Der Club der Milliardäre - Treffen Sie die begehrtesten Junggesellen der Welt …

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WAS EINE NACHT IM CASTELLO VERSPRICHT?
Sie hat den Job! Gemma ist glücklich, dass sie von nun an für die Gäste im eleganten Castello kochen und backen wird! Bis sie sieht: Der Besitzer des Schlosshotels ist Vincenzo Gagliardi, der ihr als Teenager nach einer heißen Nacht das Herz brach - und den sie nie vergessen hat …

HAPPY END AUF KRETA
Ein Luxushotel auf Kreta, zumindest zur Hälfte! Die schöne Lys könnte über ihr Erbe überglücklich sein. Allerdings geht die andere Hälfte an den geheimnisvollen Hotelmagnaten Takis Manolis. Und der ist nicht nur gefährlich sexy, er verlangt auch eine Scheinverlobung von ihr …

DIE PRINZESSIN UND DER MILLIARDÄR
Prinzessin Tuccia? Schockiert erkennt der sizilianische Milliardär Cesare Donati, wer ihm da in die Arme gelaufen ist. Aber so sehr ihre Nähe seine Lust entfacht, Tuccia ist tabu - sie ist einem anderen Mann versprochen! Trotzdem kann er sich ihren Reizen nicht lange entziehen …


  • Erscheinungstag 20.08.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719241
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Rebecca Winters

Der Club der Milliardäre - Treffen Sie die begehrtesten Junggesellen der Welt …

IMPRESSUM

Was eine Nacht im Castello verspricht … erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2017 by Rebecca Winters
Originaltitel: „Return of Her Italian Duke“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd.
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRA
Band 437 - 2017 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Bettina Röhricht

Umschlagsmotive: GettyImages_AS-photo

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733719111

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Castello di Lombardi, zehn Jahre zuvor

Um zwei Uhr morgens schlüpfte Vincenzo Gagliardi, der gerade achtzehn geworden war, eilig in Jeans und einen Pullover, dessen Kapuze er sich über das schwarze Haar zog. Die Striemen auf seinem Rücken und den Rückseiten seiner Beine schmerzten noch immer, als er seinen Rucksack aufsetzte. Ein letztes Mal drehte er sich um und blickte zum Bett.

Immer wieder musste er an Gemma denken, die dort in der Nacht zuvor in seinen Armen geschlafen hatte. Trotz seiner Wunden hatten sie einander liebkost, und er hatte sich ihre gemeinsame Zukunft ausgemalt. Doch nun musste er sie zurücklassen, auch wenn es ihn fast zerriss. Die Schwierigkeiten mit seinem Vater ließen ihm keine Wahl, als zu fliehen. Und schlimmer noch: Er konnte ihr nicht einmal sagen, wohin er ging und warum – zu ihrem eigenen Schutz.

Schon bald würde sein Vater, der amtierende Duca di Lombardi, nach ihm suchen und jeden vernehmen, einschließlich Gemma. Und er würde sofort merken, wenn sie log. Wenn das Mädchen, das er schon seit frühester Kindheit kannte, nichts über sein Verschwinden wusste, würde sein Vater ihr glauben müssen.

Arrivederci, Gemma, seufzte sein Herz. Ti amo.

Vorsichtig schlich er sich durch das castello aus dem vierzehnten Jahrhundert zu Dimis Zimmer im anderen Turm. Sein Cousin hatte die Tür offen gelassen. Die beiden waren einander so nahe wie Brüder und hatten Vincenzos Flucht seit über einem Jahr geplant.

„Du bist spät dran“, sagte Dimi. „Beeil dich jetzt und brich sofort auf! Ich habe von der Brustwehr aus Ausschau gehalten. Der Wachmann mit dem Hund wird erst in frühestens sieben Minuten wieder am Eingang vorbeikommen.“

„Dann ist es jetzt so weit. Du weißt ja: Wenn ich richtig in New York angekommen bin, werde ich mich bei dir melden. Meine Telefonnummer findest du irgendwann kaschiert im Anzeigenteil von Il Giorno, also halte die Augen offen. Und ruf mich auf jeden Fall von einem nicht gemeldeten Handy aus an, das du danach entsorgst.“

Dimi nickte.

„Du bist ja auch bald achtzehn. Dann schicke ich dir Geld, damit du zu mir kommen kannst. Und sobald ich angekommen bin, rufe ich unseren Großvater an, damit er sich keine Sorgen macht.“ Der Großvater der Jungen war der an Krebs erkrankte Herzog Emanuele Gagliardi, der alte Duca di Lombardi, der sein Amt nicht mehr offiziell ausüben konnte und dem Tode nahe war.

Tränen traten seinem Cousin in die Augen. „Che Dio di benedica, Vincenzo.“

Er räusperte sich. „Und möge Gott auch mit dir sein, Dimi. Versprich mir, dass du auf Gemma achten wirst.“

„Natürlich werde ich das.“

Vincenzo fand es unerträglich, dass er sie zurücklassen musste, doch es ging nicht anders. Alles in ihm sträubte sich gegen den Abschied und die grässliche Lage, in der er sich befand. Doch alles andere wäre viel zu gefährlich.

Als sie sich umarmten, konnte Vincenzo durch seine Tränen kaum etwas sehen. Der Schmerz und die Selbstvorwürfe darüber, dass er seine Mutter nicht hatte beschützen können, würden sein Leben lang auf ihm lasten. Gemma war ohne ihn besser dran. Und dank seines loyalen Cousins Dimi würde niemand erfahren, wohin er gegangen war.

Vincenzo musste die Welt verlassen, die er kannte und die ihm vertraut war. Nun würde die Notwendigkeit, Geld zu verdienen, zu seinem Lebensinhalt werden.

Um sechs Uhr morgens lag Gemma im Bett und durchlebte noch einmal die Momente, die sie mit Vincenzo in der vorletzten Nacht genossen hatte. Als sie von den Verletzungen erfahren hatte, die von einem Sturz vom Pferd stammten, hatte sie sich in sein Turmzimmer geschlichen, um nach ihm zu sehen.

Trotz seiner Schmerzen hatten sie einander liebkost und zu lieben versucht, bis er ihr irgendwann gesagt hatte, sie müsse zurück in ihr Zimmer gehen. Gemma wäre am liebsten die ganze Nacht bei Vincenzo geblieben und hatte nicht verstanden, warum er darauf bestanden hatte, dass sie ging. Könnte sie doch nur für immer in seinen Armen liegen!

Sie hatte sich vergewissert, dass kein Wachmann in der Nähe gewesen war. Dann hatte sie sich die gewundene Treppe im hinteren Teil des castello hinuntergeschlichen, zu den Räumen hinter der Küche, in denen ihre Mutter Mirella und sie wohnten.

Gestern nach der Schule hatte sie ihn gar nicht zu Gesicht bekommen, und nun hatte sie Angst, dass es ihm schlechter ging. Sollte er auch heute nicht im hinteren Hof auftauchen, wenn sie wieder zu Hause war, würde sie nach ihm sehen.

Es war schwer zu begreifen, dass ein so erfahrener Reiter wie er sich bei einem Sturz so schwer verletzt hatte …

Während Gemma noch mit ihren sorgenvollen Gedanken beschäftigt war, klopfte jemand an ihre Tür.

„Gemma? Zieh dich schnell an und komm zu mir!“, sagte ihre Mutter aufgeregt.

Normalerweise stand Gemma erst um halb sieben auf, um zur Schule zu gehen. Als sie aus dem kleinen Schlafzimmer trat, erschrak sie. Vincenzos Vater, der amtierende Duca di Lombardi, stand dort, während drei Polizisten ihre Zimmer durchsuchten, die sich an die Küche des castello anschlossen.

Er sah Vincenzo sehr ähnlich, und doch waren die beiden ganz unterschiedlich. Der duca sah sie so drohend an, dass sie schauderte.

Ihre Mutter nahm ihre Hand. „Der duca möchte dir ein paar Fragen stellen, Gemma.“

Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass er mit ihr sprach. „Ja, Eure Hoheit?“

„Wo ist mein Sohn?“

Sie blinzelte verwirrt. „Ich … Ich verstehe nicht …“

„Wenn du irgendetwas weißt, musst du es ihm sagen, Gemma“, sagte ihre Mutter eindringlich.

„Ich weiß aber nichts, Mamma.“

Die Polizeibeamten tauchten wieder auf und schüttelten den Kopf. Drohend kam der duca auf Gemma zu. „Mein Sohn ist aus dem castello verschwunden. Und ich glaube, du weißt, wo er ist.“

Gemma war wie erstarrt. Vincenzo war verschwunden? „Ich schwöre bei der Heiligen Jungfrau Maria, dass ich nicht weiß, wo er ist!“

Das Gesicht des duca lief rot an. Er warf Gemmas Mutter einen so wütenden Blick zu, dass diese sich bekreuzigte. „Sie lügt! Und da Sie ihr offenbar nicht die Wahrheit entlocken können, befehle ich Ihnen, sofort das Anwesen zu verlassen. Ich werde dafür sorgen, dass Sie nie wieder eine Stelle bekommen.“

Aufgebracht rauschte er hinaus. Die Polizisten folgten ihm und schlossen die Tür hinter sich.

Als Gemma ihre Mutter umarmte, spürte sie, dass diese genauso zitterte wie sie selbst. „Ich weiß wirklich nichts über Vincenzo, Mamma!“

„Das glaube ich dir. Aber jetzt müssen wir packen und so bald wie möglich gehen, falls der duca zurückkommt. Ich rufe uns aus der Küche ein Taxi, mit dem wir zum Bahnhof fahren werden – und dann zurück nach Florenz.“

Eine Viertelstunde später trafen sie sich in der Küche. Auch die andere Köchin und ihre Tochter Bianca, Gemmas beste Freundin, standen mit gepackten Koffern dort. Der Zorn des duca kannte keine Grenzen – er hatte sie ebenfalls fristlos entlassen. Als sie das castello durch den Dienstboteneingang verließen, gingen Gemma immer wieder seine Worte durch den Kopf.

Sie lügt! Und da Sie ihr offenbar nicht die Wahrheit entlocken können, befehle ich Ihnen, sofort das Anwesen zu verlassen. Ich werde dafür sorgen, dass Sie nie wieder eine Stelle bekommen.

Als sie mit den anderen ins Taxi stieg, fühlte sie sich innerlich kalt und taub.

New York, ein halbes Jahr zuvor

Am Vorabend hatte Dimi Vincenzo per Telefon Neuigkeiten überbracht, die ihn sehr aufgewühlt hatten. Nun rief Vincenzo seine beiden besten Freunde an und bat sie, so schnell wie möglich in sein Penthouse zu kommen, das über seinem Büro lag.

Dann teilte er seiner Assistentin mit, dass er an diesem Tag nicht ins Büro kommen würde und unter keinen Umständen gestört werden wolle. Zwei Stunden später waren seine beiden Freunde mit dem Privatlift zu ihm gekommen.

Das ultramoderne Apartment passte perfekt zu Vincenzo. Ihm gefielen die zeitgenössischen Werke an den weißen Wänden und die raumhohen Fenster, durch die so viel Licht hereinkam. Hier oben erinnerte ihn nichts an seine Vergangenheit, hier konnte er frei durchatmen. Zumindest hatte er das bis zu Dimis Anruf gekonnt.

„Danke, dass ihr so schnell gekommen seid“, sagte er auf Italienisch.

„Es klang, als ginge es um Leben und Tod“, erwiderte Cesare.

„Für mich tut es das auch.“

Sein Freund Takis sah ihn fragend an. „Was ist denn los, Vincenzo?“

„Etwas, das euch überraschen wird. Kommt mit ins Speisezimmer, ich werde es euch beim Frühstück erzählen.“

Als sie sich gesetzt hatten und zu essen begannen, reichte Vincenzo den beiden ein Foto des wuchtigen Castello di Lombardi. „Das hier ist der ehemalige Wohnsitz der Familie Gagliardi. Aus ihr stammt der vor zweihundert Jahren geborene berühmte erste Duca di Lombardi, der in jenem Teil Italiens eine wichtige politische Figur war.“

Die zwei Männer sahen erst das Foto an, dann blickten sie ihn verwirrt an.

„Ich erzähle euch das, weil es vieles gibt, das ihr nicht über mich wisst. Und vielleicht werdet ihr mir misstrauen, wenn ich euch jetzt gleich etwas anvertraue. Ich könnte es gut verstehen, wenn ihr dann geht und nie wieder etwas mit mir zu tun haben wollt.“

„Was willst du uns erzählen?“, fragte Cesare.

„Dass ich euch gegenüber nicht ganz ehrlich war. Ihr kennt mich als Vincenzo Nistri, aber mein vollständiger Name lautet Vincenzo Nistri Gagliardi. Nistri ist der Mädchenname meiner Mutter.“

„Dann bist du also hundertprozentiger Italiener.“ Taki blinzelte verwundert. „Dabei hast du mich immer an einen meiner Freunde aus Mazedonien erinnert.“

„Für mich hattest du auch immer etwas Osteuropäisches“, stimmte Cesare ihm zu.

„Ach ja?“ Vincenzo lächelte, denn ihre Offenheit gefiel ihm. „Nein, soweit ich weiß, gibt es keine osteuropäischen Einflüsse in meiner Familie. In dem castello habe ich meine ersten achtzehn Lebensjahre verbracht.“ Und die Frau, die ich dort zurückgelassen habe, ist noch immer die einzige, die ich je geliebt habe – auch wenn es andere in meinem Leben gegeben hat. „Wäre es in meiner Familie nicht zu einer großen Katastrophe gekommen, wäre ich nach dem Tod meines Vaters der nächste Duca di Lombardi geworden. Aber ich bin geflohen.“

Als seine Freunde ihn nur sprachlos ansahen, fuhr er fort: „Ihr werdet das alles verstehen, wenn ich euch die ganze Geschichte erzählt habe. Mein Vater und mein Onkel waren beide sehr bösartig, sie haben Schlimmes angerichtet. Irgendwann wurde mir klar, dass ich in Lebensgefahr schwebte.“

Vincenzo erzählte ihnen die Einzelheiten und fügte hinzu: „Der alte duca, mein Großvater, ist vor neun Jahren gestorben, und mein Vater und mein Onkel brachten das Haus Gagliardi zu Fall. Um ihre Schulden zu begleichen, fingen sie an, alte Familienschätze zu verkaufen – auch Dinge, die sich seit Jahrhunderten im Besitz der Familie befanden. Natürlich entließen sie auch das Personal, das unserer Familie treu gedient hatte. Dann ist mein Vater vor einem Monat, als er im Vollrausch durch den Wald hinter dem castello ritt, vom Pferd gefallen und hat sich das Genick gebrochen. Seitdem hatte mein Onkel Alonzo das Sagen.“

Er atmete durch und fuhr fort: „Aber nun ist er wegen Totschlags, Veruntreuung, Trunkenheit und Schulden in Millionenhöhe zu dreißig Jahren Gefängnis verurteilt worden. Und die staatlichen Behörden haben das castello verschlossen.“

Seine Freunde schüttelten den Kopf. „Wie konnte so etwas einer so mächtigen Familie passieren?“, fragte Takis.

„Die Antwort lautet: Korruption. Die Familienschätze wurden über so lange Zeit geplündert, dass nur noch Schulden übrig waren. Meine Großeltern mütterlicherseits sind vor zwei Jahren gestorben, und auf der Seite meines Vaters gibt es außer meinem inhaftierten Onkel nur noch meinen Cousin Dimi, der für mich wie ein Bruder ist, und seine Mutter Consolata. Die beiden leben in einem kleinen Palazzo in Mailand, den meine Tante vor ihrer Hochzeit mit meinem Onkel geerbt hat.“

Es war die einzige Immobilie, die weder Alonzo noch Vincenzos Vater in die Finger hatten kriegen können.

„Dimi kümmert sich um seine Mutter, sie ist dement und sitzt im Rollstuhl.“ Er sah seine Freunde direkt an. „Könnt ihr mir verzeihen, dass ich euch das alles bisher verschwiegen habe?“

„Si“, sagten beide sofort. „Du warst schließlich in Lebensgefahr“, fügte Takis hinzu.

„Das ist jetzt zum Glück Vergangenheit. Nun hat sich etwas ergeben, das ich mir nie erträumt hätte. Und darüber möchte ich mit euch sprechen“, erklärte Vincenzo. „Das castello befindet sich in Zwangsverwaltung. Ich habe mir eigentlich geschworen, nie mehr nach Italien zurückzukehren, aber ich finde die Vorstellung unerträglich, dass mein Erbe zum Wohle der schwächelnden italienischen Wirtschaft an irgendeinen ausländischen Machthaber verkauft wird.“ Er fuhr fort: „Auch mein Cousin Dimi macht sich große Sorgen. Er hat ein Auge auf das, was dort vor sich geht. Sowohl das Museum Villa Giulia in Rom, erbaut von Papst Julius III, und der neunhundert Jahre alte Normannenpalast in Palermo, ein früherer Königssitz, sollen von der Regierung verkauft werden. Angesichts dieser unschönen Aussichten wollte ich euch fragen, ob ihr mit mir ein gemeinsames geschäftliches Projekt starten möchtet. Dimi würde uns dabei hinter den Kulissen unterstützen. So könnten wir nicht nur das Familienerbe bewahren, sondern auch aus dem castello ein erstklassiges Hotel machen – mit einem Restaurant, das in Europa seinesgleichen suchen wird. Das würde bedeuten, dass wir drei unseren Stellvertretern und Assistentinnen die Verantwortung für unsere Unternehmen übergeben, wenn wir nicht im Land sind.“

Eine Weile herrschte Schweigen, dann stießen beide Männer einen Begeisterungsschrei aus. Den Rest des Tages verbrachten sie mit Brainstorming.

Schließlich sagte Vincenzo: „Um einen Gefallen muss ich euch noch bitten: Falls wir dieses Projekt gemeinsam angehen, möchte ich aufgrund des Skandals in meiner Familie nicht offiziell auftreten, sondern anonym bleiben.“

Beide Freunde waren sofort einverstanden, und ihm wurde warm ums Herz.

„Wenn bekannt wird, dass zwei Geschäftsmänner aus den USA das castello gekauft und zu einem Hotel umgebaut haben, wird die Presse sich nur so darauf stürzen. Dimi wird mir alle nötigen Informationen schicken und den Kontakt zu den entsprechenden Stellen herstellen, damit die Sache ins Rollen kommt. Und ihr beide werdet sämtliche Verhandlungen übernehmen“, fuhr er fort. „Natürlich werde ich die benötigten Geldmittel bereitstellen, damit wir sofort mit den Renovierungsarbeiten anfangen können.“

Cesare lächelte. „Die Rückkehr des duca.“

„Nein“, wehrte Vincenzo ab. „Ich möchte nicht, dass mein Titel erwähnt wird.“ Er hatte den Titel zwar von seinem Vater geerbt, wollte ihn aber ablegen. Und ich werde Gemma finden, koste es, was es wolle. Seit zehn Jahren gab es nicht die geringste Spur von ihr.

„Alles klar.“ Cesare sah ihn ernst an. „Als wir uns im Studium kennengelernt haben, war mir sofort klar, dass es vieles gibt, das du nicht preisgibst. Aber ich wollte dich nicht mit Fragen bedrängen.“

„Mir wird nun auch einiges klar“, gab Takis zu. „Warum dein Englisch so perfekt ist und warum du so viel gebildeter und vornehmer bist als alle Menschen, die ich kenne.“

„Eure Freundschaft bedeutet mir unendlich viel. Hoffen wir, dass unser neues gemeinsames Projekt ein Erfolg wird.“

Takis lehnte sich zurück. „Gegen dich ist Edmond Dantès nichts, Vincenzo Gagliardi.“

Florenz, Gegenwart

An der Anschlagtafel der Florentiner Gourmetschule für Gastronomie, Koch- und Konditorkunst hingen Stellenanzeigen aus vier Kontinenten, die die Absolventen sich ansehen konnten.

Mit siebenundzwanzig hatte Gemma endlich nicht nur den heiß ersehnten Abschluss, sondern auch die begehrte Auszeichnung für den ersten Platz als beste Absolventin in der Tasche. Sie eilte durch den Flur zum Büro, denn natürlich wollten sich alle auf die prestigeträchtigste der Stellen bewerben. Gemma wusste nicht, wie ihre Chancen standen, doch es war ohnehin egal. Die unglaublich strapaziösen Jahre der Ausbildung waren vorbei, und sie würde eine Stelle finden, die ihr ein neues Leben ermöglichte, sodass sie sich beweisen konnte.

Sie wollte sich bei der Familie ihrer Mutter revanchieren, die Mirella und sie nach dem Hinauswurf aus dem Castello di Lombardi bei sich aufgenommen hatte. Wegen Gemmas Beziehung zu Vincenzo vor all den Jahren war ihre Familie in große Bedrängnis geraten – und ihre Mutter hatte es die berufliche Laufbahn gekostet. Dafür fühlte Gemma sich verantwortlich, denn sie hatte die Warnungen ihrer Mutter in den Wind geschlagen, dass Bürgerliche sich von Adligen fernhalten sollten. Aber das alles war nun lange her.

Vor der Anschlagtafel herrschte großes Gedränge, deshalb fotografierte Gemma die Anzeigen mit dem Handy, um sie sich später in Ruhe ansehen zu können.

Ihre beste Freundin, Filippa Gatti, hatte mit ihr zusammen die Konditorausbildung und den Abschluss gemacht. Sie verabredeten sich für später, dann eilte Filippa davon. Gemma ging hinaus, stieg in ihr altes blaues Auto und fuhr zur Wohnung ihrer Tante, die drei Kilometer entfernt lag. Die Schwester von Gemmas Mutter war die Besitzerin der hundert Jahre alten Bäckerei der Familien Bonucci und betrieb diese gemeinsam mit ihrer verheirateten Tochter. Als Gemma und ihre Mutter nach Florenz geflüchtet waren, hatte ihre Tante sie in der Wohnung über der Bäckerei wohnen lassen.

Ihre gutherzige Tante hatte Gemmas Mutter Arbeit gegeben und Gemma geholfen, ein Stipendium für die Koch- und Konditorschule zu bekommen. Auch die Cousine war ein toller Mensch. Sie verstanden sich alle sehr gut.

Gleich nach dem Beginn ihrer Ausbildung hatte Gemma täglich nach dem Unterricht in der Bäckerei ausgeholfen. Die Ausbildung an der Kochschule dauerte zehn Jahre. Und nun, nachdem sie ihren Abschluss in der Tasche hatte, wollte sie sich bei ihrer Tante dafür revanchieren, dass diese sie und ihre Mutter so großzügig bei sich hatte wohnen lassen und ihnen wieder auf die Beine geholfen hatte. Sie wollte ihr etwas zurückzahlen.

Heute rannte Gemma geradezu die Stufen zur Eingangstür hinauf. Sie brannte darauf, ihrer Mutter und ihrer Tante zu erzählen, dass sie zur besten Absolventin ihres Abschlussjahrgangs gekürt worden war. Nachdem die beiden so viel Vertrauen in sie gesetzt hatten, war Gemma umso erfreuter, dass sich all die harte Arbeit ausgezahlt hatte.

Doch ausgerechnet jetzt waren ihre Mutter und ihre Tante im wohlverdienten Urlaub, zum ersten Mal seit Jahren. Sie reisten durch England, Schottland, Wales und Irland und würden erst in drei Wochen zurückkommen.

Jetzt, da Gemma ihren Abschluss hatte, wollte sie sich eine super Stelle suchen, ausziehen und ihre mamma Mirella mitnehmen. Sie würden in eine kleine, günstige Wohnung ziehen, ihre Mutter bräuchte nicht mehr zu arbeiten und könnte einfach das Leben genießen, während ihre Tochter den Lebensunterhalt für sie beide verdiente.

Gemma nahm sich ihre Lieblings-Fruchtlimo aus dem Kühlschrank und setzte sich an den kleinen Küchentisch, um ihre Mutter anzurufen. Doch leider erreichte sie nur die Mailbox. Sie hinterließ eine Nachricht und bat um schnellstmöglichen Rückruf.

Dann sah sie sich die Fotos von den Stellenanzeigen für Konditoren an. Zu ihrer großen Enttäuschung war keine einzige aus Frankreich dabei, wo sie am liebsten arbeiten wollte.

Die Franzosen waren ebenso wie die Italiener überzeugt, die besten Köche und Konditore hervorzubringen. Wie Gemma von ihrer Mutter und ihrer Tante wusste, würde es schwer sein, es in einem der beiden Länder in ein führendes Fünf-Sterne-Restaurant zu schaffen. Noch immer waren Frauen in dieser Branche benachteiligt. Irgendwann werde ich an der Côte d’Azur arbeiten, dachte Gemma entschlossen. Aber jetzt brauchte sie erst einmal einfach Arbeit.

Sie verdrängte ihre Enttäuschung und sah sich die Stellen an: fünf in Spanien, drei in England, eine in Liechtenstein, zwei in Australien, drei in Japan, drei in Kanada und eine in Italien. Keins der Länder begeisterte sie, trotzdem las sie sich alle Anzeigen aufmerksam durch. Als sie zur letzten gelangte, der aus Italien, erstarrte sie. Ihr Herz schlug wie verrückt, während sie immer wieder den kurzen Text las.

Einsatzort: Umland von Mailand. Castello aus dem vierzehnten Jahrhundert, ehemaliges Anwesen des verstorbenen Duca di Lombardi, Salvatore Gagliardi. Feierliche Eröffnung des Fünf-Sterne-Hotelrestaurants Castello di Lombardi, 6. Juli.

Der 6. Juli war schon in vier Wochen! Gemma las weiter.

Wir nehmen Bewerbungen für die Position des Chefkochs und des Chefkonditors entgegen. Anforderungen: siehe Liste. Es werden nur Kandidaten berücksichtigt, die die Voraussetzungen erfüllen.

Gemma musste sofort an Vincenzo denken und wäre fast in Ohnmacht gefallen. Dass er damals einfach verschwunden war, ohne sich von ihr zu verabschieden, machte sie noch immer wütend. Er hatte ihr doch gesagt, er würde sie lieben und eines Tages würden sie heiraten.

Aber dann war er spurlos verschwunden, und sie hatte sich so ausgenutzt gefühlt. Wie hatte sie nur so dumm sein können! Als würde der künftige duca sich allen Ernstes mit der Tochter einer Köchin abgeben … Als Vincenzos Vater sie und ihre Mutter hinausgeworfen hatte wie Müll, war Gemma unsanft in die harte Realität zurückgekehrt. Dieses schmerzliche Erlebnis hatte ihre ganze Welt zutiefst erschüttert.

Sie spürte, wie sich in ihrem Innern etwas zusammenzog. Das castello, ein historisches Wahrzeichen, war zu einem Hotel mit Restaurant umgebaut worden. Wie konnte so etwas einer so alten, angesehenen Familie passieren?

Letztes Jahr hatte Gemma erfahren, dass Vincenzos Vater gestorben war und Dimis Vater wegen Betrugs eine Gefängnisstrafe absaß. Dass nun das castello verkauft worden war, kam ihr fast wie ein Sakrileg vor.

Sicher würden sich sämtliche Absolventen zuerst dort bewerben, doch nur die namhaftesten Köche und Konditoren Europas und der Welt würden zum Bewerbungsgespräch auf das prachtvolle Anwesen eingeladen werden. Weil Italien vielen als Mekka für Feinschmecker galt, würde der Kampf um diese Stellen erbittert sein.

Aber Gemma würde sich trotzdem bewerben.

Nach der gescheiterten Beziehung zu Paolo musste sie nun einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen. Und das würde sie erst können, wenn sie endlich wusste, was damals mit Vincenzo passiert war.

Sollte sie wundersamerweise doch zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden, könnte sie vielleicht herausfinden, wohin er damals verschwunden war – und was hinter dem Niedergang der Familie Gagliardi steckte. Die Presse vertuschte so vieles.

Gemma verdrängte diese Gedanken und verbrachte den Rest des Tages damit, ihren Lebenslauf nach Mailand, Valencia, Barcelona, London und Vaduz in Liechtenstein zu schicken. Es gelang ihr nicht, ein Foto anzuhängen, aber es war zu spät, um das zu beheben.

Filippa rief an. Sie hatte sich auf die drei Stellen in Kanada beworben. Gemma wünschte ihr Glück und erzählte, bei welchen Stellen sie es versuchte.

Am nächsten Tag erfuhr sie, dass die Stellen in Vaduz und Valencia bereits vergeben waren. Aus Barcelona und London bekam sie eine Einladung zum Bewerbungsgespräch. Nach dem Mittagessen erhielt Gemma dann eine Nachricht vom castello, bei der ihr fast das Herz stehen blieb: Sie sollte sich schon am nächsten Tag mittags dort vorstellen!

Gemma war davon ausgegangen, dass sie als Berufsanfängerin keine Chance hätte. Doch irgendetwas in ihrem Lebenslauf musste den Personalchef überzeugt haben. Zum Glück war ihre Mutter verreist! Gemma wollte das Gespräch hinter sich bringen, bevor sie ihr irgendetwas erzählte. Auf keinen Fall wollte sie ihrer mamma wehtun. Doch für Gemmas Seelenfrieden und ihr Vorankommen war es unerlässlich, dass sie hinfuhr. Vielleicht war das ihre einzige Chance, die Wahrheit über Vincenzo zu erfahren.

Mit zitternden Händen schrieb sie zurück, um den Termin zu bestätigen. Wenn sie in der nächsten Stunde Florenz verließ, konnte sie zu dem Dorf am Fuße des castello fahren und sich dort ein Zimmer nehmen. So könnte sie sich am nächsten Morgen auf das Vorstellungsgespräch vorbereiten.

Als Nächstes sagte sie ihrer Cousine Bescheid, dass sie für ein paar Tage wegfahren würde, ohne jedoch das castello zu erwähnen. Denn ihre Cousine, die damals alles miterlebt hatte, würde sicher versuchen, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Doch Gemma musste einfach hinfahren.

Eilig duschte sie, zog Jeans und eine Bluse an und packte ihren Koffer. Während der dreistündigen Fahrt nach Mailand gingen ihr unzählige Fragen durch den Kopf, auf die sie vielleicht nun endlich Antworten bekommen würde. Vorfreude und Schmerz erfüllten Gemma, denn sie kehrte nun zum ersten Mal zum castello zurück.

Gegen sieben Uhr abends erreichte sie Florenz und fuhr weiter in Richtung des Dorfes Sopri, wo sie mit anderen Kindern des Personals zur Schule gegangen war. Auch nach all der Zeit fand Gemma schnell eine günstige pensione.

Nachts warf sie sich unruhig im Bett hin und her, als immer wieder die Erinnerung an jene Nacht mit Vincenzo in ihr wach wurde. In seinen Armen hatte sie sich geborgen und unsterblich gefühlt. Warum sie nicht die ganze Nacht bei ihm hatte bleiben dürfen, hatte sie nie verstanden.

Gemma hatte ihr Leben mit ihm im castello so geliebt. Noch Jahre nach seinem Verschwinden hatte sie ihn gesucht – vergeblich. Irgendwann war ihr klar geworden, dass sie nicht gut genug für ihn gewesen war, wie ihre Mutter ihr schon lange schonend beizubringen versucht hatte.

Manchmal hatte sie Vincenzo dafür gehasst, manchmal fürchtete sie, dass er tot war. Dieser Gedanke war kaum zu ertragen. Und noch immer quälte sie die Erinnerung an jenen Morgen, als sein Vater sie und ihre arme Mutter so kaltherzig hinausgeworfen hatte.

Gemma hatte gehofft, vielleicht von Dimi etwas in Erfahrung zu bringen. Doch auch er schien wie vom Erdboden verschwunden zu sein. Er fehlte ihr, denn er war damals ein guter Freund gewesen.

Und nun kehrte sie an den Ort zurück, mit dem sie so viel Freude verband – und so viel Schmerz. Was wäre, wenn sie wider alle Erwartungen die Stelle bekäme? Wie wäre es für ihre Mutter, wenn ihre Tochter die renommierteste Kochschule Italiens mit Auszeichnung abschloss und im castello Karriere machte – trotz allem, was der duca ihnen angetan hatte? Ausgerechnet hier angestellt zu werden, das wäre auch eine große Genugtuung, nachdem man sie beide so in den Dreck gestoßen hatte.

Als der Morgen anbrach, duschte Gemma, wusch sich das Haar und zog sich ein zweiteiliges, pfirsichfarbenes Kostüm an, denn sie wollte sich von ihrer besten Seite zeigen. Um zehn frühstückte sie in einer trattoria und machte sich dann auf den Weg zum nur zehn Minuten entfernt liegenden castello. So würde sie Zeit haben, sich umzusehen und Fragen zu stellen. Irgendjemand musste ihr doch etwas über Vincenzo sagen können!

Dass er sie einfach so verlassen hatte, war so ein furchtbarer Betrug, dass Gemma jahrelang keinem Mann hatte trauen können. Und auch als sie sich wieder mit einem Mann eingelassen hatte, war die Erinnerung an jene schmerzliche Zeit geblieben.

Erst vor einem Jahr war sie das erste Mal eine ernsthafte Beziehung eingegangen. Nach einem Monat hatte Paolo mit ihr schlafen wollen, doch Gemma hatte gemerkt, dass sie dazu nicht bereit war. Sie hatte ihm erklärt, dass sie acht Monate später ihren Abschluss machen würde und sich in Frankreich eine Stelle suchen wollte. Es gab keine Zukunft für sie beide.

Gemma öffnete das Autofenster und atmete die Luft des warmen Junitags ein, während sie an den vertrauten Schildern, Bauernhöfen und Villen vorbei zum wuchtigen castello fuhr. Das uralte ockerfarbene Gemäuer mit seinen Türmen und Zinnen lag auf einer Erhebung. So oft waren Vincenzo und sie Arm in Arm nachts an seinen Mauern entlanggeschlendert und hatten sich ganz leise unterhalten, damit weder Angehörige noch Wachleute sie hörten.

Als Gemma die von Zypressen gesäumte Straße entlangfuhr, brachen die Erinnerungen über sie herein. Dank Vincenzo kannte sie die Geschichte des castello: Die Überreste einer romanischen Kirche im Innenhof stammten aus dem Jahr 875, das castello selbst war im vierzehnten Jahrhundert erbaut wurden, zum Schutz des Anwesens vor Überfällen.

Es hatte zahlreiche Besitzer gehabt, unter anderem das Haus Savoyen. Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurde es Sitz der Familie Gagliardi.

Gemma hielt auf dem Besucherparkplatz am Fuße der Treppe an der Vorderseite des Gebäudes. Beim Anblick der wunderschönen Gartenanlage voller Blumen stockte ihr der Atem. Es gab auch ein neues Beleuchtungssystem, das nachts sicher für einen spektakulären Anblick sorgte.

Sie fuhr auf einem Privatweg zum Hintereingang, den früher die Dienstboten genutzt hatten. Dort befand sich ein großer Parkplatz, auf dem Dutzende Lieferwagen und LKW sowie einige elegante Wagen standen.

Als Gemma ausstieg, kam ein Gärtner auf sie zu. „Haben Sie sich verirrt?“

Sie schüttelte den Kopf. Nein, im Gegenteil. „Ich habe hier ein Vorstellungsgespräch.“

„Ah. Dann müssen Sie zum Vordereingang gehen. Das Büro ist rechts der Eingangshalle.“

„Danke. Wissen Sie vielleicht, warum das castello verkauft wurde?“

„Nein, tut mir leid.“

Als Gemma wieder in ihren Wagen stieg, war es Viertel vor zwölf. Sie beschloss, ein paar Minuten zu früh zu kommen, um ihre Pünktlichkeit unter Beweis zu stellen. Also fuhr sie zum Vordereingang und parkte dort.

Wie viele hundert Male waren sie und ihre Jugendfreundin Bianca – die damals für Dimi geschwärmt hatte – nach der Schule diese Stufen hinaufgesprungen und hatten Vincenzo und seinen Cousin gesucht?

Sie hatten das castello durch einen Privateingang westlich des Haupteingangs betreten und waren in die Küche geeilt, um ihre Mütter zu begrüßen. Dann waren sie in ihr Versteck im hinteren Hof gerannt, wo die beiden jungen Gagliardis hoffentlich schon warteten.

Zu Gemmas Überraschung gab es den Privateingang nicht mehr: Er war zugemauert worden. Fast war es, als hätte sie das alles nur geträumt, und sie fühlte sich ein wenig ausgeschlossen.

Aber als sie durch den Haupteingang ging, musste sie zugeben: Wer auch immer für den Umbau zu einem Hotel von Weltrang verantwortlich war, hatte die frühere Schönheit des castello perfekt erhalten. Viele der Gemälde und Wandteppiche, an die Gemma sich erinnerte, schmückten noch die Wände und gewölbten Decken rechts der Eingangshalle.

Die größte Veränderung waren die vielen raumhohen Glastüren. Sie zogen sich links den gesamten Gang entlang, durch den Gemma immer in die Küche gerannt war. Durch die senkrecht unterteilten gläsernen Quadrate sah sie ein wunderschönes Speisezimmer mit riesigen Kronleuchtern. Fast verschlug es ihr den Atem.

Am hinteren Ende des Speisezimmers befanden sich weitere Glastüren, die sicher zu einem Essbereich im Freien führten. Gemma wusste, dass dort der Rosengarten war – und nach Süden hin ein prachtvoller Ballsaal. Die Umbauten waren wunderschön, einfach perfekt. Wer auch immer dahintersteckte, hatte wirklich einen erlesenen Geschmack und ein gutes Gespür für den Charakter des Anwesens.

Plötzlich merkte Gemma, dass es bereits zwölf Uhr war. Eilig ging sie im neuen Foyer zur Rezeption, einem langen Tresen mit mehreren Computern und allem, was sonst noch dazugehörte. Sie nahm auf einem der Damast-Sessel aus dem achtzehnten Jahrhundert mit dem Wappen des Duca di Lombardi Platz und wartete.

Nach einer Weile näherte sich ein attraktiver Mann Ende zwanzig. Er war über einen Meter achtzig groß, schlank und muskulös und hatte braunes Haar. Die Ärmel seines Hemds hatte er sich hochgekrempelt. Der Mann betrachtete Gemma aufmerksam mit seinen kobaltblauen Augen, und ihr war klar, dass ihm nichts entging.

„Sie sind bestimmt Signora Bonucci.“

2. KAPITEL

Signorina Bonucci“, korrigierte Gemma ihn.

„Verstehe. Ich dachte, wegen Ihres Rings …“

„Der hat meiner Großmutter gehört.“ Diese hatte ihn Gemma zum einundzwanzigsten Geburtstag geschenkt. Sie war ebenfalls eine tolle Köchin gewesen und hatte gehofft, dass der Ring ihrer Enkelin Glück bringen würde. Gemma trug ihn ständig, zur Erinnerung an ihre geliebte nonna.

Nach dem Hinauswurf aus dem castello hatte Mirella darauf bestanden, dass Gemma ebenfalls ihren Mädchennamen Bonucci annahm. Sie hoffte, so könnte der duca sie nicht aufspüren und sie würde leichter Arbeit finden als mit ihrem Ehenamen Rizzo.

Der Mann lächelte leicht. „Und ich bin Signor Donati – derjenige, der zu spät zu diesem Termin gekommen ist. Bitte nennen Sie mich Cesare.“ Er sprach mit unverkennbarem sizilianischem Akzent. „Vielen Dank für Ihre Bewerbung. Bitte kommen Sie mit in mein Büro.“

Gemma folgte ihm den Flur entlang in sein Reich, das modern und ein wenig chaotisch war. Sie war überrascht, wie informell Cesare sich verhielt.

„Bitte nehmen Sie Platz.“

Sie setzte sich auf einen der Ledersessel. „Ehrlich gesagt, hatte ich nicht damit gerechnet, dass Sie mich als frische Absolventin überhaupt zum Vorstellungsgespräch einladen“, gestand sie.

Cesare ließ sich auf der Kante seines Schreibtischs nieder. „Ich versuche immer, aufgeschlossen und unvoreingenommen zu sein. Eigentlich hatte ich schon die infrage kommenden Bewerber ausgewählt, aber als dann Ihre Bewerbung gestern eintraf, ist mir daran etwas ins Auge gefallen. Im Gegensatz zu allen anderen schrieben Sie, Sie hätten die Konditorkunst von Ihrer Mutter gelernt. Dieses riskante Eingeständnis hat mich neugierig auf Ihre Gründe gemacht.“

„Ja, es war riskant“, stimmte Gemma zu. „Aber es wäre mir undankbar erschienen, meine Mutter nicht zu erwähnen.“

Sie spürte seinen prüfenden Blick. „Dann ist sie Ihrer Ansicht nach also keine gewöhnliche Konditorin?“

„Nein. Die Back- und Konditorkunst hat in ihrer Familie Tradition. Und ihre Backwaren sind und bleiben für mich die besten der Welt.“ Gemma wusste, wie viel sie ihrer Mutter verdankte, die so viele Opfer für sie gebracht hatte.

Cesare neigte den Kopf. „Sie scheinen Anerkennung zu zollen, wo dies angebracht ist. Allerdings bedeutet das Talent Ihrer Mutter nicht, dass auch die Tochter Talent hat.“

„Das ist mir bewusst“, versicherte Gemma. „Aber ohne meine Mutter wäre ich jetzt nicht hier. Dank ihr konnte ich die Koch- und Konditorschule in Florenz besuchen.“

Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Das ist die beste Schule Italiens, und Sie haben nach Ihrer zehnjährigen Ausbildung die höchste Auszeichnung erhalten. Die Ausbildung ist sehr anspruchsvoll, aber an den namhaftesten Schulen ist die Ausbildung nun einmal derart umfangreich, weil man die besten Köche und Konditoren hervorbringen will. Ihre Mutter hat Sie gut beraten. Bravo.

Diese Kompliment von einem Mann, der sich in der Branche offenbar bestens auskannte, überraschte Gemma.

„Ohne meine Mutter hätte ich mich sicher nicht für einen Beruf entschieden, in dem man Tag und Nacht auf den Beinen ist, nie genug Geld verdient und als Frau benachteiligt wird“, erwiderte sie impulsiv, ohne zu überlegen.

Zu ihrer Erleichterung lachte Cesare laut auf.

„Signorina, mit Ihrer erfrischenden Art haben Sie sich die Chance verdient, zu beweisen, ob in Ihnen ein großes Talent schlummert. Melden Sie sich morgen um zehn bei mir, und dann können Sie das tun, was Sie am besten können.“

Ungläubig sah Gemma ihn an. „Meinen Sie das ernst …?“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Wenn es um Kulinarisches geht, ist es mir immer ernst. Sie werden sich die Küche mit einem anderen Bewerber teilen, der hofft, als Chefkoch eingestellt zu werden. Wir stellen Ihnen alle notwendigen Zutaten bereit, und Sie werden einen eigenen Arbeitsbereich haben. Wenn Sie fertig sind, gehen Sie. Haben Sie irgendwelche Fragen?“

Ja. Gemma hatte eine sehr dringliche Frage, aber dafür war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Zuerst würde sie sich darauf prüfen lassen, wie gut sie unter Druck arbeitete.

„Nein, Signore“, sagte sie deshalb.

„Gut. Morgen Abend wird Ihr Gebäck von den Zuständigen probiert und beurteilt. Sie werden sich eine Meinung darüber bilden und Ihnen am nächsten Tag telefonisch ihre Entscheidung mitteilen.“

Zurück in ihrer Pension dachte Gemma angstvoll an ihre Mutter. Am Vorabend hatte sie berichtet, dass sie ihren Abschluss mit Bestnoten gemacht hatte. Mutter und Tante waren überglücklich gewesen. Gemma hatte erzählt, dass sie sich auf verschiedene Stellen bewerben wollte. Die im castello hatte sie bewusst nicht erwähnt, da sie wenig Hoffnung hatte, sie zu bekommen. Außerdem hatte sie ihrer Mutter die Freude über ihre erste Reise seit Jahren nicht verderben wollen.

Tief in schmerzliche Gedanken versunken, schlenderte Vincenzo den mit Porträts gesäumten Gang des castello entlang zum privaten Speisezimmer seines verstorbenen Großvaters. Obwohl er schon vor einem halben Jahr nach Italien zurückgekehrt war, konnte er noch immer kaum glauben, dass hier einmal sein Zuhause gewesen war.

Ständig musste er an Gemma denken. Zehn Jahre lang hatte er einen italienischen Privatdetektiv nach ihr suchen lassen – erfolglos. Seit seiner Rückkehr nach Lombardi hatte er die Anstrengungen noch verstärkt. Vincenzos Schuldgefühle darüber, wie sehr er Gemma mit seinem Verschwinden verletzt haben musste, quälten ihn noch immer – ebenso sehr wie die Angst, sie vielleicht niemals zu finden.

Dimi hatte damals versprochen, ein Auge auf Gemma zu haben, doch das Schicksal hatte auch sein Leben aus den Fugen geraten lassen. An jenem Tag, als Vincenzos Vater rasend vor Wut über sein Verschwinden gewesen war und mithilfe von Dimis Vater und der Polizei die gesamte Umgebung abgesucht hatte, war Dimi klar geworden, dass es auch für ihn im castello nun zu gefährlich war. Er war sofort mit seiner Mutter zu ihrer Familie nach Mailand abgereist, wo sie in Sicherheit wären. Dann hatte er nach Gemma gesucht, aber keine Spur von ihr gefunden.

Vincenzo wurde von einer tiefen Traurigkeit ergriffen, die sich einfach nicht abschütteln ließ. Leise ertönte das Echo einer vergangenen Zeit, in der er so glücklich mit Gemma gewesen war.

Seine Freunde hörten seine Schritte auf dem kunstvollen Parkett und blickten auf, als er eintrat. Bevor er sich an den ovalen Tisch setzte, blickte Vincenzo mit seinen silberblauen Augen – einem typischen Merkmal der Gagliardis – zu den gemalten Nymphen an der reich verzierten Decke. Mit achtundzwanzig Jahren fand er sie noch immer so faszinierend wie schon als kleiner Junge. Eine von ihnen gefiel ihm besonders, da sie Gemma sehr ähnlich sah.

Mi dispiace essere in ritardo. Ich habe mit Annette telefoniert.“

Die clevere Immobilienexpertin, mit der er vor seiner Abreise aus New York zusammen gewesen war, wollte ihren Urlaub so legen, dass sie bei der Hoteleröffnung bei ihm sein könnte. Vincenzo spürte, dass sie auf eine ernsthafte Beziehung aus war, doch der Gedanke an Gemma ließ ihn noch immer nicht los. Er fühlte sich nicht dafür bereit, mit jemandem zusammenzuleben, geschweige denn zu heiraten.

Vielleicht sollte ich nach der Eröffnung noch einmal darüber nachdenken, wenn ich entspannter bin, dachte er. Denn Annette gefiel ihm besser als jede andere Frau seit Langem. Doch er war sehr beschäftigt und hatte ihr gesagt, er werde sie zurückrufen. Als er das Gespräch wegen eines Geschäftsessens beendet hatte, war sie sehr enttäuscht gewesen.

„Non c’è problema“, versicherte Cesare lächelnd.

Takis, der griechische Wurzeln hatte, schnaubte. „Für dich vielleicht nicht, aber ich habe extra heute Mittag nichts gegessen und bin schon halb verhungert!“

„Ich habe mich auch zurückgehalten“, sagte Vincenzo. „Heute Abend treffen wir Entscheidungen, die für den Erfolg oder Misserfolg unseres Projekts von großer Bedeutung sind. Also, legen wir los.“

„Übrigens, was die Desserts heute Abend betrifft: Wir haben noch eine vierte Bewerbung um die Konditorenstelle angenommen.“

Vincenzo runzelte die Stirn. „Ich dachte, die Vorauswahl sei abgeschlossen!“

„Das dachte ich auch“, gab Cesare zu. „Aber diese letzte Bewerbung hatte einfach fantastische Referenzen.“

Takis stöhnte. „Das heißt, wir essen zwei Mal Dessert?“

„Genau. Also esst nicht zu viel von den anderen Gängen“, warnte Cesare.

Vincenzo nahm sein Handy heraus, um das Essen kommen zu lassen. Heute Abend fand die letzte Runde ihrer Suche nach dem perfekten Chefkoch und dem perfekten Chefkonditor für ihr gemeinsames Projekt statt. Die richtige Entscheidung würde sie zu einem der begehrtesten Hotels der Welt machen.

Sie hatten die Anzahl der Kandidaten mittlerweile auf nur noch drei in der einen und nun vier in der anderen Kategorie eingeschränkt. Die Zeit drängte: Bis zur Eröffnung in nur einem Monat musste alles fertig vorbereitet sein.

Der frisch eingestellte Oberkellner Cosimo trat aus dem neu installierten Aufzug und rollte einen Servierwagen mit dem Essen herein. Sollte das Essen wieder so gut sein wie an den zwei Abenden zuvor, dann würde es sehr schwer werden, den besten Kandidaten zu küren.

Eine halbe Stunde lang kosteten sie den Hauptgang, diskutierten und beschlossen, dass der französische Bewerber der neue Chefkoch werden würde.

Als das geschafft war, servierte Cosimo verschiedene Desserts vom dritten Bewerber.

Danach reichte Cesare ihnen neutral schmeckende Cracker und Tee, damit sie ihren Gaumen auf die Desserts vom vierten Bewerber vorbereiten konnten. Als Cosimo die letzten Speisen des Abends präsentierte, glaubte Vincenzo, er würde träumen. Es waren ausnahmslos italienische Desserts – und so viele verschiedene! Er kannte sie alle aus seiner Kindheit, sodass er sich kaum entscheiden konnte, welches er zuerst probieren sollte. Schließlich nahm er sich sein absolutes Lieblingsdessert: eine sfogliatella, zartes Blätterteiggebäck mit süßer Cremefüllung und Zimt.

Er verzehrte sie ganz. Dann griff er nach der wunderbar luftig-leichten panettone, die es in seiner Familie zu Festtagen gegeben hatte. Erst als er keinen Bissen mehr hinunterbekam, hörte er auf zu essen.

Seine Freunde sahen ihn an, als wäre er verrückt geworden.

Takis stieß Cesare in die Seite. „Ich glaube, wir haben unseren neuen Chefkonditor gefunden.“

Vincenzo gelang es nicht, sein Lächeln zu erwidern. Die Desserts waren einfach zu gut, um wahr zu sein. Sie schmeckten genau wie die kleinen kulinarischen Wunder, die Gemmas Mutter damals vollbracht hatte.

Er sah Cesare scharf an. „Wer hat das hier gebacken?“

„Jemand von der florentinischen Koch- und Konditorschule.“

Vincenzos Herz schlug wie verrückt. „Ich will den Namen wissen.“

Seine Freunde hörten auf zu lächeln. „Signorina Bonucci“, sagte Cesare. „Ihren Vornamen müsste ich nachsehen.“

Der Name sagte ihm nichts. „Wie alt ist sie? Anfang sechzig?“ Hatte Gemmas Mutter Mirella sich um die Stelle beworben?

„Nein, sie ist jung, Mitte zwanzig.“

Niemand konnte Mirellas Köstlichkeiten so perfekt nachbacken, ohne mit ihr zusammengearbeitet zu haben. Vielleicht konnte er nun endlich in Erfahrung bringen, wo Gemma war!

„Was ist los, Vincenzo?“

Er begann, ihnen von einer Köchin zu erzählen, die vor vielen Jahren im castello gearbeitet hatte. „Ihr Gebäck schmeckte einfach fantastisch. Und sie hatte eine Tochter, die ein Jahr jünger war als ich – meine erste Liebe.“

„Ah“, sagten seine Freunde wie aus einem Mund.

„Ich habe keine Ahnung, was aus den beiden geworden ist“, fuhr Vincenzo fort. „Obwohl ich viel Geld ausgegeben habe, um sie zu finden. Ich möchte diese Bewerberin kennenlernen, um zu erfahren, wie es kommt, dass sie genau dasselbe köstliche Gebäck herstellt.“

Er sprang auf und ging ihnen voran zum Fahrstuhl. Im Hauptgeschoss eilte er durchs Foyer und ging ohne Umschweife in Cesares Büro. Dort zeigte sein Freund ihm auf dem PC den Lebenslauf der Bewerberin.

Als Vincenzo ihren Vornamen las, blieb ihm fast das Herz stehen.

Gemma Bonucci

Alter: 27

Adresse: Bäckerei Bonucci, Florenz.

Beste Absolventin ihres Jahrgangs in der Konditor-Ausbildung

Ungläubig blickte er auf den Bildschirm. Seine lange Suche war vorbei. Er hatte sie endlich gefunden!

Aber warum Bonucci? Sie hieß doch Gemma Rizzo. Unzählige Fragen gingen Vincenzo durch den Kopf, und er war wie benommen.

„Das muss Mirellas Tochter sein, aber ich sehe kein Foto.“

„Nein, sie hat keins mitgeschickt“, erklärte Cesare. „Ihre Backkünste sind allerdings fantastisch.“

„Wie die ihrer Mutter. Ich kann noch immer nicht fassen, dass sie heute hier in der Küche war und unsere Desserts gemacht hat.“

„Du bist ein bisschen blass. Geht es dir gut?“

„Ich muss mich von dem Schock erholen“, erwiderte Vincenzo. „Zehn Jahre lang habe ich nach ihr gesucht, ohne auch nur eine Spur von ihr zu finden!“

„Sind wir uns denn einig, dass sie die neue Chefkonditorin wird?“, fragte Takis.

Vincenzo sah seine Freunde an. „Bitte lasst euch nicht davon beeinflussen, wie unmäßig ich vorhin gegessen habe. Ich liebe einfach italienische Gebäckspezialitäten. Aber wir sollten berücksichtigen, dass unterschiedliche Gäste zu uns kommen.“

„Ich habe mich nicht deinetwegen so entschieden“, entgegnete Cesare. „Das war vorhin das beste Tiramisu meines Lebens!“

„Vergesst den babà und die Mini-cannoli nicht!“, meldete Takis sich zu Wort. „Jedes einzelne Dessert war einfach exquisit und wunderschön präsentiert, wie ein Gemälde. Unsere Gäste werden nach dem Essen überall herumerzählen, dass man bei uns die himmlischsten italienischen Desserts bekommt.“

„Genau“, stimmte Cesare zu. „Aber musstest du uns eigentlich die sfogliatelle wegessen, Vincenzo? Cosimo musste uns Nachschub bringen. Sie waren einfach göttlich!“

Ja, dachte Vincenzo. Und die Lippen des siebzehnjährigen Mädchens, das er vor all den Jahren in den Armen gehalten und geküsst hatte, waren genauso süß und zart gewesen wie die zimtbestäubte Creme, mit der sie das Gebäck gefüllt hatte.

„Takis wird jetzt unsere neuen Mitarbeiter anrufen und sie zu einer ersten Besprechung morgen Mittag ins Büro bitten.“ Cesares Worte rissen Vincenzo aus seinen Gedanken.

Als seine beiden Freunde gegangen waren, sah Vincenzo sich Gemmas Bewerbung noch einmal genauer an. Sie hatte eine beispiellose Ausbildung absolviert: Koch-, Back- und Konditorkunst, Hotelmanagement, Weinkunde und Molekulargastronomie. Sie hatte Auszeichnungen für Marmelade, Eingekochtes und Schokoladeneis gewonnen. Auch Mirellas Schokoladeneis war einfach göttlich gewesen.

Ihm fiel ihre Erklärung für ihren Wunsch ins Auge, Konditorin zu werden: „Ich habe die Kunst der Patisserie von meiner Mutter erlernt und möchte ihr Lebenswerk ehren, indem ich ihr nacheifere.“

Seine Augen brannten, als er Cesare anrief.

„Entschuldige bitte die Störung, aber was genau hat dich an Signorina Bonuccis Bewerbung angesprochen?“

„Du weißt ja, dass für mich nichts über die Kochkünste meiner mamma geht“, erklärte Cesare. „Als ich dann gelesen habe, dass sie die Künste ihrer mamma ehren wollte, musste ich ihr einfach eine Chance geben. Es war eine Bauchentscheidung, aber sie war doch richtig, oder?“

Vincenzo schloss einen Moment lang die Augen. „Natürlich. Denn sonst hätte ich sie vielleicht niemals gefunden.“ Plötzlich war seine Kehle wie zugeschnürt. „Grazie, amico mio.“

„So langsam bekomme ich das Gefühl, das alles war Schicksal. Aber etwas muss ich dir noch sagen, Vincenzo. Vorhin habe ich es nicht erwähnt, damit ihr nicht denkt, dass ich bei meiner Entscheidung voreingenommen war.“

Vincenzos Herz schlug immer schneller. „Jetzt sag schon.“

„Die signorina ist wunderschön. Sie erinnert mich an die Nymphe an der Decke des Speisezimmers, die du vorhin betrachtet hast. Die, die sich an den Baum lehnt.“

Er spürte, wie sein Gesicht heiß wurde. Er hatte Gemma einmal erzählt, dass sie ihn an die Nymphe in jenem Zimmer erinnerte, in dem er sich so oft mit seinem geliebten Großvater unterhalten hatte. Auch Cesare war die Ähnlichkeit also aufgefallen.

„A domani, Cesare.

„Dormi bene.“

Vincenzo machte das Licht aus und ging in sein altes Zimmer im Turm. Dort war nichts umgebaut worden, und Gäste würden hier auch in Zukunft keinen Zutritt haben. Dieser Teil des castello war zu sehr von dunklen Erinnerungen belastet.

Er zog sich aus, streifte einen Morgenmantel über und ging auf den Balkon, von dem aus man auf Sopri am Fuß des Hangs blickte. Wo Gemma wohl heute Nacht schlief? Dort unten, wo sie zur Schule gegangen war, oder in Mailand?

Vincenzo wusste, dass der Nachname ihres verstorbenen Vaters Rizzo lautete. Er hatte in den Stallungen des Anwesens gearbeitet und war an einer Infektion im Bein gestorben. Ihre Mutter Mirella war vor seinem Tod aus dem Dorf hergezogen und hatte mit ihrer kleinen Tochter Gemma in Räumen im hinteren Teil des castello wohnen dürfen.

Eine andere Köchin, die dort ebenfalls wohnte, hatte eine Tochter im selben Alter, die Bianca hieß. Mit ihr und Gemma spielten Vincenzo und sein Cousin Dimi als Kinder. Sie waren damals vielleicht vier und fünf Jahre alt. Eigentlich sollten die zwischen den Gesellschaftsschichten verlaufenden Grenzen dafür sorgen, die Kinder voneinander zu trennen, aber sie fanden einen Weg. An Vincenzos achtem Geburtstag kam Gemma in den Hof, wo er und Dimi Schießen mit seinem neuen Bogen übten. Sie überreichte ihm einen kleinen Zitronen-Käsekuchen mit Ricotta, den ihre Mutter extra für ihn gebacken hatte. Noch nie hatte er etwas so Köstliches gegessen.

Von da an hatte Gemma es immer wieder geschafft, süße Leckereien aus der Küche zu ihm zu schmuggeln. Sie hatten sich in ihrem Lieblingsversteck oben auf dem Turm rittlings auf die Mauer gesetzt und dort sfogliatelle gegessen, seinen absoluten Favoriten. Als er jetzt hinunterblickte, wurde ihm klar, wie leicht sie hätten stürzen und ums Leben kommen können.

Eine Stunde später ging er ins Bett, doch das Gedankenkarussell ließ sich nicht abstellen. Er hatte Gemma damals nichts von seiner heimlichen Flucht erzählen können. Tage, Wochen, Monate und Jahre waren vergangen, doch er hatte immer an sie gedacht.

Während er in New York Unternehmen gekauft, verkauft und aufgebaut hatte, war sie in Florenz gewesen und hatte ununterbrochen hart gearbeitet – um dann als Chefkonditorin ins castello zurückzukehren!

3. KAPITEL

Gemma konnte es noch immer nicht fassen. Signor Manolis, einer der Geschäftsführer, hatte sie angerufen und ihr mitgeteilt, dass sie die Stelle der Chefkonditorin im Fünf-Sterne-Hotelrestaurant des Castello di Lombardi bekommen habe und sich bitte mittags bei ihm vorstellen möge.

Dabei hatte sie doch gerade erst ihren Abschluss gemacht! Aber es war tatsächlich passiert, und nun brauchte sie Italien doch nicht zu verlassen. Wie durch ein Wunder kehrte sie an jenen Ort zurück, an dem sie so viele glückliche Jahre verlebt hatte … Dort hatte sie sich mit Vincenzo angefreundet und sich in ihn verliebt. Und dann war er plötzlich aus ihrem Leben verschwunden.

Denk jetzt nicht an diesen schrecklichen Morgen, an dem der duca dein Leben und das deiner Mutter zerstört hat, ermahnte sie sich. Das ist alles so lange her! Du bist jetzt die neue Konditorin und kannst endlich herausfinden, was damals mit Vincenzo passiert ist.

Doch bei der Sache gab es noch ein großes Problem: Wie sollte Gemma ihrer Mutter, die jetzt in England war und noch nichts von alldem ahnte, die Neuigkeiten beibringen?

Voller Panik lief Gemma im Zimmer hin und her. Wie würde ihre mamma reagieren, die über die Jahre so viele Opfer für ihre Tochter gebracht hatte? Würde Gemma bei ihr alte Wunden aufreißen? Oder konnte sie ihr klarmachen, dass so vielleicht aus einem großen Unrecht etwas Schönes werden konnte?

Denn was könnte ein größerer Triumph sein, als dass Mirellas Tochter Chefkonditorin im castello wurde? Gemmas Mutter war noch von dem alten, liebenswürdigen duca eingestellt worden, Vincenzos Großvater. Nun trat ihre Tochter in ihre Fußstapfen. Und das Beste war: Ihre Mutter konnte in Italien bleiben und mit ihr zusammenwohnen. All diese Gedanken gingen Gemma durch den Kopf, als sie sich davon zu überzeugen versuchte, dass es funktionieren könnte.

Sie duschte und zog ein anderes Kostüm an: einen dunkelblauen Rock und ein kurzärmeliges weißes Jackett mit Paspelierung und Knöpfen in Dunkelblau. Wenn sie kochte, fasste sie sich das wellige Haar immer mit einer Spange zusammen, aber heute fiel es ihr locker auf die Schultern.

Gemma, die einen Meter siebzig groß war, trug beim Arbeiten bequeme, flache Schuhe. Weil sie jedoch zu diesem besonderen Anlass so gut wie nur möglich aussehen wollte, zog sie hochhackige dunkelblaue Sandaletten an. Winzige Perlen-Ohrstecker waren der einzige Schmuck, den sie besaß, neben ihrer Uhr und dem Ring ihrer Großmutter.

Rouge brauchte sie heute nicht, denn vor Aufregung und Vorfreude waren ihre Wangen leicht gerötet. Also trug sie nur etwas hellrosa Lippenstift und eine Lotion mit Zitrusduft auf und ging zu ihrem Auto.

Nach einem Frühstück in derselben trattoria fuhr sie weiter zum castello. Noch vor vier Tagen war sie enttäuscht gewesen, dass es keine Stelle in Frankreich gegeben hatte. Gestern hatte sie mit Monsieur Troudeau zusammen gearbeitet, der von einem weltberühmten Pariser Fünfsternehotel kam und sich im castello um die Stelle als Chefkoch bewarb. Er musste einer der Besten seines Fachs sein.

Gemma hatte während ihrer ganzen Schulzeit Französisch und Englisch belegt. Darauf hatte ihre Mutter bestanden, und es hatte sich als Vorteil erwiesen, denn einige Kurse an der Kochschule waren auf Französisch gehalten worden.

Monsieur Troudeau hatte kaum ein Wort mit ihr gewechselt und sich verhalten, als wäre sie unsichtbar. Sicher war er erschüttert, dass eine junge Frau sich um die Konditorstelle bewarb. Gemma hatte ihn ignoriert und sich auf die Zubereitung ihrer Desserts konzentriert.

Die frisch renovierte, hochmodern ausgestattete Küche war ein Traum. Hätte ihre Mutter doch nur in so einem Umfeld arbeiten können … Vielleicht könnte sie eines Tages herkommen und alles bestaunen. Und statt des herzoglichen Personals würde nun Gemma das Gebäck für den Jetset, die Promis und die Würdenträger der Welt zubereiten. Sie konnte es noch immer nicht fassen.

Als sie beim castello vorfuhr, parkte dort ein schwarzer Maserati. Vielleicht gehörte er dem Geschäftsführer mit dem starken Akzent, der sie angerufen hatte?

Gemma stieg aus dem Auto und eilte die Stufen hinauf. Im Foyer wartete ein durchtrainierter, dunkelblonder Mann hinter dem Tresen auf sie. Er ließ den Blick über sie gleiten und sagte: „Sie sind bestimmt Signorina Bonucci. Ich bin Takis Manolis.“

„Freut mich.“ Sie schüttelte ihm die Hand. Auch dieser Mann sah gut aus, war mit Anzug und Krawatte aber formeller gekleidet als Signor Donati. Er hatte sehr markante Züge und musste sich bestimmt häufig rasieren. Mit seinem passablen Italienisch erinnerte er sie an einige Männer aus der Türkei und Griechenland, die sie in der Kochschule kennengelernt hatte.

„Ich kann mein Glück noch immer nicht ganz fassen“, gestand Gemma. „Ich freue mich unheimlich!“

Er lächelte. „Wir freuen uns auch. Nachdem wir Sie gefunden haben, können wir jetzt die Vorbereitungen für unsere feierliche Eröffnung angehen. Bitte folgen Sie mir in mein Büro. Wir werden den Papierkram erledigen und uns um die kleinen Details kümmern, damit Ihnen die Arbeit bei uns so richtig Spaß machen wird.“

Gemma folgte ihm in eins der Büros, wo er sich an seinen Schreibtisch setzte und auch ihr einen Platz anbot.

Als alles erledigt war, bat er sie, am übernächsten Tag um neun Uhr morgens zur Arbeit zu erscheinen. Dann würden sich alle Mitarbeiter im großen Ballsaal versammeln, um die neuen Besitzer kennenzulernen. Es sollte zahlreiche Besprechungen über die künftigen Abläufe geben, und dann würde Gemma das neu eingestellte Küchenteam kennenlernen.

„Haben Sie irgendwelche Fragen?“, wollte Takis Manolis wissen.

„Nur eine, sie hat aber nichts mit der Arbeit zu tun“, begann Gemma. „Können Sie mir vielleicht sagen, warum die Familie Gagliardi hier nicht mehr lebt? Ich habe nämlich in meiner Kindheit mit meiner Mutter zusammen im castello gewohnt, sie hat für den früheren duca als Köchin gearbeitet. Für mich ist es daher schwer zu begreifen, warum dieses prachtvolle Anwesen, das über Jahrhunderte der herzogliche Stammsitz war, zu einem Hotel umgebaut wurde.“

Ihr Gegenüber sah sie mit einem merkwürdigen Ausdruck an. „Das müssen Sie wohl den einzigen Menschen fragen, der es Ihnen beantworten kann.“

Es gab also jemanden, der etwas wusste! „Können Sie mir seine Telefonnummer geben?“

„Warten Sie bitte hier, ich werde ihn holen.“ Takis Manolis stand auf und ging hinaus.

Gemmas Herz schlug wie verrückt. Würde sie nun endlich erfahren, wo sie Vincenzo finden konnte? Vielleicht konnte der Mann ihr sagen, wohin er in jener Nacht verschwunden war.

Und wenn er nicht mehr am Leben ist?

Dieser Gedanke quälte sie schon seit Jahren. Nein, so durfte sie nicht denken. Vermutlich lebte er im Ausland, war mit einer Prinzessin verheiratet und hatte mehrere Kinder.

Doch der Gedanke, dass er sein Leben mit einer anderen Frau verbrachte, war kaum zu ertragen.

Vincenzo telefonierte gerade mit Annette, als Takis hereinkam. „Sie wartet in meinem Büro auf dich“, flüsterte er nur und verschwand wieder.

Sein Puls begann zu rasen. Gemma war ganz in der Nähe!

„Hast du gehört, Vince?“, fragte Annette.

„Ja“, erwiderte er. „Aber hier ist gerade jemand angekommen, und es geht um etwas Wichtiges. Ich rufe dich spätestens heute Abend an, versprochen.“

„Hoffentlich meinst du das ernst. Wir haben uns schon seit fünf Wochen nicht mehr gesehen, und du fehlst mir ganz schrecklich!“

Das konnte Vincenzo nicht erwidern. „Ich muss jetzt auflegen. Bis später.“

Er stand auf. Das Wiedersehen mit Gemma bedeutete für ihn, dass er sich den Gespenstern der Vergangenheit stellen musste, vor denen er jahrelang geflüchtet war. Widerstreitende Empfindungen erfüllten ihn: Angst, Vorfreude, Neugier, Schmerz – und schreckliche Schuldgefühle.

Gemma war in der schwersten Nacht seines Lebens bei ihm gewesen. Einen Tag später hatte er fliehen müssen, bevor seine Familie noch schlimmer heimgesucht wurde. Damals war sie siebzehn gewesen und er achtzehn. Und dennoch hatte er jene intensiven Gefühle noch immer in Erinnerung.

Seit seiner Rückkehr nach Italien dachte er ständig an Gemma und konnte sich oft auf nichts anderes konzentrieren. Und all die Jahre, die er nach ihr gesucht hatte, war sie hier gewesen! Vincenzo atmete tief ein und ging die wenigen Schritte bis zu Takis’ Büro.

Durch den Türspalt sah er eine gepflegt wirkende Frau in einem blau-weißen Kostüm, mit honigblondem Haar, das ihr locker auf die Schultern fiel. Sie stand mit gesenktem Kopf beim Schreibtisch, sodass er ihr Profil noch nicht sehen konnte.

Vincenzo schluckte. Gemma war nicht mehr der Teenager mit dem kurzen Haar von früher, der in Schuluniform die steinernen Stufen des castello hinaufstürmte – sie war eine junge Frau mit weiblichen Kurven.

„Gemma“, brachte er mühsam heraus.

Sie atmete hörbar ein, wandte sich um und sah ihn mit ihren unvergesslichen Augen an: leuchtend grün mit einem dunklen Ring um die Iris. Sie hielt sich am Tisch fest, reglos.

„Vincenzo … Ich glaube, ich halluziniere …“

„So geht es mir auch.“ Sein Blick glitt zu den Lippen, die er in jener unvergesslichen Nacht geküsst hatte. Sie hatten sich nicht verändert – ebenso wie ihr wunderschönes Gesicht.

Gemma schien der Atem zu stocken. „Ich … Ich verstehe das alles nicht …“

„Bitte setz dich, dann erkläre ich es dir.“

Sie begann zu zittern.

„Ich habe eine bessere Idee: Wir fahren zum See am hinteren Rand des Anwesens, wo uns niemand stören kann. Vielleicht beruhigst du dich dann so weit, dass wir uns unterhalten können.“

Sie errötete heftig. „Das soll wohl ein Witz sein! Nach zehnjährigem Schweigen tauchst du plötzlich hier auf und glaubst im Ernst, ich würde irgendwo mit dir hinfahren?“

Vincenzo hatte damit gerechnet, dass sie wütend sein würde, aber ihr vernichtender Ton traf ihn und raubte ihm all seine Kraft.

„Vor vier Tagen habe ich mich um eine Stelle in diesem neuen Hotel beworben. Gestern sagte man mir, ich würde sie bekommen. Und jetzt stolzierst du hier herein!“, fuhr Gemma fort. „Ich komme mir vor wie in einem grotesken Traum, in dem du plötzlich von den Toten auferstehst.“

„Ich bin ebenso verwirrt wie du“, sagte er leise, denn er hatte das Gefühl, in die Vergangenheit zurückgeworfen zu werden. Aber sie waren keine Teenager mehr, und Gemmas Anblick raubte ihm den Atem.

„Wie lange bist du schon in Mailand?“

„Im letzten halben Jahr bin ich oft von New York aus hergekommen.“

„New York“, wiederholte Gemma kaum hörbar. Plötzlich wirkte sie zutiefst niedergeschlagen.

„Als Dimi mir erzählte, dass das castello verkauft werden solle, haben zwei Freunde und ich beschlossen, es gemeinsam mit ihm zu erwerben und ein Hotel darin zu eröffnen. Wir konnten nicht zulassen, dass der Staat es sich greift oder es an ein ausländisches Unternehmen geht.“

„Aber es gehört doch ohnehin dir – falls das nicht auch gelogen war.“

„Von Rechts wegen gehörte es einmal mir … Aber das ist eine lange Geschichte.“

„Ich habe immer wieder überlegt, wohin du verschwunden sein könntest, und dachte, du wärst bei Freunden in Europa. Dass du in die USA gehen würdest, darauf wäre ich nie gekommen.“ Gemma schüttelte den Kopf. Sie sah traurig und verwirrt aus.

Vincenzo legte mit der Geschichte los, die er sich zur Tarnung zurechtgelegt hatte. „Ich war damals achtzehn geworden und wollte mich beweisen, indem ich selbst Geld verdiente. Weil mein Vater das aber nie zugelassen hätte, durfte er nicht mitbekommen, dass ich wegging.“

„Und ich auch nicht?“, flüsterte Gemma so verzweifelt, dass es ihn fast zerriss.

„Anders ging es nicht.“ Vincenzo traute sich nicht, ihr die wirklichen Umstände anzuvertrauen, denn sie hatte seinetwegen schon genug gelitten. Er wollte sie auch weiterhin vor der schrecklichen Wahrheit schützen.

„Soll das heißen, dass es in den zehn Jahren keinen einzigen Moment gab, in dem du mir zumindest eine Karte hättest schreiben können, sodass ich gewusst hätte, dass du noch lebst?“ Ihre Stimme zitterte vor Wut und Schmerz.

Auch ihm tat das Herz weh. „Ich wusste doch nicht, wo du warst! Dimi konnte dich auch nirgends finden. Darunter habe ich sehr gelitten.“

Wieder atmete sie heftig ein. „Du willst mir weismachen, du hättest nach mir gesucht?“

Ihr Schmerz war noch viel größer, als er sich vorgestellt hatte. „Ich habe dich während der gesamten letzten zehn Jahre von Privatdetektiven suchen lassen.“

„Das glaube ich dir nicht“, entgegnete sie scharf. „Hat Dimi auch in New York gelebt?“

„Nein, er wohnt mit Zia Consolata in Mailand.“

Gemma wurde blass. Vincenzo sah am Ansatz ihres zarten Halses ihren Puls pochen – da, wo er sie so oft geküsst hatte.

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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