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Jedes Kind verdient es, Heiligabend in einem warmen Bett zu verbringen und am Morgen ein Geschenk unter dem Baum zu finden. Hilf mir, das auch diesen Kindern zu ermöglichen, fleht ihn Renée an, und Duke ist beeindruckt, wie die zierliche Sozialarbeiterin für ihre Schützlinge kämpft. Schon bald weckt sie in dem kühlen Unternehmer mehr als nur Bewunderung: nämlich den Wunsch, ihr genauso viel Liebe und Glück zu schenken, wie sie in diesem eisigen Winter selbst gibt. Noch ahnt Duke nicht, dass Renée Schreckliches durchgemacht hat, das sie ihm misstrauen lässt …


  • Erscheinungstag 27.11.2012
  • Bandnummer 1861
  • ISBN / Artikelnummer 9783954461578
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Renée Sweeney starrte den Kranführer herausfordernd an. Der saß im Führerhäuschen des Abrissfahrzeuges und versuchte, den laut röhrenden Motor zu überschreien.

Doch Renée verstand kein Wort – und das war wahrscheinlich auch gut so. Zweifellos waren es wilde Flüche, die der Mann da ausstieß.

Was für ein Jammer. Wenn es nach ihr ging, dann würde man das 1892 an der Riverfront, dem historischen Flussufer von Detroit, errichtete Fabrikgebäude der Screw & Bolt Factory stehen lassen. Zumindest so lange, bis sie eine Lösung für die sechs kleinen Probleme gefunden hatte, die im Gebäude Zuflucht gefunden hatten.

Der strenge Dezemberwind brachte sie ins Wanken, und nur mit einiger Anstrengung behielt Renée ihr Gleichgewicht.

Einen Moment später verstummte das schleifende Quietschen des Getriebes und eine unheimliche Stille breitete sich um sie herum aus.

Gott sei Dank.

Der Kranführer kletterte aus seiner Kabine und zeigte mit seinem fleischigen Finger auf Renée. „Hey, Lady! Was zur Hölle tun Sie da?“

War das nicht offensichtlich? Ohne zu antworten, starrte sie den Mann weiter an.

„Ich ruf jetzt die Cops“, schimpfte er, zog ein Handy aus seiner Manteltasche und stapfte außer Hörweite. Seinen wilden Handbewegungen nach zu urteilen, musste sich die Telefonistin in der Zentrale einiges anhören.

Renée schmiegte sich in ihren weißen, knöchellangen Gänsedaunenmantel. Sie hatte es so eilig gehabt, zum Flussufer zu gelangen, dass sie zwar noch ihren Schal geschnappt, aber ihre Handschuhe vergessen hatte.

Die Temperaturen fielen gerade rapide von ihrem Tageshöchstwert von drei Grad Celsius auf den vorhergesagten Tiefpunkt von zwölf unter null. Renée konnte nur hoffen, dass ihre Mission erledigt war, bevor ihr alle zehn Finger abfroren. Wenigstens bewahrte der Schal ihre Ohren vor diesem Schicksal.

Mit tränenden Augen suchte sie nach einer windgeschützten Stelle, doch die wenigen knorrigen Bäume, die auf dem betonierten Parkplatz wuchsen, waren nutzlos.

Sie spielte mit dem Gedanken, hinter dem Winterbeerenbusch Zuflucht zu suchen, der die gesamte erste Etage des Gebäudes verdeckte, doch sie fürchtete, der Kranführer könne ihre Abwesenheit nutzen und die Abrissbirne wieder in Schwung setzen.

Ihr Job als Sozialarbeiterin erforderte durchaus schon mal die eine oder andere ungewöhnliche Maßnahme, um ein notleidendes Kind zu beschützen. Sich vor eine zehn Tonnen schwere Stahlkugel zu stellen schien jedoch etwas übertrieben und Renée bezweifelte, dass ihre Chefin ein derartiges Verhalten gutheißen würde.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Parkplatzes kauerten mehrere Bauarbeiter in ihren Fahrzeugen und rauchten, während sich ihr Chef mit dieser neuerlichen Unterbrechung auseinandersetzte.

Ein heißer Kaffee von einem der Männer wäre ein nettes Dankeschön gewesen, dafür, dass Renée ihnen ein so abruptes Ende ihrer Arbeitswoche beschert hatte.

Das Knurren ihres Magens erinnerte sie daran, dass sie das Mittagessen ausgelassen hatte.

Sie warf einen kurzen Blick auf ihre Uhr. Vier. In wenigen Minuten würde die Polizei da sein. Bis Renée ihre Verwarnung bekommen und des Platzes verwiesen wurde, war es hoffentlich zu dunkel, um das Werk der Zerstörung fortzusetzen.

Der Kranführer legte auf, warf einen wütenden Blick über seine Schulter, dann wählte er eine weitere Nummer. Wahrscheinlich die der Feuerwehr, für den Fall, dass die Polizei von Detroit Wichtigeres zu tun hatte – wie etwa richtige Kriminelle zu verhaften.

Renée wischte ihre tropfende Nase am Ärmel ihres Mantels ab und ließ den Blick über den Fluss schweifen. Um diese Jahreszeit bahnten sich nur wenige Boote ihren Weg durch das Eis, sodass die Riverfront einer nautischen Geisterstadt glich.

Die Screw & Bolt Company befand sich im Zentrum des Lagerhallenviertels inmitten verschiedener Gebäude aus dem letzten Jahrhundert.

Renée fragte sich, wer wohl so dumm sein konnte, dieses verlassene Niemandsland zu kaufen.

Vorhin hatte sie mit ihrem Bruder, einem Detroiter Polizeibeamten, darüber gesprochen. Er hatte erwähnt, dass er auf seiner Streife Abrissmaschinen gesehen hatte. Voller Panik war sie zu der Lagerhalle gefahren und hatte dabei gebetet, noch vor der drohenden Katastrophe dort anzukommen.

Renée wappnete sich innerlich für Runde zwei. Der Kranführer stapfte auf sie zu, einen Zigarettenstummel zwischen den fleischigen blauen Lippen, die Augen zusammengekniffen. Er blieb wenige Schritte von ihr entfernt stehen. Unter seinem gelben Helm leuchteten seine Ohren rot, genau wie seine knollige Nasenspitze.

„Ich habe keine Ahnung, was Sie wollen, Lady. Es ist mir auch völlig egal. Man bezahlt mich dafür, dass ich dieses Gebäude plattmache und den Schutt bis Ende nächster Woche wegschaffe. Wenn ich den Termin nicht einhalte, entgeht mir ein Haufen Geld.“ Er deutete zu einer Gruppe stillstehender Lastwagen. „Sie wollen doch nicht, dass die Jungs da leer ausgehen. Wo ihre Kinder doch in ein paar Wochen Geschenke unterm Weihnachtsbaum erwarten.“

Kinder waren Renées Schwachstelle – warum sonst hätte sie sich zu solch einer Dummheit hinreißen lassen, sich in bitterer Kälte einem Abrisskran in den Weg zu stellen?

Wenn die Arbeiter keinen Gehaltsscheck bekamen, würden ihre Kinder vielleicht nicht jedes Geschenk bekommen, das sie sich gewünscht hatten, aber wenigstens hatten sie am Weihnachtsabend ein Dach überm Kopf und eine warme Mahlzeit – und das war mehr, als die Kinder hatten, die sie vor Bob dem Baumeister und seinem Zerstörungstrupp bewahren wollte.

Polizeisirenen jaulten auf und ersparten ihr, die Frage zu beantworten. Ein Polizeiwagen kam mit quietschenden Reifen zum Stehen, und zwei Uniformierte stiegen aus.

Mist! Ausgerechnet ihr Bruder Rich und sein Partner Pete waren dem Funkspruch gefolgt.

„Hallo, Jungs!“, sagte Renée, als die Cops in Hörweite waren. Sie wollte ihren Bruder aufmunternd anlächeln, tat es aber nur halbherzig, da sie befürchten musste, ihre eiskalte Unterlippe würde dabei aufplatzen.

Petes Blick flog vom Kran zum Vorarbeiter und wieder zurück zu Renée. Rich musterte sie mit einem „Was-hast-du-jetzt-schon-wieder-getan“-Blick, dann baute er sich neben ihr auf.

Renée lachte lautlos auf, als sie sah, wie dem Vorabeiter die Zigarette aus dem Mund fiel und von der Stahlkappe seines Arbeitsstiefels abprallte.

Über die Jahre hatte sie eine freundschaftliche Beziehung mit mehreren Detroiter Polizisten entwickelt. Deren Hilfe benötigte sie häufig, wenn es darum ging, Kinder aus zerrütteten Familien zu holen und sie in die Obhut von Pflegeeltern zu geben.

Die Polizisten waren verständnisvoll und sahen schon mal weg, wenn Renée die Regeln ein wenig zurechtbog. Sie konnte nur hoffen, dass ihr Bruder und sein Partner sich heute ähnlich verständnisvoll zeigen würden.

Die Dämmerung umgab den Parkplatz wie ein schweres Tuch und verbarg das Wasser, die Piere und die vertäuten Schiffe am Fluss.

Plötzlich startete ein ganzer Chor aus Motoren und Maschinen, und die Abrissmannschaft verschwand.

„Was geht hier vor?“, wollte Pete wissen.

Renée klammerte sich an einen Strohhalm und sagte: „Ich bezweifle, dass dieser Gentleman die nötige Genehmigung hat, um das Gebäude hier zu zerstören.“

Rich starrte sie an, als habe sie den Verstand verloren.

Pete kam ihr zu Hilfe. „Was dagegen, wenn ich einen Blick auf die Papiere werfe?“

Der Vorabeiter stampfte wie ein Zweijähriger den Fuß auf dem Boden auf, dann sagte er: „Wer, zum Teufel, ist dieses Weib?“

„Achten Sie auf Ihre Wortwahl, Mister“, warnte ihn Rich.

Wutschnaubend ging der Vorarbeiter zum Kran zurück, kletterte ins Führerhaus, schmiss einige Sachen herum, dann kam er zurück. Sein warmer Atem ließ eine Dampfwolke über seinem Kopf entstehen.

„Die Auftragspapiere.“ Er hielt Pete die Dokumente entgegen.

Überraschenderweise verspürte Renée einen Anflug von Mitgefühl für den Mann, doch sie ignorierte dieses Gefühl. Dass sie die Lagerhalle rettete, war wichtiger, als dass dieser Mann seine Abrissbirne schwingen konnte.

„Sieht in Ordnung aus“, sagte Pete.

„Dann sollte sie mal schleunigst ihren Hintern bewegen und mir aus dem Weg gehen.“

„Kommt darauf an …“

„Worauf?“ Der Blick des Mannes sank zu Petes Pistolenholster hinab.

„Ob der Auftrag auch in den Rathausakten vermerkt ist.“

„Woher zur Hölle soll ich das wissen? Das liegt in der Verantwortung des Eigentümers. Mein Job ist es, dieses Rattenloch in Grund und Boden zu stampfen.“

„Morgen ist Samstag“, meldete Rich sich zu Wort. „Da hat das Rathaus geschlossen. Wir werden den Auftrag sofort Montagmorgen überprüfen. Bis dahin müssen Sie Ihren Betrieb hier einstellen.“

„Was gibt es denn für ein Problem, Mr Santori?“

Renée zuckte beim Klang der tiefen, befehlsgewohnten Stimme zusammen und wirbelte herum.

Der Fremde war groß, hatte breite Schultern, trug eine Schafslederjacke und einen Cowboyhut – eine lächerliche Kopfbedeckung bei diesem Wetter – und kam genau auf die Gruppe zu.

Renées Blick wanderte über seine langen Beine, die in Jeans steckten, und verharrte auf den Stiefeln aus Schlangenleder. Das war kein gewöhnlicher Cowboy von der Stange. Dieser Lassoschwinger stank förmlich nach Geld. Renée fand ihn sofort unsympathisch.

„Mr Dalton, die Braut hier …“

Rich räusperte sich geräuschvoll und Mr Santori korrigierte: „Diese Dame hat sich vor meinen Kran gestellt und weigert sich, aus dem Weg zu gehen. Was sollte ich denn machen? Ihr mit zehntausend Kilo Stahl eine Kopfnuss verpassen?“

Der Cowboy grinste und Renée bekam große Lust, ihm eine Kopfnuss zu verpassen. „Nein, wir wollen hier niemanden Leid zufügen, schon gar nicht Ms …“ Seine betörende Stimme verstummte und es dauerte einige Sekunden, bis Renée ihre zerstreuten Sinne wieder beisammenhatte.

„Renée Sweeney.“

„Duke Dalton.“

Duke? Was war das denn für ein Name? Das klang wie der Spitzname einer Bulldogge oder eines Pornostars.

Ihre Hand verschwand in Mr Daltons festem Händedruck, den sie länger als nötig erwiderte, um die Wärme seiner starken Finger in sich aufzunehmen.

Nachdem er auch Pete und Rich die Hände geschüttelt hatte, trat angespanntes Schweigen ein.

Mit einem empörten Nicken deutete Mr Santori in Renées Richtung. „Kümmern Sie sich um die, Mr Dalton. Bevor ich etwas anderes höre, bin ich am Montag in aller Frühe mit meiner Crew wieder hier.“ Weiter vor sich hin schimpfend, ging er zum Kran.

Renée wandte sich Mr Dalton zu. „Ihnen ist klar, dass wir hier in Detroit sind?“ Die Haare, die unter dem Cowboyhut hervorragten, waren dunkelbraun mit einigen blonden Strähnen dazwischen. „Texas liegt westlich des Mississippi.“

Pete und Rich kicherten, während der Cowboy diese Frechheit mit eiskalter Miene ignorierte. „Welche Organisation vertreten Sie?“

Organisation? „Gar keine. Dieses Gebäude …“, sie deutete hinter sich, „ist von historischem Wert und sollte nicht angerührt werden.“

In Wahrheit war eine Vielzahl der am Ufer gelegenen Lagerhallen von historischer Bedeutung – was jedoch keine Garantie dafür war, dass sie bis in alle Ewigkeit verschont blieben.

„Viel ist an dem Gebäude nicht mehr zu retten“, sagte Mr Dalton. „Ich habe untersuchen lassen, ob es möglich wäre, die Bausubstanz zu bewahren. Dies wäre jedoch äußerst kostspielig. Ein Neubau kommt wesentlich günstiger.“

Renée war überrascht darüber, dass der Mann offenbar seine Hausaufgaben gemacht hatte, und suchte vergeblich nach einer Antwort. Offenbar hatten die verärgerten Arbeiter die Neuronen in ihrem Gehirn durcheinandergebracht.

Keiner der beiden Cops würde das Feld räumen, bevor sie es tat. Zeit, die Belagerung zu beenden. Doch wie?

Ein heftiger Windstoß blies beißend in ihr ausgetrocknetes Gesicht, und sie fröstelte.

„Warum unterhalten wir uns nicht beim Abendessen darüber?“, schlug Mr Dalton vor.

Nun, es gab Schlimmeres, als mit einem verstädterten Cowboy essen zu gehen – zum Beispiel sich in einen menschlichen Eiszapfen zu verwandeln. „Das Railyway Diner ist nur ein paar Blocks entfernt. Treffen wir uns doch dort.“

Renée ignorierte den „Wir-reden-später“-Blick ihres Bruders und schleppte sich mit tauben Füßen zu ihrem Auto.

Nachdem sie eingestiegen war, startete sie den Motor und drehte die Heizung auf.

Während Rich Mr Dalton beiseitenahm – zweifellos um ihm nahezulegen, sich in ihrer Gegenwart zu benehmen –, drückte sie ihre Hände so lange an die Lüftung, bis sie ihre Finger bewegen und das Lenkrad umfassen konnte.

Obwohl sie die Fürsorge ihres Bruders zu schätzen wusste, vertraute sie ihrem Instinkt. Zwischen den Zeilen zu lesen und Lüge und Wahrheit zu unterscheiden war schließlich ein wesentlicher Aspekt ihrer Arbeit.

Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass der Mann, der sich unter der Maske des Cowboys verbarg, nichts Böses im Schilde führte. Er war bestimmt anständig, aber auch kein Weichling.

Renée fürchtete, dass sie ein Wunder brauchte, um ihn von seinen Plänen bezüglich des Gebäudes abzuhalten.

Jetzt ist doch die Zeit für Wunder. Vielleicht würde Duke Dalton sich ja als Renées Weihnachtswunder erweisen.

Duke sah zu, wie Renée Sweeney in ihrem silberfarbenen Ford Focus Kombi davonfuhr – nicht gerade die Art von Fahrzeug, die er bei einer Frau mit einem solch lebhaften Temperament erwartet hatte. Ein roter Mustang hätte besser zu diesem Wildfang gepasst.

Als Santori ihn anrief und von einem Zwischenfall an der Baustelle erzählte, hatte Duke mit einer Gruppe Demonstranten gerechnet, die sich an das Eingangstor gekettet hatten. Nicht mit einer so winzigen Frau, die sich einer Abrissbirne in den Weg stellte.

„Sie ist eine der beliebtesten Sozialarbeiterinnen der Stadt“, prahlte der Cop namens Pete.

Die Blondine war eine Sozialarbeiterin? In ihrem weißen Mantel und dem dazu passenden Schal wirkte sie mehr wie ein Racheengel.

Diese Frau faszinierte Duke und er war fest entschlossen, herauszufinden, warum sie sich der Zerstörung des Gebäudes so widersetzte.

„Renée ist etwas Besonderes.“ Das Leuchten in den Augen des zweiten Polizisten mahnte Duke, auf seine Manieren zu achten.

Der Cop war Mitte fünfzig und die Sozialarbeiterin wirkte nicht älter als dreißig. Waren die beiden ein Paar?

Seit Duke von Detroit hierher gezogen war, hatte er noch nicht viele Freunde gefunden. Es hätte ihm gefallen, Ms Sweeney näher kennenzulernen. Allerdings war er nicht bereit, im Revier eines anderen Mannes zu wildern.

„Wenn Sie sich mit Renée anlegen, dann legen Sie sich auch mit uns an, ist das klar?“, warnte ihn der Ältere.

„Glasklar.“

Duke eilte über das Gelände, um rasch ins Warme zu kommen.

Die Temperaturen unterhalb des Gefrierpunkts, die den Staat seit letzter Woche im Griff hielten, weckten Zweifel an seiner Entscheidung, seine Firma von Tulsa nach Detroit zu verlegen. Wenn er die Wahl hatte, würde er lieber einen gelegentlichen Eissturm in Kauf nehmen als diese Kühlkammer des Mittleren Westens.

Kaum war er in seinen Truck eingestiegen, stellte er Motor und Heizung an.

Obwohl der Polizist Renée Sweeney zur Tabuzone erklärt hatte, war Duke voll freudiger Erwartung.

Seit seiner Ankunft in der Hauptstadt der Automobilindustrie hatte er kaum ein Wort mit einem Ortsansässigen gewechselt. Jetzt war er begierig darauf, sich mit einer anderen Person zu unterhalten. Und er nahm an, dass diese Sozialarbeiterin so einiges zu sagen hatte.

Duke war nicht entgangen, wie kalt sie ihn gemustert hatte, und er war fest entschlossen, ihre ungute Meinung von ihm zu ändern.

Als Duke auf den Parkplatz des Railway Diner fuhr, erinnerte er sich daran, dass ihm sein Grundstücksmakler den Burgerschuppen vor einigen Monaten empfohlen hatte. Duke war damals in der Stadt gewesen, um die Vertragspapiere für den Kauf der Lagerhalle zu unterzeichnen.

Er parkte drei Plätze von dem silbernen Kombi entfernt, ließ seinen Hut im Truck zurück und eilte zur Eingangstür, hinter der Renée bereits wartete.

„Hoffentlich kriegen wir gleich einen Tisch.“ Er beugte sich zu ihr, um ihre Antwort im überfüllten Wartebereich verstehen zu können, und bemerkte, dass ihre Haare leicht nach Parfum dufteten. Ein angenehmer Gegensatz zum Geruch des fischreichen Flusswassers entlang der Riverfront.

„In fünf Minuten oder weniger hat man mir gesagt.“

Er schlüpfte aus seinem Mantel, dann wollte er Renée helfen. Sie wich ihm jedoch schnell aus und entledigte sich ihrer Jacke selbst.

Wenn sie nicht von ihm berührt werden wollte, warum hatte sie ihm dann auf dem Parkplatz die Hand geschüttelt? Und vor allem: Warum hatte sie seine Finger solange festgehalten?

Die Kellnerin bewahrte die beiden vor weiteren Peinlichkeiten und führte sie die Treppe bis zum Gastraum hinauf. Schon auf halbem Weg stieg Duke der Geruch von gegrillten Zwiebeln und gebratenen Steaks in die Nase.

Duke wartete, bis Renée Platz genommen hatte, dann setzte er sich ihr gegenüber. Eine Kellnerin namens Peggy kam mit den Speisekarten und zwei Wassergläsern. „Burger gibt’s freitags zum halben Preis“, sagte sie. „Kaffee?“

„Gerne.“ Renées Lächeln raubte Duke den Atem. Diese Frau hatte Grübchen auf ihren Wangen und wunderschöne weiße Zähne.

Peggy räusperte sich und Dukes Nacken wurde heiß, als er merkte, dass er beim Gaffen ertappt worden war. „Machen Sie zwei Kaffee draus.“ Als die Kellnerin verschwunden war, sagte er: „Lächeln Sie!“

Renée hob eine Augenbraue. „Warum?“

„Weil ich noch einmal Ihre Grübchen sehen möchte.“

Sie verdrehte die Augen, dann folgte sie seiner Bitte – jedoch nicht mit einem lieblichen Lächeln, sondern einem „Du-kannst-mich-mal“-Grinsen. Er wollte verdammt sein, wenn diese winzigen Grübchen nicht die verführerischsten und frechsten Dinger waren, die er seit Langem gesehen hatte.

Sein Blick wanderte von ihren Wangen zu ihrem Mund, dann zu den tiefblauen Augen. Renée Sweeney war eine ausgesprochen schöne Frau.

Und er war davor gewarnt worden, ihr näherzukommen.

Dieser plötzliche Gedanke hielt ihn jedoch nicht davon ab, sie weiter anzusehen, während sie die Speisekarte studierte.

Ihr dicker Mantel hatte zuvor ihre Figur verborgen, doch der pinkfarbene Pullover mit Zopfmuster brachte ihre Weiblichkeit voll zur Geltung und schmiegte sich eng an die zarten Wölbungen ihrer Brüste.

Die gepflegten Nägel ihrer zierlichen Finger waren in einem schwachen Rosa lackiert und harmonierten mit der Farbe ihres Pullis.

Alles an dieser Frau schien zu rufen: Drück mich! Zu dumm, dass der Cop bereits das Exklusivrecht für sich beanspruchte.

„Sie starren mich an.“

„Tut mir leid. Ich bin fasziniert …“, von ihrer Schönheit „… davon, dass eine solch kleine Frau es mit einer ganzen Bauarbeitermannschaft aufnehmen kann.“

„Ich habe gewonnen, nicht wahr?“, prahlte sie.

Duke lachte aus voller Brust. „Ja, das haben Sie.“

Schön und stolz. Eine tolle Kombination, wie Duke fand. Zu dumm, dass sie nicht im Mindesten an ihm interessiert schien.

Kellnerin Peggy brachte den Kaffee, dann öffnete sie ihr Notizbuch.

„Ich nehme sieben einfache Cheeseburger und sieben Portionen Pommes“, sagte Renée.

Die Spitze des Bleistifts der Bedienung brach an ihrem Notizblock ab. „Entschuldigen Sie … Wie viele Burger sagten Sie?“

„Sieben Burger, sieben Mal Pommes. Und sechs Portionen bitte zum Mitnehmen.“

„Okaaay. Sir?“

„Einen Burger, einmal Pommes.“ Er gab Peggy die Speisekarte zurück. Kaum war sie weg, spottete er: „Die frische Luft hat offensichtlich Ihren Appetit angeregt.“

„Kaum.“ Dann wechselte sie ziemlich unverblümt das Thema. „Sie kommen nicht ursprünglich aus Michigan.“

„Geboren bin ich in St. Louis. Als ich dreizehn war, bin ich mit meiner Mutter nach Oklahoma gezogen.“ Unter Dukes Protest. Er hatte gehofft, seine arbeitssüchtige Mutter würde nach dem Tod seines Vaters etwas mehr Zeit für ihn haben, doch da hatte er sich leider geirrt.

Noch im ersten Jahr nach dem Tod seines Vaters hatte seine Mutter Dominick Cartwrights Heiratsantrag angenommen. Und Duke musste seine Mutter ganz plötzlich noch mit zwei Stiefgeschwistern teilen.

„Ich dachte mir doch, dass ich einen leichten Akzent herausgehört habe.“ Renée lächelte.

Duke verzog das Gesicht. Er war stolz darauf, seinen Okie-Akzent während seines Studiums der Universität von Los Angeles abgelegt zu haben.

„Was sind Ihre weiteren Pläne für das Fabrikgebäude?“, fragte sie und setzte damit einen Schlussstrich unter ihren beiläufigen Small Talk.

„Ich ziehe mit meiner Firma Dalton Industries von Tulsa nach Detroit. Aus diesem Grund habe ich vor, den Komplex durch ein neues Gebäude mit Büroräumen und Wohnungen zu ersetzen.“

„Womit beschäftigt sich Dalton Industries denn so?“

War sie ehrlich an seiner Firma interessiert oder führte sie etwas Bestimmtes im Schilde? Wenn er nicht achtgab, vergaß er noch, dass Ms Sweeneys Pläne seinen eigenen entgegenstanden.

Andererseits hatte er schon lange nicht mehr die Möglichkeit gehabt, seine Träume mit einer anderen Person als mit seinen Geschäftspartnern, seinem Immobilienmakler, der Bau-Crew und den Architekten zu teilen.

„Dalton Industries ist in der Informations- und Technologiebranche tätig.“ Als sie ihn erwartungsvoll ansah, fuhr er fort: „Meine Firma wird federführend sein, wenn es darum geht, die Pläne der Stadt umzusetzen und dem Industriegebiet am Detroit River zu neuer Blüte zu verhelfen.“

Sie schnaubte amüsiert.

Erschrocken fragte er: „Was denn?“

„Nichts.“ Ihr Blick wanderte von seinem Gesicht zu dem Serviettenhalter am Ende des Tisches.

„Sagen Sie schon.“

Sie hob ihr zierliches Kinn und ihre Gesichtsmuskeln spannten sich. „Die wohlhabenden Geschäftsleute, denen ich bisher begegnet bin, haben mich zu der Überzeugung gebracht, dass sie lieber ihre eigenen Ziele verfolgen, statt das Richtige zu tun.“

Wieso nahm sie eigentlich an, dass Duke wohlhabend war? „Die Tatsache, dass ich eine Firma besitze, heißt nicht, dass ich im Geld schwimme.“

Wenn er ehrlich war, hatte er die Firma unter anderem deshalb nach Detroit verlegt, um sich dem Einfluss seines Stiefvaters zu entziehen. Dominicks Angebot, in die Firma zu investieren, war aufrichtig gewesen. Duke wollte jedoch beweisen, dass er auf eigenen Beinen stehen konnte – ohne Hilfe des Cartwright Öl-Vermögens. Wie Hunderte anderer Geschäftsleute hatte er Kredite aufgenommen, um sein Unternehmen zu finanzieren.

Renée stach ihm ihren rosa lackierten Fingernagel entgegen. „Alleine Ihr Haarschnitt kostet bestimmt hundert Dollar.“

Duke fuhr sich mit der Hand durch die Haare und brachte mehrere bis dahin perfekt sitzende Strähnen durcheinander. „Fünfunddreißig Dollar. Inklusive fünf Dollar Trinkgeld.“

Sie stutzte. „Und die Schlangenlederstiefel?“

„Ein Geschenk meiner Mutter.“ Sein letztes Geburtstagsgeschenk, bevor sie vor zwei Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen war.

„Und was ist mit Ihrem Namen?“

„Was haben Sie gegen Duke?“

„Klingt hochnäsig. Fast aristokratisch.“

„Ich wurde nach meinem Großvater mütterlicherseits benannt, Duke Weatherford. Er war Professor für Naturwissenschaften an der Universität von Cambridge.“ Duke mochte es nicht, aufgrund seines Namens vorverurteilt zu werden. Dafür rechtfertigen würde er sich mit Sicherheit nicht.

„Warum kommen Sie mit Ihrer Firma nach Detroit? Dass Sie nicht hierher passen, ist doch offensichtlich.“

Noch stach er vielleicht heraus, doch er hatte vor, ein echter Detroiter zu werden. Und Michigan war von den Ranchen, dem Öl und dem Einfluss seines Vaters so weit entfernt – da war es zu bezweifeln, dass irgendjemand schon mal etwas von dem Multimillionär Dominick Cartwright gehört hatte. „Die Stadt hat mir ein Angebot gemacht, das ich nicht ablehnen konnte.“

Sie kniff die Augen zusammen. „Sie meinen Steuervergünstigungen?“

„Ja, genau. Meine Firma wird jedoch einen Fonds zu Erneuerung der Riverfront unterstützen.“

Dass Detroit die einzige Stadt mit ausreichenden finanziellen Vergünstigungen war, die ihm erlaubten, seine Firma ohne die Unterstützung seines Großvaters zu verlegen, verschwieg er jedoch.

Nun war es an ihm, das Thema zu wechseln. „Ihr Lebensgefährte hat mich darüber informiert, dass Sie Sozialarbeiterin sind.“

„Lebensgefährte?“

„Der ältere Polizist, der Ihnen gegenüber so besitzergreifend war.“

„Rich? Er ist nicht mein Freund, sondern mein Bruder.“

Geschwister? Die beiden sahen sich nicht im Mindesten ähnlich. Renée hatte prächtiges blondes Haar. Das des Polizisten war Karottenrot.

Duke spürte, wie ihn die Erleichterung überkam, und er grinste wie ein Idiot.

Die Warnung eines älteren Bruders zu ignorieren, damit hatte er kein Problem. Wenn es nach Duke ging, war das heutige Abendessen der Beginn einer „Lernen-Sie-Ms-Sweeney-besser-kennen“-Kampagne. Aber nur um sicherzugehen … „Gibt es sonst einen Freund oder noch mehr große Brüder?“

„Nein, ich bin im Moment alleinstehend.“

Alleinstehend klang gut. Sehr gut sogar.

„Die Screw & Bolt Company ist schon seit sehr, sehr langer Zeit ein Teil der Riverfront“, wandte sie ein. An einer privaten Konversation mit ihm schien sie nicht das geringste Interesse zu haben.

„Ich bin mir der Bedeutung dieses Gebäudes bewusst. Ich habe mich schlaugemacht, bevor ich ein Angebot abgegeben habe.“

Ihr leises Schnauben deutete darauf hin, dass sie ihm nicht glaubte. Zeit für etwas Geschichtsunterricht. „Die Firma war 1877 auf der Lafayette Street errichtet worden, bevor sie 1892 in die Atwater und Riopelle umgezogen ist.“ Er hielt inne, wartete auf eine Entschuldigung – vergeblich. „1912 hat die Firma ein neues Gebäude errichtet. Dort wurden Schrauben, Muttern und Automobilteile hergestellt. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg ging sie dann pleite. Von da an nutzten verschiedene Firmen das Gebäude als Lagerhalle, bis es endgültig verwaiste.“

„Okay, Sie haben also Ihre Hausaufgaben gemacht“, räumte sie ein.

Peggy kam mit den Burgern und einer großen Tüte zum Mitnehmen. Renée bedankte sich bei ihr, dann stürzte sie sich auf ihr Essen.

Weshalb die Eile? Duke hatte gehofft, herauszufinden, ob sie neben der alten Lagerhalle noch weitere gemeinsame Interessen hatten. „Seit wann arbeiten Sie als Sozialarbeiterin?“

„Seit sechs Jahren.“

Autor

Marin Thomas
Marin wuchs im Mittel-Westen von Janesville, Wisconsin auf. Typisch für echte Stadtkinder war alles, woran Marin denken konnte, Janesville nach der Highschool zu verlassen. Sie war optimistisch, dass die Welt mehr als das bot, was sie bis dahin gesehen hatte. Sie spielte Basketball an der Universität von Missouri in Columbia...
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