Das Herz des Wüstenprinzen

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Wir haben für Sie die schönsten Romane aus 1001 Nacht zusammengestellt - vom Scheich bis zum Wüstenprinzen - tauchen Sie ein in die faszinierende Welt des Orients.

KÜSSE UNTERM WÜSTENHIMMEL

Heiß wie die Sonne brennt Fariqs Kuss auf ihrer Haut. Crystal vergisst alles um sich herum. Erst als ihr der Prinz sanft die Brille abnehmen und die Haare lösen will, kriegt sie Panik: Auf keinen Fall darf er sie erkennen!

WERDE MEINE KÖNIGIN

Für standesgemäße Bräute interessiert sich Prinz Kamal nicht, solange er endlose Lust mit der Krankenschwester Ali erleben kann. Aber die will nicht seine Geliebte auf Zeit sein ...

DER KUSS DES PRINZEN

Ein luxuriöser Blumenstrauß, eine Einladung zum Lunch - Rose lässt sich davon nicht so leicht beeindrucken. Khalim gibt sich damit aber nicht zufrieden. Er setzt alles auf eine Karte: seine unwiderstehlichen Verführungskünste ...

WIE IM MÄRCHEN

Seit ihrer ersten Begegnung mit Rashid ist Bridget dem attraktiven Scheich total verfallen. Aber er ist der Freund ihrer Cousine! Erst als sie in einer heißen Nacht in seinen Armen liegt, wagt sie zu hoffen ...

IM PALAST DER LEIDENSCHAFT

Jenna soll aus New York weggehen und Scheich Rashid heiraten! Nicht mit ihr. Sie will wahre Liebe. Doch dann sieht sie Rashid und ihre Knie werden weich ...

MEIN GELIEBTER PRINZ

Eine Scheinehe mit Prinz Kaliq ... In seinem orientalischen Luxusloft fühlt sich alles irgendwie echt an! Molly will Kaliq erst abblitzen lassen, doch dafür ist es eigentlich zu gut ...

HERRSCHER MEINES HERZENS

Erotische Kalenderfotos von seiner Traumfrau? Das kann Scheich Hashim eigentlich nicht zulassen. Er trennt sich von Sienna, aber er kann die verführerische Schöne einfach nicht vergessen …


  • Erscheinungstag 16.02.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733776275
  • Seitenanzahl 896
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Teresa Southwick, Sharon Kendrick, Barbara Mcmahon

Das Herz des Wüstenprinzen

IMPRESSUM

Küsse unterm Wüstenhimmel erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© Teresa Ann Southwick
Originaltitel: „To Kiss A Sheik“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRA
Band 231 - 2004 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

Umschlagsmotive: iconogenic, Guenter Guni / iStockphoto
Umschlaggestaltung: Sara Gerdes

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733742829

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Sie fühlte sich wie das hässliche Entlein an einem ganz besonders schlechten Tag.

Crystal Rawlins rückte die großen, dicken Brillengläser zurecht, die so viel von ihrem Gesicht verdeckten wie nur irgend möglich. Sie war nicht daran gewöhnt, dass etwas ihre Sicht einschränkte, doch für ihre Tarnung war das Ganze unerlässlich. Und jetzt hieß es Showtime.

„Ich bin Crystal Rawlins“, stellte sie sich Seiner Hoheit Fariq Hassan vor, während sie beide neben dem auf Hochglanz polierten Kirschholzschreibtisch in seinem Büro standen.

„Ja. Das neue Kindermädchen. Willkommen in El Zafir, Miss Rawlins. Es freut mich, Sie kennen zu lernen.“

Er war die Verkörperung von groß, dunkel und – wow! Ohne Probleme hätte er das Vorbild für jeden Märchenprinzen abgeben können. Höflich lächelnd streckte er ihr die Hand entgegen.

Ich schüttele dem Teufel die Hand.

Der Gedanke kam Crystal unweigerlich, als sie die Begrüßungsgeste erwiderte. Der kurze Körperkontakt ließ ihre ohnehin schon zittrigen Nerven vollends durchgehen.

Wenn sie sich sonst zu ihrem ersten Arbeitstag einfand, trug sie normalerweise ein sorgfältiges Make-up und Kleidung, in der sie sich professionell und sicher fühlte. Doch sie hatte nie einen Job wie diesen gehabt, weder was Umstände, Geld noch Bedeutung anbelangte. Und die Risiken waren niemals so groß gewesen. Eine seltsame Wendung des Schicksals hatte dazu geführt, dass ihr gutes Aussehen zu ihrer Entlassung führen konnte. Und wenn das passieren sollte, wer würde dann die Arztrechnungen ihrer Mutter bezahlen? Die Gläubiger drohten ohnehin schon, ihrer Mutter alles zu nehmen, was sie besaß – auch das Haus, in dem Crystal aufgewachsen war – und das würde sie, Crystal, niemals zulassen.

„Es freut mich ebenfalls, Sie endlich kennen zu lernen, Euer Hoheit. Ich habe ein paar Nachforschungen angestellt und dabei viele wunderbare Dinge über Ihr Land erfahren. Ich bin sehr dankbar, dass ich die Chance bekommen habe, hier zu arbeiten.“

Er musterte sie. „Selbst wenn der Vertrag über drei Jahre geht? Von den Ferien mal abgesehen, ist es eine lange Zeit, die Sie fern Ihrer Heimat verbringen.“

„Einen festen Job zu haben ist etwas sehr Gutes.“

Er nickte zustimmend. „Das ist wahr. Genauso wie Stabilität für meine Kinder.“

„Ihre Tante erwähnte, dass Sie in letzter Zeit einige Schwierigkeiten mit der Besetzung dieser Stelle hatten. Fünf Kindermädchen in einem Jahr, wie ich hörte?“

„Ja.“ Er runzelte die Stirn.

„Ich versichere Ihnen, dass es meine volle Absicht ist, den Vertrag zu erfüllen.“

„Gut. Ich verstehe jetzt, warum meine Tante so von Ihnen geschwärmt hat, nachdem sie Sie in New York getroffen hatte.“

„Prinzessin Farrah hat einen ausgezeichneten Geschmack …“ Crystal hielt mitten im Satz inne. Das klang ja furchtbar eingebildet und ganz und gar nicht wie das, was sie gemeint hatte. „Ich wollte sagen, die Prinzessin scheint sehr wählerisch zu sein und eine gute Beobachtungsgabe zu haben. Und außerdem einen wunderbaren Sinn für Mode.“

„Auch für Kindermädchen, wie ich hoffe.“

Fariq war der Vater von den fünfjährigen Zwillingen, um die sie sich kümmern sollte. Es war wichtig, dass sie ihn von Anfang an von sich überzeugte.

Nun stand sie also ihrem zukünftigen Boss gegenüber, der, wenn nicht der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte, doch zumindest zu den Top Drei zählte, und sie hatte nur ihr nacktes Gesicht zu bieten. Was hätte sie für ein wenig Kosmetik gegeben oder hohe Absätze und ein maßgeschneidertes Kostüm!

Stattdessen bemühte Crystal sich um ein unscheinbares Äußeres, wie es in der Jobqualifikation gefordert worden war. Eine ganz schöne Herausforderung für eine ehemalige Schönheitskönigin. Schließlich war sie der Stolz ihrer Heimatgemeinde Pullman, Washington. Dort war ihr ganzer Erfolg nur von ihrer Optik bestimmt worden. Doch jetzt kam der Moment der Wahrheit: Würde der Prinz die Maskerade durchschauen, die aus hässlicher Brille, sackartigem, marineblauem Kostüm, flachen Schuhen und einer Frisur bestand, bei der ihre Haare so streng und fest zurückgebunden waren, dass es schmerzte?

Wenn ja, würde sie sofort in den Flieger gesetzt werden, und zwar ohne das großzügige Gehalt, das der Hauptgrund für ihre Anwesenheit in El Zafir war. Der andere Grund lag darin, dass es ihr die Möglichkeit bot zu reisen und ein fremdes Land kennen zu lernen. Das war ihrer Mutter wichtig gewesen und auch der einzige Weg, auf dem Crystal sie dazu hatte bringen können, finanzielle Hilfe von ihr anzunehmen.

„Bitte setzen Sie sich, Miss Rawlins.“ Er deutete auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch.

„Danke schön.“

Sie nahm Platz und unterdrückte einen wohligen Seufzer, als sie in das weiche Leder sank.

„So“, murmelte er, während er um den Tisch herumging und sich dann dahinter setzte. Er begegnete ihrem Blick. „Wie war Ihr Flug von …“ Er schaute hinunter auf etwas, was vermutlich ihre Bewerbungspapiere waren. „Washington? Dem Anbaugebiet köstlicher Äpfel, wie ich mich zu erinnern glaube.“

„Nicht in Pullman. Dort gibt es überall nur Weizen. Und mein Flug war sehr lang, Euer Hoheit. Ich habe vergessen, wie viele Zeitzonen ich passiert habe.“

„Ja.“

Fariq Hassan war der Mittlere der drei Söhne von König Gamil, und offensichtlich verschwendete er nicht viele Worte. Ihre Nachforschungen über die traumhaft reiche königliche Familie dieses Landes des Mittleren Ostens hatten ergeben, dass die Hassans in der absoluten Oberliga spielten. Der jüngste Sohn Rafiq war so etwas wie ein Playboy. Der älteste Sohn, Kronprinz Kamal, wurde von der Presse als begehrtester Junggeselle der Welt gehandelt, und Fariq war ein Witwer, der von einigen der schönsten Jet-Set-Frauen regelrecht verfolgt wurde.

„Haben Sie sich von der Reise erholt?“, erkundigte er sich höflich.

„Ich bin dabei. Gestern habe ich mich wie ein begossener Pudel gefühlt“, seufzte sie. „Wahrscheinlich habe ich auch genau so ausgesehen“, fügte sie hinzu und testete damit die Wirkung ihrer Maskerade.

„Ich bin sicher, das war nicht der Fall.“

„Sie sind sehr freundlich. Und ich bin dankbar für die Möglichkeit, mich zu akklimatisieren. Ich habe es sehr geschätzt, dass ich mich ein wenig erholen konnte, um auf Sie und die Kinder einen möglichst positiven Eindruck zu machen.“

„Erzählen Sie mir von Ihren Erfahrungen mit Kindern.“

Er betrachtete sie sehr aufmerksam, doch sein Blick zeigte nicht mehr als normale Neugier. Wenn eine Frau es gelernt hatte, mit ihrem weiblichen Radar männliches Interesse zu erkennen, dann war es Crystal. Sie hatte genügend praktische Erfahrung sammeln können und sich geschworen, niemals wieder das dekorative Anhängsel eines Mannes zu sein. Seine neutrale Reaktion deutete an, dass ihre Verkleidung funktionierte. Warum war sie dann leicht enttäuscht, dass er sie offensichtlich kein bisschen attraktiv fand?

„Ich habe mein Studium damit finanziert, dass ich Kinder gehütet habe.“ Und mit dem Preisgeld aus dem Schönheitswettbewerb. „Ich habe einen Abschluss in Erziehungswissenschaften. Nach dem Examen habe ich ein Jahr lang bei einer wohlhabenden Familie in Seattle gearbeitet. Meine Empfehlungsschreiben liegen Ihnen vermutlich vor …“

„Ihre Referenzen sind tadellos. Ein Abschluss in Erziehungswissenschaften?“ Er blickte sie fragend an.

Mit diesen schwarzen Augen schien er geradezu durch sie hindurchzusehen. Wie Röntgenstrahlen.

„Irgendwann möchte ich gerne unterrichten.“ Sie setzte sich so aufrecht hin, wie sie konnte, straffte ihre Schultern und warf ihm ihren besten Ich-habe-nichts-zu-verbergen-Blick zu.

„Sie haben kein Bedürfnis, eine eigene Familie zu gründen?“ Er hob eine mitternachtsschwarze Augenbraue.

„Irgendwann sicher. Aber da sind einige Dinge, die ich vor Liebe, Heirat und Kindern erleben möchte.“

„In dieser Reihenfolge?“

„Welche andere Reihenfolge sollte es geben?“

Seine Mundwinkel nahmen einen zynischen Zug an. „Kinder, dann die Heirat.“

Crystal schoss das Blut in die Wangen bei der Andeutung von Sex vor der Hochzeit. Heutzutage war das wohl völlig normal, und sie beurteilte auch niemanden danach. Aber die Tatsache, dass sie mit diesem Mann über so intime Dinge sprach, trieb ihr die Röte ins Gesicht.

Sie rutschte nervös auf ihrem Ledersessel herum, und schaute ihm dann schließlich in die Augen. „Euer Hoheit, ich bin nicht so naiv, dass ich nicht wüsste, dass das vorkommt. Aber nicht bei mir.“

„Ich verstehe. Ich dachte allerdings, dass amerikanische Frauen so stolz darauf sind, eine Karriere und eine Familie zugleich unter einen Hut bringen zu können. Worin liegt also die Notwendigkeit zu warten, Miss Rawlins?“

„Es ist nun mal nicht die Art und Weise, wie ich es machen möchte. Ich liebe Kinder, weshalb ich auch Erziehungswissenschaften studiert habe. Und wenn ich eigene habe, beabsichtige ich, zu Hause zu bleiben und sie großzuziehen. Aber wenn der Zeitpunkt der Richtige ist, werde ich wieder arbeiten gehen. Mein Beruf als Lehrerin wird es mir ermöglichen, Feiertage und Ferien mit meinen Kindern verbringen zu können.“

„Aha. Eine Planerin. Sehr organisiert.“ Er runzelte die Stirn.

„Ist daran irgendetwas falsch?“

„Im Gegenteil. Ich finde das sehr erfrischend.“

Den Eindruck machte er allerdings gar nicht. Er wirkte vielmehr so, als wenn er ihr nicht glauben würde. Sie schlang die Hände ineinander und ließ sie in ihrem Schoß ruhen. „Darf ich Sie etwas fragen?“

„Ja.“

„Ich bitte um Entschuldigung, wenn das impertinent wirken sollte, aber als Erzieherin habe ich gelernt, dass es wichtig ist, eine Atmosphäre zu schaffen, in der keine Frage als dumm betrachtet wird.“

Er verzog amüsiert die Mundwinkel. „Ich verstehe. Jetzt, wo Sie sich erklärt haben, stellen Sie bitte Ihre dumme Frage.“

Crystal war sich nicht ganz sicher, ob er sich über sie lustig machte oder nicht. Sie entschied aber, dass sie sich davon nicht aus dem Konzept bringen lassen würde. Schon wegen seiner Kinder würden sie miteinander auskommen müssen. Daher war es wichtig, dass er akzeptierte, dass sie eine Frau war, die ihre Meinung sagte.

„Es ist eigentlich keine dumme Frage, sondern geht mehr in Richtung der Klärung eines Sachverhalts. Dieses … Gespräch, das wir hier führen, fühlt sich mehr wie eine Bewerbungssituation an als eine Begrüßung. Ich hatte aber den Eindruck, dass ich bereits für die Stelle engagiert wäre.“

Er nickte. „Meine Tante war sehr von Ihnen beeindruckt, und ich respektiere ihre Meinung sehr. Aber es handelt sich hier um meine Kinder, Miss Rawlins. Die endgültige Entscheidung liegt bei mir.“

„Wenn Sie also anderer Meinung sind als Prinzessin Farrah …“

„Dann sitzen Sie im ersten Flugzeug zurück in die Vereinigten Staaten“, erklärte er vollkommen offen.

„Was eine neue Frage aufkommen lässt.“

„Eine dumme?“ Er grinste sie an, wodurch er den Worten die mögliche Schärfe nahm.

„Ich … ich hoffe nicht.“ Sie räusperte sich. „Warum wollten Sie ein amerikanisches Kindermädchen? Warum nicht eine Frau aus Ihrem eigenen Land, die mit den Sitten El Zafirs vertraut ist?“

„Was meine Kinder über ihr Land wissen müssen, werde ich ihnen selbst beibringen, genauso wie der Rest meiner Familie. Aber viele unserer Geschäftsbeziehungen gehen in den Westen, und aufgrund ihrer Geburt werden Hana und Nuri El Zafir dienen müssen. Sie werden mit vielen amerikanischen Diplomaten und Geschäftsleuten verkehren, und Sie können sie darauf vorbereiten, und zwar in einer Art und Weise wie das niemand aus meinem Land tun könnte. Es ist etwas, was ich als sehr wichtig empfinde.“

Crystal schluckte. „Was die Jobqualifikationen anbelangt, Euer Hoheit.“

„Waren die nicht klar genug?“

„Es ist interessant, dass Sie das fragen. Dürfte ich erfahren, warum ein schlichtes, unscheinbares Kindermädchen gesucht wurde?“

„Ich glaube die eigentliche Formulierung lautete ‚eine schlichte, unscheinbare, unaufdringliche amerikanische Frau von einiger Intelligenz, die gut im Umgang mit Kindern ist‘.“

Crystal konnte mehr als unaufdringlich sein, sie machte sich auch keinerlei Gedanken um den Teil über den guten Umgang mit Kindern. Es war das Adjektiv „schlicht“, das sie verwirrte.

Aus Spaß hatte sie die Definition im Wörterbuch nachgeschlagen, die von diskret und einfach bis zu hässlich und unattraktiv reichte. War ihm eigentlich klar, dass sie sich von der Formulierung beleidigt fühlen könnte? In erster Linie war sie jedoch neugierig.

„Ich verstehe die Bedeutung der restlichen Formulierung. Ihre Tante hatte jedoch nicht erklärt, warum ‚Schlichtheit‘ so ein wichtiges Kriterium ist.“

„Weil schöne Frauen …“ Er zögerte, und währenddessen wurde sein Blick hart. Sein Mund war nur noch eine dünne Linie.

„Was ist mit schönen Frauen?“, hakte sie nach, wobei sie bei seinem Gesichtsausdruck innerlich zitterte.

„Sie sind eine unwillkommene Ablenkung.“

„Ich verstehe.“

Sie hatte Arroganz erwartet und war nicht enttäuscht worden. Schöne Frauen waren eine unwillkommene Ablenkung? Ärger stieg in ihr auf. Sie war dazu erzogen worden, die Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen, aber ein Scheich kam vielleicht damit davon, anderen die Schuld für seine Unzulänglichkeiten zu geben.

„Euer Hoheit“, begann sie. „Lassen Sie mich sichergehen, dass ich Sie richtig verstehe. Wenn Sie nicht in der Lage sind, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, dann ist es die Schuld der Frau – zumindest wenn sie zufälligerweise schön ist?“

Wieder hob sie das Kinn und ließ ihn einen langen Blick auf ihr Gesicht werfen. Wenn ihre Maskerade einer kritischen Musterung nicht standhalten würde, war es das Beste, es gleich zu erfahren.

Sie betrachtete sich selbst nicht als schön – nicht in der Liga, in der Fariq Hassan spielte. Doch zu Hause hatte sie ihren Teil an Aufmerksamkeit erhalten, wenn auch nicht immer in positiver Hinsicht. Und sie fand nicht, dass ihr Aussehen darüber entscheiden sollte, ob sie dazu geeignet war, Kinder zu erziehen oder nicht.

Sie starrten sich mehrere Augenblicke lang an, und Crystal wünschte sich, er würde etwas sagen. Sie befürchtete bereits, dass ihre scharfe Zunge sie einmal mehr in Schwierigkeiten gebracht hatte. Dennoch war es besser, das gleich zu Beginn zu klären – für sie beide. Und besonders für die Kinder.

„Lassen Sie mich sehen, ob ich die Frage richtig verstehe“, meinte der Prinz schließlich. In seinen Augen funkelte es, was Humor bedeuten konnte. „Wenn ich mich in der Gegenwart einer schönen Frau nicht konzentrieren kann, dann fragen Sie, wessen Schuld das ist?“

„Das fasst es in etwa zusammen.“

„Es ist natürlich die Schuld der Frau.“

Wieder wusste sie nicht, ob er scherzte, beschloss dann aber, so zu tun, als meine er es ernst. „Dann sollten Sie etwas über mich wissen, bevor wir weiterreden.“

Er legte die Hände zusammen und lehnte sich über den Schreibtisch hinweg weiter vor. „Und was ist das?“

„Die Basis meiner Philosophie im Umgang mit Kindern liegt darin, dass ich von ihnen verlange, dass sie immer die Verantwortung für ihre Taten übernehmen.“

„Nun, dann ist da auch etwas, dass Sie über mich wissen sollten.“

„Und das wäre?“

„Ich bin kein Kind. Und ich habe immer recht.“

Über seine erste Aussage ließ sich zweifellos nicht streiten. Er war durch und durch maskulin! Sie schluckte trocken. Durch diese provozierende Antwort, wäre ihr beinahe die Arroganz in seiner zweiten Aussage entgangen. Er hatte immer recht?

„Es ist immer gut zu wissen, wie sein Arbeitgeber einen bestimmten Sachverhalt sieht“, erwiderte sie. „Ich gehe mal davon aus, dass Sie noch mein Arbeitgeber sind.“ Sie hielt den Atem an.

„Ich denke, meine Tante hat weise ausgesucht. Sie werden Ihre Sache gut machen.“

Crystal war klar, dass sie erleichtert darüber sein sollte, der Musterung standgehalten zu haben. Sie hatte es geschafft. Sie war eingestellt. Bevor sie den Prinzen persönlich getroffen hatte, hatte genau darin ihre Hoffnung gelegen. Unglücklicherweise fühlte sie sich jetzt, wo ihr der Job sicher war, seltsam enttäuscht über ihren Erfolg. Er glaubte also tatsächlich, dass sie so schlicht und bieder war, wie sie vortäuschte. Er nahm ihre Kleider, ihr Haar und die Brille wahr und schaute nicht weiter.

„Ich würde jetzt sehr gerne die Kinder kennen lernen“, meinte sie. Wenn das hier ein Jobinterview war, dann war sie diejenige, die es führte, aber sie wollte wirklich so bald wie möglich die beiden Kleinen treffen.

„Ich werde Sie zu ihnen bringen und Sie vorstellen.“ Sie hörte Stolz aus seiner Stimme, und in seinen Augen lag ein zärtlicher Ausdruck.

Fariq stand auf, umrundete den Schreibtisch und bedeutete dann mit einer Geste, dass sie vorgehen solle. Sie hielt an der schweren Holztür, und während sie beide nach der Klinke griffen, berührten sich ihre Hände.

„Erlauben Sie mir“, sagte er mit seiner samtweichen, tiefen Stimme, die ihr Schauer über den Rücken jagte.

„Danke schön.“

In der Halle vor seinem Büro schaute sie sich neugierig um. Ihre flachen Schuhe versanken förmlich in dem dicken, teuren Teppich. Die holzgetäfelten Wände waren mit Fotos von El Zafir in verschiedenen Phasen seiner Entwicklung behängt.

In ihrem ganzen Leben hatte Crystal noch nie einen solchen Luxus gesehen wie seit ihrer Ankunft im Palast. Marmorböden, elegante Treppenhäuser, ein Springbrunnen im Foyer, üppige Gärten. Die Räume waren mit sündhaft teuren, teils antiken Möbeln ausgestattet, und überall sah man Gold und Dekor im Überfluss – unschätzbare Kunstwerke, Gemälde, Vasen und Tapisserien. Verdammt beeindruckend.

Es gab vier Büros. Das des Königs war das erste, dann folgte das des Kronprinzen und schließlich Fariqs, vor dem sie gerade standen. Ein letztes Büro befand sich am Ende der Halle auf der rechten Seite, und sie vermutete, dass es Rafiq, dem jüngsten Bruder gehörte. Sie glaubte, daraus Kinderstimmen herauszuhören, begeistertes Gekicher und Gelächter.

Sie blickte zu ihrem Arbeitgeber auf und deutete mit dem Daumen in Richtung des Lärms. „Sie sind in diese Richtung entkommen.“

„Eine Zeile aus einem der B-Western Ihres Landes?“, fragte er.

„Sie kennen die Filme?“

„Ich habe in Amerika studiert.“

„Oh ja, natürlich.“

Sie gingen in das letzte Büro, und dort auf dem Ledersofa an der Wand saßen zwei Kinder und ein Mann, der nur Fariqs Bruder sein konnte. Ein kleines Mädchen hockte auf seinem Knie und verwuschelte seine Haare, während er gleichzeitig den Jungen auf seinem anderen Knie kitzelte. Der Kleine lachte aus vollem Hals und bettelte gleichzeitig darum, dass er doch aufhören möge. Zweifellos waren dies die beiden fünfjährigen Zwillinge, die in ihre Obhut übergehen würden.

„Papa!“, riefen beide Kinder wie aus einem Munde.

Sie sprangen von der Couch und rannten zu ihm, wobei beide ihre kleinen Arme um einen seiner Oberschenkel legten. Er bückte sich und umarmte die zwei.

„Hallo, meine Süße“, sagte er und strich seiner Tochter liebevoll über die Wange, die ihn anbetend ansah. „Und du?“ Fariq grinste seinen Sohn an und verwuschelte ihm das Haar. „Hier ist jemand, der euch gerne kennen lernen möchte.“ Plötzlich richteten sich zwei dunkle, neugierige und auch ein bisschen schüchtern wirkende Augenpaare auf Crystal. „Das ist Miss Rawlins. Was sagt man?“

„Hi.“ Der Junge blickte zu seinem Vater auf. „Ich meine, wie geht es Ihnen?“

Fariq nickte zustimmend.

Das kleine Mädchen krallte sich an seinem Hosenbein fest. „Wie geht es Ihnen?“, ahmte sie ihren Bruder nach.

Der Prinz schaute zärtlich auf seine Tochter herab, dann deutete er mit einer Kinnbewegung auf den anderen Mann im Raum. „Dieser lahme Ersatz für ein Kindermädchen ist mein Bruder Rafiq.“

„Euer Hoheit“, grüßte sie und wandte sich damit zuerst an den Erwachsenen.

Der Prinz stand auf und fuhr sich durchs Haar, das seine Nichte mit so viel Freude in Unordnung gebracht hatte. Jeder Mann, der gerne mit Kindern spielte und dabei nicht auf seine Erscheinung achtete, war in ihren Augen mehr als in Ordnung.

„Es ist eine Freude, Sie kennen zu lernen, Miss Rawlins“, sagte er und streckte ihr die Hand entgegen.

„Für mich ebenso, Euer …“

„Nennen Sie mich Rafiq. Ich bestehe darauf“, erwiderte er, bevor sie protestieren konnte.

„Vielen Dank.“ Sie sah zuerst zu dem Jungen, dann zu seiner kleinen Schwester hinüber. „Und ihr könnt nur Hana und Nuri sein.“

„Woher kennen Sie unsere Namen?“, fragte das Mädchen beeindruckt. Sie blinzelte mit ihren großen schwarzen Augen und den unglaublich langen Wimpern.

In fünfzehn Jahren, wahrscheinlich auch schon weniger, würde sich die männliche Bevölkerung von El Zafir warm anziehen müssen, dachte Crystal. „Eure Tante Farrah hat sie mir genannt. Als ich sie in New York getroffen habe, hat sie mir auch Fotos von euch beiden gezeigt.“

„Ihre Brille ist sehr groß“, meinte Nuri. „Und sehr hässlich.“ Er war genauso hübsch wie seine Schwester und hatte sich zweifellos von seinem Vater schon eine Spur Arroganz abgeguckt.

„Du hast eine gute Beobachtungsgabe“, entgegnete sie trocken. Crystal schaute rasch von einem Mann zum nächsten und richtete den Blick dann auf den Vater der Kinder. „Darf ich Ihnen eine Frage stellen, Euer …“

„Fariq“, unterbrach er sie. „Mein Bruder hat recht. Es gibt keinen Grund, so förmlich zu sein. Und ich werde Sie Crystal nennen.“

„Einverstanden, Fariq.“ Sie testete seinen Namen auf ihrer Zunge und fand, dass sie den exotischen Klang mochte.

„Handelt es sich um eine dumme Frage?“, wollte er mit einem Blick wissen, von dem sie nun ahnte, dass er scherzhaft gemeint war.

„Sie werden dafür sorgen, dass ich diese Bemerkung noch bereuen werde, richtig?“, entgegnete sie mit einem Lächeln. „Wie auch immer, ich werde es riskieren. Ich habe mich eigentlich nur gefragt, ob Sie die Kinder oft mit zur Arbeit nehmen?“

„Sie meinen, weil sie jetzt bei meinem Bruder sind? Die Antwort darauf lautet Nein. Aber Rafiq hat sich erboten, nach den beiden zu sehen, weil er dafür verantwortlich ist, dass das letzte Kindermädchen einen eher schnellen und wenig ruhmvollen Abgang gemacht hat.“

„Es war nicht meine Schuld“, protestierte der andere Mann mit einem Funkeln in den Augen.

„Nicht schwindeln, Onkel“, sagte Nuri. „Nanny war in deinem Bett.“

„Woher weißt du das?“ Ein leichtes Lächeln umspielte seine strenge Miene.

„Tante Farrah hat es Großvater erzählt“, erklärte der Junge. „Und Opa meinte, dann müsste die nächste Nanny eine vertrocknete, alte Pflaume sein.“

„Woher hast du denn das?“ Fariq klang eindeutig missbilligend.

„Nuri hatte sich wieder hinter dem Sofa von Tante Farrah versteckt“, gab Hana fröhlich preis. Sie sah Crystal schüchtern an. „Ich bin froh, dass Sie nicht alt oder vertrocknet sind.“

„Das spricht ja dann doppelt für mich“, antwortete Crystal, dankbar, dass wenigstens ein Mitglied der königlichen Familie den Wald noch vor lauter Bäumen sah.

Fariq räusperte sich. „Wie jede Frau, der Rafiq begegnet, steigerte sie sich in eine Schwärmerei für ihn hinein. Ihre Aktionen zielten darauf ab, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das Endergebnis war dann aber wohl nicht ganz so, wie sie es sich vorgestellt hatte.“

Crystal bekam große Augen. „Ich schätze, ich weiß, was für ein Ende sie genommen hat, da ich hier bin und sie nicht.“

„Fristlose Kündigung“, bestätigte Rafiq. „Ich habe es dem König ausgeredet, sie köpfen zu lassen.“

Hana kicherte. „Du schwindelst schon wieder, Onkel.“

„Ja, meine Kleine, dein Onkel ist ein großer Schwindler“, stimmte Fariq zu. „Er behauptet, er hätte ihre Annäherungsversuche zurückgewiesen.“

„Das ist auch die Wahrheit“, protestierte er. „Wirklich, ich bin ins Schlafzimmer gekommen, und da war sie. Ich habe mich sofort umgedreht und bin wieder hinausgegangen. Vater hat mir geglaubt.“

„Der König hatte kein Interesse an Erklärungen“, meinte Fariq zu Crystal gewandt. „Seine exakten Worte lauteten, dass er keine Gerechtigkeit wolle, sondern Frieden und Ruhe.“

„Ich kann verstehen, warum“, antwortete sie.

Fariq hatte seinem Vater nicht widersprochen. Tatsächlich hielt er die Addition zu den Jobqualifikationen für eine gute Idee. Er hatte nicht den Wunsch, es mit einer Frau zu tun zu haben, die ihr intrigantes Herz hinter einem engelsgleichen Gesicht verbarg. Einmal war mehr als genug.

Er entschied, dass Crystal genau das darstellte, was der König im Sinn gehabt hatte, als er seine Vorgabe machte. Und seine Kinder hatten ein gutes Auge für Details, stellte er stolz fest. Ihre Brille war in der Tat sehr groß und hässlich, und dennoch konnte sie nicht ganz die ansprechenden, bernsteinfarbenen Augen dahinter verbergen. Katzenaugen. Sie schimmerten voller Intelligenz und Humor. Und obwohl die Brille einen Großteil des Gesichts der Amerikanerin verdeckte – die Haut, die er sehen konnte, war glatt und makellos.

Ihr Haar war braun und so streng zurückgekämmt, dass keine attraktiven Tönungen zu erkennen waren. Die Frisur wirkte durchaus schmerzhaft, aber er konnte ihr nicht den Vorwurf machen, dass auch nur ein Härchen nicht am Platz war.

Der sackartige Rock reichte bis zu den Knöcheln und wurde von einer Jacke ergänzt, von der er sich gewünscht hätte, dass sie ein wenig kürzer und figurnäher geschnitten gewesen wäre, so dass er eine bessere Vorstellung von ihren Formen bekommen hätte. Die Knöchel, die er sehen konnte, versprachen einiges für den Rest ihrer Beine. Doch seine Neugier war fehl am Platz, und er sollte über ihr konservatives Outfit dankbar sein. Er brauchte ein Kindermädchen, und seine Tante hatte ihm versichert, dass Crystal perfekt wäre.

Und Fariq musste ihr zustimmen. Er schätzte die offene, direkte Art der Amerikanerin. Crystal sprach aus, was sie dachte. Das war äußerst erfrischend.

Dann war da ihr Sinn für Humor, den sie im Gespräch zu erkennen gegeben hatte. Er war ein Beweis für einen wachen und scharfen Verstand. Er bemerkte, dass er sie mochte, und dieser Gedanke erzeugte eine Warnung in ihm, die er aber geflissentlich überging. Es bedeutete nur, dass ihre Verständigung bezüglich der Kinder noch reibungsloser ablaufen würde.

Er gab seiner Tante Recht. Sie schien perfekt zu sein. Abgesehen von einer Kleinigkeit – ihrem Lächeln. Er hatte es vor wenigen Minuten gesehen, und es war einfach bezaubernd gewesen.

Als Crystal wieder lächelte, diesmal mit einem sanften Blick auf seine Tochter, verspürte Fariq eine seltsame Empfindung in seiner Brust. Er beschloss, sie zu ignorieren. Crystal hatte einfach eine sehr warmherzige Art, etwas, dass für Kinder sehr wichtig war.

In diesem Moment nahm Rafiq wieder seine Proteste auf. „Mit deiner Darstellung der Ereignisse ruinierst du meinen guten Ruf“, beschwerte er sich bei seinem Bruder. „Ich weiß nicht, warum du mich für das Verhalten dieser Frau verantwortlich machst. Es war nicht mein Fehler.“

„Was war es, was Shakespeare über denjenigen gesagt hat, der zu viel protestiert?“, konterte Fariq.

Aber vielleicht konnte sein Bruder wirklich nichts dafür, dass Frauen ihn charmant fanden. Es war leicht, wenn man niemals betrogen und zum Narren gemacht worden war. Denn wenn das geschah, tat ein Mann gut daran, lieber nicht die Aufmerksamkeit des anderen Geschlechts auf sich zu ziehen.

Rafiq wandte sich an Crystal. „Glauben Sie, dass ich die Art Mann bin, die unehrlich ist?“

„Ich kenne Sie kaum“, entgegnete sie. Dann blinzelte sie, und ihre Augen wurden groß. „Ich meine …“

„Keine Sorge“, unterbrach Fariq sie. „Und auch kein Grund, ihm jetzt Honig um den Mund zu schmieren. Ihre erste Antwort war vollkommen richtig.“

„Dann lernen Sie mich kennen“, bot Rafiq ihr an. „Heute Abend beim Essen. Die ganze Familie wird da sein. Dann können Sie für sich selbst entscheiden.“

Und da wären wir mal wieder, dachte Fariq. Immer der Charmeur. Doch aus irgendeinem Grund störte ihn die Aufmerksamkeit seines Bruders gegenüber Crystal.

„Ja, bitte“, bettelte Hana und streckte Crystal die Hände entgegen.

Fariq kannte seine Tochter. Das kleine Mädchen, das für gewöhnlich nicht schnell Vertrauen fasste, hatte dieser Frau sofort ihr Herz geöffnet. „Mein Bruder hat recht. Sie müssen die Familie kennen lernen. Das Abendessen wird um sieben serviert.“

„Das ist sehr freundlich. Vielen Dank.“

Sie sagte die richtigen Worte, doch Fariq fragte sich, warum sie eher so wirkte, als hätte man sie zur Hinrichtung auf dem Marktplatz verurteilt. Er würde dafür sorgen, dass er es herausfand.

2. KAPITEL

Vor vier Stunden hatte Crystal den Büroflügel des Palasts weiß wie ein Gespenst verlassen, nachdem sie von ihrem Boss eine Einladung zum Abendessen mit der gesamten königlichen Familie erhalten hatte. Nun saß sie mit ihnen bei Tisch und fragte sich, ob sie wieder etwas Farbe bekommen hatte. Obwohl sie für die Stelle als Kindermädchen mehr als qualifiziert war, machte es sie nervös, nun auch noch vor der kompletten Familie mit ihrer Maskerade bestehen zu müssen.

„Ich glaube, die neue Nanny ist eine Schwindlerin.“ Prinzessin Farrah beobachtete sie aufmerksam.

Crystal erstarrte. Mit wild klopfendem Herzen konnte sie sich gerade noch daran hindern, nervös über den Goldrand ihres Tellers zu wischen – und wenn ihre Wangen wieder etwas Farbe bekommen hatten, so war die jetzt garantiert wieder verschwunden. Sie zwang sich dazu, den Blick der Prinzessin zu erwidern. „Wie bitte?“

„Sie sind so still – gar nicht wie die lebhafte, junge Frau, die ich in New York kennen gelernt habe.“

Okay. Das nannte man wohl königlichen Humor. Sie speicherte die Information im Hinterkopf ab. „Laut meiner Mutter ist es immer besser, nichts zu sagen und damit zu riskieren für einfältig gehalten zu werden, als den Mund aufzumachen und diese Annahme voll zu bestätigen.“

„Eine weise Frau, Ihre Mutter“, meinte König Gamil.

„Ja, das ist sie.“

Vicki Rawlins hätte es geliebt, mit der königlichen Familie von El Zafir zu Abend zu essen. Sie selbst hatte schon als Teenager geheiratet und ihr erstes Kind bekommen und immer wieder den Umstand beklagt, dass sie dadurch nie etwas anderes als das Leben in Pullman erlebt hatte. Nachdem Crystal ihren Abschluss gemacht hatte, wären ihre Eltern endlich in der Lage gewesen, die Reisen zu unternehmen, nach denen ihre Mutter sich immer gesehnt hatte. Doch sie schockierten alle, indem sie sich stattdessen scheiden ließen. Dann hatte ihre Mutter diesen furchtbaren Autounfall gehabt, und ihre Genesung war schmerzhaft, lang und teuer.

Vielleicht gerade deswegen hatte sie ihr jüngstes Kind und zugleich einzige Tochter immer wieder dazu ermutigt, sich zuerst die Welt anzusehen, bevor sie sich mit Mann und Kindern niederließ.

„Die Tatsache, dass Sie so still sind“, fuhr der König fort, „bedeutet die, dass Sie sich heute Abend nicht wohl fühlen?“

„Ganz im Gegenteil, Euer Majestät. Ich habe noch nie ein angenehmeres Dinner erlebt.“

Von der ganzen Familie unter die Lupe genommen zu werden, das war es, was sie so nervös machte.

„Ich bin froh, dass Ihnen das Essen schmeckt.“ Der König lächelte ihr aufmunternd zu.

„Die Gesellschaft ist genauso außergewöhnlich“, bemerkte sie höflich.

Während sie sich so umschaute, erkannte sie, dass die Söhne des Königs allesamt nur bestes Genmaterial mitbekommen hatten, wahrscheinlich von ihrem gut aussehenden und distinguierten Vater. Während des Cocktailempfangs vor dem Essen hatte sie schließlich auch Kronprinz Kamal kennen gelernt, den dritten der Söhne. Wie seine beiden Brüder war er groß, dunkel und teuflisch attraktiv. Obwohl ihrer bescheidenen Ansicht nach Fariq der bestaussehende war.

Prinzessin Farrah war die Schwester des Königs und schien für den Witwer die weibliche Führung der Familie übernommen zu haben. Die Frau sah fantastisch aus, die dunklen Haare elegant geschnitten, in ein royalblaues Chanel-Kostüm gekleidet, die schwarzen Augen dezent geschminkt, so dass sie groß und exotisch wirkten.

Prinzessin Johara, das jüngste Kind des Königs und einzige Tochter, war siebzehn. Sie war ein außergewöhnlich hübsches Mädchen und saß auf derselben Seite des Tischs wie Crystal. Hana saß zwischen ihnen und Nuri auf der anderen Seite des Teenagers.

„Ich kann mir nicht helfen, aber irgendwie habe ich den Eindruck, dass es noch einen anderen Grund für Ihre Zurückhaltung gibt“, schaltete sich nun Fariq ein. „Etwas anderes als Vorsicht.“

„Wirklich?“, entgegnete sie langsam, um Zeit zu gewinnen. Der Mann hatte für ihren Geschmack eine zu gute Beobachtungsgabe.

„Ist es möglich, dass Sie sich von der Umgebung einschüchtern lassen?“

„Ich? Einschüchtern?“

Sie kam aus einer Kleinstadt im Osten des Bundesstaats Washington. Heute Abend umfasste ihre Umgebung die komplette königliche Familie eines aufstrebenden Ölstaats im Mittleren Osten.

Crystal gelang es gerade noch so, ein hysterisches Gelächter zu unterdrücken, während sie über die Tafel blickte, die so lang war, dass sie sich fragte, ob der Hofpilot wohl den königlichen Jet darauf landen konnte. Sie war sicherlich kein ungebildetes Landei, aber ihre Umgebung war einschüchternd.

„Jetzt, wo Sie es erwähnen“, antwortete sie, wobei sie Fariqs amüsiertem Blick begegnete, „ja, ich fühle mich von meiner Umgebung ein klein wenig überwältigt.“

„Das müssen Sie nicht“, versicherte Prinzessin Farrah. „Wir sind ganz normale Menschen.“

„Definieren Sie normal“, lachte Crystal. „Euer Hoheit, bei meiner Familie gibt es keinen Cocktailempfang vor dem Essen, und formelle Kleidung bedeutet T-Shirt, Jeans und Turnschuhe.“

Neben ihr rutschte Hana von ihrem Stuhl und duckte sich unter den Tisch, um die Serviette aufzuheben, die ihr vom Schoß geglitten war.

Der König runzelte die Stirn, während er sich räusperte. „Vielleicht sind wir etwas formeller als die Durchschnittsfamilie. Aber ich gebe Farrah Recht. Bitte entspannen Sie sich, und seien Sie sie selbst. Darf ich Ihnen sagen, dass meine Schwester hervorragend gewählt hat? Sie werden eine wunderbare Nanny für Nuri sein. Und vielleicht auch für Hana, wenn sie unter dem Tisch hervorkommt“, fügte er missbilligend hinzu.

Das kleine Mädchen legte eine Hand auf ihren Mund, um das Kichern zu unterdrücken, während sie zu ihrem neuen Kindermädchen hochschaute. Crystal wünschte sich, man hätte ihr bereits die Aufsicht über die Kinder übertragen, damit sie die unruhigen Zwillinge retten und fürs Bett vorbereiten könnte. Sie sollte allerdings erst morgen mit ihrer Arbeit beginnen. Nachdem sie dem kleinen Mädchen zugezwinkert hatte, klopfte sie auf den Stuhl neben sich, und das Kind krabbelte hinauf.

„Vielen Dank, Euer Majestät. Ich weiß Ihre Zuversicht zu schätzen.“ Sie lächelte ihn an und atmete dann langsam aus.

Allmählich legte sich ihr Adrenalinspiegel. So weit, so gut. Niemand hatte hinter die hässliche Brille und die geschmacklose Kleidung geschaut. Sie sollte dankbar sein. Ekstatisch. Sie sollte vor Freude tanzen. Doch das tat sie nicht. Und das verwirrte sie.

„Natürlich habe ich hervorragend gewählt“, nahm nun Prinzessin Farrah das Thema wieder auf. „Die New Yorker Agentur, die sie vermittelt hat, hat nur den allerbesten Ruf. Hana und Nuri sind in exzellenten Händen. Crystal ist eine bewundernswerte junge Frau.“

„Das wird die Zeit zeigen“, äußerte Fariq.

Crystal fand, dass seine Worte und auch der zynische Ausdruck seines Gesichts eine verborgene Herausforderung darstellten. Bevor sie entscheiden konnte, ob sie sich deshalb Sorgen machen sollte oder nicht, rutschte Nuri diesmal wegen seiner Serviette unter den Tisch.

Johara bemerkte es nicht. Sie starrte ihren Vater an. „Ich möchte in New York studieren.“

„Es ist nur eine Stadt wie jede andere“, fertigte ihr Vater sie ab. „Hier bist du wesentlich besser dran. Es ist dein Zuhause, und hier gehörst du hin.“

„Es geht mir nicht darum, wo ich hingehöre. Ich will Erfahrungen sammeln. Ich möchte mein Leben leben, ohne dass jeder mir sagt …“

Der König winkte ungeduldig ab. „Genug. Ich will nichts von deinen kindischen Fantasien hören. Das Thema ist beendet.“

Die junge Frau warf ihm einen bitterbösen Blick zu. Zwar gehorchte sie seinem Befehl und schwieg, doch die Feindseligkeit, die sie ausströmte, war förmlich greifbar. Und Crystal konnte sie verstehen.

Sie wusste, dass der König in dem Ruf stand, ein offenes Ohr für die Belange seines Volkes zu haben. Doch wenn er nicht bald unter seinem eigenen Dach ein ähnliches Verhalten an den Tag legte, würde hier die Hölle losgehen.

„Crystal, sagen Sie, stehen Sie einer politischen Partei in Ihrem Heimatland nahe?“ Damit wandte sich der König an sie und wechselte somit gekonnt das Thema.

Auch wenn sie ihn am liebsten geschüttelt und gesagt hätte, dass er seiner Tochter zuhören soll, hielt sie sich zurück. Sie erwiderte seinen Blick und antwortete: „Ja, das tue ich, Euer Majestät. Ich bin eine Republikratin.“

An der Tafel trat ein plötzliches Schweigen ein, und sie fühlte, wie sich sechs Augenpaare auf sie richteten. Es wären acht gewesen, wenn die Zwillinge nicht ungeduldig auf ihren Stühlen rumgerutscht wären und sich aus ihren Servietten Hüte gebastelt hätten.

„Republikratin?“ Fariq runzelte verwirrt die Stirn. „Ich habe die Politik Ihres Landes studiert, aber von dieser Partei habe ich noch nie gehört.“

„Das hat auch sonst niemand. Diese Partei hat genau ein Mitglied. Im Grunde genommen suche ich mir das Beste bei Republikanern und Demokraten heraus und entscheide dann nach meinem Gewissen.“

„Ah“, meinte der König, während er zustimmend nickte. „Das beweist sowohl Verantwortungsgefühl als auch Intelligenz. Sie folgen nicht einfach der Masse, sondern Sie sind eine Frau, die für sich selbst denken und entscheiden kann.“

„Wenn das so ist, dann würde ich gerne wissen, wie Sie über Kindererziehung denken. Wir haben noch gar nicht darüber gesprochen“, schaltete sich an dieser Stelle Fariq ein.

Wenn er das als Herausforderung gemeint hatte, so hatte sie kein Problem damit, ihm ihre Ansichten über Kindererziehung mitzuteilen. „Ich werde Ihnen meine Philosophie gerne jederzeit erläutern.“

„Wie wäre es mit jetzt?“, fragte er, während er in die Runde blickte.

„Gut. Es spart Zeit, da gerade alle anwesend sind. Was möchten Sie wissen?“

„Was halten Sie von Disziplin?“ Fariq legte seine Damastserviette neben dem Teller ab.

„Viel, aber ich denke, jede Strafe sollte dem Verbrechen angemessen sein.“

In diesem Moment streifte die kleine Hana ihren Teller versehentlich mit dem Ellbogen, so dass dieser gegen ein Glas rutschte, welches umkippte und zerbrach und Wasser über die feine Tischdecke ergoss.

„Oh, Nanny“, rief das Mädchen erschrocken aus und verbarg ihr Gesicht hinter Crystals Schulter.

Sie legte ihren Arm um das Kind. „Keine Angst, Süße, Unfälle passieren schon mal.“

„Johara“, mahnte der König streng. Er warf dem Teenager einen bösen Blick zu, während ein Diener herbeieilte, um das Chaos zu beseitigen. „Heute Abend unterliegen die Kinder deiner Verantwortung. Sieh zu, dass sie sich benehmen.“

„Aber Vater, sie sitzen einfach schon zu lange …“

Er winkte ihren Einwand mit einer Hand ab. „Bring sie sofort auf ihr Zimmer.“

„Mit Vergnügen.“ Die Prinzessin warf ihre Serviette auf den Teller und stand auf. „Hana, Nuri, kommt mit mir.“

Crystal umarmte das kleine Mädchen schnell, bevor sie sie mit ihrer jungen Tante davongehen ließ. Als die drei verschwunden waren, legte sich ein unangenehmes Schweigen über den Raum.

Schließlich räusperte Fariq sich. „Und welche Strafe halten Sie für dieses Verbrechen für angemessen?“

„Zuerst einmal war es kein Verbrechen, sondern ein Missgeschick. Wenn sie es absichtlich getan hätte, wäre es etwas ganz anderes gewesen.“ Sie blickte zum König hinüber und fragte sich, wie offen sie sein sollte. Doch dann nahm sie ihren Mut zusammen und fuhr fort: „Zweitens stimme ich Prinzessin Johara zu. Fünfjährige können sich maximal eine Dreiviertelstunde lang mustergültig verhalten, und diese Zeitspanne war bereits lange abgelaufen. Die beiden haben zu lange gesessen und brauchten wieder Raum, um Kinder zu sein.“

„Was hätten Sie getan?“, wollte Fariq wissen. Sein Gesichtsausdruck war unlesbar.

„Ich hätte sie schon vor einiger Zeit auf ihr Zimmer gebracht.“

„Aber sie sind Teil der königlichen Familie“, protestierte Gamil.

Kinder der königlichen Familie“, betonte Crystal. „Nicht nur kleine Erwachsene. Wenn sie älter sind, werden sie mit den Erfordernissen von Etikette und Repräsentanz umgehen können. Aber sie sind erst fünf, kaum mehr als Babys.“

„Crystal, Sie haben ja so recht.“ Prinzessin Farrah tupfte sich elegant mit der Serviette die Mundwinkel ab und legte sie dann neben dem Teller ab. „Ich selbst habe ja wenig Erfahrung darin, Kinder großzuziehen, da ich selbst keine habe. Und Gamil ist sicher auch kein Experte, denn seine Kinder wurden von Nannys betreut und wuchsen später im Internat auf. Ich wusste, dass Sie perfekt wären, sobald ich Sie kennen gelernt hatte.“

Crystal war der Prinzessin dankbar, während sie durch die Runde blickte und sah, wie die Männer zustimmend nickten. Befriedigung, gemischt mit aufrichtiger Freude breitete sich in ihr aus.

Normalerweise war es ihr Äußeres, das ihr Aufmerksamkeit eintrug. Sie hätte sogar beinahe einen Mann geheiratet, der der Meinung gewesen war, sie wäre die perfekte, dekorative Frau für einen aufstrebenden Anwalt. Er hatte ihr sogar gesagt, sie solle ihre Gedanken für sich behalten und einfach nur neben ihm stehen und schön aussehen. Was für eine Unverschämtheit!

Es war sehr angenehm, wegen seines Verstandes ernst genommen zu werden. Doch die Erregung, die sie verspürte, wenn sich Fariqs dunkler Blick auf sie richtete, ließ sie wünschen, ein wenig Lippenstift, Mascara und ein hübsches Kleid tragen zu können.

„Vielen Dank, Euer Hoheit“, sagte sie zu der Prinzessin, während sie mühsam ein breites Grinsen unterdrückte.

„Warum haben Sie selbst keine Kinder?“, wollte die Prinzessin wissen.

Fariqs Augen funkelten, während er sie ansah, und ihr lief ein Schauer über den Rücken. „Miss Rawlins glaubt an Liebe, Heirat und Kinder. In dieser Reihenfolge“, bemerkte er.

„Ah“, meinte die Prinzessin. „Und Sie haben noch keinen Mann getroffen, der ihr Herz schneller schlagen lässt? Jemand, der Sie an Liebe denken lässt?“

Gegen ihren Willen wanderte Crystals Blick zu Fariq. Rasch schlug sie die Augen nieder und schaute dann zu der Schwester des Königs hinüber. „Nein, Euer Hoheit. Ich war einmal beinahe verlobt. Aber …“

„Beinahe?“, hakte Fariq nach. „Und jetzt?“

„Er ist nicht mehr in meinem Leben“, antwortete sie mit einem Achselzucken. Allmählich fühlte sie sich wie die Hauptakteurin in der spanischen Inquisition.

„Um also über ein gebrochenes Herz hinwegzukommen, haben Sie diese Position so weit von Ihrer Heimat entfernt angenommen?“, fragte Kronprinz Kamal.

Sie ignorierte den Teil über das gebrochene Herz. „Seit ich ein kleines Mädchen war, hat meine Mutter mir eingetrichtert, dass es besser ist, das Leben zu genießen und Erfahrungen zu sammeln, bevor man sich Verantwortungen zulegt.“

„Eingetrichtert? Eine interessante Wortwahl“, meinte Fariq.

„Ich habe vier Brüder, die dem Beispiel meiner Eltern gefolgt sind und jung geheiratet und Kinder bekommen haben. Ich bin die letzte Hoffnung meiner Mutter, dass eines ihrer Kinder es anders macht.“

„Also ist der Ratschlag Ihrer Mutter unser Gewinn“, bemerkte Fariq.

„Ich hoffe, Sie werden auch weiterhin so denken.“ Sie nahm für einen Moment die Brille ab und rieb sich über die Nase, wo sie Druckstellen von dem relativ schweren Gestell hatte. Sie vermisste ihre Kontaktlinsen …

Prinzessin Farrah beugte sich zu ihr hinüber. „Crystal, brauchen Sie wirklich eine Brille, um Ihre Sicht zu korrigieren?“

Die Frage verblüffte sie. Gerade als sie geglaubt hatte, es wäre sicher, ihr Schutzschild zu senken, kam eine neue gefährliche Wendung. Rasch setzte sie die Brille wieder auf und stach sich dabei beinahe ins Auge.

„W…warum fragen Sie?“

„Weil Sie sehr schöne Augen haben. Und Ihre Haut ist absolut makellos – soweit ich sehen kann, benutzen Sie gar keine Kosmetik.“

„Nein, das tue ich auch nicht.“ Sie seufzte und beschloss, es dabei zu belassen. „Ich bin so blind wie ein Fisch ohne Sehhilfe. Weitsichtigkeit kombiniert mit einem Astigmatismus.“ Zumindest das war die reine Wahrheit. „Ohne Brille könnte ich nicht mal über den Tisch hinwegsehen.“ Sie begegnete Fariqs funkelndem Blick und entschied, dass das vielleicht gar nicht so schlecht wäre. „Obwohl ich zu meiner Verteidigung sagen möchte, dass es ein wirklich großer Tisch ist.“

„Ja, das ist er“, stimmte die Prinzessin zu. „Aber wie schade. Ohne diese Brille könnten Sie, glaube ich, wirklich sehr hübsch sein. Haben Sie jemals daran gedacht, Kontaktlinsen zu tragen?“

„Was für eine Rolle spielt denn das?“, unterbrach Fariq sie ärgerlich. „Sie ist gut so wie sie ist. Schönheit wird bei weitem überbewertet.“

Rafiq stützte seine Ellbogen auf dem Tisch auf und lehnte sich vor. „Also mein Bruder, du würdest wohl eine Frau mit einem Gesicht hässlich wie die Nacht bevorzugen?“

„Das habe ich nicht gesagt …“

„Wenn Schönheit dich nicht berührt, welche weiblichen Qualitäten dann?“, wollte nun Kamal wissen.

„Ehrlichkeit“, antwortete Fariq ohne zu zögern.

Crystal atmete scharf ein. Dieser Mann wurde mit einigen der schönsten Frauen dieser Welt in Verbindung gebracht, und er war mehr an Aufrichtigkeit als an Optik interessiert. Diese Erkenntnis war ganz schön schockierend.

Sie konnte nur hoffen, dass Prinzessin Farrah aufhören würde, ihren Typ ummodeln zu wollen. Und was sollte das überhaupt? Wofür dann das ganze Theater um ein „schlichtes Kindermädchen“? Es war doch mehr als offensichtlich, dass König Gamil es nicht guthieß, wenn einer seiner Söhne mit dem weiblichen Personal anbändelte.

Crystal entschied schließlich, dass es so ein typisches Frauending war. Frauen konnten einfach nicht widerstehen, wenn man etwas verschönern konnte. Aber sie wollte gar nicht darüber nachdenken, was passieren würde, wenn Fariq herausfand, dass sie besser aussehen konnte, wenn sie wollte.

3. KAPITEL

Fariq warf die Dokumente, die er gelesen hatte, auf den Schreibtisch in seiner Suite. Je mehr er versuchte, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, desto stärker schweiften seine Gedanken zu dem neuen Kindermädchen seiner Zwillinge ab. Beim Abendessen vor wenigen Stunden hatte er entdeckt, dass sie eine seltene und anziehende Mischung aus Mut und Intelligenz besaß.

Er betrachtete die offenen Flügeltüren, die zum Balkon führten, als ein Geräusch von draußen zu ihm drang. Er stand auf, ging zum Balkon hinüber und spähte hinaus. Die Nacht war finster, da Wolken den Mond verdeckten, doch in den Schatten zu seiner Rechten erkannte er eine Gestalt, die sich über das Geländer vor dem Zimmer seiner Kinder lehnte.

„Hallo“, sagte er in die Dunkelheit hinein.

Crystal zuckte beim Klang seiner Stimme zusammen. Das schwache Licht aus der Suite zeigte ihm, wie sie erschrocken eine Hand gegen die Brust presste. „Guter Gott“, flüsterte sie atemlos, „ich dachte, ich wäre allein.“

„Das waren Sie auch, bis ich hinausgekommen bin. Der Balkon verläuft um die ganze Länge meiner Wohnung. Alle Räume sind durch ihn miteinander verbunden, und von hier aus kann man das Meer sehen. Mein Schlafzimmer liegt dort drüben.“ Er deutete auf eine Stelle hinter dem Wohnzimmer.

„Oh, ich habe die Anlage gar nicht begriffen. Ich bin nur rausgekommen, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Es tut mir leid, wenn ich Sie gestört habe.“

„Das haben Sie nicht“, log er.

Sie hatte ihn gestört, indem sie in seinen Gedanken herumgespukt war, und zwar bereits bevor er ihre einsame Gestalt auf dem Balkon ausgemacht hatte. Er bemerkte, dass ihr Haar nicht mehr in der extrem strengen Art, die sie bevorzugte, zurückgebunden war. Eine plötzlich aufkommende, frische Brise des Ozeans wehte ihr einige Strähnen ins Gesicht. Obwohl die exakte Tönung ihres Haars immer noch vor der Dunkelheit verborgen blieb, erkannte er, dass die langen Locken bis zu ihrer Taille reichten. Sein plötzlicher Drang, mit den Fingern durch diese schimmernde Fülle zu streichen, ärgerte ihn.

Während seine Augen sich allmählich an die Finsternis draußen gewöhnten, fielen ihm noch weitere Dinge an ihr auf. Sein Pulsschlag beschleunigte sich, als er realisierte, was sie anhatte. Ihr Nachthemd war hochgeschlossen und züchtig. Doch als er näher hinsah, erkannte er, dass es weiß war und aus Seide und Spitze bestand. Irgendwie wurde es dadurch erotischer.

Er bewegte sich auf sie zu und stoppte erst, als er nahe genug war, um den verführerischen Duft ihrer Haut einatmen zu können.

„Es ist spät“, erklärte sie. „Ich gehe jetzt besser hinein.“

Ihre Stimme hatte einen rauchigen, heiseren Klang, den er viel zu anziehend fand.

„Natürlich. Sie müssen sich noch an die Zeitumstellung gewöhnen. Sie dürften müde sein.“

„Seltsamerweise konnte ich nicht schlafen.“

„Dann bleiben Sie bitte“, sagte er. „Leisten Sie mir Gesellschaft.“

Warum hatte er diese Bitte geäußert? Es war unklug und leichtsinnig, die Nähe einer Frau zu suchen – jeder Frau. Was hatte diese nur an sich, dass er nicht auf die Stimme der Vernunft hören konnte?

„Okay.“

Das kleine Wort, das sie mit ihrer samtigen Stimme ausgesprochen hatte, ließ seine Nervenenden vibrieren. Er schüttelte den Kopf. Schluss mit diesem Unsinn. Sie war die Nanny seiner Kinder. Er würde mit ihr über die beiden sprechen.

„Hana und Nuri – schlafen sie?“

Sie nickte. „Wie kleine Engel.“

„Ich möchte Ihnen dafür danken, dass Sie heute Abend ihre Partei ergriffen haben – gegenüber dem König.“

„Dafür brauchen Sie mir nicht zu danken. Sie haben sich exakt wie Fünfjährige verhalten und absolut nichts falsch gemacht. Ihr Vater hat selbst vier Kinder. Er sollte das verstehen.“

„Es ist lange her, dass meine Brüder, meine Schwester und ich klein waren. Wie meine Tante bereits erwähnte, hat er unsere Erziehung anderen überlassen.“

„Natürlich. Er war mit dem Regieren Ihres Landes beschäftigt.“ Sie kreuzte die Arme über der Brust und lehnte sich wieder über das Eisengeländer.

„Sie müssen verstehen, Crystal, dass bei Hana und Nuri höhere Maßstäbe angelegt werden als bei anderen Kindern.“

„Sie sind aber immer noch Kinder“, protestierte sie.

Königskinder. Die beiden werden wesentlich mehr Druck auferlegt bekommen, einfach weil sie sind, wer sie sind. Aufgrund ihrer Geburt und ihres Status wird von ihnen allerhand erwartet werden.“

„Zu viel Druck wird sie kaputt machen, wenn sie nicht darauf vorbereitet sind.“

„Es ist Ihr Job, dafür zu sorgen, dass das nicht geschieht“, antwortete er.

„Und ich werde mein Bestes tun. Aber sie werden auch die Führung und den Einfluss von jemandem brauchen, der dasselbe durchgemacht hat wie sie und weiß, wie es sich anfühlt.“

„Jemand wie ihr Vater?“

„Ja“, stimmte sie zu. „Und ihre Onkel und Tante. Johara geht sehr gut mit Kindern um. Sie verfügt über ein natürliches Einfühlungsvermögen.“

„Genau wie Sie.“ Er schob seine Hände in die Hosentaschen. Der Beschützerinstinkt, den sie gegenüber seinen Kindern bewies, gefiel ihm.

„Vielen Dank.“ Sie räusperte sich. „Ich habe mich gefragt, warum …“

„Ja?“

„Na ja, ich will nicht neugierig wirken, aber was ist mit den anderen Kindermädchen passiert. Warum fünf in einem Jahr?“

„Es ist klug, die Unzulänglichkeiten der eigenen Vorgänger zu kennen, um deren Fehler zu vermeiden.“

„Ich werde andere machen“, neckte sie.

„Dann wollen wir hoffen, dass darauf nicht die Todesstrafe steht.“

„Wollen wir hoffen, dass Sie gerade scherzen.“

„Das tue ich.“ Er lachte. „Also, wollen mal sehen. Was mit der letzten Nanny passiert ist, wissen Sie bereits.“

„Allerdings. Sie können ganz beruhigt sein, ich werde unangekündigt in niemandes Bett erscheinen.“

„Ich bin erleichtert, das zu hören.“ Obwohl ein Teil von ihm nicht so beruhigt war. „Eine hatte Heimweh, eine andere mochten die Kinder nicht, und wieder eine andere mochte ich nicht. Und die davor …“ Er versuchte sich zu erinnern, doch Crystals langes Haar wehte ihm entgegen, und das lenkte ihn ab.

„Ja?“

„Die ist mit dem Chauffeur durchgebrannt“, erzählte er schließlich.

„Das Palastleben ähnelt also alles in allem einer Seifenoper.“ Crystal lachte.

Es war ein wunderbarer Klang und einer, den er selten hörte. Zumindest nicht hier auf dem Balkon seiner Suite. Schon lange bevor seine Frau ihn verlassen hatte, war er nicht mehr mit einer Frau hier gewesen. Crystals momentanes Verhalten widersprach auch ganz ihrem bleichen Gesicht, als sie die Einladung zum Abendessen mit seiner Familie angenommen hatte. Jetzt erkannte er, dass sie bei der Aussicht auf das Dinner nervös gewesen sein musste. Dennoch hatte sie dem König gegenüber nicht einen Zoll nachgegeben.

„Ich hoffe, dass das Abendessen keine zu große Belastung für Sie gewesen ist“, äußerte er. „Als Rafiq die Einladung ausgesprochen hat, sahen Sie aus, als müssten Sie zu Ihrer eigenen Hinrichtung gehen.“

„Es war sehr nett. Einfacher als ich erwartet hatte“, antwortete sie vorsichtig. In ihre Stimme hatte sich eine plötzliche Spannung geschlichen.

„Was halten Sie von meiner Familie?“

„Sie erinnert mich an meine eigene. Dabei war ich zunächst nervös, weil ich dachte, dass Reichtum einen Unterschied macht.“

„Snobs?“

„Ihr Wort, nicht meines“, entgegnete sie höflich. „Aber ich habe mich getäuscht. Sie sind wie jede Familie, die sich liebt, respektiert und gegenseitig neckt.“

Stolz und Liebe für alle von ihnen erfüllten seine Brust. „Reichtum und Status verändern und verbessern nur die Umstände. Sie sollten keine Auswirkungen auf den grundsätzlichen Charakter einer Person haben.“

„Dem stimme ich zu. Jeder hat mir das Gefühl gegeben, willkommen zu sein. Selbst Johara scheint ein typischer Teenager zu sein. Begierig auf Abenteuer und vielleicht ein wenig aufbrausend. Obwohl verglichen mit Jugendlichen in Amerika hat sie sich bemerkenswert beherrscht gezeigt und geschwiegen, als man ihr das befohlen hatte.“

„Das liegt daran, dass man in meinem Land die Zunge verlieren könnte, wenn man es nicht tut.“

Sie holte erschrocken Luft und starrte ihn entgeistert an. „Sie scherzen, oder?“

„Ja.“

Sie lachte. „Ich bin froh, das zu hören. Aber ganz ehrlich, Prinzessin Johara geht wunderbar mit den Zwillingen um.“

„Die beiden beten meine kleine Schwester an.“

„Sie haben Glück, dass sie zwischen den einzelnen Nannys einspringen konnte.“

„Vielleicht. Aber sie ist zu rebellisch.“ Zu sehr wie die Mutter seiner Kinder für seinen Geschmack. „In jedem Fall ist es gut, dass Sie nun die tägliche Obhut der Kinder übernehmen. Hana und Nuri haben Sie sofort ins Herz geschlossen.“

„Das freut mich. Natürlich ist es gut, wenn ich ihnen als Vorbild dienen kann“, gab Crystal zurück.

„Mein Instinkt sagt mir, dass Sie ein beständiges, sensibles und extrem aufrichtiges Vorbild sind.“

„Ich würde nicht das Familiensilber mitgehen lassen, wenn es das ist, was Sie meinen.“

„Das wollte ich keineswegs andeuten. Um genau zu sein, wurde Ihr Hintergrund sorgfältig überprüft.“

„Natürlich.“ Ganz plötzlich zog sie sich von dem Geländer zurück.

„So wie bei jedem, der im Palast arbeitet. Farrah sagte mir, dass es in dem endgültigen Bericht nichts Unerwartetes gegeben hat.“

„Hat sie sonst noch etwas gesagt?“

„Nur, dass Sie perfekt für mich wären – das heißt, für die Stelle.“

„Gut zu wissen.“ Sie ging zu den Flügeltüren hinüber, und das Licht von drinnen betonte die Spannung um ihre vollen Lippen. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden. Ich glaube, es ist Zeit für mich, ins Bett zu gehen. Es war ein langer Tag, und morgen beginne ich meine Arbeit. Gute Nacht, Fariq.“

Plötzlich war sie verschwunden. Er fragte sich, ob er irgendetwas gesagt hatte, womit er sie beleidigt hatte. Doch das war unmöglich. Er hatte nur die Wahrheit gesprochen, wie er es immer tat. Aufrichtigkeit war das Wichtigste im Leben.

Die Begegnung mit Crystal ließ ihn bedauern, dass er für die nächsten Wochen so viele geschäftliche Auslandsreisen angesetzt hatte. Doch er war froh, dass er seine Kinder in den Händen von jemandem wusste, der ehrlich und verantwortungsbewusst war.

Einige Sekunden lang starrte er die Stelle an, an der sie eben noch gestanden hatte. Er hatte ihre Gesellschaft genossen und fühlte sich auf einmal sehr allein. Wie konnte das sein? Nichts Weltbewegendes hatte sich in seinem Leben verändert, dennoch verspürte er plötzlich eine drückende Einsamkeit. War es immer so gewesen? Oder hatte er es bis jetzt einfach nicht bemerkt?

Crystal räumte das Frühstücksgeschirr vom Küchentisch in Fariqs Suite und dann in die Spülmaschine. Sie hatte immer noch ein wenig Probleme mit dem Luxus und der Eleganz, die ihr überall im Palast begegnete.

Während sie Schüsseln und Porzellan kurz abspülte, bemerkte sie, dass sie mittlerweile schon sechs Wochen in El Zafir war und davon jede Minute genossen hatte. Die Kinder schienen in der täglichen Routine, die sie für sie geschaffen hatte, regelrecht aufzublühen.

Fariq hatte die meiste Zeit mit Reisen verbracht, was sie doch ein wenig erstaunte. Die erste Geschäftsreise hatte am Morgen nach ihrer zufälligen Begegnung auf dem Balkon stattgefunden und war nur von ein, zwei Nächten zu Hause unterbrochen worden. Seine damalige, beiläufige Bemerkung über die Prüfung ihrer Person hatte sie vollkommen kopflos gemacht, so dass sie schnellstens geflüchtet war. Erst als sie sich wieder ein wenig beruhigt hatte, war ihr klar geworden, dass sie gar nicht erst eingestellt worden wäre, wenn man etwas Kritisches gefunden hätte.

Nach dieser Nacht, in der sie sich in der Dunkelheit unterhalten hatten, war ihr weiblicher Radar auf Hochtouren gelaufen. Er rief jeden Abend an, und nachdem er sich mit den Kindern unterhalten hatte, sprach er mit ihr und verlangte einen Bericht über den Tagesablauf der Zwillinge. Diese Gespräche minderten ihre Faszination nicht im Geringsten – im Gegenteil, sie steigerten sie nur noch. Seine tiefe, verführerische Stimme trug nicht unerheblich zu seinem Sex-Appeal bei. Wenn er mit ihr redete, fühlte sie …

„Guten Morgen.“

Da war sie wieder – diese Stimme, samtweich und ein wenig rauchig, und sie merkte, wie Nervenenden an Stellen in ihrem Körper vibrierten, wo es am gefährlichsten war. Sie wandte sich vom Spülbecken ab und begegnete seinem dunklen Blick. „Willkommen zu Hause. Wann sind Sie zurückgekommen?“

„Sehr spät gestern Abend.“ Sein Blick wanderte über ihren ganzen Körper, von oben bis unten, wobei er die schlichte, weiße Bluse registrierte, die sie trug, und den knöchellangen, blauen Rock. „Wo sind die Kinder?“

„Ich habe ihnen gesagt, dass sie sich die Zähne putzen sollen und das Gesicht waschen. Danach müssen sie in den Unterrichtsraum.“

Er schaute erst sie, dann die Spülmaschine an. „Was machen Sie da?“

„Ich spüle. Die Kinder haben sich ihr eigenes Frühstück gemacht. Ich wollte, dass sie etwas Gesundes essen und habe eine Mischung aus Zimt, Rosinen, Nüssen und Honig vorgeschlagen. Sie hatten Spaß dabei, sich ihr Müsli selbst anzurühren.“

„Sie hätten die Diener kommen lassen können, um das Geschirr zu beseitigen.“

„Ich weiß. Aber …“ Sie schob sich die Brille höher auf die Nase und suchte nach einer passenden Erklärung. „Ich versuche eine Atmosphäre für die beiden zu schaffen, die …“, sie zuckte mit den Schultern, „normal ist. Ich möchte ihnen ein Verständnis dafür vermitteln, in welcher Umgebung sie aufwachsen, aber auch wie der Rest der Welt lebt. Macht das Sinn?“

„Absolut.“

„Da bin ich froh. Ich habe einen ausgewogenen Tagesablauf für die Kinder entworfen. Er beinhaltet Musik und Kunst durch einen Lehrer der hiesigen Universität, zusammen mit Lesen, Rechnen und einigen Fremdsprachenstunden, so wie Sie es gefordert hatten.“

Fariq nickte, lehnte sich gegen den Kühlschrank und verschränkte die Arme vor der Brust. Unter seinem makellosen, weißen Hemd zeichneten sich die Muskeln ab. „Es ist wichtig, dass die beiden mehrere Sprachen fließend beherrschen. Und jetzt würde ich sie gerne sehen.“ In diesem Moment hörte man kindliches Gelächter aus dem Wohnzimmer.

„Papa!“ Hana stürmte mit einem riesigen Pandateddy im Arm in die Küche. „Danke für mein Geschenk.“

„Für meins auch“, rief ihr Bruder hinter ihr, der ebenfalls ein niedliches Stofftier mit sich schleppte.

Die Kinder warteten, bis Fariq die Arme ausbreitete. Dann rasten sie zu ihm, und er drückte sie gegen seine Beine, bückte sich und küsste die dunkel schimmernden Köpfe. Crystal wünschte sich, er wäre häufiger zu Hause. Die Kinder brauchten ihn. Die rührende Szene verursachte einen Kloß in ihrem Hals, und so wandte sie sich ab und widmete sich wieder dem Geschirr.

„Nanny hat uns Müsli gemacht, Papa“, erzählte Hana.

„Ich mag es“, fügte Nuri hinzu.

„Also ist sie eine gute Köchin?“ Ein Lächeln lag in seiner Stimme.

„Oh ja“, bestätigten beide wie aus einem Munde.

„Vielleicht wird sie dann auch einmal für mich kochen“, sagte er in seinem tiefen, dunklen Timbre.

Sie fragte sich, ob in dieser Äußerung eine doppelte Bedeutung lag. Es war jedoch mehr als offensichtlich, dass sie das wohl nie herausfinden würde. Sie faltete das Geschirrhandtuch und legte es neben das Spülbecken. „Hey, ihr zwei, es ist Zeit für die Schule. Heute Morgen habt ihr Musik und Kunst bei Miss Kelly. Ich bringe euch hin.“

„Papa, kommst du auch mit?“, bettelte Hana.

„Natürlich. Ich habe euch beide ganz schön vermisst.“ Er lächelte seine Tochter an, dann hob er den Blick und schaute zu Crystal hinüber.

Hatte er sie auch vermisst? Was für ein lächerlicher Gedanke, doch sie konnte ihn nicht unterdrücken, nachdem sie sich selbst bereits eingestanden hatte, dass ihr seine Abwesenheit mehr als nur ein wenig aufgefallen war.

Fariq zog sich ein Nadelstreifenjackett über, und dann verließen sie die Suite. Da die Kinder darauf bestanden, dass sie sich alle an den Händen fassten, gingen sie zu viert nebeneinander durch die Korridore zu dem Schulraum, wo die Lehrerin bereits wartete.

„Ich werde ein Bild für dich malen, Nanny“, verkündete Hana, als sie vor der Tür ankamen.

„Darüber freue ich mich sehr.“ Crystal beugte sich hinunter und gab dem Mädchen einen Kuss. „Und was ist mit dir, junger Mann? Was machst du heute?“

„Ich lerne ein Lied, das ich dir singe“, antwortete er feierlich.

„Das gehört zu meinen Lieblingsdingen“, sagte sie und nahm das Gesicht des Jungen in ihre Hände, dann küsste sie ihn auf beide Wangen. Daraufhin erschien bei dem Kleinen ein Grinsen, das so charmant war, wie das seines Vaters, so dass ihr Herzschlag für eine Sekunde aussetzte. Sie öffnete die Tür. „Ab mit euch. Miss Kelly wartet schon. Ich hole euch dann später ab.“

„Bye, Nanny“, riefen sie beide, während sie in den Raum gingen und winkten. „Bye, Papa.“

Die Tür wurde geschlossen, und sie war mit Fariq allein. Sie fühlte den Drang, das unangenehme Schweigen zu brechen. „Sie haben gerade einen für uns typischen Morgen miterlebt. Die Kinder haben Sie sehr vermisst.“

„So sehr, dass sie für Sie singen und malen.“

Oh, oh. Da galt es wohl, einen Anfall königlicher Eifersucht zu besänftigen, dabei fassten die Kinder lediglich zu ihrer ersten Bezugsperson Vertrauen und Nähe. „Das liegt nur daran, dass Sie so viel unterwegs waren. Es wird eine kleine Weile dauern, bis sie wieder mit Ihnen warm werden, jetzt wo Sie zurück sind.“

„Das will ich nicht weiter diskutieren.“ Er schaute auf seine Uhr. „Ich muss ins Büro.“

Crystal sah ihm nach, wie er in die Richtung des Bürotrakts verschwand, und ihr Herz machte einen kleinen Sprung, weil er offensichtlich nicht plante, sofort wieder auf Reisen zu gehen. Doch dann ermahnte sie sich zur Vernunft. Das Ganze konnte noch zu einer Katastrophe führen.

Sie musste sich auf ihren Job konzentrieren. Es war an der Zeit, dass sie die Unterrichtseinheiten und Aktivitäten für die Zwillinge am Nachmittag durchging. Langsam schritt sie die Treppe hinunter, wandte sich in die Richtung des Wohnflügels und hielt dann vor der Tür zu Fariqs Suite. Doch bevor sie hineingehen konnte, trat eine Dienerin auf sie zu.

„Was gibt es, Salima?“, fragte sie die junge, schwarzäugige Frau.

„Prinzessin Farrah wünscht Ihre sofortige Anwesenheit, Miss Rawlins.“

„Danke. Ich werde gleich zu ihr gehen.“

Die Prinzessin bewohnte eine Suite am Ende der Halle. Crystal war bereits einige Male zum Tee dort gewesen oder hatte die Kinder auf einen Besuch vorbeigebracht. Jetzt ging sie rasch zu der Wohnung und dachte dabei, dass sie sich doch recht schnell im Palast zurechtgefunden hatte. Zu Anfang hatte sie befürchtet, sich zu verirren und nie wieder das Tageslicht zu erblicken. An der Tür zur Suite angekommen, klopfte sie und wurde sogleich hineingebeten.

„Euer Hoheit?“

„Hier drüben, meine Liebe.“

Die Stimme kam aus dem Wohnzimmer, und Crystal ging in den Raum hinein. Während sie um die Ecke bog, hörte sie die ältere Frau etwas wie „absolut keine Fortschritte“ murmeln.

„Stimmt etwas nicht, Euer Hoheit?“

„Crystal.“ Prinzessin Farrah, die einen äußerst eleganten Designerhosenanzug trug, schaute auf. „Nein, nein. Ich bin nur ein wenig frustriert von einem Projekt, an dem ich arbeite. Bitte, setzen Sie sich. Und vielen Dank, dass Sie so schnell gekommen sind.“

„Gern geschehen.“ Sie setzte sich auf das Sofa gegenüber und konnte von dort aus durch die Balkontüren aufs Meer sehen. „Was kann ich für Sie tun?“

„Eigentlich wollte ich über die Kinder reden. Ich denke …“ Ein Klopfen an der Tür unterbrach sie. „Herein.“

Eindeutig männliche Schritte hallten über den Marmorfußboden, den Crystal beim Eintreten noch insgeheim bewundert hatte, und eine Minute später tauchte Fariq auf. Crystal spürte, wie ihr Puls plötzlich wild pochte. Großer Gott, sie hatte den Mann doch gerade erst gesehen!

Er blickte von ihr zu seiner Tante und verbeugte sich dann leicht. „Guten Morgen.“

„Danke, dass du so schnell gekommen bist.“

„Du sagtest, es ginge um die Kinder. Ich habe sie gerade erst verlassen. Stimmt etwas nicht?“

„Setz dich.“ Sie lächelte. „Hana und Nuri sind absolute Engel. Und Crystal geht ganz wunderbar mit ihnen um.“

Crystal spürte, wie die Sofakissen unter Fariqs Gewicht nachgaben. Er saß so dicht neben ihr, dass sie sich nur ein wenig nach links hätte lehnen müssen, um mit den Lippen seine Wange zu berühren. Der Gedanke erschreckte sie. Und es half auch gar nicht, dass ihr Fariq in diesem Moment einen Blick zuwarf, so als wenn er ihre Gedanken gelesen hätte. Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Das Leben im Palast war so viel einfacher, wenn er auf Reisen war.

Erst jetzt registrierte sie das Lob der Prinzessin und dass eine Reaktion von ihr erwartet wurde. Wahrscheinlich ein Dankeschön für das Kompliment.

„Sie sind zu freundlich, Euer Hoheit. Die Kinder machen es mir leicht. Es ist eine Freude, für sie zu sorgen.“ Dann kam ihr plötzlich ein Gedanke. In Fariqs Abwesenheit hatte sie die Instruktionen bezüglich ihrer Pflichten von der Prinzessin erhalten. Gab es etwa ein größeres Problem mit den Kindern, worüber Farrah mit ihnen beiden sprechen musste?

„Ist da etwas in Bezug auf Hana und Nuri, das mir entgangen wäre? Ich bin vollkommen offen für Anregungen, Euer Hoheit. Schließlich kennen Sie sie besser als ich, und man sagt ja …“

Sie unterbrach ihren Redeschwall, als Fariq einen Finger auf ihren Mund legte und sie so zum Schweigen brachte. Ihr Pulsschlag, der sich gerade wieder beruhigt hatte, machte einen doppelten Salto.

Er lächelte sie an. „Lassen Sie uns hören, was meine Tante zu sagen hat.“

„Okay.“ Sie sah zu der anderen Frau hinüber. „Warum haben Sie nach mir geschickt? Nach uns?“, verbesserte sie, während sie rasch zu Fariq hinüberschaute.

Die Prinzessin faltete die Hände in ihrem Schoß. „Crystal, können Sie reiten?“

Die Frage kam vollkommen unerwartet. „Ich bin einige Male geritten, aber ich bin sicher keine Expertin. Ist das ein Problem?“

Die Prinzessin lächelte, wie es schien, voller Zufriedenheit. „Überhaupt nicht. Aber es ist eine Fertigkeit, die Sie meistern sollten. Zugunsten der Kinder.“

Das war etwas, was sie immer hatte lernen wollen. Wie passend. Wenn sich Pflicht und Wünsche so gut vereinbarten, war das Leben wirklich toll. Damit hatte sie gar kein Problem.

Neben ihr nickte Fariq langsam. „Ich denke, ich verstehe, was du meinst, Tante. Und ich stimme zu. Ich werde Crystal persönlich beibringen, wie man mit einem Pferd umgeht.“

Crystal starrte ihn an. Damit hatte sie ein Problem.

4. KAPITEL

Fariq stand unter einem strahlend blauen Himmel vor den Ställen und genoss die frische Luft. Er hatte sein Zuhause vermisst und war froh, wieder hier zu sein. Ein ausgedehnter Ausritt war genau das Richtige nach der langen Zeit, die er auf Geschäftsreisen verbracht hatte.

Nach dem Besuch bei seiner Tante hatte er Crystal aufgetragen, sich umzuziehen und ihn hier zu treffen. Farrah und seine Schwester würden sich nach dem Unterricht um die Zwillinge kümmern, so dass er den ganzen Nachmittag nutzen konnte, um die Nanny seiner Kinder in der Kunst des Reitens zu unterweisen. Und die Vorstellung fand er amüsanter und angenehmer, als er erwartet hätte.

Eine wohlbekannte Spannung in seiner Magengegend warnte ihn jedoch davor, Zuneigung zu dieser oder irgendeiner anderen Frau zu fassen. Allerdings sah er Crystal in diesem Moment vor seinem geistigen Auge – mit ihrer großen Brille und der wenig schmeichelhaften Frisur, und er lachte. Es bestand keine Gefahr, dass sich mehr entwickeln würde. Sie entsprach der Jobqualifikation voll und ganz. Und dennoch schrillten ganz plötzlich wieder die Alarmglocken: Er hatte dieser Frau bereits mehr Aufmerksamkeit geschenkt als irgendjemandem in einer sehr langen Zeit. Selbst als er unterwegs war, hatte er sich auf ihre gemeinsamen, abendlichen Telefonate gefreut. Ihre verführerische Stimme hatte ihn jedes Mal erfolgreich von der Arbeit abgelenkt.

Und jetzt, wo er wieder zu Hause war, war sein Interesse an der Amerikanerin noch gewachsen. Besonders, da er sie gerade auf sich zukommen sah.

Sie trug eine kurzärmlige, weiße Bluse, die in erfreulich engen Jeans steckte. Die Form ihrer langen Beine, über die er sich ungewollt Gedanken gemacht hatte, war unter dem anschmiegsamen Stoff unschwer zu erkennen. Und die verführerischen Kurven ihrer Hüften, Schenkel und Knöchel übertrafen noch seine Erwartungen.

Eines der Pferde neben ihm schnaubte ungeduldig und schürfte mit seinem Huf Erde auf. Fariq streckte den Arm über den Zaun aus und streichelte dem Tier über die Nase. „Geduld, mein Freund. Bald werden wir ihr alles beibringen, was sie wissen muss.“

Der Gedanke brachte sein Blut zum Kochen, und er wunderte sich über diese Reaktion. Das hier war mehr als seine Pflicht. Dafür zu sorgen, dass sie eine gute Reiterin wurde, lag im Interesse seiner Kinder.

„Wenn ich gewusst hätte, dass das eine formelle Angelegenheit wird, hätte ich meine Designerjeans angezogen“, bemerkte Crystal, als sie endlich bei ihm angelangt war.

Er blickte auf sein weißes Seidenhemd und die eleganten Reithosen, dann wieder auf sie. „Ich werde veranlassen, dass Sie angemessene Kleidung bekommen.“

Jetzt schaute sie ihrerseits an sich hinab. „Was ich anhabe, ist nicht angemessen?“

Was ihn anbelangte, so war er mit ihrer Kleidung mehr als einverstanden. Er fand nämlich, dass sie ihr äußerst gut stand. Ihre kleinen, festen Brüste zeichneten sich deutlich unter der weißen Baumwolle ab.

„Solange wir auf dem Palastareal bleiben, ist es in Ordnung. Aber wenn wir weiter in die Wüste reiten, wäre es unklug, keine traditionelle Kleidung zu tragen. Heute werden wir jedoch nur die Grundbegriffe durchgehen und nicht allzu weit ausreiten. Wenn Sie sicherer geworden sind, und es bis in die Wüste geht, werden uns Security-Leute begleiten.“

„Ist das notwendig?“ Sie wirkte besorgt.

„Nur eine Vorsichtsmaßnahme für mich als Mitglied der königlichen Familie. Ich werde nicht zulassen, dass Ihnen etwas geschieht.“

Sie sah allerdings immer noch nicht wirklich beruhigt aus. „Was diese traditionelle Kleidung anbelangt – woher soll ich wissen, was angemessen ist?“

Er konnte den Ausdruck ihrer Augen nicht erkennen, da sie eine dunkle Sonnenbrille trug, doch an ihrem Hals sah er den Puls heftig schlagen. Außerdem hatte sie sich auf die Oberlippe gebissen, und dabei bemerkte er, dass ihr Mund voll und verführerisch war. Seltsam. Das war ihm zuvor nicht aufgefallen.

„Machen Sie sich keine Sorgen. Als Ihr Arbeitgeber ist es meine Aufgabe, Sie mit allem auszustatten, was Sie zur Ausübung Ihrer Pflichten brauchen.“

„Dann würde ich gerne wissen, was meine Reitfähigkeiten mit den Kindern zu tun haben?“

„Reiten ist eine traditionelle Beschäftigung der Familie. Mit fünf Jahren hätten Hana und Nuri es eigentlich schon längst lernen müssen. Es ist ein Teil Ihres Erbes und eins der vielen Dinge, in denen sie unterrichtet werden müssen.“ Er hatte die Stunden bereits beginnen wollen, als das Desaster mit der letzten Nanny passiert war. Zwischen seinen Geschäftsreisen und der Suche nach einem neuen Kindermädchen war er dann nicht mehr dazu gekommen. „Es ist Ihr Job, alle Aktivitäten der Kinder zu überwachen, daher müssen Sie sich auf dem Rücken eines Pferdes wohl fühlen.“

„Ich werde Hana und Nuri doch nicht unterrichten, sondern nur dabei sein.“

„Das stimmt, aber glauben Sie, dass Sie, wenn Sie nicht mit den beiden mithalten können, Ihren Job gut machen werden?“

„Wenn es Teil meiner Aufgaben ist, warum war es dann nicht auch Teil der Jobanforderungen? Warum wurde nicht nach einer schlichten, unscheinbaren Frau gesucht, die auch ein Pferd reiten kann?“

Sie verlagerte ihr Gewicht und trat damit aus den Schatten ins Sonnenlicht, so dass die rötlichen Nuancen in ihrem braunen Haar sichtbar wurden. Diesmal hatte sie die Locken zu einem Knoten geschlungen, was insgesamt weicher aussah. Fariq gefiel das Ergebnis.

„Erde an Fariq?“

„Hm?“ Er streckte sich und versuchte, sich wieder auf ihre Worte zu konzentrieren. Ach ja, die Jobanforderungen. „Es war nicht nötig, eine versierte Reiterin zu finden, weil andere Aspekte Ihrer Arbeit wichtiger sind. Abgesehen davon beweist Ihr College-Abschluss, dass Sie lernfähig sind.“

„Aber Reiten erfordert eine sportliche Begabung und unterscheidet sich damit vom Lernen aus Büchern.“

„Da mache ich mir bei Ihnen überhaupt keine Gedanken. Warum sträuben Sie sich denn jetzt so? Haben Sie etwa gelogen?“

Sie erstarrte ganz plötzlich. „Wie bitte?“

„Meiner Tante gegenüber“, erläuterte er, während er sich über ihre Reaktion wunderte. „Vorhin sagten Sie, dass Sie gerne Reiten lernen möchten. Stimmt das nicht?“

„Oh, das.“ Sie stieß einen langen Atem aus. „Doch ich würde sehr gerne reiten können.“

„Dann erstaunt mich Ihr Zögern.“

„Ich fühle mich einfach nicht wohl dabei, so viel Ihrer Zeit in Anspruch zu nehmen. Kann nicht einer der Reitknechte mir Unterricht erteilen?“

Die Stunden würden nahen Körperkontakt erfordern. Ein anderer Mann sollte sie berühren? Er rebellierte gegen den Gedanken. Aber natürlich nur aus dem Grund, dass es als ihr Arbeitgeber seine Pflicht war, sie zu beschützen. Dennoch schien sie unsicher, wenn es darum ging, Zeit mit ihm zu verbringen. Mochte sie ihn etwa nicht?

Diese Idee wies er sogleich von sich. Fariq beobachtete sie und bemerkte dabei die Spannung, die ihren Körper erfasst hatte, den heftigen Pulsschlag an ihrem Hals. War es möglich, dass seine Anwesenheit sie nervös machte? Es stand völlig außer Frage, dass sie ihn abstoßend fand. Musste man dann nicht vom Gegenteil ausgehen? Sie fühlte sich zu ihm hingezogen. Seltsamerweise gefiel ihm dieser Gedanke.

„Ich werde Sie im Reiten unterrichten“, meinte er abschließend. „Ich habe meinen Terminplan so umgestellt, dass ich es tun kann.“

„Aber Fariq …“

„Ich bin der beste Reiter in der Familie, auch wenn mein Bruder Rafiq darüber streiten würde. Und Sie sind hier, um für meine Kinder zu sorgen. Daher ist es auch meine Verantwortung und Aufgabe, Sie zu unterweisen – als Vater und als Ihr Arbeitgeber.“ Crystal öffnete den Mund, um zu widersprechen, doch er hob abwehrend die Hand. „Ich will nichts mehr dazu hören.“

„Okay. Dann lassen Sie uns anfangen.“

Endlich. Kapitulation. Doch die Auseinandersetzung hatte er genossen. Wann hatte er sich das letzte Mal so angestrengt, damit eine Frau Zeit in seiner Gesellschaft verbrachte? Und noch seltsamer – wann war es ihm das letzte Mal so wichtig gewesen? Fragen, auf die er keine Antworten hatte. Und er wollte auch keine Zeit damit verschwenden, welche zu suchen. Viel reizvoller war die Aussicht, sie zu berühren – natürlich nur im Rahmen seines Unterrichts.

„Zunächst müssen Sie sich mit Ihrem Pferd vertraut machen. Das ist mein Pferd, Midnight“, sagte er, während er den schwarzen Hengst zwischen den Ohren kraulte. Dann zeigte Fariq auf eine sandfarbene Stute neben Crystal. „Das ist Topaz. Sie wurde sehr sorgfältig extra für Sie ausgesucht. Sie ist sehr gutmütig und wird Ihnen sicher viel Freude machen. Ein wahres Juwel.“

Ohne zu Zögern hob Crystal die Hand und streichelte die samtige Nase des Tiers, woraufhin die Stute sie spielerisch an der Schulter schubste.

Crystal lachte. „Ich glaube, wir haben gerade Freundschaft geschlossen. Gutes Mädchen“, flüsterte sie dem Pferd ins Ohr und spähte dabei ins Innere der Ställe. „Ich habe mir das Palastareal angesehen, und ich wette, sie ist mehr als zufrieden, wenn man sich diese elegante Umgebung anschaut. Ich bin natürlich keine Expertin, aber sind die Ställe nicht aus Mahagoni?“

„Ja, das ist ein sehr robustes Material. Die Ställe sind klimatisiert, und die Wassertröge aus Edelstahl werden automatisch bedient.“

„Eine Art Designerstall also“, meinte sie. „Es gibt Menschen – vielleicht sogar in diesem Land – die wahrscheinlich alles dafür geben würden, das Leben eines Pferdes in den königlichen Stallungen zu leben. Obwohl natürlich dieser ständige Hafer auf dem Speiseplan ein wenig monoton ist.“

Fariq war wie bezaubert von ihrem neckenden Lächeln und der Art und Weise, wie es ihr Gesicht veränderte und beinahe schön machte. Er musste sich dazu zwingen, sich auf ihre Worte zu konzentrieren. Ihr Ton war zwar freundlich gewesen, schien aber doch ein paar Spitzen zu enthalten. Irgendetwas störte sie.

„Die Tiere hier sind alle reinrassig und ein Vermögen wert. Es ist nicht mehr als gesunder Menschenverstand, so sorgsam wie möglich mit dieser Investition umzugehen.“

„Was ist mit dem Durchschnittsbürger in diesem Land? Wird für den auch gesorgt?“

Ah, eine Liberale. Eine, die noch einiges zu lernen hatte – und zwar nicht nur über das Reiten. „Wir haben viele Programme, die den Menschen hier Unterstützung bieten.“

„Das freut mich zu hören.“ Sie strich mit den Fingern über das silberne Zaumzeug des Pferdes und blickte ihn dann an. „Wann kann ich aufsitzen?“

Offensichtlich wollte sie das Gesprächsthema nicht weiter verfolgen.

„Jetzt, wenn Sie bereit sind.“ Er überprüfte noch einmal ihren Sattel. Dann wandte er sich zu seinem eigenen Pferd und tat dort dasselbe. „Denken Sie immer daran, von links aufzusitzen. Stellen Sie Ihren linken Fuß in den Steigbügel und schwingen Sie dann Ihr rechtes Bein über das Tier.“

„Okay.“

Er hörte das Quietschen von Leder und blickte über seine Schulter. Crystal saß bereits auf Topaz’ Rücken und grinste von oben auf ihn herunter. „Ich habe Ihre Technik verpasst, aber wie ich sehe, war sie erfolgreich“, meinte er.

„Nun, ich habe während meiner Kindheit viele dieser B-Western gesehen. Irgendetwas muss hängen geblieben sein.“

„Offensichtlich.“ Insgeheim verspürte er jedoch eine vage Enttäuschung, dass sie seine Hilfe nicht benötigt hatte.

Nachdem er noch einmal die Länge ihrer Steigbügel inspiziert hatte, die keiner Änderung bedurfte, schwang er sich seinerseits in den Sattel. „Nehmen Sie beide Zügel locker in die linke Hand“, wies er sie an. Während er zu ihr hinüberschaute, musste er erkennen, dass sie das bereits getan hatte. Er runzelte die Stirn.

Sie warf ihm einen schelmischen Blick zu und grinste. „Lehrt dieser Blick kleine Kinder und Frauen das Fürchten, Fariq?“

„Welcher Blick? Ich weiß nicht, was Sie meinen.“

Sie hatten die Pferde in Bewegung gesetzt und ritten jetzt nebeneinanderher, allerdings zu weit voneinander entfernt, um sich berühren zu können. „Na schön“, antwortete sie.

„Sie zweifeln an mir?“

„Oh, nein, keineswegs.“

„Ich lüge nie.“

„Nie?“, fragte sie zurück. „Aber manchmal kann es doch das kleinere Übel sein. Taktvoller sogar. Wenn Ihre Tante Sie fragen würde, ob ihr neuester Designer-Hosenanzug sie in den Hüften breit aussehen lässt, was würden Sie sagen?“

„Die Wahrheit. Alles andere wäre unehrlich, und das ist ein Charakterzug, den ich verachte.“

„Ich stimme zu, dass einige Dinge absolute Aufrichtigkeit verlangen, doch manchmal sind kleine Details so unbedeutend, was das Gesamtbild anbelangt. Warum sind Sie so verbissen …“

„Die Gründe spielen keine Rolle. Sie müssen nur wissen, dass ich es bei anderen verachte und mir selbst nie erlauben würde.“

„Ich verstehe.“

Nein. Die unschuldige Amerikanerin konnte unmöglich verstehen, wie kostbar die Wahrheit war. Das hatte ihn seine Frau gelehrt, die mittlerweile zwar aus seinem Leben verschwunden war, doch die Narben hatte er zurückbehalten. Das einzig Gute, was sie ihm beschert hatte, waren seine Kinder. Und erst heute Morgen hatte Crystal ihm Vorwürfe gemacht, weil er so viel unterwegs war und Hana und Nuri keine Mutter hatten. Aber wenn sie Fatima gekannt hätte, würde sie wissen, dass die Zwillinge ohne sie besser dran waren. Sie würde auch verstehen, warum Joharas Einfluss auf die Kinder Anlass zur Sorge gab.

Als Fariq zu Crystal hinübersah, erkannte er, dass sie still und angespannt wirkte. Ihr voller Mund, noch vor wenigen Minuten so verführerisch, war nur noch eine dünne Linie. Ihren Körper hielt sie vollkommen steif, und Topaz tänzelte nervös.

„Entspannen Sie sich“, forderte er sie auf. „Sie machen Ihre Sache gut.“

„Danke“, entgegnete sie, ohne ihn anzusehen. Es war gut, dass sie wenig Anleitung brauchte, denn seine Gedanken waren abgeschweift. Worüber hatten sie sich unterhalten? Ah, ja. Seine Aufrichtigkeit. Sie hatte gesagt, sie habe keine Zweifel.

Bei ihm war das anders. Er hatte Zweifel an seinem Verstand. Denn er wollte ihr die Unbehaglichkeit nehmen und wieder das Lächeln auf ihrem Gesicht sehen. Er wollte sie berühren. Er hatte nicht gewusst, wie sehr, bis er erkennen musste, dass sie aufgrund ihrer Sportlichkeit ohne seine Hilfe auf Topaz’ Rücken gekommen war. Ihr bereitete das Reiten überhaupt keine Schwierigkeiten. Er wünschte sich, er verfüge über Rafiqs Charme und dessen Leichtigkeit im Umgang mit Frauen.

Seine Reaktion bereitete ihm Angst. Er musste der Versuchung widerstehen, die Textur und Form ihrer Kurven, die sie ihm endlich gezeigt hatte, zu ergründen.

Nach nur einer Stunde auf einem Pferderücken fühlte sich Crystal vollkommen erschöpft, ganz zu schweigen von den Schmerzen, die sie an den zarten Innenseiten ihrer Schenkel verspürte.

Nach Fariqs Beteuerung, dass er niemals lüge, waren sie eine Weile schweigend nebeneinanderher geritten. Jede Frau wusste, dass Männer die Wahrheit häufig ein wenig verdrehten. Warum musste sie für den einzigen Mann auf diesem Planeten arbeiten, der nicht mit doppelter Zunge sprach? Ihre Schuldgefühle hatten schwer auf ihr gelastet, und sie hatte eine Weile mit sich gerungen, ob sie ihm ihr Geheimnis anvertrauen sollte. Erste Zahlungen ihrerseits an ihre Mutter hatten die Gläubiger beruhigt und den Verkauf des Hauses verhindert. Aber es gab immer noch einen Berg von Arztrechnungen zu begleichen.

Dann dachte sie an die Kinder. Fünf Nannys in einem Jahr. Bis zu ihrer Ankunft waren sie ständig zwischen den verschiedenen Familienmitgliedern hin und her geschoben worden – je nach dem, wer gerade Zeit hatte. Jetzt schienen sie glücklich und zufrieden. War es fair, sie aus dieser Stabilität herauszureißen?

Schließlich hatte sie sich entschlossen, dem Ganzen mehr Zeit zu geben. Wenn der Prinz erkannt hatte, dass sie gut für seine Kinder war, würde sie ihre Karten auf den Tisch legen und hoffen, dass er verstehen würde.

Nachdem sie sich zu dieser Entscheidung durchgerungen hatte, hatte sie Fariq gebeten, sie schneller reiten zu lassen, und er hatte zugestimmt. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal so viel Spaß gehabt hatte. Und auch er hatte den Eindruck gemacht, dass er den Ausflug genoss.

„Sie haben sich sehr gut gemacht für Ihre erste Stunde.“ Er warf ihr einen Blick zu, und irgendetwas schimmerte in seinen Augen. „Ihre Frisur …“

Fiel ihm das jetzt erst auf? Das Hin- und Herschaukeln im Sattel hatte die Spange schon vor einer ganzen Weile gelöst. Da sie sich fest an die Zügel geklammert hatte, hatte sie dagegen nicht viel tun können.

„Ich hätte mein Haar fester zurückbinden sollen.“

Der Ausdruck seiner Augen sagte ihr, dass er das anders sah. „Sie haben Farbe bekommen. Ihre Wangen sind ganz rosig. Haben Sie den Ritt genossen?“

„Sehr“, meinte sie begeistert.

Er zügelte Midnight unmittelbar vor den Ställen. Mit katzenhafter Anmut schwang er sich vom Rücken des großen Hengstes, und nachdem er die Zügel über den Zaun geworfen hatte, machte er mit ihren dasselbe.

Während er zurückschaute, stellte er überrascht fest, dass sie immer noch im Sattel saß. Nach ein paar Sekunden, lächelte er langsam. „Es ist eine Sache, sich Western anzusehen, eine andere, selber darin mitzuspielen, nicht wahr?“

„Wenn Sie fragen, ob ich Schmerzen habe oder nicht, dann lautet die Antwort eindeutig Ja.“ Als sein Grinsen noch breiter wurde, schaute sie ihn missbilligend an. „Und Sie müssen gar nicht so selbstgefällig dreinschauen.“

Er legte die Hände auf seine schmalen Hüften. „Das würde ich niemals tun, denn es wäre wenig gentlemanlike.“ Er trat an ihre linke Seite und streckte ihr die Arme entgegen. „Ich werde Ihnen hinunterhelfen.“

„Danke, aber das schaffe ich schon noch.“

Vorsichtig schwang sie das rechte Bein über den Sattel und überließ ihre zitternden Muskeln dann der Schwerkraft, bis sie mit beiden Füßen auf dem Boden stand. Das war doch gar nicht so schwierig gewesen. Nachdem sie den Sattel losgelassen hatte, drehte sie sich um und machte einen ersten Schritt. Oh, oh, jetzt sah die Sache schon anders aus. Als sie stolperte, fing Fariq sie gerade rechtzeitig auf.

„Vielleicht haben wir es für die erste Stunde etwas übertrieben.“

„Ich hatte unheimlich viel Spaß. Außerdem denke ich, dass es ganz egal gewesen wäre, wie lange wir geritten wären. Meine empfindlichen Stellen würden Sie trotzdem verfluchen.“

Andere empfindliche Stellen dagegen waren mehr als glücklich, gegen seine breite Brust gepresst zu werden. Der Druck seiner Arme und der muskulösen Schenkel erzeugte ein ganz anderes Zittern in ihr, das nichts mit ihrer Reitstunde zu tun hatte.

Er grinste sie an. „Dennoch hätte ich mehr an Ihre Unerfahrenheit denken sollen. Ich verspreche, dass ich es wieder gut mache.“

Wie? Als der Blick seiner Augen feuriger wurde, glaubte sie, die Frage laut ausgesprochen zu haben. Doch das hatte sie nicht. Dennoch schaute er sie so an, als wäre sie ein besonders verführerisches Stück Schokolade.

Im nächsten Moment senkte er den Kopf und küsste sie. Ein Ruck ging durch sie, so als hätte sie einen elektrischen Draht berührt. Das war die einzige Erklärung für den weichen Seufzer, der in ihrer Kehle steckte.

Seine Atmung wurde abgehackt, während er sie noch enger an sich zog. Von den Knien bis zur Schulter standen sie aneinander gepresst, ihre Brüste drückten sich gegen seinen harten Oberkörper. Sie spürte die Muskeln in seinen Oberschenkeln und war zugleich schockiert und erregt von dem Beweis seines Verlangens.

Als er mit der Hand über ihre Wange strich und seine Finger dann in ihrem Haar vergrub, schmolz sie unter der Berührung dahin. Mit dem Daumen liebkoste er ihr Kinn, und sie hätte schwören können, dass Funken flogen. Sie erwartete, jeden Moment in Flammen aufzugehen und scherte sich nicht einen Deut darum. Und die ganze Zeit über hielt er sie mit seinen Lippen gefangen.

Seine suchenden Fingerspitzen streiften den Rand ihrer Sonnenbrille. Er hob den Kopf und löste damit den Kontakt ihrer Lippen. Sofort vermisste sie die Wärme und Sanftheit.

Er blickte auf sie hinunter, während seine Atmung immer noch unruhig war, seine Brust sich heftig hob und senkte. „Du bist voller Überraschungen. Genauso mysteriös wie die Wüste.“

Ihr Herz schlug wie wild, ihr Puls raste. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. „Fariq, ich …“

Er stieß einen langen Atem aus, während er nach ihrer Sonnenbrille griff. „Mein kleines Wüstenjuwel – lass mich deine Augen sehen.“

Er wollte ihr die Brille abnehmen? Plötzlich schoss Adrenalin durch sie und schaltete ihren Verstand wieder ein. Sie rückte von ihm ab und aus seiner Umarmung heraus. Sie war zwar nicht geschminkt, doch ihre Haare hingen offen an ihr herab, und sie trug auch keine unförmige Kleidung. Die Sonnenbrille war die einzige Maskerade, die blieb, ihr einziger Schutz.

„Ich … ich muss gehen.“

„Nicht jetzt. Lass mich …“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich muss Johara ablösen. Die Zwillinge werden sich schon fragen, wo ich bin.“

„Sie wissen, dass du bei mir bist.“ Er runzelte die Stirn, während er mit seiner Stiefelspitze Sand aufschürte.

„Aber das ist so rasch passiert.“ Und damit meinte sie nicht nur die Reitstunde. „Ich … ich meine, ich hatte keine Gelegenheit, sie auf meine Abwesenheit vorzubereiten“, erklärte sie, während sie sich langsam abwandte.

„Warte.“ Er streckte eine Hand nach ihr aus. Als er sah, dass diese Hand zitterte, ballte er sie zur Faust. Seine Augen waren schwarz und unlesbar, als er hinzufügte: „Ich habe Sie in Verlegenheit gebracht.“

„Ja … nein … ich …“

„Es wird nicht wieder vorkommen.“

Bedeutete das, dass er sie feuern würde?

Er fuhr sich verwirrt durch das dunkle, glänzende Haar. „Aber ich bedaure es nicht, dass da noch viel mehr Facetten an Ihnen sind, als ich erwartet hätte. Ich freue mich darauf, sie alle kennen zu lernen.“

Sie stieß langsam die Luft aus. Die gute Nachricht bestand darin, dass sie immer noch einen Job hatte. Die schlechte – er wollte mehr über sie erfahren.

„Ich habe nachgedacht. Da meine Stunde heute so gut verlaufen ist, könnte ich von nun an vielleicht alleine weiterüben?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich muss Ihnen noch mehr Grundbegriffe beibringen.“

Die Art und Weise, wie ihr Herz hämmerte, ließ sie sich fragen, welche Dinge er dabei wohl im Sinn hatte. „Aber ich habe immer noch das Gefühl, dass ich Sie von wichtigeren Angelegenheiten abhalte.“

„Ganz im Gegenteil. In zwei Wochen müssen Sie versiert genug sein, um mich und die Kinder in die Wüste zu begleiten. Dort gibt es eine wichtige Veranstaltung, bei der ich anwesend sein muss, und ich möchte Hana und Nuri dabei haben. Deshalb müssen auch Sie mitkommen.“

„Ich verstehe.“

Crystals Augen wurden groß, und sie war dankbar, dass er es nicht sehen konnte. Rasch wandte sie sich von ihm ab. Mit einiger Selbstbeherrschung schaffte sie es, nicht in ihr Zimmer zurückzulaufen. Mit genügend Abstand konnte sie sich von seinem Bann befreien und bemerkte, dass er nicht gesagt hatte, dass er die ganze Geschichte bedaure. Sie war froh darüber, auch wenn er sich wahrscheinlich nie für etwas entschuldigte.

Und sie wollte es auch jetzt gar nicht. Seit der Zeit, als Jungen ein Auge auf sie geworfen hatten, war sie nach ihrem Äußeren beurteilt worden. Fariq hatte sie trotz der Art und Weise wie sie im Moment aussah geküsst. Und es hatte sich wundervoll angefühlt. Sie konnte es ihrerseits nicht bedauern.

Aber sie steckte in Schwierigkeiten. Die Frage war nur – wie tief, und gab es Rettung?

5. KAPITEL

Es war jetzt zwei Wochen her, dass Fariq sie halb besinnungslos geküsst hatte.

Als Crystal hinter ihm durch die Wüste ritt, erkannte sie, dass sie in Gedanken nur noch zwischen der Zeit vor dem Kuss und der Zeit nach dem Kuss unterschied.

Seit jenem Nachmittag hatte sie sich immer wieder gefragt, warum sie damals nicht sofort eine Erklärung für sein Verhalten gefordert hatte. Sie war wohl zu besorgt gewesen, dass er ihr die Brille abnahm. Aber das erklärte immer noch nicht, warum er sie geküsst hatte, wo sie doch nun wirklich alles getan hatte, um ihm in keiner Weise zu gefallen.

Sie hatte erwartet, dass er ihr die Schuld geben würde, doch er hatte kein Wort gesagt. Nie auch nur das Thema angeschnitten. Niemals geäußert, dass es ihm leid täte. Sie nie wieder geküsst.

Und damit war seine großspurige Äußerung, er wolle mehr über sie erfahren wohl nur heiße Luft gewesen. Denn wenn er gewollt hätte, hätte er mehr als genug Gelegenheit gehabt. Sie waren nämlich an jedem einzelnen Nachmittag zusammen ausgeritten. Irgendwann hatte er ihr dann mitgeteilt, dass sie zu irgendeiner mysteriösen, traditionellen Veranstaltung in der Wüste reiten würden.

Und hier war sie nun und folgte seinen Anweisungen. Sie waren von Sicherheitsleuten umgeben, manche davon ebenso wie sie auf Pferderücken, andere in schweren Geländewagen. Plötzlich wurde sie von einer ungeheuren Abenteuerlust gepackt. Sie konnte es gar nicht abwarten, ihrer Mutter eine ausführliche E-Mail zu schicken, in der sie alle aufregenden Details aus den Weiten von El Zafir schilderte.

Da sie ihre Neugier nicht mehr zügeln konnte, trieb sie ihr Pferd so an, dass sie bald darauf mit Fariq auf einer Höhe ritt. „Sind wir jetzt da?“

Er schaute zu ihr herüber und grinste sie an. Wieder einmal wurde ihr bewusst, was für ein attraktiver Mann der Prinz war.

„Bald.“

Das war auch seine Standardantwort den Zwillingen gegenüber gewesen, und zwar schon nach zehn Minuten, als die Frage zum ersten Mal gestellt wurde. Wenn sie sich nicht verschätzte, waren sie jetzt mindestens schon zwei Stunden unterwegs.

Sie rutschte einmal im Sattel herum und staunte darüber, wie schnell sie sich an das Reiten gewöhnt hatte. Tägliche Übung war eben doch das Beste. Und die traditionelle Kleidung, die sie heute trug, war überaus bequem.

„Ich mag mein neues Outfit“, meinte sie. „Sie hatten recht.“

„Natürlich.“ Wieder grinste er. „Die traditionelle Reitkleidung meines Landes steht Ihnen.“

Bei diesem Kompliment fühlte sie, wie es warm in ihr aufstieg. Als sie die Sachen zuerst anprobiert hatte, hatte sie nicht geglaubt, sich jemals an all die Schichten zu gewöhnen. Sie trug eine weiße Robe, die bis zu ihren Füßen reichte, mit einer Kapuze, die ihr Haar bedeckte. Ein abnehmbarer Schleier schützte ihr Gesicht vor der Sonne. Unter diesem äußeren Gewand trug sie weit geschnittene Hosen und ein langärmliges, hochgeschlossenes Hemd, beide Kleidungsstücke aus einer sehr weichen und leichten Baumwolle. Sie hatte angenommen, darunter vor Hitze einzugehen, doch das Ganze stellte sich als angenehm kühl heraus.

In diesem Moment machten sich die Kinder in einem der Begleitfahrzeuge bemerkbar, und Fariq lenkte seinen Hengst darauf zu.

„Sind wir bald da, Papa?“, fragte Hana zum x-ten Mal durch das Fenster.

„Ja, Papa, mir ist langweilig“, stimmte auch Nuri mit ein.

Fariq betrachtete seinen kleinen Sohn und sagte dann: „Es dauert nicht mehr lange.“

„Da!“, rief Crystal und zeigte voraus. „Für mich sieht das wie eine Oase und ein Zelt aus.“

„Ja!“ schrien beide Kinder unisono.

Crystal hatte selbst Mühe, ihre Begeisterung zu unterdrücken, während sie sich fast die Augen aus dem Kopf starrte. Palmen säumten das Areal, zusammen mit einer geradezu überbordenden Vegetation und einem kleinen See. In der Mitte der Oase stand ein großes, sehr stabil wirkendes, pompöses Zelt, und daneben entdeckte sie eine Satellitenanlage, die wohl für Kommunikationszwecke genutzt wurde.

„Was ist das?“, wollte sie wissen, als sie auf ein anderes Gerät neben dem Satellit deutete.

„Ein Generator für die Klimaanlage.“

Crystal war überrascht, so viele Menschen vor dem Zelt zu sehen. Sie blickte zu Fariq hinüber. „Offensichtlich ist jemandem herausgerutscht, dass Sie heute da sein werden.“

„Nicht herausgerutscht“, entgegnete er, ohne dieser wenig erhellenden Erklärung noch irgendetwas hinzuzufügen.

Ehe sie ihn weiter ausfragen konnte, hielten sie an und wurden sofort von Sicherheitsleuten umringt. Man half ihr vom Pferd, und zusammen mit Fariq und den Kindern wurde sie in das Zelt geführt. Er schlug ihr vor, sich das Innere des Zeltes näher anzusehen und nahm die Kinder dann mit sich.

Nach wenigen Augenblicken hatten sich ihre Augen an das Licht im Innern gewöhnt, und ihr einziger Gedanke war nur noch Wow! Das Zelt war größer, als sie zuerst gedacht hatte; riesig, um ehrlich zu sein und in verschiedene Räume unterteilt. Seidentücher schmückten die Wände, edle Perserteppiche lagen auf dem Boden und farbenfrohe, weiche Kissen waren auf etlichen niedrigen, weißen Sofas drapiert. Als sie weiterschlenderte, entdeckte sie, dass es sowohl Schlafzimmer gab wie sanitäre Anlagen.

Schließlich gelangte sie in den größten Raum, der überall sonst als Ballsaal hätte dienen können. In diesem Raum gab es keine Möbel bis auf einen großen Holzstuhl an einem Ende, vor dem eine lange Reihe von Leuten stand.

In diesem Moment trat Fariq neben sie. „Es ist Zeit anzufangen.“

„Womit anzufangen?“, fragte sie, während beide Kinder nach ihrer Hand griffen.

„Lassen Sie sich überraschen.“ Er zeigte auf einen Kissenberg neben dem Stuhl. „Bringen Sie die Kinder dorthin und setzen Sie sich.“

„Okay.“

Sie tat wie geheißen und war genauso gespannt wie die Zwillinge. Vertrauensvoll kuschelten sich die zwei an ihre Seite, und Crystal hatte plötzlich einen Kloß im Hals. Es erstaunte sie, wie schnell auch sie die beiden in ihr Herz geschlossen hatte. Als sie die neugierigen Blicke um sich herum spürte, fühlte sie einen Beschützerinstinkt in sich erwachen.

Jemand trat hinter sie und sprach sie an. „Ich bin Khalid, ein Bediensteter von Prinz Fariq. Er hat mich gebeten, für Sie zu übersetzen.“

Crystal wollte ihn fragen, worum es hier überhaupt ging, doch er legte einen Finger auf seinen Mund und bedeutete ihr zu schweigen. Nun trat ein Mann vor Fariq, verbeugte sich tief und begann, eine lange und offensichtlich ernste Rede in seiner Landessprache zu halten. Fariq hörte ihm aufmerksam zu und antwortete dann in derselben Sprache. Daraufhin erschien ein breites Grinsen auf dem Gesicht des Mannes, der sich erneut verbeugte und dann zurücktrat.

„Was ist passiert?“, wollte sie von Khalid wissen.

„Die Frau des Mannes bekommt ein Kind. Sie hatte bereits zuvor zwei Fehlgeburten, und nun gibt es erneut Probleme. Er muss sie in die Hauptstadt bringen, damit sie dort medizinische Behandlung erhält. Wenn es soweit ist, will der Mann, dass das Baby in dem neuen Krankenhaus geboren wird, das Prinz Kamal bauen lässt.“

„Wird es denn rechtzeitig fertig werden?“, erkundigte sie sich besorgt.

Er nickte. „Es wird bald eröffnet werden. Dieser Mann hat kein geeignetes Fahrzeug, um diese Reise zu machen.“

„Was wird er dann tun?“

„Der Prinz hat ihm gerade eins gegeben“, antwortete Khalid schlicht.

Crystal bekam große Augen. „Einfach so? Fariq hat ihm ein Auto geschenkt?“

„Ja.“

Khalid bedeutete ihr wieder, ruhig zu sein, da eine andere Person vor Fariq trat. Crystal beobachtete das Gesicht eines Mannes, der ungefähr Mitte dreißig zu sein schien. Da sie die Worte nicht verstehen konnte, konzentrierte sie sich auf Fariq. Ihr Herz schlug unwillkürlich schneller, als sie erneut erkannte, wie gut er in der traditionellen arabischen Kleidung aussah.

Sie bemerkte die Emotionen, die ihn bewegen mussten, das Funkeln in den dunklen Augen. Sie hätte schwören können, dass er ein Grinsen unterdrückte. Dennoch folgte er der Rede aufmerksam. Schließlich teilte er seine Entscheidung mit, und augenblicklich verschwand der ernste Gesichtsausdruck des Mannes, ersetzt durch ein breites Lächeln, während er sich verbeugte und verabschiedete.

„Khalid was …“

„Er hat um einen Kredit gebeten. Er möchte ein Möbelgeschäft eröffnen.“

„Und das allein reicht dem Prinzen, um zu entscheiden, dass der Mann das Risiko wert ist?“

„Seine Sorge gilt nicht dem Erfolg oder dem Scheitern des Geschäfts. Prinz Fariq hat sogar mehr Geld gewährt, als erbeten wurde. Seine einzige Bedingung war, dass der Mann so viele Menschen einstellt wie möglich. Sein Ziel ist es, dass die Bürger von El Zafir in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familien zu verdienen.“

„Wow.“

Sie wollte den Kindern gerade sagen, dass ihr Vater der Weihnachtsmann und die gute Fee in einer Person war, als sie bemerkte, dass die beiden eingeschlafen waren. Lächelnd strich sie ihnen über die dunklen Haare und konzentrierte sich wieder auf den Prinzen.

Fariq billigte Ersuchen um Geld, die von Kosten für ärztliche Leistungen bis hin zu Studiengebühren und weiteren Geschäftsvorhaben reichten. Khalid erklärte ihr, dass es dabei um mehr als pure Großzügigkeit ging. Der Prinz wollte eine vielfältige Wirtschaft, und es war sinnvoll, möglichst vielen Menschen Arbeit zu verschaffen. Crystal war von dem ganzen Vorgang fasziniert. Und was den Ausdruck in Fariqs Gesicht anging, so schien er jede Minute dieses Jobs zu genießen.

Zum zweiten Mal an diesem Tag musste sie ihrer Emotionen Herr werden. Sie verstand, was sie für die Kinder empfand, doch diese Gefühle für ihren Vater waren wesentlich komplizierter. Unangemessen war ein Adjektiv, das ihr sofort in den Sinn kam. Und Crystal hatte nicht vor, diese offensichtlich einseitigen Gefühle zum Problem werden zu lassen.

Am nächsten Morgen küsste Fariq Hana und Nuri zum Abschied und setzte sie dann in den Geländewagen zu dem Bodyguard, der sie sicher zurück in den Palast bringen würde.

„Benehmt euch bei Tante Farrah“, ermahnte er die beiden.

„Ja, Papa“, antwortete Nuri brav. „Aber wann kommt Nanny nach Hause? Ich muss ihr etwas zeigen.“

„Heute ist ihr freier Tag. Du wirst dich gedulden müssen.“

„Warum braucht sie einen freien Tag?“, wollte der Kleine wissen.

Fariq grinste seinen Sohn an. „Weil ihr zwei sie ganz schön auf Trab haltet und sie sich ausruhen muss.“

„Wir spielen doch nur mit ihr. Mit ihr macht es mehr Spaß als mit Tante Farrah.“

„Ja“, stimmte auch seine Schwester zu. „Fast so viel wie mit Tante Johara. Aber ich mag Nanny am liebsten.“

Fariq mochte sie auch. Mehr als er zugeben wollte. Seit er sie geküsst hatte, war er kaum in der Lage gewesen, an irgendetwas anderes zu denken. Die täglichen Reitstunden waren die reinste Qual gewesen, weil er sich fast gewaltsam davon hatte abhalten müssen, sie wieder zu berühren. Es tat ihm leid, dass sie damals wie ein verschrecktes Kaninchen vor ihm davongelaufen war. Es war allerdings schwierig, zerknirscht zu sein, wenn man mit solcher Leidenschaft belohnt wurde.

Er seufzte, während er seine Kinder betrachtete. „Ich bin froh, dass ihr eure Nanny mögt. Und wollt ihr nicht, dass sie glücklich bei uns ist?“

„Doch!“, riefen beide Kinder im Chor.

„Genau wie ich. Also müssen wir dafür sorgen, dass sie die Möglichkeit bekommt, sich auszuruhen.“

„Wer ruht sich aus?“

Fariq drehte sich um und sah, wie Crystal aus dem Zelt trat. Sie trug die lange Robe mit dem Schleier, der ihr Gesicht zum großen Teil verdeckte. Doch ihre Augen funkelten selbst hinter der Brille schelmisch. Sein Magen verkrampfte sich in einer unbewussten Warnung.

„Sie!“ antwortete er ihr. „Zumindest war das meine Absicht.“

„Nanny, wir fahren zu Tante Farrah, damit du glücklich sein kannst“, zwitscherte Nuri.

Hanna nickte eifrig. „Papa sagt, dass du dich unbedingt ausruhen musst.“

Crystal kam zu dem Wagen herüber. „Ich bin nicht müde. Wenn ihr mich braucht, dann komme ich mit.“

Die Kinder schüttelten die Köpfe, und Nuri fügte wie ein guter kleiner Märtyrer hinzu: „Wir finden jemand anders, mit dem wir spielen können.“

„Ich bin sicher, eure Tante Johara wird sich bereit erklären“, schlug sie vor.

Sie nickten. „Auf Wiedersehen, Nanny.“

Crystal umarmte sie beide. „Benehmt euch.“

Fariq runzelte die Stirn, als der Fahrer die Tür schloss und mit den beiden verschwand. Die Erwähnung seiner Schwester machte ihm Sorge. Joharas Mutter war seiner eigenen Frau sehr ähnlich gewesen – eitel und selbstsüchtig. Er fühlte sich wohler, wenn seine Tochter in Crystals Obhut war. Doch laut ihrem Vertrag hatte sie Anspruch auf anderthalb freie Tage die Woche. Tante Farrah hatte ihm Vorhaltungen gemacht, weil Crystal nie die ganze Zeit nahm. Einmal die Woche fuhr sie wegen einer Erledigung in die Stadt, kehrte dann jedoch sofort danach wieder zurück. Sie hatte die Kinder ständig um sich, doch heute würde er das ändern.

„Also“, meinte sie, während sie zu ihm aufblickte. „Ich schätze, wir reiten die Pferde zurück zum Palast?“

„Ja.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber was halten Sie zuerst von einer geführten Tour?“ Er streckte einen Arm in einer Geste aus, die die ganze Wüste zu umfassen schien.

„Sehr viel“, entgegnete sie.

Fariq erkannte das Funkeln in ihren Augen. Dass er ihr diese Freude machte, bereitete ihm größere Befriedigung, als gestern die ganzen Bittgesuche zu bewilligen. Was mehr als merkwürdig war. Er lächelte und bemerkte dann, dass er das in ihrer Gegenwart häufig tat. Vielleicht war das der Grund, warum er Zeit mit ihr verbringen wollte. Es hatte überhaupt nichts mit ihrer leidenschaftlichen Reaktion auf seinen Kuss zu tun. Obwohl ihr Anblick von vor zwei Wochen noch immer seine Erinnerung beherrschte. Ihr wunderschönes Haar hatte wie eine wilde Mähne ihr Gesicht umspielt, und die mahagonifarbenen Nuancen hatten im Sonnenschein geleuchtet. Sie hatte so ausgesehen, als wäre sie gerade erst dem Bett eines Mannes entstiegen, und er hatte der Versuchung nicht widerstehen können.

„Lassen Sie uns aufbrechen.“

Sie stiegen auf ihre Pferde, und er gab die Richtung vor, während sie die Oase umrundeten. Er erzählte ihr von der natürlichen unterirdischen Quelle, die die reiche Vegetation versorgte. Seit Tausenden von Jahren bereits verließ sich sein Volk auf diese Wohltätigkeit der Natur. Es war ein Zeichen seines Überlebenswillens. Und während er all das erklärte, fühlte er den Stolz in seiner Brust, den Stolz auf sein Land und sein Erbe.

„Als dann Öl entdeckt wurde, änderten sich natürlich die wirtschaftlichen Anstrengungen und Gegebenheiten.“

„Das kann ich mir vorstellen“, kommentierte sie trocken. „Und da wir gerade dabei sind. Um was ging es da eigentlich gestern?“

„Ich habe davon gesprochen, als Sie Ihre erste Reitstunde hatten. Es ist eins unserer Programme, das unserem Volk zugute kommt.“

„Sie hätten das weiter ausführen sollen. Ich komme mir wie eine Närrin vor, weil ich angedeutet habe, dass hier für die Pferde besser gesorgt wird als für die Menschen. Ich schätze, ich muss mich entschuldigen.“

„Dazu besteht kein Grund. Diese Wüstentradition wurde von meinem Großvater begonnen, dann von meinem Vater und nun von mir weitergeführt. Eines Tages werde ich dieses Privileg an Nuri übergeben.“

„Aber er ist doch erst fünf, noch viel zu jung!“

„Das ist normalerweise das Alter, in dem Kindern der Königsfamilie beigebracht wird, was es mit ihrer Kultur, ihren Bräuchen und dem, was von ihnen erwartet wird, auf sich hat.“

„Also deshalb wollten Sie die Zwillinge dabei haben. Und mich dazu.“

Er nickte. Allerdings erklärte es nicht, warum er jetzt ohne die Kinder mit ihr hier sein wollte. Er hätte es mittlerweile wirklich wissen müssen. Die Gefahren der Wüste waren nichts im Vergleich zu dem Risiko, das eine Frau für einen Mann bedeuten konnte. Aber diese Frau stellte sicherlich keine Bedrohung dar. Nach gründlicher Prüfung hatte seine Tante behauptet, sie sei perfekt.

Doch wenn dem so war, warum war er dann so begeistert gewesen, als sie seine Einladung zum Ausritt sofort angenommen hatte? Seine Frau hätte dem nie zugestimmt. In ihren Augen war es ein lästiger Zeitvertreib gewesen, zu schmutzig und windig. Ihre Frisur und ihr Make-up hätten gelitten.

Crystal blickte ihn neugierig an. „Erzählen Sie mir von dieser Tradition, mit der Sie Wünsche erfüllen.“

Gut. Ein neutrales Thema. „Mein Großvater war davon überzeugt, dass die Bevölkerung Anteil am Reichtum haben sollte. Zweimal im Jahr hat er dieses Treffen veranstaltet und sich Bittgesuche angehört und gewährt.“

„Dann bin ich überrascht, dass nicht mehr Menschen da waren. Die Schlange hätte so riesig sein müssen, dass Sie mehrere Tage beschäftigt wären.“

Er lächelte. „Das Ganze ist tatsächlich ein wenig aus dem Ruder gelaufen und hat uns damit gezwungen, das Prozedere zu verändern. Alle Gesuche müssen jetzt vorher schriftlich eingereicht werden, und nur die, die es wirklich wert sind, werden zur Oase eingeladen.“

„Also wissen die Leute im Voraus, dass ihr Gesuch gewährt wird?“

„Nein.“

„Aber jeder, der auftaucht, bekommt das, worum er bittet?“

„Ja.“

„Sie sind ein Schwindler.“

„Wie das?“

Sie musterte ihn und schaute dann wieder geradeaus. „Sie sind sehr kühl, so als wenn Sie das alles gar nicht berühren würde. Dabei spielen Sie gute Fee.“

„Es ist mein Job.“

„Und Sie lieben ihn.“

Er hatte sich verdammt viel Mühe gegeben, seine Gefühle zu verbergen, und diese Frau las in ihm offenbar wie in einem offenen Buch. Ein mehr als beunruhigender Gedanke.

„Es ist mein Job“, wiederholte er.

„Warum verstecken Sie die Tatsache, dass Sie ein Softie sind?“

Bevor er antworten konnte, blies ein starker Windstoß den Sand um sie herum auf. Das und der flatternde Stoff ihrer Roben ließ die Pferde erschreckt zur Seite tänzeln. Die Tiere waren an das Reiten in der Wüste gewöhnt. Fariq hatte es gelernt, ihren Instinkt und ihr Verhalten niemals zu ignorieren, denn häufig warnte es vor etwas, was er noch nicht sehen konnte.

Er blickte zu Crystal hinüber. „Wir müssen sofort zur Oase zurückkehren. Sandstürme können in der Wüste ganz plötzlich auftreten.“

„Sollten wir nicht zum Palast reiten? Wären wir da nicht sicherer?“

„Doch. Aber bis dahin schaffen wir es nicht mehr. Wir müssen uns beeilen und einen Unterschlupf finden. Nur für den Fall“, meinte er.

„Wie lange wird es dauern, bis wir zum Palast zurückkehren können?“

„Vielleicht ein paar Stunden.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Das ist nicht so schlimm.“

„Oder länger“, fügte er hinzu.

„Wir könnten über Nacht hier bleiben müssen?“

„Vielleicht mehr als eine. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Wir werden in Sicherheit sein. Ich verspreche, dass Ihnen nichts geschehen wird.“

Der furchtsame Ausdruck in ihren Augen war gepaart mit Unschuld und hatte ihn dazu bewogen, dieses Versprechen abzulegen, worauf urplötzlich der Drang folgte, sie in seine Arme zu nehmen. Was er nicht tun würde. Also schwor er bei der Ehre seiner Ahnen, dass er sie vor allen Naturelementen beschützen würde.

Denn von ihm hatte sie natürlich nichts zu befürchten.

6. KAPITEL

Crystal schlug die Bettdecke zurück und fragte sich, welchen Gott sie wohl erzürnt haben mochte, und wie sie es wieder gutmachen konnte.

Innerlich bebend hörte sie dem heulenden Wind zu und zuckte zusammen, als erneut Sandmassen gegen die Zeltwände geschleudert wurden. Vor dem Sturm hatte das teure Mobiliar sie davon abgelenkt, dass sie sich nicht im Palast befand, mit seinen soliden Mauern. Jetzt nicht mehr.

Sie knipste die Nachttischlampe an und griff nach ihrem Morgenmantel. Nachdem sie zur Oase zurückgekehrt waren und dort Unterschlupf gesucht hatten, war der Sturm stärker geworden. Fariq hatte zunächst die Familie informiert, dass sie die Nacht im Zelt verbringen mussten und sich dann den ganzen Tag in sein Arbeitszimmer vergraben.

Die Diener hatten darauf bestanden, das Abendessen vorzubereiten, doch dann hatte Fariq sie davon überzeugt, zu ihren Familien zurückzukehren. Für den Fall, dass der Sturm zunehmen sollte. Nach dem Essen hatte er sich dann wieder seiner Arbeit gewidmet, und Crystal war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr sie sich darauf gefreut hatte, Zeit mit ihm zu verbringen, bis genau dies eben nicht geschehen war.

Um sich von ihrer Enttäuschung und Einsamkeit abzulenken, hatte sie sich mit einem Buch aus der Bibliothek des Zelts in dasselbe Schlafzimmer zurückgezogen, in dem sie auch schon die Nacht zuvor untergebracht gewesen war. Das Heulen des Windes und das Zittern der Zeltwände sorgten allerdings besser als jede Dosis Koffein dafür, dass sie beim besten Willen nicht einschlafen konnte.

„Ich habe das Licht gesehen.“

Crystal zuckte zusammen und sah Fariq im Türrahmen stehen. „Ich wusste nicht, dass Sie noch wach sind.“

Glücklicherweise hatte sie lesen wollen, und daher trug sie die Brille. Aber das Haar war nicht länger zurückgebunden und fiel weich auf ihre zarten Schultern. Sie zog den Kragen ihres Morgenmantels über ihren Brüsten enger zusammen. Als wenn das dazu geeignet gewesen wäre, ihre Verkleidung wirkungsvoller zu machen.

„Geht es Ihnen gut?“

„Ich konnte nicht schlafen“, gab sie zu. „Ich musste die ganze Zeit an diese Geschichte denken, in der den drei Schweinchen angedroht wird, das Haus über ihren Köpfen einstürzen zu lassen.“

„Eine Anspielung auf den großen, bösen Wolf?“ Sein dunkler Blick begegnete dem ihren. „Ich habe davon gehört. Es ist eins von Hana und Nuris Lieblingsmärchen.“

Der selbstbewusste Ausdruck seines Gesichts war so eindeutig männlich, dass sich ihr Inneres erwärmte und sie den Eindruck hatte, Hitze pulsiere durch ihre Adern. Fariq hatte definitiv das Zeug zum großen, bösen Wolf. Und mit jeder Faser ihres Seins wünschte sie sich, er würde sie packen und besinnungslos küssen. Weshalb sie es wirklich schaffen musste, dass er sie allein ließ und sie sich ihrem Buch widmen konnte.

Er starrte sie mehrere Augenblicke lang an, bis sie ihn fragte: „Warum sind Sie hier?“

„Da dies Ihr erster Sandsturm ist, wollte ich mich davon überzeugen, dass Sie keine Angst haben.“

Die Nervosität, die seine Nähe in ihr auslöste, war wesentlich schlimmer als alles, was Mutter Natur aufbieten konnte. „Mir geht es gut“, log sie.

Genau in diesem Moment brachte jedoch eine besonders heftige Sturmböe die Zeltwände zum Wackeln, und ließ Crystal panisch vom Sofa hochschrecken und weiter ins Innere des Raumes gehen.

„Ich sehe, dass Sie keine Angst haben“, meinte Fariq trocken, während er sich hinter sie stellte und ihr die Hände auf die Schultern legte.

Die Berührung beruhigte und verunsicherte sie gleichermaßen. Sie spürte die Wärme seiner Finger selbst durch den Stoff ihres Morgenmantels, und Hitze breitete sich in ihrem Körper aus.

Sie schluckte und drehte sich dann zu ihm herum. „Es hat mich nur überrascht. Das ist alles. Sie können gehen. Wirklich.“

„Ich versichere Ihnen, dass es keinen Grund zur Sorge gibt“, bekräftigte er.

„Ich bin nicht besorgt.“ Doch dann begannen ihre Zähne zu klappern und verrieten sie.

„Ich werde bei Ihnen bleiben und Sie vom Sturm ablenken. Vielleicht würde ein wenig Wein helfen?“

„Ich glaube nicht.“ Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Etwas, dass ihre Hemmschwelle noch senken würde. Sie war sowieso schon nahe dran, die Vorsicht in den Wind zu schreiben. Es war wirklich keine gute Idee, mit ihm allein zu sein, doch der warme Druck seiner Hände tat ihren Nerven tatsächlich gut. „Wenn wir uns einfach nur ein paar Minuten unterhalten könnten. Das wäre genau das Richtige.“

„Natürlich. Setzen wir uns“, meinte er und drängte sie zurück zum Sofa. „Worüber würden Sie sich gerne unterhalten?“

Crystal raffte ihren Morgenmantel enger zusammen, der weder gegen den kühlen Wind, noch gegen die Macht seiner Anziehungskraft ein besonders wirksames Schutzschild war. „Ich würde gerne das Gespräch wieder aufnehmen, das wir heute Morgen begonnen haben.“

Das Sofa senkte sich unter seinem Gewicht, als er sich neben sie setzte. Er war ihr nah genug, dass sie seine Körperwärme spüren und seinen männlichen Duft riechen konnte, kombiniert mit der würzigen Note seines After Shaves.

Fariq runzelte nachdenklich die Stirn. „Ich kann mich nicht erinnern. Worüber haben wir gesprochen?“

„Sie haben sich geweigert zuzugeben, ein Softie zu sein.“

„Ich gebe gar nichts zu“, antwortete er, wobei sie das humorvolle Funkeln in seinen Augen bemerkte. „Ich werde nur sagen, dass ich mir keine Schwächen erlauben kann.“

„Ganz im Gegenteil. Ich war da, als Sie Geschenke verteilt haben, als handele es sich dabei um Monopoly-Geld. Von meiner Warte aus sah es so aus, als wenn Sie sich so ziemlich alles erlauben könnten. Und ich schwöre, dass Sie es genossen haben.“

Er legte seinen Arm auf die Sofalehne, seine Fingerspitzen nur Millimeter von ihrem Haar entfernt. „Ich meinte das sinnbildlich. Es ist die Pflicht eines Scheichs, seine Schwächen zu verbergen. Wenn man eine Maske aufsetzt, kann man sich frei bewegen. Finden Sie nicht?“

Bei diesen Worten verkrampfte sich Crystal und schob ihre Brille etwas höher hinauf. Forschend sah sie ihn an. Hatte er es erraten? Wollte er sie ködern? Ein besonders heftiger Windstoß erschütterte das Zelt, als sie ihm antwortete: „Ich … ich weiß es nicht.“

„Sie sind ja ganz blass. Haben Sie immer noch Angst?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe nicht wirklich Angst. Ich bin nur nervös. Das ist mein erster Wüstensturm. Und wir sind hier ganz allein.“

„Sie haben weder vom Wind etwas zu befürchten, noch … von mir. Ich habe geschworen, dass ich Sie in jeder Weise beschützen werde. Ihre Tugend ist bei mir sicher.“

„Nun, in diesem Fall danken meine Tugend und ich Ihnen.“

Seine Augen verengten sich. „Wenn Sie eine Jungfrau wären, könnte Ihr Vater nach dem Gesetz von El Zafir auf einer Heirat bestehen, wenn Sie kompromittiert würden.“

„Dann ist es ja ein Glück, dass mein Vater nie herausfinden wird, dass wir eine Nacht allein verbracht haben.“

Fariq sah sie erstaunt an. „Sie … Sie sind noch Jungfrau?“

Sie hatte das eigentlich als flapsigen Kommentar gemeint, doch er hatte sie ernst genommen. Und damit den Nagel auf den Kopf getroffen. Sie spürte, wie ihre Wangen vor Verlegenheit brannten. „Das ist nichts, was ich mit Ihnen diskutieren möchte.“

„Aber Sie waren beinahe verlobt! Wie kann das sein?“, fragte er, während er in ihrem Gesicht nach der Antwort suchte. Seine eigene Reserviertheit war in sich zusammengestürzt, denn seine Überraschung war mehr als offensichtlich.

„Es ist so, weil ich nie mit dem Mann geschlafen habe, den ich beinahe geheiratet hätte. Und auch mit keinem anderen“, fügte sie hinzu, während sie ihren Blick senkte und die Demütigung ihre Wangen noch heißer werden ließ.

„Warum nicht?“

Sie wollte diese Unterhaltung nicht führen. Doch das Funkeln seiner Augen und der bestimmende Ton seiner Stimme sagten ihr, dass er das Thema nicht fallen lassen würde. „Da war etwas an ihm, dem ich nicht vertraut habe. Und es stellte sich heraus, dass ich recht hatte.“

„Was hat er getan?“

Er war der Letzte, dem sie erzählen konnte, dass der Mann nur eine dekorative Barbiepuppe zur Frau gewollt hatte. „Er war nicht der Mensch, für den ich ihn gehalten hatte“, meinte sie schließlich.

„Dann war es richtig, sich ihm nicht hinzugeben.“ Er streckte die Hand aus, berührte ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. „Wir sind tatsächlich allein. Aber wenn Sie auch sonst auf nichts vertrauen, glauben Sie dies: Ich bin ein ehrenhafter Mann. Ich würde Sie nie kompromittieren.“

„Aber wenn Sie … wenn wir … miteinander schlafen würden, wären Sie gezwungen, mich zu heiraten, falls mein Vater darauf bestehen würde?“

„Ja.“

„Und Sie wollen nicht heiraten?“

„Das stimmt.“

„Sollte ich mich beleidigt fühlen?“

Er schüttelte den Kopf. „Es hat nichts mit Ihnen zu tun. Von jedem Sohn der Königsfamilie wird erwartet, dass er heiratet und Erben zeugt. Vor vielen Jahren gab es dafür auch praktische Gründe. Die Sterblichkeitsrate war so hoch, dass viele Kinder gezeugt werden mussten, um die Nachfolge zu sichern. Aber das ist heute nicht mehr der Fall.“

„Und Sie haben Ihre Pflicht erledigt.“

„Exakt“, stimmte er zu. „Es besteht für mich kein Anlass mehr zu heiraten, und ich habe nicht die Absicht, es noch einmal zu tun.“

„Warum nicht?“

Sein Blick verdunkelte sich, wirkte fast wütend, als sich seine Augen verengten. Seine Stimme klang wie eisiger Stahl, als er schließlich antwortete: „Ich habe nicht vor, eine unschöne Vergangenheit wieder auf den Tisch zu bringen. Sie ist vorbei. Seien Sie einfach versichert, dass Ihre Tugend bei mir sicher ist.“

Sieh an. Der große Wüstenprinz war von einer Frau verletzt worden. Sie wusste das so sicher, wie ihr Name Crystal Marie Rawlins war, und bei dieser Erkenntnis merkte sie, wie sie auf diese unbekannte Frau wütend wurde. Die Beschützerinstinkte, die sie seinen Kindern entgegenbrachte, schienen ihn seltsamerweise mit einzuschließen.

Dabei hatte sie dazu keinerlei Recht. Sie war nicht mehr als das Kindermädchen seiner Zwillinge, und solcherlei Emotionen gefährdeten ihre Arbeit. Sie musste sich unbedingt auf das Wesentliche konzentrieren.

Wieder heulte der Wind auf und peitschte kleine Steinchen gegen die Zeltwände. In einem Reflex zuckte sie zusammen und presste eine Hand auf ihre Brust.

Fariq nahm ihre Finger in seine. „Ihre Hand ist ganz kalt. Sie fürchten sich immer noch.“

„Nein, ich …“

„Lügen Sie mich nicht an“, unterbrach er sie. „Sie sind nicht gut darin.“

Was für ein Jammer. „Also gut, Sie haben recht. Ich fürchte mich immer noch.“

Sein leicht arrogantes Lächeln beruhigte sie. „Ich weiß. Aber dazu besteht kein Grund.“

„Der Wind macht mich nervös. Ich habe das Gefühl, dass jede Sekunde die Wände einstürzen. Ich sehe dieses Bild vor mir, wie ich unter Tonnen von Sand begraben werde. In tausend Jahren wird ein Archäologe dann meine Knochen finden und nichts damit anfangen können.“

„Ich bin sicher, dass das nicht geschehen wird“, meinte er grinsend.

„Was? Dass die Wände einstürzen oder dass der Archäologe mich findet?“

„Beides. Glauben Sie mir, ich habe schon Stürme überstanden, die wesentlich stärker waren als dieser hier.“ Er rieb mit seinem Daumen über ihre Knöchel – eine erotische, erregende Berührung. „Wie kann ich helfen? Sagen Sie es, und ich gebe mein Bestes, um Sie abzulenken. Wie kann ich Ihnen Ihre Ängste nehmen?“

„Küssen Sie mich.“

Oh Gott, sie hatte es tatsächlich laut ausgesprochen. Und das nur, weil ihr Blick immer wieder zu seinem Mund gewandert war und sie sich daran erinnert hatte, wie wundervoll sein Kuss gewesen war.

Im ersten Moment wirkte er überrascht, dann lächelte er, legte den Arm um ihre Schultern und streichelte ihre Wange.

„Wie Sie wünschen“, flüsterte er und senkte dann seinen Kopf.

Crystal schloss die Augen, doch der Rest ihrer Sinne wartete in Spannung und Vorfreude auf die Berührung. Als sie seine Lippen auf ihren spürte, entschlüpfte ihr ein zufriedener Seufzer. Mit ihren Brüsten eng an seinen breiten Oberkörper gepresst, konnte sie fühlen, wie heftig sein Herz pochte. Die Entdeckung ließ sie lächeln. So viel zu seiner kühlen Distanziertheit.

Er legte eine Hand an ihren Hinterkopf und drückte leicht, so dass der Kontakt ihrer Lippen noch intensiver wurde. Dann fuhr er mit der Zungenspitze über die Konturen ihres Mundes, vor und zurück, und zwang sie damit, sich zu öffnen.

Er ließ seine Zunge einen Vorstoß wagen, füllte sie aus und eroberte ihr feuchtes Inneres. Ihr stockte der Atem, flüssige Hitze breitete sich in ihr aus, setzte sich zuerst in der Magengegend fest und floss dann tiefer, zwischen ihre Schenkel. Spannung baute sich in ihr auf, während sie erbebte, sich gegen ihn presste in der Suche nach noch größerer Nähe.

Er stöhnte und riss sich mit einem Ruck von ihren Lippen los. Seine Brust hob und senkte sich heftig, seine Atmung war abgehackt. Bevor sie auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, geschweige denn Worte formulieren, legte er seine Hände auf ihre Taille und hob sie auf seinen Schoß.

„Was machst du?“, flüsterte sie.

„Was du dir gewünscht hast. Ich lenke dich vom Sturm ab.“ Er hob ihre Hand an und presste Küsse auf die Innenfläche.

„Welcher Sturm?“, raunte sie, während Schauer durch ihren Körper liefen.

Fariq begegnete ihrem Blick, sein eigener dunkel und intensiv. „Du bist nicht mehr kalt. Und deine Ängste hast du auch vergessen, oder?“

Er redete von ihrer Angst vor dem Sturm, und dazu lautete die Antwort Ja. Er konnte unmöglich wissen, dass ihre Ängste in Bezug auf ihn ins Unermessliche gewachsen waren, sobald er im Türrahmen gestanden hatte. Das heftige Toben draußen war nichts gegen das, was in ihrem Inneren vor sich ging.

„Meine Ängste vergessen?“, wiederholte sie atemlos.

Sie hatte schon zuvor Männer geküsst. Und einige hatten sie sogar nahe daran gebracht, die Vorsicht in den Wind zu schreiben und alles zu erfahren. Aber niemals war sie einem Mann wie Fariq Hassan begegnet. Er brachte sie dazu, am liebsten alles andere zu vergessen, einschließlich der Tatsache, dass sie die Nanny seiner Kinder war.

Nanny.

Das Wort veranlasste sie dazu, sich aufrecht hinzusetzen. Er hatte das letzte Kindermädchen ersetzt, weil es sich in einen der Prinzen verliebt und sich selbst zur Närrin gemacht hatte. Crystal hatte keine Lust, eine weitere Angestellte zu sein, die wegen einem der drei Brüder ihren Kopf verlor.

„Es tut mir leid, Fariq. Das war dumm von mir.“

„Ganz im Gegenteil. Was Küsse anbelangt, so war es atemberaubend.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich denke, du weißt, was ich meine. Zu meiner Verteidigung kann ich nur hervorbringen, dass der Sturm mich total durcheinander gebracht hat.“

„Glaube mir, wenn ich sage, dass du dich für nichts entschuldigen musst.“

„Es ist spät“, erwiderte sie.

„Ja.“ Er schob einen Arm unter ihre Knie und den anderen hinter ihren Rücken und hob sie von seinem Schoß auf das Sofa. „Wirst du jetzt schlafen können?“

Wahrscheinlich nicht. Doch sie nickte. „Ich bin sicher, jetzt ist alles in Ordnung.“

Er stand auf und ging zur Tür. „Wenn du nicht …“

„Mach dir keine Sorgen um mich.“

Er fuhr sich seufzend mit den Fingern durch die Haare. „Also gut. Ich sehe dich dann morgen.“

Sie nickte, und dann war er verschwunden. Doch die Hitze blieb. Sie holte tief Luft und versuchte, ihre chaotischen Gedanken zu ordnen. Langsam übernahm die Vernunft wieder das Ruder, doch eine Tatsache war nicht länger zu ignorieren.

Sie war noch neugieriger auf Fariq geworden. Und auf die Frau, die ihn zu einem solchen Gegner der Ehe gemacht hatte. Er hatte eine Geschichte, und sie war fest entschlossen herauszufinden, wie sie aussah. Selbst wenn sie sie aus ihm herauskitzeln musste. Selbstverständlich rein im Interesse der Kinder …

7. KAPITEL

Fariq wanderte ruhelos durch die Räume seiner Palastwohnung, und prompt sah er wieder ein Bild von Crystal vor seinem geistigen Auge, wie ihr wunderschönes Haar bis zu ihrer Taille herabfiel und die Locken ihr Gesicht umschmeichelten. Die Erinnerung an ihre weichen Kurven, die sich gegen ihn gepresst hatten, ließ ihn kehlig aufstöhnen. War es wirklich erst vierundzwanzig Stunden her, dass er sie in seinen Armen gehalten hatte?

Heute Morgen war der Sturm abgeflaut und von Regen ersetzt worden, der den ganzen Tag anhielt. Er hatte nach einem Wagen geschickt, der sie beide in den Palast zurückbrachte, während sich das Personal um die Pferde kümmerte. Doch die Ereignisse der vergangenen Nacht hatten seine Sinne in Aufruhr versetzt und ihn vollkommen verwirrt.

Es hatte ihm gefallen, mit Crystal allein zu sein, und beinahe hätte er sich tausend weitere Sandstürme gewünscht, um sie weiterhin mit niemandem teilen zu müssen. Also war sie bei weitem nicht so sicher vor ihm, wie er angenommen hatte.

Glücklicherweise hatte sie sich ihm gestern Nacht entzogen, sonst wäre er verloren gewesen. Es war eine bittere Pille gewesen, als er erkannte, dass er sie in jedem Fall geküsst hätte, selbst wenn sie ihn nicht darum gebeten hätte.

Vielleicht war es das Beste, wenn er mit ihr über das, was vorgefallen war, sprach. Er stellte sein Whisky-Glas auf dem nächsten Tisch ab und wandte sich in Richtung Korridor.

Als er sich ihrem Zimmer näherte, drangen Stimmen an sein Ohr. Mit wem konnte sie sich da unterhalten? Ärger erfasste ihn und verkrampfte seinen Magen, denn unwillkürlich wanderten seine Gedanken zurück zu einer Zeit, in der er entdeckt hatte, dass seine Frau ihm untreu war. Dabei hatte sie sich politisch brisante Liebhaber ausgesucht, die einen Skandal für die königliche Familie bedeutet hätten, wären sie entlarvt worden. Was ihn besonders verletzt hatte, war die Tatsache, wie gut Fatima ihn gekannt hatte. Sie hatte seine Liebe für die Kinder benutzt und gewusst, dass er nichts tun würde, was deren Mutter schaden würde.

Fariq hielt vor der leicht angelehnten Tür und lauschte dem Gespräch im Innern. Er hörte Crystals Stimme, ruhig und Vertrauen erweckend. Allein der Klang erzeugte eine Sehnsucht in ihm, die er jedoch rigoros zur Seite schob, um herauszufinden, wer ihr Besucher war. Als er Joharas Stimme erkannte, fühlte er Erleichterung.

„Ich habe ihn oft getroffen“, sagte sie.

„Allein?“, wollte Crystal wissen.

„Ja. Ich liebe ihn, und er liebt mich. Mein Vater und meine Brüder würden ihn niemals akzeptieren, aber das macht mir keine Angst. Sehen Sie, es ist ganz einfach, eine Entdeckung zu verhindern, weil niemand dem Beachtung schenkt, was ich tue.“

„Aber das ist gefährlich. Erkennen Sie das nicht, Johara?“

Er konnte sich nicht länger zurückhalten. „Crystal?“

„Fariq?“ Sie öffnete die Tür. So spät es auch bereits war, sie war immer noch angezogen.

„Ich habe Stimmen gehört.“ Er schaute seine Schwester an.

Johara stand am Fußende des breiten Bettes, die Schuhe in der Hand, die Kleidung triefend nass, und das feuchte, dunkle Haar klebte ihr am Kopf. Crystal reichte ihr ein Handtuch.

„Was ist hier los?“, fragte er.

Das Mädchen starrte ihn trotzig an. „Ich bin in den Regen geraten und …“

„Lüg mich nicht an“, knurrte er. Allein der Gedanke machte ihn rasend. „Ich habe dich gehört. Du hast dich herausgeschlichen, um jemanden zu treffen.“

„Fariq“, schaltete Crystal sich ein. „Beruhige dich.“

„Ich möchte mehr über den Mann hören, den dein Vater und deine Brüder nicht akzeptieren würden.“

Johara rubbelte mit dem Handtuch über ihr Haar. Ihre schwarzen Augen wirkten ängstlich, dennoch reckte sie das Kinn vor. „Er geht dich nichts an.“

„Das werde ich entscheiden. Nenn mir seinen Namen.“

Crystal spielte mit dem Gürtel ihres Rocks. „Fariq, jetzt wütend zu werden bringt gar nichts. Wir müssen hören, was Johara zu sagen hat.“

Er blickte sie an. „Ich will nur wissen, wer dieser Mann ist.“

„Das ist etwas, was ich dir niemals sagen werde“, fauchte das Mädchen ihn an.

„Wir werden sehen. Geh auf dein Zimmer, und denke gar nicht erst daran, dich davonzustehlen. Ich werde die Security anweisen, dich aufzuhalten.“

„Ich bin seit siebzehn Jahren eine Gefangene dieses Palasts. Du hast es jetzt nur offiziell gemacht.“ Sie schaute zu Crystal hinüber. „Es tut mir leid, dass ich Sie hier mit hineingezogen habe.“ Dann warf sie ihrem Bruder noch einen wütenden Blick zu und verließ den Raum.

Die Wohnungstür wurde heftig zugeknallt, als Fariq ihr in den Flur folgte, den Hörer aufnahm und den Wachdienst anrief. „Hier spricht Prinz Fariq. Meine Schwester darf ihr Zimmer nicht verlassen. Stellen Sie jemanden vor ihrer Tür und auf dem Balkon auf.“

Er legte auf und wandte sich zu Crystal, die ihn mit verkniffenem Mund anstarrte. „Was?“

„Ich … ich …“ Sie stieß einen langen Atem aus, während sie den Kopf schüttelte. „Wie konntest du das tun?“

„Ich werde noch mehr tun, als sie auf ihr Zimmer zu verbannen.“

Sie schüttelte erneut den Kopf. „Das meinte ich nicht. Ich wollte mit ihr reden. Ich nehme an, du hast genug gehört, um zu wissen, dass sie sich mit jemandem trifft.“

„Ja.“

„Nun, dank dir habe ich keine Möglichkeit mehr herauszufinden, wie lange das schon so geht, und was sie mit ihm getan hat. Du warst derjenige, der mir erklärt hat, dass nach eurem Gesetz eine Ehe zwischen einer Frau und dem Mann, der ihr die Jungfräulichkeit raubt, verpflichtend ist.“ Sie ballte die Hand zur Faust. „Selbst wenn sie ihn heiraten möchte, du hast sie gerade gedemütigt. Glaubst du wirklich, sie wird mir jetzt noch irgendetwas erzählen?“

„Sie wird die nötigen Informationen geben oder die Konsequenzen tragen müssen.“ Fariq hoffte, sie würde seinen Bluff nicht durchschauen und ihn nach diesen Konsequenzen fragen. „Meine Schwester benimmt sich wie ein störrisches, ungehorsames Kind, und dieses Verhalten sollte nicht noch ermutigt werden.“

Crystal wanderte zu den Balkontüren hinüber und starrte einige Minuten nach draußen. Als sie sich wieder zu ihm umdrehte, war es offensichtlich, dass sie ihren Ärger zügeln musste. Ihre Schultern wirkten verkrampft, und ihr Mund war nur noch eine dünne Linie.

„Fariq“, begann sie. „Johara ist ein Teenager – kein Kind mehr und auch noch keine Frau. Sie ist eine ganz normale Jugendliche, die mit ihrem Leben zurechtkommen muss.“

„Sie hat ihre Familie.“

„Hat sie die? Mein erstes Essen mit der Familie hat mir einen guten Einblick vermittelt, was sie durchmacht. Niemand hört ihr zu. Jeder kommandiert sie herum, sagt ihr, dass sie sich albern benimmt oder findet eine andere Art, ihre Gefühle zu verletzen.“

„Das stimmt nicht.“

„Oh doch, das stimmt. Und ich sage dir noch etwas anderes. Sie fühlt sich isoliert und wünscht sich Freunde in ihrem Alter. Das ist ganz normal.“

„Johara ist eine Prinzessin.“

„Wenn du glaubst, dass eine königliche Geburt dafür sorgt, dass sie nicht die normalen Probleme der Pubertät durchmacht, dann bist du der Prinz des Märchenreichs.“ Sie seufzte. „Du musst ihr Raum geben.“

Er stieß einen langen Seufzer aus. „Ich nehme an, dass einiges von dem, was du sagst, richtig ist. Aber du musst verstehen, dass Joharas Erbe bedeutet, dass sie mit strengerem Maßstab gemessen wird. Mit Reichtum und Privilegien geht Verantwortung einher. Das ist eine Tatsache, die wir alle lernen mussten.“

„Auch die königliche Familie ist nicht perfekt. Du hast selbst zugegeben, dass du deine Schwächen versteckst. Aber ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen – wenn du dich schneidest, dann blutest du – physisch und emotional.“

„Nein.“ Wieder wurde er von Wut erfasst. „Meine schöne, untreue Frau hat mich davon geheilt, emotionale Schwächen zu haben.“

„Oh, Fariq, ich … ich …“

„Ich verbiete dir zu sagen, es täte dir leid. Ich brauche kein Mitleid. Die Vergangenheit spielt keine Rolle mehr.“

„Du täuschst dich.“

„Ich täusche mich niemals.“

Sie seufzte. „Ich denke, wir müssen uns darauf einigen, dass wir in diesem Punkt nicht einer Meinung sind. Aber lass Johara nicht für die Sünden einer anderen zahlen. Bis du das rational diskutieren kannst, verschwenden wir nur unseren Atem.“

Er wollte gerade erwidern, dass er seine Schwester liebte und nur ihr Glück wollte, doch Crystal wandte sich von ihm ab und verließ den Raum. Vielleicht war das auch ganz gut so. Er wollte nicht streiten.

Nein. Das stimmte nicht ganz. Wenn er mit ihr diskutierte, dann fand er das stimulierend und aufregend. Doch gerade jetzt in diesem Moment hatte er ein dringenderes Problem – er musste den König darüber informieren, dass sein jüngstes Kind und einzige Tochter, sein Juwel, die königlichen Standards von Anstand und Benimm verletzt hatte.

Wenn es soweit war, würde Crystal vermutlich ein oder zwei Dinge, oder vielleicht auch zweitausend dazu zu sagen haben. Der Gedanke ließ ihn lächeln. Nach dem, was er gerade erlebt hatte, hätte er nicht gedacht, dass irgendetwas oder irgendjemand ihn dazu hätte veranlassen können.

Crystal legte den Kajalstift ab und begutachtete kritisch ihre Arbeit an Penny Doyle, Rafiqs Assistentin. Es war jetzt mehrere Wochen her, dass sie und Fariq wegen Joharas Verhalten geteilter Meinung gewesen waren. Darüber hinaus hatte er durchblicken lassen, dass seine schöne Ehefrau untreu gewesen war. Sie hatten danach nicht mehr darüber gesprochen, doch jetzt erinnerte sie sich daran, weil sie sich fragte, ob Fariq mit Pennys glamouröser Erscheinung einverstanden wäre.

Die junge Frau hatte sich ebenfalls für die Stelle als Kindermädchen beworben, war jedoch erst in New York eingetroffen, nachdem Crystal bereits engagiert worden war. Offensichtlich hatte Prinzessin Farrah allerdings an ihr Gefallen gefunden und sie stattdessen als Rafiqs persönliche Assistentin eingestellt.

Heute Abend veranstaltete ganz El Zafir und Rafiq im Besonderen einen Wohltätigkeitsball, der armen und benachteiligten Kindern in der ganzen Welt zugute kommen sollte. Von Penny wurde erwartet, dass sie daran teilnahm, und da sie keine Erfahrung darin hatte, sich für eine solche Gelegenheit zurechtzumachen, hatte sie Crystal um Hilfe gebeten.

„Du siehst fantastisch aus“, meinte Crystal, während sie neidisch seufzte.

„Du denkst wirklich, ich kann so gehen?“

„Und ob! Ich bin schon ganz grün vor Neid.“ Was würde sie dafür geben, ein hübsches Kleid tragen, Make-up auflegen und ihr Haar in einer Art frisieren zu können, die ihre Augenbrauen nicht in schmerzhafter Weise nach hinten zog.

„Gehst du denn nicht?“, fragte Penny.

„Ich bin bei den Kindern, das weißt du doch. Du müsstest die Gästeliste auswendig können, schließlich hast du den Ball zu einem großen Teil vorbereitet. Und so wie du heute Abend aussiehst, wirst du Rafiq zweifellos aus seinen königlichen Schuhen hauen.“

„Wirklich?“

Oh, oh, dachte Crystal. Allein die Erwähnung seines Namens ließ Pennys Augen strahlen und ihre Wangen glühen. Die Arme hatte es ganz schön erwischt.

Crystal umarmte rasch ihre Freundin, griff dann nach der Kosmetiktasche, die sie mitgebracht hatte und trat auf den Gang hinaus. Sie fühlte sich wie Aschenputtel, bevor es wusste, dass die gute Fee ihr helfen und sie doch zum Ball gehen würde.

Sie legte den kurzen Weg zu Fariqs Suite zurück und öffnete die Tür. „Ich bin wieder da“, rief sie.

„Wir sind im Wohnzimmer“, antwortete Fariq.

Sie ging über den Marmorfußboden, betrat den Raum und hielt bei seinem Anblick abrupt inne.

„Wow!“

Er stand neben dem eleganten Wohnzimmertisch und sah noch besser aus, als es einem Mann gestattet sein sollte. Er trug einen klassischen schwarzen Smoking mit blütenweißem Hemd.

„Wow? Heißt das, dass ich deine Zustimmung habe?“, fragte er, während er eine Hand in die Hosentasche schob.

„Ich denke, du entsprichst dem heutigen Dresscode.“

Ein leises Schluchzen lenkte ihren Blick auf das Sofa, auf dem Hana saß und weinte.

„Was ist los, mein Schatz?“, fragte sie, während sie sofort zu dem kleinen Mädchen hinüberging und sie auf ihren Schoß zog.

Hana kuschelte sich an sie. „Papa sagt, ich muss meinen Nagellack abmachen.“

Crystal bemerkte, dass die Kleine geschminkt war und die Tränen schwarze Make-up-Spuren hinterlassen hatten. Die Haare des Mädchens waren hoch auf ihrem Kopf aufgetürmt und ringelten sich in Locken an ihren Wangen hinunter. Crystal hob eine der kleinen Hände an und sah den pinkfarbenen Nagellack. „Ich verstehe.“

„Aber das mache ich nicht“, meinte Hana trotzig. „Und ich kämme mir auch nicht die Haare aus. Tante Johara hat mich hübsch gemacht.“

Fariq kniete sich vor seine Tochter und griff nach einer ihrer Hände. Das Kind duckte sich jedoch von ihm fort.

Er seufzte. „Du bist innerlich schön, meine Kleine. Du brauchst keine Farbe oder Schminke für das Äußere.“

„Nein“, jammerte sie. „Nanny, sag ihm, dass er mich den Nagellack behalten lassen soll.“

Crystal begegnete Fariqs Blick und sah die Angst in seinem Ausdruck, gemischt mit Schmerz und Wut. Hana war nicht ihr Kind, und solange sie nicht Fariqs ganze Geschichte kannte, wollte sie sich nicht einmischen.

Stattdessen schlang sie schützend den Arm um das kleine Mädchen. „Weißt du was? Es ist Zeit für die Badewanne. Du darfst ein bisschen länger drinbleiben, wenn du jetzt wie ein braves Mädchen mitkommst.“

„Wie viel länger?“, murmelte sie gegen ihre Brust gepresst.

„Wie viel länger möchtest du denn?“

„Eine Stunde.“

Crystal lachte. „Dann wirst du aussehen wie eine verschrumpelte Pflaume. Wie wäre es mit acht Minuten?“

Hana schüttelte den kleinen Lockenkopf. „Zehn.“

„Gemacht“, lachte sie, während sie zu Fariq hinübersah.

„Ich hab dich lieb, Nanny.“ Hana schnüffelte noch ein bisschen, als sie von ihrem Schoß glitt und ihre Füße den Boden berührten. Dann blickte sie unter ihren langen, dunklen Wimpern zu ihrem Vater herüber, sah ihn aber nicht direkt an. „Ich mag dich nicht, Papa.“

Als sie allein waren, stand Crystal auf und suchte krampfhaft nach etwas, womit sie die Situation retten konnte. „Von einer Stunde runter auf zehn Minuten. Dieser Handel verlief besser, als ich erwartet hatte. Wenn sie älter ist, wird es nicht mehr so einfach sein.“

„Ich wünschte, sie könnte für immer ein kleines Kind bleiben.“

„Sie hat das nicht wirklich ernst gemeint, was sie gesagt hat.“

„Nein?“ Fariqs Blick wirkte vollkommen leer.

„Nach einer kleinen Weile wird sie das vergessen haben. Sie wollte nur ein bisschen hübsch gemacht werden.“

„Lebenslange Angewohnheiten werden in der Kindheit begründet.“

„Ich stimme zu. Aber das hier war ein ganz harmloser Spaß. Kleine Mädchen lieben es, die Kleider ihrer Mütter anzuziehen und so zu tun, als seien sie erwachsen.“

„Hanas Mutter ist die letzte Person, der sie nacheifern sollte.“

„Vielleicht reagierst du ein wenig über. Ich weiß, es ist einfacher für mich, objektiv zu sein. Hana ist nicht mein Kind, aber …“

„Richtig. Sie ist mein Kind. Und hierüber wird es keine Diskussion mehr geben.“ Seine schwarzen Augen funkelten gefährlich. „Ich muss jetzt gehen, aber ich komme später wieder, um den Kindern gute Nacht zu sagen.“

Crystal starrte seinem breiten Rücken nach, als er die Suite verließ. Sie stieß einen langen Seufzer aus und dachte über das nach, was gerade geschehen war. Hanas Spiel war vollkommen harmlos und unschuldig gewesen. Doch aus irgendeinem Grund wollte Fariq das nicht einsehen. Sie spürte, dass seine Vorurteile aus Schmerz erwachsen waren, und dabei steuerte er geradewegs auf eine Katastrophe zu. Sie konnte ihm aber nicht helfen, solange sie nicht wusste, was ihm passiert war.

Sie kannte allerdings genau die richtige Person, die es ihr erzählen würde.

8. KAPITEL

Auf das Klopfen hin öffnete Crystal die Tür und war nicht überrascht, Prinzessin Farrah in einem wunderschönen schwarzen Ballkleid vor sich stehen zu sehen.

„Euer Hoheit, Sie sehen fantastisch aus“, meinte sie bewundernd.

Die ältere Frau lächelte erfreut. „Die Kinder haben mich angerufen und gebeten, kurz vorbeizukommen.“

„Ich weiß.“ Es war ihr eigener Vorschlag gewesen, für den sie einen bestimmten Grund gehabt hatte. Ganz offensichtlich steckte hinter der Forderung nach einer „schlichten“ Nanny mehr, als sie zunächst vermutet hatte. Sie hoffte, dass Fariqs Tante seine Geschichte kannte und ihr einige Fragen beantworten würde.

„Gibt es ein Problem?“

„Nur dass Hana und Nuri unbedingt zu dem Ball gehen wollten, und ich dachte, es würde vielleicht helfen, wenn die Party zu ihnen kommt. Oder zumindest einige der erlauchten Gäste. Sie sind die Letzte der königlichen Parade. Johara haben Sie gerade verpasst.“ In dem Moment hörte Crystal kleine Schritte hinter sich.

„Tante Farrah!“, rief Hana, während sie die Arme um die ältere Frau schlang. „Du siehst schön aus.“

Auch Nuri stand jetzt vor der Prinzessin und begutachtete deren glamouröse Erscheinung. „Ich mag dein Kleid.“

„Danke, Kinder.“ Farrah drückte sie beide an sich.

„Mir gefällt es besser als das von Tante Johara“, sagte Hana. „Aber Papa mag es nicht, wenn ich mich hübsch mache.“

Die ältere Frau runzelte die Stirn, während sie das kleine Mädchen betrachtete. „Dein Papa hat seine Gründe dafür, dass er nicht will, dass du zu schnell erwachsen wirst. Vergiss niemals, dass er euch beide mehr liebt als sein eigenes Leben.“

Crystal legte jedem der beiden Kinder eine Hand auf die Schulter. „Okay, ihr habt alle aus der Familie gesehen, die zu der Party gehen. Jetzt ist es Zeit fürs Bett. Putzt euch die Zähne, und dann dürft ihr euch noch ein Buch aussuchen.“

„Zwei Bücher“, verlangte Nuri.

„Ja“, stimmte seine Schwester zu. „Weil wir ja nicht zu der Party gehen dürfen.“

„Also gut“, seufzte Crystal. „Zwei Bücher.“

„Ja!“, riefen die beiden begeistert und stürmten dann aus dem Zimmer.

Crystal wandte sich wieder der Prinzessin zu. „Euer Hoheit, ich würde Sie gerne noch etwas fragen. Es geht um Fariq. Heute Abend ist etwas geschehen und …“ In diesem Moment fiel das Licht auf die glitzernden Applikationen auf Farrahs Kleid und erinnerte sie daran, dass die Prinzessin auf dem Weg zu einem Ball war. Vielleicht war das jetzt nicht der beste Zeitpunkt für ein Gespräch. „Es tut mir leid. Sie haben jetzt Wichtigeres zu tun. Wir können uns ein anderes Mal darüber unterhalten.“

„Unsinn.“ Die Prinzessin winkte unbesorgt ab. „Lassen Sie uns für einen Augenblick sitzen. Für eine kleine Weile wird mich niemand vermissen.“

„Wenn Sie sicher sind“, entgegnete Crystal und führte sie ins Wohnzimmer, wo sie sich beide auf das Sofa setzten. Dann ergriff Crystal wieder das Wort. „Hana hat mit Johara gespielt, während ich Penny geholfen habe, sich für den Ball fertig zu machen. Als ich dann zurückkam, hatte Fariq der Kleinen verboten, den Nagellack zu tragen, genauso wie die Frisur und die Kleider, die Johara ihr angezogen hatte. Hana ist ein kleines Mädchen und liebt solche Dinge. Ich kann mir nicht helfen, aber ich denke, dass Fariq vollkommen überzogen reagiert hat, und ich verstehe nicht warum. Ich weiß, dass er verheiratet gewesen ist, und dass seine Frau ihn tief verletzt hat. Aber er weigert sich, über dieses Thema zu sprechen, Euer Hoheit.“

„Sie wollen von mir wissen, was passiert ist?“

„Ja. Es handelt sich nicht um Neugier, obwohl ich zugebe, dass ich neugierig bin. Seine Haltung wird jedoch die Beziehung zu seinen Kindern beeinflussen, wenn er es nicht schafft, mit seiner Vergangenheit klarzukommen.“

„Ich gebe Ihnen Recht.“ Die Prinzessin holte einmal tief Luft. „Fariq war mit einer außergewöhnlich schönen Frau verheiratet, die keine Ahnung von der Bedeutung des Wortes Treue hatte. Ihr Aussehen trug ihr die Aufmerksamkeit vieler Männer ein, darunter auch von meinem Neffen. Er glaubte, dass sie ihn liebte, aber nachdem sie ihre Pflicht erfüllt und die Zwillinge geboren hatte, wandte sie sich anderen Männern zu, die immer sehr mächtig und unantastbar waren.“

„Wusste Fariq davon?“

„Zuerst nicht, doch irgendwann fand er es heraus.“

„Also hat sie ihn verlassen, und er hat die Kinder behalten. Das erklärt ihre Abwesenheit“, spekulierte Crystal.

„Wenn es so einfach wäre.“ Farrah schüttelte den Kopf. „Wenn ein Prinz von El Zafir heiratet, dann für sein ganzes Leben. Er hat sein Bestes gegeben, um über seinen verletzten Stolz hinwegzusehen und zum Wohle der Kinder so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Fatima war allerdings nicht von adliger Geburt und kannte solche Regeln nicht.“

„Sie blieb und ging trotzdem fremd?“

„Ja. Eigentlich war für uns schon vor der Hochzeit offensichtlich, dass sie ihn nicht liebte und ihn nur wegen des Geldes und der Position heiratete.“

„Was ist passiert? Hat er sie hinausgeworfen?“

Die Prinzessin seufzte. „Sie ist tot.“

„Oh mein Gott.“

„Sie wurde bei einem Flugzeugabsturz getötet. Der Pilot war ihr Liebhaber.“ Farrah stand auf und glättete ihr Kleid. „Sie verstehen also, dass Fariq einigen Grund hat, sich um Hana Sorgen zu machen. Er fürchtet, dass sie ihrer selbstsüchtigen Mutter nachschlagen könnte.“

Was für ein Albtraum, dachte Crystal. Fariq war ein sehr stolzer Mann, und sie konnte sich vorstellen, wie die hässliche Situation ihn belastet haben musste. Kein Wunder, dass er nie wieder heiraten wollte.

Sie begleitete die Prinzessin zur Tür. „Ich verstehe das jetzt, aber Hana tut es nicht. Wenn sie den Preis für die Sünden ihrer Mutter zahlen soll, wird sie ihren Vater eines Tages hassen und gegen ihn aufbegehren.“

„Ich stimme Ihnen zu.“ Farrah lächelte. „Es ist gut, dass Sie hier sind. Sie werden ihm helfen einzusehen, dass er so nicht weitermachen kann.“

„Es ist nicht an mir, ihm das zu sagen.“

„Ich glaube nicht, dass diese Kleinigkeit Sie davon abhalten wird, Ihre Meinung offen zu äußern.“

„Sie überschätzen mich, Euer Hoheit. Ich kann es mir nicht leisten, diesen Job aufs Spiel zu setzen.“ Weder durch unangebrachte Äußerungen, noch durch die wachsenden Gefühle für den Prinzen, schloss sie im Stillen.

Die Prinzessin ging durchs Foyer und legte eine Hand auf den Türknauf. „Crystal, Sie gehen ganz wunderbar mit den Kindern um. Wir sind alle sehr froh, dass wir Sie haben.“

„Danke schön.“

Als die andere Frau verschwunden war, lehnte sich Crystal mit dem Rücken gegen die Tür. Also hatte der Mann, der sich niemals täuschte, einen folgenschweren und schmerzhaften Fehler begangen. Es war nichts, was sie so schnell vergessen würde. Der Himmel stehe der Frau bei, die ihn erneut hinterging.

Der Gedanke ließ sie schaudern.

„Nanny?“

Erschrocken fuhr sie zusammen und sah Nuri vor sich stehen. „Habt ihr eure Geschichten ausgesucht?“

„Hana und ich wollen dich etwas fragen.“

„Und was?“, wollte Crystal wissen, während sie zu seiner kleinen Schwester blickte.

„Wir wollen zu der Party gehen.“

„Ich verstehe. Aber dafür seid ihr nicht passend angezogen“, meinte sie, während sie bedeutungsvoll auf ihre Schlafanzüge schaute. „Und ihr habt eine zusätzliche Geschichte verlangt.“

„Ich kenne einen Geheimplatz, von wo wir alles beobachten können, uns aber keiner sehen kann“, erklärte er stolz.

Sie nickte. „Dadurch wird ein Problem gelöst.“

„Hana und ich verzichten auf die zweite Geschichte, wenn du uns zugucken lässt.“

„Wie wäre es, wenn wir heute die Geschichten ganz weglassen? Wir schauen uns an, was auf der Party los ist, und dann gehts direkt ins Bett. Ende der Diskussion.“

Er grinste. „Okay.“

„Dann lauft und zieht eure Morgenmäntel an.“

Während die Kinder eiligst ihrer Aufforderung nachkamen, stellte Crystal fest, dass sie genauso aufgeregt war. Als die zwei fertig waren, führte Nuri sie die Treppe hinunter und durch eine Reihe von Gängen und Türen und erklärte ihr dabei, dass es im Palast eine ganze Menge guter Verstecke gab. Crystal verlor jeglichen Orientierungssinn und hoffte nur, dass der Junge den Weg zurückfinden würde. Schließlich gelangten sie zu einem Balkon über dem großen Ballsaal.

„Gut gemacht.“ Sie grinste den Jungen an und hielt den Daumen hoch. Dann setzte sie sich auf den Fußboden und zog die beiden Kinder neben sich. „Wir wollen ja nicht, dass uns jemand sieht.“

Die drei spähten durch die schmiedeeisernen Stäbe des Balkongeländers und beobachteten das Geschehen unter ihnen. Leise Orchestermusik drang zu ihnen herauf.

„Schau, Nanny, da ist Onkel Kamal“, zeigte Hana.

Sie entdeckte den Kronprinz, wie er eine schöne, dunkelhaarige Frau anlächelte. Der Mann lachte nur äußerst selten, was sie dazu veranlasste sich zu fragen, wer die Frau war. „Ja, ich sehe ihn. Und da ist euer Großvater und eure Tante Farrah.“

„Ich sehe Onkel Rafiq“, meinte Nuri. „Er unterhält sich mit Penny Doyle.“

„Ich mag sie“, sagte Hana.

Crystal mochte sie auch und hoffte, dass Penny Spaß hatte.

„Ich kann Tante Johara nicht finden“, erklärte Hana.

„Oder Papa“, fügte Nuri hinzu, während er die Menschenmasse absuchte.

In diesem Moment öffnete sich die Tür hinter ihnen. „Was haben wir denn hier?“

Fariqs tiefe Stimme erzeugte einen sinnlichen Schauer in Crystal, der allerdings sehr schnell von Besorgnis abgelöst wurde. Verstieß sie mit dieser Aktion vielleicht gegen Palastregeln? Würde er wütend sein, dass sie die Kinder hierher gebracht hatte?

„Hallo Papa“, grüßte Nuri, während er aufstand. „Wir wollten uns nur die Party ansehen, deshalb habe ich Nanny gezeigt, wie man hierhin kommt.“

„Ich verstehe.“

Auch Crystal kam rasch auf die Füße und zog Hana mit sich, die sich an sie schmiegte. „Wir hatten eine harte Verhandlung. Sie haben die Geschichten aufgegeben und wollten sofort ins Bett gehen, nachdem sie einen Blick auf die Gäste geworfen hatten.“

„Soso.“

„Ich hoffe, du bist nicht wütend. Es schien …“

„Nein, ich bin nicht wütend.“ Sein Blick wanderte zu seiner Tochter, die ihn nicht ansah.

„Ich bringe sie jetzt zurück in ihr Zimmer.“

„Noch nicht. Ich habe eine Überraschung.“ Er winkte jemanden herbei, und ein Diener mit einem Tablett voller Köstlichkeiten erschien. Der junge Mann legte mehrere Servietten auf den Boden und arrangierte eine Art Picknick. Dann flüsterte Fariq ihm etwas zu, und der Bedienstete verschwand wieder.

„Danke, Papa!“ sagte Nuri.

„Gern geschehen, mein Sohn.“ Er schaute zu seiner Tochter hinüber und streckte ihr die Hand entgegen. „Darf ich um diesen Tanz bitten?“

Die Kleine blickte schüchtern zu ihm auf und nickte, dann legte sie ihre Hand in seine. Er ließ sie auf seine Füße steigen und drehte sich dann mit ihr zu einem Walzer im Kreis. Crystal fühlte einen Kloß im Hals, als sie den beiden zusah und feststellte, dass Hana ihrem attraktiven Vater nicht länger böse sein konnte.

Als die Musik endete, verbeugte er sich und dankte ihr. „Wenn du dich jetzt nicht beeilst, hat dein Bruder alles aufgegessen.“

„Danke, Papa.“ Sie streckte die Arme nach oben und drückte sich an ihn. Dann setzte sie sich neben ihren Bruder und sicherte sich ihren Anteil an den Leckerbissen.

Fariq lehnte sich gegen das Gitter neben Crystal. „Bist du immer so nachsichtig mit meinen Kindern?“

„Nur bei speziellen Gelegenheiten“, antwortete sie und starrte auf das schillernde Geschehen unter ihnen.

„Meine Tante hat mir Vorhaltungen gemacht, dass ich nicht dafür gesorgt habe, dass du am Ball teilnehmen kannst.“

„Ich bin nur das Kindermädchen.“

„Aber auch ein Gast unseres Landes. Ich hätte daran denken müssen. Doch ich werde es wieder gutmachen.“

„Was meinst du?“

„Eigentlich war es Farrah, die euch drei hier oben entdeckt hat. Sie sagte mir, dass Johara sich nicht wohl fühlt und nicht länger beim Ball bleiben will. Meine Schwester wird sich daher um die Kinder kümmern.“

„Was stimmt nicht mit Johara?“

Er zuckte die Achseln. „Meine Tante sagte, sie sei müde.“

In diesem Moment öffnete sich die Tür hinter ihnen, und Johara erschien. Auf dem kleinen Balkon wurde es allmählich etwas eng.

„Ich bringe die Zwillinge zurück auf ihr Zimmer.“

„Geht es Ihnen gut? Vielleicht sollten Sie sich besser hinlegen?“, meinte Crystal, die die dunklen Ringe um Joharas Augen bemerkte.

„Nein, das ist kein Problem.“ Sie lächelte die beiden Kinder an, die mittlerweile das Gähnen nicht mehr unterdrücken konnten. Johara wandte sich an ihren Bruder. „Mach dir keine Gedanken. Ich kümmere mich um sie, als wären es meine eigenen.“

„Danke.“ Er öffnete die Tür für sie, und die drei verschwanden. Dann kehrte er zu Crystal zurück und blickte auf die Party hinunter. „Ich bringe dich jetzt zu dem Ball.“

Entsetzt schaute sie an sich hinunter – ihre Kleidung war mittlerweile mehr als zerknittert und stellenweise sogar feucht vom Bad der Kinder. „Oh nein“, protestierte sie, „ich sehe furchtbar aus. So kann ich nicht gehen.“

„Dann werde ich dich begleiten, damit du dich umziehen kannst.“

„Ich habe nichts Passendes zum Anziehen.“ Das war Aschenputtels schlimmster Albtraum, und nirgendwo eine gute Fee in Sicht.

„Dann gibt es wohl nur eine Lösung. Wir bleiben hier, und die Party findet hier statt.“

Die Schauer, die ihr den Rücken hinabliefen, verdreifachten sich. Sie sollte sein Angebot höflich ausschlagen. Es geschah vermutlich ohnehin nur aus Mitleid. Dennoch, vielleicht wäre es ein Affront, wenn sie ablehnte? Sie hatte eine ganze Nacht allein mit ihm in der Wüste verbracht und auch seinen atemberaubenden Kuss überlebt. Wie gefährlich konnte es also sein, neben ihm zu stehen und den Ball unter ihnen zu beobachten?

„Vielen Dank“, sagte sie. „Das ist sehr freundlich von dir.“

Neben seinem fabelhaften Aussehen machte ihn das zu einem wahren Prinzen unter den Männern. Sie konnte nur hoffen, dass sie diese Nacht nicht bereuen würde.

9. KAPITEL

Fariq griff nach einer Flasche Champagner, die ein Diener gerade zusammen mit einigen Horsd’oeuvres auf einem Servierwagen zu ihnen gebracht hatte. Als er wieder mit Crystal allein war, war er sehr zufrieden.

Seit dem ersten Tag ihrer Ankunft in seinem Büro hatte er sich zu ihr hingezogen gefühlt, und das trotz ihrer wenig auffälligen Erscheinung. Oder vielleicht lag es gerade daran. Sie schmeichelte ihm nicht, schmierte ihm keinen Honig um den Bart, sondern sprach offen aus, was sie für richtig hielt, ohne sich um die Konsequenzen zu kümmern. Seine Kinder beteten sie an. Und er … er mochte sie sehr.

Als seine Tante ihn auf Crystal und die Kinder aufmerksam gemacht hatte, wie sie den Ball beobachteten, da hatte er eine Welle der Freude in sich gespürt. Und da er sich bei der Galaveranstaltung bereits gezeigt hatte, war es die einzige Entschuldigung, die er noch brauchte, um sich davonzustehlen.

Er schenkte die goldene Flüssigkeit in zwei Kristallgläser und reichte eines Crystal. „Auf was sollen wir trinken?“, fragte er dann.

Sie schob sich die Brille etwas höher auf die Nase und dachte einen Augenblick nach. „Auf verständnisvolle Arbeitgeber.“

„Warum das?“

Sie lächelte leicht. „Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wie oft ich dir schon widersprochen habe – in Bezug auf Kinder im Speziellen und Teenager im Allgemeinen. Dennoch scheinst du mir das nicht übel zu nehmen. Zumindest merke ich nichts davon.“

„Das heißt also, du findest, ich hätte mich heute Abend meiner Tochter gegenüber falsch verhalten?“

„Meine Mutter sagte immer, dass man nie über einen Menschen urteilen solle, solange man nicht eine Meile in seinen Schuhen gewandert ist. Ich habe selbst keine Kinder und bin nicht verheiratet. Ich denke“, formulierte sie vorsichtig, „dass ich Schlüsse gezogen habe, ohne alle Informationen zu kennen.“

„Deine Mutter ist eine kluge Frau. Und dein Vater hat großes Glück, mit ihr verheiratet zu sein.“

Sie nippte an ihrem Glas und schüttelte dann den Kopf. „Sie sind geschieden.“

„Das tut mir leid.“

„Mir auch.“

„Es war hart für dich.“ Er erkannte die Traurigkeit in der Blässe um ihre Mundwinkel. „Trotzdem glaubst du noch an Liebe, Ehe und Kinder.“

Sie begegnete seinem Blick und zeigte ihre Zweifel. „Das habe ich wohl von meiner Mutter. ‚Tobe dich aus, bevor du eine Familie gründest‘, hat sie immer gesagt. Sie wollte wohl, dass ich mir die Welt ansehe und meinen Träumen folge, weil sie selbst erlebt hat, dass sich das Leben nicht immer an Pläne hält.“

„Sei egoistisch.“

„Das ist nicht immer schlecht. Ich wünschte, meine Mutter hätte sich häufiger an die erste Stelle gesetzt“, betonte sie. „Wenn sie es getan hätte, wäre sie jetzt nicht in dieser Situation …“

„In welcher Situation?“

„Nichts.“ Sie schüttelte den Kopf. „Das interessiert dich sicher nicht.“

Er griff wieder nach der Champagnerflasche und füllte nur ihr Glas, da er seines gar nicht angerührt hatte. „Ganz im Gegenteil. Ich genieße es, mehr über die Frau zu erfahren, die so viel Zeit mit meinen Kindern verbringt. Ich habe festgestellt, dass du ganz schön kompliziert bist.“

„Bitte mach dir keine Gedanken darüber, dass ich die Kinder damit belasten könnte …“

Er hob abwehrend eine Hand. „Das ist mir nie auch nur in den Sinn gekommen. Du hast sie und auch meine Schwester schon zu oft verteidigt, als dass ich deine Sorge um ihr Wohlergehen in Zweifel ziehen könnte.“

Crystal wandte sich ab, stützte sich mit den Ellbogen auf das Balkongeländer und beobachtete das Geschehen unter ihnen. „Ich bin erstaunt über das Engagement der königlichen Familie für hungernde Kinder in der ganzen Welt. Dieser exklusive Wohltätigkeitsball ist ein eindeutiges Zeichen dafür.“

„Es ist eines von Rafiqs Lieblingsprojekten“, antwortete er.

„Das habe ich schon gehört. Und du nennst mich kompliziert.“

Fariq irritierte der bewundernde Ton, in dem sie von seinem Bruder sprach. „Hat er sich dir genähert?“

Crystal sah ihn herausfordernd an. „Fragst du mich etwa, ob er mit mir geflirtet hat?“

„Ja.“

Sie lachte. „Keine Sorge. Ich habe bisher kaum etwas von ihm gesehen.“ Seufzend blickte sie wieder hinunter auf die illustren Gäste. „Schau dir nur all diese wunderschönen Kleider da unten an und diese ganzen Juwelen. Was für ein Gefühl muss es sein, sich alles kaufen zu können, ohne über Geld nachdenken zu müssen?“

Fariq hatte sich über diese Frage nie Gedanken machen müssen. Doch jetzt musterte er Crystals Gesicht. Er lehnte nun auch an dem Geländer und war damit nah genug, um die Wärme ihres Körpers zu spüren und den Duft ihres Parfums einzuatmen. „Erzähl mir von deiner Familie. Musstet ihr euch einschränken?“

„So sehr, dass es manchmal wirklich haarig wurde. Mit fünf Kindern haben meine Eltern es gelernt, an allen Ecken und Enden zu sparen. Als ich ein Mädchen wurde, waren sie, glaube ich, wirklich erleichtert, einfach weil ich nicht so viel essen würde.“

Jetzt lachte er. „Und wie haben sie gespart?“

„Sie haben Kleider auftragen lassen – abgesehen von mir natürlich. Meine Mutter hat viel für mich genäht, besonders für …“ Crystal unterbrach sich, doch Fariq war ihr nah genug, um zu spüren, wie ihr ganzer Körper sich verkrampfte.

„Für was?“

„Nichts. Meine Hobbys – Schultänze und so weiter.“

Er hatte den Verdacht, dass sie etwas anderes hatte sagen wollen. Ihre Nervosität schien fast greifbar. „Was ist los, Crystal? Wovor fürchtest du dich?“

„Nichts“, verneinte sie mit einem zu gleichgültigen Achselzucken. „Ich habe bloß an meine Mutter gedacht. Dass sie immer noch kämpfen muss.“

„In welcher Art? Kann ich irgendwie helfen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Das ist nicht dein Problem.“

„Aber wenn es dir Sorgen bereitet, dann geht es mich etwas an. Es ist im besten Interesse des Hofs, wenn seine Angestellten glücklich und zufrieden sind.“

„Ich bin zufrieden. Ich mag meinen Job. Die Kinder sind mir ans Herz gewachsen, und ich habe vor, die volle Zeit meines Vertrags zu erfüllen.“

Ihr Stirnrunzeln widerlegte ihre Worte, und er hatte das Gefühl, dass er sie irgendwie im Stich ließ. Dann erst wurde ihm die Bedeutung ihrer letzten Aussage klar und ließ ihn erstarren. Bis zu diesem Moment hatte er nie darüber nachgedacht, dass sie nicht für ewig in seinem Leben sein würde. Dabei schien es so, als wäre sie schon immer da gewesen und würde auch immer da sein. Der Gedanke an ihre Heimkehr hatte ihn absolut kalt erwischt.

Sie trat von dem Geländer zurück und stellte ihr Glas auf dem Servierwagen ab. „Ich muss jetzt nach den Kindern sehen.“

„Aber du hast das Essen noch gar nicht probiert.“ Er nahm eins der Horsd’oeuvres vom Tablett. „Ich glaube, es ist an der Zeit, dass dich jemand ein bisschen verwöhnt“, sagte er, während er anfing, sie mit den kleinen Leckerbissen zu füttern.

Der Puls an ihrem Hals schlug heftig. War seine Nähe dafür der Grund? Er war sich ihrer jedenfalls äußerst bewusst; der Kurven ihres Körpers, dem sehr weiblichen Duft ihrer Haut, der sinnlichen Fülle ihrer Lippen. Die Musiker im Ballsaal unter ihnen begannen einen langsamen Walzer.

Fariq streckte eine Hand aus. „Darf ich um diesen Tanz bitten?“

„Nein, ich …“

Bevor sie ablehnen konnte, legte er eine Hand auf ihre Taille und zog sie näher an sich. Ein plötzliches Gefühl überkam ihn, dass dies genau richtig war, dass sie in seine Arme gehörte. Im Ballsaal waren einige der schönsten Frauen dieser Welt versammelt. Doch aus irgendeinem Grund faszinierte ihn keine so sehr wie Crystal.

Sie war sicher keine klassische Schönheit. Doch vielleicht war gerade das ihr Geheimnis. Ohne diese Ablenkung war er von ihrem Charme, ihrem Humor und ihrer Intelligenz gefangen genommen worden. Der Körper, den er an seinen presste, war sanft gerundet – an allen richtigen Stellen. Er blickte auf sie hinunter und betrachtete die Formen ihres Gesichts.

„Deine Wangen sind gerötet.“

„Ich bin nicht an Champagner gewöhnt“, sagte sie entschuldigend.

„Das war keine Kritik. Es steht dir und sieht sehr hübsch aus.“

Sie stolperte leicht, so dass er den Tanz unterbrach, um ihr wieder Halt zu geben. „Du täuschst dich. Ich bin nicht hübsch.“

„Im Gegenteil. Ich täusche mich nie.“ Er ließ seinen Blick über ihre Züge wandern und blieb an ihrem Mund hängen. „Du hast wunderbar geformte Lippen. Meine eigenen erinnern sich noch an ihre Weichheit in jener Nacht, die schon viel zu lange her zu sein scheint. Ich weiß schon gar nicht mehr, ob es wahr ist oder nur ein Traum.“ Er zögerte. „Ich würde gerne meine Erinnerung auffrischen.“

Er schaute sie unverwandt an und senkte dabei den Kopf. Ihre Augen hinter den Brillengläsern wurden groß, und plötzlich wünschte er sich nichts so sehr, wie sie ohne dieses riesige Gestell zu sehen. Langsam löste er seine Arme von ihr und griff nach der Brille.

„Ich muss nach den Kindern sehen.“ Etwas zu hastig trat sie einen Schritt zurück und eilte dann davon.

Fariq starrte auf die Stelle, an der sie eben noch gestanden hatte. Sie hatte Angst, dessen war er sich absolut sicher. Vielleicht hatte es etwas mit ihrer Mutter zu tun, wie sie behauptet hatte. Doch da war mehr. Er wünschte sich, er wüsste, was dahinter steckte. Und noch mehr wünschte er sich, sie würde sich ihm anvertrauen.

„Und Aschenputtel und der Prinz lebten glücklich bis an ihr Lebensende.“

Crystal saß neben Hanas Bett und schloss das Märchenbuch. Sie blickte auf das kleine Mädchen, dessen Augen geschlossen waren und hoffte, das Kind wäre endlich eingeschlafen. Als ein Schatten im Türrahmen auftauchte, wusste sie sofort, wer es war.

Hana öffnete prompt wieder die Augen. „Papa, du bist zurück.“

Er trat in den Raum und stoppte neben ihrem Bett. „Ja, ich wollte noch einmal nach dir sehen. Warum schläfst du noch nicht, so wie dein Bruder?“

„Ich war zu aufgeregt. Nanny hat mir eine Geschichte vorgelesen. Von Aschenputtel.“

„Hat sie das?“ Er beugte sich hinunter und strich seiner Tochter sanft eine Haarlocke aus der Stirn.

Autor

Teresa Southwick
Teresa Southwick hat mehr als 40 Liebesromane geschrieben. Wie beliebt ihre Bücher sind, lässt sich an der Liste ihrer Auszeichnungen ablesen. So war sie z.B. zwei Mal für den Romantic Times Reviewer’s Choice Award nominiert, bevor sie ihn 2006 mit ihrem Titel „In Good Company“ gewann. 2003 war die Autorin...
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