Das skandalöse Angebot des Sultans

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Ein entsetzlicher Anruf mitten in der Nacht schreckt Esme auf: Ihr Vater wurde im Wüstenstaat Ja’ahr wegen Betrugs festgenommen! Sie soll als sein Leumund vor Gericht erscheinen. Doch kaum landet Esme in dem fernen Land, bringt man sie nicht zu ihrem Dad - sondern in den prächtigen Palast von Sultan Zaid Al-Ameen! Arrogant empfängt sie der attraktive Wüstenprinz, aber das Feuer in seinem Blick lässt Esme erschauern. Was will er von ihr? Schockiert hört sie, welch skandalöse Bedingung Zaid an mildere Umstände für ihren Vater knüpft … Esme starrte ihn fasziniert an. Er bewegte sich wie ein Raubtier, das sich nur auf ein Ziel konzentrierte: seine Beute zu erlegen.


  • Erscheinungstag 04.12.2018
  • Bandnummer 2364
  • ISBN / Artikelnummer 9783733710576
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Eine Millisekunde bevor ihr Handy vibrierte und der laute Klingelton durch ihr dunkles Schlafzimmer hallte, wachte Esme Scott auf. Ihr Herz klopfte wie verrückt, als sie auf das leuchtende Display schaute.

Als Sozialarbeiterin war sie es gewohnt, dass jemand mitten in der Nacht anrief. Die Probleme ihrer Klienten und ein völlig überlastetes Sozialsystem erforderten ihren Einsatz rund um die Uhr.

Allerdings wusste sie instinktiv, dass dieser Anruf nichts mit ihrem Job zu tun hatte.

Nach dem vierten Klingeln nahm sie ab. „Hallo?“

„Spreche ich mit Esmeralda Scott?“

Esmeralda. Das ungute Gefühl verstärkte sich. Es gab nur einen Menschen, der diesen Namen gebrauchte: ihr Vater. Der Mann, zu dem sie seit acht Jahren keinen Kontakt mehr hatte.

„J…ja.“

„Tochter von Jeffrey Scott?“, folgte die nächste Frage. Die Stimme klang tief, kultiviert und mit einem leichten Akzent. Autorität und Arroganz schwangen in ihr mit.

Unwillkürlich umklammerte Esme das Handy fester. Nein, dies war kein gewöhnlicher Anruf. Sie setzte sich auf und schaltete die kleine Nachttischlampe neben dem Bett ein. „Ja. Wer spricht da?“

„Mein Name ist Zaid Al-Ameen. Ich bin der Oberstaatsanwalt des Königreiches Ja’ahr.“ Nun lag unüberhörbarer Stolz in der Stimme – und Unerbittlichkeit.

Esme stockte der Atem, dennoch ignorierte sie die dunkle Vorahnung, die in ihr aufstieg. „Was kann ich für Sie tun?“, fragte sie in dem Tonfall, den sie für ihre aufgebrachtesten Schützlinge reserviert hatte.

„Ich rufe Sie an, um Sie darüber zu informieren, dass Ihr Vater in meinem Land verhaftet und ins Gefängnis gebracht wurde.“

Ein Gefühl, als würden sich tausend Nadeln gleichzeitig in ihre Haut bohren, breitete sich in ihr aus. Ein tonnenschweres Gewicht schien sich auf ihre Brust zu legen. Offenbar hatte ihr Vater, den sie seit acht Jahren nicht gesehen hatte, immer noch Macht über sie.

„Ich … verstehe.“

„Er hat darauf bestanden, mit seinem einzigen Telefonat Sie anzurufen, aber die Nummer, die er mir gegeben hat, funktioniert nicht.“

Esme ignorierte den fragenden Unterton. Es ging ihn nichts an, weshalb sie die Nummer geändert hatte.

„Wie haben Sie mich dann gefunden?“, fragte sie, während tausend andere Fragen durch ihren Kopf wirbelten. Doch sie wollte dem Fremden mit der samtigen Stimme keine davon am Telefon stellen.

„Meine Polizei gehört zu den besten der Welt, Miss Scott“, erklärte er mit einem gewissen Stolz.

Meine?

Stirnrunzelnd stellte sie dann doch die eine Frage, die auf der Hand lag. „Wie lauten die Vorwürfe gegen meinen Vater?“

„Es sind zu viele, um sie jetzt aufzuzählen. Beinahe jede Stunde kommen neue hinzu“, erwiderte er. „Aber die Hauptanklage lautet Betrug.“

Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. „Ja.“

„Die Nachricht scheint Sie nicht zu überraschen.“

„In England ist es mitten in der Nacht, Mr. Al-Ameen. Sie verzeihen mir hoffentlich, wenn ich ein wenig Zeit brauche, um alles zu begreifen“, entgegnete sie und nahm das Telefon in die andere Hand.

„Der Zeitunterschied ist mir bewusst, Miss Scott. Und obwohl wir nicht verpflichtet sind, Sie im Namen Ihres Vaters aufzuspüren, war ich der Meinung, Sie möchten vielleicht etwas über den Vorfall erfahren …“

„Was für ein Vorfall?“, platzte sie heraus.

„In dem Gefängnis, in dem Ihr Vater in Gewahrsam ist, gab es eine Auseinandersetzung.“

„Ist er verletzt?“, fragte sie. Allein bei dem Gedanken daran wurde ihr ganz flau im Magen.

„Die medizinische Untersuchung ergab eine leichte Gehirnerschütterung und einige Prellungen. Er sollte gesund genug sein, um morgen zurück ins Gefängnis verlegt zu werden.“

„Damit er noch einmal angegriffen wird? Oder tun Sie etwas, um ihn zu beschützen?“, rief sie, warf die Bettdecke zurück und stand auf. Dann wanderte sie vom einen Ende ihrer kleinen Wohnung zum anderen, bevor der Mann am anderen Ende der Leitung sich zu einer Antwort herabließ.

„Ihr Vater ist ein Verbrecher, Miss Scott. Weder verdient er eine Sonderbehandlung, noch erhält er eine. Sie dürfen sich glücklich schätzen, überhaupt von mir angerufen zu werden. In zwei Tagen findet die Anklageerhebung statt. Es steht Ihnen frei, dabei zu sein. Gute Nacht …“

„Warten Sie! Bitte.“ Sie zwang sich, vernünftig zu denken. Wenn er einer ihrer jungen Schützlinge wäre, was würde sie dann tun? „Hat er einen Anwalt? Ich nehme an, er hat das Anrecht auf juristischen Beistand?“

Das folgende angespannte Schweigen verriet ihr, dass sie den Anrufer beleidigt hatte. „Wir sind kein rückständiges Land, Miss Scott, auch wenn die Medien weltweit uns gern so darstellen. Die Konten Ihres Vaters wurden eingefroren, wie es das Gesetz bei Betrug verlangt, aber ihm wurde ein Pflichtverteidiger zugewiesen.“

Esme verließ der Mut. Ihrer Erfahrung nach waren die meisten Pflichtverteidiger überfordert und überlastet. Nahm sie die Tatsache hinzu, dass ihr Vater die ihm vorgeworfenen Taten zweifellos begangen hatte, sahen seine Aussichten düster aus.

Ein Teil von ihr wollte das Gespräch auf der Stelle beenden und so tun, als wäre das alles nie passiert. Doch gleich darauf meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Aber sie hatte den Kontakt zu ihrem Vater aus gutem Grund abgebrochen. Seitdem hatte sie ihr Leben geändert. Und sie würde sich deswegen nicht schuldig fühlen.

„Kann ich mit ihm sprechen?“

Wieder folgte Schweigen. „In Ordnung. Vorausgesetzt, die Ärzte stimmen zu, erlaube ich ihm diesen Anruf. Halten Sie sich um sechs Uhr bereit. Gute Nacht, Miss Scott.“

Die Leitung erstarb und mit ihr die autoritäre Stimme.

Esme spürte, wie der winzige Knoten in ihrem Bauch wuchs, den der elektrisierende Unterton in der Stimme des Anrufers ausgelöst hatte. Sie legte das Telefon weg, ging zurück zum Bett und ließ sich darauf sinken. Ihr Blick verschwamm, ihre Hände zitterten. Wie Zaid Al-Ameen ganz richtig erkannt hatte, war sie von den Nachrichten nicht überrascht. Wenn überhaupt, wunderte sie sich nur, dass es acht Jahre gedauert hatte.

Langsam atmete sie aus, damit die Schuldgefühle, die Wut und der Schmerz nachließen. Als es ihr nach zehn Minuten immer noch nicht gelungen war, ihre Emotionen unter Kontrolle zu bringen, stand sie wieder auf und setzte sich an den kleinen Schreibtisch, der in einer Ecke ihres Schlafzimmers stand.

Heute Nacht würde sie nicht mehr einschlafen. Die einzige Möglichkeit, ihre Erinnerungen unter Verschluss zu halten, bestand darin, sich in Arbeit zu vergraben. Sich mit ihrer Arbeit abzulenken, gelang Esme immer. Denn dabei ging es ausschließlich um die Probleme anderer Menschen und nicht um ihre eigenen. Seit dem ersten Tag, als sie vor vier Jahren ihre Stelle als Sozialarbeiterin angetreten hatte, genoss sie diese Form der Ablenkung – aus einem einfachen Grund: Ihre Bemühungen zeigten positive Ergebnisse. Manche kaum erkennbar, andere bedeutungsvoll. Alles zählte … und doch würde es nie ausreichen, um den schwarzen Fleck von ihrer Seele zu tilgen.

Touch Global, die Stiftung, für die sie arbeitete, kooperierte mit zahlreichen lokalen Organisationen, die wiederum den vom Leben Benachteiligten halfen. Auf diese Weise verfügte ihr Arbeitgeber über eine breite Auswahl an Angeboten – von der Hilfe bei der Wohnungssuche bis zur Vermittlung eines Platzes im Drogenentzug.

Doch mit den Nachrichten über ihren Vater, die unablässig in ihrem Kopf kreisten, war es ihr fast unmöglich zu arbeiten. Esme zwang sich, den Bericht zu Ende zu schreiben, in dem sie die Unterbringung einer alleinerziehenden Mutter von vier Kindern in einem anderen Viertel und einen Test auf Legasthenie für das zweitälteste Kind empfahl. Rasch fügte sie noch ein Datum für die Wiedervorlage hinzu und schloss die Datei.

Dann öffnete sie eine Suchmaschine im Internet. Ihr Vater hatte früher oft von Ja’ahr gesprochen, aber sie hatte das Königreich nie besucht.

Nach wenigen Minuten verstand Esme, weshalb ihr Vater sich für Ja’ahr interessierte. Das kleine Königreich am Persischen Golf hatte aus gutem Grund in den vergangenen Jahren genauso viel internationales Ansehen erlangt wie seine bekannteren Nachbarstaaten.

Dank dem Abbau seiner immensen Ressourcen an Öl und Edelsteinen galt es als eines der wohlhabendsten Länder der Erde – sein Herrscher dementsprechend als einer der reichsten Menschen. Allerdings ging die Schere zwischen Arm und Reich dort besonders weit auseinander. Als direkte Folge kam es immer wieder zu Unruhen, von denen einige eskaliert waren. Alle Demonstrationen, auch die friedlichen, waren von der Polizei aufgelöst worden.

Esme wusste, sie durfte nicht alles glauben, was sie im Internet las. Aber die beunruhigenden Geschichten über das Justizsystem in Ja’ahr waren schwer zu ignorieren. Selbst für die geringsten Vergehen wurden harte Strafen verhängt.

„Wir sind kein rückständiges Land, Miss Scott, auch wenn die Medien weltweit uns gern so darstellen.“

Auf das Justizsystem schien diese Aussage allerdings nicht zuzutreffen. Für Esme hörte es sich so an, als stamme die Rechtsprechung noch aus dem Mittelalter … was für ihren Vater nichts Gutes verhieß.

Er verdient es. Weißt du noch, warum du den Kontakt zu ihm abgebrochen hast?

Sie presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und drückte die Schultern nach hinten.

Sie war weggegangen. Sie hatte ihr Leben geändert.

Die Erinnerung verlieh ihr neuen Mut. Das Telefon klingelte. Entschlossen hob sie den Hörer ab.

„Hallo?“

„Esmeralda? Bist du das?“

Unwillkürlich ballte sie die freie Hand zur Faust und schloss die Augen, als sie die vertraute Stimme hörte.

„Ja, Dad. Ich bin es.“

Unverkennbare Erleichterung lag in seinem langen Atemzug. Danach lachte er rau. „Als sie mir gesagt haben, sie hätten dich gefunden, habe ich gedacht, sie würden mich auf den Arm nehmen.“

Esme erwiderte nichts. Sie war zu sehr damit beschäftigt, die vielen widersprüchlichen Gefühle, die in ihrem Inneren umherwirbelten, unter Kontrolle zu bringen.

„Spätzchen, bist du noch da?“, fragte Jeffrey Scott.

Ihr alter Kosename klang so bittersüß in ihren Ohren, dass sie nicht wusste, ob sie lachen oder weinen sollte.

„Ich bin da“, sagte sie schließlich.

„Okay. Ich nehme an, du weißt, was passiert ist?“

„Ja.“ Sie räusperte sich. „Geht es dir gut? Man hat mir gesagt, du hättest eine Gehirnerschütterung.“

„Das ist meine geringste Sorge. Zumindest solange der große Mann seinen Willen bekommt.“

„Der große Mann?“

„Ja. Der Schlächter. Der Staatsanwalt.“

„Es tut mir leid, Dad. Wovon sprichst du?“

„Er hat es auf mich abgesehen, Esmeralda. Man hat mir schon eine Kaution verweigert. Und er hat eine Petition eingereicht, um meinen Prozess zu beschleunigen.“

Die Erinnerung an die tiefe, kraftvolle Stimme am Telefon vorhin lenkte sie einen Moment ab. „Aber einen Anwalt hast du, oder?“

„Ja, wenn du jemanden so nennst, der mir sagt, mein Fall sei hoffnungslos, und mir rät, mich schuldig zu bekennen, damit uns allen viel Zeit und Mühe erspart bleibt.“

Trotz allem, was sie gerade über das Justizsystem von Ja’ahr gelesen hatte, schockierten sie die Worte ihres Vaters. „Was?“

„Ich brauche dich hier, Esmeralda.“

Ihr stockte der Atem. In ihrem Kopf schrie eine Stimme entsetzt: Nein!

Als sie vorhin in Gedanken die verschiedenen Szenarien durchgespielt hatte, wie der Kontakt mit ihrem Vater ausfallen würde, war ihr klar gewesen, dass er irgendetwas von ihr wollte. Wahrscheinlich Geld, weil seine Konten eingefroren waren. Im Kopf hatte sie ihre Ersparnisse überschlagen und kalkuliert, von welcher Summe sie sich trennen konnte.

Aber was er jetzt von ihr verlangte …

„Ich habe ein bisschen recherchiert. Leumundszeugen bedeuten hier vor Gericht sehr viel“, fuhr ihr Vater eilig fort. „Ich habe dich als meinen benannt.“

Déjà-vu, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf, und es lief ihr eiskalt den Rücken hinunter. Hatte es nicht immer so angefangen? Ganz unschuldig hatte ihr Vater sie gebeten, ihm einen kleinen Gefallen zu tun.

„Dad, ich glaube nicht …“

„Es könnte den Unterschied bedeuten, ob ich im Gefängnis sterbe oder eines Tags nach Hause zurückkehre. Willst du das verantworten?“

Esme presste die Lippen zusammen und schwieg.

„Ich weiß, wir sind nicht im Guten auseinandergegangen, aber hasst du mich wirklich so sehr?“, fragte ihr Vater schließlich in ihr Schweigen hinein.

„Nein, ich hasse dich nicht.“

„Dann kommst du also?“, drängte er hoffnungsvoll. In seiner Stimme lag der vertraute, schmeichelnde Unterton, dem selbst das härteste Herz nicht widerstehen konnte.

Denn ganz gleich, was vorher gewesen war, Jeffrey Scott war die einzige Familie, die ihr geblieben war. Sie durfte ihn nicht der Gnade eines Mannes überlassen, den man den Schlächter nannte.

„Ja, ich komme.“

Unmittelbar nach dem Telefonat tippte sie noch einen Namen in die Suchmaschine und vergaß zu atmen, als sie in die hellbraunen Augen des Schlächters schaute.

Die Autorität in seinem Blick war das Erste, was ihr auffiel. Seine tiefe Stimme kannte sie bereits. Nun sah sie, wie gut diese zu dem markanten, männlichen Kinn passte, das wirkte, als wäre es aus einem Granitblock gemeißelt worden. Trotz der sauberen Rasur lag ein Bartschatten darauf. Hohe Wangenknochen und eine auffällige Nase machten es nahezu unmöglich, diesen Mann nicht fasziniert anzustarren.

Blauschwarze Haare fielen ihm in kurzen Wellen über die Stirn, buschige Augenbrauen und lange Wimpern leuchteten in derselben Farbe. Doch was ihre Aufmerksamkeit wirklich fesselte, waren die sinnlichen Lippen. Obwohl er auf dem Foto eine grimmige Entschlossenheit ausstrahlte, fühlte sie sich von ihnen angezogen und fragte sich insgeheim, ob sie jemals weich wurden, wenn er lächelte oder Lust empfand. Und ob sie sich so samtig anfühlten, wie es auf dem Bild den Anschein hatte.

Die alarmierende Richtung, die ihre Gedanken einschlugen, ließ sie eine hektische Bewegung mit der Maus machen, was zur Folge hatte, dass sie einen größeren Ausschnitt des Bildes angezeigt bekam. Breite und muskulöse Schultern zeichneten sich unter dem maßgeschneiderten Nadelstreifenanzug ab. Dazu trug er ein blütenweißes Hemd und eine passende Krawatte. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt, die Füße hüftbreit auseinandergestellt, sodass er einen festen Stand hatte. Sein Körper wirkte durchtrainiert und perfekt.

Er stand vor einem polierten Schild, auf dem der Name einer amerikanischen Anwaltskanzlei prangte. Einen Moment verspürte Esme ungeheure Erleichterung. Offenbar hatte ihre Suche ihr den falschen Treffer beschert. Doch als sie den nächsten Link anklickte, zeigte sich ihr derselbe Mann.

Und doch war es nicht mehr derselbe. Seine atemberaubenden Gesichtszüge und sein intensiver Blick wurden durch das traditionelle Gewand, das er auf diesem Bild trug, noch unwiderstehlicher. Ein leuchtend weißer Thawb mit schwarzen und goldenen Verzierungen, die ihre Entsprechung in dem Kufiya fanden, der sein Gesicht umrahmte.

Esme wagte kaum, einen weiteren Link anzuklicken. Laut hallte ihr Keuchen in ihrem Schlafzimmer wider, als sie die ersten Worte der Biografie des dreiunddreißigjährigen Mannes mit dem Spitznamen Der Schlächter las.

Denn der Mann, der vorhin ihren Schlaf gestört hatte, um ihr die schlechten Nachrichten zu überbringen, war nicht nur der gefürchtete Staatsanwalt des ölreichen Landes. Er war viel mehr. Ihr Blick schweifte zurück zu dem gnadenlosen und unerbittlichen Gesicht von Zaid Al-Ameen. Sultan und Herrscher über das Königreich Ja’ahr.

Dem Mann, der das Schicksal ihres Vaters in seinen Händen hielt.

2. KAPITEL

Zaid Al-Ameen lehnte den Kopf gegen die Rückbank des SUVs mit den dunkel getönten Scheiben, der ihn aus dem Gerichtsgebäude brachte. Einen Moment ausruhen. Mehr war ihm nicht vergönnt. Die Anzahl seiner Fälle war erschreckend hoch. Ein Dutzend Fälle wartete in der Aktentasche auf dem Sitz neben ihm, ein Dutzend weiterer stapelte sich im Büro.

Aber das war zweitrangig angesichts der immensen Last, die als Herrscher von Ja’ahr auf seinen Schultern ruhte. Dieses Gewicht ließ jeden Tag, an dem er darum kämpfte, das Unrecht des früheren Königs, seines Onkels, wiedergutzumachen, wie ein Jahr erscheinen.

Die meisten Mitglieder des Beraterstabs hatten schockiert auf seine Absicht reagiert, seinen Beruf weiter auszuüben, als er vor achtzehn Monaten aus dem Exil zurückgekehrt war, um den Thron zu übernehmen.

Einige hatten einen möglichen Interessenkonflikt angeführt und seine Fähigkeit infrage gestellt, gleichzeitig ein fähiges Staatsoberhaupt und ein engagierter Jurist zu sein. Zaid hatte jeden Einwand niedergeschmettert, indem er tat, was er am besten konnte: Er wandte Gesetze an und gewann die Prozesse, die wichtig waren. Rasch für Gerechtigkeit zu sorgen, war der schnellste Weg, um die Korruption in Ja’ahr auszumerzen. Von den Ölfeldern im Norden bis zu den Häfen im Süden hatte er kein Unternehmen von seinen Ermittlern verschont. Natürlich hatte er sich damit zwangsläufig Feinde gemacht. Zwanzig Jahre lang war das korrupte System seines Onkel Khalid Al-Ameen gediehen, etliche Nutznießer kämpften jetzt mit allen Mitteln gegen den Verlust ihrer Privilegien.

Zaid wusste aus erster Hand, welche grauenhaften Folgen ein von Gier getriebenes Streben nach Macht haben konnte. Dass er überhaupt noch lebte, glich einem Wunder – und das war der Grund, weshalb er Jura studiert hatte.

Versunken in Gedanken an die düstere Vergangenheit brauchte er einen Moment, um zu bemerken, dass die Wagenkolonne langsamer geworden war. Aufmerksam schaute er sich um.

Eine große Gruppe Demonstranten hatte sich in einem nahegelegenen Park versammelt, in dem im Sommer normalerweise Theaterstücke aufgeführt wurden oder Konzerte stattfanden. Einige von ihnen blockierten die Straße vor seinem Leitfahrzeug.

Zaid blickte sich um, während ein Teil seiner Leibwache begann, die Menschenmenge zurückzudrängen.

Anfang April war Ja’ahr City besonders prächtig. Herrliche Blüten und mildes Wetter verliehen der Stadt eine strahlende Schönheit. Riesige Skulpturen und beeindruckende Denkmäler inmitten von grünen Gärten mit exotischen Blumen säumten die über zehn Kilometer lange Hauptstraße, die direkt vom Gerichtsgebäude zum Palast führte.

Allerdings war nur dieser Teil der Stadt so prächtig – nur ein paar Meter weiter, in den Gassen, zeigte sich bereits die ganze Armut der Bevölkerung.

Hinter der Menschenmenge stand eine überdimensionale Leinwand. Sie zeigte eine Reporterin, die von Demonstranten umgeben war.

„Können Sie uns sagen, weshalb Sie heute hier sind?“, fragte die Journalistin und streckte die Hand, in der sie ein Mikrofon hielt, nach vorn.

Die Kamera schwenkte auf ihre Interviewpartnerin.

Zaid war sich nicht sicher, warum er seine Hand beim Anblick dieser Frau fest auf seinen Oberschenkel presste. Als er noch in den Vereinigten Staaten gelebt hatte, war er mit zahllosen Frauen ausgegangen, die besser ausgesehen hatten.

Es gab nichts Besonderes an ihren Zügen oder den honigblonden Haaren, die sie im Nacken zu einem Knoten gefasst hatte. Und doch empfand er die Kombination aus vollen Lippen, süßer Nase und großen, graugrünen Augen als so auffällig, dass er die Hand unwillkürlich zu dem Knopf ausstreckte, um das Fenster hinunterzufahren. Aber noch immer begriff er nicht, was das seltsame, fast elektrische Kribbeln ausgelöst hatte, das ihn bei ihrem Anblick durchzuckt hatte. Vielleicht lag es an der Entschlossenheit in ihrem Blick oder der Empörung, die in ihren mandelförmigen Augen aufblitzte.

Eher jedoch waren es ihre Worte. Verurteilende Worte. Wütende Worte, vorgetragen mit einer rauchig klingenden Stimme, die besser in ein Schlafzimmer gepasst hätte, als nun durch Lautsprecher verstärkt durch den Park zu hallen.

Er hatte diese Stimme schon einmal gehört. Damals hatte sie leicht verschlafen geklungen, schließlich hatte er mitten in der Nacht am Telefon mit ihr gesprochen. Schon da hatte sie den männlichsten Teil von ihm auf beunruhigende und höchst unangemessene Weise berührt.

„Letzte Woche wurde mein Vater zwei Mal im Gefängnis angegriffen. Einmal wäre schlimm genug gewesen, immerhin hat er bei dem Angriff eine Gehirnerschütterung erlitten. Heute wurde er wieder attackiert. Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber das ist nicht akzeptabel.“

„Wollen Sie damit sagen, dass Sie die Behörden dafür verantwortlich machen?“, fragte die Reporterin.

Die Frau zuckte mit den Schultern, sodass Zaids Blick von ihrem Gesicht zu dem schlanken Hals und weiter zu den Schultern wanderte. Ihr leichtes, kurzärmeliges Oberteil betonte die zarten Schlüsselbeine und offenbarte den Ansatz ihrer Brüste.

„Mir wurde der Eindruck vermittelt, dass die Behörden hier praktisch die besten der Welt sind. Und doch können sie die Menschen, die sich in ihrer Obhut befinden, nicht ausreichend schützen. Außerdem scheine ich meinen Vater erst sehen zu dürfen, wenn er vor Gericht steht oder ich den entsprechenden Stellen einen finanziellen Anreiz biete, meinen Wunsch zu erfüllen.“

Die Augen der Reporterin leuchteten auf, als sie sich auf diese Aussage stürzte. „Man hat offen eine Schmiergeldzahlung von Ihnen gefordert, damit Sie Ihren Vater besuchen dürfen?“

Die Frau zögerte eine Millisekunde, bevor sie wieder die Schultern hob. „Nicht mit so vielen und offenen Worten, nein, aber es ist nicht schwer, zwischen den Zeilen zu lesen.“

„Ich nehme an, Ihr Eindruck von der Regierung in Ja’ahr ist bisher kein guter?“, hakte die Reporterin nach.

Ein spöttisches Lächeln erschien auf den Lippen der Frau. „Das ist eine Untertreibung.“

„Wenn Sie den Verantwortlichen etwas sagen können, was wäre das?“

Die Frau blickte direkt in die Kamera. „Ich möchte sagen, dass ich nicht beeindruckt bin. Und damit meine ich nicht nur die Polizei. Diese Leute hier teilen meine Meinung. Ich denke, ein Fisch stinkt vom Kopf her.“

„Wollen Sie damit sagen …“, fragte die Reporterin jetzt deutlich vorsichtiger, „dass Sie Sultan Al-Ameen dafür verantwortlich machen, was mit Ihrem Vater passiert ist?“

Wieder zögerte die Frau und biss sich auf die Unterlippe. „Es ist offensichtlich, dass mit dem System etwas nicht stimmt. Und da er der Verantwortliche ist, lautet meine Frage an ihn, was er gegen die Situation unternehmen will.“

Zaid drückte auf den Knopf, das Fenster fuhr nach oben und blockierte den Rest des Interviews. Unmittelbar darauf meldete sich summend die Gegensprechanlage.

„Eure Hoheit, ich entschuldige mich tausend Mal dafür, dass Ihr das hören musstet.“ Es war die fast unterwürfige Stimme seines Chefberaters, der in dem SUV hinter ihm saß. „Ich habe bereits den Leiter des Fernsehsenders kontaktiert. Wir unternehmen alles, um die Übertragung sofort abzubrechen …“

„Sie werden nichts dergleichen tun“, unterbrach Zaid ihn wütend.

„Aber, Eure Hoheit, wir dürfen nicht zulassen, dass sich so radikale Ansichten verbreiten.“

„Wir können und wir werden. Ja’ahr soll ein Land sein, das sich für die Meinungsfreiheit einsetzt. Jeder, der versucht, sich dem in den Weg zu stellen, wird sich direkt vor mir verantworten müssen. Ist das klar?“

„Natürlich, Eure Hoheit“, lenkte der Berater sofort ein.

Als seine Autokolonne an allen Demonstranten vorbeigefahren war, erhaschte Zaid einen letzten kurzen Blick auf die Frau auf der Leinwand. Sie hatte den Kopf geneigt, sodass das Sonnenlicht schräg auf ihre Wangen fiel und ihrem Gesicht ungeheuer faszinierende Linien verlieh.

„Möchten Sie, dass ich herausfinde, wer sie ist, Eure Hoheit?“, erkundigte sich sein Berater.

Das war nicht nötig. Zaid wusste genau, wer die Frau war.

Esmeralda Scott.

Tochter des Verbrechers, den er anklagen und für die nächsten Jahre ins Gefängnis bringen wollte. „Bringen Sie die Dame sofort zu mir“, wies er den Berater an.

Anschließend erlaubte er sich einen Moment, seiner inneren Stimme zu lauschen, die ihn eindringlich fragte, weshalb er sich zu dieser Kurzschlussreaktion hatte hinreißen lassen.

Das Warum war nicht wichtig. Wichtig war, dass sie die Dinge, für die er kämpfte, infrage gestellt hatte. Integrität. Ehre. Verantwortung.

Esmeralda Scott würde sich selbst ein paar Fragen gefallen lassen müssen.

Esme gab dem überwältigenden Drang nach, ihre feuchten Handflächen unauffällig an ihrem Rock zu trocknen, während die Limousine mit den dunkel getönten Scheiben sie zu einem unbekannten Ziel brachte. Ein Dutzend Mal hatte sie sich ermahnt, nicht die Angst die Oberhand gewinnen zu lassen. Bislang war es gut gegangen.

Vielleicht lag es an dem harmlos aussehenden Mann mit der Brille, der ihr gegenübersaß. Er hatte ihr versichert, dass sie mit ihrem Interview die Aufmerksamkeit der richtigen Leute hinsichtlich ihres Vaters erregt hatte.

„Wohin fahren wir?“, fragte sie zum zweiten Mal. Insgeheim konnte sie noch immer nicht fassen, wie schnell die Dinge nach dem Fernsehauftritt ins Rollen gekommen waren.

Die Frage brachte ihr ein etwas weniger warmes Lächeln ein. „Sie werden es selbst sehen, wenn wir in ein paar Minuten unser Ziel erreichen.“

Die Furcht, die sie bislang so tapfer unter Kontrolle hielt, meldete sich lauter. Esme schaute aus dem Fenster.

Die Gegend, durch die sie fuhren, war nun noch schöner, die Parks grüner. Überall sah sie prächtige Kunstwerke. Warum das ein stärkeres Gefühl der Angst in ihr auslöste, wusste sie nicht. Trotz der Klimaanlage im Wagen begann sie zu schwitzen.

Autor

Maya Blake
<p>Mit dreizehn Jahren lieh sich Maya Blake zum ersten Mal heimlich einen Liebesroman von ihrer Schwester und sofort war sie in den Bann gezogen, verlor sich in den wunderbaren Liebesgeschichten und begab sich auf romantische Reisen in die Welt der Romanhelden. Schon bald träumte sie davon, ihre eigenen Charaktere zum...
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