Denn mein größtes Geschenk bist du!

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Nie hätte Amy geglaubt, dass man am Fest der Liebe so glücklich sein kann. Ihr Nachbar Josh sorgt nicht nur rührend für Findelkind Hope, seine Küsse sind für Amy auch wie ein kostbares Geschenk … aber sie weiß, eine Zukunft mit dem smarten Arzt ist undenkbar …


  • Erscheinungstag 16.12.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783751504928
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Freitag, 24. Dezember

„Hallo? Haaallo?“, rief Amy durch die Sprechanlage, doch es kam keine Antwort. Wahrscheinlich war es einer der Kuriere, die kurz vor Heiligabend noch unzählige Pakete ausliefern mussten und in Eile waren. Er hatte wohl auf irgendeinen Klingelknopf gedrückt in der Hoffnung, dass ihm jemand öffnete und er das Paket einfach schnell im Treppenhaus ablegen konnte.

Amy wollte gerade wieder auflegen, da hörte sie etwas, das wie das Wimmern eines Babys klang. Sie zögerte kurz, dann beschloss sie nachzusehen. Vorsichtig öffnete sie die Wohnungstür und entdeckte ein paar Meter weiter einen Karton. Von dort kam das Wimmern.

Amy stockte fast der Atem, als sie näher trat und sah, was sich in dem Karton befand: Es war tatsächlich ein Baby, eingehüllt in eine Decke – allem Anschein nach ein Neugeborenes. Wer in aller Welt legte hier im Hausflur einfach so sein Baby ab?

Was sollte sie jetzt machen? Amy atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Das Baby sofort in die Klinik bringen oder zuerst die Polizei verständigen? Die Polizei!, beschloss sie, was auch schon die nächste Frage aufwarf: Einerseits wusste Amy, dass man an einem Tatort nichts verändern durfte, um keine Spuren zu vernichten, andererseits konnte sie das Baby keinesfalls im Treppenhaus lassen, dazu war es viel zu kalt.

Gerade wollte sie den Karton aufheben, da ging die Haustür auf, und Josh Farnham kam herein – ihr Nachbar aus der Wohnung nebenan.

Amy kannte ihn nur flüchtig, sie wusste lediglich, dass er vor einem halben Jahr hier eingezogen war. Wenn sie sich im Treppenhaus begegneten, grüßte er sie höflich, aber richtig unterhalten hatten sie sich eigentlich noch nie.

„Alles in Ordnung?“, fragte er jetzt. Dann fiel sein Blick auf den Karton. „Was ist das?“

„Ein Baby“, antwortete Amy aufgeregt.

„Ein Baby?“, wiederholte Josh Farnham verblüfft „Und warum liegt es hier draußen in einem Karton?“

„Kein Ahnung. Jemand hat bei mir geläutet, aber als ich rauskam, war derjenige schon weg, und der Karton hier lag einfach da.“

Josh ging in die Hocke und schaute sich das Baby an. „Das ist ein Neugeborenes, unglaublich. Haben Sie schon die Polizei verständigt?“

„Wollte ich gerade, aber dann dachte ich, dass es vielleicht besser ist, wenn ich das Baby schnell ins Warme bringe, damit es sich nicht unterkühlt. Andererseits frage ich mich, ob man hier überhaupt etwas verändern darf, bevor die Polizei kommt – wegen der Spurensicherung, Sie wissen schon.“

„Das Baby muss auf jeden Fall ins Warme.“ Josh Farnham richtete sich wieder auf. „Wissen Sie was? Ich gehe schnell in meine Wohnung und hole ein paar Sachen, mit denen ich den Bereich hier absperren kann. Dann untersuche ich das Baby, während Sie die Polizei anrufen. Ich bin Arzt und arbeite im Krankenhaus in der Notaufnahme.“

Nun wurde Amy klar, warum sie ihn so selten traf. Als Notarzt arbeitete er sicher auch im Schichtdienst, während sie als Lehrerin der örtlichen Highschool feste Arbeitszeiten hatte. Aber das war jetzt egal, wichtig war nur, dass er ihr mit diesem Baby half und sie nicht ganz allein mit dem Problem dastand. Ehrlich gesagt, hatte sie keine Ahnung, wie man mit einem Neugeborenen umging, während Josh Farnham sicher wusste, was zu tun war.

„Oh, das wäre gut“, sagte sie erleichtert, da begann das Neugeborene zu schreien. „Meinen Sie, ich darf es auf den Arm nehmen?“, fragte sie unsicher. „Ich meine, dass es nicht so schreit.“

„Ja, natürlich, machen Sie das ruhig. Babys brauchen sehr viel Zuwendung und beruhigen sich in der Regel schnell, wenn sie auf den Arm genommen werden. Wer weiß, wie lange dieses Kind schon in dem Karton liegt.“

Gott sei Dank, er kannte sich mit Babys wirklich aus! Amys Erfahrungen beschränkten sich nur auf Kinder im Grundschulalter und Teenager, obwohl sie sich sehr nach einem eigenen Baby sehnte. Aber Michael hatte sie verlassen, weil sie …

Energisch schüttelte sie die schmerzlichen Gedanken ab. Jetzt ging es nicht um sie, sondern um ein Baby, das ihre Hilfe brauchte.

„Und wie soll ich es am besten halten?“

„Einfach so.“ Josh nahm das Neugeborene behutsam aus dem Karton und hielt es so, dass es sicher in seiner Armbeuge lag.

„Okay.“ Vorsichtig nahm Amy ihm das Kleine ab, und als ihre Finger dabei seine streiften, spürte sie plötzlich ein elektrisierendes Prickeln.

Oops, was war denn das? Klar, Josh Farnham sah verdammt gut aus mit dem leicht zerzausten dunklen Haar, das immer so wirkte, als wäre er nur kurz mit den Fingern hindurchgefahren, dem markanten Kinn und den ausdrucksvollen blauen Augen. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass er sich für sie interessierte. Und da sie davon ausging, dass er eine Freundin hatte, war er ohnehin tabu.

Und selbst wenn er keine Freundin hatte, käme er für Amy nicht infrage, denn wenn sie sich mit einem Mann einließe, wäre sie gezwungen, ihr Geheimnis preiszugeben, und dann würde die Beziehung enden so wie ihre letzte. Deshalb zog Amy es vor, allein zu bleiben, um sich weitere Enttäuschungen zu ersparen.

Während Josh in seine Wohnung ging, wiegte Amy das Baby sanft im Arm, und zu ihrer Überraschung hörte es tatsächlich auf zu schreien. Zwei Minuten später kam Josh mit mehreren leeren Flaschen in den Händen wieder. Er stellte sie im Viereck auf, spannte rot-weißes Absperrband darum und umsäumte so den Bereich, in dem der Karton gelegen hatte. Dann befestigte er ein großes Blatt Papier mit der Aufschrift Nicht betreten – Polizei ist unterwegs ans Band.

„So, jetzt können Sie mir das Baby gerne wiedergeben“, sagte er lächelnd.

Da spürte Amy plötzlich Schmetterlinge im Bauch und war nun noch verwirrter. Was war bloß los mit ihr, wieso reagierte sie denn so auf diesen Mann? Und warum gerade jetzt, schließlich sah sie ihn doch heute nicht zum ersten Mal?

Rasch gab sie ihm das Baby, dann hob sie den Karton auf, damit Josh ihr nicht ansah, wie irritiert sie war. „Den nehmen wir auch mit, oder?“

„Ja. Gehen wir in Ihre Wohnung oder in meine?“

Amy überlegte kurz. „In meine.“

In der Wohnung rief sie die Polizei an, während Josh das Baby im Wohnzimmer auf die Couch legte und es untersuchte. Danach wickelte er es wieder behutsam in die Decke ein, da es völlig nackt war.

„Die Polizei kommt so schnell wie möglich“, sagte Amy. „Und das Jugendamt wird auch verständigt. Wie geht’s dem Baby?“

„Gut, zumindest, soweit ich das nach dieser kurzen Untersuchung beurteilen kann. Es ist ein Mädchen und definitiv ein Neugeborenes. Ich schätze allerdings, dass es zwei bis drei Wochen zu früh geboren ist, und mache mir auch Sorgen um die Mutter. Sie hat die Nabelschnur mit einem ganz normalen, haushaltsüblichen Plastikclip abgeklemmt, was darauf schließen lässt, dass sie das Kind nicht im Krankenhaus entbunden hat. Vermutlich ist sie noch sehr jung und hat ihre Schwangerschaft verheimlicht. Wer weiß, wo sie das Kind bekommen hat.“

„Und danach hat sie es einfach in den Karton gelegt und ausgesetzt, nicht mal eine Windel hat es an, das arme Kleine.“ Amy schüttelte den Kopf. „Sie muss wohl sehr verzweifelt gewesen sein, um so etwas zu tun. Gab es in Ihrer Klinik je so einen Fall?“

„Es wurden schon Neugeborene von der Polizei zu uns gebracht, und meistens waren die Mütter dieser Babys ausgesprochen jung, verzweifelt und verängstigt. Aber ein ausgesetztes Baby hatten wir noch nie.“

„Hoffentlich findet man die Mutter bald, und ihr kann geholfen werden.“

„Das hoffe ich auch.“

Amy sah Josh verunsichert an. „Es tut mir leid, dass ich Sie da mit hineingezogen habe, ich habe Sie ja förmlich überrumpelt. Aber bestimmt kommt bald die Polizei und regelt alles, dann sind Sie wieder frei und können Ihrer Wege gehen.“

Josh konnte sich kaum auf ihre Worte konzentrieren, denn ihre schönen brauen Augen faszinierten ihn. Amy Howes war seine Nachbarin, ab und zu waren sie sich im Treppenhaus begegnet, ansonsten kannte er sie kaum. Er hatte keine Ahnung, wie sie war, ob sie einen Freund hatte und was sie beruflich oder in der Freizeit tat.

Aber dass sie immer etwas traurig wirkte, das war ihm schon bei ihrer ersten Begegnung aufgefallen, und er fragte sich, was wohl der Grund dafür sein mochte. Doch das war im Moment egal, denn jetzt ging es um dieses ausgesetzte Baby, um das sie sich kümmern mussten, bis die Polizei eintraf.

Josh hatte eigentlich noch ein paar Sachen im Supermarkt besorgen wollen, bevor seine Schicht anfing, doch der Einkauf konnte warten. Der Laden war rund um die Uhr geöffnet, selbst an Heiligabend, also konnte er auch noch später hingehen, wenn er von der Arbeit kam.

Er blickte sich kurz um. Nach Weihnachten sah es in Amys Wohnung nicht aus. Es gab keinen Christbaum, keinen Weihnachtsschmuck, nicht mal ein paar Kerzen hatte sie aufgestellt. Vielleicht feierte Amy Weihnachten nicht, weil sie dafür gute Gründe hatte, so wie er …

Egal, das alles ging ihn eigentlich nichts an, er war nur mitgekommen, um das Baby kurz zu untersuchen. Und jetzt, wo er damit fertig war, konnte er auch wieder gehen.

„Also ich … ich muss erst um elf Uhr wieder in der Klinik sein, ich könnte also bleiben, bis die Polizei kommt“, hörte er sich plötzlich sagen, obwohl er eigentlich doch gehen wollte.

„Oh, das kann ich nicht erwarten, das wäre …“

„Das ist kein Problem für mich, wirklich nicht“, fuhr Josh fort, als hätte eine fremde Macht Besitz von ihm ergriffen. „Wenn ich nur ein paar Minuten früher nach Hause gekommen wäre, hätte ich das Baby gefunden und nicht Sie. Außerdem muss ich der Polizei doch sagen, dass es der Kleinen gut geht, zumindest auf den ersten Blick.“

„Also dann …“ Amy lächelte erleichtert. „Ich bin wirklich froh, wenn Sie noch ein bisschen bleiben. Ehrlich gesagt, hatte ich schon Angst, mit dem Baby ganz allein zu sein.“

„Warum? Haben Sie keine Erfahrung mit Babys oder kleinen Kindern?“

Schlagartig veränderte sich ihr Gesichtsausdruck, und Josh merkte, dass er wohl einen wunden Punkt getroffen hatte. Was war passiert? Hatte sie vielleicht mal eine Fehlgeburt gehabt? Oder einen Partner, der keine Kinder wollte, und sie deshalb verlassen hatte? Vielleicht erinnerte Weihnachten sie aber auch nur an eine schwere Zeit, wie es bei ihm der Fall war …

Und warum dachte er überhaupt darüber nach? Er kannte Amy Howes kaum und hatte auch nicht vor, sich mit ihr einzulassen, auch wenn er sie ausgesprochen hübsch fand. Und wenn sie tatsächlich einer verlorenen Liebe nachtrauerte, konnte sie auch sicher keinen brauchen, dem es genauso ging wie ihr.

„Nein, mit kleinen Kindern habe ich leider keine Erfahrung, nur mit größeren und Teenagern“, gab sie offen zu. „Ich bin Lehrerin für Mathe und Physik und unterrichte hier an der Highschool.“

„Oh, das überrascht mich“, sagte Josh spontan. „Sie sehen gar nicht aus wie eine Mathelehrerin.“

Da lächelte sie endlich, was sie in seinen Augen noch attraktiver machte. Josh musste auf der Hut sein, denn zu schnell konnte es passieren, dass er sich verliebte, und das wollte er auf keinen Fall. Das Scheitern seiner Ehe hatte er noch nicht verkraftet …

„Wieso, wie sieht eine Mathelehrerin denn für gewöhnlich aus?“, fragte Amy herausfordernd, wobei ihre schönen braunen Augen blitzten, was Joshs Herz schneller schlagen ließ.

„Ich weiß nicht, ich …“ Verdammt, jetzt hatte sie ihn in Verlegenheit gebracht!

„Aber mal Spaß beiseite, ich kenne mich wirklich nicht mit Babys aus, aber eins weiß sogar ich: Dass wir dringend Windeln brauchen und was zum Anziehen für das Kind. Ich kenne allerdings niemanden hier im Haus, der ein Baby hat und uns auf die Schnelle etwas leihen könnte.“

„Ich auch nicht.“

„Bis die Polizei kommt, kann es eine Weile dauern“, überlegte Amy weiter. „Das Baby braucht schnell eine Windel, nicht?“

„Auf jeden Fall, und nicht nur eine. Neugeborene brauchen mindestens zehn Stück am Tag.“

„Hm …“ Amy biss sich auf die Lippe. „Im Supermarkt an der Ecke gibt es Windeln und auch einiges an Babykleidung, das hab ich schon gesehen. Einer von uns beiden könnte schnell hinübergehen und das Nötigste kaufen, was meinen Sie?“

„Gute Idee, ich gehe“, bot Josh bereitwillig an. „Ich wollte sowieso noch Brot und Milch besorgen, dann kann ich die Sachen gleich mitnehmen.“

Dann blickte Amy verunsichert auf das Baby „Aber was ist, wenn es wieder schreit? Was soll ich dann machen?“

„Wiegen Sie es einfach sanft im Arm. Und wenn das nicht hilft, singen Sie ihm etwas vor. Das wirkt bei vielen Babys Wunder.“

Amy zog die Brauen hoch. „Sprechen Sie da aus Erfahrung?“

„Ja. Ich hab zwei Nichten und einen Neffen, da habe ich so einiges mitgekriegt.“

Gewissensbisse überfielen Josh, wie immer, wenn er an die Kinder seines Bruders dachte, die er seit der Scheidung von Kelly kaum gesehen hatte. Seine Familie hatte ihm die Schuld am Scheitern seiner Ehe gegeben, und Josh hatte die ständigen Diskussionen darüber einfach satt gehabt. Er hatte sich immer mehr zurückgezogen und stets den Job vorgeschoben, um bei Familientreffen nicht dabei zu sein. Dass er jetzt an Weihnachten Dienst hatte, kam ihm deshalb gerade recht, denn so konnte er auch diesem Familienfest aus dem Weg gehen.

„Und was soll ich singen?“

Josh zuckte mit den Schultern. „Ach, das spielt keine Rolle, singen Sie einfach, was Ihnen gerade in den Sinn kommt. Einem Baby ist es völlig egal, was und wie ihm vorgesungen wird, Hauptsache, es bekommt genügend Zuwendung.“ Er lächelte. „Aber keine Angst, ich bin höchstens zwanzig Minuten weg, und wenn was ist, rufen Sie mich einfach an.“ Er zog eine Visitenkarte aus der Jackentasche und schrieb eine Nummer auf die Rückseite. „Hier, das ist meine Handynummer.“

Amy nahm die Karte an sich. „Danke. Ich schicke Ihnen gleich eine Nachricht, dann haben Sie meine Nummer auch. Und warten Sie, ich gebe Ihnen Geld für den Einkauf.“

„Lassen Sie nur, das ist nicht nötig. Soll ich Ihnen etwas mitbringen?“

„Nein, danke, ich habe schon gestern eingekauft.“

Josh lächelte erneut. „Also dann … bis gleich.“

Amy betrachtete versonnen das Neugeborene, das vor ihr auf der Couch lag. Noch vor eineinhalb Jahren war ein eigenes Kind ihr sehnlichster Wunsch gewesen, und sie hatte ein ganzes Jahr lang versucht, von ihrem Freund Michael schwanger zu werden, doch es hatte einfach nicht geklappt. Und als sie dann zum Arzt gegangen war und sich hatte untersuchen lassen, hatte sich herausgestellt, dass eine Chlamydieninfektion der Grund für ihre ungewollte Kinderlosigkeit war.

Durch die Infektion waren ihre Eileiter so geschädigt, dass Amy nicht mehr schwanger werden konnte, wovon sie jedoch nichts bemerkt hatte, da die Infektion symptomlos verlaufen war. Trotzdem hatte Michael ihr die Schuld daran gegeben und sie in ihrem Leid auch noch verlassen. Eine Zeit lang hatte Amy noch gehofft, dass er zu ihr zurückkommen würde, wenn er in Ruhe über alles nachgedacht hätte, aber leider war das nicht der Fall gewesen. Sie hatte Michael vorgeschlagen, über eine künstliche Befruchtung nachzudenken oder eine Adoption, aber er hatte beides strikt abgelehnt. Stattdessen hatte er ihr vorgeworfen, total naiv und dumm gewesen zu sein, weil sie sich bei ihrem Ex-Freund Gavin mit dieser Krankheit angesteckt hatte.

Und das tat immer noch sehr weh.

„Das Leben ist nicht fair, nicht wahr?“, sagte Amy zu dem Baby, und prompt fing es wieder an zu wimmern. Sie nahm es auf den Arm und wiegte es behutsam, so wie Josh es vorgeschlagen hatte, doch es nützte nichts, das Wimmern ging in Schreien über.

Was sollte sie jetzt machen? Singen, hatte Josh gesagt, aber was sang man einem Baby vor?

Weihnachtslieder, dachte Amy und begann mit Stille Nacht, dann versuchte sie es mit O Tannenbaum und schließlich mit Leise rieselt der Schnee, aber alles brachte nichts, das Baby schrie sogar noch lauter.

Hoffentlich kam Josh bald wieder! Er kannte sich mit Babys aus und wusste sicher damit umzugehen. Fünf Minuten später klingelte es tatsächlich an die Tür, und er war da.

„Gott sei Dank, da bist du wieder!“, rief Amy erleichtert, wobei sie ihn automatisch duzte.

Er legte die Einkaufstaschen in der Diele ab. „Warum? Gibt’s Probleme?“

„Ja, sie schreit schon beinahe zehn Minuten, und ich kann sie nicht beruhigen. Ich habe ihr sogar was vorgesungen, aber das hat nichts genützt.“

„Okay, lass mich mal versuchen.“ Josh nahm ihr das Baby ab und stimmte sanft ein Weihnachtslied an, und schon Sekunden später stoppte das Geschrei.

Amy schüttelte den Kopf „Jetzt bin ich aber baff! Wie hast du das gemacht? Kannst du zaubern?“

Da lachte Josh. „Nein, ich glaube, das war purer Zufall. Vielleicht mag sie Weihnachtslieder.“

„Damit hab ich’s auch probiert, aber bei mir hat sie überhaupt nicht reagiert.“ Er hat eine tolle Stimme, dachte Amy, und sie hätte ihn gern noch weiter singen hören, behielt es aber für sich. „Hast du im Supermarkt alles bekommen?“

„Ich denke schon. Ich habe Milchpulver, drei Babyfläschchen mit Sauger, eine Packung Windeln, Badeutensilien, drei Strampler und drei Hemdchen, das sollte vorerst reichen. Und dann hab ich auch noch Brot und Milch für mich selber mitgenommen.“

„Du kannst die Milch in meinen Kühlschrank stellen, wenn du magst.“

„Gern.“ Josh legte das Baby auf die Couch, dann trug er die Einkaufstüten in die Küche. „Wir sollten die Kleine auch so schnell wie möglich baden. Sie ist ein bisschen nass und darf sich nicht erkälten.“

„Und was machen wir mit ihrer Decke? Sollen wir die auch waschen?“

„Erst, nachdem die Polizei alles gründlich inspiziert hat. Ist es okay, wenn wir dein Bad benutzen?“

„Natürlich.“

Amy suchte zwei weiche Handtücher heraus und legte eines davon auf die Heizung, um es zu erwärmen, während Josh schon Wasser in die Wanne ließ. Und plötzlich überkam sie ein eigenartiges Gefühl. Genau so hatte sie sich ihr Leben mit Michael immer vorgestellt. Dass sie ein Baby mit ihm haben würde, um das sie sich gemeinsam kümmerten.

Aber das war reine Illusion, denn Amy konnte keine Kinder kriegen, und mit Michael war sie auch nicht mehr zusammen. Er hatte in der Zwischenzeit sogar geheiratet, und Amy hatte erfahren, dass seine Frau ein Kind von ihm erwartete. Also würde sein Traum von einer eigenen Familie wahr werden, weil Amy ihm nicht mehr im Wege stand.

Tränen brannten ihr in den Augen, und sie kämpfte fest dagegen an. Es hatte keinen Sinn, ausgerechnet jetzt in Trübsal zu verfallen, denn dieses Baby brauchte ihre Hilfe, darauf musste sie sich konzentrieren. Bald kam die Polizei und nahm die Sache auf, danach würde das Jugendamt sich um das Baby kümmern und eine geeignete Pflegefamilie suchen.

Und Josh Farnham – tja, den würde Amy dann wohl kaum noch zu Gesicht bekommen. Er hatte ihr schon auf den ersten Blick gefallen, doch sie wusste, dass es keinen Sinn ergab, von einem Mann zu träumen, der unerreichbar für sie war.

„Okay“, sagte Josh, nachdem er die Wassertemperatur mit dem Ellenbogen überprüft hatte. „So, jetzt kommt dein allererstes Bad, mein kleiner Winzling.“

Er hob das Baby vorsichtig ins warme Wasser, woraufhin es sofort aus Leibeskräften zu schreien begann. Das schien selbst Josh zu überraschen, und er beeilte sich mit dem Waschen, damit das Baby schneller aus dem Wasser kam. Erst als Amy es in das vorgewärmte Handtuch wickelte, beruhigte es sich wieder auf und wimmerte nur noch leicht.

„Puh, das hätte ich jetzt nicht erwartet, normalerweise lieben Babys warmes Wasser“, meinte Josh. „Wahrscheinlich hat sie Hunger.“

„Bestimmt. Wer weiß, ob sie überhaupt schon was bekommen hat, das arme Mäuschen.“

Während Josh das kleine Mädchen wickelte und ihm die im Supermarkt gekauften Sachen anzog, ging Amy in die Küche, um die Babynahrung zuzubereiten, was jedoch eine ganze Weile dauerte, da sie erst mal die Gebrauchsanleitung lesen musste. Als das Fläschchen schließlich fertig war, setzte sie sich mit dem Baby auf die Couch und gab ihm zu trinken. Dabei zog es so gierig an der Flasche, dass Amy ganz weh ums Herz wurde. Das Kleine musste wirklich großen Hunger haben.

Für Amy war es völlig ungewohnt und gleichsam faszinierend, ein Neugeborenes im Arm zu halten und zu füttern, sodass sie erneut mit ihrem Schicksal haderte. Wenn sie nicht auf Gavin reingefallen wäre, hätte sie jetzt längst ein eigenes Baby haben können, und Michael wäre auch noch bei ihr. Stattdessen versuchte sie verzweifelt, die Leere in ihrem Leben mit Arbeit zu füllen, doch es fühlte es sich nie wirklich richtig an.

Ihr Blick wanderte zu Josh, der Onkel von drei Kindern war, und sie fragte sich, warum er wohl keine eigene Familie hatte. Vielleicht war er von einer Frau enttäuscht worden, oder er wollte einfach keine Kinder. Aber warum dachte sie, Amy, überhaupt darüber nach? Josh war nur ihr Nachbar, und wenn das mit diesem Baby hier vorüber war, würden sich ihre Wege wieder trennen.

Als das Fläschchen leer war und dem Baby müde die Augen zufielen, legte Amy es vorsichtig auf die Couch und deckte es mit einem weichen Handtuch zu. In dem Moment läutete es an der Tür – es war die Polizei.

Amy drückte auf den Knopf und ließ die zwei Beamten rein. Einer von ihnen hatte einen großen Metallkoffer dabei.

„Ich bin Officer Walters, und das ist mein Kollege Officer Graham“, stellte er sich und seinen Kollegen vor. „Sehr gut, dass Sie den Bereich im Flur gesichert haben“, sagte er dann anerkennend. „Das war sehr vorausschauend von Ihnen und erleichtert uns die Arbeit.“

„Glauben Sie, dass Sie etwas finden, was auf die Mutter des Babys schließen lässt?“, fragte Amy.

„Das hoffen wir. Ich kümmere mich gleich um die Spurensicherung, während mein Kollege Sie befragt und alle wichtigen Informationen aufnimmt.“

„Möchten Sie etwas trinken, vielleicht eine Tasse Tee?“

„Nein danke, ich mache mich lieber gleich an die Arbeit, damit wir keine Zeit verlieren.“

Nachdem der Officer die Wohnung verlassen hatte, wandte sich sein Kollege an Josh und Amy. „Sie sind Mr. und Mrs. Howes, nehme ich an?“

„Miss Howes und Mr. Farnham“, korrigierte Amy. „Wir sind Nachbarn.“

„Verstehe.“ Der Polizeibeamte machte sich eine kurze Notiz. „Nun erzählen Sie mir bitte, was hier vorgefallen ist.“

Josh und Amy schildeten ihm detailliert, wann, wo und wie sie das Baby gefunden und aus welchem Grund sie es mit in Amys Wohnung genommen hatten.

„Ich bin Arzt und habe das Kind schon untersucht“, erklärte Josh. „Es ist ein Mädchen und müsste etwa zwei bis drei Wochen zu früh zur Welt gekommen sein, aber es geht ihm soweit gut. Ich vermute, dass die Mutter noch sehr jung ist und das Baby heimlich und allein entbunden hat. Deshalb ist ungeheuer wichtig, sie sehr bald zu finden, denn es besteht ein hohes Infektionsrisiko, wenn sie nicht schnellstmöglich untersucht und auch behandelt wird.“

„Wir tun, was in unserer Macht steht, aber ob und wann wir sie finden, wissen wir natürlich nicht“, gab Officer Graham zu bedenken.

„Wir haben das Baby inzwischen gebadet, weil es nass war und Wärme brauchte“, sagte Amy. „Es war völlig nackt und nur in eine kleine Decke eingewickelt. Die haben wir aber nicht gewaschen, um keine Spuren zu verwischen. Ich habe sie in eine Plastiktüte gesteckt.“

Officer Graham nickte. „Gut so. Vorhin sagten Sie, jemand hätte bei Ihnen geläutet, bevor Sie das Baby im Treppenhaus gefunden haben. Kannten Sie die Stimme der Person?“

„Nein, es hat sich niemand gemeldet, darum dachte ich, es wäre ein Kurier, der nur ein Päckchen abgeben will und es ziemlich eilig hat. Dann habe ich durch die Gegensprechanlage ein Wimmern gehört und bin hinausgegangen, um zu schauen, was es damit auf sich hat.“

„Haben Sie irgendeinen Verdacht, wer das Baby hier abgelegt haben könnte?“

Amy schüttelte den Kopf. „Leider nicht. Ich kenne momentan keine Frau und auch kein junges Mädchen, das bis vor Kurzem schwanger war.“

Wie hätte sie auch sollen, wo sie schon seit Monaten allen Schwangeren in ihrem Umfeld aus dem Weg ging? Nachdem Amy von ihrer Unfruchtbarkeit erfahren hatte, hatte sie sich von allen Freunden zurückgezogen, die eine Familie planten oder bereits Babys und kleine Kinder hatten. Sie hätte es einfach nicht ertragen, das Familienglück anderer mit anzusehen, während ihr ein eigenes verwehrt blieb.

„Und wie geht’s jetzt weiter?“, erkundigte sich Josh.

„Das Jugendamt ist schon informiert, und Sie bekommen bald Besuch von einer Sozialarbeiterin. Sie wird das Baby zur Untersuchung in die Klinik bringen.“

Autor

Kate Hardy
Kate Hardy wuchs in einem viktorianischen Haus in Norfolk, England, auf und ist bis heute fest davon überzeugt, dass es darin gespukt hat. Vielleicht ist das der Grund, dass sie am liebsten Liebesromane schreibt, in denen es vor Leidenschaft, Dramatik und Gefahr knistert? Bereits vor ihrem ersten Schultag konnte Kate...
Mehr erfahren