Der geheimnisvolle Blog (3-teilige Serie)

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

MIT DIR KOMMT DAS GLÜCK ZURÜCK
Elle ist zurück aus Italien! Cam traut seinen Augen nicht: Der scheue Bücherwurm von einst hat sich in eine aufregende Schönheit verwandelt. Eine leidenschaftliche Romanze beginnt. Doch während Cam sein Glück laut hinausposaunen will, möchte Elle ihre Beziehung geheim halten …

DIE RÜCKKEHR DER TRAUMFRAU
Das ist Carissas große Chance: Bei den reichen Dumonts taucht der Caterer nicht auf, und sie soll einspringen! Wenn sie den Job gut macht, ist sie gerettet. Carissa ahnt nicht, dass der attraktive Millionenerbe Jasper Dumont den Partyservice dafür bezahlt hat, wegzubleiben …

SCHON IMMER – FÜR EWIG
Mit diesem Angebot könnte er seine Zeitung retten! Dafür müsste Sawyer Wallace allerdings seine beste Freundin verraten. Denn nur er weiß, dass Riley die mysteriöse Bloggerin ist. Und die Frau, die er schon so lange heimlich liebt … Wird er sie trotzdem verraten?


  • Erscheinungstag 22.09.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751520126
  • Seitenanzahl 480
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

IMPRESSUM

Mit dir kommt das Glück zurück erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de
Geschäftsführung: Katja Berger, Jürgen Welte
Leitung: Miran Bilic (v. i. S. d. P.)
Produktion: Christina Seeger
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© 2017 by Kerri Carpenter
Originaltitel: „Falling for the Right Brother“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA EXTRA, Band 69 (4) 2019
Übersetzung: Patrick Hansen

Umschlagsmotive: GettyImages / YakobchukOlena, karandaev

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2021

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783751506700

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

Werden Sie Fan vom CORA Verlag auf Facebook .

1. KAPITEL

Guten Morgen, liebe Leser! Heute habe ich ein saftiges Gerücht, das euch helfen wird, dem langweiligen Alltag in unserer kleinen Stadt zu entfliehen.

Man erzählt sich, dass eine der bekanntesten Bewohnerinnen von Bayside nach zehnjähriger Abwesenheit zurückgekehrt ist. Vielleicht erinnert ihr euch ja noch an das Mädchen, das unsterblich in Jasper Dumont verliebt gewesen war. Wer könnte vergessen, wie sie ihm damals in diesem Video ihre Liebe erklärt hat? Ihr habt es noch nicht gesehen? Bestimmt hat jemand eine Kopie für euch. *Grins*

Ich freue mich jedenfalls riesig, dass sie wieder da ist. Deshalb lasst mich, eure fabelhafte Bloggerin, die Erste sein, die sagt: Willkommen zurück in Bayside, Ellie Owens.

Elle stieg aus der Straßenbahn und stellte ihr Gepäck ab. Sie atmete einmal tief durch und roch sofort die vertraute frische Luft, die sie mit ihrer Heimat verband.

Sie brauchte einen Augenblick, um sich wieder zurechtzufinden. Der zentrale Platz war mit seinen bunten Geschäften und den blumengesäumten Straßen immer noch hübsch anzusehen. An einer Seite erstreckte sich die Bucht, und die Fischerboote kehrten gerade nach ihren Ausfahrten am frühen Morgen in den Hafen zurück.

Elle wusste, wenn sie die Augen zusammenkniff, könnte sie den kleinen Bungalow sehen, in dem sie bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr mit ihrem Vater gewohnt hatte. Danach war sie aufs College und anschließend nach Italien gegangen. Das strahlend gelb gestrichene Haus mit der windschiefen Terrasse und dem wackeligen Bootssteg gehörte zu den vielen Dingen, die sie vermisst hatte. Für sie war es einzigartig, auch wenn es zwischen den anderen Häusern an der Bucht gar nicht auffiel.

Sie wusste, dass sie vom Steg aus die viel größeren und imposanteren Häuser auf der anderen Seite der Bucht sehen könnte. Dort lebten unter anderem die Dumonts, umgeben von einem kleinen Park und diskreten Zäunen.

Wie oft hatte sie sich nach dem Zubettgehen in die Nacht hinausgeschlichen, um die Musik zu hören, die aus der hell erleuchteten Villa über den See gedrungen war? Die Dumonts schienen damals so oft zu feiern, wie anderen Menschen zum Einkaufen fuhren. Offenbar hatte es nichts Aufregenderes als eine ihrer Partys gegeben. Jeder in der Stadt hatte vom teuren Champagner, der Livemusik und den gelegentlichen Feuerwerken gehört. Aber all das war nicht überraschend bei einer Familie, die mit Immobilien ein sagenhaftes Vermögen gemacht hatte.

Noch faszinierender als der Luxus war für Ellie allerdings immer eine ganz bestimmte Person gewesen. Die Person, die in ihren Kindheitsträumen stets die Rolle des Märchenprinzen gespielt hatte.

Jasper Dumont!

Er war beliebt, unglaublich attraktiv, ein Superathlet in vielen Sportarten und der Star der Schule gewesen. Kein Wunder, dass Elle für ihn geschwärmt hatte.

Natürlich war sie nie zu den Dumonts eingeladen worden. Dabei hatte sie immer davon geträumt, mitten auf der Tanzfläche von Jasper geküsst zu werden.

Diese alberne Kindheitsfantasie würde sie wahrscheinlich niemals loswerden. Wer vergaß schon seine erste Liebe? Selbst wenn diese Liebe der Grund dafür gewesen war, wegen dem sie ihre Heimat hatte verlassen müssen.

Ein Hupen riss sie plötzlich aus ihren Erinnerungen. Ein großer, attraktiver Mann stieg aus einem silberfarbenen Pick-up und kam genau auf sie zu. Elles Augen wurden groß, als sie ihn erkannte.

Das kann nicht sein , dachte sie.

„Cam?“, rief sie fassungslos und winkte ihm zu, bevor sie die große Sonnenbrille auf den Kopf schob.

Er blieb abrupt stehen, dann steckte er die Hände in die Hosentaschen, legte den Kopf schräg und musterte sie. Erst als ein Autofahrer ihn anhupte, ging er weiter. Kopfschüttelnd machte er dem Wagen Platz.

„Ellie? Ellie Owens?“, fragte er.

„Ich ziehe jetzt Elle vor, aber ja, ich bin es. Schön, dich wiederzusehen.“

Wann hatte sie ihn das letzte Mal gesehen? Richtig, bei der Abschlussfeier. Mit zweiundzwanzig Jahren war er nicht nur der ältere Bruder ihres Schwarms gewesen, sondern bereits aufs College gegangen.

Er war ein Einzelgänger, stets am Rand stehend, alles beobachtend, mit einer gelassenen Selbstsicherheit, die kein anderer Mann seines Alters besessen hatte. Mit dem langen Haar und dem finsteren Blick hatte er gefährlich gewirkt. Noch dazu war er über eins neunzig und sehr muskulös.

Das war er auch jetzt noch. Elle fühlte sofort ein Kribbeln im Bauch, als sie das kantige Kinn, die breiten Schultern und die kräftigen Arme betrachtete.

„Willkommen zu Hause, Elle“, sagte er. „Du siehst toll aus.“

Sein Erstaunen wunderte sie nicht. Schließlich war sie früher nicht gerade glamourös gewesen. Sie hatte nie Make-up getragen, denn ihr Vater hätte es niemals erlaubt, und wenn dein Vater zufällig der Polizeichef war, gehorchte man ihm wohl. Ihre Outfits waren auch nicht sehr schmeichelhaft gewesen … Jeans, Flanellhemden, Sweatshirts. Absolut jungenhaft. Außerdem war sie etwas übergewichtig gewesen. Eine gute Schülerin, aber keine gute Sportlerin.

Irgendwann zwischen dem College und dem Umzug nach Italien hatte sie allerdings abgenommen, ihr glattes braunes Haar lang wachsen lassen und angefangen, Make-up aufzulegen.

„Danke“, erwiderte sie lächelnd.

„Hattest du die Grübchen schon immer?“

Was? “, fragte sie mit einem Lachen.

„Nichts. Entschuldige bitte.“

Sie hielt nach dem Wagen ihres Vaters Ausschau, bis ihr einfiel, dass sie gar keine Ahnung hatte, was für einen er jetzt fuhr.

„Ich bin gerade vom Flughafen gekommen und warte hier auf meinen Dad“, erklärte sie.

Er schüttelte den Kopf. „Dein Dad hat mich gebeten, dich abzuholen. Ihm ist etwas dazwischengekommen.“

„Ist er beim Arzt?“, fragte sie besorgt.

Cam nickte. „Lass mich dir helfen.“ Er griff nach ihren Reisetaschen.

Elle nahm ihr Bordcase und ihre Handtasche und folgte ihm zu einem Pick-up, an dessen Seite in großen schwarzen Buchstaben Bayside Builders stand. Er lud ihr Gepäck ein und überraschte sie damit, dass er ihr die Beifahrertür öffnete. Sie stieg ein, er setzte sich ans Steuer und startete den Motor.

„Es ist eine Ewigkeit her, Elle.“

Sie fühlte, wie sich ihre Wangen erwärmten. Spielte er etwa auf die Nacht an, die sie am liebsten vergessen würde?

„Das war vor sehr langer Zeit, Cam.“

Er runzelte die Stirn. „ Was ?“

„Du weißt genau, was ich meine.“ Offenbar doch nicht . „Das Video … über Jasper.“

Wenn sie die Augen schloss, sah sie immer noch das enttäuschte Gesicht ihres Vaters, als seine einzige Tochter auf dem Bildschirm mit schwerer Zunge verkündete, wie sehr sie Jasper Dumont liebte.

Wie hatte sie nur glauben können, dass sie Jasper mit dem Video dazu bringen könnte, sie zu beachten? Wahrscheinlich hatte der Alkohol ihren Verstand benebelt, dass ihr viel zu großes T-Shirt dabei von der Schulter gerutscht war, hatte den Auftritt noch peinlicher gemacht.

Ehrlich gesagt, war es nicht so, dass Elle die letzten zehn Jahre täglich an das Video gedacht hatte. Schon gar nicht, als sie in Italien gewesen war. Warum brauchte sie nur in ihrer Heimatstadt anzukommen und schon überfiel sie in leuchtenden Farben die Erinnerung an die peinlichste Geschichte ihres Lebens?

Cam lachte. „Das hatte ich ja ganz vergessen.“

Wie konnte er das Ereignis, das ihr fast einen Verweis von der Schule eingebracht und sie zum Gespött der ganzen Stadt gemacht hatte, einfach so abtun?

Er musste ihre Verlegenheit bemerkt haben. „Erzähl mir nicht, dass dieses alberne kleine Video der Grund dafür ist, dass du all die Jahre weggeblieben bist.“

Albern? Klein? Es war die erniedrigendste Erfahrung ihres gesamten Lebens gewesen. Vielleicht hatte ihr Vater sie nicht ausschließlich deshalb auf ein College in einer weit entfernten Galaxie verfrachtet, aber es hatte bestimmt eine Rolle gespielt.

Doch ihr Vater hatte – wie üblich – recht gehabt. Bayside zu verlassen und ihren eigenen Weg zu finden war gut für sie gewesen. Außerdem war sie gern aufs College gegangen, zumal sie auf diese Weise ein Jahr im Ausland hatte studieren können. Damals hatte sie sich in Italien verliebt, und später hatte sie sogar in Florenz ihren Master in Kunstgeschichte gemacht. Die Zeit in den faszinierenden Museen und Galerien hatte ihr zu vergessen geholfen, trotzdem hatte sie Heimweh gehabt.

„Freust du dich, wieder hier zu sein?“, fragte Cam.

„Ich habe bestimmte Dinge auf jeden Fall vermisst.“

„Deinen Dad.“

„Wie geht es ihm denn?“

Elle konnte es noch immer nicht fassen, dass ihr Vater ihr die Krebsdiagnose verheimlicht hatte. Als er ihr endlich davon erzählt hatte, war es fast beiläufig geschehen.

„Die Therapie war ziemlich hart für ihn, aber ich glaube, insgesamt geht es ihm gut. Bis auf ein paar Tage hat er nie aufgehört zu arbeiten.“

Vierundzwanzig Jahre lang war ihr Vater der Polizeichef von Bayside gewesen. Nach dem Tod ihrer Mutter waren sie in seine Heimatstadt zurückgekehrt, um noch einmal ganz von vorn zu beginnen. Vor ein paar Jahren hatte er sich dann zur Ruhe gesetzt. Seitdem half er beim Wachschutz in der örtlichen Highschool aus.

„Wirklich?“

Cam nickte. „Ich habe gehört, dass er erst letzte Woche zwei Streithähne getrennt hat.“

„Eine Prügelei? Sollte er sich nicht lieber schonen?“

„Keine Sorge. Die ganze Stadt passt auf ihn auf.“

So wie vor zehn Jahren? Doch Elle vertrieb die Erinnerung. Es war nicht die Schuld der Stadt gewesen, dass er nicht zum County Sheriff gewählt worden war. Das hatte sie ganz allein geschafft. Sie und das verdammte Video!

Cam bog nun auf die Bay View Road ein, weg von der Stadtmitte.

„Bitte sag mir die Wahrheit“, bat sie.

„Die Wahrheit ist, dass er Krebs hat.“

„Das habe ich schon verstanden.“

Elle wusste nicht, was sie erwartete. Dass er sie abgeholt hatte und nach Hause fuhr, war für den Cameron Dumont, den sie kannte, ein gewaltiger Schritt, und dann tat er plötzlich noch etwas, das sie überraschte. Er streckte den Arm aus und drückte aufmunternd ihre Hand.

Ihre Augen wurden groß. Hätte jemand sie gefragt, was los war, hätte sie geantwortet, dass seine Freundlichkeit sie verblüffte, aber es war in Wirklichkeit viel mehr als das. Die Berührung seiner schwieligen Hand hatte sie … etwas fühlen lassen.

„Er wird wieder gesund!“

Sie wusste nicht, warum es so war, aber seine Zuversicht tat ihr gut. „Also lebst du immer noch in Bayside?“

„Ja.“

„Und arbeitest in der Firma deiner Eltern?“

„Nein. Ich habe inzwischen meine eigene gegründet.“

„Wirklich?“ Cam war der älteste Sohn einer Familie, die seit vier Generationen ein Unternehmen betrieb. „Auch in der Immobilienbranche?“

„Ich bin Bauunternehmer.“

„‚Bayside Builders‘ steht auf deinem Wagen.“

„So heißt meine Firma.“

Sie wollte ihn eigentlich noch mehr fragen, aber inzwischen hatten sie 14 Bayview Street erreicht. Cam hielt an und stieg aus, doch Elle rührte sich nicht. Sie sog nun den Anblick des Hauses auf, in dem sie den größten Teil ihres Lebens verbracht hatte. Für sie sah es aus wie immer, auch wenn ihr Vater es frisch gestrichen und neue Fensterläden angebracht hatte.

„Willst du nicht aussteigen? Wir sind da.“

Sie lächelte ihn an. „Danke für den Hinweis.“

Als er ihren Gurt löste, nahm sie einen äußerst männlichen Duft wahr … Seife und Holz.

„Wann hast du dir denn den Bart abrasiert?“, fragte sie neugierig.

Verwirrt sah er sie an und strich sich über die Stoppeln. „Schon vor Jahren.“

Jetzt, da sie ihn genauer betrachtete, erkannte Elle, dass Cam und Jasper einander kaum ähnlich sahen. Jasper hatte helles Haar und blaue Augen, war groß, aber schlaksig. Cam war dunkelhaarig und kräftig. Beide Brüder waren attraktiv, aber auf unterschiedliche Weise.

„Hast du noch einen Schlüssel?“

Cams Frage riss sie aus ihren Gedanken, und nun stieg sie endlich aus.

„Keine Sorge.“ Sie ging zu der kleinen Veranda, bückte sich und musste lächeln, als ihre Finger den Schlüssel unter dem Keramikfrosch, der an der Haustür wachte, ertasteten.

Cam stellte ihr Gepäck auf den Boden. Sie drehte sich um und wollte ihm danken, aber bevor sie ein Wort herausbekam, ließ er den Blick über ihren ganzen Körper wandern, bis sie sich verlegen abwandte.

„Ich freue mich, dass du zurück bist, Elle“, sagte er, bevor er zu seinem Wagen ging.

Sie fragte sich, warum ihr plötzlich so warm wurde, dass sie tief durchatmen musste.

Cam hielt sich eigentlich für einen vernünftigen, nervenstarken Mann, aber als er Ellie Owens wiedergesehen hatte, war etwas mit ihm passiert. Eine Reaktion, die mit dem Verstand nicht zu erfassen war.

„Verdammt“, sagte er laut, als ihr Haus im Rückspiegel kleiner wurde. Kurz darauf fiel ihm ein, dass er den Akkubohrschrauber, mit dem er am liebsten arbeitete, am Abend zuvor bei seinen Eltern gelassen hatte.

Gerade noch rechtzeitig bog er nach rechts ab und steuerte das Ostufer der Bucht an. Seine Mutter hatte ihn gebeten, ein Regal zu reparieren. Als er mit seinem Werkzeug bei ihr erschienen war, hatte sich das Problem plötzlich erledigt. Stattdessen hatte – Überraschung – eine attraktive Frau in einem der Wohnzimmer gesessen. Dieses Mal war es die Innenarchitektin seiner Mutter gewesen.

Cam liebte seine Mutter, aber seit er dreißig war, versuchte sie, ihm Frauen ans Herz zu legen. Als er an Elle dachte, verzog er kurz das Lenkrad.

Die kleine Ellie Owens, die ihre Nase immer in einem Buch oder über einem Zeichenblock gehabt und Jeans mit geflickten Knien getragen hatte. Niemals war sie unangenehm aufgefallen … bis dieses idiotische Video die Runde gemacht hatte. Cam erinnerte sich daran, wie peinlich es Jasper gewesen war. Er selbst hatte es gar nicht so schlimm gefunden. Irgendwann aber war aus der langweiligen Musterschülerin eine atemberaubende und interessante Frau geworden.

Cam bog jetzt auf das Anwesen ein und winkte Stan, dem Obergärtner, zu. Er parkte den Pick-up und rannte hinein, um schnell den Akkuschrauber zu holen. Er wollte gerade wieder ins Auto steigen, als er bemerkte, dass außer den Wagen seiner Eltern auch noch der seines Bruders in der Einfahrt stand. Er ging daraufhin die Stufen der vorderen Veranda hinauf und betrat das imposante Gebäude, in dem er aufgewachsen war.

Noch bevor er den Wintergarten betrat, hörte er laute Stimmen.

„So eine große Sache ist es doch nicht.“

„Du denkst, du kannst einfach herkommen und Dinge verändern, als würde dir alles gehören?“, fragte sein Vater.

„Irgendwie gehört es mir doch.“

Noch nicht“, warf seine Mutter ein. „ Noch haben dein Vater und ich das Kommando hier.“

Cam verdrehte die Augen. Seine Eltern und sein Bruder gerieten mittlerweile fast täglich aneinander.

„Wir brauchen einen besseren Auftritt in den sozialen Medien“, erklärte Jasper. „Unsere PR-Abteilung lebt noch in der Steinzeit.“

„Es kommt mir so vor, als wolltest du gar nicht mit uns zusammenarbeiten.“ Cam hörte, wie frustriert sein Vater klang.

„Natürlich will ich das“, widersprach ihm Jasper. „Wäre ich sonst hier?“

Cam entschied sich, seinem kleinen Bruder zu helfen. Er hustete kurz und betrat den Raum.

„Da ist ja mein gut aussehender Sohn.“ Lilah Dumont stand auf und umarmte ihn.

„Hey“, rief Jasper. „Ich dachte, ich bin dein gut aussehender Sohn.“

„Oh, das bist du, aber nur, wenn du mich nicht gerade mit neuen Ideen wie Hashtags ärgerst.“

„Hallo, Pops“, sagte Cam zu seinem Vater.

„Warum bist du denn nicht bei der Arbeit?“

„Warum seid ihr es nicht?“, konterte er.

„Wir arbeiten doch.“ Seine Mutter goss ein Glas Limonade ein und gab es ihm. „Wir diskutieren gerade die neueste Idee deines Bruders. Danach wollten wir über die nächste Spendengala reden.“

Cam zog eine Augenbraue hoch. „Spendengala?“

„Ja.“

„Aha, also eine Party.“ Seine Mutter liebte Partys. Aber Lilah Dumont war viel mehr als eine vergnügungssüchtige Lady der feinen Gesellschaft. Selbst im Abendkleid nutzte sie jede Gelegenheit, um über Geschäfte zu reden.

„Die sozialen Medien sind auch eine virtuelle Party, die uns mit den richtigen Leuten in Kontakt bringt“, warf Jasper ein.

„Warum muss denn nur immer alles über Computer, Smartphones oder Instagram laufen?“, fragte seine Mutter. „Die Leute mögen auch persönliche Gespräche.“

„Warum schuftest du denn nicht auf irgendeiner Baustelle?“, fragte sein Bruder. „Um diese Zeit steckst du doch normalerweise unter einer dicken Schicht aus Staub und Schweiß.“

„Ich habe mich mit einem Kunden getroffen.“ Cam nahm sich einen Apfel aus der Obstschale auf dem Tisch. „Aber du errätst nie, wen ich danach abgeholt habe.“

„Schlimm genug, dass du mit deiner alten Kiste durch die Gegend fährst“, begann sein Bruder.

„Hey, ich mag meinen Pick-up. Es gibt auch noch andere Autos als Lamborghinis. Jedenfalls habe ich Ted Owens heute Vormittag einen Gefallen getan.“

„Wegen seines Arzttermins?“, fragte sein Vater. „Ich muss ihn noch anrufen und fragen, wie es gelaufen ist.“

Es gab viele Dinge, die man an Collin Dumont kritisieren konnte, aber in einer Hinsicht fand Cam ihn vorbildlich. Er respektierte sein Personal, seine Freunde und die Bürger von Bayside. Er war seit Jahren mit Ted befreundet, und Cam hörte ihm an, wie besorgt er um ihn war.

„Ja, er hatte einen Termin, deshalb musste ich seine Tochter abholen.“

„Ellie?“, fragte seine Mutter verblüfft. „Ist sie aus Italien zurück?“

„Wer ist denn Ellie?“, wollte Jasper wissen.

Manchmal wusste Cam nicht, ob er sich über seinen Bruder ärgern oder ihn um seine Vergesslichkeit beneiden sollte.

„Ellie Owens, die Tochter von Ted, dem ehemaligen Polizeichef.“ Sein Bruder schien noch immer nicht zu wissen, von wem er sprach. „Ihr wart in der Schule in einer Klasse.“

„Waren wir ein Paar?“

Ihre Mutter lachte. „Ganz bestimmt nicht.“

„Hat sie nicht irgendein Video über dich gemacht, das beim Abschlussball gezeigt wurde?“, fragte sein Vater jetzt.

Cam hielt die Luft an. Er hatte nie verstanden, warum Elle das Video gemacht hatte. Die ganze Sache passte überhaupt nicht zu ihr. Rasch wechselte er deshalb das Thema. „Sie ist nun wieder hier und will sich um ihren Dad kümmern. Übrigens sieht sie toll aus.“

„Tatsächlich?“ Jetzt klang Jasper interessiert.

„Offenbar hat ihr Europa gutgetan.“

„Schön für sie. Ich fand sie immer ganz süß, und jeder wusste, wie schlau sie war. Sie hätte eine Auszeichnung bekommen, wenn …“

„Hat sie sich nicht nach dem Abschlussball in die Bucht gestürzt?“, fragte Collin.

Noch ein Aspekt der Geschichte, der für Cam keinen Sinn ergab. Angeblich war sie nach der Veröffentlichung des Videos so verzweifelt gewesen, dass sie ins Wasser gesprungen war. Wer das tat, um zu ertrinken, konnte normalerweise nicht schwimmen, aber Elle war eine großartige Schwimmerin gewesen.

„Lad sie doch zu der Party am Freitag ein“, schlug Collin vor.

„Gute Idee“, fügte Lilah hinzu.

„Ich weiß nicht, ob …“

„Mit einem heißen Mädchen rauche ich gern die Friedenspfeife“, sagte Jasper grinsend.

Cam ignorierte ihn. „Ich habe gar keine Einladung bekommen.“

„Damit du nicht absagen kannst.“

Cam hatte eigentlich vorgehabt, am Freitag früher Feierabend zu machen und mit ein paar Mitarbeitern Golf zu spielen. „Was gibt es denn zu feiern?“

„Wir brauchen doch keinen Anlass“, antwortete seine Mutter. „Es ist eine Party, keine Beerdigung, und ich erwarte, dass du kommst.“

Cam stellte sein Glas etwas heftiger als nötig ab. Einen Moment lang sagte niemand etwas, dann sah Collin von seinem iPad auf.

„Auch wenn du nicht für die Familie arbeiten willst, gehörst du immer noch dazu.“

Cam hasste es, dabei den Schmerz in den Augen seines Vaters zu sehen. Er öffnete den Mund, aber Jasper kam ihm zuvor.

„Lass ihn, Dad“, griff Jasper ein. „Ich arbeite doch für die Familie.“

„Und wie du das tust“, entgegnete sein Vater. „Dauernd willst du alles verändern.“

Jetzt war es Jasper, dessen Blick voller Schmerz war, und Cam hätte sich selbst am liebsten einen Fußtritt verpasst. Er war nicht hergekommen, um einen Streit auszulösen. Das schlechte Gewissen, ein eigenes Unternehmen gegründet zu haben, quälte ihn jeden Tag.

Cam hatte seinen Vater auf jede Baustelle begleitet, und Collin hatte ihn stets stolz als zukünftigen Chef von Dumont Incorporated vorgestellt, aber der Erste, der mit Cam wirklich über seine Arbeit geredet hatte, war Rick, der Vorarbeiter auf einer der Baustellen gewesen. Geduldig hatte er ihm jede Frage beantwortet. Mit einem Helm herumzulaufen und sich alles anzusehen war für Cam ein tolles Gefühl gewesen. Im Büro seines Vaters hatte er sich hingegen immer nur gelangweilt.

In einem Sommer hatte Cam dann verkündet, dass er mit Rick am Bau eines neuen Kinozentrums arbeiten wollte. Sein Vater hatte nicht begriffen, dass Cam lieber mit den Händen arbeitete, und deshalb damit angegeben, dass sein Sohn das Geschäft von der Pike auf lernen wollte.

Erst als Collin demonstrativ hustete, kehrte Cam in die Gegenwart zurück.

„Entschuldigt mich. Ein Anruf“, log er, hob sein Handy und eilte zur Haustür.

„Cam, warte.“ Mit besorgter Miene holte Jasper ihn ein.

„Hör nicht auf den alten Mann. Du machst einen tollen Job.“

„Ja, klar. Ich schaffe es nicht, meinen Vater für meine Ideen zu interessieren, geschweige denn den Rest des Vorstands. Wie soll ich es da jemals auf die Titelseite von Forbes schaffen?“

Cam ertrug es nicht, seinen Bruder so frustriert zu sehen. „Ich komme nachher noch bei dir vorbei, um die Balkontür zu reparieren.“

„Du bist mir nichts schuldig.“

Doch, und ein paar Dinge in Jaspers Wohnung zu erledigen reichte als Wiedergutmachung noch lange nicht aus.

„Ich bin gegen sieben bei dir“, sagte Cam. „Bist du glücklich?“

Was ?“

„Beantworte einfach die verdammte Frage, Jasp.“

Jasper seufze. „Es geht mit gut. Hör auf, dir Sorgen um mich zu machen. Alles ist bestens.“

„Sag mal, erinnerst du dich wirklich nicht mehr an Elle Owens?“

Jasper zuckte mit den Schultern. „Nicht richtig, aber wenn du sagst, sie sieht jetzt hinreißend aus …“

Hinreißend habe ich nicht gesagt.“ Aber es hätte ihm durchaus herausrutschen können. Plötzlich fühlte er sich unwohl. Auf dem Weg zu seinem Pick-up dachte er daran, was für eine atemberaubende Frau Elle geworden war.

2. KAPITEL

„Nach heutigem Stand krebsfrei.“

„Wirklich?“, fragte Elle. Sie wusste besser als alle anderen, dass ihr Vater Dinge gern herunterspielte.

„Großes Ehrenwort.“ Er küsste sie auf den Kopf. „Tut mir leid, dass ich dich heute Morgen nicht abholen konnte.“

„Kein Problem.“ Sie musterte ihn. Er sah aus wie immer, wenn auch blass und etwas schmaler. „Was hat der Arzt genau gesagt?“

„Unser Essen wird kalt.“

„Nicht, wenn du dich beeilst und mir alles erzählst.“

„Du warst schon immer ein trotziges kleines Ding“, sagte er lachend.

„Von wem ich das wohl habe?“

„Der Doc hat gesagt, dass er bei der Untersuchung letzte Woche keine gefährlichen Zellen mehr gefunden hat.“

Elle würde darauf achten, dass ihr Vater regelmäßig zur Kontrolle ging. Ihre Mutter hatte sie bereits verloren. Als sie zwei Gläser von der Theke nahm, fiel ihr Blick plötzlich auf eine Einladung.

Ihr Vater schaute auch darauf. „Mrs. Dumont gibt am Freitag mal wieder eine Party. Das Thema ist Printemps. “ Er verdrehte die Augen und nahm ihr die Gläser ab.

„Frühling“, murmelte Elle. „Gehst du hin?“

„Natürlich nicht. Keine Ahnung, warum sie mich überhaupt noch einladen.“

Elle lächelte, setzte sich an den Tisch und prostete ihm mit der Flasche Wein zu, die sie aus Italien mitgebracht hatte.

„Auf deine Gesundheit.“

„Darauf, dass mein kleines Mädchen wieder zu Hause ist.“

Sie feierten ihre Rückkehr mit einer riesigen Schüssel Spaghetti mit Hackfleischbällchen. Ihr Vater hatte darauf bestanden, „seine Spezialität“ zu kochen. Elle musste lachen. In Italien war sie kulinarisch sehr verwöhnt worden, aber das hier war immer noch die beste Pasta ihres Lebens.

„Was ist eigentlich aus dem netten Burschen geworden, dem ich begegnet bin, als ich dich Weihnachten besucht habe?“

„Marco“, sagte sie.

Marco war sexy und süß gewesen. Sie waren ein Jahr lang zusammen gewesen. „Ich wusste nicht, wie lange ich hierbleiben würde, und keiner von uns wollte eine Distanzbeziehung.“

„Die müsst ihr doch nicht haben. Warum bist du überhaupt nach Bayside zurückgekehrt, Ellie?“

Die Frage traf sie. Wollte er sein einziges Kind etwa nicht bei sich haben? Weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe. „Ich brauchte einfach mal einen Ortswechsel.“

„Ich hoffe nur, du dachtest nicht, dass dein alternder Vater eine Betreuerin braucht.“

„Ganz bestimmt nicht.“

„Ellie …“

„Elle, Dad! Ich nenne mich jetzt Elle.“

„Richtig.“ Er tätschelte ihre Wange. „Aber für mich bleibst du trotzdem immer meine kleine Ellie.“ Ihr Vater wurde nun wieder zum sachlichen Ex-Polizisten. „Was willst du denn hier tun? Es gibt keine Galerien oder Museen in dieser Gegend.“

Sie stand auf und schloss das Fenster. Sie hatte keine Ahnung, wo sie arbeiten könnte. Sie hatte sich bei jedem Museum beworben, das höchstens eine Stunde mit dem Auto entfernt lag, aber noch keinen Job gefunden.

Sie setzte sich wieder. „Ich arbeite daran, keine Sorge.“

„Keine Sorge? Wenn du eines Tages selbst ein Kind hast, wirst du begreifen, wie unmöglich das ist.“

„Daddy …“

„Ich werde mir immer Sorgen um dich machen.“

Seufzend umarmte sie ihn. „Deshalb liebe ich dich.“

Sie wuschen zusammen ab, dann tat ihr Vater etwas, das sie in der Ferne schmerzlich vermisst hatte. Er stellte das Radio an, und seine geliebten Oldies drifteten durch das Haus. Erfreut setzte sie sich anschließend mit ihm ins Wohnzimmer, wo er die Tageszeitung überflog und sie so tat, als würde sie das Kreuzworträtsel lösen.

„Cam Dumont hat mich heute abgeholt.“ Warum musste sie ausgerechnet jetzt an ihn denken?

„Cam ist ein guter Mann.“

„Ja, er kam mir sehr gut vor.“ Sie wartete darauf, dass ihr Vater mehr über Cam erzählte, aber das tat er nicht.

„Was hast du morgen vor?“

Elle überlegte. Ohne einen Job und Freunde blieben ihr nicht viele Möglichkeiten.

„Warum gehst du nicht in das Brewside ? Das ist ein neuer Coffeeshop, der vor zwei Jahren eröffnet hat“, erklärte er.

„Ich könnte ja meinen Skizzenblock mitnehmen.“

Die Vorstellung, sich wieder mehr Zeit für ihre eigene Kunst nehmen zu können, ließ sie unwillkürlich lächeln.

„Jedes Mal, wenn ich dich sehe, siehst du hübscher aus“, sagte ihr Vater leise.

„Oh Daddy. Du hast mich doch erst vor drei Monaten gesehen. So sehr habe ich mich seitdem nicht verändert.“

Er nahm einen silbernen Fotorahmen vom Beistelltisch. Ohne hinzusehen wusste Elle, dass es ein Schnappschuss von ihr war, als sie mit fünfzehn auf einen Baum geklettert war. Sie trug Cutoff-Jeans und ein unvorteilhaftes kastanienbraunes Sweatshirt, einen Pferdeschwanz und kein Make-up und sah extrem jung und naiv aus.

Ihr Vater betrachtete das Foto. „Die Zeit vergeht so schnell“, murmelte er, mehr zu sich selbst als zu ihr.

„Ich glaube, es ist Zeit, dass du zu Bett gehst. Ein weinerlicher Daddy ist ein müder Daddy.“

„Da könntest du recht haben. Es war ein langer, aber guter Tag. Willkommen zu Hause, Prinzessin.“ Er küsste sie auf die Stirn und ging davon.

Elle nahm sich eine Wolldecke von der Couch und begab sich auf die Terrasse. Das Wasser der Bucht lag ruhig da, um diese Jahreszeit wurde die Luft schnell kühler. Sie lauschte dem Plätschern der Wellen. Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit musste sie an Cam denken. Wahrscheinlich war sie einfach nur übermüdet nach der langen Reise und dem emotionalen Wiedersehen mit ihrem Vater. Bestimmt war das der einzige Grund, warum sie dauernd Cams anziehendes Lächeln, seine rätselhaften Augen und seinen athletischen Körper vor sich sah.

Natürlich wollte sie möglichst viel Zeit mit ihrem Vater verbringen, aber er und dieses winzige Haus waren nur ein kleiner Teil von Bayside. Morgen würde sie sich dem Rest der Stadt stellen müssen.

Elle wusste, dass sie längst nicht mehr das Mädchen auf dem Foto war. Jetzt musste sie nur noch einen Weg finden, auch alle anderen davon zu überzeugen.

Nachdem ihr Vater zur Arbeit gegangen war, machte Elle sich mit ihrem Skizzenblock auf den Weg zum neuen Coffeeshop. Die kühle Morgenluft tat ihr gut. Sie hatte eine unruhige Nacht hinter sich. Eingeschlafen war sie erst weit nach Mitternacht, um gegen halb fünf schon wieder aufzuwachen. Dämlicher Jetlag.

Vielleicht lag es aber auch an Cam Dumont, dass sie kaum ein Auge zugetan hatte.

Sie blieb abrupt stehen. „Hör endlich auf, an Cam Dumont zu denken“, flüsterte sie. Sie nickte zur Bekräftigung und ging weiter.

Das Brewside Café lag zwischen einem Schuhladen, den es schon ewig gab, und einer neuen, teuer aussehenden Boutique. Als sie eintrat, läutete eine Glocke über der Tür, und der würzige Duft von gerösteten Kaffeebohnen stieg ihr in die Nase.

Sie bestellte einen Espresso und einen Weizen-Bagel. Ein hochgewachsener Mann mit freundlichen blauen Augen hörte daraufhin auf, den Tresen zu wischen, und musterte sie neugierig.

„Hi. Ich bin Tony. Mir gehört dieser Laden.“

„Hallo. Ich bin …“

„Ellie Owens. Ich weiß.“

„Woher?“

„Wer jeden Morgen ein legales, süchtig machendes Aufputschmittel serviert, wird schnell zum besten Freund von so gut wie jedem in dieser Stadt. Ich habe ein gutes Personengedächtnis, und Sie habe ich hier noch nie gesehen.“ Er griff nach der Lokalzeitung und reichte sie ihr. „Außerdem sind Sie geoutet worden.“

Wie bitte ?“

„Von der Bayside Bloggerin. Sie haben es sowohl in die Online- als auch die Printausgabe der Zeitung geschafft.“

„Wer ist die Bayside Bloggerin?“

„Die beliebteste Kolumnistin des Bayside Bugle .“ Eine Frau in leuchtenden Farben stellte sich nun neben Elle. „Riley Hudson“, stellte sie sich vor. „Wir waren in einem Abschlussjahrgang zusammen.“

Richtig. Riley Hudson aus der Hudson-Familie, die schon ewig in Bayside lebte. Elle erinnerte sich daran, dass Riley lebhaft, populär, hübsch und immer so angezogen gewesen war, als wäre sie gerade vom Fotoshooting eines Modemagazins gekommen. Daran hatte sich offenbar wenig geändert. Sie trug ein grüngelbes Kleid in A-Linie, ein fuchsienfarbenes Tuch und eine dazu passende Sonnenbrille in ihrem welligen roten Haar.

„Hallo, Riley. Schön, dich wiederzusehen.“

„Willkommen zurück.“

Während Riley einen fettfreien Latte macchiato bestellte, überflog Elle die Zeitung. Unglücklich verliebte Ellie Owens kehrt nach Bayside zurück. Sie verschluckte sich fast an ihrem Espresso. Der Artikel erwähnte natürlich die dämliche Sache mit Jasper und dass sie lange in Italien gelebt hatte.

Lasen die Leute so etwas wirklich? Ihr Vater etwa auch? Elle biss sich auf die Lippe. Sie hatte ihren Vater damals gründlich blamiert und wollte es bestimmt kein zweites Mal tun.

„Wenn du etwas über die Bayside Bloggerin wissen willst, dann frage mich. Ich lese ihre Kolumne regelmäßig. Die ist wie die Seite sechs der New York Post , nur hier in Bayside. Wollen wir zusammensitzen?“, fragte Riley.

Elle fand ihren Elan ansteckend und folgte ihr deshalb zu einem Tisch. „Ist das so etwas wie eine Klatschkolumne?“

„Ja, und zwar eine sehr ärgerliche“, sagte der Barista. „Die verdammte Bloggerin hat mir damals echte Probleme mit meiner Freundin eingebracht, als sie berichtet hat, dass ich mit meinen Kumpels im Beer Bash war.“

„Du warst im Beer Bash , Tony. Ich habe dich dort gesehen“, erwiderte Riley.

„Aber vielleicht habe ich Elizabeth ja erzählt, dass ich mir an dem Abend bei Alan ein Spiel im Fernsehen ansehen wollte.“

Riley verdrehte die Augen. „Dann bist du selbst schuld. Die Bloggerin hat nur die Wahrheit geschrieben.“

Er entfernte sich und murmelte etwas, das sich nicht sehr schmeichelhaft anhörte. Lächelnd wandte Riley sich wieder Elle zu. „Freust du dich, zurück zu sein?“

„Ich glaube schon.“ Sie musste gähnen. „Entschuldige bitte, der Jetlag.“

„Sechs Jahre in Europa. Ich beneide dich. Was hast du dort getan?“ Riley schüttete Süßstoff in ihren Latte und lehnte sich mit verträumtem Blick zurück. „Stundenlang in Cafés gesessen, mit feurigen Italienern, die an deinen Lippen hingen? Ich sehe Teller voller sündhafter Pasta und Caprese-Salat und Gläser mit Chianti.“

Elle lachte. „Das mit dem Wein stimmt.“ Sie beugte sich vor und senkte die Stimme. „Aber du vergisst die unglaublichen Designer-Schuhe.“

Riley seufzte. „Jetzt bin ich noch neidischer.“

Elle nippte an ihrem Kaffee. „Ich wünschte, ich könnte erzählen, dass es nur Vergnügen und keine Arbeit war, aber ich musste dort auch meinen Lebensunterhalt verdienen. Selbst in einem so entspannten Land wie Italien muss man für Essen und Wohnung bezahlen.“

„Schade.“ Riley schüttelte den Kopf. „Als was hast du denn gearbeitet?“

„Mein letzter Job war in einer Galerie um die Ecke vom Duomo, aber ich habe auch in vielen Museen gearbeitet.“

Riley zeigte auf Elles Skizzenblock. „Bist du eine Künstlerin, Ellie Owens?“

Der bewundernde Unterton machte Elle unwillkürlich stolz. „Es ist nur ein Hobby, außerdem nenne ich mich jetzt Elle.“

„Nicht mehr Ellie?“

„Die habe ich schon vor langer Zeit in Rente geschickt. Was machst du jetzt?“

Riley strich über ihre karierte Computertasche. „Ich bin Schriftstellerin.“

Elle lächelte. „Das erklärt die farbenfrohen Beschreibungen. Was schreibst du denn?“

„Ich würde natürlich gern den nächsten großen amerikanischen Roman schreiben, oder wenigstens eine Liebesgeschichte, die die Frauen an jedem Strand im Land verschlingen, aber im Moment bin ich Reporterin beim Bayside Bugle . Ich schreibe für den Stil-und-Unterhaltungs-Teil.“

„Augenblick mal.“ Elle legte den Bagel ab. „Wenn du für den Bugle schreibst, musst du doch auch wissen, wer diese Bayside Bloggerin ist.“

„Schön wär’s. Freunde haben mir schon viel Geld geboten, wenn ich ihre Identität enthülle. Leider weiß nur einer, wer sie ist. Sawyer, unser Chefredakteur. Dem wurde auch schon Geld angeboten, Konzertkarten, Einladungen zum Essen, was du willst, aber er hält absolut dicht.“

„Sawyer Wallace? War der nicht auf der Schule zwei Jahrgänge über uns?“

„Das stimmt.“

„Und hat er nicht ein Loch in die Wand zwischen den Umkleideräumen der Jungs und Mädchen gebohrt?“

Sie hörten Tony daraufhin an der Bar lachen.

„Sawyer hat sich nicht großartig verändert“, sagte Riley. Elle wurde bewusst, dass sie in den letzten zehn Minuten mehr mit Riley Hudson geredet hatte als in der gesamten Schulzeit. Nicht, dass Riley ihr damals unsympathisch gewesen war, aber sie hatten sich in vollkommen unterschiedlichen Kreisen bewegt.

Die Glocke über der Tür läutete, und hereinkam kein Geringerer als Cam Dumont. Riley winkte ihm zu. „Hallo, Hübscher.“

„Wenn das nicht das Mädchen ist, das Bayside in ihr eigenes kleines Manhattan verwandeln will“, erwiderte er.

„Ein kleiner Schritt nach dem anderen. Da wir gerade von Eleganz und Stil reden, deine Mutter hat mich zu ihrer Soiree eingeladen. Ich komme natürlich gern.“

„Du und der Rest des Planeten.“ Cam verdrehte die Augen, bevor er Elle ansah. „Morgen, Elle.“

„Hi, Cam. Schön, dich wiederzusehen.“

Er ging zur Theke und bestellte einen großen Kaffee to go. Während er sich mit Tony unterhielt, bemerkte Elle nicht zum ersten Mal, wie Cams verwaschene Jeans an bestimmten Körperstellen saß. Jetzt, da sie genauer hinschaute, musste sie zugeben, dass Cam Dumont ein wahrer Augenschmaus war. Kein Wunder, dass sie gestern Abend dauernd an ihn gedacht hatte … und auch heute Morgen.

Wahrscheinlich sah er mit einem Werkzeuggürtel um die schmalen Hüften noch attraktiver aus … und wenn es ein heißer Tag war und er dann noch sein Shirt auszog …

„Hast du Jasper schon gesehen?“

Elles Espresso schwappte auf die Zeitung. Sie nahm die Serviette, die Riley ihr reichte, und registrierte, dass Cam, Tony und die alten Männer am Tisch auf der anderen Seite alle in ihre Richtung schauten. „Nein.“

„Du siehst ihn bestimmt auf der Printemps -Party.“

„Da gehe ich nicht hin.“

Entgeistert starrte Riley sie an. „Wie bitte? Warum um alles in der Welt gehst du nicht dorthin?“

„Ich bin nicht eingeladen.“

„Aber dein Dad. Wie geht es ihm überhaupt? Du musst unbedingt kommen. Ich mache dich dann mit den neuen Gesichtern von Bayside bekannt.“

Vielleicht lag es an ihrem Jetlag, aber Elle fand Riley langsam immer anstrengender.

Cam räusperte sich, bis beide Frauen ihn ansahen. „Ich soll dich zur Party morgen einladen.“

Du meine Güte , dachte Elle. Konnte man noch gelangweilter klingen?

„Cam, wie süß von dir“, sagte Riley begeistert.

„Meine Mom hat mich darum gebeten.“

Auch das noch. „Ich werde wohl nicht hingehen“, begann sie.

Cam atmete hörbar auf und trank einen großen Schluck Kaffee. „Ja, das ist vermutlich auch besser so.“

Cam wollte nicht, dass sie hinging? Etwa wegen des Videos?

Nun regte sich ihr Trotz. „Weißt du was, vielleicht sollte ich doch vorbeischauen, wenn deine Mom mich schon einlädt.“

Riley klatschte begeistert in die Hände. „Ja!“

Cam machte ein langes Gesicht. „Bist du dir sicher? Es ist eine ziemlich formelle Party mit Smoking und so.“

„Kein Problem. Ich habe mir erst kürzlich in Mailand ein Abendkleid gekauft.“

„Ein Abendkleid aus Mailand? Oh mein Gott, du bist der coolste Mensch, den ich kenne. Ich muss sofort deinen Kleiderschrank plündern.“

Elle lächelte Riley zu, während Cam ein finsteres Gesicht machte.

„Die Partys meiner Mutter werden überschätzt, glaube mir“, murmelte er.

Genug war genug. Sie stand auf und sah Cam tief in die Augen. Das war nicht ganz einfach, denn sie war viel kleiner als er. Sie hob das Kinn und fixierte ihn mit ihrem einschüchterndsten Blick.

„Vielleicht sollte ich mir selbst ein Urteil darüber bilden?“

„Es wird nicht so laufen, wie du willst“, erwiderte Cam so leise, dass nur Elle es hörte.

„Wie will ich es denn?“

Elle sah, wie es in ihm arbeitete.

„Jasper“, flüsterte er schließlich.

Das hatte sie vermutet. Selbst Cam nahm an, dass sie sich immer noch wegen Jasper zum Gespött der Leute machen würde.

Sie war noch keine vierundzwanzig Stunden zurück und kam sich schon wie eine Ausgestoßene vor. Dabei hatte sie wirklich geglaubt, dass ein volles Jahrzehnt gereicht hätte, den kleinen Moment zu vergessen, in dem sie den Verstand verloren hatte.

Sie wollte Cam erklären, dass sie nicht mehr das Mädchen von damals war, aber sie wusste andererseits ja nicht, was sie fühlen würde, wenn sie Jasper wiedersehen würde. Bei der Vorstellung daran zog sich in ihr etwas zusammen. Was erwartete Cam denn von ihr? Dass sie seinen Bruder erblicken und sich ihm zu Füßen werfen würde?

Elle nahm ihre Sachen und stand auf. „Diese Party würde ich mir für nichts auf der Welt entgehen lassen.“

Dann nickte sie Riley zu und verließ das Café so würdevoll wie nur möglich.

3. KAPITEL

Bayside Blogger @BS Blogger

Erster kleiner Knüller des Tages: Ellie Owens im The Brewside gesichtet, wo ein gewisser attraktiver Einsiedler sie vor den Kopf gestoßen hat, bis sie aus dem Café flüchtete …

„Elle, warte!“ Cam eilte hinter ihr her.

Es war ja nicht so, dass er Elle morgen Abend nicht sehen wollte, er wollte nur nicht, dass sich auf der Party seiner Mutter sämtliche Klatschtanten der Stadt wie die Vögel in Hitchcocks Film auf sie stürzten .

Natürlich wusste er, dass sie sich geändert hatte, auch Jasper hatte sich verändert. Aber alle anderen? Ganz bestimmt nicht. Er lebte zwar gern in Bayside, aber er war nicht blind gegenüber den Nachteilen einer Kleinstadt – die Leute hier liebten Gerüchte und klammerten sich an die Vergangenheit.

Elle und Jasper in einem Raum mit der ganzen Stadt … mehr Zutaten brauchte es nicht für eine Katastrophe.

Aber das musste er Elle erklären, oder sich wenigstens bei ihr entschuldigen. Er sah ihr hellbraunes Haar im Wind wehen, als sie gerade den Marktplatz überquerte.

„Elle, bleib doch stehen.“

„Ich habe dir nichts mehr zu sagen.“ Sie ging weiter.

Er hielt sie jetzt am Arm fest, doch sie riss sich los und drehte sich zu ihm um. „Was ist denn dein Problem?“

„Ich wollte dir nur sagen, dass es mir leidtut.“

Sie blinzelte heftig.

„Ich glaube, du hast da etwas falsch verstanden“, sagte er. „Die Partys meiner Eltern …“ Er hob hilflos die Hände. „Die sind … ich meine, die Leute, die dort hingehen … Ich möchte nur nicht, dass …“

„Schon kapiert. Du denkst, ich mache eine Szene und ruiniere allen den Abend.“

„Nein!“

„Was dann?“, fragte sie.

„Ich hasse diese Partys!“

„Die Partys deiner Eltern stehen auf einer Ebene mit …“, sie tippte sich an die Lippen, „… den Bällen nach der Oscar-Verleihung, der Amtseinführung des Präsidenten und den Festen der Royals.“

Jetzt musste er lachen. „Mit denen kenne ich mich leider nicht aus. Ich glaube natürlich nicht, dass du morgen eine Szene machen würdest, aber um ehrlich zu sein, würde es den Abend wahrscheinlich unterhaltsamer machen.“

„Cam.“ Sie verdrehte die Augen, lächelte aber dabei.

Sie hatte ein wunderschönes Lächeln. Es ließ ihr Gesicht leuchten und die hinreißenden Grübchen hervortreten.

„Was ist dann der wahre Grund, warum du nicht willst, dass ich zur Party gehe?“, fragte sie leise.

Er schaute sich auf dem Marktplatz um. Bayside war sein Zuhause. Die Atmosphäre hier hatte etwas Tröstendes.

„Weißt du“, begann er mit einer vagen Geste, „manche Dinge haben sich hier verändert, seit du weggegangen bist, aber andere leider nicht so sehr.“

Elle nickte. „So ist das nun mal.“

„Es gibt da aber etwas, das du wissen solltest.“ Er zögerte.

„Was denn?“

Er fuhr sich mit der Hand durch das Haar. „Schon gut.“

„Bist du dir sicher?“

„Hast du tatsächlich ein Abendkleid aus Mailand?“

Elle lächelte. „Ja.“

„Warst du oft dort?“

„Hin und wieder. Am liebsten bin ich aber in den Süden gefahren. Neapel hat die beste Küche der Welt.“

Nun war Cams Interesse geweckt. Kein Wunder, denn ihre Augen funkelten, während sie von dem Land erzählte, dass sie so sehr liebte.

„Ich dachte, in Italien gibt es überall tolles Essen“, sagte er.

Sie leckte sich die Lippen, und er starrte fasziniert auf ihren Mund.

„Das stimmt. Aber in der Toskana wird das Essen zum Beispiel nicht gesalzen, was etwas gewöhnungsbedürftig ist, aber dann …“ Sie küsste ihre Fingerspitzen. „ Molto bene. Delizioso.

Diese Frau besaß etwas ungemein Anziehendes, und es war mehr als nur ihr Aussehen.

„Der Wein dort ist einfach himmlisch. Chianti mochte ich immer am liebsten, und frage mich besser nicht nach dem gelato .“ Sie zwinkerte ihm zu. „Das wird mir wirklich fehlen.“

Gelato gibt es hier doch auch.“

„Das ist aber nicht zu vergleichen.“

„Hey.“ Er berührte ihren Arm. „Freust du dich wirklich, wieder hier zu sein?“

Sie seufzte.

„Elle?“

„Ja, ich freue mich.“

„Aber du wirst Italien vermissen“, stellte er fest.

Sie hatte ihr altes Leben für ihren Vater aufgegeben. Ein mulmiges Gefühl stieg jetzt in ihm auf. Sie war zu ihrer Familie zurückgekehrt, er hingegen hatte sich von seiner abgewandt.

„Hey, alles in Ordnung?“, fragte sie.

„Du bist wirklich erstaunlich“, entfuhr es ihm plötzlich.

Die faszinierenden Augen wurden groß. „Danke … Jasper.“

Cams Verwirrung legte sich erst, als er sah, dass Elle überrascht über seine Schulter blickte. Er drehte sich um und sah seinen Bruder zum Brewside schlendern.

Jasper winkte ihm zu, dann bemerkte er Elle. Sein Blick wanderte von ihrem Kopf zu den Füßen und wieder hinauf. Ziemlich ungeniert, wie Cam fand.

Jasper kam daraufhin auf sie zu.

„Guten Morgen.“

„Solltest du nicht längst im Büro sein?“

Jaspers Antwort interessierte Cam nicht wirklich, denn er war viel zu sehr damit beschäftigt, auf Elles Reaktion zu achten.

„Ich habe eine Besprechung außer Haus. Cam, warum stellst du mich nicht deiner hübschen Freundin vor?“, sagte Jasper, ohne ihn anzusehen, und gab Elle die Hand.

„Du kennst sie doch schon längst.“

„War ja nur ein Scherz. Wie könnte ich eine so schöne Frau wie Ellie Owens jemals vergessen?“

Elle zog ihre Hand daraufhin aus Jaspers. „Wow, so früh am Tag schon ein so billiges Kompliment?“

Jasper setzte daraufhin sein Megawattlächeln auf. „Autsch. Aber du bist nun mal wunderschön.“

Elle zwinkerte ihm zu. „Früher aber nicht, und das bedeutet, jemand muss dir erzählt haben, dass ich wieder hier bin.“

Jasper runzelte die Stirn. „Vielleicht erinnere ich mich auch einfach nur an dich.“

„Hmm, vielleicht.“ Elle lächelte belustigt. „Obwohl du mich heute Morgen länger angesehen hast als in all den Jahren auf der Highschool zusammen.“

Es kam nicht oft vor, dass eine Frau Jasper Paroli bot, und Cam genoss es sichtlich.

„Auf der Highschool war ich auch ein Idiot.“ Jasper ergriff nun wieder ihre Hand. „Verzeihst du mir?“ Noch ein typisches Jasper-Lächeln.

Elle neigte den Kopf zur Seite und entzog ihm erneut ihre Hand. „Alles gut.“

Cam verlor nun die Geduld und verpasste Jasper einen Rippenstoß.

Doch Jasper ignorierte es. „Wie lange bleibst du denn?“

„Das weiß ich noch nicht.“ Sie knabberte an ihrer Lippe. „Ich bin ja erst gestern aus Florenz zurückgekommen.“

„Mit deinem Freund? Ehemann?“

Cam schnaubte. Elle warf ihm einen Blick zu.

„Wir haben gerade erst Schluss gemacht.“

„Das tut mir leid zu hören.“ Jasper schnippte mit den Fingern. „Lass uns doch mal zusammen essen gehen, wir haben uns schließlich viel zu erzählen.“

Elle musterte ihn amüsiert.

„Vielleicht, mal sehen.“

Auch die zweite Runde ging an Elle.

Jasper war es nicht gewöhnt, dass eine Frau ihn hinhielt. „Hier.“ Er nahm eine Visitenkarte aus seiner Jackentasche. „Ruf mich an, wenn du es dir anders überlegst.“ Wieder erfolgte das Megawattlächeln. „Auf jeden Fall solltest du morgen zur Party kommen.“

„Das Printemps -Fest bei deinen Eltern?“, fragte sie mit einer Unschuldsmiene.

Jaspers Gesicht erhellte sich. „Ja, genau. Bitte komm als mein Gast.“

„Dein Bruder hat mich bereits eingeladen“, erwiderte sie.

„Mein Bruder?“ Jasper wandte sich Cam zu und zog dramatisch eine Augenbraue hoch. „Wirklich? Ihr kommt also zusammen?“

Bevor Cam etwas entgegnen konnte, griff Elle ein. „Nein, das tun wir nicht“, widersprach sie schnell.

Zu schnell , fand Cam. Warum ärgerte er sich darüber?

„Gut zu hören.“ Jasper zwinkerte ihr zu.

„Ich muss jetzt wirklich weiter“, sagte sie, „denn ich möchte heute ein wenig zeichnen, und das Licht ist im Moment genau richtig dafür. Bis morgen.“

Sie ging davon und Cam wusste, dass nicht nur er auf ihren femininen Hüftschwung starrte.

„Das ist Ellie Owens?“, fragte Jasper verblüfft.

„Sie nennt sich jetzt Elle“, verbesserte ihn Cam.

„Die kleine Ellie Owens?“

„Genau die.“ Cam klopfte seinem Bruder auf den Rücken.

Jasper rieb sich das Gesicht. „Sie hat sich tatsächlich verändert, sie ist atemberaubend geworden.“

Ja, das ist sie. „Übertreib mal nicht.“

„Schade, dass sie nicht schon in der Highschool so ausgesehen hat.“ Jasper wackelte mit seinen Augenbrauen.

Cam schüttelte den Kopf.

„Ich muss sagen, jetzt freue ich mich noch mehr auf morgen Abend.“

„Was ist denn mit Mindy?“

„Mit wem?“

Cam stöhnte auf. „Mit Mindy … deiner Freundin.“

Jasper errötete, aber dann grinste er. „Ich habe doch nur einen Witz gemacht. Mindy ist momentan nicht in der Stadt, und ich habe Elle doch nicht angebaggert, also höre auf, mich so vorwurfsvoll anzusehen.“

„Das kam mir aber gerade ganz anders vor.“

„Ich habe doch nur geflirtet. Warum stört dich das überhaupt? Ich dachte, nach Spacy Stacy hast du genug von den Frauen.“

Cam lächelte. „Spacy Stacy war harmlos.“ Ja, sie brachte so einiges durcheinander, vor allem, wenn es um Zahlen, Sport oder aktuelle Ereignisse ging, aber für eine Weile war es mit ihr wirklich nett gewesen.

„Harmlos, aber heiß. Eine tolle Kombination.“ Jasper schmunzelte. „Ich will doch nur, dass du glücklich bist.“

„Wer hat denn gesagt, dass ich nicht glücklich bin?“

Jasper zeigte mit dem Kopf in die Richtung, in der Elle verschwunden war. „Ich glaube, du könntest noch glücklicher sein. Du musst es nur einsehen.“

Cam verdrehte die Augen. „Du klingst wie einer diesen albernen Ratgeber-Podcasts, die Mom sich immer anhört.“

Jasper zeigte zum Brewside . „Ich hole mir jetzt einen Kaffee. Vielleicht solltest du auch mal so einen Podcast hören, das könnte dir bei Elle helfen“, sagte er und ging davon.

„Kein Bedarf“, rief Cam ihm hinterher.

Ihre Mutter veranstaltete bei jeder ihrer Partys ein Feuerwerk. Wenn Jasper, Elle und sämtliche Klatschtanten von Bayside dort auftauchten, konnte es aber durchaus eine andere Art von Explosion geben.

Eine Dumont-Party ist unvergleichlich! So eine Gelegenheit, mich mit meinen treuen Lesern und Leserinnen zu treffen, würde ich mir doch niemals entgehen lassen. Natürlich bleibe ich anonym.

Es geht das Gerücht um, dass die kleine Ellie Owens von beiden Dumont-Brüdern eingeladen wurde. Was für eine interessante Entwicklung. Was glaubt ihr, mit wem sie zuerst tanzen wird? Die Antwort gibt es morgen …

Elle hatte immer davon geträumt, zu einer Dumont-Party zu gehen. Jetzt stand sie vor der großen Villa und war sehr, sehr nervös.

Dazu hatte auch ihr Vater beigetragen, denn er hatte sie wissen lassen, wie unglücklich er darüber war, dass sie zu dieser Party ging. Wenigstens war sie mit ihrem Outfit zufrieden. Sie liebte das lange scharlachrote Kleid, das mit einer hauchdünnen Schicht aus funkelnden silbrigen Perlen überzogen war. Als sie vor dem Schaufenster in Mailand gestanden hatte, hatte sie sofort gewusst, dass es etwas ganz Besonderes war. Das Kleid war hochgeschlossen, aber schulterfrei. Der seidige Stoff schmiegte sich eng an ihren Körper, und der geschlitzte Rock brachte ihre schlanken Beine und die glitzernden High Heels zur Geltung. Ihre Haare waren hochgesteckt, was sie viel zu viel Zeit und viel zu viele Klemmen gekostet hatte. Aber zusammen mit den silbernen Ohrringen und den leuchtend roten Lippen war der Look einfach perfekt.

Sie lächelte den Kellnern zu, die den Eingang mit Tabletts voller Champagnergläser flankierten. Ein kleiner Schluck zur Beruhigung wäre vielleicht gar nicht schlecht , dachte sie und nahm ein Glas, bevor sie sich den Mantel abnehmen ließ.

Als sie über den Marmorboden schritt, hallte das Klackern ihrer Absätze von den Wänden wider, an denen unbezahlbare Gemälde hingen. Schade, dass sie nicht genug Zeit hatte, sie sich genauer anzuschauen.

Sie blieb vor einem großen Spiegel mit vergoldetem Rahmen stehen, um ihr Make-up und ihre Frisur ein letztes Mal zu überprüfen, dann trank sie einen großen Schluck Champagner und ging über den Korridor zu einer gläsernen Doppeltür, die ihr von behandschuhten Dienern geöffnet wurde.

Elle hielt einen Moment lang inne, bevor sie die große Terrasse betrat. Stufen führten hinab zu einer zweiten und einer dritten Ebene, die alle von großen Rasenflächen und Beeten mit prachtvoll blühenden Blumen gesäumt waren. Davor erstreckte sich das Wasser, und vom Ufer führten mehrere Stege in die Bucht.

Langsam nahm sie drei Stufen und erstarrte. Das große Orchester legte ausgerechnet in diesem Moment eine Pause ein, und sämtliche Augenpaare auf der Party richteten sich auf sie.

Oh. Mein. Gott.

Verlegen senkte sie den Blick. Ihr Herz klopfte so heftig, dass sie nach Luft schnappen musste. Getuschel drang an ihre Ohren.

„Ist das etwa Ellie Owens?“

„Weißt du noch, wie verliebt sie in Jasper war?“

„Das ist nicht Ellie, Ellie hat nie so ausgesehen.“

„Erinnert ihr euch an das Video?“

„Hat sie sich an dem Abend nicht in die Bucht gestürzt?“

Elle hatte gehofft, dass die anderen Gäste ihr schönes Kleid bemerken würden, während sie sich mit ihnen unterhielt, doch sie hatte nicht geplant, zum verdammten Mittelpunkt der Party zu werden. Wo zum Teufel war das Orchester jetzt?

Wie aufs Stichwort wedelte Mrs. Dumont mit der Hand, die Musik setzte wieder ein, und die Leute widmeten sich ihren Drinks, dem Essen und den unterbrochenen Gesprächen. Lilah Dumont, in einer eleganten grünen Abendrobe, die mit goldenen Perlen besetzt war, eilte mit ausgebreiteten Armen auf Elle zu.

„Ellie, wie schön, dich zu sehen. Willkommen zurück!“

„Danke für die Einladung, Mrs. Dumont. Alles sieht ganz wundervoll aus.“

„Genau wie du.“ Die ältere Frau musterte sie kurz. „Du hast dich wirklich verändert, Ellie.“

„Oh, ich nenne mich jetzt Elle.“

Mrs. Dumont tätschelte ihre Wange. „Also Elle, es tut mir leid, dass du aus einem so unschönen Grund nach Hause kommen musstest, aber dein Dad sieht schon viel besser aus. Er hat erzählt, dass er wieder gesund ist.“

Elle nickte. „Ja, die letzte Untersuchung ist sehr gut ausgefallen. Aber er muss dennoch weiter auf sich achten. Ich würde auch gern mit seinem Arzt reden.“

„Er ist der beste Spezialist weit und breit.“

Ihre Blicke trafen sich, und Elle begriff nun. „Sie haben ihm geholfen, nicht wahr?“

Lilah winkte ab. „Ich habe nur ein bisschen herumtelefoniert. Natürlich war es dabei von Vorteil, dass ein Flügel der Klinik unseren Namen trägt.“

Elle war froh, dass ihr Vater solche Freunde hatte. „Vielen Dank. Ich weiß gar nicht, wie …“

„Das ist nicht der Rede wert. Aber wenn du mir trotzdem einen Gefallen tun möchtest, misch dich unter die Leute und habe einen schönen Abend.“

Elle nickte lächelnd, dann atmete sie tief durch und ging weiter. Sie sah viele bekannte Gesichter – ehemalige Mitschüler, Lehrer, Ladeninhaber. Gerade als sie ihre Lieblingskunstlehrerin entdeckte und sie begrüßen wollte, fing sie ein Mann im Smoking ab.

„Ellie Owens?“, fragte er verblüfft.

„Schuldig“, erwiderte sie. Erst nach einem Moment erkannte sie ihn. „Tyler Briggitt! Wie geht es dir?“ In der Highschool waren sie zusammen in eine Klasse gegangen. Tyler war einer der besten Freunde von Jasper gewesen.

„Großartig. Ich kann nicht klagen. Ich arbeite jetzt bei der Bank. Willkommen zurück. Hast du Jasp schon getroffen?“

„Ja. Ich bin ihm gestern über den Weg gelaufen.“

„Das muss peinlich gewesen sein.“ Tyler beugte sich zu ihr und blickte kurz nach links und rechts. „Erinnerst du dich noch an das Video?“, sagte er leise.

„Als wäre es gestern gewesen“, antwortete sie ebenso leise.

„Das war wirklich eine verrückte Geschichte.“

„Kein sehr gelungener Auftritt, das gebe ich zu.“

„Ich weiß noch, wie sie das Video auf unserem Abschlussball gezeigt haben“, begann Tyler.

„Es war nett, dich wiederzusehen“, sagte Elle rasch. „Dort drüben ist Riley Hudson, da muss ich unbedingt Hallo sagen. Ich wünsche dir noch einen tollen Abend.“

Tyler lächelte nur, als Elle davoneilte.

„Elle, hey.“ Riley winkte ihr zu.

„Du siehst wunderhübsch aus“, sagte sie zu der Reporterin. Riley trug ein lavendelfarbenes Abendkleid mit einem tiefen Rückenausschnitt.

„Danke“, erwiderte Riley fröhlich. „Und du, wow … Rot steht dir.“ Sie stieß mit Elle an. „Auf zwei heiße Mädels und eine unglaubliche Party. Amüsierst du dich?“

„Na ja …“

„Oh, oh. Was ist denn los?“

Elle war klar, dass sie sich in ihrem letzten Schuljahr gründlich blamiert hatte, aber irgendwie hatte sie gehofft, dass die Leute taktvoll genug waren, es nicht anzusprechen.

„Ich wollte auf keinen Fall auffallen“, gestand sie leise.

„Dann hättest du aber ein anderes Kleid anziehen sollen, Honey. Deine Rückkehr ist nun mal Stadtgespräch, aber das legt sich bestimmt bald.“

Hoffentlich.

„Bis dahin …“ Riley stieß sie an. „Da kommt Jasper.“

Schon setzte das Getuschel wieder ein. War das Video etwa das Einzige, woran die Leute sich erinnerten? Was war mit ihrer Kunst? Oder mit dem Comicstrip, den sie für die Schulzeitung gezeichnet hatte? Oder der Tatsache, dass sie in jedem Schuljahr für ihre Leistungen ausgezeichnet worden war?

Nur im letzten nicht. Sie hörte die Stimme des Schulleiters, als wäre es gestern gewesen.

„Ellie, mit deinen Noten gehörst zu den Besten, aber nach diesem Video … wäre es einfach nicht richtig.“

Jasper flüsterte dem Mann neben sich etwas zu und kam dann auf sie zu.

„Ich lasse euch beide mal allein“, sagte Riley.

„Nein, warte“, bat Elle, aber ihre alte Klassenkameradin schlenderte bereits davon.

Elle wurde heiß, als sämtliche Blicke sich auf sie und Jasper richteten. Warum war sie bloß hergekommen?

„Ellie“, sagte er und ergriff ihr Handgelenk. „Toll, dass du hier bist.“

Die anderen um sie herum versuchten gar nicht erst, ihre Neugier zu verbergen.

„Hi, Jasper.“

„Amüsierst du dich?“

Nicht besonders. „Sieht aus, als wäre die ganze Stadt hier.“ Um sich die Show nicht entgehen zu lassen.

„Die Partys meiner Eltern sind immer so.“

Plötzlich wurde Elle bewusst, dass sie eine erfolgreiche, berufstätige Frau war, und kein schüchterner Bücherwurm mehr, der – ein einziges Mal – zu viel getrunken und teuer dafür bezahlt hatte. Sollten die Leute sie beide doch ruhig anstarren!

„Ich habe gehört, dass du die Firma deiner Eltern übernommen hast.“

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Noch nicht ganz.“

„Ich muss zugeben, das überrascht mich.“

Er senkte den Blick. „Dich und alle anderen.“

„Nein, so habe ich das nicht gemeint. Ich habe nur angenommen, dass Cam die Nachfolge antreten würde. Schließlich ist er der Ältere.“

Das schien Jasper offenbar zu besänftigen. Er drückte ihre Hand und hielt sie fest. Die Umstehenden schienen den Atem anzuhalten, und Elle hätte schwören können, dass ein Blitzlicht aufgeflackert war. Hastig entzog sie ihm die Hand.

„Mein Bruder hat eine eigene Firma gegründet, sehr zum Leidwesen unserer Eltern.“

Wo blieb Cam? Sie wollte gern mehr über seine Firma hören, und darüber, wie er sich vom Thronfolger der Dumonts in einen eigenständigen Unternehmer verwandelt hatte.

Jasper musterte sie, und sie spürte, wie sie immer nervöser wurde.

„Was ist los?“

„Nichts. Entschuldige. Ich freue mich nur, dass du hergekommen bist.“

Jahrelang hatte sie von der anderen Seite der Bucht herübergesehen und gehofft, dass sie eines Tages zu den Gästen dieses Spektakels gehören würde, aber irgendetwas fehlte, vielleicht auch jemand …

Normalerweise wartete Cam so lange wie möglich, bevor er auf einer Party seiner Eltern erschien. Er hasste es noch immer, einen Smoking anziehen zu müssen, genau wie die belanglosen Gespräche, aber dieses Mal musste er sich nicht überwinden, um auszusteigen.

Autor

Kerri Carpenter
Die mehrfach ausgezeichnete Autorin Kerri Carpenter schreibt süße, freche, sexy Liebesromane. Und wenn sie das gerade nicht tut, liest sie gerne, kocht oder schaut Filme, macht Zumba oder trifft sich einfach so mit ihrer Sportgruppe. Mit Kerri wird es nie langweilig! Zusammen mit ihrem niedlichen aber gewitzten Pudelmischling Harry lebt...
Mehr erfahren