Das Strandcafé an der Riviera

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Die junge Engländerin Rosie macht das Beste aus einer gescheiterten Beziehung. Sie startet in ein neues Leben und eröffnet ein Café in Südfrankreich. Doch als der gefeierte Sternekoch Sebastian mit seinem Lokal nebenan einzieht, droht ihr großer Traum zu platzen. Aber so schnell gibt Rosie nicht klein bei. Auf keinen Fall wird sie sich von Sebastians verführerisch duftenden Croissants beeindrucken lassen, geschweige denn von seinem verschmitzten Lächeln. Oder etwa doch?


  • Erscheinungstag 04.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783955768072
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für meinen Mann Richard,
in Liebe und Dankbarkeit dafür,
dass er einfach da ist.

1. Kapitel

»Bonne chance.« Der Notar zählte den Stapel Euroscheine durch, den Rosie ihm gegeben hatte, bevor er ihr über den Tisch hinweg einen Schlüsselbund zuschob. »Das Café Fleur gehört jetzt Ihnen.«

Fünf Minuten später ließ Rosie die Schlüssel in den Händen klappern, während sie glücklich an den alten Deichanlagen am Mittelmeer entlangging. Vor ihr lagen der Strand und das Café Fleur. Es war der erste Tag ihres neuen Lebens, und das fühlte sich fantastisch an. Es schien zwar eine Ewigkeit gedauert zu haben, aber jetzt wurde zumindest einer der beiden großen Träume ihres Lebens wahr.

Schon seit einigen Jahren träumte sie davon, erfolgreich ein eigenes Café zu führen. Ihr anderer Traum, mit dreißig verheiratet zu sein und eine Familie zu haben, war daran gescheitert, dass sie anscheinend keine langfristige Beziehung zu einem Mann aufbauen konnte.

Als sie nach einem rotweingetränkten dreißigsten Geburtstag schlimm verkatert aufgewacht war, hatte sie gedanklich den Schlussstrich gezogen. Das Leben zog an ihr vorbei, und wenn sie es schon nicht schaffte, ihren Mister Right zu treffen und zu heiraten, dann würde sie zumindest versuchen, ihr eigenes Café zu bekommen.

Traumziel Nummer eins hatte seitdem darin bestanden, genug Geld anzusparen, um ihr eigenes Strandcafé in Südfrankreich zu eröffnen.

Jetzt, kurz vor ihrem fünfunddreißigsten Geburtstag, war die Erfüllung dieses Traums zum Greifen nah.

Sie blickte über die Bucht zu den Booten, die auf die Hafeneinfahrt zusteuerten. Ihr Lächeln erstarb beim Anblick der Yacht, die unter englischer Flagge allen anderen vorausfuhr. »A Sure Thing« hieß die Yacht, auf der sie die letzten Jahre als Küchenchefin gearbeitet und jeden Cent für ihre finanzielle Unabhängigkeit gespart hatte. Und genau diese Yacht kehrte gerade in den Hafen zurück.

Ob der Skipper Antoine ihr mittlerweile verziehen hatte, dass sie ihn im Stich gelassen hatte? Als sie ihm von ihren Plänen erzählt hatte, war er alles andere als glücklich darüber gewesen.

»Sacre bleu, Rosie! Charlie wird außer sich sein, wenn er herausfindet, dass du gegangen bist! Wahrscheinlich bringt er William dazu, mich zu feuern, weil ich dich habe gehen lassen. Bitte, Rosie, nur noch einen Sommer, mir zuliebe. Okay?«

»Nein, auf keinen Fall.« Rosie hatte mit den Schultern gezuckt. »Außerdem weiß er bereits, dass ich gehe. Aber Antoine: Du darfst Charlie auf keinen Fall verraten, wo mein Restaurant liegt. Verstanden?«

Resigniert hatte Antoine genickt und ihr Glück gewünscht. Ein Mann wie er wusste, wann weiterer Widerstand zwecklos war.

Rosie seufzte. Hoffentlich begriff Charlie, dass sie an einer Beziehung nicht interessiert war, sosehr er sich auch wünschte, die Collegeaffäre von damals neu aufleben zu lassen. Im Moment hatte Rosie genug damit zu tun, das Café Fleur für die Eröffnung vorzubereiten. Da blieb ihr einfach keine Zeit, sich auch noch mit Charlie herumzuschlagen.

Hoffentlich lief die Yacht nur zum Betanken und Auffüllen der Nahrungsvorräte in den Hafen ein und blieb nicht lange. Vielleicht planten sie, nach Korsika weiterzufahren, eine von Charlies Lieblingsinseln. Ja, Korsika wäre gut. Fahr nach Korsika, flehte Rosie in Gedanken.

Je länger sie Charlie verheimlichen konnte, wo ihr Restaurant sich befand, desto besser. Bestimmt würde er ihr eine Szene machen, wenn er begriff, was sie hier tat, und darauf konnte sie gern verzichten. Seine Meinung war ihr mittlerweile zwar egal, aber auf keinen Fall sollte er bei der Eröffnungsparty nächste Woche auftauchen. Er stand definitiv nicht auf der Gästeliste.

Auf dem Parkplatz hinter dem Restaurant wartete ihre beste Freundin Tansy auf sie. Tansy war auf der »A Sure Thing« Stewardess. Ab heute war sie nicht nur Rosies stellvertretende Küchenchefin, sondern auch Kellnerin und leitende Tellerwäscherin in einer Person.

»Und? Hast du den Sprung gewagt und unterschrieben?«

»Ja. Zum Beweis habe ich diese Schlüssel hier.« Rosie musste sich recken, um das Sicherheitsgatter hochzuschieben. Erst dann konnte sie den ersten Schlüssel in ein Schloss ganz oben an der Tür stecken und umdrehen. Mit einem weiteren, altmodischen Schlüssel musste sie ein Schloss auf halber Höhe öffnen, und schließlich musste sie sich hinhocken, um mit einem kleinen goldfarbenen Schlüssel ein Schloss dicht über dem Boden aufzuschließen. Erst dann ließ sich der Türknauf drehen, und sie konnte die Tür öffnen.

»Scheint so, als hätte der Vorbesitzer einen Sicherheitstick gehabt«, stellte sie fest. »Zumindest hoffe ich, dass nicht mehr dahintersteckt.«

Im Inneren des Cafés waren staubige Tische und Stühle ordentlich aufgereiht, an der hinteren Wand lehnten einige Sonnenschirme, und die Gardinen vor den zugesperrten Fenstern waren ausgebleicht. Der riesige Kühlschrank in der Küche wirkte so alt, als würde er schon seit den Fünfzigern dort stehen. Im Vergleich zu diesem Monstrum wirkten die übrigen Küchenutensilien winzig.

Rosie betrachtete die veraltete Einrichtung. Hoffentlich funktionierte hier alles noch. Viel neues Equipment konnte sie sich jetzt auf keinen Fall leisten. Nachdem sie den Notar bezahlt hatte, war ihr Konto geplündert. So schnell wie möglich musste sie das Café eröffnen, damit Geld auf ihr neues Geschäftskonto kam. Sonst geriet sie in finanzielle Schwierigkeiten, noch bevor die Saison überhaupt richtig begann.

»Okay, lass uns die Fensterläden öffnen und loslegen«, beschloss sie.

»Was ist hinter dieser Tür?« Tansy zeigte auf die Tür neben dem Tresen.

»Da führt eine Treppe nach oben zu einem Lagerraum«, antwortete Rosie. »Ehrlich gesagt habe ich mich dort kaum umgesehen. Mich haben vor allem die unteren Räume interessiert. Komm jetzt, lass uns schrubben.« Sie reichte Tansy ein Paar pinkfarbene Gummihandschuhe und zog sich selbst welche an.

Während Tansy sich über die Küche hermachte, kümmerte Rosie sich um den Gästebereich. Sie schob die Riegel an der Eingangstür zurück, trat auf die Terrasse hinaus und öffnete die blauen Fensterläden, von denen die Farbe abblätterte.

Einen Moment lang stellte sie sich das Café mit Kundschaft vor. Mit ihren Gästen. Dass auch hier draußen auf der Terrasse Speisen serviert wurden, war ihr sehr wichtig. Die Menschen liebten es, im Freien zu essen. »Pieds en mer«, so nannten es die Franzosen. Mit den Füßen im Meer.

Das trifft es perfekt, dachte Rosie und blickte sich um. An den Oleanderbüschen zeigten sich bereits Knospen, und dahinter sah sie Segelyachten auf dem Meer. Die Wellen glitzerten. Am Strand sammelten eine Frau und ein junges Mädchen Muscheln.

Die Loggia, die über die gesamte Breite des Restaurants reichte, wurde von baumdicken Weinranken gesäumt, und den Zugang der Terrasse zum Strand rahmten zwei große, duftende Eukalyptusbäume ein.

Rosie seufzte. Dies war wirklich ein fantastischer Ort, um sich ihren Traum zu erfüllen. Es musste einfach ein Erfolg werden. Nicht nur, weil es ihre letzte Chance war, sich selbst etwas aufzubauen. Die nicht zu vernachlässigende Tatsache lautete: Wenn dieses Café scheiterte, war sie bankrott.

Sie atmete tief durch. Scheitern kam nicht infrage.

Das Strandhotel nebenan bekam auch gerade seinen Frühjahrsputz. Zahllose Handwerker mit Leitern, Farbe und neuen Geräten schwärmten um das Hotel herum. Voller Neid sah Rosie, wie drei Männer gerade einen großen Gasherd durch einen schmalen Seiteneingang in das Gebäude bugsierten. Für einen Gasherd dieser Marke würde sie vieles geben. Zu schade, dass ihre Finanzen das im Moment nicht zuließen.

Was könnte sie aus dem Café machen, wenn ihr ein unbegrenztes Budget zur Verfügung stehen würde? Neue Tische und Stühle. Drinnen würde sie diese bequemen Pariser Bistrostühle aufstellen und draußen Teakmöbel. Die Küche würde sie komplett modernisieren. Sie würde neues Geschirr und Besteck anschaffen, hübsche Tischdecken kaufen, und statt der Seidenblumen, die sie jetzt nutzen musste, würde ein Florist jeden Tag frische Blumengestecke bringen. An die Wände würde sie Originale hängen.

Aber selbst mit ihrem beschränkten Budget brauchte sie auf Originalbilder nicht zu verzichten. Ein Bekannter von Tansy wollte ein paar Landschaftsbilder mit Motiven der Umgebung aufhängen, um sie vielleicht zu verkaufen. Mit etwas Glück würden alle paar Wochen neue Bilder im Café hängen.

Auf einem der Felsen am Wasser saß ein Mann und hob grüßend die Hand.

Rosie konnte nur hoffen, dass dieser Platz so dicht vor dem Café nicht sein Stammplatz war. Mit seinen nackten Füßen, dem zerzausten, sonnengebleichten Haar, den abgeschnittenen Jeans und dem pinkfarbenen T-Shirt, auf dem noch ganz blass der Aufdruck »Mustique« zu lesen war, passte er nicht in das Bild, das Rosie sich von den Gästen ihres Cafés machte. Außerdem befürchtete sie, dass der Mann sich dort mit ebenso zerlumpten Kumpeln traf, die ihr die Kundschaft vergraulten.

Aus Höflichkeit hob sie kurz die Hand, vermied dabei jedoch jeden Blickkontakt. Hoffentlich begriff er, dass sie nicht mit ihm reden wollte.

Leider begriff er das nicht.

»Hi, ich bin Sebastian. Die meisten nennen mich Seb.« Er kam auf Rosie zu und streckte die Hand aus.

An seinem Handgelenk hingen lederne Freundschaftsbänder.

Zögernd schüttelte Rosie ihm die Hand. Sie wollte nicht unhöflich erscheinen, aber auf keinen Fall sollte er sich ermutigt fühlen, sich länger als nötig hier aufzuhalten. »Ich bin Rosie.«

»Macht das Café bald wieder auf? Der alte Laden könnte eine Renovierung vertragen.«

»Heute in einer Woche«, antwortete sie.

»Hast du genug Leute? Falls nicht, könnte ich dir helfen.«

Sein Englisch war perfekt. Den leichten Akzent hätten viele Leute vielleicht als sexy beschrieben. Suchte dieser Mann einen Job? Oder wollte er nur Konversation betreiben? Wahrscheinlich besaß er nicht einmal richtige Arbeitskleidung. In ihrem Café sollte es zwar tagsüber keinen Dresscode geben, aber sie wollte wie in einem Restaurant warme Gerichte anbieten, und die Belegschaft sollte auf jeden Fall ordentlich gekleidet sein. Und abends war auch für die Gäste mindestens gehobene Freizeitkleidung Pflicht.

»Alles schon organisiert, danke«, antwortete Rosie schnell. Der Mann brauchte nicht zu wissen, dass Tansy im Moment die einzige Angestellte war, die sie sich leisten konnte.

Wegen Sebs gebräunter Haut und seines lässigen Outfits schätzte sie ihn eher als Rumtreiber ein. Ein zuverlässiger Angestellter, der täglich pünktlich zur Arbeit erschien, sah jedenfalls anders aus. »Hören Sie, tut mir leid, aber ich muss wirklich weitermachen. Es gibt viel zu tun.«

Diesmal erkannte er den Wink mit dem Zaunpfahl.

»Schon klar. Wir sehen uns.« Lächelnd schlenderte er weiter am Strand entlang.

»Viel Glück«, rief sie ihm nach, weil sie auf einmal ein schlechtes Gewissen bekam. Vielleicht hätte sie den Mann, der offensichtlich im Moment eine Pechsträhne hatte, freundlicher behandeln sollen. Falls er zurückkam, würde sie ihm ein paar Aushilfsjobs anbieten. Er könnte die Fenster putzen, die Terrasse schrubben oder etwas in der Art.

Seb wandte sich bei ihrer Antwort nicht um, sondern hob nur winkend die Hand.

Rosie kehrte ins Café zurück und machte sich an die Arbeit. Sie schob das alte Klavier aus der Ecke bei den Bodenfenstern mitten in den Raum und nahm sich vor, beim Klavierstimmer nachzuhaken, ob er Samstagfrüh tatsächlich kommen würde. Klaviermusik zur Lunchzeit und auch am Abend war Teil ihres Plans, im Café Fleur eine Atmosphäre zu schaffen, die sich von allen anderen abhob. Und zu Partys gehörte in jedem Fall Livemusik.

Drei Stunden später kochte Tansy ihnen beiden einen Kaffee mit der frisch gesäuberten Espressomaschine, die wie durch ein Wunder auf Knopfdruck ihre Arbeit tat, wenn auch ziemlich lautstark.

Rosie und Tansy waren beide zu Tode erschöpft.

»Rob hat gesagt, er kann uns morgen beim Streichen helfen, wenn du willst.« Tansy unterdrückte ein Gähnen.

»Toll. Ich wollte damit schon heute Abend anfangen, aber …« Rosie sah auf ihre Uhr. »Ich denke, ich mache mir nur noch eine Liste von Sachen, die ich am Donnerstag besorgen muss. Ist Rob noch damit einverstanden, dass wir uns seinen Lieferwagen borgen?«

»Ich muss ihn vorher noch am Hafen absetzen, aber dann steht uns der Wagen bis um drei Uhr zur Verfügung. Okay, ich verschwinde. Bis morgen früh.«

Nachdem Tansy die Tür hinter sich zugezogen hatte, stand Rosie noch einen Moment am Küchenfenster und beobachtete das geschäftige Treiben beim Hotel. In einem der oberen Fenster mit Blick zum Parkplatz hing jetzt ein großes Poster: »Schon bald große Wiedereröffnung«.

Wie feierlich würde diese Wiedereröffnung ausfallen? Was hieß »schon bald«? Würde Rosie ihr Café noch vorher eröffnen können? Würden die Gerichte im Hotel besser sein als bei ihr? Müsste sie sich jetzt vielleicht mit einem Meisterkoch messen?

Entschieden riss Rosie sich aus ihren Gedanken. Sie durfte nicht anfangen zu zweifeln. Der Werbespot, den sie im lokalen englischsprachigen Sender geschaltet hatte, würde hoffentlich ein paar ehemalige Stammgäste zurückholen. Und die würden per Mundpropaganda weitere Gäste ins Café Fleur bringen, bevor dann die Sommertouristen kamen.

Über die Konkurrenz nebenan konnte sie sich immer noch Sorgen machen, wenn sie Genaueres wusste.

2. Kapitel

Nachdem sie die Eingangstür ihres kleinen Antik- und Trödelladens Cupboard Under the Stairs geschlossen hatte, ging Erica die schmale Straße hinter der Kirche entlang und bog nach links zum zentralen Stadtplatz ab, wo sie noch schnell eine Bäckerei betrat. Zum Glück waren nur zwei Kunden vor ihr dran, sodass Erica kurz darauf wieder auf dem Weg zur Schule war, die zweihundert Meter entfernt lag. Die Rathausuhr schlug gerade zwölf.

Bei der Schule angekommen, atmete sie tief durch. Geschafft!

Cammie geriet schnell in Panik, wenn Erica zu spät kam, und das wollte sie ihrer Tochter ersparen.

Zum Glück traten Cammies Panikattacken und Albträume immer seltener auf. Mehr als alles in der Welt wünschte Erica sich, dass diese Anfälle endlich ganz aufhörten. Ihre Tochter sollte wieder glücklich sein. Und Erica hoffte, dass auch ihr eigener Kummer endlich verheilte.

Von allen Seiten hörte sie, dass so etwas seine Zeit brauche, doch sie wünschte, sie könnte diesen Prozess irgendwie beschleunigen. Cammies Kindheit sollte nicht komplett von den Ereignissen des letzten Jahres überschattet werden.

»Hi, meine Süße«, begrüßte sie Cammie, die auf sie zugelaufen kam. »Heute ein Picknick am Strand? Okay?«

»Mit Käsebaguette? Lecker.« Cammie legte die Hand in Ericas.

Fünf Minuten später biss Cammie in ihr Käsebaguette.

»Wie war es heute in der Schule?« Erica hielt die Luft an, während sie auf die Antwort wartete.

In den letzten Monaten war Cammie wie ein Zombie in die Schule gegangen. Sie hatte sich für nichts interessiert und lustlos die Aufgaben erfüllt, die ihr gestellt wurden. Aber letzte Woche hatte Erica beim wöchentlichen Telefonat mit Cammies Klassenlehrerin erfahren, dass es allmählich ein paar hoffnungsvolle Anzeichen gab.

»Ganz okay. Wir müssen Zeugs sammeln, weil wir nächste Woche eine Collage machen. Ich will eine Strandcollage basteln. Dafür brauche ich Muscheln, Seegras, Steine und noch viel mehr.«

»Dann sollten wir, sofort nachdem du aufgegessen hast, einen Spaziergang machen und anfangen, ein paar Sachen zu sammeln.« Erica gab sich Mühe, nicht zu begeistert zu klingen, so schwer ihr das auch fiel. Endlich schien Cammie sich mal wieder auf ein Schulprojekt zu freuen. War das vielleicht das erste Anzeichen dafür, dass sie aus der entsetzlichen Lethargie erwachte, in die sie nach Pascals Tod verfallen war? Hatte sie die Geschehnisse aus dem letzten August endlich verarbeitet?

Sie schlenderten am Strand entlang und füllten ihre Taschen mit winzigen Steinen und Muscheln. Sie waren beide so vertieft ins Suchen und Sammeln, dass sie vollkommen die Zeit vergaßen.

Erst als sie an einem Café vorbeikamen und Cammie fragte, ob sie ein Eis bekommen könne, merkte Erica beim Blick auf die Uhr, dass Cammies zweistündige Mittagspause fast vorüber war.

»Keine Zeit. Uns bleiben noch fünf Minuten für den Rückweg zur Schule. Außerdem ist das Café noch nicht geöffnet.« Sie blickte zum Café Fleur. Die Fensterläden standen offen, und eine Frau räumte innen auf. »Vielleicht haben sie das nächste Mal geöffnet. Jetzt müssen wir aber laufen, sonst kommst du zu spät.«

Als sie Cammie zurück zur Schule gebracht hatte und wieder bei ihrem Laden angekommen war, öffnete Erica den Briefkasten und zog die Post heraus. Inmitten der üblichen Werbesendungen steckte ein Brief von einer Notarkanzlei.

Wenigstens bekam sie jetzt keine Magenkrämpfe mehr, wenn sie Briefe wie diesen erhielt. Allmählich kam sie mit ihrem Alltag besser zurecht und mit all den Dingen, von denen sie nie gedacht hätte, sich jemals darum kümmern zu müssen.

Dennoch setzte ihr Herz einen Schlag lang aus, als sie den Brief las und die endgültige Summe sah, die Pascal ihr vererbt hatte, einschließlich des Geldes von der Versicherung. Ihr Leben mit Pascal war nun endgültig vorbei. Alle Formalitäten waren erledigt, und sie konnte wieder nach vorn sehen. Sie würde sich ein neues Leben ohne ihn aufbauen müssen.

Das Problem bestand darin, dass sie sich aber gar kein neues Leben mit dem Geld von Pascals Lebensversicherung erkaufen wollte. Sie wollte ihn lieber weiter um sich haben, zu Cammies Wohl und auch zu ihrem eigenen.

In Gedanken versunken entleerte sie ihre Taschen und legte die kleinen Schätze vom Strand beiseite, damit Cammie sie später sortieren konnte.

Sie konnte nicht sagen, was für eine Art Leben sie sich für die nächsten Jahre, während Cammie aufwuchs, wünschte. Aber eine so große Geldsumme durfte sie nicht einfach auf dem Konto belassen. Sie musste es irgendwie anlegen.

Cammie zu versorgen war ihre oberste Priorität, das würde auch Pascal jetzt von ihr erwarten. Sie musste das Geld investieren. In größere Geschäftsräume?

In Gedanken schüttelte sie den Kopf. Nein, das Cupboard Under the Stairs durfte nicht größer sein. Es war eine kleine Schatztruhe, vollgestopft mit unerwarteten Raritäten. Ein größeres Geschäft würde diesem Konzept widersprechen.

In dem kleinen Antik- und Trödelladen gab es einen bunten Mix aus neuen und alten Dingen: Kleidung im Vintage-Look, Handtaschen, Küchen- und Dekoartikel, Töpfe und Kissen und allen möglichen Krimskrams. Und dazwischen immer wieder Antiquitäten, wenn Erica das Glück hatte, welche zu entdecken.

Sie hatte den Laden genau so ausgerichtet, wie sie es mochte. Schon immer hätte sie in Geschäften wie diesem endlos herumstöbern können.

Sollte sie das Geld in ein größeres Haus investieren? Vielleicht in eine Villa mit Swimmingpool? Das würde Cammie sicher gefallen, aber würde sie aus dem Stadthaus ausziehen wollen, das von Erinnerungen an Pascal durchzogen war? Darüber musste Erica mit ihrer Tochter reden. Wenn ihr der Gedanke gefiel, würden sie von nun an am Wochenende nicht nur Flohmärkte besuchen, sondern auch auf Haussuche gehen.

Erica hängte das »Geöffnet«-Schild ins Fenster, obwohl sie nicht mit viel Kundschaft rechnete. Zu dieser Jahreszeit ging sie eher die Bestände durch und bereitete sich auf die kommende Saison vor, anstatt viel zu verkaufen. Dieses Jahr musste der Frühjahrsputz im Geschäft noch gründlicher ausfallen, denn in den letzten Monaten hatte sie hier vieles vernachlässigt.

Alles wirkte etwas bedrückend.

Heute Nachmittag würde sie damit anfangen, frischen Wind ins Geschäft zu lassen, indem sie gründlich sauber machte und die Regale neu einsortierte, damit zum Sommer alles wieder tadellos aussah.

Das Leben musste weitergehen. Je eher Erica wieder eine Routine entwickelte, desto besser. Cammie und sie sollten so glücklich wie nur möglich sein.

3. Kapitel

Für Rosie vergingen die Tage wie im Flug. Sie strich Wände, organisierte, kochte, geriet in Panik und kam fast ganz ohne Schlaf aus.

Am späten Samstagvormittag hängte sie mit Tansy das letzte Bild an die Wand und trat dann erschöpft einen Schritt zurück.

»Hängt das auch gerade?« Tansy rückte das moderne, bunte Gemälde in Rot, Mauve und Blautönen zurecht.

Rosie nickte. Wie sollte sie jetzt bloß noch die Eröffnungsfeier durchstehen? »Nicht zu fassen, wir haben alles geschafft. Ich brauche unbedingt einen Kaffee. Eigentlich eher Schlaf, aber Kaffee muss reichen. Die Gäste werden bald hier sein.«

Als Rosie die Schwingtür zur Küche aufdrückte, blickte James hoch, der gerade die Häppchen für die Party anrichtete. »Du siehst aus, als könntest du einen Drink vertragen.«

»Später. Im Moment steht mir der Sinn eher nach einem doppelten Espresso.«

James war vor zwei Tagen auf der Suche nach einem Job bei ihr aufgetaucht. »Antoine meinte, du könntest Hilfe gebrauchen«, hatte er Rosie erklärt. »Ich bin ausgebildeter Koch und suche eigentlich einen Job auf einer Yacht, aber er meint, ich bräuchte noch ein bisschen mehr praktische Erfahrung.«

»Ich hatte eigentlich nicht vor, in nächster Zeit noch jemanden einzustellen«, hatte Rosie entgegnet. »Tansy und ich sind ein eingespieltes Team, und solange das Café noch nicht so viel einbringt, kann ich mir eine zusätzliche Arbeitskraft nicht leisten. Ich kann mir nicht mal selbst Gehalt bezahlen. Komm in zwei Wochen wieder. Oder versuch es im Hotel nebenan.«

»Einige Tage arbeite ich auch gratis«, hatte James angeboten. »Antoine sagt, du seist wirklich gut und ich könnte viel von dir lernen.«

Belustigt von diesen Schmeicheleien hatte sie gelächelt. »Okay, kannst du am Samstagnachmittag aushelfen und abends zur Eröffnungsparty bleiben?«

»Um wie viel Uhr brauchst du mich?«

»Um zwei.«

»Ich werde da sein.«

Und jetzt war er hier. Worum Rosie ihn in den vergangenen Stunden auch gebeten hatte, er hatte es schnell und effizient erledigt. Jetzt sah sie ihn die Kaffeemaschine bedienen und hoffte, dass sie ihn in den nächsten Wochen auch offiziell einstellen konnte. Er wäre sicher eine große Hilfe. Beim nächsten Treffen musste sie sich unbedingt bei Antoine dafür bedanken, dass er James zu ihr geschickt hatte.

»Hast du genug Champagner kalt gestellt?« Sie nahm ihren Kaffee entgegen. »Und Rosé?«

»Ja.« James nickte. »Trink das und dann geh und zieh dich um. Tansy und ich haben hier alles im Griff.«

Rosie unterdrückte eine sarkastische Bemerkung à la »Jawohl, Chef« und zog sich stattdessen auf die Damentoilette zurück.

Nicht mal mehr eine halbe Stunde, bevor die Gäste kamen! Da blieb ihr gerade noch Zeit zum Umziehen und für etwas Make-up. Sie zog sich ihre weiße Jeans und ein schwarzes Top mit Spaghettiträgern an und schlüpfte in ihr einziges Paar Jimmy Choos. Aufwendig frisieren konnte sie sich nicht mehr, deshalb steckte sie sich das Haar wie üblich mit einer großen Glitzerspange hoch und steckte sich ihren riesigen Bernsteinring an. Fertig!

Sie atmete tief durch. Zeit für die Party. Vorhang auf für das Café Fleur!

James verteilte bereits Champagner an die ersten Gäste. Tansy richtete in der Küche noch ein paar Speisen an und winkte ab, als Rosie ihr helfen wollte. »Geh und unterhalte dich mit deinen Gästen.«

Rosie machte ihren Rundgang, begrüßte die Gäste und nahm die Glückwünsche entgegen.

Der Pianist spielte Jazz-Standards und nickte lächelnd, als sie ihm ein Glas Champagner hinstellte, bevor sie sich in ihrem Restaurant umsah – es fiel ihr immer noch schwer, sich an diesen Gedanken zu gewöhnen.

Die Gäste bedienten sich beim Fingerfood. Es gab Blini mit Räucherlachs, Pastete auf hauchdünnem Toast, Quiche-Häppchen und Pissaladière, den für die Region typischen Zwiebelkuchen mit Anchovis und Oliven. Schalen mit Mandeln, Chips und Erdnüssen waren überall verteilt, und für alle mit einem Hang für Süßes gab es kleine Aprikosentörtchen mit einem Häubchen aus Crème fraîche sowie kleine Schälchen mit Mousse au Chocolat und Obstsalat.

Auf einem separaten Tisch hatte Tansy die Käseplatte mit Brie, Roquefort, Boursin und Cantal angerichtet.

In der Küche köchelte noch ein Kessel mit selbst gemachter Petersiliensuppe auf dem Herd, die zum Ende des Abends serviert werden würde, kurz bevor die Gäste gingen.

Eine Stunde später war die Eröffnungsparty in dem kleinen Café in vollem Gang. Rosies Stapel mit Visitenkarten auf dem Tresen war deutlich geschrumpft, und in das Reservierungsbuch hatte sie bereits eine ganze Reihe von Tischreservierungen eintragen können. Sie gestattete sich ein kleines, zufriedenes Lächeln. Der Startschuss für das Café Fleur war gefallen.

In gedämpftem Licht tanzten Paare eng umschlungen zu romantischem Jazz.

Rosie seufzte. Es war Jahre her, seit sie mit jemandem so getanzt hatte. Die Arbeit auf einer Yacht ließ keine Zeit für eine Beziehung mit einem Partner auf dem Festland. Seit William vor achtzehn Monaten die »A Sure Thing« gekauft hatte, war Rosie immer wochenlang am Stück auf See, und ihre vereinzelten freien Tage hatte sie allein in den Häfen verbracht, in denen das Schiff gerade angelegt hatte: in Saint-Tropez, Monaco oder auf Korsika.

All diese Orte klangen glamouröser, als sie im Grunde waren, wenn man niemand Besonderen bei sich hatte, mit dem man dort die Zeit verbringen konnte. Jetzt stand für sie der Erfolg des Café Fleurs über allem, und das bedeutete, den Gedanken an ein Date und eine ernsthafte Beziehung vorerst aus dem Kopf zu verbannen. Ihre ganze Energie musste sie auf das Café Fleur konzentrieren.

Ein Kreischen übertönte die Musik und die Unterhaltungen, als es in dem Café schlagartig dunkel wurde. Die Notbeleuchtung in der Küche und hinter dem Tresen flackerte kurz auf und erstarb dann ebenfalls.

»Hast du eine Ahnung, wo der Sicherungskasten ist? Und hast du zufällig eine Taschenlampe?«, fragte James sie.

»Der Sicherungskasten ist neben dem Regal in der Garderobe«, erwiderte sie. »Aber Taschenlampen habe ich keine.« In Gedanken setzte sie Taschenlampen und Kerzen mit auf die Liste der Dinge, die sie unbedingt anschaffen musste. Diese Liste, die in der Küche an einem Bord hing, wurde von Tag zu Tag länger.

Hilfsbereite Gäste zündeten ihre Feuerzeuge an und leuchteten mit ihren Handys, bis James die Sicherungen fand und betätigte. Nichts geschah.

»Tut mir leid, Leute, aber anscheinend ist diese Party für heute Abend zu Ende«, verkündete Rosie. »Danke für eure Unterstützung. Das Café Fleur wird …« Sie verstummte, als Seb mit einer angezündeten Kerze über die Terrasse kam.

»Ich schätze, du hast noch keinen Kerzenvorrat angelegt.« Er legte ein Bündel Kerzen auf ihren Tresen, bevor er mit seiner brennenden Kerze einige andere anzündete und vorsichtig auf dem Tresen verteilte. »Ist noch was zu essen übrig?«

»Ja, natürlich. Vielen Dank.« Rosie richtete eine Auswahl von Snacks auf einem Teller an. »Möchtest du Champagner?« Sie schenkte ein Glas ein und reichte es ihm.

Während Tansy und James weitere Kerzen strategisch im Raum verteilten, begann der Pianist wieder zu spielen, und die Gäste kehrten Arm in Arm auf die kleine Tanzfläche zurück.

Rosie schenkte sich ein Glas Champagner ein und betrachtete Seb, während sie einen Schluck trank. Er wirkte heute Abend überhaupt nicht verwahrlost. Statt der Shorts trug er eine modisch zerrissene Jeans, und das schlichte weiße T-Shirt betonte seine Bräune. Nur sein Haar war immer noch zerzaust.

»Ich kann dir gar nicht genug für die Kerzen danken. Dafür bin ich dir was schuldig.«

Er zuckte nur mit den Schultern. »Das hier schmeckt gut. Hast du das gemacht?«

»Was …? Oh, die Makrelenpastete. Ja.« Sie sah ihn an. »Du hast dich extra auf den Weg gemacht, um mir die Kerzen zu bringen?«

»Richtig. Die ganzen zwanzig Meter.« Seb schob den leeren Teller zur Seite und streckte ihr die Hand hin. »Lust zu tanzen?«

»Also …« Aber Seb hatte ihre Hand bereits ergriffen. »Zwanzig Meter? Da ist doch das Hotel. Du arbeitest im Hotel?«

»Es gehört mir.«

Rosie blieb stehen. »Aber ich dachte …«

»Ich weiß, was du gedacht hast.« Seb lächelte. »Du hast gedacht, ich sei ein Rumtreiber.«

»Du hättest was sagen können. Ich wollte dir schon irgendwelche Aushilfsarbeiten anbieten, wenn ich dich wiedersehen würde.« Rosie schüttelte den Kopf. »Ich komme mir so dumm vor.«

Seb zuckte mit den Schultern. »Das solltest du nicht. Woher hättest du das wissen sollen? Vielleicht solltest du die Menschen nicht so vorschnell beurteilen, schon gar nicht hier in der Gegend. Hier gibt es viele Millionäre, die wie Obdachlose herumlaufen.«

»Du bist Millionär?«

»Findest du, ich laufe wie ein Obdachloser herum?«, erwiderte er, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, ich bin kein Millionär. Noch nicht.«

»Aber dir gehört das Hotel. Dann sind wir Konkurrenten? Wann macht dein Restaurant auf? Sag mir jetzt nicht, dass dein Küchenchef ein Sternekoch ist.«

»Hier gibt es genug Platz für uns beide. Ich sehe uns überhaupt nicht als Konkurrenten. Wir haben unterschiedliche Zielgruppen. Allerdings erwarte ich, im ersten Jahr einen Michelin-Stern zu bekommen.«

»Oh. Gut.« Rosie fuhr zusammen, als es in der Küche schepperte. »Tut mir leid, aber da gehe ich lieber nachsehen.« Sie nahm eine Kerze vom Tresen und ging in die Küche.

Das war ja wieder typisch! Gerade als sie beschlossen hatte, dass Seb ein anständiger Kerl war, musste er alles wieder verderben. Sie konnte gut kochen. Wie kam er darauf, sie könnte nicht auch einen Michelin-Stern bekommen? Natürlich nicht für Haute Cuisine, aber schließlich gab es auch eine Bistro-Kategorie, in der einfache Restaurants mit ausgezeichneter Küche aufgeführt wurden.

Im Kerzenlicht suchte Tansy Backbleche und Kochtöpfe auf dem Boden zusammen, die heruntergefallen waren, als ein Regal zusammengebrochen war.

»Bist du okay?«, fragte Rosie.

»Nichts passiert. Wer ist der Kerl mit den Kerzen?«

»Seb. Ihm gehört das Hotel.« Rosie reichte Tansy ein paar Backbleche. »Und er hat Ehrgeiz. Er möchte nach der Wiedereröffnung des Hotels mit seinem Hotelrestaurant in den Guide Michelin. Das fehlt mir noch: so ein blöder, zweiter Jean-Christophe Novelli gleich nebenan!«

»Die Gäste werden deine Kochkunst lieben«, stellte Tansy klar. »Du weißt selbst, dass du dich beim Vergleich mit irgendeinem arroganten Chefkoch nicht zu verstecken brauchst.«

»Leider sind diese arroganten Chefköche im Gegensatz zu mir Franzosen. Vielleicht bin ich zu naiv.« Sie seufzte. Zum ersten Mal kamen ihr Zweifel, ob das Café Fleur erfolgreich sein konnte. »Mir ist klar, dass es hier viel Konkurrenz gibt. Es lässt sich nicht leugnen: Hier findest du in jedem zweiten Haus im Erdgeschoss ein Restaurant oder ein Bistro. Ich hätte nur nicht gedacht, dass ich hier direkt am Strand gleich nebenan solche Konkurrenz haben werde.«

»Ist ein bisschen spät für solche Zweifel«, antwortete Tansy. »Denk daran, wie viel Geld du schon ins Café Fleur gesteckt hast. Das kannst du jetzt nicht alles aufgeben, ohne es zumindest zu versuchen. Und du wirst es schaffen. Sieh doch bloß, wie viele Reservierungen wir schon haben.«

Rosie atmete tief durch. »Da hast du auch wieder recht.«

Sie musste wirklich an das bereits investierte Geld denken. »Okay, dann zurück zu Plan A. Machen wir das Café Fleur zu dem Restaurant, in dem alle essen gehen und gesehen werden wollen.«

Entschlossen verdrängte Rosie alle verräterischen Gedanken an sexy Hotelbesitzer. In absehbarer Zukunft waren solche Gedanken für sie tabu. Kein Mann durfte ihre Lebenspläne durcheinanderbringen.

Männer wollten immer die Kontrolle haben. Alles musste so laufen, wie sie es sich vorstellten, und sie duldeten keine Widerrede. Aber das Schlimmste an Männern war Rosies Erfahrung nach ihre Unzuverlässigkeit. Dafür war Charlie das beste Beispiel. Und ihr Vater natürlich auch.

Diesen Sommer würde sie all ihre Energie darauf verwenden, aus dem Café Fleur das beste Strandrestaurant an der ganzen Küste zu machen. Und kein konkurrierender Nachbar würde sie von diesem Plan abbringen können.

4. Kapitel

Besonders an sonnigen Tagen war es immer eine angenehme Erleichterung, aus dem Büro rauszukommen. Georgina George lächelte glücklich, als sie sich an einen der Bistrotische des Café Fleur setzte. Hiermit war ihr Sommerbüro eröffnet.

Ihr Schreibtisch in einer der exklusivsten Immobilienagenturen der Stadt war eine kostspielige Notwendigkeit. Georgina brauchte ihn für offizielle Meetings. Die Adresse war ein erstklassiges Aushängeschild, durch das sie das Vertrauen ihrer Kunden gewann.

Da spielte es keine Rolle, dass sie im Sommer den meisten Papierkram an ihrem Laptop erledigte, während sie in irgendeinem Café saß. Oft war es auch vertrauenerweckend, wenn sie sich mit den Kunden zu einem ersten Gespräch in einem Café wie diesem traf.

Das Restaurant sah dieses Jahr definitiv repräsentativer aus. Neuer Name, neue Besitzerin. Laut der jüngsten Gerüchte gehörte es jetzt einer Engländerin. Wenn sie ihren Kaffee bestellte, würde Georgina sich vorstellen und es dabei selbst herausfinden. Mit ein bisschen Glück hatte die Frau die Preise nicht erhöht. Georginas Budget war noch schmaler als letztes Jahr, weil Hugo den Mietpreis für den Schreibtisch in seiner Agentur erhöht hatte.

Ein getoastetes Sandwich und ein Kaffee zum Lunch waren trotzdem noch eine günstigere Alternative, als wenn sie sich Nahrungsmittel kaufen und selbst kochen würde. Solange sie sich mittags ein Sandwich gönnte, kam sie tagsüber damit über die Runden und konnte zu Hause mit Cornflakes überleben.

»Bonjour. Was darf ich Ihnen bringen? Leider haben wir im Moment noch keine große Auswahl an Speisen. Sie können zwischen Croques, einer Suppe und Sandwiches wählen.«

Georgina betrachtete die Frau, die mit gezücktem Block vor ihr stand. Sie mussten ungefähr im selben Alter sein. »Hi. Sind Sie Fleur?«

»Ja. Aber eigentlich heiße ich Rosie. Rosie Hewitt.«

»Hallo. Ich bin Georgina George. Ja, ich weiß, meine Eltern waren nicht sehr einfallsreich. Die meisten nennen mich GeeGee.« Lächelnd sah sie Rosie an. »Einen großen Kaffee bitte. Und in einer halben Stunde einen Croque Monsieur mit einem zweiten Kaffee. Danke.«

Während sie auf ihre Bestellung wartete, schrieb GeeGee eine E-Mail an Stan, den widerlichen Vermieter ihres Studio-Apartments. Sie erinnerte ihn daran, dass sie immer noch auf die Verlängerung ihres Mietvertrags wartete, die er ihr bereits vor einer Woche hätte schicken sollen. Gerade als sie die E-Mail versendet hatte, brachte Rosie ihr den Kaffee.

»Sie retten mir das Leben.« GeeGee lächelte. »Ohne meinen Kaffee komme ich nicht über den Tag. Wie läuft das Café? Ich gehöre übrigens zur Stammkundschaft.«

»Bisher ganz gut«, antwortete Rosie. »Hoffentlich wird die Saison gut. Wohnen Sie hier in der Nähe?«

GeeGee nickte. »Draußen auf dem Cap d’Antibes. Ich bin jetzt seit acht Jahren hier und möchte an keinem anderen Ort der Welt leben, auch wenn es in letzter Zeit nicht mehr so gut läuft.«

»Was tun Sie denn beruflich?«

»Als Immobilienmaklerin lebe ich von meinen Provisionen, dadurch wird das Leben manchmal ein bisschen beängstigend.« GeeGee trank einen Schluck von ihrem Kaffee. »Im Moment herrscht ziemliche Flaute, aber es gibt Anzeichen, dass das Geschäft langsam wieder anläuft. Diesen Monat schließe ich einen Kauf ab. Und heute Nachmittag habe ich eine Besichtigung von einem Apartment, bei dem ich große Hoffnungen habe, es zu verkaufen.« Dass sie in große Geldnot geraten würde, wenn sie in den nächsten Wochen keine Villa oder wenigstens ein Apartment vermittelte, verschwieg sie lieber.

»Dann geht es Ihnen wie mir«, erwiderte Rosie. »Ich bin zwar nicht auf Provisionen angewiesen, aber all meine Ersparnisse stecken in diesem Café. Deshalb muss ich so schnell wie nur möglich Geld damit verdienen.«

»Das wird sicher klappen.« GeeGee winkte ab. »Dieses Café ist während der Saison eine echte Goldgrube. Da gibt es Tage, an denen man keinen freien Tisch mehr findet. Meine Freundin Erica und ihre Tochter sind auch fast immer hier am Strand. Wir empfehlen Sie gern weiter, aber glauben Sie mir: Das ist gar nicht nötig.«

»Danke.« Rosie lächelte. »Bin gleich mit Ihrem Lunch zurück.«

GeeGee trank von ihrem Kaffee und sah Rosie nach, bevor sie sich wieder auf die Zahlenkolonnen in der Tabelle auf ihrem Laptop konzentrierte.

Zwanzig Minuten darauf wurde sie in ihrer Konzentration unterbrochen, als ein leises Ping eine eingehende E-Mail ankündigte.

Jay! GeeGee unterdrückte einen Seufzer.

»Bon Appétit.« Rosie servierte ihr den Croque Monsieur und einen weiteren Kaffee.

»Danke. Das sieht gut aus.« GeeGee klappte ihren Laptop zu. Es konnte auch bis zum Abend warten, bis sie eine weitere Nachricht von Jay las, in der er schrieb, wie überglücklich er war. Vielleicht löschte sie die E-Mail auch ungelesen. Im Moment wollte sie nur ihren Lunch genießen.

Eine Stunde später winkte GeeGee Rosie zum Abschied zu, verließ den Strand und machte sich auf den Weg durch die Stadt, um sich mit ihrem Kunden Marc zu treffen, dem sie eine neue Immobilie aus ihrem Portfolio zeigen wollte. Das Apartment lag im obersten Stockwerk eines der ältesten Stadthäuser an der Küstenstraße.

Marc wartete bereits mit einem anderen Mann auf sie. Die beiden standen auf der gegenüberliegenden Straßenseite mit dem Rücken zum Meer und betrachteten das viergeschossige, terrassenförmig angelegte Haus mit den hellgrünen Fensterläden.

Die beiden Männer waren Anfang dreißig, und sie trugen die übliche Kluft der Besatzung von Luxusyachten: barfuß in Segelschuhen, schlichte Bermudashorts und Polohemden mit dem diskreten, aufgestickten Namen der Yacht auf der Brusttasche.

Da Marc sie kontaktiert und diese Besichtigung vereinbart hatte, nahm GeeGee an, dass er der Kaufinteressent war. Der andere Mann war bestimmt zur moralischen Unterstützung dabei. Kunden brachten oft Freunde zu den Ortsterminen mit, um eine unvoreingenommene Meinung zu hören und als Entscheidungshilfe. Manchmal waren diese Freunde allerdings auch einfach nur neugierig. Oder gehörten Marc und der andere Mann zusammen? Suchten sie sich etwas Gemeinsames?

»Hallo. Ich bin hoffentlich nicht zu spät.« Sie kramte in ihrer Tasche nach den Schlüsseln.

»Nein, wir dachten nur, wir kommen etwas früher und sehen uns schon mal die Umgebung an«, erklärte Marc. »Das hier ist Dan, mein … Finanzberater«, fügte er lachend hinzu.

GeeGee streckte die Hand aus. »Freut mich, Finanzberater Dan.« Sie lächelte ihn an.

Als er ihre Hand fest ergriff und schüttelte, durchzuckte es sie ganz unerwartet. Fast war sie erleichtert, als Dan sie wieder losließ.

»Die Lage des Hauses gefällt mir«, stellte er fest. »Da hat man bestimmt eine tolle Aussicht.«

»Stimmt, und das Apartment ist wirklich schön. So was wie das hier steht auch auf meiner ganz persönlichen Wunschliste.« GeeGee lächelte die beiden Männer leicht bedauernd an. »Einziger Nachteil ist, dass es im vierten Stock liegt und dass es keinen Fahrstuhl gibt.«

»Wie viele Apartments gibt es in dem Haus?« Marc folgte ihr die Stufen hinauf.

»Drei Apartments und ein paar Studios. 4c ganz oben ist das schönste Apartment. Und das teuerste.«

Von dem Moment an, als sie die Apartmenttür öffnete, wusste GeeGee, dass es Dan war, der von dem Apartment fasziniert war. Marc wirkte weder von dem frisch renovierten Wohnzimmer sonderlich begeistert noch von der etwas altmodischen Küche mit dem Spülstein und den blaugelben Fliesen. Den kleinen Balkon, der vom Wohnzimmer durch die gläsernen Schiebetüren erreichbar war und von dem aus man aufs Meer hinausblicken konnte, fand er zu winzig, um irgendetwas damit anfangen zu können.

Schließlich führte GeeGee die beiden Männer die steinerne Wendeltreppe hinauf an den Ort, der ihrer Meinung nach das Schönste an dem gesamten Apartment war: die angrenzende Dachterrasse. Als sie zum ersten Mal hier oben gewesen war, hatte sie sich sofort vorgestellt, hier würden große Töpfe und Vasen mit Pflanzen und üppigen Geranien stehen. Mit ein paar versteckten Strahlern wäre das hier der perfekte romantische Rückzugsort für ein Pärchen.

Sie wies Marc darauf hin, dass das Apartment erst seit ein paar Tagen zum Verkauf stand und der Eigentümer sicher kein Gegenangebot akzeptieren würde. Er verlangte den vollen Preis.

Dann blieb sie oben auf der Dachterrasse stehen, während Marc und Dan wieder nach unten gingen.

Sie lehnte am Geländer und blickte auf die Menschen unten auf dem Fußweg der schmalen Küstenstraße. Nach so einem Apartment wie diesem sehnte sie sich. Hier oben mit einem Geliebten ein romantisches Dinner im Mondschein … Sie seufzte. Eines Tages vielleicht.

Marc und Dan unterhielten sich so leise in der Wohnung, dass GeeGee hier oben kein Wort verstehen konnte. Doch ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass Marc das Apartment nicht kaufen würde. Als die beiden Männer auf die Dachterrasse zurückkehrten, wandte GeeGee sich ihnen zu.

»Haben Sie sich ausreichend umgesehen?«

»Ja, danke.« Marc nickte. »Es ist ein schönes Apartment, aber …«

»Ich zahle den verlangten Preis«, unterbrach Dan ihn. »Wo muss ich unterschreiben?«

Verblüfft sah GeeGee von Dan zu Marc. »Ich dachte, Sie seien der Kaufinteressent.«

Marc zuckte mit den Schultern. »Wir suchen beide. Aber ehrlich gesagt passt dieses Apartment viel besser zu Dan als zu mir. Ich möchte lieber ein Penthouse-Studio in einem modernen Gebäude mit Swimmingpool.«

»Weil du keine Seele hast«, warf Dan lachend ein. »Wer braucht einen Pool, wenn er das da vor der Haustür hat?« Er deutete auf das Mittelmeer.

»Das stimmt allerdings, Dan. Ich setze mich mit dem Eigentümer in Verbindung. Dann bekommen Sie den ersten Teil des Kaufvertrags für Ihren Notar.« GeeGee atmete tief durch. »Ihnen steht eine siebentägige Bedenkzeit zu, falls Sie Ihre Meinung noch ändern. Danach wird der Notar alles Weitere in die Wege leiten.«

»In Ordnung«, stimmte Dan zu.

»Ich kann Ihnen die Namen von ein paar Hypothekenmaklern nennen«, fuhr GeeGee fort. »Die sorgen dafür, dass Sie bestmögliche Finanzierungsbedingungen bekommen. Oh, Entschuldigung, Sie sind ja Finanzberater, da haben Sie sicher Ihre eigenen Kontakte.« Abwartend lächelte sie ihn an, weil sie damit rechnete, dass Marc ihn nur aus Spaß so bezeichnet hatte. Aber anscheinend war es kein Scherz.

Stattdessen sagte er: »Nächste Woche steht das Geld zur Verfügung.« Er streckte ihr die Hand hin. »Alle Geschäfte müssen mit einem Handschlag besiegelt werden.«

Als ihre Hand von seiner umschlossen wurde, schluckte GeeGee. »Danke.« Hoffentlich merkte er nicht, wie stark sie zitterte.

5. Kapitel

Rosie hatte sich eine Schachtel Kerzen besorgt und ging nun rüber ins Hotel, um sich bei Seb zu bedanken. Behutsam klopfte sie an die Seitentür, die einen Spaltbreit offen stand. »Hallo? Ist da jemand? Kann ich reinkommen?«

Als niemand antwortete, drückte sie die Tür auf und trat ein.

In der menschenleeren Küche strahlten die Edelstahlflächen, die Kupfertöpfe hingen im Dutzend in einer Reihe, und an einer Wand reihte sich Kühlschrank an Kühlschrank. Aus der Nähe wirkte der teure Gasherd, dessen Anlieferung Rosie letzte Woche beobachtet hatte, noch beeindruckender. Wie sehr sie sich so einen Herd wünschte!

Die Schwingtüren zum Speiseraum waren für sie etwas zu hoch, um darüber hinwegsehen zu können, deshalb umfasste sie ihre Packung Kerzen etwas fester und ging weiter in den Speisesaal. »Ist hier jemand?«

Wegen der kürzlichen Renovierung roch es ein bisschen nach Farbe, und die Tische und Stühle waren noch nicht ordentlich aufgestellt. Trotzdem wirkte der Raum sehr luxuriös mit den Fresken an der Decke und den zahllosen Verzierungen aus Blattgold. Im Vergleich von Deko und Ausstrahlung ging die erste Runde eindeutig an Seb, obwohl das Café Fleur mit seiner Lage direkt am Strand zumindest ein paar Ehrenpunkte abstauben konnte.

Rosie stand immer noch reglos da und nahm alle Details in sich auf, um später Tansy davon berichten zu können, als Seb auftauchte und sie beim Spionieren ertappte.

»Alles gesehen, was dich interessiert?«

»Äh, ja, danke. Die hier sind für dich.« Leicht verlegen drückte sie ihm die Schachtel Kerzen in die Hände. »Die Tür stand offen. Ich habe gerufen, aber niemand hat geantwortet. Am besten gehe ich jetzt wieder.«

Seb zuckte mit den Schultern. »Kein Problem. Trink doch einen Kaffee.« Er ging in die Küche zur funkelnagelneuen Espressomaschine. »Milch? Zucker?«

»Weder noch, bitte.« Sie sah, wie er einen Teller mit winzigen, köstlich aussehenden Gebäckstücken mit den Tassen auf ein Tablett stellte.

»Lass uns damit zur Rezeption gehen. Die Sessel im Empfangsbereich sind sehr bequem. Komm mit.«

Rosie folgte ihm schweigend und fragte sich, wie lange sie bleiben musste, ehe sie gehen konnte. Auf einer Peinlichkeitsskala von eins bis zehn war es sicher eine glatte Zehn, beim Herumschnüffeln ertappt zu werden.

Der makellose Rezeptionsbereich war ganz offensichtlich bereits für die feierliche Wiedereröffnung vorbereitet. Die obligatorische, schicke Rezeptionistin stand bereits hinter dem Tresen und arbeitete fleißig. Als Seb und Rosie auf sie zukamen, schaute sie auf.

»Darf ich dir meine persönliche Assistentin Miranda vorstellen?« Seb deutete auf die junge Frau. »Sie organisiert die große Eröffnung am Samstag. Erinnere mich bitte dran, dass ich dir eine Einladung gebe, bevor du wieder gehst.«

»Tut mir leid«, erwiderte Rosie. »Ich habe bereits Reservierungen für Samstagabend.«

»Der Empfang geht von acht Uhr bis spätnachts. Komm einfach rüber, wenn du fertig bist«, antwortete Seb. »Ich sorge dafür, dass noch eine Flasche Champagner für dich übrig bleibt.«

Ganz offensichtlich akzeptierte er ein Nein nicht so leicht, in dieser Hinsicht ähnelte er Charlie. Um nicht unhöflich zu sein, widersprach Rosie nicht weiter und hob die Schultern. »Okay, vorausgesetzt, ich bin nicht zu müde.«

Während sie mit ihm in den weichen Hotelsesseln saß, von dem köstlichen Gebäck aß und von dem Espresso trank, der für ihren Geschmack viel zu stark war, fühlte sie sich Seb gegenüber zur Höflichkeit verpflichtet. Sie verdrängte die Peinlichkeit, beim Herumschnüffeln erwischt worden zu sein. Schließlich war Seb mit den Kerzen als Helfer in der Not zu ihr gekommen. Daher verdiente er es nicht, dass sie ihm die kalte Schulter zeigte, auch wenn seine Mischung aus Arroganz und sexy Charme sie maßlos aufregte.

Sie griff nach einem weiteren Gebäckstück. Diese kleinen Dinger schmeckten wirklich köstlich. »Ist dies das erste Hotel, das du leitest? Oder hast du das vorher schon mal gemacht?«

»Mein erstes Mal. In der Restaurantbranche bin ich schon seit Jahren, aber ich habe immer von der Herausforderung geträumt, mir etwas Eigenes aufzubauen. Und wie ist das bei dir? Schätze, du bist es leid, auf einer Yacht herumzufahren.«

Rosie sah hoch. Woher wusste er das? »Ich koche für mein Leben gern. Mein eigenes Strandcafé ist schon seit Jahren mein großer Traum. Außerdem will ich nicht mein Leben lang ohne feste Bleibe umherziehen.«

»Mir gefällt übrigens der Name. Café Fleur.« Seb nickte. »Gute Idee, den Namen zu wechseln. Damit signalisierst du den Einheimischen, dass es nicht mehr dasselbe Etablissement ist wie vorher.«

»Was meinst du damit?«

Er atmete tief durch. »Die örtliche Polizei hatte letztes Jahr was dagegen, dass es zum Umschlagsplatz für Drogen geworden war.«

Erschrocken sah sie ihn an. »Drogen? Da wundern mich die vielen Schlösser an der Tür nicht mehr.«

»Mach dir keine Sorgen. Die Leute, die damit zu tun hatten, verbringen gerade einen langen Urlaub auf Staatskosten in einem Gefängnis in Marseille. Und die Gendarmerie wird ein Auge auf dich halten.«

»Hoffentlich hast du recht.«

»Ich hole dir deine Einladung für Samstag.« Er stand auf und ging zu Miranda hinüber.

Die gravierte Karte, die er Rosie anschließend reichte, sah sehr beeindruckend aus.

»Vielen Dank. Wird dein Chefkoch am Samstag auch schon hier sein?«

Seb nickte. »Er ist bereits hier. Er hat dieses Gebäck zubereitet, das dir offensichtlich schmeckt.« Belustigt blickte er auf das geplünderte Tablett.

Hastig schob Rosie ihm den Teller mit dem letzten verbliebenen Gebäckstück zu. Von diesen Köstlichkeiten hätte sie endlos weiteressen können. »Ist dein Küchenchef jemand, von dem ich vielleicht schon gehört habe? Meine größte Sorge besteht darin, dass du es geschafft hast, Jean-Christophe Novelli zu überreden, deinetwegen in sein Heimatland zurückzukehren. Falls ja, dann gebe ich alle Pläne sofort auf. Konkurrenz ist eine Sache, aber Jean-Christophe, das wäre mir eine Nummer zu groß.« Rosie sagte es lachend, obwohl sie es todernst meinte. Besorgt wartete sie auf seine Antwort.

Seb schüttelte den Kopf. »Dann kannst du aufhören, dir Sorgen zu machen. Er ist es nicht. Aber glaubst du ernsthaft, dein kleines Strandcafé steht in Konkurrenz zu diesem Hotel und dem Ruf des Küchenchefs?«

»Ich koche so gut wie jeder Chefkoch.« Rosie stand auf. Seb hatte gerade ihre größte Sorge in Worte gefasst. Sie wollte nicht hören, was er sonst noch zu sagen hatte. »Danke für den Espresso und dieses Gebäck. Ich sollte jetzt lieber gehen.«

»Hast du schon vom The Recluse gehört? Vom Chefkoch Sebastian Groc? Innerhalb von vier Jahren hat das Restaurant unter ihm zwei Sterne bekommen.«

Autor

Jennifer Bohnet
Die gebürtige Engländerin Jennifer Bohnet lebt seit einigen Jahren auf dem Land in der Bretagne, gemeinsam mit ihrem Mann und unzähligen Tieren. Ihre neue Heimat Frankreich hat sie zu ihrem Roman »Das Strandcafé an der Riviera« inspiriert.
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