Der Feind, der mich verführte

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Ruhe bewahren, charmant sein - auch wenn Vanessa unglaublich wütend auf Tristan Thorpe ist! Seit zwei Jahren ist er in einer Erbschaftsangelegenheit ihr Gegner. Jetzt steht sie ihm auf dem weitläufigen Anwesen der Thorpes zum ersten Mal persönlich gegenüber, und mit allem hat Vanessa gerechnet. Aber nicht damit: Zwischen ihr und dem gut aussehenden Tristan knistert es verführerisch. Ausgerechnet zu ihm fühlt sie sich erotisch hingezogen. Wird ihr größter Feind der sinnliche Liebhaber, der ihr in heißen Nächten eine nie gekannte Erfüllung schenkt?


  • Erscheinungstag 05.08.2007
  • Bandnummer 1470
  • ISBN / Artikelnummer 9783863490034
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Bronwyn Jameson

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1. KAPITEL

Tristan Thorpe war aufgrund der Fotos davon ausgegangen, dass Vanessa attraktiv war. Wenn ein Mann eine Vorzeigefrau geheiratet hatte, wollte er schließlich von anderen Männern beneidet werden. Aber Tristan hatte nicht damit gerechnet, dass sie so hinreißend schön war. Als die Eingangstür des Kolonialhauses in Connecticut eilig aufgemacht wurde, stand sie auf der Schwelle, und jeder Zentimeter ihrer ein Meter zweiundsechzig war atemberaubend.

Vanessa Thorpe. Die Witwe seines Vaters. Die Feindin.

Auf allen Fotos in den Gesellschaftsnachrichten der Zeitungen wirkte sie so makellos und strahlend, dass Tristan sich veranlasst fühlte, Spekulationen darüber anzustellen, was an ihr echt war und wie viel dem Reichtum seines Vaters zu verdanken war. Waren die platinblonden Haare, die vollen Lippen, der zierliche, aber perfekte Körper ein Geschenk der Natur, oder hatte man geschickt nachgeholfen? Die Echtheit der funkelnden Diamanten, die an ihrem Hals und an den Ohren glitzerten, hatte er jedoch keinen Moment in Zweifel gezogen. Anders als ihre anderen facettenreichen Vorzüge gehörten die Diamanten zu den aufgelisteten Wertgegenständen des Besitzes von Stuart Thorpe.

Aber jetzt, wo Tristan sie das erste Mal in Fleisch und Blut vor sich stehen sah, bemerkte er nichts an ihr, was er als unecht empfand. Alles, was er sah, war das Leuchten in ihren grünen Augen und ihr Lächeln. Es war wärmer als die Augustsonne, die ihr Gesicht nun, nachdem der Regen sich verzogen hatte, gekonnt in Szene setzte. Sein Körper reagierte sofort auf den verlockenden Anblick, und ihm wurde einen Moment lang heiß.

Vanessa dagegen gefror das Lächeln auf den rot geschminkten Lippen. „Sie sind es“, murmelte sie bestürzt.

Obwohl sie sich nicht bewegte, sah Tristan ihr an, dass sie innerlich zurückschreckte. Wahrscheinlich würde sie ihm am liebsten die Tür vor der Nase zuknallen, und ein Teil seines Ichs war verrückt genug, um sich zu wünschen, dass sie es täte. Der lange Flug von Australien hierher und das Verkehrschaos am Nachmittag, das einem schweren Unwetter gefolgt war, hatten derart an seinen Nerven gezerrt, dass er eine solche Konfrontation fast genossen hätte.

Aber er gehorchte immer der Logik, und die ermahnte ihn, kühl und gelassen zu bleiben. „Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, Herzogin.“ Er verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln, weil es ihm absolut nicht leidtat. „Offensichtlich haben Sie jemand anders erwartet.“

„Offensichtlich.“

Er hob die Augenbrauen. „Hatten Sie nicht gesagt, dass ich hier jederzeit willkommen bin?“

„Ich kann mich nicht …“

„Vor zwei Jahren“, fügte Tristan hinzu. Nachdem ihr Ehemann gestorben war, hatte sie es als ihre Pflicht betrachtet, dessen entfremdete Familie auf der anderen Seite der Welt anzurufen, um sie über Stuarts Ableben zu informieren, und hatte sich dann sogar noch freigiebig gezeigt. Eine ehemalige Kellnerin, die eine Erbschaft von hundert Millionen Dollar zu erwarten hatte, konnte es sich eben auch leisten, großzügig zu erscheinen.

Im Moment machte sie jedoch einen wenig gastfreundlichen Eindruck. „Warum sind Sie hier, Tristan? Der Gerichtstermin ist erst im nächsten Monat.“

„Wenn der überhaupt noch nötig sein wird.“

Überrascht und argwöhnisch musterte Vanessa ihn. „Haben Sie Ihre Meinung geändert? Verzichten Sie darauf, das Testament anzufechten?“

„Nie im Leben.“

„Was wollen Sie dann?“

„Es hat eine neue Entwicklung gegeben.“ Tristan machte eine Pause und genoss diesen Moment. Dafür war er fast sechzehntausend Kilometer weit geflogen. Er wollte sehen, wie Vanessa sich wand, bevor er sie zur Strecke brachte. „Ich vermute, dass Sie Ihre Meinung bezüglich dieses Gerichtstermins ändern werden.“

Eine Sekunde lang starrte sie ihn an. Ihr Gesichtsausdruck verriet nichts außer Verärgerung. Irgendwo in dem großen Herrenhaus klingelte ein Telefon. Tristan registrierte, dass sie einen Moment lang abgelenkt war und einen Blick nach hinten warf, bevor sie etwas erwiderte. „Wenn das ein weiterer Versuch ist, zu verhindern, dass Stuarts letzter Wille vollstreckt wird …“, die Feindseligkeit in ihren Augen und ihrer Stimme machte deutlich, dass sie genau das annahm, „… wenden Sie sich bitte an meinen Anwalt. Genauso wie Sie es bei jeder neuen Entwicklung in den letzten zwei Jahren getan haben. Diesbezüglich hat sich nichts geändert. Also, wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen …“

Oh nein. Keinesfalls würde er sich in diesem hochnäsigen Ton abweisen lassen. Tristan ließ alle gute Manieren außer Acht und trat nach vorn, um sie davon abzuhalten, die Tür zu schließen. Dann umfasste er ihren Arm, um sie am Weggehen zu hindern. Ihren nackten Arm, wie er registrierte. Er war wie elektrisiert, als er ihre weiche, warme Haut spürte, und sein Puls beschleunigte sich. Nur vage nahm Tristan wahr, dass Vanessa völlig reglos innehielt und nach Luft schnappte. Zweifellos stand sie unter Schock, weil er es gewagt hatte, sie zu berühren.

„Sie werden mir nicht die Tür vor der Nase zumachen.“ Seine Stimme klang rau und tief in der angespannten Stille. Da bemerkte er, dass das Klingeln des Telefons aufgehört hatte. Entweder hatte jemand den Hörer abgenommen, oder der Anrufer hatte aufgegeben. „Sie wollen doch nicht, dass ich damit an die Öffentlichkeit gehe.“

„Nein?“

„Wenn Sie schlau sind, werden Sie diese Sache mit mir unter vier Augen ausmachen.“ Und schlau war sie. Auch wenn sie bislang weitgehend über ihre Anwälte in Kontakt getreten waren, hatte Tristan nie daran gezweifelt, dass sich hinter ihren platinblonden Locken ein kluges Köpfchen verbarg.

Sie sahen einander voller Feindseligkeit in die Augen.

Doch da war noch etwas anderes. Das, was ihn noch immer elektrisierte und seinen Puls antrieb. Es brachte ihn dazu, ihren Arm loszulassen, ohne den Blick von ihr abzuwenden. Selbst dann nicht, als er das Geräusch sich nähernder Schritte hörte. „Nehmen Sie das Telefongespräch an, wenn es wichtig ist. Ich kann warten.“

Hinter ihnen räusperte sich jemand, und er wendete seine Aufmerksamkeit einer Frau im mittleren Alter zu, die noch kleiner als Vanessa war. Trotz der legeren Aufmachung – sie trug Jeans und ein T-Shirt – ging er davon aus, dass es die Haushälterin war.

„Verzeihung, dass ich störe.“ Obwohl sie sich an ihre Chefin wandte, musterte sie Tristan abschätzend. Ihre offensichtliche Abneigung ließ darauf schließen, dass sie wusste, wer er war. „Andy muss mit dir sprechen.“

„Danke, Gloria. Ich werde das Gespräch in der Bibliothek annehmen.“

„Und dein … Gast?“

Die Frau hatte die Pause absichtlich gemacht. Er hatte den Eindruck, dass sie wie ihre Arbeitgeberin diesen Gast nur zu gern aus dem Haus geworfen und dann die Hunde auf ihn gehetzt hätte.

„Führe ihn ins Wohnzimmer.“

„Das ist nicht nötig.“ Tristan sah wieder Vanessa an. „Ich habe zwölf Jahre lang hier gewohnt. Ich finde den Weg.“

Obwohl sie etwas schockiert wirkte, schwieg sie und spielte die liebenswürdige Gastgeberin. „Kann Gloria Ihnen eine Tasse Tee bringen? Oder einen kalten Drink?“

„Würde ein Getränk meine Sicherheit gefährden?“

Gloria schien amüsiert zu sein. Ihrer Chefin jedoch schien Tristans spöttische Bemerkung weniger zu gefallen. Sie presste die Lippen fest zusammen. „Ich werde Sie nicht lange warten lassen“, erklärte sie.

„Meinetwegen müssen Sie sich nicht beeilen.“

Vanessa hielt gerade lange genug inne, um ihm einen frostigen Blick über die Schulter zuzuwerfen. „Glauben Sie mir, Ihretwegen werde ich nie etwas tun.“

Sie hatte diesen letzten Satz mit der perfekten Mischung aus Verachtung und Gleichgültigkeit ausgesprochen, und an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit und bei einem anderen Gegner hätte er ihn mit Gelächter honoriert. Aber das hier war Vanessa Thorpe. Sie durchquerte das Foyer und senkte den Kopf, um sich leise und ernsthaft mit ihrer Haushälterin zu unterhalten.

Er konnte die Worte nicht verstehen, aber Vanessas melodische Stimme hatte dieselbe Wirkung auf ihn wie ihr strahlendes, warmes Lächeln. Wieder wurde ihm heiß. Er musterte sie von Kopf bis Fuß, und seine Hormone fuhren Achterbahn.

Sie trug ein leichtes Sommerkleid und zeigte nur wenig nackte Haut. Allerdings umschmeichelte der seidige Stoff so perfekt ihre weiblichen Rundungen, dass Tristan kaum den Blick von ihr losreißen konnte. Das Kleid hatte Klasse, wirkte teuer und sehr feminin.

Schließlich eilte die Haushälterin davon. Vermutlich, um ihm Tee zu machen, den sie ihm dann mit einer Zitronenscheibe oder einem Schuss Milch und einer Prise Arsen servieren würde.

Als hätte Vanessa seinen Blick gespürt oder seine Gedanken gelesen, drehte sie sich auf dem Absatz um, und im aufklaffenden Schlitz des Rocks war sekundenlang ihr nackter Oberschenkel zu sehen.

Wieder wurde es Tristan heiß.

Ihre Blicke trafen sich, und er bemerkte, dass etwas in ihrem Gesicht aufblitzte. Dann war es wieder verschwunden. Genau wie sie, denn sie hatte das Foyer verlassen.

Aber sein Herz schlug immer noch schneller. Verdammt, ich will mich nicht zu ihr hingezogen fühlen. Das darf ich nicht zulassen. Verärgert schloss Tristan die Augen und rieb sich den Nacken. Er war sechsundzwanzig Stunden unterwegs gewesen. Wenn er den Weg von seinem Haus in Northern Beach bis zum Flughafen am südlichen Rand von Sydney hinzuzählte, hatte die Reise noch länger gedauert. Er war müde und ausgelaugt. Nur sein hoher Adrenalinspiegel und die Fixierung auf sein Ziel hielten ihn noch auf den Beinen.

Wie sollte er damit umgehen, was er momentan empfand? Wie konnte er auch nur eine Sekunde lang dem Ansturm der Gefühle standhalten, den seine Rückkehr nach Eastwick, Connecticut, hervorgerufen hatte? Hierher, in das Haus, in dem er aufgewachsen war und sich geborgen gefühlt hatte? Und wo ihm dann als Jugendlicher plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen worden war.

Weißt du was, mein Junge? Deine Mutter, deine Schwestern und du, ihr werdet künftig in Australien leben. Ist das nicht aufregend?

Zwanzig Jahre später war er zurück, und seine heftigen Reaktionen – die Hitze, die Bitterkeit – hatten nicht nur mit Vanessa Thorpe zu tun.

Tristan atmete tief aus und ließ den Blick schweifen. Natürlich hatte Vanessa einige Dinge im Haus verändert. Die Farben, die Möbel, die Atmosphäre. Seine Schritte hallten im riesigen Foyer mit der bis zum zweiten Stock reichenden Decke und den hellblau gestrichenen Wänden. Er hatte sich immer an die Wärme seines Elternhauses erinnert, die er als Kind empfunden hatte. Doch jetzt fühlte er sich, als gehörte er nicht mehr hierhin.

Er ignorierte sein Unbehagen und drehte sich zu einem Garderobenschrank aus Mahagoni mit der dazu passenden Anrichte um, auf der eine Vase mit langstieligen Blüten stand. An der Wand hingen zwei Aquarellbilder, die Küstenlandschaften zeigten. Die Einrichtung war so perfekt wie Vanessa Thorpes Erscheinung. Alles war sorgfältig zusammengestellt – und die gleiche Sorgfalt hatte sie vermutlich an den Tag gelegt, als sie ihren Plan entwickelt hatte, sich einen Multimillionär zu angeln, der dreimal so alt war wie sie.

Seit zwei Jahren focht Tristan das Testament an, in dem sein Vater Vanessa alles hinterließ, mit Ausnahme eines symbolischen Vermächtnisses an ihn. Dieser demonstrative Akt hatte wohl zeigen sollen, wie sehr er seine Ehefrau gegenüber seinem Sohn und einzigem Kind bevorzugte. Tristan hatte durch seinen Anwalt einen Einspruch nach dem anderen einreichen lassen, während er nach einem Hintertürchen oder einem Haken gesucht hatte.

Er hatte nie bezweifelt, dass er den Rechtsstreit gewinnen würde. Er gewann immer. Und schließlich hatte er wie aus heiterem Himmel Glück. Eine anonyme Behauptung widersprach dem, was seine Leute bislang über die junge Witwe in Erfahrung gebracht hatten. Demnach war sie fast eine Heilige mit ihrem Engagement bei Wohltätigkeitsorganisationen, ihrer ehrenamtlichen Arbeit und der Hingabe an ihren kränkelnden Ehemann, für den sie keine Mühe gescheut hatte.

Doch erneute, diskrete Nachforschungen hatten nicht nur Gutes ergeben. Es fand sich zwar kein Beweis dafür, aber es gab genug Gerüchte aus verschiedenen Quellen, die Vanessas Lebenswandel in Zweifel zogen. Ein Beweis würde sich jetzt, zwei Jahre später, auch wohl kaum beschaffen lassen, aber vielleicht würde das auch überhaupt nicht nötig sein.

Tristan setzte auf Vanessas Schuldeingeständnis, denn sicher würde sie nicht wollen, dass die Sache an die Öffentlichkeit kam, und natürlich würde sie seiner Mutter Stuarts Besitz überlassen müssen. Das könnte zwar nicht deren Unglück wettmachen, aber es konnte, wenn auch zwanzig Jahre später, zumindest die sehr ungerechte Scheidungsvereinbarung seiner Eltern ausgleichen.

Vanessa legte erleichtert den Hörer auf, weil ihre Pläne sich geändert hatten. Andy würde nicht jeden Moment vor der Tür stehen. Denn sonst würde sich ihre Begegnung mit Tristan Thorpe noch schwieriger gestalten, und sie wusste aus Erfahrung, dass alles, was mit Stuarts Sohn zu tun hatte, kompliziert genug war. Das hatte er oft genug unter Beweis gestellt, als er immer wieder versucht hatte, das Testament anzufechten. Er weigerte sich, irgendeinen Kompromiss einzugehen, und drohte damit, nicht aufzugeben, bis er für Gerechtigkeit gesorgt hätte. Weil ihm ihr Alter und ihre Herkunft suspekt erschienen waren, unterstellte er ihr, dass sie nur hinter dem Geld seines Vaters her gewesen war.

Sie wusste eine Menge über engstirnige, selbstgerechte Menschen. Dennoch hatte sie Tristan Zeit gelassen, seine Einschätzung noch einmal zu überdenken. Sie hatte ihn angerufen, die Einladung zu einem Besuch erneuert und ihm jede Gelegenheit gegeben, sich fair mit ihr über den Besitz zu einigen. Vanessa hatte gedacht, dass er das verdiente, auch wenn Stuart anders entschieden hatte. Aber Tristan war uneinsichtig geblieben. Er war ein gieriger und herzloser Tyrann. Doch sie ließ sich nicht einschüchtern.

Unwillkürlich rieb sie ihren Arm. Sie hasste es, dass sie seine Berührung immer noch zu spüren schien und die Begierde in seinen blauen Augen gesehen hatte. Sie hasste es, dass sie seine tiefe Stimme noch im Ohr und den Duft seiner vom Regen feuchten Kleider noch in der Nase hatte. Und sie hasste den Gegensatz zwischen seinem zivilisierten Aussehen und seinem unzivilisierten Auftreten.

Ein abruptes Klopfen an der Tür ließ sie zusammenzucken.

Aber es war nur Gloria, die sie besorgt ansah. „Ist alles in Ordnung? Musst du weg? Falls ja, mach dir keine Sorgen. Ich werde schon mit ihm fertig.“ Sie verzog verächtlich den Mund.

Vanessa musste lächeln. Eine Sekunde lang erwog sie, auf das Angebot einzugehen. Vor allem, weil Tristan das auf die Palme bringen würde. Aber sie musste herausfinden, was er wollte und warum er meinte, ihr seine neuesten Winkelzüge persönlich präsentieren zu müssen. Natürlich glaubte sie nicht, dass er etwas Neues entdeckt hatte. Zumindest nichts, was den Streit um das Testament beeinflussen könnte. „Alles in Ordnung, danke. Andy musste unseren Ausflug in die Stadt absagen. Doch das wird eher ein Segen sein. Und was Tristan angeht“, sagte sie mit einem spöttischen Lächeln, „ich werde schon mit ihm zurechtkommen.“

„Ich weiß, dass du ziemlich taff bist, aber er ist ein Ekel. Wenn er Probleme machen sollte, bin ich auf jeden Fall da.“

„Nein.“ Vanessa wurde ernst. „Das wirst du nicht, denn du hast schon seit einer halben Stunde Feierabend. Geh jetzt nach Hause und kümmere dich um Bennie. Sobald ich mit unserem Gast fertig bin, werde ich ohnehin nach Lexford fahren.“

„Ist alles okay dort? Ist …?“

„Alles bestens.“ Weil sie das Gespräch nicht durch weitere Fragen in die Länge ziehen wollte, dirigierte sie Gloria zur Tür. „Ich sehe dich morgen. Jetzt geh schon.“

Da Vanessa ein Glas Wasser trinken wollte, bevor sie dem gefürchteten Feind gegenübertrat, ging sie zur Küche. Doch auf dem Weg dorthin stolperte sie fast über ihn. Er war nicht im Wohnzimmer, wie sie angeordnet hatte, sondern in dem kleinen Zimmer, das sie als ihren persönlichen Bereich betrachtete. Oh nein! Ihr Herz schlug schneller, so aufgebracht war sie. Es war das einzige Zimmer, das sie mit ihren Lieblingsstücken dekoriert hatte und das behaglich war, um sich dort bei einem guten Buch zu entspannen oder sich mit Freunden zu treffen.

Ein Tristan Thorpe passte überhaupt nicht in diese Atmosphäre. Er hatte sich als Profi-Footballspieler in Australien einen Namen gemacht. Schon ein kurzer Blick auf ihn machte Vanessa klar, warum er sich auf dem Spielfeld durch eine kraftvolle Präsenz ausgezeichnet hatte. Es war nicht nur seine Körpergröße und seine ausgeprägt männliche Statur. Er strahlte auch Entschlossenheit und Zielstrebigkeit aus und hatte eine Schärfe und Härte, die sich selbst durch seinen maßgefertigten Anzug und seine unbestreitbare Eleganz nicht verbergen ließen.

Obwohl er mit dem Rücken zur Tür stand und Vanessa seinen intensiven und entschlossenen Blick nicht wahrnahm, machte seine Anwesenheit sie nervös. Sie war es nicht gewohnt, einen Mann in ihrem Haus zu sehen, insbesondere nicht einen Mann mit einer so ausgeprägt maskulinen Ausstrahlung. Aber er ist hier. Er ist, was er ist. Komm damit zurecht. Dieses pragmatische Mantra hatte ihr in den neunundzwanzig Jahren ihres bisherigen Lebens geholfen, noch viel größere Schwierigkeiten zu überwinden. Die meisten davon hatten sich allerdings durch die Heirat mit Stuart beseitigen lassen.

Vanessa betrat das Zimmer, und Tristan drehte sich sofort zu ihr um. Obwohl ihre Anspannung wuchs, setzte sie den kühlen und höflichen Gesichtsausdruck auf, der ihr schon oft geholfen hatte, die anstrengendsten fürchterlichsten gesellschaftlichen Ereignisse durchzustehen. Sollte er sie doch Herzogin nennen. Das war ihr egal. Doch dann bemerkte sie, was seine Aufmerksamkeit erregt hatte – und was er jetzt in seinen großen Händen hielt. Ihr Herz setzte vor Sorge einen Schlag aus, denn es war das „Mädchen mit Blumen“, ihr größter Schatz aus der Porzellanfigurensammlung.

Ihre Sorge und Gereiztheit spiegelten sich wohl auf ihrem Gesicht wider, denn Tristan musterte sie eingehend. „Schlechte Nachrichten?“

Vanessa wusste, dass er sich auf das Telefongespräch bezog, aber sie deutete mit dem Kopf auf die Figur. „Nur wenn Sie die fallen lassen.“ Ihr schlug das Herz bis zum Hals, als sie ihn dabei beobachtete, wie er die Figur hin und her drehte. Sie wollte nicht, dass er ihre Sachen anfasste. In einer Woche, einem Monat oder einem Jahr würde sie die Statuette ansehen und sich daran erinnern, dass dieser Mann in ihrem Haus gewesen war. Sie konnte nicht anders, als das Zimmer zu durchqueren und ihm die Figur aus der Hand zu nehmen.

„Als ich von schlechten Nachrichten sprach, habe ich das Telefongespräch gemeint.“

Die Berührung ihrer Finger brachte Vanessa mehr durcheinander, als sie gedacht hätte. Sie spürte, dass ihre Finger leicht zitterten, und betete, dass er das verräterische Klirren nicht hörte, als sie die Figur wieder an ihren Platz stellte. „Es gibt keine schlechten Nachrichten.“ Sie gewann ihre Fassung zurück und deutete auf einen Ohrensessel. „Möchten Sie sich setzen?“

„Ich stehe hier sehr bequem.“ Tristan stützte sich mit den Handflächen am Rand einer Vitrine ab und lehnte sich entspannt dagegen. Nur das Zucken seines Kiefermuskels verriet ihn. Ganz zu schweigen von dem scharfen Blick, mit dem er sie fixierte.

Wie ein Löwe, der seine Anspannung verbirgt und nur darauf wartet, zum Sprung anzusetzen. Und ich bin die Beute, dachte sie. Dieses Bild jagte ihr einen Schauer über den Rücken, aber sie straffte automatisch die Schultern. Lass deinen Feind nie deine Angst spüren. Das hatte sie schon als Kind gelernt, und sie versuchte, diese Erkenntnis auch ihrem jüngeren Bruder Lew zu vermitteln. In ihrem neuen Leben, in dem die feine Gesellschaft Eastwicks sie einer genauen Prüfung unterzogen hatte, hatte sie diesen Vorsatz häufig beherzigen müssen.

Obwohl sie möglichst schnell wieder auf Distanz zu ihrem Feind gehen wollte, blieb sie stehen und hielt seinem durchdringenden Blick stand. „Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich über diese neue Entwicklung zu informieren? Denn ich kann mir nichts vorstellen, was Ihre Anfechtung von Stuarts Testament voranbringen könnte.“

„Ich bin sicher, dass Sie jede Zeile in diesem Testament genau kennen, Vanessa.“

„Sie haben versucht, jede Zeile dieses Testaments anzufechten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie eine einzige Klausel ausgelassen haben!“

„Nein, diese Klausel haben wir nicht ausgelassen, Herzogin. Doch Sie waren einfach clever genug, uns damals nicht zum Zug kommen zu lassen.“

„Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden. Hören Sie auf, Spielchen mit mir zu spielen. Dafür fehlt mir die Zeit und die Geduld.“

Einen Moment lang erwiderte er nichts darauf. Verspätet registrierte sie, dass er sich jetzt gerade hingestellt und so die Lücke zwischen ihnen geschlossen hatte. Aber sie weigerte sich, ihn zu bitten, ihr nicht zu nahe zu kommen, weil sie nicht zugeben wollte, wie sehr sie diese Nähe störte.

„Ist es noch derselbe?“

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