Den Mutigen lacht das Glück

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Als Jeff Davidson nach Pleasant Valley zurückkehrt, spürt Jodie schon bei ihrem ersten Wiedersehen, wie stark sie sich zu dem einstigen Rebell hingezogen fühlt - dabei fordern ihr Café, ihr kleines Geschäft und vor allem ihre pubertierende Tochter Brittany ihre ganze Kraft. Doch Jeffs geduldiges Werben lässt eine nie gekannte Sehnsucht nach Zärtlichkeit in ihr erwachen, und nur zu gern würde sie ihr nachgeben. Aber ist Jeff wirklich der geeignete Vater für Brittany? Erst wenn Jodie darauf eine Antwort findet, kann sie dem Glück eine Chance geben.


  • Erscheinungstag 23.03.2008
  • Bandnummer 1621
  • ISBN / Artikelnummer 9783863493776
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Jeff Davidson trat noch einen Schritt tiefer in den Schatten des kleinen Souvenirladens zurück. Aufgrund seiner Spezialausbildung bei den Marines war er in der Lage, sich nahezu lautlos zu bewegen. Doch sein militärisches Training nützte ihm nur wenig angesichts des Familienstreits, der sich nur wenige Meter von ihm entfernt abspielte.

Bewegungslos spähte er durch einen schmalen Spalt zwischen handgefertigten Quilts, rustikalen Vogelkäfigen und geflochtenen Weidenkörben auf den Warenständern.

Gegenüber den Verkaufswaren befand sich die Café-Ecke mit einigen Tischen und Stühlen. Dort schimpfte ein schlankes junges Mädchen mit einer Mähne glatten hellblonden Haares hemmungslos auf seine Mutter ein. „Du bist dermaßen altmodisch. Alle meine Freundinnen haben ihren Nabel gepierct.“

Jeff verzog missbilligend das Gesicht. Wie kam die Kleine dazu, in einem solchen Ton mit ihrer Mutter zu sprechen? Nicht, dass es ihn etwas anging. Und schon gar nicht hatte er die Absicht gehabt zu lauschen. Er war hierher ins Mountain Crafts Café gekommen, um nach Feierabend in einer geschäftlichen Sache mit der Inhaberin Jodie Nathan zu sprechen.

Doch bevor er sich bemerkbar machen konnte, kam die vierzehnjährige Brittany wie eine Furie die Treppe, die zu der Wohnung über dem Laden führte, heruntergerannt und hatte sich mit ihrer Mutter angelegt.

„Was deine Freundinnen mit ihrem Nabel machen, ist nicht mein Problem.“ Jodies betont ruhigem Ton war anzuhören, dass derartige Diskussionen für sie nichts Neues waren. „Du bist meine Tochter, und solange du unter meinem Dach lebst, wirst du dich an meine Spielregeln halten.“

„Aber, Mom …“

„Du lässt dir deinen Nabel nicht piercen, und damit basta.“

„Ich hasse dich!“, schrie Brittany.

Ihre fast schwarz bemalten Lippen zitterten vor Wut, und aus den dunkel umrandeten grünen Augen sprühten Blitze. Ihrer Kleidung nach zu schließen, war Schwarz wohl gerade ihre Lieblingsfarbe.

Sie straffte die schmalen Schultern und griff erneut an. „Kimberly darf sich piercen lassen, wo sie will. Ihre Mutter hat nichts dagegen.“

„Und wenn Kimberly beschließt, vom Devil’s Mountain zu springen, hat ihre Mutter vermutlich auch nichts dagegen“, erwiderte Jodie müde.

„Ich wollte, du wärst nicht meine Mom!“, spuckte Brittany gehässig aus. Damit machte sie auf dem Absatz kehrt, stürmte aus der Vordertür und schlug sie hinter sich zu.

Jeff wollte schon aus seinem Versteck treten, als er den verstörten Blick auf Jodies Gesicht bemerkte, und beschloss, ihr noch eine Minute Zeit zu geben, um sich wieder zu fassen. Jodie hatte in dem kleinen Städtchen Pleasant Valley, South Carolina, damals für einen Skandal gesorgt, als sie mit fünfzehn Jahren schwanger geworden war. Mehr noch, sie hatte sich außerdem mutig dafür entschieden, ihr Baby allein großzuziehen, anstatt es abtreiben zu lassen oder zur Adoption freizugeben.

Jeff hatte damals sein Abschlussjahr an der Highschool absolviert. Aufgrund seiner familiären Situation hatte er schon immer die Rolle eines Außenseiters und Rebellen geführt und deshalb insgeheim mit Jodie gefühlt, als sie nun in Pleasant Valley allenthalben Ablehnung und Verachtung erfuhr. Einen Tag nach der Zeugnisvergabe hatte er die Stadt verlassen, um bei den Marines anzuheuern. Seitdem hatte er Jodie nicht mehr gesehen. Und auch jetzt hatte er noch keinen direkten Blick auf sie werfen können. Sie hatte die Ellbogen auf den Tresen gestützt und den Kopf in den Händen vergraben.

„Den Titel ‚Mutter des Jahres‘ kann ich jetzt wohl vergessen“, murmelte sie laut genug für Jeffs Ohren.

Sich weiter zu verstecken kam für ihn nun nicht mehr infrage, zumal sie nicht zu weinen schien. Also trat er hinter dem Warenständer hervor und räusperte sich.

Jodies Kopf schoss nach oben, die riesigen braunen Augen hatte sie vor Schreck weit aufgerissen.

Jeff stockte der Atem, als er ihr zum ersten Mal nach so langer Zeit ins Gesicht blickte. Das war nicht das magere sommersprossige Mädchen, das er in Erinnerung hatte. Jodie Nathan hatte sich zu einer echten Schönheit gemausert. Trotz leichter Schatten der Erschöpfung unter ihren Augen und der zerzausten braunen Haare sah sie hinreißend aus. Ihr graugrüner Pulli umschloss eng die geraden Schultern und die nicht allzu großen, aber verführerischen Brüste. Durch die Theke blieb ihre Figur von der Taille abwärts verborgen, doch wenn der Rest ihres Körpers dem entsprach, was er sehen konnte, dann hatte sich die kleine Jodie zu einer Frau entwickelt, die den Männern den Kopf verdrehen und das Herz brechen konnte.

„Sie haben alles mit angehört?“, fragte sie.

„Tut mir leid. Es war nicht meine Absicht. Ich wollte mit Ihnen allein sprechen.“

Misstrauisch musterte sie ihn aus zusammengekniffenen Augen. „Kennen wir uns?“

„Jeff Davidson. Es ist schon eine Weile her.“

Jodie entspannte sich etwas, als sie den vertrauten Namen hörte. Sie neigte den Kopf und betrachtete ihn. „Du hast dich verändert.“

„Ich bin älter geworden.“

„Das ist es nicht allein.“

Er verzog das Gesicht zu einem Lächeln. „Bei den Marines bin ich auch erwachsen geworden.“

„Du wolltest mit mir reden?“

„Ich wollte dir ein Angebot machen.“

Ihre Züge wurden hart. „Vergiss es. Der Typ Mädchen war ich nicht, als du Pleasant Valley verlassen hast, und ich bin auch heute nicht der Typ Frau.“

„Hallo, Moment mal.“ Abwehrend hob er die Hände. „Ich spreche von einem Geschäft.“

Sie glaubte ihm anscheinend nicht. „Nachdem du soeben meine Unfähigkeit als Mutter miterleben durftest, kannst du doch nicht ernsthaft wollen, dass ich dir bei deinem Heim für straffällig gewordene Jugendliche helfe.“

„Hat Grant dir von meinem Projekt erzählt?“

Sie schüttelte den Kopf. „Merrilee Stratton hält meinen lieben Bruder viel zu sehr mit Hochzeitsplänen auf Trab, als dass er Zeit für lange Gespräche mit seiner kleinen Schwester hätte. Aber es gibt jede Menge Gerüchte in der Stadt über dich und dein Projekt.“

„Wenn du eine Minute Zeit hättest“, sagte er, „würde ich dir gern meine Pläne erläutern.“

Sie zögerte, und eine Falte erschien auf ihrer makellosen Stirn zwischen den Augenbrauen. „Wenn du Geld sammeln willst, verschwendest du nur deine Zeit bei mir. Dank meiner unberechenbaren Tochter bin ich ziemlich pleite.“

Jeff schüttelte den Kopf. „Wie schon gesagt, es handelt sich um ein Geschäft. Ich bezahle gut. Falls du Interesse hast.“

Er tat so, als wäre ihm ihr Einverständnis gar nicht so wichtig. Es würde sie nur verschrecken, wenn sie ahnte, wie sehr er auf ihre Hilfe angewiesen war. Oder wie sehr er sich ihre Beteiligung erst recht ersehnte, nachdem er die erwachsene Jodie gesehen hatte. Während seiner Jahre bei den Marines hatte er kaum Frauen kennengelernt. Die wenigen, die seinen Weg gekreuzt hatten, waren meist weibliche Offiziere und somit tabu gewesen. Er hatte wie ein Mönch gelebt, und es war ihm recht gewesen, denn seine Arbeit hatte ganze Konzentration erfordert.

Doch die Offizierinnen gehörten der Vergangenheit an. Jodie war seine Zukunft und zu einhundert Prozent Zivilistin, und zwar die hübscheste, die er je gesehen hatte. Sein lange unterdrücktes Interesse war erwacht.

„Okay“, sagte sie schließlich. „Aber nur eine Minute. Möchtest du einen Kaffee? Ich habe gerade frischen aufgebrüht.“

„Klingt gut.“

Jeff zügelte seine Fantasien und konzentrierte sich auf sein Vorhaben. Seit seiner Rückkehr war er auf gemischte Reaktionen in seiner Heimatstadt gestoßen, angefangen von Neugier über Unterstützung bis hin zu offener Feindseligkeit. Jodie hatte sich zumindest bereit erklärt, ihn anzuhören.

Als Jugendlicher in diesem rückständigen Nest hatte er seine Einsamkeit und seine Außenseiterrolle hinter einer arroganten, rebellischen Fassade versteckt. Jetzt, als Erwachsener, versuchte er, das Image von damals loszuwerden, weil er um jeden Preis Erfolg haben wollte.

Nicht nur für sich selbst, sondern vor allem für die Jugendlichen, deren Zukunft auf dem Spiel stand.

Jodie kam mit zwei Bechern Kaffee zurück und wies auf einen Tisch gleich beim Eingang.

„Hast du etwa Angst vor mir?“, fragte Jeff ironisch.

„Sollte ich das?“ Sie setzte sich auf einen Stuhl ihm gegenüber.

„Sehe ich aus wie ein Killer?“ Er rang sich ein Lächeln ab.

„Mein Bruder meint, du bist in Ordnung. Und Grant hat meistens recht.“ Sie hielt kurz inne. „Du willst mir also ein Geschäft vorschlagen?“

„Genau. Ich brauche jemand, der mir Speisen und Getränke liefert.“

Sie schüttelte den Kopf. „Normalerweise …“

„Grant hat dich empfohlen. Er sagte auch, du hättest im Moment bis zum Memorial Day nicht allzu viel zu tun.“

„Also gut, ich höre.“ Sie lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen zurück.

„Wir wollen dieses Wochenende mit dem Bau des Heims beginnen.“

„Wir?“

„Einige meiner früheren Kumpel von den Marines. Ich brauche jemand, der für unser Essen sorgt.“

Jodie schüttelte den Kopf. „Maria Ortega ist meine einzige Köchin, und samstags ist hier im Café am meisten los.“

„Ich brauche keinen Koch. Nur jemanden, der uns mit Sandwiches und Getränken versorgt.“

„Können sich deine Jungs ihre Sandwiches nicht selbst machen?“ Sie zog fragend eine Augenbraue hoch.

„Könnten sie schon, wenn ich genug Zeit hätte, um alles zu organisieren und einzukaufen. Aber ich habe alle Hände voll zu tun, die Baumaterialien zu beschaffen. Ich brauche unbedingt deine Hilfe.“

Er konnte förmlich sehen, wie es in ihrem Kopf arbeitete. „Grant und Merrilee sind auch mit von der Partie“, fügte er hinzu. „Vielleicht könnte Merrilee dir ja zur Hand gehen.“

„Wie viele Personen sind es insgesamt?“

„Achtzehn.“

Jodie erhob sich, ging quer durch den Raum zum Tresen und bückte sich dahinter.

Sie kam mit Block, Stift und Rechner zurück. „Ich würde verschiedene Sandwiches vorschlagen und Kartoffelsalat. Vielleicht auch ein Chili, falls es kühl ist. Mehrere Dutzend Plätzchen, Schokochips, Erdnussbutter … und einige von Marias berühmten Kuchen. Eistee und Kaffee.“

„Klingt großartig.“

„Du hast den Preis noch nicht gehört.“

„Wie viel?“, zwang er sich zu fragen, denn im Grunde war ihm der Preis vollkommen egal. Er wollte Jodie unbedingt dabeihaben, koste es, was es wolle.

Sie addierte Zahlen auf ihrem Taschenrechner und nannte ihm schließlich ihren Preis.

Fast wäre ihm die Kinnlade heruntergefallen. So viel für ein paar belegte Brote und Cookies? Offensichtlich hatte sie die Kosten in die Höhe getrieben, damit er sich jemand anderen suchte. Doch selbst wenn er später auf ihre Mitarbeit verzichten konnte, er hätte ihren Wucherpreis auf jeden Fall akzeptiert. Jodie musste beim Start seines Projekts dabei sein, weil sie plötzlich Teil seines Traums geworden war.

„Abgemacht.“ Er holte hastig seine Brieftasche heraus, stellte einen Scheck aus und schob ihn ihr über den Tisch zu. Dann hielt er ihr die Hand hin, um das Geschäft zu besiegeln.

Jodie zwinkerte überrascht, nahm dann aber den Scheck und ergriff etwas unwillig seine Hand.

„Vielleicht noch ein paar Doughnuts für die Frühstückspause“, sagte er, wobei er noch immer ihre kleine, zarte Hand in seiner hielt. „Und ich brauche dich an Ort und Stelle zum Servieren und Aufräumen.“

Sie sah ihn groß an. „Das war aber nicht Teil des Geschäfts.“

„Bei dem Preis, den du verlangst, ist deine Zeit mehr als gut bezahlt.“ Er blickte ihr offen ins Gesicht. Er ging davon aus, dass sie seine Bedingung akzeptieren würde, schließlich war ihr Preis deutlich überhöht.

Erst jetzt schien sie zu bemerken, dass er noch immer ihre Hand hielt, und entzog sie ihm.

Jeff erhob sich. „Dann also bis Samstagmorgen um acht bei mir.“

Auch Jodie stand auf. Nur mühsam gelang es Jeff, seinen Blick von ihrer hinreißenden Figur abzuwenden. Er ging zur Tür, öffnete sie und drehte sich noch einmal nach Jodie um.

„Es freut mich sehr, dass wir uns einig geworden sind.“ Er gab sich keine Mühe, sein Lächeln zu verbergen. Er hatte gewonnen, und sie wusste es. Dann ging er hinaus und schloss die Tür hinter sich.

Jodie ließ sich auf ihren Stuhl sinken, ehe ihr die Knie nachgaben. Sie streifte sich die feuchten Hände an der Hose ab und atmete tief durch, um ihren rasenden Pulsschlag zu beruhigen. Als Jeff so urplötzlich aufgetaucht war, hatte er ausgesehen wie der Inbegriff des Traummannes einer jeden Frau. Groß, breitschultrig, verführerische graue Augen, perfekt geschnittenes dunkles Haar, die Gesichtszüge eines Filmstars trotz der Narbe auf der rechten Wange und dazu ein ironisches Lächeln und perfekte Zähne. Und diese Muskeln. Kein Gramm Fett zu viel. Nur durchtrainierte Kraft. Kein Wunder, dass sie den schlaksigen Teenager von damals nicht wiedererkannt hatte, der immer ausgesehen hatte, als bräuchte er dringend einen Haarschnitt, eine Dusche, saubere Kleidung und ein anständiges Essen. Und seine Stimme …

Sie verschränkte ihre zitternden Hände auf der Tischplatte. Was hatte er nur mit ihr angestellt? Sie war nicht mehr so durcheinander gewesen, seit Randy Mercer vor fünfzehn Jahren die Eisenwarenhandlung ihres Vaters betreten hatte. Damals war sie zwei Wochen später mit Brittany schwanger gewesen.

Verflixt, sie musste sich zusammenreißen. Sie hatte sich geschworen, sich nie wieder vom guten Aussehen eines Mannes überrumpeln zu lassen, und bisher war ihr das recht gut gelungen.

Bis heute.

Bis Jeff Davidson aus der Vergangenheit aufgetaucht war. Sie war sicher gewesen, dass ihr überhöhter Preis ihn von seinem Plan abbringen würde, doch er hatte noch nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als er die exorbitante Summe gehört hatte. Er hatte nur gelächelt und die Falle zuschnappen lassen.

Wieder atmete sie tief ein. Er hatte sie schlicht und einfach auf dem falschen Fuß erwischt. Das nächste Mal war sie gewappnet und würde seinem guten Aussehen und seinem Charme nicht mehr erliegen.

Etliche Männer hatten in der Vergangenheit Interesse an ihr gezeigt. Doch keiner hatte ihren hohen Ansprüchen genügt.

Und keiner der Männer, mit denen sie ein paar Mal ausgegangen war, hatte sich für Brittany interessiert. Einige hatten sogar rundheraus erklärt, dass ein Kind in ihren Augen nur ein Hindernis für eine Beziehung darstellte. So war Jodie allein geblieben und dabei recht glücklich.

Endlich erhob sie sich auf etwas wackeligen Beinen, räumte die Tassen vom Tisch und brachte sie zur Theke. Während sie den Rechnungsbetrag in die Kasse eintippte, sah sie aus dem Augenwinkel, wie Jeff draußen neben seiner chromblitzenden alten Harley stand und mit einer Polizistin sprach. Hoffentlich brummte ihm Officer Brynn Sawyer einen ordentlichen Strafzettel auf.

Die Kaffeetassen waren gerade im Geschirrspüler verstaut, als die Glocke über der Tür bimmelte. Vor lauter Angst, Jeff könnte noch einmal zurückgekommen sein, begann Jodies Herz zu rasen. Doch als sie sich umdrehte, sah sie nur Brynn.

„Du bist ja noch in Uniform.“ Hoffentlich bemerkte Brynn ihr gerötetes Gesicht nicht. „Hast du nicht schon seit Stunden Feierabend?“

Brynn schwang sich auf einen Barhocker. „Ich hatte noch eine Menge Schreibkram zu erledigen.“

„Kaffee?“

Brynn nickte. Selbst in der streng geschnittenen dunkelblauen Uniform war die große, gut gebaute Frau mit dem dunklen rotbraunen Haar überaus attraktiv. Doch sie schien sich ihres guten Aussehens selbst gar nicht bewusst zu sein. Sie war viel zu sehr mit ihrem Job verheiratet, um die Bewunderung der Männer zu bemerken.

Brynn gab Süßstoff und Sahne in ihren Kaffee. „Ich habe ein paar neue Witze auf Lager“, sagte sie. „Was ist der Unterschied zwischen einem überfahrenen Stinktier und einem Anwalt?“

„Du und deine Juristenwitze. Du kannst einfach nicht damit aufhören, oder?“ Jodie schnitt ein Gesicht.

Ihre Freundin begann zu grinsen. „Vor dem Stinktier sind Bremsspuren. Was benutzt ein Anwalt zur Verhütung?“

„Keine Ahnung.“

„Seine Persönlichkeit.“ Sie hielt kurz inne, um Luft zu holen. „Was passiert, wenn man ein Schwein mit einem Anwalt kreuzt?“

Jodie lachte. „Ich wage es nicht, dich zu fragen.“

„Nichts. Es gibt Dinge, vor denen sogar ein Schwein zurückschreckt. Wie nennt man …“

„Stop. Bitte.“ Vor Lachen konnte Jodie kaum reden. „Ist das deine Verhörmethode? Ein Juristenwitz nach dem anderen, bis der Verdächtige zusammenbricht und gesteht?“

„Guter Tipp.“ Brynn warf ihr einen prüfenden Blick zu. „Ich schätze, Jeff Davidson war bei dir?“

„Er hat einen Catering-Job für mich“, erklärte Jodie möglichst beiläufig.

„Du machst doch gar kein Catering.“

Jodie zuckte die Schultern. „Ausnahmsweise schon.“

„Für den Bau des Heims?“

„Woher weißt du das?“

„Ich bin auch eingeladen.“

„Du?“

„Samstag ist mein freier Tag“, erklärte Brynn. „Und Jeff glaubt, meine Anwesenheit würde das ganze Projekt etwas respektabler aussehen lassen. Wenn ich selbst dabei bin, kann ich eventuell aufkommende Gerüchte gleich entkräften.“

„Dann hat sein teuflischer Charme also auch bei dir gewirkt?“

„Teuflischer Charme?“ Brynn sah sie verständnislos an.

Ihr Polizistenjob hatte sie anscheinend gegen männliches Charisma immun gemacht.

Plötzlich erhellte sich ihr Gesicht. „Charme? Kann es sein, dass Schwester Jodie, unsere Hausnonne, den lieben Jeff charmant findet?“

„Natürlich nicht. Aber er hat versucht, mich einzuwickeln.“

„Wenn du ihn nicht charmant findest, warum arbeitest du dann für ihn?“ Brynn war jetzt auf der richtigen Fährte.

Doch Jodie war entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen. „Weil er den horrenden Preis akzeptiert hat, den ich verlange.“

„Und warum glaubst du, tut er das?“

„Weil er verzweifelt ist?“

„Er könnte seiner Mannschaft von Marines doch Brot und Wasser vorsetzen, und sie würden sich nicht beschweren. Vielleicht ist er ja deinem Charme erlegen?“

„Red keinen Unsinn.“ Jodie griff nach einem Putztuch und polierte die fleckenlose Theke. „Ich hatte mal wieder Zoff mit Brittany“, wechselte sie das Thema.

Brynn stieß einen Seufzer aus. „Worum ging es diesmal?“

„Sie will sich den Nabel piercen lassen.“

„Wäre der beste Platz. Am wenigstens sichtbar, am wenigsten entstellend.“

Jodie schnaubte verächtlich. „Nicht bei ihrer Art, sich zu kleiden. Außerdem geht es ums Prinzip. Erst der Nabel, dann die Augenbraue, dann …“ Sie schauderte. „Bald weiß ich nicht mehr, was ich tun soll, Brynn. Sie entgleitet mir. Und mit ihrer seltsamen Clique ist der Ärger schon vorprogrammiert.“

„Ich habe die Namen überprüft, die du mir gegeben hast. Keiner dieser Jugendlichen war bisher auffällig.“

Jodie schüttelte den Kopf. „Vielleicht wurden sie einfach noch nicht erwischt.“

„Vielleicht solltest du heiraten.“

Jodie verschluckte sich fast an ihrem Kaffee. „Was?“

„Brittany braucht eine Vaterfigur“, antwortete Brynn wie selbstverständlich. „Und du könntest einen Ehemann gebrauchen.“

„Sie hat Vaterfiguren. Ihren Großvater Nathan und Grant.“

„Und du?“

„Ich habe meinen Job. Genau wie du.“

„Eins zu null für dich.“ Brynn trank ihren Kaffee aus. „Ich kann dir am Samstag ein wenig zur Hand gehen, wenn du möchtest.“

„Willst du mit Brittany und mir hinausfahren?“

„Du nimmst Brittany mit?“

„Normalerweise arbeitet sie samstags bei Grant in der Tierklinik. Aber Grant hilft am Samstag auch mit beim Bau.“ Sie seufzte. „Ich kann es nicht riskieren, sie einen ganzen Tag unbeaufsichtigt zu lassen. Wer weiß, was sie dann wieder anstellt.“

„Ich nehme besser meinen eigenen Wagen. Und mein Funkgerät. Falls man mich ruft. Jetzt muss ich aber los. Bis dann.“

Jodie begleitete ihre Freundin zur Tür und schloss hinter ihr ab. Das Gespräch mit Brynn hatte ihr gutgetan. Natürlich war ihre Reaktion auf Jeff Davidson nur ein Ausrutscher gewesen, nichts Ernstes. Am Samstag würde sie ihm vollkommen gelassen gegenübertreten.

Nichts leichter als das.

2. KAPITEL

Kurz vor Morgengrauen am Samstag kroch Jodie widerwillig aus ihrem warmen Bett. Sie hatte bis nach Mitternacht gebraucht, um die Sandwiches und den Kartoffelsalat vorzubereiten, Kuchen zu backen und alles in Kartons zu stapeln. Da der Wetterbericht für Samstag relativ kühles Wetter vorhergesagt hatte, hatte sie auch noch zwei große Töpfe Chili gekocht. Müde lud sie alles in ihren Minivan und weckte ihre Tochter.

Brittany zog sich an, schimpfte auf dem Weg zum Auto ununterbrochen vor sich hin und schlief auf dem Beifahrersitz augenblicklich wieder ein.

Zärtlich betrachtete Jodie ihre schlafende Tochter. Wie schnell doch die Zeit vergangen war, seit Brittany ein kleines Baby gewesen war. Viel zu rasch war aus dem lieben kleinen Mädchen ein aufsässiger Teenager geworden.

Lag es wirklich nur an der Pubertät? Oder hatte sie als Mutter versagt?

Jodie fuhr die vertraute Strecke in angemessenem Tempo. Der Van hielt sich dicht an dem schmalen Highway, der sich am Piedmont River entlangschlängelte. An machen Stellen floss der Fluss breit und ruhig dahin, um dann wieder wie ein Sturzbach über das von Felsgestein übersäte Bett zu springen. Im Licht der Morgensonne glitzerte das Grün von Weiden, Eichen und Ahorn, deren Blätter jetzt, Mitte Mai, kräftig zu sprießen begannen. Beiderseits des Flusses erstreckten sich saftige Weiden mit hohem Gras und frisch gepflügte Felder bis hin zu den nebelverhangenen Bergen, die das Tal einschlossen.

Nach einer lang gezogenen Kurve kam Jodie an der Tierklinik vorbei, in der Grant und sein künftiger Schwiegervater Jim Stratton als Partner arbeiteten. Ihre Trucks standen bereits auf dem Parkplatz, denn der Tag eines Tierarztes begann wie der eines Farmers lange vor Tagesanbruch.

Brittany wurde wach, verschränkte die Arme und setzte die übliche mürrische Miene auf. „Warum muss ich eigentlich mit? Ich wollte mich mit meinen Freunden treffen.“

Genau deshalb, mein liebes Kind. Brittanys derzeitige Clique verursachte Jodie Albträume. „Weil ich dich brauche.“

„Wer ist dieser Jeff Davidson?“

„Ein Freund deines Onkels Grant.“

„Hah!“ Brittany schnaufte verächtlich. „Seit wann gibt er sich mit Asozialen ab?“

Jodie warf ihr einen scharfen Blick zu. „Wer nennt Jeff einen Asozialen?“

„Die ganze Stadt weiß, dass er noch nie was getaugt hat.“

„Er hatte eine harte Jugend.“

„Was du nicht sagst.“

Jodie zählte im Stillen bis zehn. „Jeffs Vater Hiram war tatsächlich asozial. Er flog aus jedem Job und war sein ganzes Leben lang betrunken. Er saß so oft im Knast, dass Chief Sawyer eine Zelle nach ihm benannte.“

Brittany musterte wortlos ihre schwarz lackierten Fingernägel.

War die Gleichgültigkeit ihrer Tochter echt oder nur gespielt? „Jeffs Mutter starb, als er noch ein Baby war.“

„Und wer hat sich um ihn gekümmert?“

„Sein trunksüchtiger Vater“, antwortete Jodie. „Wie durch ein Wunder überlebte Jeff. Als er alt genug war, zwang ihn sein Vater, schwarzgebrannten Whiskey zu verkaufen.“

Brittany rümpfte die Nase.

„Irgendwo in den Bergen betrieb Hiram eine Brennerei.“

„Wird sein Vater heute auch auf der Farm sein?“

„Hiram ist vor einem Jahr gestorben.“

Für einen Augenblick war Brittany still. „Kommt auch jemand in meinem Alter?“

„Heute nicht.“

Wenigstens hoffte Jodie das. Denn sie wollte keinesfalls, dass ihre Tochter mit Jeffs schwieriger Klientel in Berührung kam, nämlich Jugendlichen, die um Haaresbreite im Gefängnis gelandet wären. Schlechter Einfluss war das Letzte, was ihre Tochter brauchte.

Jodie umklammerte das Lenkrad fester, um sich nicht selbst vor die Stirn zu schlagen. Denn was tat sie gerade? Sie spielte dem Feind in die Arme. Was, zum Teufel, hatte sie sich eigentlich dabei gedacht?

Dieser verdammte Jeff Davidson und sein Charme. Er hatte sie völlig überrumpelt.

Doch seine Jugendlichen würden noch nicht da sein, machte sie sich selbst Mut. Ihre Unterkunft war ja noch nicht gebaut. Und zum Glück lag die Farm der Davidsons am anderen Ende der Stadt. Brittany würde schon nicht mit ihnen in Kontakt kommen.

Autor

Charlotte Douglas
Die Autorin Charlotte Douglas wurde in Kings Mountain im Bundesstaat North Carolina geboren. Schon im Alter von drei Jahren konnte Sie lesen und steckte von da an ihre kleine Nase fast nur noch in Bücher – so war es unausweichlich, dass sie eines Tages selbst eins schreiben würde. Als Sie...
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