Das leidenschaftliche Spiel des Tycoons

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Wie kann Kunstexpertin Sia beweisen, dass Hoteltycoon Sebastian Rohan de Luen ein kostbares, von ihr begutachtetes Gemälde gestohlen und durch eine Fälschung ersetzt hat? Ihr gewagter Plan: den vermeintlichen Betrüger verführen, das Gemälde finden und zurückstehlen. Doch kaum arrangiert sie eine Zufallsbegegnung in Londons exklusivstem Club, stockt ihr der Atem. Sebastian ist so umwerfend attraktiv, dass er sie vom ersten Moment an unwiderstehlich in seinen sinnlichen Bann zieht. Sie ahnt nicht, dass auch er ein Spiel mit ihr treibt …


  • Erscheinungstag 06.04.2021
  • Bandnummer 2487
  • ISBN / Artikelnummer 9783733718657
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Befragender 1: Miss Keating, ist Ihnen klar, dass dieses Gespräch ausschließlich für den internen Gebrauch von Bonnaire’s aufgezeichnet wird und dass Sie keinen Anwalt benötigen?

Miss Keating: Leider bin ich nicht davon überzeugt, dass ich keinen benötige.

Befragender 1: Aber Sie verstehen, was ich eben gesagt habe?

Miss Keating: Ja.

Befragender 1: Würden Sie dann bitte erläutern, wie Sie zu dem Schluss gekommen sind, dass es sich bei dem fraglichen Gemälde um eine Fälschung handelt?

Miss Keating: Wie ich bereits erklärt habe, war das Gemälde, das ich in Sharjarhere begutachtet habe, definitiv keine Fälschung.

Befragender 1: Aber Sie haben angegeben, das Bild mit dem Titel Woman in Love, das am Abend des einundzwanzigsten Juni vor geladenen Gästen im Londoner Auktionshaus Bonnaire’s zur Versteigerung anstand und beschädigt wurde, sei eine Fälschung?

Miss Keating (zögert kurz): Ja. Dieses Gemälde ist eine Fälschung.

Befragender 2: Und Sie behaupten, dieses sei ein anderes als das Bild, das Sie in Sharjarhere begutachtet, dessen Echtheit Sie beglaubigt und dessen Wert Sie geschätzt haben? Das Sie dem Maler Etienne Durrántez zugeschrieben haben und das sich im Besitz von Scheich Alham Abrani befindet?

Miss Keating: Ja.

Befragender 2: Wieso?

Miss Keating: Weil ich sehr gut in meinem Job bin.

Befragender 1: Dazu kommen wir später. Können Sie die Umstände beschreiben, unter denen Sie das beschädigte Gemälde als Fälschung identifiziert haben?

Das schrille Klingeln ihres Handys durchdrang Sia Keatings Albtraum.

Sofort wurde sie von einer unheilvollen Ahnung gepackt. Eine, die sich noch verstärkte, als sie das Handy an ihr rechtes Ohr presste und die Worte des Anrufers hörte.

„Wir haben ein Problem, Sia.“

Ihr Herz sank dermaßen rasch, dass sie kein Wort herausbrachte. David, Leiter der Abteilung Wissenschaftliche Forschung, trug den Spitznamen Kunstdetektiv. Sosehr Sia den besonnenen Mann mit der Brille auch mochte – wenn er einen Gutachter anrief, gab es dafür nur einen einzigen Grund.

„Das Abrani-Gemälde“, fuhr er fort. „Es ist beschädigt worden.“

Mit der freien Hand zerrte Sia die Bettdecke zur Seite und strich sich die Haare aus der Stirn. Die Sorge um das Kunstwerk vertrieb die Benommenheit, die der Albtraum hinterlassen hatte. „Wie denn?“

„Offenbar gab es eine tätliche Auseinandersetzung.“

„In Auktionshäusern gibt es keine tätlichen Auseinandersetzungen.“ Verwirrt spähte sie auf die Uhr neben ihrem Bett. Zwei Uhr morgens. Warum rief David sie an, wenn das Kunstwerk beschädigt worden war?

„Heute Abend schon. Aber das Bild … Könntest du herkommen und einen Blick darauf werfen? Irgendetwas stimmt nicht.“

Die gesamte Strecke von ihrer kleinen Wohnung in Archway bis zum Auktionshaus in Goodge Street hämmerte Sias Herz vor Angst. Jener Angst, die das Ende von Karrieren einläutete.

Irgendetwas stimmt nicht …

Dieser Satz ließ lediglich eine bestimmte Schlussfolgerung zu. Während die U-Bahn geräuschvoll in das Londoner Zentrum ratterte, kreisten Sias Gedanken um vier Worte.

Es ist keine Fälschung. Es ist keine Fälschung. Es ist keine Fälschung.

Ausgeschlossen. Das Gemälde, das sie vor zwei Monaten in Sharjarhere begutachtet hatte, war keine Fälschung. Sia kontrollierte ihre Ergebnisse stets mehrmals. Musste es tun.

Sie kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit an. Die meisten Gutachter fielen mal auf Fälschungen herein, obwohl sie in der Regel hervorragend ausgebildet waren. Die Kunstfälscher waren einfach noch besser, noch engagierter, noch fleißiger. Das mussten sie auch sein, denn sie verdienten mehr Geld. Bis man sie schnappte.

Wie ihr Vater sie bei ihrem letzten Besuch im Gefängnis von der anderen Seite des Tisches im Besucherraum angesehen hatte, mit glänzenden Augen, den Körper leicht zur Seite geneigt, wie auf einem Gemälde von Vermeer … War das Absicht gewesen? Eine Pose, als wäre alles in seinem Leben – und auch in ihrem – eine Fälschung gewesen.

Es ist keine Fälschung. Es ist keine Fälschung. Es ist keine Fälschung.

Sia war kurzfristig für ihren kranken Kollegen Sean Johnson eingesprungen. Noch heute fühlte sie sich ein bisschen schuldig, weil sie sich derart über den Auftrag gefreut hatte. Und auch, weil sie Seans Erkrankung auf seinen Alkoholkonsum zurückgeführt hatte.

Bisher war sie bei Aufträgen wie diesem stets übergangen worden, egal, wie gut sie arbeitete, wie genau und gründlich. Zunächst hatte sie es sich damit erklärt, dass sie die Neue war. Dann mit Verfolgungswahn. Nach drei Jahren bei Bonnaire’s ohne großes Projekt hatte sie allerdings erkennen müssen, dass sie wieder einmal ihrem Ruf – oder besser gesagt, dem Ruf ihres Vaters – zum Opfer gefallen war.

Also hatte sie beschlossen, ein perfektes Gutachten abzuliefern. Nachdem sie ihrer Freundin Célia d’Argent in Athen geholfen hatte, bei einer Versteigerung Geld für wohltätige Zwecke einzusammeln, war sie nach Sharjarhere geflogen. Hatte der Erfolg der Benefiz-Auktion sie abgelenkt, sodass ihr im Palast etwas entgangen war? Sie schüttelte den Kopf, womit sie ein Stirnrunzeln erntete von einem der wenigen Menschen, die wie sie zu dieser frühen Stunde in der U-Bahn saßen.

Nein. Sie hatte alles geprüft: Unterschrift, Kunststil, Farbe, Leinwand. Hatte den Rahmen entfernt und die Rückseite des Gemäldes unter die Lupe genommen. Sämtliche Details waren korrekt gewesen. Auch die Untersuchung mit UV-Licht hatte nichts Irritierendes ergeben.

Hinzu kam Sias Instinkt. Der hatte ihr bestätigt, dass ein Werk von Etienne Durrántez, einem der berühmtesten Künstler des neunzehnten Jahrhunderts, vor ihr lag. Für sie spielte es keine Rolle, dass dieses Bild mehr als hundert Millionen Pfund einbringen würde. Sie fragte sich auch nicht, wer eine solch unerhört hohe Summe dafür zahlen wollte. Ihr ging es um das Gemälde selbst.

Das unbekannte Modell schaute den Betrachter mit demselben undefinierbaren, wissenden Ausdruck in den Augen an wie die Mona Lisa. Das kaum wahrnehmbare Lächeln passte genau zum Titel des Bildes: Woman in Love. Die langen dunklen Haare beeindruckten sogar Sia, deren tizianrote gewellte Mähne so auffällig war, dass sie sie fast immer im Nacken zu einem Dutt zusammensteckte. Den roten Lippenstift trug die Frau nicht etwa arrogant, sondern stolz und selbstbewusst. Bei dem Anblick hatte Sia sich gewünscht, sie hätte die geheimnisvolle Dame gekannt.

Das Gemälde hatte sie dermaßen fasziniert, dass es unmöglich eine Fälschung gewesen sein konnte. Unterschrift, Kunststil, Farbe, Leinwand, ging sie die Punkte im Geiste noch einmal durch. Herkunft.

Sie hielt den Atem an, nur ganz kurz. Man hatte ihr keinen Beleg für die Herkunft des Werkes gezeigt. Ihrem Vorgesetzten zufolge brauchte sie nicht danach zu fragen, weil die Unterlagen bereits an ihren Kollegen Sean geschickt worden waren. Und noch während sie dabei gewesen war, das Abweichen vom normalen Prozedere zu hinterfragen, hatte sie ihn gehört. Den Seufzer.

So oft hatte sie in ihren drei Jahren bei Bonnaire’s Seufzer wie diesen gehört. Sie sah ihren Vorgesetzten vor sich. Übergewichtig, mit roten Wangen, ständig leicht verschwitzt. Ein typisches Mitglied der Altherrenriege. Dem Seufzer folgte in der Regel eine herablassende Bemerkung über Sias Jugend, Geschlecht, Aussehen oder mangelnde Erfahrung.

In diesem Fall hatte ihr Vorgesetzter sie gemahnt, dass er ihr eine große Chance gab. Statt aus einer Mücke einen Elefanten zu machen, solle sie ihren hübschen Mund halten und sich an die Arbeit machen. Ja, das hatte er tatsächlich gesagt.

Als die U-Bahn jetzt die Station Goodge Street erreichte, ärgerte Sia sich schwarz, weil sie sich gefügt hatte, statt ihrem Bauchgefühl zu vertrauen. Sich selbst zu vertrauen.

Auf dem Weg vorbei an weggeworfenen Fast-Food-Schachteln und schwarzen Müllsäcken hielt sie den Kragen ihres Mantels mit einer Hand zusammen, um sich gegen die Windböen zu schützen. Am Hintereingang von Bonnaire’s zog sie ihren Hausausweis über das Kartenlesegerät und stieß die schwere Tür auf.

Normalerweise wären die Büros um diese Zeit leer gewesen. Heute jedoch saßen rund fünfzehn Leute dort. Durch die Glasscheiben des Konferenzraumes erspähte Sia zwei Direktoren. Einer brüllte gerade wütend in ein Telefon.

Sie verschwand im Treppenhaus und eilte drei Etagen abwärts zum Labor. Das schnelle Klickklack ihrer Absätze auf den Betonstufen hallte von den weißen Wänden wider.

Mehrere Laborassistenten starrten sie an, als sie zu dem langen Tisch ging, den David stets benutzte.

Der Leiter der Abteilung Wissenschaftliche Forschung saß am Computer und betrachtete Fotos von den Tests mit Infrarotlicht und ultraviolettem Licht. Dann rief er Röntgenbilder auf. Sobald er Sia bemerkte, winkte er sie heran und scheuchte ein paar Leute von dem beschädigten Gemälde weg.

Entsetzt schnappte sie nach Luft. Rote Tropfen liefen auf dem Bild hinunter. Vermutlich Wein. Der Alkohol mischte sich mit der Farbe. Die schwarze Farbe, mit der die Haare gemalt worden waren, rann der Woman in Love über die hellen Wangen, und das Silber ihrer langen Kette sickerte unten in den Rahmen, auf eine Weise, die beim Original nicht passiert wäre. Bei dem Bild, dessen Wert Sia auf über hundert Millionen Pfund geschätzt hatte.

„Es ist eine Fälschung!“, rief sie.

„Ja.“

Sie sank auf den Stuhl vor dem Gemälde. „Dies ist nicht das Bild, das ich begutachtet habe, David. So ein Fehler wäre mir nie passiert. Hast du die Fotos aus meiner Akte durchgesehen?“

David lehnte sich an den Tisch und blickte sie finster an. „Ich … Sie haben mir keinen Zugang zu der Akte gegeben.“

„Aber – wie sollst du dieses Bild dann mit dem Gutachten abgleichen?“

„Hör mal, Sia, du solltest wissen …“

Sie hörte ihn nicht. Ihr Blick war auf ein Video geheftet, das in einem kleinen Fenster am Rand von Davids Computerbildschirm lief. „Was ist das?“

„Ein Film der Überwachungskamera. Anscheinend sind zwei Typen in der Nähe des Bildes aneinandergeraten.“

Sia erschrak, als die beiden Männer auf dem Film handgreiflich wurden und einer von ihnen zielsicher ein Glas Wein auf das Gemälde warf. „Ist das Savior Sabbatino?“

„Ja. Der andere ist sein Bruder, Santo.“

Die Sabbatino-Brüder erschienen regelmäßig auf den Titelseiten von Klatschzeitschriften. Der potenzielle Schaden für das Gemälde, seinen Verkäufer und das Auktionshaus wurde immer unüberschaubarer.

„Kannst du zurückspulen?“, fragte Sia.

Wieder und wieder schaute sie sich die kurze Sequenz an. Das Weinglas, das auf die Leinwand geschleudert wurde und zerbarst. Der Schock, der nicht nur den Sabbatino-Brüdern ins Gesicht geschrieben stand, sondern auch allen übrigen handverlesenen Gästen, die mit einer Mischung aus Entsetzen und Faszination auf das beschädigte teure Werk starrten …

Da kam die Szene wieder. Ein einziger Gast im ganzen Raum drehte nicht den Kopf. Statt hinzusehen wie ein Autofahrer, der eine Unfallstelle passierte, stand er mit dem Rücken zum Gemälde und nippte an seinem Drink. Sia hätte schwören mögen, dass er fast unmerklich lächelte.

Diesen Mann hätte sie überall wiedererkannt. Genau wie jede andere Frau aus Fleisch und Blut, ob sie nun eine Schwäche für Milliardäre mit schlechtem Ruf besaß oder nicht.

Befragender 1: Sie haben also sofort Sebastian Rohan de Luen verdächtigt?

Miss Keating: Scheich Abrani hatte klare Anweisungen gegeben. Das Gemälde sollte niemals an Seba… Mr. Rohan de Luen verkauft werden. Der hat im letzten Jahrzehnt etliche Angebote dafür gemacht, allesamt deutlich über dem geforderten Preis, und Scheich Abrani hat jedes abgelehnt.

Befragender 2: Mr. Rohan de Luen ist ein Herzog, nicht wahr?

Miss Keating: Sein Vater war der spanische Duque de Gaeten, bevor er enteignet wurde. Allerdings geschah das, nachdem Seb… sein Sohn mit achtzehn Jahren in den Adelsstand erhoben wurde. Deswegen steht ihm der Titel vermutlich zu.

Befragender 1: Sie halten das Gemälde für eine Fälschung, doch am fraglichen Abend ist Mr. Rohan de Luen nicht einmal in der Nähe des Bildes gewesen.

Miss Keating: Er befand sich unter den geladenen Gästen.

Befragender 2: Der Film der Überwachungskamera zeigt, dass er den ganzen Abend nicht in der Nähe des Gemäldes war. Nach dem Vorfall ist er sogar noch geblieben, um als Zeuge bei der Polizei auszusagen. Die war ja gerufen worden für den Fall einer möglichen Klage gegen die beiden Herren, bei deren Streit das Gemälde beschädigt wurde.

Miss Keating: Nun, er hätte sich wohl kaum gemeldet und gesagt: „Hier, ich war es“, oder?

Befragender 1 (räuspert sich): Und als Sie Ihren Vorgesetzten über Ihre Bedenken informiert haben?

Von Davids Labor war Sia schnurstracks zur Geschäftsführung fünf Etagen höher gegangen. Sie hatte zwar nicht genau gewusst, was sie erwartete, aber die Antwort ihres Vorgesetzten war es auf keinen Fall gewesen.

„Miss Keating, ich bitte Sie. Was ist wohl die plausiblere Erklärung? Dass Sie sich bei Ihrem Gutachten geirrt oder dass Sie einen echten Durrántez begutachtet haben, der auf dem Weg nach London zu Bonnaire’s irgendwie gestohlen und durch eine Fälschung ersetzt wurde, auf der dann im Zuge eines Streits ein volles Weinglas gelandet ist?“

Sia war kein Dummkopf. Ihre Theorie klang unglaubwürdig, doch ihr Bauchgefühl war eindeutig. Außerdem hätte sie niemals eine Fälschung übersehen. Das war das Einzige, was ihr Vater ihr vor seiner Verhaftung mitgegeben hatte: die Fähigkeit, eine Fälschung selbst aus einer Meile Entfernung zu erkennen.

„Wenn ich David rasch die Fotos zeigen könnte, die ich in Sharjarhere gemacht habe, dann …“

„Wir haben bereits mit Scheich Abrani telefoniert. Er hat sich ausführlich entschuldigt für jegliche Verwechslung, die es gegeben haben mag.“

Irritiert runzelte sie die Stirn. Unwahrscheinlich, dass der überaus selbstbewusste und arrogante Scheich sich je bei irgendwem entschuldigt hatte. Er würde nie einräumen, dass er – und sei es auch nur unabsichtlich – versucht hatte, einen gefälschten Durrántez zu verkaufen. „Aber …“

„Die Akte wurde versiegelt, und dabei bleibt es bis zum Abschluss unserer internen Untersuchung. Bis dahin sind Sie suspendiert, Miss Keating, und Sie werden mit niemandem, wirklich niemandem, über ihre Vermutungen reden. Sie werden auch keinerlei Kontakt haben zu Angestellten von Bonnaire’s, den Medien oder dem Duque de Gaeten.“

Das Blut wich Sia aus den Wangen. Suspendierung? Kontaktsperre? Versiegelte Akte? Das ergab keinen Sinn! Sie konnte ja nachvollziehen, dass Bonnaire’s die Beschädigung eines Kunstwerkes – selbst einer Fälschung – diskret behandeln wollte, bis man mit dem Verkäufer und dem potenziellen Käufer gesprochen hatte. Doch die Geschäftsführung hatte schon mit Scheich Abrani telefoniert. Alle Beteiligten hielten das Bild für eine Fälschung, aber sie irrten sich. Das Original war gestohlen worden, und der Dieb kam ungeschoren davon. Bestraft wurde nur Sia.

Ihr angeschlagener Ruf und ihre noch sehr junge Karriere standen auf dem Spiel. Alles, wofür sie so hart gearbeitet hatte. Alles, wofür sie gekämpft hatte.

Sie schloss die Augen und weigerte sich, die aufsteigenden Tränen in Gegenwart ihres Vorgesetzten zu vergießen. Schon vor langer Zeit hatte sie gelernt, nicht vor anderen Menschen zu weinen.

Zuerst nicht vor ihrer Tante. Der hatte es nie gefallen, dass man sie zu ihr abgeschoben hatte, während sich Sias Mutter nach der Verhaftung ihres Mannes mit einem Geliebten nach dem anderen vergnügte. Das Heim der strengen, konservativen Eleanor Lang war ein Schock für die kleine Nichte gewesen. Im Atelier ihres Vaters hatte sie Stifte bekommen und drauflosmalen dürfen. Woher sollte eine Siebenjährige wissen, dass es einen wichtigen Unterschied gab zwischen dem weißen Papier an den Wänden des Ateliers und den magnolienfarbenen Wänden im Wohnzimmer ihrer Tante?

Später lernte sie, nicht vor den anderen Kindern in der Schule zu weinen. Mit ihren roten Haaren war sie ohnehin eine Zielscheibe gewesen, auch ohne die Fotos von ihrem Vater – dem berüchtigtsten Kunstfälscher Englands – in den Zeitungen. Mütter hielten ihre Kinder von Sia fern, und manche Lehrer beäugten sie, als wäre sie drauf und dran, ihnen die Schuhe von den Füßen zu klauen.

Tante Eleanor sorgte für Essen und ein Dach über dem Kopf, doch für alles darüber hinaus war das Geld knapp. Also jobbte Sia nach Schulschluss, wenn sie nicht gerade ihre Nase in ein Buch steckte und Fotos von Gemälden betrachtete, die ihr Vater in ihrer Gegenwart mit solcher Freude kopiert hatte. Ich muss studieren, wusste sie. Was für einen Beruf sie später auch immer ergriff, es musste ein richtiger sein. Über jeden Zweifel erhaben. Etwas, das ihr niemand wegnehmen konnte.

Und doch hatte man es ihr weggenommen. Obwohl sie die Regeln befolgt und alles richtig gemacht hatte. Ihr Studium war teuer gewesen. Die Schulden dafür betrugen fast achtundzwanzigtausend Pfund. An diesem Berg hatte sie mit dem Lohn von Bonnaire’s gerade mal gekratzt. Schon ein einziger Monat, in dem sie suspendiert war, konnte ihrer Bonität erheblich schaden. Ganz zu schweigen von der Frage, wie sie die Miete zahlen sollte.

Ihr wurde übel. Vor ihr stieg das körnige Bild von Sebastian Rohan de Luen auf, der mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln das Whiskyglas zu den Lippen hob. Er hatte seine Finger im Spiel, das wusste sie mit derselben Bestimmtheit, mit der sie ein Original von einer Fälschung unterscheiden konnte. Und sie würde alles Nötige tun, um es zu beweisen.

Befragender 1: Also haben Sie den Duque de Gaeten entgegen den Anweisungen ihres Vorgesetzten kontaktiert.

Befragender 2 (lacht leise): Und wie ist das angekommen?

Weniger als vierundzwanzig Stunden hatte sie gebraucht, um einen Plan zu schmieden und den Duque aufzuspüren. Der Mann war in den sozialen Medien so präsent, dass Sia ihn problemlos fand. Zeitraubender war es, ihren Mut zusammenzunehmen. Ihr Plan war einfach: Sebastian verführen, das Gemälde finden und stehlen. Zurückstehlen. Gewiss war es nicht illegal, Diebesgut zurückzubringen?

Selbst dann nicht, wenn sie davon profitierte. Denn wenn sie das Original zurückbrachte, stand fest, dass sie keinen Fehler gemacht hatte. Bonnaire’s würde die Suspendierung aufheben. Sie würde beweisen, dass sie gut in ihrem Job war.

Dass sie kein bisschen wie ihr Vater war.

Sia verdrängte den Gedanken und steuerte auf ein Gebäude zu, das auf den ersten Blick wie eins jener typischen, astronomisch teuren Reihenhäuser im Stadtteil Mayfair aussah. Jede glänzende schwarze Eingangstür hatte einen bronzenen Türklopfer in Form eines Löwenkopfes und wurde von zwei ionischen Säulen eingerahmt. Allerdings konnte man nur durch die Tür eintreten, vor der ein großer Mann im Anzug stand. Im Inneren hatte man sämtliche Mauern zwischen den Häusern abgerissen und den Komplex zu einem von Londons angesagtesten privaten Nachtclubs umgebaut.

Nachdem Sia herausgefunden hatte, wo Sebastian sich aufhielt, war ihr klar gewesen, dass sie Hilfe brauchte. Auf keinen Fall hätte man sie auch nur bis auf fünfzig Meter an ihr Ziel herangelassen. Ihre Freundin Célia hingegen … Schon vor der Hochzeit mit dem griechischen Reeder Loukis Liordis hatte Célia eine Firma besessen, deren Ruf ihr viele Türen geöffnet hatte. Einschließlich dieser.

„Selbst wenn ich dir Zugang verschaffen kann, chérie, musst du glaubwürdig auftreten. Natürlich bist du immer wunderschön, aber hier wirst du auch reich wirken müssen.“

Angesichts der Worte ihrer Freundin war Sias Mut ein wenig gesunken.

„Es ist wichtig, oui?“, vergewisserte Célia sich.

„Ja.“

„D’accord.“

Zwei Stunden später hatte Sia im Nobelkaufhaus Harrods eine Dame namens Penelope getroffen, die sie mit einem Abendoutfit, einer schicken Frisur und Make-up ausstattete und die Rechnung an Célia schickte.

Sia hatte gedacht, sie würde ein schwarzes Kleid anziehen, sich dezent schminken und die Haare wie üblich im Nacken zu einem praktischen Dutt stecken. Spionagemäßig halt.

Als sie jetzt an sich herunterblickte und ein Streifen Seide unter dem Kaschmirmantel hervorblitzte, keimte Freude in ihr auf. Petrolfarben hatte Penelope das Kleid genannt. Sia hatte sich auf die Zunge gebissen, denn der Stoff war nahezu Preußischblau. Ihre Lieblingsfarbe – und auch die ihres Vaters. Sie hatte noch nie ein Kleidungsstück in diesem Farbton getragen, aber beim Blick in den Spiegel war sie sprachlos gewesen, weil es so gut zu ihrer hellen Haut passte und ihren tizianroten Haaren einen goldenen Schimmer verlieh.

„Das wäre ja eine Sünde“, hatte der Stylist auf ihren Wunsch nach einem Dutt hin protestiert. Daraufhin war Sia rot geworden und hatte ihm freie Hand gelassen. Schließlich war sie mit offenen, sanft gewellten und scheinbar unfrisierten Haaren aus dem Salon marschiert. Plötzlich wirkten ihre Gesichtszüge viel weicher.

Sie ging auf den Mann vor der schwarzen Tür des Privatclubs Victoriana zu und erwartete halb, dass er sie trotz Célias Bemühungen abwies. Stattdessen begrüßte er sie mit ihrem Namen und hielt ihr die Tür auf.

Eine junge Frau in Reithosen aus Tweed und passender Weste über einem weißen Hemd begrüßte sie. Sia verkniff sich das Lachen. Verstohlen hielt sie nach einer Reitgerte Ausschau.

Die Angestellte nahm ihr den Kaschmirmantel ab und führte sie in einen Raum, den man Wohnzimmer hätte nennen können, wenn er nicht so riesig gewesen wäre. Ein Tresen aus Marmor erstreckte sich über eine Längsseite. Dahinter standen Barkeeper, ebenfalls in Reituniformen. Gäste plauderten miteinander. Die junge Frau zählte auf, welche Räume es noch gab: Bibliothek, Billardzimmer, Frühstückszimmer, Orangerie …

Wenig später fand Sia sich auf einem kunstvoll gedrechselten Barhocker aus Mahagoni wieder, dessen Sitzfläche mit grünem Leder bezogen war. Ein Barkeeper strahlte sie erwartungsvoll an.

„Was darf ich Ihnen bringen?“

Sebastian Rohan de Luen, dachte sie. Der Mann deutete ihr Schweigen als Unentschlossenheit und fragte freundlich: „Welche Aromen schmecken Ihnen?“

„Ingwer. Rum.“ Sia trank selten Alkohol, fand aber, es könne nicht schaden, sich ein wenig Mut anzutrinken. Nur einen Cocktail, denn sie musste einen klaren Kopf behalten.

Während der Barkeeper ihren Drink mixte, schaute sie sich um. Eine berühmte Schauspielerin unterhielt sich mit einem männlichen Model, dessen Foto derzeit die Werbewände des Piccadilly Circus zierte. Ein Politiker kam einer Frau viel näher, als er sollte, und eine Nachrichtensprecherin diskutierte hitzig mit einem ausländischen Würdenträger.

Doch all diese Menschen traten in den Hintergrund, als Sia den großen, dunkel gekleideten Mann in der Ecke sah, der sich leicht vorbeugte, um seiner schönen Begleiterin zuzuhören.

Sia hatte den spanischen Duque gefunden. Trotzdem fühlte sie sich, als säße nicht er, sondern sie selbst in der Falle.

Sie konnte den Blick nicht von ihm losreißen. Es war, als hätte jemand in ihrem Inneren einen Funken entzündet, der sie alles viel intensiver wahrnehmen ließ. Die Seide auf ihrer Haut. Die Stimmen um sie herum. Die Art, wie der große rote Edelstein an der Halskette seiner schönen Begleiterin im Licht funkelte. Aber nichts nahm sie stärker wahr als ihn.

Auf den Wangen und dem markanten Kinn, das ihn so entschlossen wirken ließ, erspähte Sia die Andeutung von Bartstoppeln. Sie hatten den Farbton gebrannter Umbra, genau wie seine dichten gewellten Haare, bei deren Anblick ihre Finger kurz zuckten. Obwohl das Licht in der Ecke schwächer war als an der Bar, erkannte sie, dass seine Haut einen beinahe honigfarbenen Farbton hatte, satt und verlockend. Unter seinem maßgeschneiderten, offenkundig teuren Anzug zeichneten sich breite Schultern ab, ein flacher Bauch und athletische Oberschenkel. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit sehnte Sia sich nach einem Skizzenblock. Sie wollte das Profil dieses Mannes zeichnen, seine Gesichtszüge und seine Ausstrahlung auf dem Papier einfangen …

Plötzlich hielt er inne. Vermutlich fiel es niemandem außer ihr auf, doch sie hatte ihn dermaßen konzentriert beobachtet, dass die leise Veränderung für sie dem schrillen Klingeln eines Weckers glich.

Zielsicher hob Sebastian Rohan de Luen den Kopf und blickte Sia geradewegs in die Augen. Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Unwillkürlich hielt sie die Luft an. Fast hätte sie geflucht, als sie denselben Anflug eines Lächelns sah, den sie vom Film der Überwachungskamera kannte.

Dies mochte der attraktivste Mann sein, den sie je zu Gesicht bekommen hatte. Ihm mochten Luxushotels auf der ganzen Welt gehören. Er mochte adelig sein. Aber er war auch der Mann, der ihre Karriere und ihre Zukunft zerstört hatte.

Autor

Pippa Roscoe
<p>Pippa Roscoe lebt mit ihrer Familie in Norfolk. Jeden Tag nimmt sie sich vor, heute endlich ihren Computer zu verlassen, um einen langen Spaziergang durch die Natur zu unternehmen. Solange sie zurückdenken kann, hat sie von attraktiven Helden und unschuldigen Heldinnen geträumt. Was natürlich ganz allein die Schuld ihrer Mutter...
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