphäre des Hauses wirkte steif und ungemütlich auf sie.

„Du bist wohl direkt von der Arbeit gekommen.“ Jacqui saß auf einem Sessel beim Kamin und sah in ihrem schwarzen Hosenanzug und den blitzenden Diamantohrringen mindestens wie eine Gräfin aus. „Die HAMC-Uniform steht dir wirklich gut. Dass die Pilotinnen Röcke statt Hosen tragen, war eine gute Idee von mir.“

„Danke, dass du noch so spät Zeit für mich hast.“

„Ich bin immer froh, wenn du kommst, Lauren.“

Das glaubte sie ja wohl selbst nicht. Jacqui strahlte so viel Wärme aus wie ein Eisberg. Die Umarmung war kurz, der Wangenkuss nur angedeutet. Doch das sollte Lauren nicht wundern. Die Hightowers waren nicht gerade für ihre Warmherzigkeit bekannt.

„Komm her, und nimm Platz.“

Lauren setzte sich auf die Vorderkante des Brokatsofas. Wieder wunderte sie sich, dass ihr die Ähnlichkeit zwischen ihr und ihrer Mutter nicht früher aufgefallen war. Sie hatten die gleiche Figur, die gleiche Gesichtsform, allerdings hatte die Mutter die hochgesteckten dunkelblonden Haare etwas aufgehellt. Außerdem war sie immer makellos geschminkt. Lauren dagegen verschwendete nicht viel Zeit auf ihr Äußeres. Wasser, Seife und ein Sonnenschutzmittel, das war alles, was sie verwendete.

„Ich möchte dich etwas fragen. Wegen Vater.“

Jacqui seufzte. „Ich kann noch nicht über ihn sprechen. Er fehlt mir so sehr.“ Ihre Trauer schien echt zu sein.

Lauren war mehr als frustriert. Denn in den zwei Monaten seit dem Tod des Vaters hatte die Mutter bisher auf alle Fragen nur ausweichend geantwortet. „Er fehlt mir auch, Jacqui, aber ich muss wissen, was vor dem Unfall passiert ist.“

Jacqui erhob sich, ging zur Bar und füllte sich ihr Glas. Erstaunlicherweise ließ sie dafür nicht Fritz kommen, wie sie es bei früheren Besuchen immer getan hatte. „Ich weiß leider auch nicht, was in ihm vorgegangen ist.“

„Aber du hast doch als Letzte mit ihm gesprochen. Kam er dir wütend vor? War er verwirrt oder deprimiert?“

Jacqueline drehte sich zu Lauren um. „Deprimiert? Was meinst du damit?“

Lauren holte tief Luft. Bisher hatte sie nur mit ihrem Onkel über die Gerüchte gesprochen. „Einige seiner Freunde glauben, dass der Absturz kein Unfall war. Sie behaupten, Daddy hätte damit geprahlt, dass die Lebensversicherung alle Schulden von Falcon Air begleichen würde, sollte ihm etwas zustoßen.“

Jacqueline wurde blass und drückte eine beringte, sorgfältig manikürte Hand an die Brust. „Nein, nie. Kirk hätte mich nie freiwillig verlassen. Oder dich. Seit ich ihm gesagt habe, dass ich ein Kind von ihm erwarte, warst du der Mittelpunkt seines Lebens. Er hat bei allem, was er tat, nur an dich gedacht.“

Tränen stiegen Lauren in die Augen. „Ich glaube auch nicht, dass er sich das Leben nehmen wollte. Ich hätte doch gemerkt, wenn er so verzweifelt gewesen wäre. Sicher, in den letzten Monaten war er häufig etwas geistesabwesend, aber nicht unglücklich. Und nun will die Versicherung erst bezahlen, wenn ein Selbstmord ausgeschlossen werden kann.“

„Ich gebe dir, was du brauchst.“

Lauren schüttelte den Kopf. „Ich will dein Geld nicht. Ich möchte nur wissen, worüber ihr gesprochen habt, Vater und du, bevor du ihn wieder mal verlassen hast. Das könnte allerlei erklären.“

Auch Jacqueline standen Tränen in den Augen. War das echt? „Glaubst du wirklich, ich hätte etwas mit dem Absturz zu tun?“

„Wie kann ich es wissen, wenn du nichts sagst?“

„Lauren, ich kann nicht darüber sprechen.“

„Aber …“

„Ich habe Kirk geliebt, auch wenn du mir das nicht glaubst. Er ist der einzige Mann, den ich je geliebt habe. Und wenn ich daran denke, dass ich ihn nie wieder …“ Sie konnte nicht weitersprechen, und ihre Hand zitterte, als sie das Glas abstellte.

Lauren versuchte, sich nicht von dem Gefühlsausbruch beeindrucken zu lassen. Die Mutter verbarg etwas, nur was? „Und dein Ehemann?“

„Meine Ehe war arrangiert. Mein Vater hatte versprochen, in Hightower Aviation zu investieren, wenn William mich heiratete.“

„Und du hast dem zugestimmt?“

„Ich war in meiner Jugend ziemlich … schwierig. Mein Vater wollte, dass ich in feste Hände komme. Er drohte, er würde mich enterben, wenn ich nicht einwillige. Und William war ein ziemlich flotter Mann, dazu Pilot. Ich dachte, ich könnte lernen, ihn zu lieben. Aber ich hatte mich getäuscht.“

Und dennoch war sie immer noch mit dem Mann verheiratet. „Und wie war das dann mit meinem Vater?“

„William interessierte sich nur fürs Fliegen und Spielen. Als mein Vater starb, stellte ich fest, dass wir wegen Williams Spielleidenschaft in finanziellen Schwierigkeiten waren. Daraufhin übernahm ich das finanzielle Management, und dein Vater hat mir geholfen, mich einzuarbeiten. Aus Freundschaft wurde tiefe Liebe.“

Ihr Vater hatte also gewusst, dass seine Geliebte verheiratet war? Das konnte Lauren sich kaum vorstellen.

„Als ich von Kirk schwanger war, stellte er mir ein Ultimatum. Wenn ich William nicht verlassen und zu ihm ziehen würde, wäre unsere Beziehung vorbei. Aber das konnte ich nicht. Denn das Testament meines Vaters besagte, dass ich alles verlieren würde, sollte ich William verlassen, mein Treuhandvermögen, mein Erbe, meine Aktien. Und ich musste doch auch an meine anderen Kinder denken.“

„Aber du hattest keine Skrupel, mich zu verlassen?“

„William bestand darauf. Kirk wollte dich adoptieren. Ich willigte ein, aber nur unter der Bedingung, dass ich dich besuchen könnte. Es war außerdem der Wunsch deines Vaters,

dir nicht zu sagen, dass ich deine Mutter bin. Er wollte nicht, dass du dich vernachlässigt fühlst.“

„Wenn du meinen Vater so sehr geliebt hast, warum bist du dann nur einmal im Jahr gekommen?“

„Mehr hat William mir nicht erlaubt. Glaub mir, ich habe nur für diese eine Woche gelebt.“

Ihrem Vater war es ebenso ergangen. Wenn Jacqueline da gewesen war, war der Vater glücklich. Wenn sie wieder fortmusste, war er untröstlich.

Lauren sah sich in dem teuer ausgestatteten Raum um. „Ja, es muss schwierig für dich gewesen sein, wenn du nicht bei uns warst, hier in all dem Luxus und mit den Bediensteten, die alles für dich tun.“

Bei Laurens sarkastischem Tonfall zuckte Jacqueline zusammen. „Ich wäre bei euch geblieben, wenn ich gekonnt hätte.“

Dennoch empfand Lauren kein Mitleid mit der Mutter. Ihr war die finanzielle Sicherheit wichtiger gewesen als die Liebe eines Mannes, der alles für sie getan hätte. „Du glaubst also nicht, dass mein Vater sich das Leben genommen hat?“

Wieder zuckte Jacqueline zusammen. „Nein. Dein Vater hatte noch viele Pläne für die Zukunft.“

Lauren wollte ihr glauben. Aber irgendetwas stimmte da nicht. Die Mutter brachte es nicht fertig, ihr direkt in die Augen zu sehen, sondern hielt die Lider gesenkt.

Jetzt wurde die Haustür geöffnet. Männerstimmen waren zu hören. Lauren erstarrte. Das waren Gage und Trent! Wieso waren sie schon wieder zurück? Vielleicht blieben sie ja in der Eingangshalle … Aber da stand Trent schon in der Tür und starrte Lauren wütend an. „Ich wusste gar nicht, dass du heute Abend noch Besuch erwartet hast, Mutter.“ Seine Stimme war schneidend und eiskalt.

„Lauren ist hier immer willkommen.“

Gage sagte nichts, sah Lauren aber unverwandt an.

Sie erhob sich. Heute würde sie nichts mehr aus ihrer Mutter herausbekommen. „Ich wollte gerade gehen. Gute Nacht, Jacqui, gute Nacht, meine Herren. Bis morgen früh.“

„Gibt es etwas Neues?“ Lauren verschloss die Tür ihres Apartments und legte Schlüssel und Tasche ab, während sie mit der anderen Hand das Handy ans Ohr drückte.

„Nichts“, antwortete Lou.

„Warum dauert die Untersuchung nur so lange? Daddy ist doch schon seit zwei Monaten tot.“

„Lauren, mein Herzchen, diese Sache ist für dich und mich von äußerster Wichtigkeit, aber andere sehen das nicht so. Inzwischen sind viel größere Maschinen abgestürzt, deren Fälle man untersucht. Schließlich war Kirk nur Pilot einer kleinen Fluggesellschaft, der ein neues Flugzeug ausprobiert hat. Aber sag, wann kommst du endlich nach Hause?“

Lauren nahm die Spangen aus ihrem Haar und lockerte es auf. „Ich weiß es noch nicht. Jacqui spielt immer noch die Untröstliche.“

„Ich hoffe, du kommst bald. Ich brauche dich, mein Kleines.“

Lauren wurde das Herz schwer. Lou war immer wie ein zweiter Vater zu ihr gewesen. „Du fehlst mir auch, Onkel Lou. Ich melde mich, sobald ich etwas erfahren habe. Lass dein Handy an.“

„Ich werd mir Mühe geben, dran zu denken.“

„Bis bald.“ Sie konnte nur hoffen, dass sie bald die Antworten bekommen würde, die sie brauchte, damit Falcon Air wieder schwarze Zahlen schreiben konnte.

„Sie hat es schon wieder getan!“ Trents wütende Stimme drang nur zu deutlich durch die Freisprechanlage.

„Wer hat was getan?“ Gage umfasste das Lenkrad des gemieteten Autos fester.

„Meine Mutter hat schon wieder zweihunderttausend Dollar von ihrem Konto abgehoben.“

Gage pfiff durch die Zähne. „Hat sie sich schon wieder ein neues Auto gekauft?“ Jacqueline liebte teure Spielsachen.

„Unwahrscheinlich. Mutter befindet sich seit heute Morgen auf der Insel Anguilla. Ich wette, dieser kleine Blutsauger hat etwas damit zu tun. Warum sonst wäre Lauren gestern bei meiner Mutter gewesen? Ist sie bei dir?“

Müde rieb Gage sich über die Stirn. Er hatte einen anstrengenden Tag hinter sich. „Nein, ich bin gerade auf dem Weg zum Flugplatz.“

„Sag Lauren, dass sie sofort zu mir ins Büro kommen soll, wenn ihr zurück seid.“

Gage lachte kurz auf. Es herrschte dichter Nebel, den die Scheinwerfer kaum durchdringen konnten. „Sieh dir lieber die Wettervorhersage an. Ich glaube kaum, dass wir heute fliegen können.“

Trent fluchte.

„Vielleicht ist das gar nicht so ungünstig“, fuhr Gage fort. „Das verschafft dir Zeit herauszubekommen, was deine Mutter mit dem vielen Geld gemacht hat. Und ich nutze die Zeit, um Lauren weiter auszuhorchen.“

Er würde nicht zulassen, dass die Geldgier von wem auch immer das zunichtemachte, was Trent in langen Jahren harter Arbeit aufgebaut hatte. Das war er dem Freund schuldig.

Lauren rutschte unruhig auf dem Beifahrersitz hin und her. Immer wieder warf sie einen Blick auf das imposante Gebäude, das aus dem Nebel aufgetaucht war. Nicht schon wieder. Warum musste sie immer Männer kennenlernen, die ihr deutlich machten, dass sie nicht in ihre Welt gehörte? Es war wahrscheinlich gut, dass ihre letzte Verbindung in die Brüche gegangen war. Wenn sie Whit geheiratet hätte – allerdings hatte er sie nicht gefragt –, dann wäre sie bestimmt nicht glücklich geworden. Genauso wenig passte sie zu dem Hightower-Clan. „Können wir nicht irgendwo hingehen, wo es weniger …“

Gage sah sie kurz an und fuhr in eine Parklücke. „Weniger was?“

„Vornehm ist. Sie sind sicher an solche Restaurants gewöhnt, aber ich möchte einfach irgendwo gut essen, ohne mir Gedanken zu machen, welche Gabel ich benutzen muss.“

Sie hätte nie mit Gage zum Essen gehen sollen, auch wenn ihr Halbbruder das sozusagen befohlen hatte. In diesem kleinen Ort gab es leider wenig Auswahl.

Gerade wurde die schwere Messingtür aufgeschoben, und ein elegant gekleidetes Paar verließ das Restaurant. „Ich bin dafür nicht richtig angezogen“, fügte Lauren schnell hinzu.

„Wie kommen Sie auf die Idee, dass ich solche Restaurants bevorzuge?“

Sie wies mit der Hand auf seinen teuren Anzug. „Sie sind mit Trent befreundet und kommen wahrscheinlich aus einer ähnlich reichen Familie wie er.“

Gage lächelte, und Lauren wandte schnell den Blick ab. Donnerwetter. Der Mann sah verdammt gut aus, besonders wenn er lächelte. Schade, dass er für sie tabu war.

Außerdem war ihr Leben momentan viel zu kompliziert für eine Beziehung. Und seit Whit hatte sie sich geschworen, nichts mehr mit reichen Männern anzufangen. Sie schienen immer zu erwarten, dass sie die anderen, die weniger Geld hatten, für ihre Zwecke benutzen konnten. Ihre neue Familie war das beste Beispiel dafür.

Gage war ernst geworden. „Ich bin nicht im Reichtum groß geworden, Lauren. Ich habe mir alles selbst erarbeitet. Dennoch schätze ich gutes Essen und eine ordentliche Bedienung.“

Überrascht sah sie ihn an. „Ihre Eltern waren nicht reich?“

„Nein.“

„Wie konnten Sie dann auf die teure Privatuni gehen, auf der auch Trent war?“

Er zuckte kurz mit den Schultern. „Stipendien, ein Job.“ Er löste seinen Sitzgurt.

Lauren legte ihm kurz die Hand auf den Arm. „Gage, ich würde lieber woanders essen.“ Sie wies auf ein Paar, das auf das Restaurant zuging. Die Frau trug elegante Schuhe, ein schwarzes Cocktailkleid und ein Perlencollier.

Gage lächelte wieder, befestigte den Sitzgurt und fuhr aus der Parklücke. „Wir fahren in Richtung Hotel und suchen etwas unterwegs oder essen da.“

„Das wäre gut. Danke.“

Das Hotel war nicht weit entfernt. Bei dem Geruch von deftiger Kost merkte Lauren erst, wie hungrig sie war.

„Mit wem haben Sie denn vorhin telefoniert?“, fragte Gage, als sie am Tisch saßen. „Nur mit meinen Nachbarn. Wir hatten für morgen eine Motorradtour geplant.“

„Sie haben Bikerfreunde?“

„Warum nicht? Die sind auch nicht anders als andere Menschen.“

Als er zweifelnd den Kopf schüttelte, fuhr Lauren fort: „Sie haben wohl nicht viel Vertrauen in die Menschheit?“

„Wo ich herkomme, musste man aufpassen, dass man nicht bestohlen wurde“, sagte Gage und warf ihr ein ironisches Lächeln zu.

„Keine gute Nachbarschaft?“

Eine Weile sah er sie abwartend an. „Ich habe den Hauptteil meiner Kindheit und Jugend von der Wohlfahrt gelebt, in Armenküchen gegessen und im Auto meines Vaters geschlafen“, sagte er dann leise.

Überrascht starrte Lauren ihn an. „Das tut mir leid, Gage“, sagte sie schnell. „So sollte kein Kind leben müssen.“

„Ich brauche kein Mitleid. Ich will damit nur sagen, dass man nur das verdient, was man sich selbst erarbeitet hat.“

Sein Gesicht sah maskenhaft starr aus, und sie wusste, er würde nichts weiter über den Privatmann Gage Faulkner preisgeben. „Da haben Sie recht“, erwiderte sie deshalb nur. „Ich habe auch immer hart für alles, was ich habe, arbeiten müssen.“

„Tatsächlich?“ Ungläubig runzelte er die Stirn. Doch dann erschien der Kellner, um die Bestellung aufzunehmen. Als er gegangen war, sah Gage Lauren über den Tisch hinweg an. „Sie sagten, Sie seien mehr oder weniger auf einem Flugplatz groß geworden?“

„Wir hatten ein kleines Haus in der Nähe vom Daytona International Airport. Wir waren nicht arm, aber wir gehörten auch nicht zur Oberklasse. Ich war weder auf einer Privatschule, noch waren wir Mitglieder in einem Countryclub. Wir hatten auch keine Bediensteten, keinen Pool, keinen Tennisplatz oder andere Luxuseinrichtungen, ohne die Leute wie die Hightowers wohl nicht auskommen könnten.“

„Macht es Ihnen denn nichts aus, dass Ihre Halbgeschwister so viel vermögender sind als Sie?“

„Ich möchte nicht mit ihnen tauschen. Keiner von ihnen hat jemals das echte Leben kennengelernt. Sie sind nach dem College gleich in die Firma der Familie eingestiegen, wo man sie nicht entlassen konnte. Ich habe anfangs Autos und Flugzeuge gewaschen. Seit ich sechzehn war, habe ich im Restaurant gearbeitet, um mir das Geld für den Flugschein zu verdienen.“

Gage sah sie über den Rand seines Glases hinweg aufmerksam an. „Sie haben nie studiert?“

„Trent hat wohl wieder über mein Leben geplaudert, wie? Doch, ich war zwei Jahre auf dem College und dann …“ Sie biss sich auf die Unterlippe und senkte den Blick. Sollte sie ihm sagen, dass sie dabei war, das Examen nachzuholen? Doch die letzten Kurse würde sie sich nur leisten können, wenn die Lebensversicherung des Vaters zahlte.

„Und dann …“ drängte Gage.

Ihn ging das alles nichts an. Warum sollte sie einem Fremden von ihren finanziellen Schwierigkeiten berichten? Zumal er es sicher sofort Trent weitererzählen würde. Und der hatte dann noch mehr Grund zu glauben, dass sie es nur auf das Hightower-Vermögen abgesehen hatte.

Der Kellner brachte den Salat. Gage griff nach der Gabel und sagte: „Morgen mieten wir uns Motorräder und erkunden ein bisschen die Gegend. Hier ganz in der Nähe ist ein Harley-Verleih.“

Lauren sah ihn erstaunt an. Was sollte das nun schon wieder? Musste sie auch darauf eingehen? „Das ist mir zu teuer.“

„Ich bezahle.“

„Haben Sie denn einen Motorradführerschein?“

„Ja. Ich habe zwar schon ewig nicht mehr auf einem Motorrad gesessen, aber den Führerschein habe ich.“

Sie musterte ihn, ließ ihren Blick über seinen perfekten Anzug und den präzisen Haarschnitt gleiten. Das Bild, das sich ihr bot, wollte absolut nicht zu einem Motorradfahrer passen. „Das kann ich kaum glauben.“

Er zog den Führerschein aus der Brieftasche und reichte ihn ihr. „Ich konnte mir im College kein Auto leisten und hatte eine alte Maschine.“

Sie sah sich die Karte genau an. Ja, es stimmte, sie galt auch für Motorräder. Laut Geburtsdatum war Gage fünfunddreißig. Komisch, er wirkte älter. Sie stutzte, als sie die Adresse las. „Das ist ja ganz in meiner Nähe. Keine besonders vornehme Nachbarschaft.“

„Ich gebe ungern Geld für unnötige Dinge aus.“

„Wie Privatjets zum Beispiel?“ Das kam so zynisch heraus, wie sie es eigentlich nicht vorgehabt hatte. Verdammt!

Verärgert runzelte Gage die Stirn. Er nahm Lauren den Führerschein aus der Hand und steckte ihn zurück in die Brieftasche. „Zwei meiner Leute haben Elternurlaub genommen, und ich muss deren Job auch noch erledigen. Die Jets von HAMC ersparen mir da viel Zeit und damit Geld.“

Lauren sah ihn verlegen an. „Tut mir leid. Ich hätte das nicht sagen sollen. Ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen, dass Leute wie die Hightowers das Geld zum Fenster hinauswerfen.“

„Sie machen das nicht?“

„Nein, ich bin ziemlich sparsam.“

Er lächelte ironisch. „Wirklich? Wenn mich nicht alles täuscht, haben Sie ein Motorrad, einen Pick-up und ein Flugzeug. Auch nicht gerade sehr bescheiden.“

„Das wissen Sie wieder nur von Trent. Eigentlich geht es Sie nichts an, aber mein Auto stammt von einem Schrottplatz. Vater, Lou und ich haben es total auseinandergenommen und repariert. Aber es braucht viel Benzin, und so habe ich mich nach einem anderen Fahrzeug umgesehen. Mein Motorrad habe ich zum halben Preis bekommen, weil ich dem Besitzer kostenlose Flugstunden gegeben habe. Und mit dem Flugzeug habe ich auch Glück gehabt. Der Besitzer musste es unbedingt verkaufen. Ich nahm einen Geschäftskredit auf und kaufte es. Ich nutze es auch als Büro und ganz sicher nicht als Spielzeug.“

Gage lächelte. „Sie sind wirklich voller Widersprüche, Lauren Lynch. Es tut mir leid, dass ich Sie falsch eingeschätzt hatte.“ Seine dunklen Augen funkelten, und Lauren überlief es heiß. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, um möglichst viel Abstand zwischen sich und Gage zu bringen.

In diesem Moment war er ihr richtig sympathisch. Der Kellner brachte das Essen.

Aber er ist ein Feind, weil er für Trent spioniert und außerdem reich ist. Das alles sprach gegen ihn.

Wer weiß, was er im Schilde führte. „Es wird nicht klappen, Gage.“ Kühl blickte sie ihn an.

„Wie bitte?“ Er sah von seinem Teller hoch.

„Ihr Versuch, mich einzuwickeln, wird nicht funktionieren.“

Fragend zog er eine Augenbraue hoch. „Was meinen Sie damit?“

„Ich weiß genau, was Sie und Trent vorhaben. Ich bin schon einmal von einem reichen Mann ausgenutzt worden. Das passiert mir nicht noch mal. Und wenn Sie noch so attraktiv sind …“

„Sie finden mich attraktiv?“, unterbrach er sie. Wieder lächelte er sein unwiderstehliches Lächeln, und Laurens Puls beschleunigte sich.

Sie ignorierte die Frage. „Ich werde die Regeln von HAMC eisern befolgen und mich nicht mit Ihnen einlassen. Sie können also ruhig mit dem Flirten aufhören.“

„Ich flirte doch gar nicht.“

„Von wegen. Sie brauchen mich gar nicht so unschuldig anzusehen. Es geht Ihnen doch nur darum, mein Vertrauen zu gewinnen. Warum sonst sollen wir uns Motorräder mieten und Touristen spielen?“

Gage war ernst geworden. „Wenn ich nicht zu spät zum Flugplatz gekommen wäre, hätten wir noch vor dem Nebel starten können, und Sie wären jetzt zu Hause und könnten morgen Ihren freien Tag genießen. Mein Vorschlag sollte Sie nur dafür entschädigen.“

Misstrauisch blickte Lauren ihn an. Warum war er plötzlich so nett? Damit konnte sie nichts anfangen, denn sie wollte, dass er so unsympathisch wie Trent war.

Andererseits hatte sie schon immer das Gebiet kennenlernen wollen, in dem das Volk der Amish lebte. Allerdings musste sie auf der Hut sein, damit sie dem Charme von Gage nicht unterlag und ihm gegenüber zu offen war. Aber das würde sie schon schaffen. Schließlich hatte sie aus ihrer Beziehung mit Whit gründlich gelernt.

„Gut, Faulkner. Ich bin einverstanden. Unter der Bedingung, dass ich die Führung übernehme. Mit Motorrädern kenne ich mich sehr viel besser aus als Sie.“

Gage blieb ernst, was ihm nicht ganz leichtfiel. „Kein Problem. Nur zu, Lynch. Bis morgen.“

Lauren hatte ihre Maschine schon angelassen, als sie Gage über den Parkplatz auf sich zukommen sah. Warum musste der Mann nur so gut aussehen? Eine enge schwarze Lederjacke betonte die sowieso schon breiten Schultern und die schmale Hüfte. Der lederne Beinschutz über den Jeans sparte gerade den unteren Teil des Reißverschlusses aus, wie um den Teil der männlichen Anatomie besonders hervorzuheben. Wortlos blieb Gage neben der Maschine stehen, setzte den schwarzen Helm auf, zog die Handschuhe an und schwang das Bein über den Sattel.

Lauren konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Er sah so verdammt gut aus, wie er da auf der Harley saß, und sehr sexy.

Und das war ganz schlecht. Zumindest was ihr seelisches Gleichgewicht betraf.

Schnell richtete sie den Blick auf die Karte und sah sich noch einmal die Strecke an, die der Mann von der Harley-Vermietung vorgeschlagen hatte. Dann löste sie den Ständer und sah zu Gage hinüber.

Er verschlang sie geradezu mit den Blicken.

Lauren wurde heiß unter ihrem Schal. Ungeduldig lockerte sie ihn und atmete dabei tief durch.

Jetzt zog Gage den Reißverschluss der Jacke hoch, klappte das Visier des Helms herunter und startete das Motorrad. Die Muskeln seiner Oberschenkel zogen sich zusammen, als er die schwere Maschine noch im Stand zwischen den Beinen hielt. Zwischen den Beinen … Lauren Gedanken schweiften unwillkürlich ab … Schluss jetzt! Sie räusperte sich. „Fahren wir los?“

„Okay.“ Seine Stimme klang ruhig und sicher.

Offenbar war er früher viel Motorrad gefahren, denn er schien keinerlei Zweifel zu haben, die schwere Maschine beherrschen zu können.

Dieses Selbstvertrauen stand ihm ausgezeichnet.

Lauren wurden die Hände in den Handschuhen feucht, und sie ärgerte sich über ihre Reaktion. Eine Fahrt durch den kühlen Herbstmorgen war genau das Richtige, um einen klaren Kopf zu bekommen. „Sie brauchen mir nur zu folgen und auf meine Handsignale zu achten.“

„Fahren Sie los, Lauren. Ich komme schon nach.“

Sie klappte das Visier herunter und fuhr von dem Parkplatz auf die Straße. Wahrscheinlich würde Mr. Faulkner lieber die Führung übernehmen, aber das kam nicht infrage. Sie wollte nicht in einen Unfall verwickelt werden. Ein Todesfall in der Familie war mehr als genug.

4. KAPITEL

Gage hörte seinen Herzschlag in den Ohren pochen und spürte, wie pures Adrenalin durch seine Adern rauschte, als der Fahrtwind durch die Luftlöcher seines Helms pfiff.

Vor ihm lehnte Lauren sich in eine Kurve, ihr Körper schien ein Teil der Maschine zu sein. Gage folgte ihr und genoss die Kraft der gut ausgewogenen, großen Harley. Es hatte etwa eine Stunde gedauert, bis er wieder ein Gefühl für das Motorrad entwickelt hatte. Und als habe sie das geahnt, war Lauren in der ersten Stunde langsamer gefahren und hatte weniger kurvenreiche Strecken gewählt.

Als er jetzt mühelos Gas gab und wieder wegnahm, wurde ihm bewusst, wie sehr er die Geschwindigkeit genoss. Er musste lächeln. Wie lange schon war er nicht mehr so euphorisch gewesen.

Während der Collegezeit hatte er aus Kostengründen ein Motorrad gefahren und eigentlich nie Vergnügen daran gehabt. Sowie er sich ein Auto leisten konnte, hatte er das alte Ding verkauft und sich geschworen, sich nie wieder auf ein Motorrad zu setzen, geschweige denn sich eins zu kaufen. Jetzt war er da nicht mehr so sicher.

Wie gut, dass er Lauren die Führung überlassen hatte. So konnte er in aller Ruhe ihren hübschen runden Po betrachten. Wer war diese Frau da vor ihm? Offensichtlich genoss sie die Fahrt über kurvige Landstraßen und überdachte Brücken, vorbei an den typischen altmodischen Einspännern, die die Amish als Fortbewegungsmittel benutzten, vorbei an Ziegenherden und Dorfbrunnen. Hin und wieder zeigte sie auf etwas besonders Sehenswertes. Ihre Begeisterung war ansteckend, und Gage konnte nicht glauben, dass sie wirklich diese geldgierige Hexe war, als die Trent sie dargestellt hatte.

Alles, was er bisher von Lauren gesehen und mit ihr erlebt hatte, widerlegte dieses Bild. Aber Trent hatte eigentlich immer eine gute Menschenkenntnis besessen. Hatte er Gage nicht damals gewarnt, als Angela behauptet hatte, sie könne leicht auf Kinder verzichten? Doch leider hatte er, Gage, nicht auf ihn gehört und Angela geglaubt, die meinte, sie brauche nur ihn zu ihrem Glück. Doch schon ein Jahr nach der Hochzeit hatte alles ganz anders ausgesehen. Angela hatte sich Kinder gewünscht, Gage aber nicht. Und als er sie an ihre frühere Abmachung erinnerte, wollte sie nichts davon wissen und hatte sich schließlich von ihm scheiden lassen – eine Scheidung, die ihn sehr teuer zu stehen gekommen war.

Irrte Trent sich vielleicht, was Lauren betraf? Das war unwahrscheinlich. Vielleicht sah er, Gage, die Dinge nicht besonders klar, weil er die Frau da vor ihm so attraktiv fand?

Lauren machte ein Zeichen nach links und bog auf den Parkplatz eines Landgasthofs. Gage folgte ihr und kam neben ihr zum Stehen.

Lauren klappte ihr Visier hoch. „Lass uns etwas essen, bevor wir uns auf den Rückweg machen.“

„Gute Idee.“ Gage stieg ab, nahm den Helm vom Kopf und streckte sich. Das tat gut. Schon lange hatte er sich nicht mehr einen ganzen Tag freigenommen. Sein Leben bestand eigentlich nur aus Arbeit. Selbst die monatlichen Verabredungen mit Trent konnte er oft nicht wahrnehmen.

Nachdem Lauren den Helm abgenommen hatte, fuhr sie sich mit allen zehn Fingern durchs Haar und drehte sich dabei langsam um die eigene Achse. „Ist es nicht wunderschön hier?“

Sie war wunderschön. Ihre Wangen waren gerötet, und die Augen funkelten vor Begeisterung und Lebenslust. Unwillkürlich trat er dichter an sie, hob die Hand und berührte ihre Wange. Lauren sah ihn überrascht an, bewegte sich aber nicht.

Ihr Duft, frisch und mit einem Hauch von süßen Blüten, umschmeichelte ihn und erregte ihn noch mehr. Als sie jetzt den Mund leicht öffnete und den Kopf in den Nacken legte, wusste er, er sollte einen Schritt zurücktreten, oder er wäre verloren. Aber Gage konnte nicht anders, er musste sie küssen. Schnell beugte er sich vor und strich mit den Lippen über ihren Mund. Lauren zuckte zusammen, und als er ihre Unterlippe sanft mit der Zungenspitze kitzelte, stöhnte sie leise auf und erwiderte den Kuss. Sie legte Gage die Hände an die Schultern und schmiegte sich an ihn.

Sofort schlang er die Arme um ihre Taille, strich ihr langsam über den Rücken und umfasste schließlich ihren festen Po, um sie näher an sich heranzuziehen.

Das ging zu weit. Als erwachte sie aus einem Traum, riss Lauren die Augen auf und stieß Gage kräftig von sich. „Das haben Sie sich so gedacht, Faulkner. Ich will aber nicht Ihretwegen meinen Job verlieren.“

Verblüfft sah er in ihr erhitztes Gesicht. Hatte er da etwas missverstanden?

Wer war die echte Lauren Lynch? Die unkomplizierte Frau, die so viel Freude an der Landschaft hatte, oder die, die ihren Verwandten das Geld aus der Tasche ziehen wollte? Er musste unbedingt mehr über sie herausfinden, und das nicht nur, weil er es seinem Freund versprochen hatte.

Aber mit ihr ins Bett gehen? Das gehörte nicht zum Plan.

Und wenn sie noch so verführerisch war.

Als Lauren am Donnerstagabend in Knoxville landete, goss es in Strömen, und die Temperatur war auf sechs Grad gesunken. Keine angenehme Vorstellung, jetzt mit dem Motorrad nach Hause zu fahren. War das die Strafe dafür, dass sie Gage entgegen ihrer Vorsätze geküsst hatte? Schon wenn sie an seine Lippen dachte, schlug ihr Herz schneller. Seine warmen Hände auf ihrem Po … Entschlossen atmete sie ein paar Mal tief durch.

Das durfte nie wieder geschehen. Sein warmes Lächeln und das neugierige Funkeln in seinen Augen hatten sie vorübergehend betört. Doch nun war sie schlauer. Gage Faulkner war gefährlich, das wusste sie jetzt. Wahrscheinlich gefährlicher als Whit, denn bei ihm hatte sie sofort gewusst, was er wollte. Gage dagegen war gerissener. Er wollte sie mit seinem Charme einwickeln, damit Trent einen Grund hatte, sie zu entlassen.

Doch noch war nicht aller Tage Abend. Nur weil ihr einmal die Knie weich geworden waren, musste das kein zweites Mal passieren. Schließlich war sie nicht Cinderella. Sie glaubte nicht an Märchen und wusste, dass es kein Happy End für ein armes Mädchen und einen reichen Prinzen gab. Letzten Endes heiratete der Prinz doch nur eine Prinzessin und ließ Cinderella sitzen. Auch Whit hatte sich bloß mit ihr amüsiert und später die Tochter eines Kongressabgeordneten geheiratet.

Gage allerdings konnte ihr wirklich gefährlich werden. Also musste sie ihn loswerden. Aber wie?

Kalte Regentropfen rannen ihr in den Kragen, als sie über das Flugfeld zum Flughafengebäude rannte. Sie dachte kurz daran, ein Taxi zu nehmen, entschied sich dann aber dagegen. Das würde mindestens fünfzig Dollar kosten, Geld, das sie nicht übrig hatte. Sie riss die Tür auf.

„Parken Sie Ihre Harley im Hangar, ich fahre Sie nach Hause.“

Ach du Schreck, Gage hatte auf sie gewartet!

Spontan wollte sie ablehnen, überlegte es sich aber anders. Auch wenn sie so wenig Zeit wie möglich mit ihm verbringen wollte, ein Blick nach draußen in den strömenden Regen überzeugte sie, auch wenn es ihr mächtig gegen den Strich ging. „Danke, ich muss nur das Logbuch abgeben.“

„Ich warte draußen auf Sie.“

Nachdem sie das Motorrad untergestellt hatte, ging sie zu dem überdachten Eingang, wo der schwarze Geländewagen schon bereitstand.

Gage öffnete ihr die Tür und nahm Lauren die Tasche ab. Als sich dabei ihre Finger berührten, überlief es sie wieder heiß, und ihr wurde leicht schwindlig. Schnell griff er nach ihrem Arm, um sie zu stützen, aber Lauren entzog sich ihm und stieg ein.

Es herrschte dichter Berufsverkehr, aber der Regen rann an den Fenstern herunter, behinderte die Sicht und isolierte sie so vom Rest der Welt. Verstohlen sah Lauren Gage von der Seite her an. Offenbar konzentrierte er sich voll und ganz auf die Straße. Er hatte die Stirn gerunzelt und wirkte angespannt und so ganz anders als nach der Fahrt mit der Harley.

Aber da das Haar ihm in die Stirn hing und die feuchten Spitzen sich lockten, machte er trotz der Anspannung einen sehr viel menschlicheren Eindruck. Er hatte etwas von seiner Unnahbarkeit verloren … und sah dabei leider sehr sexy aus.

Schnell blickte sie wieder geradeaus. So etwas durfte sie nicht einmal denken. Sie musste ihn loswerden, bevor sie etwas tat, was sie später bereuen würde. Normalerweise behielt sie immer einen kühlen Kopf und verknallte sich nicht leicht. Nur Whit war eine Ausnahme gewesen. Ein paar kurze Monate hatte sie geglaubt, dass das Schicksal mehr für sie bereithielt als ihre Piloten-Karriere.

„Nehmen Sie die zweite Ausfahrt und dann die zweite Straße rechts. Ich wohne im dritten Haus links.“

Er tat wie ihm geheißen, fuhr in die Garageneinfahrt und stellte den Motor ab. Lauren stieg schnell aus und nahm ihre Tasche vom Rücksitz. Als sie sich aufrichtete, stand Gage bereits neben ihr. „Ich bringe Sie rauf.“

„Das ist nicht nötig. Danke.“

„Doch, es ist ja alles dunkel bei Ihnen.“

„Mir wird schon nichts passieren.“

„Ich bringe Sie bis in die Wohnung.“

„Wenn Sie unbedingt wollen …“ Sie zuckte kurz mit den Schultern und ging vor ihm die steile Außentreppe hinauf. Hastig zog sie den Schlüssel aus der Tasche, schloss die Wohnungstür auf, trat ein und knipste das Licht an. „Sehen Sie, alles ist in Ordnung.“

Gage trat ein, um dem Regen zu entkommen, und schloss die Tür hinter sich. Langsam blickte er sich um. „Hübsch, sehr hübsch haben Sie’s hier.“

Skeptisch lächelnd sah sie ihn an. Ihre zwei Zimmer waren nun wirklich nicht groß oder luxuriös, aber sauber und gemütlich. Jacqui hatte ihr immer wieder bei der Einrichtung helfen wollen, hatte ihr Geld angeboten und eine Innenarchitektin für sie engagieren wollen. Doch Lauren hatte nur abgewunken. Wenn Jacqui jetzt die liebende Mutter spielen wollte, dann war das leider zwanzig Jahre zu spät.

„Das Apartment ist vollkommen ausreichend für mich.“

„Dann gehe ich jetzt. Gute Nacht.“

Lauren nahm ihren ganzen Mut zusammen. „Gage?“

„Ja?“

„Sie müssen sich einen anderen Piloten suchen.“

Überrascht sah er sie an. „Warum denn das?“

„Weil nicht wieder passieren darf, was heute geschehen ist.“

„Okay. Einverstanden.“ Doch schon während er das sagte, hielt er den Blick auf ihren Mund gerichtet. Und Laurens Körper reagierte sofort.

„Bitte, sprechen Sie mit Trent wegen eines neuen Piloten. Auf mich würde er nicht hören.“

„In diesem Fall bin auch ich taub. Sie sind mir zugeteilt, solange ich Sie brauche. Damit müssen Sie sich abfinden.“ Er wandte sich um, öffnete die Tür und ging hinaus.

Frustriert stöhnte Lauren auf und schloss die Tür hinter ihm. Das konnte nicht gut gehen. Da war sie ganz sicher.

Warum habe ich mich nicht krankgemeldet, dachte Lauren, als sie aus dem Flugzeug stieg und auf das Flugfeld trat. Aber sie hatte in ihrem Leben noch nie krankgemacht und würde damit auch jetzt nicht anfangen. Außerdem hatte sie drei Tage in San Francisco vor sich und eigentlich einen neuen kleinen Jet fliegen sollen. Nur leider war das zu schön gewesen, um wahr zu sein. Es würde wohl nichts daraus werden. Denn mit dem Kommunikationssystem war etwas nicht in Ordnung. Es konnte zwar repariert werden, aber das würde den Start verzögern.

Die Tage in San Francisco würde sie nutzen, um mit ihrer Examensarbeit voranzukommen. Aber sicher hatte sie auch Zeit, ein bisschen Tourist zu spielen und die eine oder andere Sehenswürdigkeit zu besuchen.

Die Tür des Flughafengebäudes öffnete sich, und Mr. Faulkner trat heraus. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Schon wieder war er eine halbe Stunde zu früh da.

„Guten Morgen.“ Lächelnd blieb er vor ihr stehen und musterte sie langsam von Kopf bis Fuß. Diese Uniform hatte sie nie für besonders attraktiv gehalten, aber er schien das anders zu sehen. Unter seinem anerkennenden Blick wurde ihr heiß. Hinzu kam, dass sie in der vergangenen Nacht von seinem Kuss geträumt hatte. Und das nicht nur einmal …

Kurz presste sie die Lippen aufeinander. „Guten Morgen, Mr. Faulk…“ Er runzelte die Stirn. „Ich meine, Gage“, sagte sie schnell. „Sie sind früh dran. Ich bin noch nicht ganz fertig. Wollen Sie nicht im Restaurant warten? Vielleicht einen Kaffee trinken?“

„Ich habe schon gefrühstückt.“ Er wies mit dem Kopf auf den kleinen Jet. „Gibt’s Probleme?“

„Die Internetverbindung funktioniert nicht.“

„Auf dieser Reise brauche ich kein Internet.“

Aber sie brauchte es. Sie musste ihre Arbeit am Montagmorgen um acht Uhr abgeben. Und sie musste noch einiges an Material überprüfen, auch mithilfe des Internets, musste alles noch einmal durchgehen und dann die Arbeit an ihren Professor mailen. Außerdem wollte sie sich auch bei ihrer Mutter melden, die plötzlich in die Karibik gereist war. Ging sie ihr etwa aus dem Weg? Allmählich war Lauren genervt von dem ewigen Katz-und-Maus-Spiel mit ihrer Mutter. Nach zwei Monaten hatte sie immer noch nicht mehr über den Tod ihres Vaters in Erfahrung bringen können.

„Die Reparatur sollte nicht lange dauern.“

„Ist denn sonst alles in Ordnung?“

„Ja, aber …“ Seine Nähe verwirrte sie zusehends. Er roch so gut. Seine Wangen waren glatt rasiert, aber der leichte bläuliche Schimmer an seinem Kinn war ein Zeichen für einen kräftigen dunklen Bartwuchs und gab dem Mann einen verwegenen Touch …

Doch Gage riss sie aus ihren Gedanken. „Tut mir leid, aber ich habe es eilig.“ Er ergriff sie beim Arm und schob sie in Richtung Jet. Bei seiner Berührung wurde ihr wieder heiß. Gleichzeitig ärgerte sie sein Befehlston. Hastig machte sie sich los und drehte sich zu ihm um. „Ich fliege äußerst ungern, wenn das Flugzeug nicht voll einsatzfähig ist.“

„Dann lassen Sie es eben in San Francisco reparieren.“ Mit schnellen Schritten ging er auf das Flugzeug zu.

Lauren stöhnte leise. Sie konnte nichts tun. Ihre Zeit gehörte Gage. Es interessierte niemanden, dass sie ihre Arbeit nicht rechtzeitig abgeben konnte und deshalb das Examen verschieben musste.

Der Kunde hat immer recht, es sei denn, seine Sicherheit ist gefährdet. Das hatte ihr Vater ihr immer gepredigt. Sie biss die Zähne zusammen und folgte Gage zum Flugzeug.

Es war nicht leicht gewesen, in San Francisco ein Hotel zu finden, das keinen Internetzugang besaß. Aber Gage hatte es geschafft und auch Trent überreden können, die Internetverbindung des Jets zu unterbrechen, damit Lauren keine Möglichkeit hatte, mit ihrer Mutter Kontakt aufzunehmen.

Die kleine Pension hatte einen ganz besonderen Charme, wenn sie für Gages Geschmack auch ein bisschen zu romantisch und altmodisch eingerichtet war. Aber sie lag zentral, war in einem der attraktiven Stadthäuser untergebracht und schien sauber und gut geführt zu sein. Für ihn spielte das sowieso keine große Rolle, denn er hatte in San Francisco einen Termin nach dem anderen.

Als er schließlich am Nachmittag mit einem Berg unerledigter Akten zurückgekommen war, war er um einen kurzen Plausch mit der Besitzerin Esmé und ihrem Freund Leon, die ihn mit einem Glas Wein an der Haustür abgefangen hatten, nicht herumgekommen. Aber jetzt musste er sich dringend an die Arbeit machen. Aber wo war Lauren? Laut Esmé hatte sie kurz nach dem Einchecken das Haus verlassen. Und inzwischen waren immerhin schon einige Stunden vergangen.

„Da ist sie ja“, rief Leon.

Schnell wandte Gage sich um und sah Lauren die Straße herunterkommen. Eine Brise wehte ihr das Haar aus der Stirn, und die sinkende Sonne ließ vereinzelte Strähnen kupferfarben aufleuchten. Jeans und eine kurze Jacke brachten ihre schlanke Figur äußerst vorteilhaft zur Geltung. Als sie sich jetzt umwandte, um noch einen Blick auf die berühmte Golden-Gate-Brücke zu werfen, erinnerte ihre wohlgeformte Rückseite Gage wieder an den Motorradausflug, und sein Körper reagierte sofort. Kein Wunder, er hatte in letzter Zeit einfach zu viel gearbeitet und schon lange keine Frau mehr gehabt.

Warum aber konnte er diese Erinnerung nicht ignorieren? Warum musste er ständig an den Kuss denken und daran, wie sie sich an ihn geschmiegt hatte?

Jetzt wandte Lauren sich wieder um und winkte Esmé lächelnd zu, die vor die Tür getreten war, zog die Hand aber schnell zurück, als sie Gage sah. Sofort wurde sie wieder ernst, und ihr Schritt verlangsamte sich. Dass sie ihn offensichtlich nicht sehen wollte, schmerzte irgendwie, aber Gage unterdrückte das Gefühl. Er war schließlich weder ihr Freund noch ihr Liebhaber, sondern ihr Kunde.

Schließlich stieg sie die wenigen Stufen zur Haustür hinauf und wurde von Leon und Esmé begrüßt, als sei sie eine längst verschollen geglaubte Enkeltochter. „Hast du das Internet-Café gefunden und deine Arbeit fertigstellen können?“

„Ja, ich konnte sie sogar einen Tag früher an meinen Professor schicken.“

Sie hatte Zugang zum Internet gehabt! „Was für eine Arbeit?“, fragte Gage grimmig.

Lauren unterdrückte ein Lächeln. „Ich musste die Abschlussarbeit für Betriebswirtschaft bis spätestens Montag einschicken.“

„Sie besuchen Vorlesungen?“

Das klang barsch, und Lauren zögerte kurz mit der Antwort. „Ja, ich mache einen Internetkurs, den die University of Central Florida anbietet. Sie haben mich doch heute nicht gebraucht? Sie hätten mich sonst jederzeit über mein Handy erreichen können.“

„Nein, ich habe Sie nicht gebraucht.“ Wie ärgerlich, dass sie doch Zugang zum Internet gefunden hatte. Sicher hatte sie auch mit ihrer Mutter Kontakt aufgenommen. Verdammt!

Leon drückte Lauren ein Glas Wein in die Hand und nahm ihr die Tasche ab.

„Warum studieren Sie denn noch? Sie haben doch schon einen Beruf“, wollte Gage wissen.

„Ich möchte gern meinen Bachelor machen. In diesen unsicheren Zeiten weiß man nie, wozu das mal gut sein kann.“

Aha, sie war also nicht nur kompetent, selbstbewusst und intelligent, sondern auch noch ehrgeizig. Würde sie das alles auf sich nehmen, wenn sie so viel schneller auf irgendwelchen unlauteren Wegen zu Geld kommen könnte? Irgendwie war sie so anders, als Trent sie beschrieben hatte.

Anerkennend klopfte Esmé Lauren auf die Schulter.

„Schlaues Mädchen. Hast du denn auch deine Mutter erreicht?“

„Das schon, aber sie hatte keine Zeit. Ich werde es morgen noch mal versuchen.“

Das kommt überhaupt nicht infrage. „Was wollen Sie denn von Ihrer Mutter?“, fragte Gage.

Offen sah Lauren ihn an. „Ich habe viele Fragen.“

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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