Das Juwel des Wüstenprinzen

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Amber ist süß wie Sandelholzhonig und so schön wie ein Juwel. Dennoch will Scheich Harun seine geliebte Frau vergessen – weil ihr Herz für einen andern schlägt. Erst als sie zusammen entführt werden, entdeckt er, was Ambers Stolz all die Zeit verschleiert hat …


  • Erscheinungstag 19.03.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513982
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Sar Abbas, Hauptstadt von Abbas al-Din

Vor drei Jahren

„Soll das ein Witz sein?“

Amber al-Qurib, die eben noch entspannt in ihrem Sessel gesessen hatte, versteifte sich und sah ungläubig zu ihrem Vater hoch. „Bitte sag mir, dass du mich zum Lachen bringen willst.“ Eine absurde Vorstellung, wie ihr im selben Moment bewusst wurde.

Scheich Aziz von Ardh al-Numur, dem Land der Tiger, blickte Amber ernst an. Beide trugen Trauerkleidung, doch geweint hatte der Scheich nur am ersten Tag nach der schockierenden Todesnachricht. Danach waren seine Augen trocken geblieben, bis auf ein paar Anstandstränen am Tag von Fadis Beerdigung. „Ich pflege nicht zu scherzen, wenn es um dich oder die Zukunft unseres Landes geht, Amber.“

Nein, natürlich nicht. Ihr Vater machte keine Witze, nie. „Aber … mein Verlobter ist doch erst seit sechs Wochen tot“, protestierte sie schwach. Ihre Stimme klang belegt vom vielen Weinen. Was für ein sinnloser Tod … verunglückt bei einem Autorennen als Beifahrer von Alim, seinem jüngeren Bruder. Ein Rennspektakel, das in Abbas al-Din jede Menge Aufsehen erregt hatte, ebenso wie die bevorstehende Hochzeit zwischen Amber und Fadi.

Und dann war alles vorbei gewesen, von einem Moment auf den anderen. Auch jetzt noch kam es Amber völlig unwirklich vor. Wie konnte ihr Verlobter tot sein? Und sie sollte im nächsten Monat seinen Bruder Alim heiraten, der mit schweren Verbrennungen im Krankenhaus lag und um sein Leben kämpfte …

„Es … es erscheint mir nicht angemessen.“ Amber versuchte, stark zu klingen, entschlossen. Aber wie immer versagte bei einer Konfrontation mit ihrem Vater ihr Selbstvertrauen.

Wie sehr sie seinen geduldigen, leidgeprüften Blick hasste! Sie kam sich dann immer schrecklich egoistisch vor oder, schlimmer noch, wie ein dummes kleines Mädchen. „Es gibt Wichtigeres als das Gerede der Leute, Amber. Das verstehst du doch sicher.“

Oh ja, sie verstand – natürlich. Scheich Fadis plötzlicher Tod hatte nicht nur sein, sondern auch ihr Land schwer erschüttert. Der von allen verehrte Herrscher von Abbas al-Din war auf tragische Weise ums Leben gekommen, bevor er heiraten und einen Erben zeugen konnte. Ambers Volk betrauerte die gescheiterte Allianz mit einem Land, das so viel stärker und wohlhabender war als das eigene. In dieser kritischen Situation war es überaus wichtig, beiden Völkern Stabilität zu bieten.

Fadi, dieser Dummkopf! Eine Woche vor der geplanten Hochzeit hatte er für dieses lächerliche Autorennen sein Leben riskiert – in dem Bewusstsein, dass er sie nicht wollte und sie ihn auch nicht. Amber strich sich über die rot geschwollenen Augen. Immerhin hatten sie einander respektiert und sich gemocht. Keine schlechte Ausgangsbasis für eine arrangierte Ehe. Tausende von Paaren waren mit weniger angetreten.

Sie hätten es geschafft, dass ihre Ehe funktionierte. Doch jetzt … Es kursierten bereits die ersten Gerüchte. Und sie verursachten Amber quälende Albträume. Hatte Fadi tatsächlich absichtlich sein Leben aufs Spiel gesetzt, um einer Ehe mit ihr zu entkommen?

„Amber?“ Die Stimme ihres Vaters klang erschöpft, sogar verunsichert. „Die Dynastie muss fortgesetzt werden, das weißt du.“

„Dann lass eine andere sie fortsetzen“, konterte sie unwirsch. „Habe ich nicht schon genug getan?“

„Wen schlägst du vor? Deine Schwestern Maya, Nafisah und Amal sind noch zu jung, ebenso wie deine Cousinen. Du bist die Älteste und bereits mit der Familie al-Kanar verbunden. Die Tradition sieht vor, dass sie einen neuen Ehemann innerhalb des Familienclans für dich finden. Und du wirst ihr Angebot annehmen, das bist du der Ehre und dem Wohlergehen unserer Familie schuldig.“

Scham mischte sich mit Zorn, aber Amber presste die Lippen zusammen und schwieg, während es in ihr brodelte. Warum wurde ihr eine so schwere Last auferlegt? Ich bin doch erst neunzehn! wollte sie herausschreien.

Es war so furchtbar ungerecht … Einige hatten den ganzen Spaß, die anderen durften sich mit lebenslangen Verpflichtungen herumplagen. Alim zum Beispiel – er hatte die Verantwortung schon vor Jahren gegen eine Karriere als Rennfahrer eingetauscht. Während seinem jüngsten Bruder – wie hieß er noch gleich? – die ganze Arbeit aufgebürdet worden war. Gut, Alim hatte sich nicht nur als Rennfahrer einen Namen gemacht, sondern auch als Geologe. Er hatte auf diese Weise zum Ruhm und Wohlstand seines Landes beigetragen.

In diesem Moment wurde Amber bewusst, wer der nächste Heiratskandidat sein könnte – ein Gedanke, den sie alles andere als abschreckend fand.

Sie spürte die Hand ihres Vaters schwer auf ihrer Schulter und musste sich beherrschen, nicht zurückzuzucken. Die Geste war nicht tröstlich gemeint, wie Amber sehr wohl wusste, sondern sollte ihr bedeuten, dass es sinnlos war, sich gegen ihr Schicksal aufzulehnen. Frauen ihres Standes fügten sich ohne zu klagen in ihr Los, Tränen waren nicht erlaubt. Höchstens in der Abgeschiedenheit ihrer Privaträume.

„Du weißt doch, Amber, diese Heirat ist unausweichlich. Ein Bruder oder der andere, was macht das schon für einen Unterschied für dich? Du bist erst zwei Monate vor seinem Tod hergekommen und kanntest Fadi ja kaum. Und in den zwei Monaten hat er entweder gearbeitet, oder er ging aus.“

Ihre Wangen brannten, sie senkte den Kopf. Natürlich wusste sie genau, wohin Fadi immer gegangen war: zu seiner Geliebten, mit der er sogar ein Kind hatte. Bei seiner Rückkehr haftete ihm jedes Mal Rafas Geruch an. Jedes Mal hatte er mit schmerzerfülltem Blick beteuert, dass er mit Rafa Schluss machen würde, sobald sie erst verheiratet wären. Rafa, seine wahre Liebe, die unstandesgemäße Rafa, ein ehemaliges Dienstmädchen, das er nie zu seiner rechtmäßigen Ehefrau hätte machen können …

Eine tragische Geschichte … Amber errötete. Auch sie war in einen anderen verliebt, wenn auch nur von Weitem. Fadi hatte das gewusst, sie verstanden und getröstet. Was für einen guten Freund sie mit ihm verloren hatte! Ein unersetzlicher Verlust. Und doch … Ja, und doch erlaubte sich ihr verräterisches Herz einen aufgeregten Hüpfer. Ihre heimliche Liebe war nicht länger verboten …

„Ich bin noch in Trauer. Trotzdem erwartest du, dass ich Fadis Bruder heirate, der zudem mit schweren Verbrennungen im Krankenhaus liegt? Wirkt das nach außen hin nicht ziemlich … verzweifelt?“ Sie schämte sich ihrer erwartungsvollen Vorfreude, betete, dass ihr Vater ihr ihre wahren Gefühle nicht vom Gesicht ablas. „Kannst du Alim nicht bitten, die Hochzeit um ein paar Monate zu verschieben, bis …“

„Du wirst nicht Alim heiraten“, unterbrach der Scheich sie schroff.

Sie schoss aus ihrem Sessel hoch. „Was?“

„Es tut mir leid“, sagte ihr Vater leise. „Aber Alim ist letzte Nacht aus dem Krankenhaus verschwunden. Offenbar ist er nicht bereit, Fadis Erbe anzutreten. So schnell wird er sich wohl nicht wieder hier blicken lassen.“

Das war der richtige Augenblick für einen hysterischen Schreikrampf, den Amber sich selbstverständlich verkniff. Frauen ihres Standes beherrschten sich stets, auch wenn sie gerade von dem Mann, in den sie heimlich verliebt waren, sitzen gelassen wurden. „Wo ist er hin? Wie hat er es überhaupt geschafft, die Klinik zu verlassen?“

„Wir vermuten ihn in der Schweiz. Er muss seine Flucht während der wenigen Stunden, in denen er bei Bewusstsein war, vorbereitet haben, wahrscheinlich mithilfe des medizinischen Personals seines Rennteams.“

„Wie verzweifelt muss er gewesen sein, in seinem Zustand aus dem Krankenhaus zu fliehen, nur um einer Ehe mit mir zu entkommen.“ Amber verspürte einen Anflug von Übelkeit.

„Ich würde das nicht persönlich nehmen, Liebes. Er kennt dich ja kaum. Nein, ich denke, er hat es aus Prinzip getan. Vielleicht war es auch eine Art Trauerreaktion.“ Der Scheich schauderte, eine Regung, die Amber ihm gar nicht zugetraut hätte. „Man kann es ihm nicht verübeln, wenn man bedenkt, welche Rolle er bei Fadis Tod gespielt hat … Und dann aufzuwachen und überall auf seinem geschundenen Körper die transplantierte Haut seines Bruders zu entdecken … Vielleicht meinte er, ihm genug genommen zu haben. Sein Leben, seine Haut, grauenhaft … Dann auch noch die Braut seines Bruders zu heiraten, muss ihm vorgekommen sein, als hätte er es darauf angelegt.“

„Stimmt.“ Ihre Stimme klang bitter, das hörte sie selbst. Aber war das ein Wunder? Noch schlimmer konnte der Tag wohl nicht werden.

„Da du es vorziehst, nicht zu fragen, sage ich es dir. Harun, der jüngste der drei Brüder, ist an Fadis Stelle in der Erbfolge gerückt und hat sich einverstanden erklärt, dich zu heiraten.“

„Er war sicher hellauf begeistert!“, presste Amber hervor. „Abgewiesen von Bruder Nummer eins und zwei, wird jetzt also von mir erwartet, Bruder Nummer drei mit einem glückseligen Lächeln auf den Lippen zu nehmen. Muss ich denn jede Demütigung akzeptieren, Vater?“

„Du musst akzeptieren, was ich für dich bestimme, Amber.“ Es war keine Spur mehr von Wärme in seiner Stimme zu hören. „Dabei solltest du dankbar sein, dass ich mir so viele Gedanken um deine Verheiratung mache.“

„Oh, entschuldige bitte! Warum verfrachtest du mich nicht einfach ins Prinzessinnen-Asyl, damit ich dir nicht länger zur Last falle? Wie ein Hündchen, das, einmal verschenkt, wieder in deinen Besitz zurückgekehrt ist und für das jetzt ein neues Zuhause gesucht wird.“

„Schluss damit!“, unterbrach ihr Vater sie scharf. „Du bist eine schöne junge Frau. Es gab jede Menge Heiratskandidaten für dich, aber ich habe mich für die Familie al-Kanar entschieden. Es sind gute Männer.“

„Klar sind sie das! So gute, großartige Männer, dass sie wirklich alles tun, um mich nicht zur Frau nehmen zu müssen.“ Sie versuchte, so kalt wie möglich zu klingen. Wollte ihren Vater unter keinen Umständen merken lassen, wie es tatsächlich in ihr aussah. Alim, der attraktive und wilde Rennfahrer-Scheich, hatte seine Genesung, wenn nicht sogar sein Leben aufs Spiel gesetzt, um ihr zu entfliehen. Eine größere Demütigung war wohl kaum vorstellbar … „Bin ich denn so abscheulich, Vater?“, brach es aus ihr heraus. „Was stimmt bloß nicht mit mir?“

„Ich verstehe, du musst deinen Gefühlen Luft machen.“ Eine äußerst unwürdige Anwandlung in seinen Augen, so wie er das Wort Gefühle betonte. „Ich darf dich aber daran erinnern, dass wir nicht zu Hause sind, Amber. Lautstarke Nervenzusammenbrüche schicken sich nicht für Prinzessinnen.“

„Kaum zu glauben, dass der Dritte im Bunde das Risiko wagt“, fuhr sie bitter fort, ohne auf die Worte ihres Vaters zu achten. „Biete ihm lieber eine meiner Schwestern an, vielleicht sind die al-Kanar-Brüder allergisch gegen mich.“

„Harun heiratet dich aus freien Stücken, Amber, daran besteht nun wirklich kein Zweifel“, wies der Scheich seine aufsässige Tochter zurecht.

„Oh, wie nobel von Bruder Nummer drei, die Bürde auf sich zu nehmen“, höhnte sie.

„Das reicht jetzt, Amber! Dein zukünftiger Mann hat einen Namen. Ich dulde nicht, dass du dich so aufführst und ihm Schande bringst. Er hat genug verloren!“

Natürlich … sie wusste, was von ihr erwartet wurde. „Ich verspreche, mich von nun an zu benehmen“, meinte sie gehorsam. „Meine Reaktion war unangemessen. Ich habe nichts gegen Harun. Es tut mir leid, Vater.“

„Das sollte es auch.“ Trotz ihrer Entschuldigung war der Scheich immer noch verärgert. „Harun war erst acht, als sein Vater bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Keine drei Monate später starb seine Mutter. Jetzt hat er auch noch seinen ältesten Bruder verloren, der wie ein Vater für ihn gewesen ist.“

Er furchte düster die Stirn. „Kannst du dir vorstellen, wie schwer es gewesen sein muss, das plötzliche Machtvakuum auszufüllen, das der Tod des einen und der schwere Unfall des anderen Bruders hat entstehen lassen? Das Land stand kurz vor einem Putsch. Jetzt ist Harun ganz allein mit der Verantwortung und muss an Alims Stelle die Position des Regenten übernehmen. Und das alles im Zustand tiefster Trauer. Er hat seine gesamte Familie verloren, Amber. Ist es wirklich zu viel verlangt, dass du aufhörst, ihn zu verspotten, und dich wie eine erwachsene Frau benimmst? Dass du ihm beistehst in dieser schlimmen Zeit?“

Jetzt schämte Amber sich ehrlich. Ihr Vater hatte recht, Harun war der eigentliche Leidtragende in dieser Geschichte. „Nein, das ist nicht zu viel verlangt. Verzeih mir bitte. Es ist nur … Er kommt mir immer so still, so zurückgezogen vor. Sagt nie ein Wort zu mir außer ‚Guten Morgen‘ und ‚Guten Tag‘. Er schaut mich kaum an und ist mir vollkommen fremd, verstehst du? Und ihn soll ich in einem Monat heiraten? Ist es nicht möglich, ihn erst einmal ein bisschen näher kennenzulernen und die Hochzeit zu verschieben? Sagen wir, um ein paar Monate?“

„Leider nein, es muss jetzt sein.“ Der Scheich klang bekümmert. Diesmal war es nicht, um ihr Schuldgefühle einzuflößen. „Die Haie umkreisen Harun bereits. Du weißt ja, wie instabil die Golfregion seit zwei Jahren ist. Früher wurde das Land von der al-Shabbat-Familie regiert. Bis Murans Verrücktheit dazu führte, dass Aswan vom al-Kanar-Clan die Macht übernahm. Seitdem betrachten die Clanführer der al-Shabbats die al-Kanars als Eindringlinge. Wenn es je eine Chance für sie gab, zu putschen und das letzte lebende Mitglied der Herrscherfamilie zu töten, dann jetzt.“

Amber schauderte. „Sie würden wirklich so weit gehen, Harun zu ermorden?“

Ihr Vater nickte grimmig. „Nicht nur ihn, sondern auch Alim. Im Grunde ist es keine ungünstige Wendung, dass er das Land verlassen hat und niemand seinen genauen Aufenthaltsort kennt. Im Krankenhaus wäre es ein Leichtes gewesen, ihn umzubringen. Einen Arzt oder eine Schwester bestechen, die Injektion eines tödlichen Gifts in den Infusionsbeutel, schon hätten die al-Shabbats die Macht in Abbas al-Din erneut an sich gerissen. Eine Nation, die unter den al-Kanars zu ungeahntem Wohlstand aufgeblüht ist.“

„Ich verstehe“, sagte Amber leise.

„Für uns ist diese Allianz unschätzbar wichtig“, fuhr ihr Vater eindringlich fort. „Es gab genug andere Herrscherfamilien, die über die Verheiratung einer Tochter eine Allianz mit diesem machtvollen Land gesucht haben. Dass die Wahl auf uns fiel, ein vergleichsweise armes Land, ist eine große Ehre. Es hat unser Volk mit Hoffnung erfüllt. Um ganz ehrlich zu sein: Hätte ich die Wahl gehabt, wem der drei Brüder ich dich zur Frau gebe, hätte ich mich immer für Harun entschieden.“

Die plötzliche Sanftheit in der Stimme ihres Vaters entging Amber. Sie war viel zu sehr mit ihrem Kummer beschäftigt. „Mir bleibt also keine Wahl, die Sache ist beschlossen.“ Sie konnte sich entweder dagegen auflehnen – oder die Zukunft in Würde akzeptieren.

„So ist es, mein Kind.“

Amber presste die Lippen zusammen und drängte die Tränen zurück. Wahrscheinlich sollte sie sogar dankbar sein, dass Harun sie vor der öffentlichen Schande bewahrte. Großartig, wirklich. Fadi war wenigstens ein Freund gewesen, und sie hatte ihn gemocht. „Auch ich werde meine Pflicht erfüllen, Vater“, sagte sie schließlich ergeben. „Wer weiß, am Ende entwickelt sich aus unserem gemeinsamen Verlust vielleicht so etwas wie eine Freundschaft zwischen Harun und mir.“

Der Scheich tätschelte ihr gütig die Hand. „Das klingt schon eher nach meiner tapferen Amber. Harun ist ein guter Mensch, auch wenn er ein bisschen still zu sein scheint. Ich weiß …“

An dieser Stelle hielt er kurz inne. Amber wünschte, er würde nicht aussprechen, was ihn so sichtlich zögern ließ. Doch den Gefallen tat er ihr nicht. „Ich weiß, du hast Alim sehr … bewundert. Das ist ja auch nur natürlich bei seinem blendenden Aussehen und seinem sportlichen Auftreten. Macht und Wohlstand seines Landes sind ihm zu verdanken, kein Zweifel.“

„Bitte, hör auf“, bat Amber gequält. „Sprich nicht weiter, Vater.“

Doch der Scheich fuhr unbarmherzig fort: „Amber, mein Kind, du bist noch zu jung … Zu jung, um zu verstehen, dass es nicht immer Männer wie Alim sind, die Geschichte schreiben. Die wahren Helden agieren nur zu oft im Verborgenen. Ich glaube ganz fest, dass Harun das Potenzial zu einem solchen Helden hat. Also rate ich dir, den Mann, den ich für dich ausgewählt habe, noch einmal genau anzuschauen. Wenn ihr nur wollt, könnt ihr ein angenehmes Leben zusammen führen. Gib ihm eine Chance, und du wirst feststellen, dass ihr gut zusammenpasst.“

„Ja, Vater.“ Die Aussicht, gut zusammenzupassen, ein angenehmes Leben zu haben … Wie schal klang das im Vergleich zu diesem winzigen Moment der Hoffnung, einen Mann heiraten zu dürfen, dem ihre Leidenschaft, ihre Liebe gehören könnte!

In diesem Moment erregte eine Bewegung hinter der Tür ihre Aufmerksamkeit. Sicher das verflixte Personal, gierig nach Tratsch und Klatsch. Stolz hob sie das Kinn an und fixierte die Tür mit eisigem Blick. Sie spürte, wie jemand dahinter zurückwich, einen Schritt, zwei Schritte …

Gut so. Sollte die impertinente Dienerschaft nur gleich merken, dass sie sich keine Unverschämtheiten mit der neuen Herrscherin erlauben durfte. Und Herrscherin würde sie sein, das war beschlossen.

„Wenn du nichts dagegen hast, Vater, möchte ich jetzt gern ein bisschen allein sein“, bat sie leise.

„Du bist ein gutes Mädchen, du trauerst aufrichtig um Fadi.“ Noch einmal tätschelte er ihr die Hand, bevor er den Raum durch die Zwischentür verließ, die ihre beiden Zimmer verband.

Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, sagte Amber laut in den Raum hinein: „Wenn ich irgendwelche Gerüchte höre, was hier heute gesprochen wurde, werde ich dafür sorgen, dass ihr alle ohne Referenzen fristlos entlassen werdet. Ist das klar?“

Die Antwort war ein leises Rascheln und sich hastig entfernende Schritte. Erst als diese verklungen waren, warf Amber sich auf ihr Bett, um ihren Schmerz laut herauszuweinen. Sie weinte um den sanftmütigen Freund, den sie verloren hatte, um das, was hätte sein können, und sie dachte voller Grauen an den Albtraum, der ihr bevorstand.

Hinter der angelehnten Tür zu den Räumen von Prinzessin Amber ließ ein Mann die Hand sinken und trat einen Schritt zurück: Harun al-Kanar, Objekt der hitzigen Diskussion in dem Zimmer, das er gerade hatte betreten wollen.

Natürlich hatte er nicht beabsichtigt, zu lauschen. Doch als er zufällig seinen Namen hörte und durch den Spalt in der Tür Ambers verzweifeltes Gesicht sah, war er wie gelähmt gewesen vor Schreck. So sehr graute seiner Braut also vor der Ehe mit ihm … Nun, jetzt wusste er wenigstens Bescheid.

Abrupt wandte er sich um und floh in die Abgeschiedenheit seiner Räume. Er brauchte Ruhe, Zeit zum Nachdenken, die ihm nicht vergönnt schien. Dringende Staatsgeschäfte warteten auf ihn, unter anderem eine ziemlich überstürzte Vereidigungszeremonie. Nach Meinung seiner Berater duldete diese im Interesse der Stabilität des Landes keinen Aufschub.

Während der folgenden fünf Stunden war Harun also damit beschäftigt, sich dem Protokoll zu fügen und seine Antrittsrede zu halten. Keiner der Anwesenden merkte, wie sehr er in Gedanken mit der Trauer um seinen neun Jahre älteren Bruder beschäftigt war: Fadi, eher Vaterfigur als Bruder.

Seit Alims Verschwinden fühlte Harun sich entsetzlich einsam und allein. Was er natürlich perfekt zu verstecken wusste. Jahrelanges Training hatte ihn gelehrt, sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen. Sie zählten sowieso nicht, denn seine einzige Aufgabe war es, seinem Volk zu dienen. Ein verantwortungsvoller neuer Regent wurde gebraucht, und den würde sein Volk bekommen.

Und doch … Harun ertappte sich dabei, wie seine Gedanken während der Zeremonie ständig abschweiften. Nicht nur zu Fadi …

Dunkle Augen, sanft wie geschmolzener Honig. Samtige Haut im selben Farbton, rosige, volle Lippen und bezaubernde Grübchen, wenn diese Lippen lächelten. Eine Flut seidig schimmernder langer, dunkler Haare und der wiegende Gang: Visionen, die ihn alles um sich herum vergessen ließen, störten seine Konzentration auf die altehrwürdige Zeremonie.

Abends schließlich, als sich die Dunkelheit über die Stadt herabsenkte, saß Harun an seinem Schreibtisch und aß ein schlichtes Sandwich. Das Staatsbankett hatte er wenige Minuten nach Bekanntgabe seiner Verlobung mit Amber verlassen. Er hatte wichtige Geschäftsangelegenheiten vorgeschützt, denn er wollte Amber seine Gesellschaft nicht länger als unbedingt nötig zumuten. Ihr erstaunter, verletzter Blick hatte ihn kurz irritiert, doch dieses Bild verdrängte er entschlossen.

Konzentriert arbeitete er sich durch den Stapel Papiere auf seinem Schreibtisch, nur unterbrochen von einigen Anrufen anderer gekrönter Häupter und Präsidenten, die ihm gratulieren wollten. In ruhigen Momenten sah er immer wieder Ambers Gesicht vor sich. Doch dann verscheuchte er das verlockende Bild, um sich erneut in die Arbeit zu stürzen.

Ihre Worte hingegen gingen ihm nicht aus dem Kopf. Sie hatte ganz recht, bis jetzt hatte er sie kaum eines Blicks gewürdigt. Aber nicht, weil er sie nicht mochte, sondern weil er es nicht wagte, sie anzuschauen. Zu sehr schämte er sich dafür, dass es ausgerechnet die Verlobte seines Bruders war, nach der er sich in unruhigen Nächten verzehrte. Selbst ihr Name erfüllte ihn mit schmerzlicher Sehnsucht: Amber, Bernstein, kostbar und wunderschön.

Bis gestern hätte er nie zu träumen gewagt, dass er sich einmal mit diesem Juwel würde schmücken können.

Scheich Aziz’ Angebot, Amber zur Frau zu nehmen, hatte den trauernden Harun völlig überrascht. Ohne weiter darüber nachzudenken, hatte er Ja gesagt. Und mit diesem Ja keimte eine Regung in ihm auf, die er schon nicht mehr für möglich gehalten hatte: Hoffnung. Hoffnung, seinen ganz persönlichen Albtraum nicht länger allein durchstehen zu müssen. Hoffnung, dass sie einander Trost schenken könnten. Deshalb war er heute zu Amber gegangen, um ihr das zu sagen.

Eine Hoffnung, die in tausend Scherben zerbarst, als er die Unterhaltung zwischen ihr und ihrem Vater mit angehört hatte. Natürlich wollte Amber Alim, seinen attraktiven, charismatischen Bruder, den Helden der Nation. Welche Frau wollte ihn nicht?

So hatte sich Haruns flüchtiger Traum von Hoffnung und Trost in einen weiteren Albtraum verwandelt. Es gab kein Entkommen, weder für ihn noch für sie.

Dummkopf! Hatte er nicht schon vor langer Zeit lernen müssen, dass ihm solche Träume nicht vergönnt waren? Fadi, dem zukünftigen Herrscher, ja. Auch Alim, dem Helden und Liebling der Nation. Wie stolz seine Eltern auf ihn gewesen wären … Alim, das Goldkind. Natürlich gehörte Ambers Herz ihm – und natürlich legte Alim gar keinen Wert darauf. Er hatte sie kurzerhand zurückgewiesen, hatte Harun die Verantwortung für sie und das Land überlassen und sich einfach in die Schweiz abgesetzt. Ohne Abschied oder Erklärung.

Und doch liebte Harun seinen Bruder. Er würde alles für ihn tun, wie jedermann hier. Das wusste Alim nur zu gut. Er wusste, Harun würde die Regierungsverantwortung klaglos übernehmen und sich für sein Volk aufopfern.

So war er erzogen worden – die Pflichten gegenüber seinem Land zu heiligen.

Also würde er Amber heiraten. Aber er würde sie nicht anrühren, das schwor er sich. Er hatte genug davon, hinter seinem Bruder die Scherben aufzukehren. Wie oft hatten dessen Verflossene verzweifelt im Palast angerufen, sich ihm sogar angeboten, in der vagen Hoffnung, er könnte Alim umstimmen … Genug war genug.

Du bist nur heiß auf sie, mehr ist es nicht, sagte er sich nüchtern. Dieses Verlangen konnte er unterdrücken, das musste möglich sein. Zumindest immer noch besser, als mit ihr zu schlafen, während sie willenlos an die Decke starrte und an Alim dachte …

Sein Magen schmerzte, Harun war der Appetit vergangen. Achtlos warf er den Rest seines Sandwiches in den Papierkorb.

Erst weit nach Mitternacht zog er sich in sein Schlafzimmer zurück. Er scheuchte die wartenden Dienstboten unwirsch weg, ließ sich schwer auf die Brokatdecke seines reich verzierten Bettes sinken, zerrte das Moskitonetz beiseite und streckte sich aus. Zum Schweigen verdammt, denn jedes ungewohnte Geräusch würde seine Bodyguards auf den Plan rufen.

Vielleicht würde sein stummes Flehen erhört.

Fadi, mein Bruder, mein Vater! Oh Allah, ich bitte dich, lass Alim leben und zu mir zurückkehren!

Autor

Melissa James
Melissa, in Sydney geboren und aufgewachsen, lebt heute zusammen mit ihrem Ehemann, drei sportverrückten Kindern, einem Dingo und einem Kaninchen an der Küste in einem ländlichen Vorort, nur eine Stunde nördlich der Sydney Harbor Bridge.
Die ehemalige Krankenschwester, Kellnerin, Parfüm/Schokolade-Verkäuferin (hmmm!) und Geschichtsstudentin ist an allem interessiert, was mit Historischem...
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