Das Showgirl und der Milliardär

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Für die zarte Tänzerin Gigi Valente ist das L'Oiseau Bleu in Paris ihr wahres Zuhause. Und das will der eiskalte Khaled Kitaev jetzt schließen. Das muss sie verhindern! Doch wie weit geht sie mit diesem Mann, dessen glutvolle Blicke sie atemloser machen als ein Tanz im Cabaret?


  • Erscheinungstag 22.08.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751535427
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Gigi, komm da runter. Du wirst dir das Genick brechen!“

Sie ignorierte den Zuruf und kletterte geschickt am Bühnenvorhang neben dem vier Meter hohen Aquarium hoch, in dem sie heute Abend zusammen mit zwei schläfrigen Pythons schwimmen würde: Jack und Edna. Wenn sie nicht vorher entlassen wurde.

Die Leiter, die es ihr leichter gemacht hätte, war nicht zu sehen. Aber Gigi war daran gewöhnt, an einem Seil hochzuklettern. Das hatte sie bereits mit neun Jahren im Zirkus ihres Vaters getan. Im Vergleich dazu war der Samtvorhang ein Kinderspiel.

Jetzt der schwierige Teil. Sie umklammerte mit einer Hand den Rand des Aquariums, schwang ein Bein hinüber und legte sich bäuchlings auf den Sims.

Von unten kam ein deutlich vernehmbares Aufatmen.

Als Susie geschrien hatte: „Khaled Kitaev ist im Haus, vorn im Zuschauerraum, von der Bühne aus gesehen links“, war Chaos ausgebrochen. Während die anderen Girls nach ihren Lippenstiften gegriffen hatten, hatte Gigi das Aquarium betrachtet, an die großartige Aussicht von dort oben gedacht und nicht gezögert.

Und tatsächlich, unten zwischen den leeren Tischen und Stühlen, ins Gespräch mit den Theaterdirektoren vertieft, stand der Mann, der die Zukunft von ihnen allen in der Hand hatte. Er war umgeben von gefährlich aussehenden Bodyguards.

Gigi musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. Wenn man der meistgehasste Mensch in Paris war, sollte man besser Leibwächter haben.

Obwohl er nicht aussah, als würde er sie brauchen. Er stand mit dem Rücken zur Bühne, aber sie konnte erkennen, dass er die Arme verschränkt hatte, weil sich sein dunkelblaues Hemd über seinen breiten Schultern spannte.

„Gigi! Gigi, wie sieht er aus?“

Groß, schlank und muskulös.

Und in diesem Moment drehte er sich um.

Gigi erstarrte. So hatte er auf den Fotos im Internet nicht ausgesehen. Als wäre er gerade von einer Polarexpedition zurückgekehrt, auf der er mit bloßen Händen Eisschollen zertrümmert hatte.

Ein Bart, der schwarz und wild war wie sein Haar, verbarg seine untere Gesichtshälfte, aber seine hohen Wangenknochen, die gerade Nase und die tief liegenden Augen ließen ihn umwerfend aussehen – wie ein Filmstar. Sein welliges pechschwarzes Haar war so lang, dass er es sich hinter die Ohren geklemmt hatte.

Er war hager und wirkte hungrig, wie ein Mann, der zivilisiert werden musste. Warum sie bei dem Gedanken wohlig erschauerte, das wollte Gigi nicht gerade jetzt analysieren. Schließlich musste sie mit ihm sprechen und ihn dazu bringen, zuzuhören.

Er würde nicht zuhören. Er wirkte, als würde er sie verschlingen.

„Was ist da los?“, rief Lulu Lachaille nach oben. Sie war auf einen umgedrehten Lautsprecher gestiegen und zerrte an Gigis Knöchel.

„Ich weiß nicht. Gib mir noch eine Minute. Und hör auf, an mir zu ziehen, Lulu, oder ich falle wirklich runter.“

Lulu ließ los, aber von unten wurde Protest laut.

„Du bist kein Affe, Gigi. Komm runter!“

„Sie glaubt, sie ist aus Gummi. Wenn du fällst, wirst du nicht wie ein Flummi aufspringen, Gigi!“

„Sag uns, was du sehen kannst! Ist er es wirklich?“

„Ist er so toll wie auf den Fotos?“

Gigi verdrehte die Augen. Zumindest Lulu verstand, dass dieser Mann seinen Gewinn nicht ernst nehmen würde. Die anderen Girls sahen das nicht so. Sie wiegten sich in dem Glauben, dass ein reicher Mann ins Theater kommen, ein glückliches Revuegirl in die Arme schließen und in ein Leben grenzenlosen Dauershoppens entführen würde.

Wahrscheinlich alarmiert durch den Lärm, sah Khaled Kitaev auf.

Seine Aufmerksamkeit richtete sich so schnell auf das Aquarium, dass Gigi kaum Zeit hatte, zu denken. Mit Sicherheit war es zu spät, sich hinter den Vorhang zurückzuziehen.

Sein Blick heftete sich auf sie. In Gigis Ohren rauschte es, und plötzlich schien ihr Gleichgewichtssinn sie im Stich zu lassen. Sie stieß einen kleinen Laut aus, als sie mit dem Bauch ein paar Zentimeter wegrutschte.

Jetzt schaute er zu ihr hoch, als wäre er nur gekommen, um sie zu sehen.

Gigi rutschte noch ein Stück ab und kämpfte um Halt.

Dann passierten zwei Dinge auf einmal.

Khaled Kitaev runzelte die Stirn, und Lulu zerrte heftig an Gigis Knöchel.

Erschrocken schrie Gigi auf, als sie das Gleichgewicht verlor und nach unten stürzte.

Möglicherweise hätte Khaled nie erfahren, dass ihm dieses kleine Stück von Montmartre gehörte, wenn nicht jemand eine Liste mit Pariser Immobilien in russischem Besitz in die Hand bekommen und veröffentlicht hätte. Anscheinend war es in Ordnung, Immobilien im Marais und an der französischen Riviera zu kaufen – aber fasste man ein Pariser Revuetheater an, war man der meistgehasste Mann der Stadt.

Nicht, dass Khaled sich darum scherte, was andere Leute von ihm hielten. Das hatte er sich schon vor vielen Jahren abgewöhnt, als Sohn eines russischen Soldaten, der das Leben seiner Mutter zerstört und Schande über ihre Familie gebracht hatte.

Unter Menschen aufzuwachsen, die ihn mieden, hatte ihn geprägt. Er hatte sich ein dickes Fell zugelegt und das nötige Geld angehäuft, um nichts persönlich zu nehmen. Außerdem besaß er die Fähigkeit, seine Fäuste einzusetzen – obwohl er heutzutage eher seine Macht benutzte.

„Emotional distanziert“, so hatte ihn eine Frau beschrieben, mit der er eine kurze Beziehung gehabt hatte. Ein Alleskönner, aber ohne Herz.

Emotionale Distanz hatte ihm geholfen. In dem Teil der Welt, aus dem er kam, hätte es ihn noch vor seinem zwanzigsten Geburtstag umgebracht, sich Gefühlen hinzugeben. Er war auf die harte Tour schnell erwachsen geworden und hatte deswegen überlebt. Dann hatte er in der Moskauer Geschäftswelt Erfolg gehabt. Er wusste, wie er bekam, was er wollte. Und er ließ nicht zu, dass Gefühle seinen Verstand verwirrten.

Das machte ihn zu einem schlechten Fang für eine Frau, die sich ein warmes Nest erhoffte, doch es sorgte dafür, dass die Aktienkurse seiner Unternehmen regelmäßig in die Höhe schnellten. Natürlich hatte er Interesse an Frauen – ein ausgeprägtes Interesse sogar. Allerdings hatte der ständige Wechsel vor Kurzem aufgehört. Das lag nicht etwa an emotionaler Leere oder fehlender Lust, sondern an purer Langeweile, weil ihm die Herausforderung fehlte.

Er brauchte die Jagd, er wollte eine Frau erobern.

Danach begann er, sich zu langweilen.

Inzwischen langweilte er sich schon monatelang.

Und dann blickte Khaled auf. Was zum Teufel war das?

Wenn ein Mann eines von den berühmten Pariser Revuetheatern betrat, erwartete er, dieses legendäre Geschöpf zu sehen: ein Pariser Revuegirl.

Langbeinig, verlockend, oben ohne.

Das war nicht, was er sah.

Er hätte schwören können, dass er gerade Tinker Bell in einem Animal-Print-Gymnastikanzug gesehen hatte, wie sie oben auf dem Aquarium hockte, in dem – wie ihm gesagt worden war – heute Abend ein schönes Revuegirl zusammen mit Pythonschlangen schwimmen würde.

Bevor er sich erklären konnte, was er da vor sich hatte, verschwand die seltsame Erscheinung, gefolgt von einem dumpfen Knall und schrillen Schreien.

„Wollen Sie nicht nachsehen, was da los ist?“, fragte er die zwei Danton-Brüder, die offensichtlich schwitzten, was das Zeug hielt, weil er unangekündigt aufgetaucht war.

Keiner der beiden Männer rührte sich.

„Die Girls proben“, sagte Martin Danton nervös, als würde das alles erklären.

Khaled bemerkte, dass sich seine Leibwächter suchend umschauten. Offensichtlich rechneten sie damit, dass alle vierundzwanzig knackigen Bluebirds Cancan tanzend auf die leere Bühne kamen.

„Möchten Sie sich eine Probe ansehen?“, bot Jacques Danton eifrig an.

Ein bisschen zu eifrig. Die beiden Franzosen, die das Theater leiteten, waren furchtbar nervös. Und dazu hatten sie auch allen Grund. Obwohl Khaled vermutete, dass ihre Nervosität nur die normale Reaktion darauf war, dass ihre zweifelhaften Geschäftspraktiken unter die Lupe genommen wurden.

„Meine Anwälte werden sich heute melden“, teilte er ihnen gelassen mit. „Ich will mir ansehen, wie das Theater läuft.“

„Wir sind eine Pariser Institution, Monsieur Kitaev!“, sagten sie im Chor.

„Das haben die französischen Medien die ganze Woche mit Nachdruck zu verstehen gegeben. Aber es ist ein Unternehmen, und ich bin gern darüber informiert, wie meine Geschäfte laufen.“

Er wäre jetzt nicht hier, wenn die Presse ihn nicht beschuldigt hätte, er wolle die hübschen Boulevards aufreißen und die französische Kultur plündern. Die Stadt in Moskau-an-der-Seine verwandeln.

Und alles nur, weil er bei einem Kartenspiel das Revuetheater L’Oiseau Bleu gewonnen hatte.

Eine junge Frau mit dunklen Locken steckte den Kopf durch den Vorhang. „Jacques …“, flüsterte sie.

Der ältere der beiden Brüder runzelte die Stirn. „Was ist denn, Lulu?“

„Es gab einen Unfall.“

„Was für einen Unfall?“

„Eine von uns ist gestürzt.“

Jacques Danton entschuldigte sich und stapfte hoch auf die Bühne und in die Kulissen.

Khaled blickte zum Aquarium, das über der Bühne aufragte, und setzte sich in Bewegung. Er wollte herauszufinden, was er da oben gesehen hatte.

Seine Leibwächter stiegen mit ihm auf die Bühne.

„Ich halte das für keine gute Idee“, protestierte Martin Danton, während er ihnen folgte.

Als Khaled hinter den Vorhang ging, lag Tinker Bell ausgestreckt auf dem Bühnenboden.

Jacques Danton beachtete sie nicht, sondern machte der kleinen Brünetten Vorhaltungen. Damit war für Khaled klar, dass das ganze Ausmaß des Missmanagements noch gar nicht aufgedeckt war. Er stieß den Franzosen aus dem Weg und kam ihr zur Hilfe.

Als er in die Hocke ging und genauer hinsah, entdeckte er, dass ihre Lider zuckten. Er presste die Lippen zusammen. Kleine Schauspielerin. Er blickte nach oben, schätzte die Höhe und erkannte, dass sie sich nicht schwer verletzt haben konnte.

Wie gerufen näherten sich ihm ungefähr zwanzig andere kichernde Tänzerinnen in Gymnastikanzügen und umzingelten ihn. Khaled sah sich um und bemerkte, dass seine Leibwächter anscheinend ebenso ratlos waren wie er. Wollten die Frauen ihn angreifen?

Offensichtlich war dies ein Trick, um ihn hinter die Bühne zu locken. Aber die Revuegirls wirkten harmlos. Er betrachtete die Tänzerin auf dem Boden. Sie lag unnatürlich still da, doch die Augenlider verrieten sie.

„Können Sie mich hören, Mademoiselle?“

„Ihr Name ist Gigi“, sagte die Brünette mit den Locken.

Er war in Montmartre, in einem schäbigen Revuetheater, das seine beste Zeit längst hinter sich hatte, mit Revuegirls, von denen kaum eins tatsächlich Französin war. Natürlich war ihr Name Gigi.

Khaled glaubte es keine Sekunde lang.

Als spürte sie seine Skepsis, hob sie ihre dichten goldblonden Wimpern. Die Wirkung war erstaunlich. Blaue Augen hefteten sich auf ihn. Wurden groß vor Überraschung, blauer als blau.

Die Farbe des Wassers in der Petschorasee.

Er sollte es wissen. Er war gerade von dort eingeflogen.

Fasziniert musterte er ihr Gesicht. Eine römisch anmutende Nase, ein breiter Mund und ein schmales Kinn, alles umrahmt von rotem Haar und beherrscht von diesen wundervollen Augen. Ihm fiel plötzlich das Atmen schwer.

Sie stützte sich auf die Ellbogen. „Qui êtes-vous? Wer sind Sie?“ Sie sprach mit einem irischen Tonfall.

Die Frage, die er ihr hätte stellen sollen. Khaled richtete sich auf und stemmte die Arme in die Seiten.

„Khaled Kitaev.“

Das machte Eindruck.

„Meine Damen …“, fügte er hinzu, blickte jedoch unverwandt die Rothaarige an. Er hielt ihr die Hand hin, und als sie zögerte, beugte er sich zu ihr hinunter und nahm sich, was er wollte.

Gigi war bei ihrem Sturz mit dem Kopf aufgeschlagen. Im Moment sah sie zwei Hände und war nicht sicher, welche sie ergreifen sollte.

„Stehen Sie auf!“, fuhr Jacques sie an.

Die Alternative nahm ihr Khaled Kitaev, der sie mühelos hochzog und vor sich auf die Füße stellte. Nur schwankte alles um sie herum, und ihre Beine wollten nicht mitmachen. Es half auch nicht, dass sie den Kopf zurückneigen musste, obwohl sie einen Meter achtundsiebzig war – so groß war der Mann. Außerdem stand er viel zu nahe … und sah sie an.

Junge, Junge, und wie er sie ansah!

Gigi blinzelte mehrmals schnell, damit sie wieder klar gucken konnte.

Manchmal blickten Männer sie an, als wollten sie sie nur nackt sehen. Eine Nebenwirkung ihres Berufs. Sie akzeptierte das, auch wenn sie es hasste. Manchmal machten sie unerwünschte Annäherungsversuche, doch sie hatte gelernt, sie abzuwehren.

Dieser Mann tat nichts davon. Er blickte sie nicht gierig an, als wäre sie nackt zu sehen alles, was ihn interessierte. Sein Blick sagte etwas ganz anderes, etwas, was ihr noch kein Mann versprochen hatte. Er wollte sie nackt ausziehen und sie befriedigen, wie sie noch nie befriedigt worden war. Und danach würde er ihr den Job wegnehmen.

„Das können Sie nicht machen!“, platzte Gigi heraus.

„Was machen?“ Er sprach langsam, mit einem starken russischen Akzent, als hätte er alle Zeit der Welt.

Unter den anderen Girls gab es Gekicher.

„Was auch immer Sie vorhaben …“ Gigi verstummte, weil es nicht klang, als würde einer von ihnen beiden über das Revuetheater sprechen.

„Im Moment nicht viel“, erwiderte er, „abgesehen von Mittagessen.“

Das Gelächter um sie herum übertönte jede Antwort, was Gigi gelegen kam. Weil leicht zu erkennen war, dass dieser Mann absolut kein Interesse an irgendetwas hier hatte, und Gigis Frustration nur noch größer wurde. Ihm war es egal, was aus dem Theater wurde. Den anderen Revuegirls war es egal. Es würde ihnen allerdings nicht mehr egal sein, wenn sie keinen Job mehr hatten.

Aber es ging ihr nicht allein um ihren Job. Dies war ihr Zuhause. Seit der plötzliche Tod ihrer Mutter ihre geborgene Welt durcheinandergebracht hatte, war dies der einzige Ort, an dem sie das Gefühl hatte, dazuzugehören.

Gigi hatte die Zeit bei ihrem Vater abgesessen, bis sie in der Lage war, den Sprung über den Ärmelkanal zu machen, auf die Bühne des L’Oiseau Bleu. Damals schien es ein Traumjob zu sein.

Wenn man sie vor einer Woche nach ihrem Job gefragt hätte, dann hätte sie die Augen verdreht und sich über die Arbeitszeiten beklagt, über die schlechte Bezahlung und die lausige Choreografie.

Das Moulin Rouge war es nicht.

Aber heute drohte alles zerstört zu werden, was sie von klein auf zusammen mit ihrer Mutter aufgebaut hatte.

Gigi wollte das nicht zulassen. Sie durfte das nicht zulassen.

Außerdem war dies kein gewöhnliches Theater. Die tollsten Frauen hatten hier getanzt. Mistinguett, La Belle Otero, Josephine Baker, sogar Lena Horne hatte auf dieser Bühne gesungen.

Und dann war da noch Emily Fitzgerald. Niemand erinnerte sich an sie, denn sie war nie berühmt gewesen, nur für fünf kurze Jahre eine schöne Revuetänzerin unter vielen. Ihre Mutter. Als sie von dem spanischen Süßholzraspler Carlos Valente schwanger wurde, musste sie zu ihrer Familie nach Dublin zurückkehren. Ihr Pariser Traum war vorbei gewesen. Sobald Gigi hatte laufen können, hatte sie Spitzenschuhe bekommen und war auf die Bühne gedrängt worden. Sie war mit Geschichten über das Bluebird in seiner Glanzzeit aufgewachsen.

Natürlich war es überhaupt nicht so gewesen wie in diesen Geschichten, als Gigi schließlich mit neunzehn hier angekommen war. Aber im Gegensatz zu den anderen Girls wusste sie, wie außergewöhnlich das L’Oiseau Bleu früher einmal gewesen war … und wieder sein könnte.

Sie hatte die Brüder Danton bearbeitet und sie fast so weit gehabt, die Nummern zu verbessern …

Nur funkte jetzt er dazwischen.

Gigi wusste nicht, wo sie anfangen sollte. Und genau in diesem Augenblick fiel ihr ein, dass sie ja etwas dabeihatte, was für sie sprechen konnte. Es steckte zusammengefaltet in ihrem Sport-BH. Sie zog die einzelne Seite heraus und strich sie glatt. Lulu hatte sie aus einem Blog ausgedruckt, den sie beide verfolgten: „Parisian Showgirl“.

Als Gigi aufsah, stellte sie fest, dass Khaled Kitaev sie noch immer beobachtete und wahrscheinlich einen Blick in ihren alten lila BH geworfen hatte. Sie wusste, dass das nicht sehr professionell wirkte. Aber sie hatte nicht vom Aquarium fallen wollen, sie hatte nicht gewollt, dass er hinter die Bühne kam, und jetzt hatte sie nur … dies. Es war eben zufällig in ihrem BH.

Eine Spur von Belustigung blitzte in seinen dunklen Augen auf. „Was haben Sie sonst noch da drin?“

Gigi wurde am ganzen Körper rot. „Nichts“, erwiderte sie unsicher.

Ein paar Girls kicherten.

Sie ignorierte sie und hielt ihm das Blatt Papier hin, bis er es nahm. Er überflog den Ausdruck. Sie kannte ihn auswendig.

Paris ist in Aufruhr, weil der russische Oligarch Khaled Kitaev, der auf der ‚Forbes‘-Liste der reichsten Männer unter vierzig steht, Glück beim Poker hatte.

Kitaev hat sein Vermögen mit Öl gemacht. Aber anscheinend investiert er inzwischen auch in Immobilien und in die Unterhaltungsbranche, bis seine Holdings einem riesigen Ungeheuer gleichen, das – wie europäische Wirtschaftsexperten befürchten – alles einfach verschlingen wird. Ja, eben dieser Kitaev hat eines der berühmten Pariser Revuetheater übernommen.

Nicht irgendein Theater, Leute, sondern eins der ältesten Revuetheater in Montmartre: L’Oiseau Bleu. Das Zuhause der Bluebirds. Ein bezauberndes altes Revuetheater. Aber wie lange noch?

Nach der Reaktion in den Medien zu urteilen, werden die Franzosen das nicht stillschweigend hinnehmen.

Khaled zerknüllte das Blatt Papier zu einer kleinen Kugel. „Was wollen Sie wissen?“, fragte er gelassen.

Aber Gigi ließ sich nicht täuschen. Sein Blick war härter geworden, drohend. Sie beruhigte sich damit, dass sie den Artikel schließlich nicht geschrieben hatte. Ihm sollte nur klar sein, dass sie von der Information darin ausgingen, selbst wenn es eine Falschmeldung war. Das Vernünftige wäre, ihn höflich zu fragen, ob größere Veränderungen für das Theater vorgesehen waren, die sich auf ihre Jobs auswirken würden.

In diesem Moment bemerkte Gigi, dass Khaled Kitaev den Blick über ihren Körper gleiten ließ. Nicht auffällig, doch sie spürte es trotzdem. Und, verdammt, ihre Brustwarzen wurden hart.

Anstatt vernünftig zu sein, geriet sie in Rage und setzte alles auf eine Karte. „Wir wollen wissen, ob Sie vorhaben, unser Revuetheater in so etwas wie ein supererotisches Crazy Horse zu verwandeln.“

2. KAPITEL

Martin Danton stöhnte auf.

Sein Bruder sah aus, als wäre er kurz davor, die Rothaarige umzubringen.

„Keine Ahnung“, erwiderte Khaled, „ich war noch nie im Crazy Horse.“

Sie verdrehte die Augen und presste die Lippen zusammen. Er schloss die Hand fester um das zerknüllte Stück Papier voller Verleumdungen, die diese junge Frau offensichtlich geglaubt hatte.

„Das reicht, Gigi“, mischte sich Jacques Danton ein.

Aber sie gab nicht nach. „Ich finde, wir haben das Recht, es zu erfahren. Es geht um unsere Jobs.“

Das hätte Khaled mehr beeindruckt, wenn er nicht den Verdacht hätte, dass ihre Chefs sie dazu angestiftet hatten.

„Ihre Jobs sind fürs Erste sicher“, sagte Khaled, weil es stimmte – heute. Morgen vielleicht nicht mehr.

„Großartig!“ Jacques Danton strahlte.

„Das habe ich nicht gefragt.“ Die Rothaarige blickte ihm in die Augen.

Nicht bittend, sondern trotzig. Anders als ihr Boss hatte sie sich offenbar nicht täuschen lassen. Einen Moment lang erwog Khaled die Möglichkeit, dass dies kein abgekartetes Spiel war und die junge Frau bereit war, es im Alleingang mit ihm aufzunehmen.

„Wir sind kein Striplokal, Mr. Kitaev, und es würde den Charakter des Theaters zerstören!“

„Mir hat niemand gesagt, dass es einen Charakter hat.“

Noch mehr Gelächter.

Sie sah sich verwirrt um, als könnte sie die fehlende Unterstützung nicht fassen. Unerwartet meldete sich sein Gewissen.

„Niemand wird gezwungen, sich auszuziehen“, sagte er genervt. Verdammt, er wusste nicht, was mit dem Theater passieren würde. Er konnte von Glück sagen, wenn er es loswurde.

Der Rotschopf schien jedoch zu glauben, dass es eine Rettung wert war.

Voulez-vous, filles?“ Jacques Danton klatschte in die Hände.

Die anderen Tänzerinnen begannen, wegzugehen.

Maintenant, Gigi“, fuhr er sie an.

Offensichtlich war sie hin- und hergerissen, ob sie gehorchen oder ihn weiter nach ihren Jobs fragen sollte. Aber Khaled konnte schon erkennen, dass sie sich ihrem Chef nicht widersetzen würde.

Nur ihm.

Das war etwas ganz Neues. Männer, die viel mehr Geld oder Macht hatten als diese junge Frau – Industrielle, Duma-Abgeordnete, Moskauer Gangster –, waren in seiner Gegenwart vorsichtig. Andererseits hatten diese Männer nicht ihre lavendelblauen Augen. Und erst recht nicht ihre erotische Anziehungskraft.

Sie war keineswegs die schönste Frau hinter der Bühne, doch sie war diejenige, von der er den Blick nicht abwenden konnte. Es lag an ihrem ausdrucksstarken Gesicht, dem wachen Blick und einer Sinnlichkeit, der sie sich anscheinend überhaupt nicht bewusst war.

Wie schade, dass sie hier tanzte …

Wie schade, dass er morgen abreiste …

Die kleine Brünette kam und zog Gigi weg. Khaled wusste, dass er hier fertig war. Und dennoch folgte er mit den Augen den roten Zöpfen inmitten der anderen Frauen, als die berühmten Bluebirds in dem Labyrinth von Gängen verschwanden.

An diesem Abend ging es in der Garderobe lauter zu als sonst vor der ersten Vorstellung.

Autor

Lucy Ellis
Früher hätte Lucy Ellis es nie für möglich gehalten, einmal selbst Liebesromane zu schreiben, wie ihre Großmutter es ihr vorschlug. Heute tut sie genau das mit großer Freude. Das Beste für sie am Autorendasein: Ihre Protagonistinnen sind genauso wie die Frauen, über die Lucy schon als junges Mädchen gerne gelesen...
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