Das It-Girl und der Bodyguard

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Wird die schöne Madison wirklich verfolgt? Oder will sie sich nur interessant machen? Tanner Keene muss sie beschützen, auch wenn er It-Girls wie sie verachtet. Doch schon bald merkt er, dass sie anders ist als gedacht - und ihn immer mehr in den Bann zieht …


  • Erscheinungstag 16.11.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733766306
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Wenn er die Wahl hatte, zog Tanner Keane Dunkelheit bei der Arbeit vor – genau wie an diesem Abend. Achtundvierzig Stunden hatte er gebraucht, um die Frau und ihre Entführer zu finden. Seitdem waren weitere sechsunddreißig Stunden verstrichen. Diese Zeit hatte er genutzt, um deren Tagesablauf bis ins kleinste Detail zu studieren.

Wenn es still und dunkel war, fühlte er sich am sichersten. Der Gedanke, dass die meisten Menschen um diese Zeit schliefen, beruhigte ihn. Selbst die, die nachts wach waren, befanden sich nicht auf der Höhe ihrer Konzentrationsfähigkeit. Das traf allerdings nicht auf seine Männer zu. Wer für ihn arbeitete, musste nachts genauso hellwach sein wie tags.

Rasch warf er einen Blick auf die Uhr und sah wieder zu dem zweistöckigen Haus. Seit zwei Wochen beaufsichtigten die Wachen die Frau nun schon. Mit der Zeit waren sie nachlässig geworden. Sie machten ihre Rundgänge nicht mehr in unregelmäßigen Abständen, sondern nach einem festen Zeitplan. Nach so vielen Tagen rechneten sie nicht mehr mit Ärger. Genau das wollte er ausnutzen.

Konzentriert griff er nach seiner Nachtsichtbrille und beobachtete die Fenster des Schlafzimmers im zweiten Stock. Bei einem waren die Vorhänge offen, weshalb er die große schlanke Frau sehen konnte, die in dem Raum dort umherging.

Tanner hatte in Erfahrung gebracht, dass sie über fünfhundert Millionen Dollar schwer war – wenn er ihren Anteil am Vermögen ihres Vaters hinzurechnete. Er wusste so ziemlich alles über sie. Obwohl sie wunderschön und reich war, schenkte er ihr kaum Beachtung. Ihn interessierte mehr, wer sich außer ihr im Zimmer befand. Er fragte sich, wie viele Personen Dienst hatten.

Insgesamt passten fünf Wachen auf sie auf. Normalerweise arbeiteten sie in Zweierteams. Außer nachts. Von Mitternacht bis sieben Uhr wurde Madison Hilliard von einer einzigen Frau beaufsichtigt.

Als er den Raum nach ihrer Aufpasserin absuchte, stellte er bald fest, dass sie in einer Ecke auf einem Stuhl saß und zu schlafen schien.

Wie nachlässig, dachte er. Wenn sie seine Mitarbeiterin wäre, hätte er sie längst gefeuert. Da sie für die andere Seite arbeitete, war ihr unzuverlässiges Verhalten von Vorteil für ihn.

Zufrieden widmete er wieder der Entführten seine Aufmerksamkeit. In diesem Moment kam Madison an die Balkontür und öffnete sie. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass ihre Aufpasserin schlief, trat sie hinaus in die Nacht.

Vor zwei Wochen war sie aus ihrem wohlbehüteten Jetset-Leben herausgerissen worden. Seitdem wurde sie in diesem Zimmer gefangen gehalten. Obwohl Tanner wusste, dass die Situation schrecklich für die Frau sein musste, hatte er kein Mitleid mit ihr. Für ihn war das ein ganz normaler Auftrag.

„Position zwei, zuschlagen“, flüsterte eine Stimme in seinem Kopfhörer.

Als Antwort klopfte er kurz auf das winzige Mikrofon. Da er sich nah beim Haus befand, konnte er nicht sprechen. Das Risiko, entdeckt zu werden, war zu groß.

Madison stand immer noch auf dem Balkon. Rasch packte Tanner das Nachtsichtgerät in seinen Rucksack. Es gab keinen Grund, sie weiter zu beobachten. In den letzten vier Tagen hatte er alles herausgefunden, was er über sie wissen musste. Er kannte ihr Alter, ihren Familienstand, ihre besonderen Merkmale und wusste, wo sie normalerweise einkaufen ging – was ihre Hauptbeschäftigung zu sein schien. Sie mochte interessant für Männer sein, doch sein Typ war sie nicht. Reiche Frauen waren meistens kompliziert, genau das konnte er nicht leiden.

Erneut sah er auf die Uhr. Es war fast so weit. Vorsichtig klopfte er das vereinbarte Zeichen auf sein Mikro und griff nach seiner Waffe.

Die umgebaute Pistole konnte starke Betäubungspfeile abschießen. Sie wirkten in weniger als fünf Sekunden und waren nicht lebensgefährlich. Der Auftraggeber hatte ausdrücklich verlangt, dass es keine Todesopfer gab.

Eigentlich schade, dachte Tanner, als er vorsichtig zur Haustür schlich. Er hatte wenig Mitleid mit den Entführern. Ihre unverschämt hohe Lösegeldforderung hatte ihn verärgert. Zwanzig Millionen Dollar in unmarkierten Scheinen! Er mochte es gar nicht, wenn Kriminelle sich Schurken in schlechten Filmen als Vorbilder nahmen. Seiner Meinung nach sollten sie sich entweder professionell verhalten oder es ganz sein lassen.

Als er die Glastür erreicht hatte, wartete er auf Brodys Zeichen. Brody hatte sich auf alle Arten von Alarmanlagen spezialisiert. Bei dessen Okay in seinem Kopfhörer wusste er, dass er auch diese außer Gefecht gesetzt hatte. Seine Freude darüber löste sich jedoch schnell in Luft auf, denn in diesem Moment kam ein Wachmann um die Ecke. Tanner schoss ihm eine Ladung Betäubungsmittel in die Schulter.

Bevor der Mann auf den Boden sacken konnte, eilte er zu ihm und fing ihn auf. Anschließend schleifte er ihn langsam und geräuschlos hinter ein Gebüsch. Nach getaner Arbeit tippte er zwei Mal gegen sein Mikro. Sofort kamen als Antwort drei Klickgeräusche.

„Position zwei, zuschlagen“, flüsterte erneut eine Stimme.

Angel, der beste Heckenschütze seiner Gruppe, saß mit einem Sicherheitsabstand zum Haus auf einem Baum. Er hatte alles im Blick, was geschah. Nur ein Anfänger betrat ein Haus voller Wachleute, ohne sich abzusichern.

Vorsichtig ging Tanner zur verschlossenen Haustür und zog einen kleinen Behälter aus seinem Allzweckgürtel. Eine Minute später hatte er den Schließmechanismus der Tür mit einer Säuremischung in Brei verwandelt. Rasch trat er ein und setzte seine Nachtsichtbrille auf. Nachdem er seinen Männern durch ein weiteres Klopfen auf sein Mikrofon mitgeteilt hatte, dass er im Gebäude war, eilte er zum Treppenhaus und die Treppe hinauf.

Oben angekommen schaltete er einen weiteren Wachmann aus. Bevor er seinen Weg fortsetzte, wartete er, bis er in seinem Kopfhörer das vereinbarte Zeichen bekam.

Der Weg vor ihm war frei.

Wie immer in dieser Situation konzentrierte sich Tanner nur darauf, was vor ihm lag. Den Plan des Hauses hatte er sich eingeprägt. Entschlossen bewegte er sich auf das Zimmer zu, in dem Madison seit zwei Wochen gefangen gehalten wurde. Mit Glück befand sie sich immer noch auf dem Balkon und war so außerhalb der Schussbahn. Ein Schuss sollte reichen, um die Aufpasserin außer Gefecht zu setzen. Wahrscheinlich würde sie gar nichts mitbekommen, da sie tief und fest schlief.

Erneut brachte er den Säurebehälter am Türschloss an und wartete exakt sechzig Sekunden. Anschließend öffnete er vorsichtig die Tür.

„Achtung, Tanner!“, hörte er in seinem Kopfhörer. „Mann auf der Treppe!“

Tanner fluchte in Gedanken. Ausgerechnet an diesem Abend war ein zusätzlicher Wachmann eingeteilt worden. War das nicht immer so?

Behutsam drehte er sich um und huschte in eine dunkle Ecke. Wenige Sekunden später stand jemand vor der Tür – Tanner richtete den Lauf seiner Waffe auf den Mann.

„Ist alles in Ordnung, Natalie?“, fragte der Mann mit tiefer Stimme. „Es gab einen Zwischenfall. A.J. wird vermisst.“

„Was?“

Wenn etwas schiefging, dann richtig. Tanner hörte, wie Madisons Aufpasserin aufstand und an die Tür eilte. Wenn er nicht sofort reagierte, hatte er es gleich mit zwei Wachleuten auf einmal zu tun. Deshalb verpasste er dem Mann schnell eine Ladung Betäubungsmittel und zog ihn zur Seite. Als Natalie die Tür öffnete, verblüfft darüber, dass sie nicht verschlossen war, setzte Tanner auch sie außer Gefecht und legte sie neben ihren Kollegen.

Anschließend betrat er das Zimmer. Er hoffte, dass Madison sich nicht versteckt hatte und ruhig blieb. Er hasste es, wenn Frauen schrien – außer im Bett. Sie stand auf dem Balkon und sah ihn verängstigt an.

„Ich gehöre zu den Guten“, beruhigte er sie. „Lassen Sie uns gehen.“

Obwohl ihr eine Haarsträhne ins Gesicht wehte, glaubte er, ein Lächeln auf ihren Lippen zu erkennen. Ihm war klar, dass sie ihm nicht aus Dankbarkeit um den Hals fallen würde, aber wenigstens blieb sie ruhig.

„Das sind nicht gerade die Worte, die ich von meinem Retter erwartet habe“, sagte sie kühl. „Ich dachte: ‚Komm mit mir, wenn du leben willst‘, wäre eher Ihr Text.“

Tanner konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. „Ich bin ebenfalls Terminator-Fan, aber ich ziehe es vor, im Hubschrauber zu reden. Es sei denn, Sie möchten lieber hierbleiben.“

Schweigend kam sie auf ihn zu.

„Ziehen Sie Schuhe an“, befahl er. „Irgendwelche. Wir gehen zu keiner Modenschau.“

Sie schlüpfte in ein Paar und eilte zur Tür. Auf der Treppe holte er sie ein und nahm ihre Hand. Es war nicht notwendig, seinen Männern Bescheid zu geben, dass er sie befreit hatte. Alle hörten ihre Unterhaltung mit.

„Der Weg vor euch ist frei“, teilte Angel ihm leise mit. „Der Chopper ist in dreißig Sekunden hier.“

Als sie das Haus durch den Hintereingang verließen, setzte Tanner wieder die Nachtsichtbrille auf. Im Hintergrund war schon das Donnern des Hubschraubers zu hören. Rasch liefen sie zu einer Wiese, wo sie auf den Helikopter warteten.

„Wie haben Sie mich gefunden?“, fragte Madison.

„Das ist mein Job.“

„Aha, der mutige, schweigsame Typ. Das muss meinen Vater beeindruckt haben.“

Zum ersten Mal sah er sie richtig an. Madison Hilliard war nun nicht mehr bloß ein Foto, sondern ein lebendiger Mensch. Ihr langes blondes Haar flog wild umher, da der Hubschrauber zur Landung ansetzte, und sie versuchte, es mit einer Hand zusammenzuhalten.

In diesem Moment entdeckte Tanner die hässliche Narbe auf ihrer linken Wange, die ihr ansonsten schönes Gesicht entstellte. Er war so geschockt, dass er nicht einmal wegsah, als Madison ihn kritisch anblickte.

Der Helikopter setzte auf dem Boden auf, doch gerade, als sie einsteigen wollten, war ein lauter Schrei vom Haus zu hören. Fluchend drehte Tanner sich um.

„Zwei Wachen“, sagte Angel in seinem Kopfhörer. „So ein Mist! Heute scheinen sie den Schichtwechsel vorgezogen zu haben. Kelly, sie kommen genau auf dich zu! Pass auf, sie …“

Angels Worte wurden von mehreren Schüssen übertönt. Tanner wusste genau, dass nicht nur seine Männer schossen. Nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, gaben alle außer Kelly über Funk durch, dass sie unverletzt waren.

„Steigen Sie ein“, befahl er Madison und schob sie in den Hubschrauber.

Es gefiel ihm gar nicht, dass er seine Männer allein lassen musste, doch die Gewissheit, dass sie sehr gut ausgebildet waren, beruhigte ihn. Sie würden Kelly finden und ihn in Sicherheit bringen. Tatsächlich trugen zwei von ihnen wenige Minuten später den verletzten Mann zum Hubschrauber.

„Beeilt euch“, sagte Angel in Tanners Kopfhörer. „Kelly hat die beiden Wachen außer Gefecht gesetzt, nachdem sie auf ihn geschossen haben, aber sie haben über Funk Verstärkung angefordert.“

„In Ordnung“, entgegnete er. „Sieh auch du zu, dass du dich in Sicherheit bringst.“

„Ich bin so gut wie weg, Chef.“

Tanner half seinen Männern, ihren bewusstlosen und bluteten Kollegen in den Hubschrauber zu hieven. Als alle eingestiegen waren, signalisierte er dem Piloten abzuheben. Danach kümmerte er sich um Kelly. Sein junger Mitarbeiter hatte zwei Schussverletzungen. Eine in der Brust und eine in einem Bein. Beide sahen böse aus. Er konnte sich nicht beherrschen und funkelte Madison wütend an. Es gab Dinge, für die es sich zu sterben lohnte, aber diese Frau gehörte nicht dazu.

Seine Mitarbeiter waren bereits mit Erste-Hilfe-Maßnahmen beschäftigt. Tanner zog sich zurück, um ihnen nicht im Weg zu stehen. Seufzend rutschte er neben Madison, setzte ein Headset auf und bedeutete ihr, das Gleiche zu tun. „Das Treffen mit Ihrer Familie wird warten müssen“, teilte er ihr mit. „Erst mal muss mein Mitarbeiter medizinisch versorgt werden.“

Betroffen sah sie zu Kelly. „Natürlich. Ich komme ins Krankenhaus mit.“

Er hielt es nicht für notwendig, ihr zu erzählen, dass sie nicht auf dem Weg in ein normales Krankenhaus waren. Dort würde man zu viele Fragen stellen, das konnte er in seiner Branche nicht gebrauchen. Er verfügte über gute Kontakte zu ehemaligen Feldärzten, die immer abrufbereit und vor allem verschwiegen waren.

„Einer meiner Männer wird Sie an einen sicheren Ort begleiten“, sagte er. „Sie können dort so lange warten, bis ich zurück bin und Sie zu Ihrer Familie bringen kann.“

Tanner war sicher, dass Madison und ihr Ehemann noch ein paar Stunden auf ihr Wiedersehen warten konnten. Da er der Einzige war, den seine Klienten jemals zu Gesicht bekamen, musste er Madison selbst abliefern. Außerdem konnte er bei der Gelegenheit den nicht gerade bescheidenen Lohn für seine Arbeit abholen.

Er riss sich das Headset herunter und versuchte, seinen Zorn zu zügeln. Eigentlich hatte es wie ein einfacher Auftrag ausgesehen. Niemand hätte verletzt werden sollen, vor allem nicht Kelly – das jüngste und neueste Mitglied seines Teams. Er hatte ihn erst im vergangenen Monat eingestellt. Es gab nichts Schlimmeres, als bereits nach so kurzer Zeit angeschossen zu werden.

Ungeduldig schritt Madison Hilliard in dem kleinen Raum auf und ab. Sie hatte keine Ahnung, wie lange man sie schon darin festhielt. Es gab weder Fenster noch hatte sie eine Uhr. Ein paar Stunden vermutete sie, vielleicht auch länger.

Das Zimmer war spartanisch eingerichtet. Außer einem Bett befand sich nichts darin. Wenigstens gab es ein Bad. Vielleicht hätte sie schlafen sollen, seit der Entführung hatte sie kaum ein Auge zugemacht, doch sie war viel zu aufgeregt dafür. Sie fragte sich, ob sie sich jetzt wirklich in Sicherheit befand.

Erneut stieg Angst in ihr auf. In den letzten Tagen hatte sie sich fast an dieses Gefühl gewöhnt. Immer wieder hatte sie sich eingeredet, dass jemand sie vermissen musste, dass ihren Freunden auffallen würde, dass sie sich nicht mehr meldete. Wahrscheinlich hatte Christopher aber für diesen Fall vorgesorgt.

Die Tür war verschlossen, und es gab keinen anderen Weg hinaus. Erneut war sie gefangen und musste warten, bis ihr Retter kam und sie zu ihrer Familie brachte. Und was passierte dann?

Wie lange würde Christopher sie am Leben lassen? Ein paar Wochen oder Monate vielleicht? Sie kannte seinen Plan nicht. Vielleicht brauchte er sie noch. Das war ihre einzige Hoffnung.

Draußen waren Schritte zu hören. Madison drehte sich um und bereitete sich darauf vor, den Mann zu sehen, der ihren Tod wollte. Als sich die Tür öffnete, stand jedoch ihr Retter vor ihr.

Er war groß, gut gebaut und hatte dunkles Haar. Macht und Selbstbewusstsein umgaben ihn wie eine Aura. Mit diesem Mann wollte man sich sicher nicht anlegen. Er war ganz in Schwarz gekleidet und trug eine Waffe. Madison fragte sich, wie viel er wusste. War er in Christophers Plan eingeweiht?

„Entschuldigen Sie, dass Sie warten mussten“, sagte er und klang eher ärgerlich als besorgt.

„Ist schon in Ordnung. Wie geht es Ihrem Mitarbeiter?“

„Er wird gerade operiert.“

„Ich hoffe, es geht im bald besser.“ Es tat ihr leid, dass der Mann ihretwegen angeschossen worden war, doch es war nicht ihre Schuld, dass man sie entführt hatte. Sie hatte auch nicht darum gebeten, befreit zu werden. Trotzdem fühlte sie sich verantwortlich für das, was passiert war.

„Sind Sie hungrig?“, erkundigte sich der Mann. „Hat man Ihnen etwas zu essen gegeben?“

„Ich habe keinen Hunger.“ Sie konnte sich nicht vorstellen, jemals wieder mehr als einen kleinen Happen zu sich zu nehmen – geschweige denn ein normales Leben zu führen. „Entschuldigen Sie, ich habe Ihren Namen nicht mitbekommen.“

„Keane. Tanner Keane.“

„Mr Keane, ich nehme an, meine Familie hat Sie beauftragt, mich zu befreien.“

Nickend verschränkte er die Arme vor der Brust und sagte: „Nennen Sie mich Tanner. Und ja, Ihr Mann und Ihr Vater haben mich vor einigen Tagen kontaktiert. Zuvor hatten sie eine andere Firma beauftragt, die hat aber wenig Glück gehabt.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich bin eben besser.“

Interessant. Warum hatte Christopher nicht gleich die beste Firma beauftragt? Er hasste es, mit zweitklassigen Unternehmen zusammenzuarbeiten. Vielleicht war er zu geizig gewesen. „Gab es eine Lösegeldforderung?“

„Zwanzig Millionen.“

Madison wurde schwindlig angesichts der hohen Summe. „So viel?“ Seufzend ging sie zum Bett und setzte sich. „Hat meine Familie das Geld bezahlt?“

„Ja. Uns blieb keine Zeit, um die Verhandlungen weiter in die Länge zu ziehen. Deshalb hat Ihr Vater bezahlt. Da er den Entführern trotzdem nicht vertraute, bin ich engagiert worden, um Sie zu befreien.“

„Ist mein Vater auf Sie zugekommen?“

„Er und Ihr Mann haben mich kontaktiert. Sie können es beide kaum erwarten, Sie wiederzusehen. Das ist ja auch verständlich. Die letzten zwei Wochen sind sehr schwierig für sie gewesen.“

Beinahe hätte Madison gelacht, doch sie riss sich zusammen. Sie durfte nicht die Beherrschung verlieren. „Mr Keane … Tanner, ich möchte nicht zu meiner Familie zurück.“

Überrascht zog er die Brauen hoch. „Wie bitte?“

„Fragen Sie nicht, warum. Können Sie mich nicht einfach gehen lassen?“

„Ich habe mit Ihrer Familie ausgemacht, dass ich Sie zurückbringe. Wenn das mit Kelly nicht passiert wäre, hätte ich das längst getan.“

„Ich weiß. Ich wollte nur …“ Sie starrte ihn an und fragte sich, wie sie es ihm erklären sollte. „Sie werden mich doch nicht etwa zwingen, zu meiner Familie zurückzukehren, oder?“ Wenn er sie gehen ließe, wäre es leicht, irgendwo unterzutauchen. Los Angeles war eine große Stadt. Sie hatte genügend Freunde, bei denen sie Unterschlupf finden konnte.

„Ich kann Sie doch nicht ohne Geld und Ausweis gehen lassen“, sagte er zögernd und fügte nach einer Pause lächelnd hinzu: „Mrs Hilliard, nach den traumatischen Erlebnissen ist es nur verständlich, dass Sie verwirrt sind. Bestimmt geht es Ihnen besser, wenn Sie Ihre Familie wiedersehen. In einigen Wochen werden Sie die ganze Sache vergessen haben.“

„Ich hoffe, Sie haben recht, aber es könnte auch sein, dass ich in einigen Wochen tot bin.“

Tanner unterdrückte ein Stöhnen. Er hatte weder die Zeit noch die Geduld für dieses Theater. Alles, was er wollte, war so schnell wie möglich diesen Auftrag abzuschließen. Warum hatten reiche Frauen immer das Bedürfnis, im Mittelpunkt zu stehen?

„Reicht Ihnen die Entführung nicht erst mal?“, fragte er und konnte seinen Unmut kaum verbergen.

„Ich spiele keine Spielchen“, entgegnete sie. „Sie dürfen mich nicht zu meiner Familie zurückschicken. Bringen Sie mich woanders hin. Egal, wo.“

„Wie wäre es mit der Polizei?“

Sie schien darüber nachzudenken, doch es überraschte ihn nicht, als sie zögerlich den Kopf schüttelte. Sie wusste vermutlich, dass die Polizei ebenso wenig Lust auf ihr Theater hatte wie er.

„Christoper war es, der mich entführt hat“, sagte sie plötzlich und machte einen Schritt auf ihn zu. „Als ich meine Wohnung betreten habe, hat mich jemand angegriffen und betäubt. Ich habe niemanden gesehen, aber ich habe seine Uhr erkannt, bevor ich bewusstlos geworden bin. Sie ist unverwechselbar.“

„Aha.“ Er würde ihr ein paar Punkte für Originalität geben müssen, wenn sonst schon nichts. „Können Sie es beweisen?“

„Was? Natürlich nicht. Aber ich weiß, was ich gesehen habe.“

Natürlich. „Warum sollte Ihr Mann Sie entführen?“

„Ich weiß es nicht. Vielleicht, weil er Geld braucht.“

„Davon haben Sie beide doch genug.“

„Christopher ist nicht so wohlhabend, wie Sie denken. Er ist immer pleite. Das würde die hohe Lösegeldforderung erklären.“

„Zwanzig Millionen sind ein sehr hoher Betrag.“

Sie nickte. „Ich weiß, wie das für Sie klingen muss, aber Sie müssen mir glauben. Christopher lebt auf großem Fuß. Außerdem ist er spielsüchtig und verliert ständig hohe Beträge. Er kauft teure Kunstgegenstände und Möbel. Glauben Sie mir, er braucht immer Geld.“

„Nehmen Sie es nicht persönlich, Mrs Hilliard, aber ich vertraue Ihnen nicht.“

„Sie mögen mich nicht, damit habe ich kein Problem. Trotzdem dürfen Sie mich nicht in Gefahr bringen.“

„Ich glaube nicht, dass Sie in Gefahr sind. Warum hätte Ihr Mann zwei verschiedene Firmen beauftragt, Sie zu befreien, wenn er wollte, dass Sie tot sind?“

„Weil er im Moment mehr davon hat, wenn ich lebe. Woher wissen Sie, dass er wirklich eine andere Firma beauftragt hat? Vielleicht hat er gelogen.“

„Das ist möglich, aber woher weiß ich, dass Sie die Wahrheit sagen?“ Allmählich ging ihm die Geduld aus. „Ihr Mann und Ihr Vater haben mich beauftragt, Sie zu finden, und das habe ich getan. Einer meiner Männer ist in kritischem Zustand deswegen. Alles, was ich will, ist meinen Lohn und den Auftrag beenden. Die Probleme von Ihnen und Ihrem Mann interessieren mich nicht.“ Damit drehte er sich um und ging zur Tür.

„Wir sind nicht verheiratet. Hat er Ihnen das nicht erzählt? Wir sind seit über sechs Monaten geschieden. Ich bin sicher, dass Sie das nachprüfen können.“

Tanner drehte sich um und starrte sie an. Geschieden? Er blickte auf ihre Hand und fand keinen Ring. Weder Hilliard noch ihr Vater hatten etwas von einer Scheidung erwähnt. Hilliard hatte sogar gesagt, er wolle seine Frau so schnell wie möglich wieder zu Hause haben – wo sie hingehöre.

Es änderte nichts an der Situation. Er wurde bezahlt, um seine Arbeit zu erledigen. Es sei denn …

Er sah Madison in die Augen und erkannte echte Verzweiflung. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass die Situation tatsächlich ernst war.

Sie schien zu spüren, dass er unsicher wurde, und sagte: „Ich habe ihn vor fast zwei Jahren verlassen. In den ersten sechs Monaten hat er alles getan, damit ich zu ihm zurückkomme. Als er merkte, dass ich nicht mehr an ihm interessiert bin, hat er mit allen Mitteln versucht, gegen die Scheidung vorzugehen. Am Ende musste er einsehen, dass es sinnlos war.“

„Warum wollte er Sie nicht gehen lassen?“

„Er hatte es auf mein Geld abgesehen.“

„Das haben Sie schon erwähnt, aber er ist steinreich.“

Sie schüttelte den Kopf. „Das ist er nicht. Sein kostspieliger Lebensstil schluckt den Großteil der Einnahmen seiner Firma. Außerdem plant er etwas Großes. Ich weiß nicht, was es ist. Mein Vater hat einmal etwas erwähnt.“

„Hat Ihr Mann nicht nach der Scheidung einen großen Teil Ihres Vermögens erhalten?“

„Nein. Das haben wir in einem Ehevertrag ausgeschlossen. Außerdem besitze ich gar nicht so viel Geld. Das Vermögen meiner Familie ist in Aktien unserer Firma Adams Electronics angelegt. Ein Großteil davon gehört meinem Vater. Ich selbst verfüge nur über einen kleinen Teil. Christoper hat am Ende das Haus bekommen. Das hat mir nichts ausgemacht.“

Also hat Hilliard nicht nur seine hübsche Frau, sondern auch den Zugang zum Vermögen der Familie verloren. Das musste ihm sehr missfallen haben.

„Ihr Exmann arbeitet mit Ihrem Vater an einem Projekt“, erklärte Tanner. „Das habe ich bei meinen Recherchen herausgefunden.“

„Ich weiß. Mein Vater redet mit mir nicht darüber. Ich habe versucht ihn davon abzubringen, Geschäfte mit Christopher zu machen, aber er wollte nicht auf mich hören. Mein Vater versteht nicht, weshalb ich mich überhaupt von ihm getrennt habe.“

Als sie den Kopf zur Seite drehte, fiel Tanner erneut die Narbe auf ihrer Wange auf. Er fragte sich, warum diese schöne Frau mit einer hässlichen Narbe im Gesicht herumlief. Sie könnte sich die besten Schönheitschirurgen leisten. Irgendwie ergab alles keinen Sinn.

„Er hat die Entführung angezettelt, um das Lösegeld zu bekommen“, sagte sie ernst. „Ich glaube nicht, dass er außer Ihnen noch eine andere Firma beauftragt hat. Bestimmt hat er das nur meinem Vater erzählt, um ihn zu beruhigen.“

„Warum wollte Ihr Vater nicht die Polizei einschalten?“

Sie seufzte. „Er vertraut Christopher blind. Wahrscheinlich ist er davon ausgegangen, dass Christopher sich um alles kümmert. Mein Vater ist ein alter zerstreuter Professor. Ihm ist es am liebsten, wenn er nichts von der Außenwelt mitbekommt und in Ruhe in seinem Labor arbeiten kann.“

Tanner rief sich das Treffen mit den beiden Männern ins Gedächtnis. Er erinnerte sich daran, dass fast ausschließlich Hilliard geredet hatte. Blaine Adams Sorge schien sich in Grenzen gehalten zu haben.

„Lassen Sie sich von meinem Exmann nicht übers Ohr hauen“, fuhr Madison fort. „Er hatte die Angewohnheit, eine Hälfte im Voraus und die andere am Ende des Geschäfts zu zahlen. Nur kommt die zweite Hälfte selten beim Empfänger an.“

„Das wird er bei mir nicht wagen.“

„Woher wissen Sie das?“

„Weil ich ihn aufspüren und dafür sorgen würde, dass er seine Rechnung bezahlt.“

„Viel Glück dabei.“

Autor

Susan Mallery
<p>Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Susan Mallery unterhält ein Millionenpublikum mit ihren herzerwärmenden Frauenromanen, die in 28 Sprachen übersetzt sind. Sie ist dafür bekannt, dass sie ihre Figuren in emotional herausfordernde, lebensnahe Situationen geraten lässt und ihre Leserinnen und Leser mit überraschenden Wendungen zum Lachen bringt. Mit ihrem Ehemann, zwei Katzen und einem...
Mehr erfahren