Das Weihnachtswunder von Cahill Crossing

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„Sir, Sie sind mein Schutzengel!“ Rosalie ist entschlossen, Lucas ihre Dankbarkeit zu zeigen. Schließlich hat er sie vor dem sicheren Erfrierungstod im Schnee bewahrt. Aber wie bedankt man sich bei einem Engel mit breiten Schultern und einem gefährlich sinnlichen Lächeln?


  • Erscheinungstag 27.11.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513425
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Texas, Dezember, Anfang der 1880er Jahre

Rosalie Greer erschauerte, als ein eisiger Wind ihr ins Gesicht schlug, während sie ihren Wagen, der voll beladen war mit kostbarer Fracht und Vorräten, die Straße hinunter nach Cahill Crossing lenkte. Sie hatte das Eisenbahndepot in Wolf Grove früh genug verlassen, um die sechzehn Kilometer möglichst rasch zurückzulegen und vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause zu sein. Oder jedenfalls hatte sie das so geplant. Unglücklicherweise hatte der Zug, der ihre Waren brachte, Verspätung gehabt, und sie hatte sich etwas länger aufgehalten, um noch eine Kleinigkeit zu essen, ehe sie sich auf den Heimweg machte.

Das war ein großer Fehler, dachte sie, als sie die tief hängenden, grauschwarzen Wolken betrachtete, die sich auf sie zubewegten. Sie schlug den Pferden die Zügel über die Kruppe, sodass sie in Trab fielen.

Rosalie, die von ihren Freunden Rosa genannt wurde, war erst vor zwei Jahren in die junge Gemeinde Cahill Crossing gezogen, um ihr Geschäft zu eröffnen, trotzdem hatte sie schon im vorigen Winter einen Blue Norther erlebt, einen Schneesturm. Und sie hatte rasch großen Respekt davor bekommen. Ein Blick auf die bedrohlichen Wolken zusammen mit dem eisigen Wind genügte, um ihr die Gewissheit zu verschaffen, dass es eine lange, kalte Heimfahrt werden würde.

Eine weitere eiskalte Böe zog an ihr vorbei und brachte riesige Schneeflocken mit. Rosa legte die Zügel ab, um ihren Mantel zu schließen, der höchstens für ein bisschen Wärme sorgen würde.

„Verwirrendes Wetter“, murmelte sie, an die Welt im Allgemeinen gerichtet. „Man weiß nie, wann ein Sturm aufzieht. Das ist …“

Ihre Stimme versagte, und ihr stockte der Atem, als sich schwerer Hagel zwischen die großen Schneeflocken mischte. Liebe Güte! Eben erst hatte es zu schneien begonnen, und jetzt das: Sie befand sich urplötzlich inmitten eines Eissturms!

Innerhalb einer halben Stunde war alles so von Schnee bedeckt, dass sie nahe daran war, die Orientierung zu verlieren. Die Sicht reichte nur noch knapp hundert Meter – wenn überhaupt. Je weiter sie nach Westen kam, desto größer wurden die Schneewehen und desto dichter Schnee- und Eisregen. Durch die Verwehungen war es schwer, den Fahrweg von den Gräben zu unterscheiden, die ihn rechts und links begrenzten.

Rosa biss die klappernden Zähne zusammen, verkroch sich in ihrem dünnen Mantel und wünschte, der gemieteten Kutsche und dem Mietgespann würden Flügel wachsen, sodass sie zu ihrer gemütlichen Wohnung oberhalb ihres Geschäfts am Marktplatz zurückfliegen könnte. Doch so viel Glück hatte sie nicht. Aufgrund ihres edlen Vorhabens, ihre Fracht in Wolf Grove zu kaufen und sie dann im Schutz der Dunkelheit zu entladen – damit niemand etwas davon bemerken konnte –, hatte sie sich in große Gefahr gebracht.

Über ihren eigenen Tod hatte sie noch nie ernsthaft nachgedacht, aber ganz bestimmt hatte es nicht ganz oben auf ihrer Liste gestanden, auf einer verlassenen Straße irgendwo im Niemandsland kurz vor Weihnachten zu erfrieren.

Der heulende Wind tobte durch einen Hain mit kahlen Bäumen, deren Äste sie an knochige Finger erinnerten, die sich Hilfe suchend in den grauen Himmel reckten. Eines der Pferde, ein brauner Wallach, machte einen Schritt zur Seite und stieß gegen den Rotbraunen, sodass der Wagen einen unerwarteten Satz machte.

„Auch das noch“, keuchte Rosa erschrocken.

Als das erschrockene Pferd losgaloppierte und der Braune in Trab fiel, umklammerte Rosa den Kutschersitz, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren – und hatte keine Chance. Mit einem entsetzten Aufschrei fiel sie rücklings auf die Ladefläche, mitten in die kostbare Fracht. Ihr Schrei erschreckte die unruhigen Pferde, und das Gespann raste los, während sie auf der Ladefläche herumrollte und verzweifelt versuchte, wieder auf die Füße zu kommen.

„Hey, ihr dummen Gäule!“, schrie sie erbost, doch es nützte nichts.

Finster entschlossen richtete Rosa sich auf Hände und Knie auf, in dem Bemühen, sich auf der Ladefläche festzuhalten. Trotz der hinderlichen Röcke beugte sie sich über den Sitz, um die Zügel zu packen, die auf dem Boden lagen. In diesem Augenblick nahm sie sich fest vor, ein schlechtes Urteil über die Pferde abzugeben – falls es ihr irgendwann gelang, bis in die Stadt zu kommen und mit dem Eigentümer des Mietstalls zu sprechen.

Einer der Gründe, warum Rosa ihre Sachen gepackt hatte und nach Westen gezogen war, lag darin, dass sie abenteuerlustig war und sich den Traum erfüllen wollte, ein eigenes Geschäft zu eröffnen. Allerdings war es nicht ganz die Art von Abenteuer, die sie sich vorgestellt hatte, sich hier auf einer Holzfläche festzuklammern, die von zwei fliehenden Pferden gezogen wurde. Wie es aussah, würde sie nicht viel älter als sechsundzwanzig werden. Schlimmer noch – sie würde nicht lange genug leben, um ihre großen Pläne für Weihnachten umsetzen zu können.

„Himmel, steh mir bei!“, flehte sie, als der Wagen über die Eisschicht flog, unter der vermutlich die Straße lag. Aber das war schwer zu erkennen, da die Gräben vom Schnee zugeweht waren. Der Schneesturm tobte, und dazu noch die zunehmende Dunkelheit – die Fahrt wurde immer gefährlicher.

Rosa nahm all ihren Mut zusammen, packte die Zügel und stellte sich auf der Ladefläche aufrecht hin. „Ho! Und ich meine ‚hoo‘, verdammt!“ Sie zog so heftig sie konnte an den Zügeln.

„Himmelherrgott!“, schrie sie, als der Wagen seitlich wegrutschte und sie wieder das Gleichgewicht verlor. Jedoch gelang es ihr, sich rechtzeitig abzufangen, ehe sie auf den Boden stürzen und in einer Schneewehe verschwinden konnte.

Endlich blieben die Pferde stehen und schüttelten die Köpfe, um sich von dem Schnee zu befreien. Rosa sah die Unruhestifter finster an. „Das wird aber auch Zeit!“, murmelte sie. Als sie versuchte, das Gespann zu einem ruhigen, gleichmäßigen Schritt zu bringen, war aus der Ferne Wolfsgeheul zu hören, und die Pferde wollten wieder losrasen.

Rosa blickte sich vorsichtig um und schlug dann den Kragen ihrer Jacke hoch, um den eisigen Wind abzuhalten. Sie war durchgefroren bis auf die Knochen und wühlte in ihrer Ladung, um ein Paar Handschuhe und einen Schal zu finden. Sie sah hierhin und dorthin und bemerkte kaum die Schlucht, die hinter der Straßenbiegung begann. Dies war der Ort, an dem die Gründer der Stadt, Earl und Ruby Cahill, vor zwei Jahren bei einem tragischen Unglück mit einem Fuhrwerk ihr Leben verloren hatten. Die Bewohner der Gegend nannten den Ort die „Geisterschlucht“ und waren bereit zu schwören, dass man die Verstorbenen noch immer wehklagen hören konnte. Rosa hielt kurz inne und lauschte konzentriert. Vielleicht war es nur das Heulen des Windes, aber es erschien ihr, als würde sie tatsächlich klagende Stimmen vernehmen. Sie schauderte. Liebend gern würde sie schleunigst von hier wegkommen.

Endlich gelang es ihr, die Pferde in einen leichten Schritt fallen zu lassen, aber es war schwer, sich in der Landschaft zu orientieren, wenn die Sicht immer schlechter wurde.

„Kommt schon“, verlangte Rosa, als die Pferde stehen blieben und die Ohren spitzten, um dem Geheul der Wölfe zu lauschen. Als die Pferde nur einen Schritt zur Seite machten, stieg sie vom Wagen, fest entschlossen, sie vorwärtszuziehen. „Dumme Tiere!“, rief sie verärgert. „Ihr solltet doch so etwas wie einen Urinstinkt besitzen – huch!“

Die Pferde sprangen vorwärts und rissen den Wagen auf der glatten Straße zur Seite. Rosa schrie auf, als das Fuhrwerk in einen Graben rutschte, der vom Schnee bedeckt und daher nicht zu erkennen gewesen war. Der braune Wallach scheute und verlor dann das Gleichgewicht, als der schwer beladene Wagen sich zur Seite neigte. Rosa stöhnte vor Schmerz, als das Pferd gegen sie prallte und ihr dann auf den Fuß trat, ehe sie gemeinsam stürzten. Sie klammerte sich an die Zügel, als das Pferd wieherte und versuchte, wieder auf die Füße zu kommen. Das andere Tier machte es ihm schwer, weil es verängstigt versuchte, zu fliehen. Rosa stöhnte noch einmal und rückte zur Seite, um nicht von dem Pferd bei seinen Versuchen aufzustehen zertrampelt zu werden.

Und ganz plötzlich hatte Rosa nur noch einen einzigen Weihnachtswunsch: Sie wollte nicht sterben.

Zu ihrem Kummer stellte sie fest, dass das Pferd beim Aufstehen hinkte. Schlimmer noch, das Zerren beider Tiere hatte den Wagen im Graben in eine Schräglage gebracht.

„Das kann nicht sein“, murmelte sie, während sie auf dem einen Bein balancierte, weil es in dem anderen zu pochen begann, kalt und gleichmäßig, vom Gelenk bis zum Knie. „Menschen mit noblen Vorhaben sollten beschützt werden, oder?“, fragte sie und warf einen Blick zum Himmel hinauf.

Offenbar lautete die Antwort: „Nicht notwendigerweise.“

Rosa erschauerte, während sie auf einem Bein in der Dunkelheit stand, als ein unheimliches, vielstimmiges Geheul erklang. Die beängstigenden Geräusche wurden mit jeder Minute lauter. Getrieben von Furcht, versuchte sie, vorwärtszuhinken, um den Wagen aus dem Graben zu ziehen, aber es war sinnlos. Mit einem aufgeregten und einem lahmen Pferd konnte sie das einfach nicht schaffen.

Rosas kostbare Ladung steckte fest.

Verzweifelt sah sie sich in der Dunkelheit um und konnte kaum den Graben vor dem Wagen erkennen. Ihr fiel nichts Besseres ein, als um Hilfe zu schreien – was sie tat, bis sie heiser war. Dann wurde ihr bewusst, dass sie die Hoffnung aufgeben musste, jemand würde ihr zur Hilfe kommen. Wenn sie eine Chance haben wollte, diese eisige Nacht zu überleben, dann würde sie sich im Schnee eine Art Höhle bauen müssen.

Wie ein Hund, der einen Knochen ausgraben wollte, grub Rosa im Schnee, bis sie ein Loch hatte, das groß genug für sie war, um hineinzukriechen. Sie legte ihre Röcke um sich, rang nach Atem und sandte ein Stoßgebet zum Himmel. Dann lauschte sie dem Ruf der Wölfe, die näher kamen. Ihr Geheul dröhnte in Rosas Ohren wie eine Totenglocke.

„Diese verdammten Pferde waren überhaupt keine Hilfe“, murmelte sie.

Rosa vermutete, dass das Rudel sie wohl erwischen würde, bevor sie erfror. Sie dachte an den letzten Brief ihrer Mutter aus Maryland und hegte die traurige Vermutung, dass diese Einladung – über die Feiertage nach Hause zu kommen – die letzte Nachricht sein würde, die sie von irgendjemand erhielt.

Ihr verletztes Bein pulsierte im Rhythmus mit ihrem Herzschlag, während die Wölfe unerbittlich näher rückten.

Auf bessere Tage, falls da noch welche kommen sollten. Das war Rosas letzter Gedanke, ehe sie die Augen schloss und unkontrolliert zu zittern begann. Dann wurde es dunkel um sie in ihrem kalten Grab.

Lucas Burnett setzte die schwarze Kapuze auf, die sein Gesicht und seinen Kopf bedeckte, ehe er aus der Scheune in den Schneesturm trat, der seine Pferderanch umtoste. Aus seiner Zeit im Dienst der Texas Rangers und von seiner Kindheit in einem Komantschenlager her wusste er noch, dass Schneestürme in Texas sehr grausam sein konnten. Er hatte darauf geachtet, einen warmen Mantel und eine doppelte Schicht Beinkleider anzuziehen, ehe er seine Hütte verlassen hatte, um das Vieh zu füttern. Der Mantel aus Büffelleder speicherte seine Körperwärme, und der lange schwarze Umhang aus Segeltuch hielt Schnee und Eis ab.

„Das ist immer noch besser als in der schlechten alten Zeit“, erinnerte Lucas seinen hinkenden Hund, der einfach nur „Hund“ hieß. Sein treuer Kamerad hatte Lucas vor drei Jahren das Leben gerettet und wurde dabei von einer Kugel ins Bein getroffen.

Der Hund sah mit seinen dunklen Augen zu ihm auf und schüttelte dann die weißen Flocken aus seinem dunklen Fell. Seite an Seite trotteten sie durch den Schneesturm auf die Hütte zu, deren goldenes Licht im Fenster warm und gemütlich wirkte.

Bei diesem Wetter scheucht man weder Mann noch Hund vor die Tür, dachte Lucas und betrachtete das Häuschen, das er mit eigenen Händen gebaut hatte. Er hatte sein Stück Land erhalten, östlich von Cahill Crossing, als Entgelt für seinen Dienst bei den Rangers.

Nach zehn Jahren treuer Dienste hatte Lucas die Hütte für sich und den Hund gebaut. Die Scheune mit den Pferdeboxen zu errichten, hatte ein Jahr gedauert. Er warf einen Blick über seine Schulter und sah, dass seine kleine Viehherde so vernünftig gewesen war, in die Scheune und die Unterstände zu gehen, um sich vor dem Wind zu schützen. Er hoffte, dass sein gesamter Viehbestand diesen Wintersturm überleben würde.

Mit dem Gewehr in einer Hand – denn er hatte auf schmerzhafte Art und Weise gelernt, niemals irgendwo unbewaffnet hinzugehen – blieb er plötzlich wie angewurzelt stehen. Der Wind trug ein seltsames Geräusch zu ihm. Lucas konnte nicht erkennen, woher es kam, und auch der Hund war alarmiert.

Wer immer oder was immer da draußen heulte, würde dort bleiben müssen, sagte er zu sich selbst. Hatte er nicht lange genug der Menschheit gedient? Und wie war es ihm gedankt worden? Halbblut hatten sie ihn genannt, weil er zu einem Viertel Komantsche war, zu einem Viertel spanischer Herkunft und zur Hälfte weiß. Weiße und mexikanische Geächtete hatten ihn verspottet, und indianische Deserteure hatten ihn einen Verräter genannt, weil er oft gezwungen gewesen war, gegen sie zu kämpfen. Seine indianischen Verwandten schienen nicht zu verstehen, dass es noch viel mehr Blutvergießen und viel mehr Missverständnisse zwischen Weißen, Spaniern und Indianern gegeben hätte als ohnehin schon, hätte er nicht die Fähigkeit gehabt, als ihr Übersetzer zu arbeiten.

Irgendwo in der Dunkelheit schrie ein Pferd. Der Wind trug das Geheul der Wölfe heran. Lucas sah nach unten, als der Hund zu ihm hinkte.

„Ach, verdammt“, murrte Lucas. „Was, wenn irgendein verrückter Reisender da draußen gestrandet ist und jetzt von Wölfen bedroht wird?“

Der Hund winselte und sah zu ihm auf.

Lucas holte tief Luft. „Also gut, Hund. Wir versuchen es, wenn du darauf bestehst.“

Lucas ging noch einmal in die Scheune zurück. Als er einen Pfiff ausstieß, hoben alle Pferde den Kopf. „Komm her, Drizzle“, befahl Lucas dem dunkelgrauen Appaloosa mit der weißen Nase, der aussah, als hätte jemand schwarze Flecke auf sein Fell gespritzt. Der gut ausgebildete Hengst war mit Lucas durch die Hölle gegangen, genau wie der Hund. Kräftig, ausdauernd und erfahren, dachte Lucas, als er die Laterne abstellte, um Drizzle zu satteln.

Mit den schnellen Bewegungen, die von jahrelanger Übung herrührten, bereitete Lucas Drizzle für den Ritt vor. Dann entzündete er eine Fackel, damit sie den Weg durch den Schneesturm fanden. Der Duft von Kerosin hüllte Lucas ein, als er die brennende Fackel über seinen Kopf hielt. Der Hund sprang voran und folgte dem verängstigten Wiehern ebenso wie dem fernen Heulen der Wölfe.

Lucas starrte durch die Öffnung seiner Kapuze. Er hielt die Fackel in der linken Hand, damit er die Zügel und das Gewehr in der rechten halten konnte. All seine Sinne waren alarmiert, als er die Umrisse eines umgestürzten Wagens entdeckte, der in einer Schneewehe steckte. Ein Pferdegespann war angeschirrt. Eines der Pferde wieherte und trat nervös von einer Seite zur anderen. Das andere stand daneben, hob den offensichtlich verletzten Fuß und setzte ihn behutsam wieder ab.

Autor

Carol Finch
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