Dein Kuss heilt meinen Schmerz

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Sie darf Daniel nicht lieben - schließlich war sie die Krankenschwester seiner verstorbenen Frau! Was sollen die Leute denken? Zoey kämpft gegen ihre Gefühle für den Witwer und seine kleine Tochter. Werden Daniels Küsse sie alle Regeln vergessen und an die Liebe glauben lassen?


  • Erscheinungstag 04.11.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783751504546
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Kaffee. Schwarz, heiß, viel – das Vergnügen gönnte er sich jeden Morgen. Es war eine der wenigen Sicherheiten im Leben, auf die er sich verlassen konnte. Etwas, auf das er sich freuen konnte.

Daniel Caldwell nahm einen Schluck, stellte den Pappbecher wieder auf dem Cafétisch ab und breitete die neueste Ausgabe der Lokalzeitung von Seattle vor sich aus. Ein Artikel über schwankende Ölpreise weckte seine Aufmerksamkeit. Mehr als ein bis zwei Seiten schaffte er selten, da er sich auf dem Weg zur Arbeit nicht mehr als eine halbe Stunde Zeit für sich selbst zugestand. Der Rest des Tages war mit seiner Tätigkeit im Krankenhaus und seinen Pflichten als alleinerziehender Vater einer sehr aktiven Dreijährigen ausgefüllt.

Er hatte immer viel zu tun, und es ging manchmal hektisch zu, aber diese tägliche halbe Stunde im Café half ihm, sich wie ein Mensch zu fühlen. Ihm gefiel es, sich für eine kurze Weile unter Fremde zu mischen, obwohl er an diesem Punkt seines Lebens eigentlich nicht die Zeit hatte, Kontakte zu knüpfen. Es war schön, unter Leuten zu sein, die keine Erwartungen an ihn stellten. Das war in seinem Alltag eine Seltenheit.

Daniel nahm noch einen Schluck Kaffee und las, dass die Experten auf absehbare Zeit mit weiterhin schwankenden Ölpreisen rechneten. Wobei das für ihn keine große Bedeutung hatte. Zur Arbeit fuhr er jeden Tag mit einem sparsamen kleinen Auto, und abgesehen davon benutzte er den Wagen nicht viel. Zumindest nicht unter der Woche. An seinen freien Tagen fuhr er mit Maddie zum Park oder hinunter zum Pier. Sie fütterte gern die Möwen mit Brot und beobachtete die Angler an den Docks.

Daniel sah auf seine Uhr und stellte mit Bedauern fest, dass schon fünfzehn Minuten seiner halben Stunde vergangen waren. Er nahm noch einen großen Schluck Kaffee und blickte zur Eingangstür des Cafés, als das darüber angebrachte Glöckchen fröhlich klingelte und eine Frau hereinkam.

Sie war attraktiv. Mehr als attraktiv. Sie war eine Schönheit. Auf dezente Weise elegant in dunkelblauer Klinikkleidung. Hatte er sie schon einmal bei der Arbeit gesehen?

Daniel schaute schnell wieder weg. Er wollte nicht dabei erwischt werden, wie er sie anstarrte, als sie sich zwischen den winzigen Tischen für zwei durchschlängelte und direkt zum Tresen ging. Doch sobald sie ihm den Rücken zugekehrt hatte, schaute er sie wieder an.

Kannte er sie? Sie kam ihm bekannt vor. Die gleiche kurvige Figur, die gleiche selbstbewusste Haltung. Nein, das konnte nicht sein. Obwohl, vielleicht doch …

Aber ihre Haare waren heller – ein schönes Honigblond, das gut zu ihrem hellen Teint passte. Und ihr Haar war auch nicht zu einem engen Knoten im Nacken zusammengebunden, sondern floss ihr offen über die Schultern. Oh, und die Brille fehlte. Zoey trug immer eine riesige, schwarz gerahmte Brille, die fast die Hälfte ihres Gesichts einnahm. Sie schmeichelte ihr nicht besonders, sah aber auch nicht schlecht aus. Sie vermittelte einfach nur die Botschaft, dass sie ihr schönes Gesicht gern hinter Plastik versteckte.

Zoey. Eines war sicher: Er hätte nie damit gerechnet, ihr hier zu begegnen. Hätte es auch nicht gewollt. Sollte er sie ansprechen? Höflich sein und fragen, wie es ihr ging?

Daniel dachte einen Moment darüber nach, während er beobachtete, wie sie mit dem jungen Barista sprach und über etwas lachte, das er gesagt hatte. Sie war so ein fröhlicher Typ. Zoey war auch in den Wochen mit Elizabeth immer fröhlich gewesen, und das war etwas gewesen, das er an ihr bewundert hatte.

Das und ihre Fähigkeiten als Krankenschwester, die seiner Meinung nach vorbildlich waren. Zumal sie eine sehr schwierige Arbeit machte – eine, die er selbst nicht machen wollen würde. Er erinnerte sich daran, wie optimistisch sie immer gewesen war.

Daniel wusste, dass in Elizabeths letzten Tagen Zoeys positive Einstellung sehr wohltuend für sie gewesen war, und dafür würde er ihr ewig dankbar sein. Zoey hatte Elizabeth immer wieder ein Lächeln auf das Gesicht gezaubert und sie zum Lachen gebracht.

Diese Frau am Tresen hier hatte das gleiche melodische Lachen. Ein Lachen, das ihm in schweren Zeiten sehr wichtig geworden war. Er hörte es über das Gemurmel im Café hinweg, und es klang immer noch genauso ansteckend. Er musste lächeln.

Es traf Daniel unerwartet, als Zoey sich mit ihrem Kaffee in der Hand umdrehte. Sie wandte sich noch einmal kurz zum Tresen, um ein Trinkgeld in die Dose neben der Kasse zu werfen. Dann drehte sie sich wieder um – und blickte ihm direkt in die Augen. Daniel sah sofort wieder auf seine Zeitung hinunter. Er stellte fest, dass er in den letzten Minuten gerade einmal einen Satz gelesen hatte.

Er hielt seinen Blick fest auf die Zeitung geheftet, als sie in seine Richtung kam. Er wusste nicht, wie er sie begrüßen sollte oder ob er das wollte. Sie erinnerte ihn schmerzlich an sehr schlechte Zeiten. Zeiten, die er so gern vergessen wollte, die ihn aber ein Jahr später immer noch verfolgten. Trotzdem zwang er sich, aufzusehen und zu lächeln, als sie an seinem Tisch vorbeikam.

Ihr Lächeln funkelte in den atemberaubendsten blauen Augen, die er je gesehen hatte. Er wusste nicht, was er jetzt tun sollte.

„Daniel?“, fragte sie und lächelte freundlich.

„Zoey?“, erwiderte er. „Zoey Evans?“

Sie nickte. „Es ist lange her, oder?“

„Ein Jahr.“ Ein langes, einsames Jahr, seit Elizabeth gestorben war.

„Und, wie geht es dir?“, fragte sie.

„Ganz gut. Ich arbeite und kümmere mich um Maddie … Für viel mehr habe ich keine Zeit.“

„Alleinerziehend zu sein, ist bestimmt nicht einfach. Ich nehme an, du lebst noch allein?“

„Ja.“ Er stand auf und deutete auf den Stuhl gegenüber seinem. „Magst du dich ein paar Minuten zu mir setzen?“ Er schaute auf seine Uhr. „Sieben Minuten habe ich noch, bevor ich ins Krankenhaus muss.“

Sie überlegte kurz und nickte dann. „Mehr Zeit habe ich auch nicht. Ich muss nachher hier in der Nähe nach einer Patientin sehen, und ich will nicht zu spät zum Termin kommen.“

Er dachte zurück an all die Termine, die sie mit Elizabeth gehabt hatte – sie war nie zu spät gekommen. Nicht eine Minute. „Du warst immer pünktlich“, sagte er, als sie sich setzte.

„Und du warst immer spät dran.“

„Jetzt nicht mehr. Ich habe mich gebessert.“

Zoey lächelte und stellte ihren Espresso ab. „Elizabeth hat sich darüber geärgert. Sie hat gesagt, nach deiner Unpünktlichkeit könnte man die Uhr stellen.“

Er hatte schon so lange nicht mehr über Elizabeth geredet. Zumindest nicht laut. Sie war immer in seinen Gedanken, aber tatsächlich mit jemandem über sie zu sprechen … Die Wunde, die sie hinterlassen hatte, war noch tief, und er hatte immer Angst, sie könnte wieder aufreißen und zu bluten beginnen. Sie fehlte ihm so sehr, dass er es immer noch körperlich spürte. Kein Tag war vergangen, an dem er nicht Fotos von ihr angesehen, mit ihr geredet oder sich in Erinnerungen ergangen hatte.

Doch laut hatte er nie über sie gesprochen. Nicht einmal mit Abby, Elizabeths Mutter. Sie passte auf Maddie auf, während er arbeitete, und zwischen ihnen gab es die unausgesprochene Regel, dass Elizabeths Name nicht laut gesagt werden sollte.

„Ich wusste, dass sie es hasste, zu spät zu kommen. Wir haben uns nicht oft gestritten, aber darüber schon … Jetzt achte ich auf Pünktlichkeit, aber ich kann dir sagen, es ist schwierig, wenn dich keiner dazu antreibt.“

Zoey nahm einen Schluck von ihrem Espresso und blickte ihn über den Rand der Tasse an. „Sie war glücklich in eurer Ehe. Das hat sie oft gesagt.“

„Das war ich auch. Fünf Jahre waren nicht genug.“ Ihre Zukunftspläne waren von einer unaufhaltsamen Leukämie durchkreuzt worden. Das war etwas, das niemand einplante oder auch nur für möglich hielt. Doch nur drei Monate nach Elizabeths Diagnose …

„Aber es waren gute fünf Jahre, und du hast Maddie! Wie geht es ihr denn?“

„Sie kommt klar. Wenn ich arbeite, ist sie bei Elizabeths Mutter. Hält sie ordentlich auf Trab. Sie weiß genau, was sie will.“

„Wie alt ist sie jetzt, drei? Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war sie fast noch ein Baby. Jetzt würde ich sie wahrscheinlich gar nicht wiedererkennen. Kinder werden so schnell groß, oder?“

Er kippte den Rest seines Kaffees hinunter. „Ja, und das macht mir Angst.“ Er faltete seine Zeitung zusammen. „Elisabeths Mutter verwöhnt sie ein bisschen zu sehr, und ich glaube, das tut ihr nicht gut. Sie bekommt Wutanfälle und droht, zu ihrer Großmutter zu ziehen, wenn ich nicht mache, was sie will.“

„Wutanfälle?“, fragte Zoey. „Warum?“

Daniel verzog das Gesicht. „Es ist schwierig für sie, immer zwischen mir und ihrer Großmutter hin- und herzuwechseln. Sie ist noch so klein, und ihr Leben ist so … unbeständig. Vielleicht weiß sie nicht, worauf sie sich verlassen kann.“ Er schnaubte frustriert. „Ich meine, sie kann sich nicht einmal sicher sein, mich jeden Abend zu sehen, weil ich nicht jeden Tag rechtzeitig nach Hause komme. Irgendwie ist so viel von unserem Leben in der Schwebe, und ich kann nichts daran ändern.“

„Dann hab Geduld mit ihr“, sagte Zoey. „Es klingt, als sei sie sehr durcheinander. Das ist schade, denn ich habe Maddie als sehr liebes Kind in Erinnerung.“

„Ich weiß, dass sie durcheinander ist. Ich hoffe einfach, sie übersteht die Trotzphase ohne bleibende Schäden.“

„Jeder teilt sich anders mit, Daniel. Ich denke, Maddie kann ihre Verunsicherung nicht anders ausdrücken. Und ich glaube nicht, dass sie Schäden davontragen wird. Sie ist zwar erst drei, aber sie geht schon ihren eigenen Weg, und ihr Verhalten ist einfach ein Teil davon.“

„Das weiß ich, und ich verstehe auch, was sie durchmacht, aber das macht es für mich nicht einfacher. Und so, wie Abby sie verwöhnt …“ Er schüttelte den Kopf. „Das ist nicht hilfreich. Maddie denkt wahrscheinlich, dass jeder sie so zu behandeln hat wie ihre Großmutter.“

Zoey lächelte. „Ist es nicht die Aufgabe von Großmüttern, ihre Enkel zu verwöhnen? Ich dachte immer, das wäre Gesetz.“

„Aber Abby übertreibt es.“

„Oder du siehst es zu kritisch. Vielleicht kann sie nur so ihre Liebe ausdrücken. Das tun wir doch alle auf unterschiedliche Art.“

„Vielleicht hast du recht. Ich weiß ja, dass sie es gut meint. Und sie liebt Maddie. Eigentlich ist sie wirklich eine tolle Großmutter. Aber Elizabeth und ich haben uns einmal stundenlang darüber unterhalten, was wir uns für unsere Tochter erhoffen und erträumen und wie ich sie nach ihrem Tod erziehen würde. Sie so zu verwöhnen, wie Abby es tut, gehörte nicht dazu. Elizabeth wollte unbedingt, dass Maddie zu einer starken und unabhängigen Frau erzogen wird.“

„Ich weiß, dass du dich um Maddie kümmern wirst, aber ich will, dass du dich auch um dich selbst kümmerst. Lebe dein Leben weiter, Daniel. Hab Spaß. Sei glücklich. Finde jemanden, mit dem du noch einmal von vorn beginnen kannst. Ich will nicht, dass du allein bleibst.“

Ja, sie hatten gemeinsam Pläne geschmiedet, aber Elizabeths Plan für ihn war so schwierig zu befolgen.

„Na ja, ich bin sicher, dass sich am Ende alles so entwickeln wird, wie du es dir wünschst. Es braucht nur Zeit. Und Maddie wird auch irgendwann vernünftig“, meinte Zoey.

Daniel seufzte tief. Er wusste, dass Maddie für Abby ein Ersatz für Elizabeth war, und deswegen hatte er noch nichts zu ihr gesagt. Abby hatte einen genauso schlimmen Verlust erlitten wie er selbst. „Ich hatte erst überlegt, Maddie in den Krankenhauskindergarten zu geben. Aber ich finde, Kinder sollten in erster Linie von der Familie betreut werden, und wenn Abby es schafft, sich etwas zu bremsen, ist Maddie bei ihr sehr gut aufgehoben.“

„Dann rede mit ihr, Daniel. Sei ehrlich zu ihr. Das ist sonst nicht fair. Ich habe Abby ein paar Mal getroffen, sie ist eine starke Frau. Sehr eigensinnig. Und sie liebt ihre Enkelin über alles, deshalb wird sie dir auch zuhören.“

„Das hoffe ich, denn ich glaube, dass sie sich gegenseitig guttun. Besonders jetzt, wo die Wunden noch so frisch sind.“

„Wie gesagt – rede mit ihr. Danach wird es euch beiden besser gehen.“

„Das mache ich. Danke für deinen Rat. Ich habe schon länger nicht mehr so mit jemandem reden können.“ Er lächelte und machte sich daran, aufzustehen. „Ich muss jetzt gehen. Ich habe gleich Visite mit drei Assistenzärzten und fünf Medizinstudenten, dann ein Meeting um neun. Ich erwarte heute mindestens ein Dutzend Patienten. Ganz zu schweigen vom Papierkram …“

„Du arbeitest also noch im Krankenhaus?“

„Ja, und das wird sich auch nicht ändern. Ich möchte mich nicht niederlassen, das schränkt zu sehr ein. Ich mag die Abwechslung im Krankenhaus. Da bleibt man auf Zack, und es wird nie langweilig. Und du, bist du oft im Krankenhaus?“

„Eigentlich nicht. Ich arbeite zwar für das Krankenhaus, aber mein Büro ist auf der anderen Straßenseite. Ich bin nur ein- oder zweimal pro Woche da. Und ich beeile mich immer, so schnell wie möglich wieder rauszukommen. Krankenhäuser sind nichts für mich.“

„Warum nicht?“

„Na ja, dir gefällt, dass sie groß und offen sind, aber ich behandle meine Patienten lieber in einer etwas privateren Umgebung.“

„Deshalb bist du in der häuslichen Pflege.“

„Ja, das ist genau mein Ding. Zu Hause sind meine Patienten am glücklichsten.“

„Aber Hospizarbeit? Das ist sicher hart.“

„Und dankbar. Ich habe während meiner Ausbildung damit angefangen, weil die Arbeitszeiten gut mit meinem Stundenplan vereinbar waren. Dabei habe ich gemerkt, dass ich diese Arbeit liebe, und seitdem hatte ich nie einen Grund, in einen anderen Pflegesektor zu wechseln.“

„Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie hart das sein muss. Einen Patienten zu verlieren, ist nie leicht, aber alle zu verlieren?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß auch nicht, es gefällt mir einfach, Menschen am Ende ihres Lebens zu unterstützen und zu pflegen. Das ist eine wichtige Arbeit, doch die meisten Menschen kommen damit nicht klar. Ich bin nun mal zufällig jemand, dem das liegt.“

„Wir sind also beide zufrieden mit unserer Arbeit.“

„Das ist doch gut, oder?“

Er nickte. „Wir sollten uns wieder einmal zum Kaffee treffen. Das war … schön.“

„Gern, aber ich bin um diese Uhrzeit normalerweise nicht hier in der Gegend. Mrs. Barrow, zu der ich gleich gehe, besuche ich normalerweise immer nach dem Mittagessen, aber wegen eines Arzttermins heute Nachmittag musste ich sie vorziehen. Und dieses kleine Café lag direkt auf dem Weg zu ihrem Haus. Normalerweise komme ich hier erst um die Mittagszeit vorbei.“

„Also verpassen wir uns an normalen Tagen immer um etwa sechs Stunden.“

„Scheint so.“

„Na ja, vielleicht komme ich irgendwann mal mittags vorbei.“

„Und vielleicht bin ich dann auch hier.“

Daniel ging einen Schritt vom Tisch weg. „Ich muss jetzt wirklich los. Danke für das Gespräch. Es war schön, dich wiederzutreffen.“

„Ich danke dir.“

Sie verabschiedeten sich, und Daniel sah nicht zurück zu der Schönheit, die am Tisch sitzen blieb und an ihrem Espresso nippte. Erst, als er draußen war. Da schaute er zurück durch das Fenster und beobachtete sie einen Moment. Wochenlang hatte sie damals Elizabeth zu Hause gepflegt, und er konnte sich nicht daran erinnern, mit ihr jemals ein richtiges Gespräch über irgendetwas anderes als Elizabeth geführt zu haben.

Zoey Evans war also jemand, mit dem man gut reden konnte. Und so ungezwungen. Er war überrascht, wie locker er sich mit ihr hatte unterhalten können. Tatsächlich hätte er nichts dagegen, sie noch einmal zu treffen. Das würde jedoch wieder zufällig passieren müssen, denn an diesem Punkt in seinem Leben hatte er nicht viel Spielraum, um sich um neue Beziehungen zu kümmern.

Im Moment war alles zu kompliziert. Aber die Aussicht, Zoey wiederzusehen, freute ihn richtig. Doch das weckte auch Schuldgefühle, denn seine Freude über ein Wiedersehen mit Zoey kam ihm wie ein Verrat an Elizabeth vor. Und so wollte er sich nicht fühlen. Nicht jetzt, wo er gerade alles daransetzte, die Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Daniel Caldwell. Vor einem Jahr hatte sie ihn das letzte Mal gesehen, und seitdem hatte sich sehr viel verändert.

Damals war er so abgemagert gewesen. Er hatte sich um seine Frau und sein Kind gekümmert und weiterhin im Krankenhaus gearbeitet. Er hatte sich nicht geschont, und der Stress dieser Zeit hatte seinen Tribut gefordert. Das war nicht nur an seinen eingefallenen Wangen, sondern auch an dem abwesenden Blick zu erkennen gewesen, der ihr immer an ihm aufgefallen war. Es war eine schwere Zeit für ihn gewesen, und Zoey wusste, wie sehr sie an ihm gezehrt hatte. Das kannte sie auch von den Familien anderer Patienten.

Und dennoch war Daniel anders. Er fraß sein Leid stärker als viele andere in sich hinein. Bevor er sich um sich selbst kümmerte, vergewisserte er sich erst, dass für alle anderen um ihn herum gesorgt war. Selbst für sie. Zoey erinnerte sich, dass er für sie immer eine frische Kanne Kaffee aufgesetzt hatte – was völlig unnötig gewesen war, doch sie hatte es dankbar angenommen. Sie hatte ihm gesagt, dass sie sich selbst einen Kaffee machen konnte, aber davon wollte er nichts wissen. Sie sollte lieber jede Minute nutzen, um seiner Frau zu helfen.

Damit hatte er recht gehabt. Je schlechter es Elizabeth ging, desto mehr Hilfe brauchte sie und desto weniger Zeit hatte Zoey für die kleinen Dinge. Damals wusste sie die freundliche Geste einer einfachen Tasse Kaffee sehr zu schätzen.

Sie wusste auch Daniels Hingabe an Elizabeth zu schätzen. Viele Menschen wandten sich von Schwerkranken ab, versuchten, dem Unvermeidlichen auszuweichen. Sie waren vielleicht körperlich anwesend, aber geistig und emotional schalteten sie ab. Doch bei Daniel war das nicht der Fall gewesen. Er blieb mittendrin bis zum Ende und tat alles ihm Mögliche, um seiner Frau zu helfen, und auch, um ihr zu helfen.

Das bewunderte Zoey. Sie wünschte, sie hätte das, was ihr wie die perfekte Ehe vorkam, zu einem anderen Zeitpunkt erleben dürfen.

Sie konnte sich nur schwer vorstellen, dass jemand in einer Beziehung so glücklich sein konnte. Sie war das nie gewesen, und irgendwann hatte sie die Hoffnung aufgegeben, dass es ihr jemals widerfahren könnte. Ihr eigenes Scheitern als Ehefrau hatte sie aus der Bahn geworfen. Sie hatte ihre Selbstsicherheit in Beziehungsdingen verloren und wusste nicht, ob sie sich noch einmal darauf einlassen könnte. Zumindest nicht mit dem gleichen Eifer wie bei ihrer ersten Ehe, die in einem Desaster geendet hatte.

Zoey schloss jedoch nicht aus, dass in ihrer Zukunft noch mehr auf sie warten könnte. Ein wenig Hoffnung war noch übrig. Sie fragte sich aber, ob sie die nötige Leidenschaft aufbringen könnte, denn alle Leidenschaft in ihr war lange tot. Dafür hatte Brad gesorgt.

Vielleicht würde sie sich irgendwann binden und es erneut versuchen. Aber erst musste sie wieder ganz werden, musste all die Stücke ihrer selbst wiederfinden, die Brad ihr genommen hatte, als die Ehe in die Brüche gegangen war. Sie musste die Hoffnung wiederfinden, die er ihr geraubt hatte. Die Ernüchterung abschütteln, die er stattdessen hinterlassen hatte. Er hatte ihr immer und immer mehr genommen, bis nicht mehr viel übrig war. Und sie hatte es zugelassen, weil sie gedacht hatte, das gehöre zu wahrer Liebe dazu.

Doch die wahre Liebe hatte sie enttäuscht. Sie hatte schnell erkannt, wer Brad wirklich war, und in ihren restlichen gemeinsamen Monaten hatte sie vergeblich versucht, damit klarzukommen. Sie hatte versucht herauszufinden, wie sie sich in jemanden wie ihn hatte verlieben können. Wie hatte sie so dumm sein können?

Er hatte sie verletzt. Nicht so sehr im Herzen als vielmehr in ihrem Vertrauen, gute Beziehungsentscheidungen treffen zu können. Seinetwegen war sie bei allem, was sie immer geglaubt und gewollt hatte, ins Straucheln geraten. Selbst jetzt noch schien sie vielleicht äußerlich selbstsicher, war aber innerlich voller Zweifel. Deshalb traute sie sich nicht zu, sich wieder hinauszuwagen.

Sie hatte sich nicht mehr mit Männern verabredet. Es war einfacher gewesen, dieser ganzen Sache den Rücken zu kehren. Bis sie sich sicher sein konnte, dass sie nicht wieder Mist bauen würde, war sie so, wie es jetzt war, absolut zufrieden.

Seufzend dachte Zoey darüber nach, was ihre Zukunft für sie noch bereithalten könnte. Eine echte Beziehung? Einen Mann, dem sie vertraute?

Plötzlich tauchte Daniel vor ihrem inneren Auge auf, und sie stellte sich vor, wie schön es wäre, zu jemandem wie ihm nach Hause zu kommen. Zu jemandem, der sich um sie sorgte. Zu jemandem, der mit Leidenschaft liebte. Aber das war ja nur eine Illusion. So einen Mann wie Daniel würde sie für sich nicht finden.

Sie hatte gehört, wie liebevoll er mit seiner Frau gesprochen hatte, und gesehen, wie er sich um sie gekümmert hatte. Wie er stundenlang an ihrem Bett gesessen und nur ihre Hand gehalten hatte, während sie schlief. Wie zärtlich er sie geküsst hatte, als ihre Schmerzen so unerträglich wurden, dass sie beinahe von Sinnen war. Wie er sie in ihren letzten Augenblicken voller Liebe gehalten hatte.

Ja, sie hatte Einblick in eine Intimität erhalten, wie sie sie vorher noch nie erlebt hatte, und sie wusste, dass es nicht viele Männer wie Daniel gab. Elizabeth hatte großes Glück gehabt, ihn zum Mann zu haben, und in gewisser Weise beneidete Zoey sie darum, denn auch sie wollte nichts mehr für sich als einen Mann wie Daniel.

Würde sie diesen Mann jemals finden? Würde sie jemanden finden, der für sie so tief und leidenschaftlich empfand, dass nichts anderes wichtig schien? Jemanden, der sie so liebte, wie Daniel Elizabeth geliebt hatte?

Daniel … Zoeys Gedanken wanderten zu ihm zurück, als sie zu ihrem ersten Termin fuhr. Er hatte ein paar Pfund zugenommen, das stand ihm gut. Sein Blick war nicht mehr so ruhelos. Das bedeutete, dass er langsam darüber hinwegkam, und das war gut so. Manche Menschen blieben in der Trauerphase stecken und kamen nicht wieder heraus. Aber er musste sich um seine Tochter kümmern, und er hatte seine Arbeit im Krankenhaus. Maddie und die Arbeit gaben ihm etwas, auf das er sich konzentrieren konnte.

Es war schön gewesen, Daniel heute zu treffen. Sie blieb grundsätzlich nicht mit den Angehörigen ihrer Patienten in Kontakt, nachdem ihr Dienst beendet war. Manche wollten sie nicht loslassen, um sich nicht ihrer neuen Realität stellen zu müssen, aber sie hatte für sich herausgefunden, dass ein klarer Schnitt für alle Beteiligten besser war. Deshalb waren zufällige Treffen wie das mit Daniel selten, und sich mit ihnen hinzusetzen und zu reden, kam noch viel seltener vor. Tatsächlich war das überhaupt noch nicht vorgekommen, und sie wusste nicht, was sie dazu bewogen hatte, sich zu ihm zu setzen.

Vielleicht, weil er theoretisch ein Kollege war? Schließlich waren sie im gleichen Krankenhaus angestellt, auch wenn sie beruflich keinen Kontakt hatten. Immer, wenn sie im vergangenen Jahr im Krankenhaus gewesen war, hatte sie sich nach ihm umgesehen, aber ihre Wege hatten sich nie gekreuzt, und es war ihr nie eingefallen, ihn aufzusuchen. Denn sie blieb immer professionell. Privates und Berufliches mussten getrennt bleiben.

Viel Privates gab es in ihrem Leben allerdings gerade nicht. Nach der Arbeit ging sie nach Hause, sah ihre Notizen durch, fütterte Fluffy, ihre divenhafte Perserkatze, führte ein paar Telefonate, aß spät zu Abend, las ein wenig und schlief dabei ein. Am nächsten Tag passierte wieder genau das Gleiche. Ihre Wochenenden füllte sie mit Erledigungen. Einkaufen, Wäsche, mindestens ein halber Tag im Büro, um in Ruhe Patientendaten in den Computer einzugeben. Und all die anderen Sachen, die täglich zu tun waren. Oh, und Klettern an den meisten Samstagen, das ließ sie sich nicht nehmen.

Wenn sie sich langweilte, gönnte sie sich einen Kinobesuch mit allem, was dazugehörte – Cola Light und Popcorn mit Butter. Im Dunkeln wunderte sich niemand, dass sie ganz allein da war, und sie genoss diese Anonymität für ein paar Stunden. Keine Erwartungen, keine Ängste.

Und jeden Sonntagvormittag rief sie ihre Mutter an, das war Pflicht.

„Wie geht es dir, mein Schatz?“, fragte ihre Mutter dann.

„Gut, Mom.“

„Gibt es was Neues?“

„Nein, alles beim Alten.“

„Kein neuer Freund, keine Dates?“

„Nein, ich habe mit mir selbst genug zu tun. Und mit der Arbeit.“

„Wann willst du dir denn mal einen netten Mann suchen, eine Familie gründen und mir Enkel schenken?“

„In nächster Zeit nicht, wie es aussieht. Bei meiner Arbeit treffe ich keine guten Heiratskandidaten.“

„Na, dann arbeite doch im Krankenhaus, da kannst du dir einen hübschen jungen Doktor schnappen.“

„Ich will aber nicht im Krankenhaus arbeiten, und ich brauche keinen hübschen jungen Doktor.“

„Du änderst dich nie, Zoey“, warf ihre Mutter ihr dann immer vor. „Du änderst dich einfach nicht.“

Jeden Sonntagvormittag das gleiche Gespräch. Das änderte sich nie. Doch dieses Gespräch mit ihrer lieben alten Mom war eine Gewohnheit, von der sie sich nicht trennen konnte. Also ertrug sie es genau wie ihre anderen Pflichten. Und zweimal im Jahr fuhr sie für eine Woche nach Omaha, um dieses Gespräch persönlich zu führen. Sie ließ sich das immer wiederkehrende Thema im Austausch dafür gefallen, dass ihre Mutter sie eine Woche lang nach Strich und Faden verwöhnte. Es war schön, wenn sich zur Abwechslung einmal jemand um sie kümmerte statt umgekehrt.

Als Zoey ihr kleines rotes Auto in die Einfahrt bei ihrer Patientin lenkte, blickte sie zu dem hübschen Holzhaus auf und seufzte. Es wäre schön gewesen, etwas mehr Zeit mit Daniel zu verbringen. Aber die Pflicht rief, und zwar sie beide. Und ihre Pflicht war jetzt, Mrs. Barrow für ihren Arzttermin an diesem Nachmittag vorzubereiten. Baden, Haare waschen, anziehen, Vitalzeichen prüfen, Medikamente verabreichen … Mrs. Barrow brauchte sehr viel Hilfe, war aber eine der wenigen, die auf ihre alten Tage noch ein gewisses Feuer entwickelte. Das gefiel Zoey, und diese lebhafte Art färbte auch auf sie ab.

Autor

Dianne Drake
Diane, eine relative neue Erscheinung im Liebesromanbetrieb, ist am meisten für ihre Sachliteratur unter dem Namen JJ Despain bekannt. Sie hat mehr als sieben Sachbücher geschrieben, und ihre Magazin Artikel erschienen in zahlreichen Zeitschriften. Zusätzlich zu ihrer Schreibtätigkeit, unterrichtet Dianne jedes Jahr in dutzenden von Schreibkursen. Dianne`s offizieller Bildungshintergrund besteht...
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