Der Highlander und die Lady in Rot

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Der Tag der Rache! Unter den mächtigen Stößen des Rammbocks zersplittert das Tor von Blackadder Castle. Highlander David Hume, Laird von Wedderburn, reitet in die Burg. Er ist gekommen, um die Ländereien seines Erzfeindes zu beanspruchen - und dessen Witwe Lady Alison! Kein Mitleid wird er mit ihr haben … Doch dann tritt dem breitschultrigen Hünen eine atemberaubende Schönheit mit schwingendem Schwert entgegen. Ihr rabenschwarzes Haar weht, ihre Augen funkeln und ihr rotes Kleid leuchtet - und übermächtige Leidenschaft für Alison überkommt David. Plötzlich denkt er an eine ganz andere Art der Eroberung …


  • Erscheinungstag 26.04.2016
  • Bandnummer 1
  • ISBN / Artikelnummer 9783733765422
  • Seitenanzahl 264
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für meine Freundin Ginny Heim, deren Bereitschaft, mir stets ihre ehrliche Meinung über meine Manuskripte kundzutun, meine Leser schon vor so einigen langweiligen Passagen gerettet hat.

1. KAPITEL

Schottland 1517

Das Bett ihres Gemahls zu verbrennen, war ein Fehler gewesen. Das begriff Alison jetzt.

Und doch empfand sie jedes Mal grimmige Zufriedenheit, wenn sie an dem rechteckigen Fleck verbrannter Erde im Burghof vorüberging. Sie hatte gewartet, bis ihre Töchter schliefen, bevor sie diesen Akt der Rebellion begangen hatte. In jener Nacht hatte sie, sobald der Leichnam ihres Gemahls zur Beerdigung in das Priorat gebracht worden war, den Bediensteten befohlen, das Bett aus dem Bergfried zu tragen. Angezündet hatte sie es dann selbst. Die Bewohner der Burg, die ihre Herrin als jene demütige Frau kannten, zu der ihr Gemahl sie gemacht hatte, waren vollkommen schockiert gewesen.

„Seht ihr sie schon?“, rief Alison zu einem der Wachposten auf der Burgmauer hinauf.

Als er den Kopf schüttelte, setzte sie ihren Marsch über den Burghof fort. Immer auf und ab. Wo blieben ihre Brüder? Heute Morgen hatte sie die Nachricht erhalten, dass sie auf dem Weg wären.

Immer, wenn sie an der verbrannten Erde vorüberkam, flackerte die Erinnerung daran auf, wie die Flammen in den Nachthimmel emporgelodert waren. Bis zur Morgendämmerung hatte sie dort gestanden, dem Feuer zugesehen und sich dabei vorgestellt, wie die Schrecken der vergangenen Jahre sich in schwarze Asche verwandelten, genau wie das Bett. Die Erinnerungen verbrannten zwar nicht, trotzdem fühlte sie sich gereinigt.

Es war maßlos und selbstsüchtig, ein so teures Möbelstück zu verbrennen, doch das war nicht der Grund, warum sie diese Tat nun als Fehler betrachtete. Sie hätte es nicht ertragen, dieses Bett noch länger in ihrem Haus zu haben. Nur wäre es weiser gewesen, es zu verschenken oder zu verkaufen. Doch sie hätte es einfach nicht guten Gewissens an jemand anderen weitergeben können, da es ihr vorkam, als haftete etwas Böses daran.

Unwillkürlich strich sie über den schwarzen Quarzanhänger, den ihr ihre Mutter geschenkt hatte, um Unglück fernzuhalten. Seit Blackadder ihr die Kette in ihrer Hochzeitsnacht vom Hals gerissen hatte, war das Schmuckstück verloren gewesen, doch nach dem Feuer hatte Alison es in einer Bodenritze an der Stelle gefunden, wo zuvor das Bett gestanden hatte.

„Lady Alison!“, rief einer der Wachmänner von der Mauer herab. „Sie sind da!“

Das schwere Holztor schwang auf. und ihre beiden Brüder galoppierten über die Zugbrücke heran, gefolgt von ihren Douglas-Kriegern. Gott sei Dank. Als sich der Burghof mit den Männern des Clans füllte, fühlte sich Alison sofort sicherer.

Ein Blick in Archies düstere Miene reichte jedoch, um zu ahnen, dass sein Treffen mit der Königin nicht gut verlaufen war. Wortlos erklommen ihre Brüder die Stufen zum Bergfried, durchquerten die Eingangshalle, wo auf langen aufgebockten Tischen Platten voller Speisen für die Männer des Douglas-Clans bereitstanden, und stiegen weiter hinauf zu ihren Privatgemächern. Familienangelegenheiten wurden nie im Beisein anderer besprochen.

„Sie ist meine Gemahlin!“, wetterte Archie, sobald sich die Türen hinter ihnen geschlossen hatten. „Wie kann sie es wagen, mich fortzuschicken, als wäre ich einer ihrer Diener?“

Alison wippte mit dem Fuß und rang um Geduld, während ihr Bruder, der sechste Earl of Angus und Oberhaupt des Douglas-Clans, im Gemach auf und ab stampfte. Als ihr Archie gerade den Rücken zuwandte, wechselte sie einen Blick mit ihrem umsichtigeren Bruder George und verdrehte die Augen. Das hier war so vorhersagbar gewesen.

„Ich habe dich ja gewarnt, deine Liebschaft mit Lady Jane allzu offen zur Schau zu stellen“, warf George besänftigend ein.

„Meine Liebschaften gehen dich nichts an“, knurrte Archie.

„Eine Königin ist keine gewöhnliche Gemahlin“, bemerkte George und goss sich und Archie einen Becher Wein ein.

Alison empfand es als Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet Archies Liaison mit der verwitweten Königin den bisher bedeutsamsten gesellschaftlichen Aufstieg des Douglas-Clans bedeutete, obwohl es doch üblicherweise den Frauen der Familie zufiel, sich im Schlafgemach die Gunst der königlichen Familie zu sichern.

Archie war in seiner allzu selbstbewussten Art zu weit gegangen. Dass sich die Königin unvernünftiger Weise den jungen Anführer der Douglases als Liebhaber genommen hatte, war vom Rat noch toleriert worden, doch als das Paar dann heimlich geheiratet hatte, was Archie zum Stiefvater des noch sehr jungen Königs machte, wurden die Ratsmitglieder zornig. Sie setzten die Königin als Regentin ab, woraufhin sie nach England floh, begleitet von dem Vorwurf, sie hätte versucht, den Thronerben zu entführen.

„Wie hätte ich denn ahnen können, dass meine Frau nach Schottland zurückkehren würde?“ Archie hob die Hände. „Außerdem bin ich ein junger Mann. Sie konnte nicht erwarten, dass ich während ihrer Abwesenheit wie ein Mönch leben würde.“

Die Königin, die bei ihrer Flucht guter Hoffnung gewesen war, hatte zweifellos damit gerechnet, dass ihr Gemahl ihr folgen würde. Doch während zu einem ausgedehnten Besuch bei ihrem Bruder Heinrich VIII. weilte, waren die Douglas-Männer nach Tantallon Castle zurückgekehrt und hatten sich hinter den hohen Burgmauern verschanzt, bis die Beschuldigungen des Verrats wieder verebbt waren.

Zwei Jahre waren seither vergangen, und nun befand sich Albany – der Mann, der die Königin als Regent abgelöst hatte – auf einem Schiff Richtung Frankreich, und die Königin kehrte zurück. Archie war nach Berwick Castle geritten, das direkt auf der anderen Seite der Grenze lag, um sich mit ihr zu treffen.

„Besteht denn keine Hoffnung auf Versöhnung?“, wagte Alison zu fragen.

„Ich bin viermal in zwei Tagen mit dieser abstoßenden Frau ins Bett gestiegen, und das für nichts und wieder nichts!“ Archie streckte die Hand aus. „Ich hatte sie wieder im Griff, das schwöre ich. Aber dann hat ihr irgendein Schurke eine Nachricht geschickt und ihr von Jane erzählt.“

„Das müssen die Hamiltons gewesen sein“, erklärte George und bezog sich damit auf die größten Rivalen der Familie.

„Trotz dieses Rückschlags ist es mir gelungen, die Königin davon zu überzeugen – und leicht war das nicht, wie ich hinzufügen möchte –, dass wir als Ehepaar nach Edinburgh zurückkehren sollten, damit der verdammte Rat es sehen kann“, berichtete Archie, und seine blauen Augen blitzten. „Doch dann hat sie herausgefunden, dass ich die Pacht für die Ländereien ihrer Mitgift eingetrieben habe, und sich furchtbar aufgeregt.“

Kein Wunder, dass die Königin wütend war. Archie hatte sie nicht nur im Stich gelassen, sondern auch in aller Offenheit mit seiner Geliebten und seiner neugeborenen Tochter in den Burgen gehaust, die zur Mitgift der Königin gehörten. Und das alles auch noch auf ihre Kosten.

„Du bist ihr Gemahl“, sagte George und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Du hattest jedes Recht dazu, die Pacht einzutreiben. Das hast du immer noch.“

Alison wollte nichts über Ehemänner und deren Rechte hören. Sie verschränkte die Arme und zügelte ihre Ungeduld, während sie den richtigen Augenblick für ihre Frage abwartete.

„Genug geredet. Wir müssen zu unseren Männern.“ Archie leerte seinen Weinkelch in einem Zug. „Sobald sie gegessen haben, brechen wir nach Edinburgh auf.“

George stand bereits wieder. Sie konnte nicht länger warten.

„Ihr müsst ein paar unserer Douglas-Krieger hierlassen, um die Burg zu verteidigen“, platzte sie heraus. „Die Blackadders lassen mich im Stich.“

Sie hoffte, dass ihre Brüder nicht nach dem Grund fragen würden. Sie wollte nicht einräumen, dass die Verbrennung des ehelichen Bettes die Blackadders so sehr beleidigt hatte, dass viele von ihnen die Burg verließen. Im Grunde gefiel es ihnen nicht, dass nun eine Frau hier über die Befehlsgewalt verfügte, und sie hatte ihnen unbesonnen den Vorwand geliefert, auf den sie gewartet hatten.

„Ich kann jetzt auf keinen meiner Männer verzichten“, sagte Archie und klopfte mit den Handschuhen auf seine Handfläche. „Ich muss all meine Kräfte sammeln, um Stärke zu zeigen und meine starrköpfige Gemahlin davon zu überzeugen, dass sie meine Hilfe braucht, um die Regentschaft wiederzuerlangen.“

„Die Hamiltons werden dasselbe versuchen“, fügte George hinzu.

„Aber was ist mit mir und meinen Töchtern?“, begehrte Alison auf. „Was ist mit den Ländereien der Blackadders, die Großvater für so wichtig hielt, dass man mich dazu gezwungen hat, diesen Mann zu heiraten? Ich war erst dreizehn, noch ein Kind!“

„Um Himmels willen, Alison, wir kämpfen um die Macht über die Krone“, erwiderte Archie. „Diese Angelegenheit wird nicht auf Blackadder Castle entschieden.“

„Bitte, ich brauche eure Hilfe.“ Sie umklammerte Archies Arm, als er sich schon zum Gehen wenden wollte. „Ihr beide habt versprochen, uns zu beschützen.“

Abrupt blieb Archie stehen und die gemeinsame Erinnerung hing zwischen ihnen wie eine tote Ratte.

„Mutter hätte mich nicht an meine Pflichten meiner Familie gegenüber erinnern müssen“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Und du auch nicht.“

Im Gegensatz zu den Douglas-Männern, die Archies Liebschaft mit der Königin als Segen für die Familie betrachteten, hatte ihre Mutter ihn angefleht, die Liaison zu beenden. Vor einigen Jahren war ihre Schwester eine der Mätressen des Königs gewesen. Als man zu munkeln begann, dass sich der König so sehr in sie verliebt hätte, dass er sie heiraten wollte, waren alle drei Schwestern ihrer Mutter auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen.

Als Archie die Königin heimlich geehelicht hatte, in dem Wissen, dass sämtliche mächtigen Familien Schottlands gegen diese Heirat waren, hatte Alisons Mutter eine Forderung an ihre Söhne gestellt. Archie und George hatten ihr beim Grab ihres Vaters schwören müssen, dass sie ihre vier Schwestern beschützen würden.

„Ich finde einen neuen Gemahl für dich, sobald diese Angelegenheit geregelt ist“, sagte Archie. „Bis dahin bist du hier sicher.“

Ein weiterer Gemahl war nicht das, worum Alison gebeten hatte, und es war das Letzte, was sie wollte. „Ich brauche Krieger.“

„Wer würde es schon wagen, dich anzugreifen?“, warf Archie ein. „Jetzt, wo wir Albany los sind, bin wahrscheinlich ich derjenige, der Schottland regieren wird.“

Bevor sie widersprechen konnte, schob er sich an ihr vorbei und eilte die geschwungene Steintreppe hinunter.

„Keine Angst, Allie“, sagte George und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Deine gefährlichsten Nachbarn waren die Hume-Lairds, und die sind beide tot.“

David Hume ließ sein Pferd und seine Männer ein gutes Stück vor der Stadt zurück und ging zu Fuß weiter. Falls die Wachen nach ihm Ausschau hielten, würden sie nicht erwarten, dass er allein kam. Das hoffte er zumindest. Mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze, die Hand am Griff seines Dolches, mischte er sich unter die Männer, die Vieh durch den Cowgate Port trieben, um es auf dem Markt zu verkaufen.

Noch vor einem Monat hätte David gelacht bei der Vorstellung, dass er Edinburgh einmal eingezwängt zwischen zwei Kühen betreten würde. Aber sein Humor war ihm abhandengekommen. Als er den West Bow entlang auf das Stadtzentrum zuging, stieg wieder diese Wut in ihm hoch, die zu seiner ständigen Begleiterin geworden war.

Bevor er auf die High Street trat, hielt er inne und streifte den Dung von seinen Stiefeln, während er die Menschenmenge auf der Straße beobachtete und überlegte, ob vielleicht jemand versuchen könnte, ihn aufzuhalten. Dann ging er weiter in Richtung Holyrood Palace, wobei er die bewaffneten Männer zwischen den Kaufleuten, den gut gekleideten Damen, den Bettlern und den Dieben nicht aus den Augen ließ. Über die Schulter warf er einen Blick auf Edinburgh Castle, jene wuchtige Festung, die sich hinter ihm auf dem Gipfel der schwarzen Felsen erhob. Falls man ihn erwischte, würde er wahrscheinlich im düsteren Verlies dieser Burg alt und grau werden. Ein rascher Tod wäre ihm lieber.

Eben diese Straße war David mit seinem Vater und seinem Onkel entlanggegangen. Mit jedem Schritt fragte er sich, ob dieser Tag wirklich so hatte enden müssen. Hätte er es verhindern können? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ganz gleich, er hätte es versuchen müssen. Von dem Augenblick an, in dem sie Holyrood Palace betreten hatten, war er sich der Gefahr bewusst gewesen. Sein Nacken hatte gekribbelt und seine Hand hatte gejuckt vor Verlangen, sein Schwert zu ziehen.

Den Hume-Lairds ist freies Geleit zugesichert worden. Da er sich auf dieses Ehrenwort im Namen des Königs verlassen hatte, war David seinem Bauchgefühl nicht gefolgt, er hatte seinen Männern nicht zugerufen, sich den Weg freizukämpfen. Stattdessen hatte er dabei zugesehen, wie sein Vater und sein Onkel ihre Waffen am Schlosstor abgaben, und schließlich hatte er dasselbe getan.

Nie wieder.

Als er die steinernen Säulen der St Giles’ Cathedral erblickte, die in die High Street ragten, schlug Davids Herz so heftig, dass es wehtat. Die Kirche erhob sich neben dem Tolbooth, jenem Gefängnis, in das die königlichen Wachen seinen Vater und seinen Onkel nach dem Kampf im Schloss gebracht hatten. In Davids Ohren schrillten wieder die Rufe und das Gebrüll der Menge, das von den Schlossmauern widerhallte. Als er den Platz überquerte, gestattete er sich nicht, zum Tolbooth hinüberzuschauen, aus Angst, seine Wut könnte überkochen und ihn verraten.

Er bog in eine der schmalen, steil ansteigenden Gassen ein, die zwischen den hohen Gebäuden zu beiden Seiten der High Street hindurchführten, und fand einen dunklen Türbogen, von dem aus man das Gefängnis gut im Blick hatte. Erst dann hob er den Blick.

Obwohl er gewusst hatte, was ihn erwarten würde, drehte sich ihm beim Anblick der beiden aufgespießten Köpfe der Magen um. Sein ganzer Körper bebte vor Zorn und Trauer, als er anstarrte, was von seinem Vater noch übrig war. Sie hatten den Mann, den David immer bewundert hatte, zum Gespött gemacht. Die eindringlichen, attraktiven Gesichtszüge seines Vaters waren zu einer Grimasse erstarrt, zu einer Art grauenvollem Grinsen. Das dunkelblonde Haar war verfilzt, und die Fliegen machten sich über seine hervorquellenden Augen her.

Davids Brust zog sich zusammen, bis er nur noch keuchend atmen konnte. Er wollte sich in die Festung vorkämpfen, sein Schwert und seine Axt schwingen, bis er jeden Mann in Sichtweite getötet hatte. Doch der Regent, der Mann, der die Exekution angeordnet hatte, befand sich nicht mehr im Schloss, nicht einmal mehr in Schottland.

Darüber hinaus trug David zu viel Verantwortung, um eine solche Dummheit zu begehen, die sicher mit seinem Tod enden würde. Er war der neue Laird of Wedderburn, und der gesamte Hume-Clan unterlag seinem Schutz. Als er an seine jüngeren Brüder dachte und daran, wie sehr sie ihn brauchten, lockerte sich endlich sein Griff um den Knauf des Dolches, den er so fest umklammert hatte, dass sich seine Hand steif anfühlte.

Die Exekution der beiden Hume-Lairds und diese demütigende Zurschaustellung ihrer Köpfe ließen den Clan schwach und verwundbar erscheinen. Dies brachte seine Familie sogar in noch größere Gefahr, und das war es, was David ändern musste. Dafür brauchte er Klugheit, nicht sein Schwert.

Er würde seine blutige Rache bekommen, aber nicht heute.

Während er darauf wartete, dass es Nacht wurde, überlegte er, wie es dem Regenten, dem Duke of Albany, gelungen war, über Männer zu triumphieren, die in jeder Hinsicht besser waren als er. Als der Regent Davids Vater und seinen Onkel das erste Mal gefangen nahm, hatten sie ihren Gefängniswärter, einen Hamilton, dazu überreden können, sie freizulassen und sich der Königin anzuschließen. Der erzürnte Duke of Albany hatte daraufhin ihre Gemahlinnen als Geiseln genommen.

David fragte sich, ob Albany damals überhaupt begriffen hatte, was für ein listiger Schachzug dies war, oder ob er die beiden Frauen nur aus reiner Bosheit gefangen nehmen ließ. Doch so oder so, die Falle war gestellt.

Zu jenem Zeitpunkt plante Albany bereits, nach Frankreich zurückzukehren, wo er sich mehr zu Hause fühlte als in Schottland. Davids Onkel war entschlossen, zu warten und Albanys Stellvertreter um die Freilassung der Geiseln zu bitten. Doch Davids Vater und seine Stiefmutter waren durch eine selten starke Liebe verbunden, und der Gedanke, wie sie in Gefangenschaft litt, quälte seinen Vater. Sie war seine große Schwäche, und schließlich hatte er seinen Bruder davon überzeugt, die Einladung des Regenten anzunehmen und Albanys Beteuerungen zu glauben, sie würden sich damit nicht in Gefahr begeben.

„Befreie meine Gemahlin! Räche uns!“, hatte er David zugerufen, während man ihn davonschleifte.

Diese letzten Worte seines Vaters hatten sich in Davids Seele gebrannt. Während er in dem dunklen Türrahmen Wache hielt, gingen sie ihm immer wieder durch den Kopf. Bei dem Gedanken, dass sich seine Stiefmutter unter Fremden befunden hatte, als man ihr vom Tod ihres Gemahls berichtete, hätte er am liebsten mit der Faust gegen die Wand schlagen. Nichts konnte den Mann, der sie gefangen hielt, jetzt noch retten. Die Rache war für David sowohl eine Ehrenschuld als auch eine Notwendigkeit, um die allgemeine Achtung vor seinem Clan zurückzugewinnen.

Als sich endlich Dunkelheit über die Stadt senkte, verteilte David einige Münzen an die Dirnen, die sich in der Nähe versammelt hatten, und bat sie, für Unruhe zu sorgen. Wie sich herausstellte, war auf ihr Wort mehr Verlass als auf das des Regenten. Während die Frauen einen beträchtlichen Aufstand machten und schrien, dass man sie ausgeraubt hätte, erklomm David die Mauer um das Tolbooth-Gefängnis.

Mit zusammengebissenen Zähnen zog er den Kopf seines Vaters vom Spieß und ließ ihn behutsam in den Stoffbeutel gleiten, den er über der Schulter trug. Er schluckte gegen die aufsteigende Galle in seiner Kehle an und zwang sich dazu, rasch weiterzumachen. Nachdem er auch den Kopf seines Onkels an sich gebracht hatte, sprang er von der Mauer und überquerte eilig den Platz. Als er schon auf halbem Weg zum Stadttor war, konnte er das Geschrei der Dirnen noch immer hören.

Kurz darauf erreichte er die Schenke jenseits der Stadtmauern, wo seine Männer auf ihn warteten. Seine Halbbrüder mussten die Tür fest im Blick behalten haben, denn sie kamen auf ihn zugeeilt, als er sie öffnete. Will schlang die Arme um Davids Taille, während der vier Jahre ältere Robin etwas verlegen, aber offensichtlich erleichtert danebenstand. David hätte Will für diese Zurschaustellung seiner Gefühle vor den Männern eigentlich tadeln sollen, doch das brachte er nicht übers Herz. Der Junge war erst zehn Jahre alt, er hatte seinen Vater verloren und vermisste seine Mutter sehr.

„Ich habe euch doch gesagt, dass ich heil zurückkomme“, sagte David. „Ich lasse nicht zu, dass euch etwas zustößt, und ich bringe eure Mutter heil nach Hause.“

Die Mutter der Jungen wurde in Dunbar gefangen gehalten, einer uneinnehmbaren Festung, die unter dem Schutz einer königlichen Garnison stand. David wusste zwar noch nicht, wann und wie er sie befreien könnte, aber er würde es tun.

Seine nächsten Schritte plante er auf dem langen Ritt zurück zu den Ländereien der Humes. In den Borders, der unbeständigen und brutalen Grenzregion zwischen England und Schottland, wurde man entweder gefürchtet oder bedroht. Und David würde verflucht noch mal sicherstellen, dass man ihn so sehr fürchtete, dass niemand es je wieder wagen würde, seiner Familie etwas anzutun.

Er würde wieder die Kontrolle über die Ländereien und Burgen der Humes übernehmen, die sie an die Krone verloren hatten und die seither verfielen. Und dann würde er sich an den Blackadders rächen, diesen verschlagenen Betrügern. Sie hatten vorgegeben, Verbündete zu sein, insgeheim jedoch dabei geholfen, seine Stiefmutter gefangen zu nehmen. Dann hatten sie auf die Hinrichtung seines Vaters und seines Onkels gedrängt. Es war eine verfluchte Schande, dass der Laird of Blackadder Castle bereits im Grab lag, wo sich David nicht mehr an ihm rächen konnte, doch seine reichen Ländereien und seine Witwe würde er sich holen.

Außerdem war die Witwe eine Douglas, die Schwester des Earl of Angus höchstpersönlich. Für einen Mann, der sich einen furchteinflößenden Ruf sichern wollte, war sie eine sogar noch wichtigere Trophäe als die Ländereien.

2. KAPITEL

Alison eilte die Treppe hinauf und betete, dass ihre Töchter der ältlichen Kinderfrau nicht schon wieder entwischt waren. Als sie in ihr Schlafgemach stürmte und die Kinder erblickte, seufzte sie erleichtert auf. Die Mädchen hatten ihr schwarzes Haar, ihre blauen Augen und ihre zarte Gestalt geerbt, doch damit endeten die Ähnlichkeiten zwischen den beiden auch schon.

Die sechsjährige Margaret, deren Kleid und Zöpfe tadellos waren, übte sich in Stickerei. Was dagegen ihre ältere Tochter Beatrix angestellt hatte, wusste nur der Himmel. Ihr Haar war vollkommen zerzaust, und über ihr Kleid zogen sich schwarze Streifen, so als wäre sie durch den Kamin gekrabbelt – was sie wahrscheinlich auch getan hatte.

„Kommt schnell“, rief Alison und streckte die Hände nach ihnen aus. „Ihr dürft eure Onkel nicht verpassen.“

Alison machte sich nicht die Mühe, Beatrix wegen ihres schmutzigen Kleides zu schelten. Ihr Gemahl war nicht mehr da und konnte ihr nicht mehr vorwerfen, eine nachlässige Mutter zu sein. Eine ihrer vielen Unzulänglichkeiten, die er ihr tagtäglich ins Gedächtnis gerufen hatte. Tatsächlich hatte es Beatrix faustdick hinter den Ohren. Trotzdem sorgte sich Alison sehr viel mehr um ihre jüngere Tochter. Margaret war so vertrauensvoll und wollte gerne gefallen.

Alison war einmal genauso gewesen.

„Hat Onkel George uns ein Geschenk mitgebracht?“, fragte Beatrix, während sie die Treppe hinabeilten.

„Dieses Mal nicht, mein Schatz.“

Je weiter sie hinunterstiegen, desto lauter hallten die Stimmen vieler Männer von den steinernen Wänden des runden Treppenhauses wider. Unten angekommen, hielt Alison inne und ließ den Blick durch die Halle wandern, in der sich die Männer der Douglases drängten und über die Platten herfielen, auf denen sich das Essen türmte, das die Bediensteten in stundenlanger Arbeit zubereitet hatten.

Ein Mann mit vertraut wirkenden grauen Augen fing ihren Blick auf und erwiderte ihn so eindringlich, als hätte er auf sie gewartet. Ihr kroch ein unangenehmer Schauder den Rücken hinunter. Der Mann stieß einen älteren mit grauen Haaren, der neben ihm stand, mit dem Ellbogen an.

Was machen Patrick Blackadder und sein Vater, der Laird of Tulliallan, hier?

Sie umklammerte die Hände ihrer Töchter fester, während die Verwandten ihres Mannes auf sie zukamen. Obwohl sie nur entfernte Vettern waren, sah Patrick beinahe aus wie eine jüngere Version ihres Gemahls, was Alison seine Nähe fast unerträglich machte.

„Bleib dicht bei mir“, wies sie Beatrix an und bedachte sie mit einem strengen Blick, um ihr zu verdeutlichen, dass sie es ernst meinte.

Es war vielleicht ungerecht, doch sie misstraute sowohl dem Vater als auch dem Sohn.

„Lady Alison, hinreißend wie immer“, sagte Patrick und musterte sie so durchdringend, dass ihr der Schweiß ausbrach.

Als er ihre Hand ergriff, war ihr, als müsste sie ersticken. Er drückte die Lippen viel zu lange auf ihre Haut, aber vielleicht kam es ihr auch nur so vor. Sobald es die Regeln der Höflichkeit gestatteten, entzog sie ihm die Hand.

„Ihr müsst wegen des zu frühen Todes Eures Gemahls in furchtbarer Trauer sein, meine Liebe“, bemerkte sein Vater. Nachdem er einen feuchten Kuss auf ihre Wange gedrückt hatte, von dem ihr die Haut juckte, wandte er seinen wachsamen Blick ihren Töchtern zu. „Wie geht es meinen Lieblingsmädchen?“

Als er die Hand nach einer von Margarets Locken ausstreckte, packte Alison sein Handgelenk. „Entschuldigt uns. Meine Brüder warten schon.“

Dann scheuchte sie ihre Töchter an den beiden Blackadder-Männern vorbei und bahnte sich einen Weg zur hohen Tafel.

„Ihr Glücklichen, ihr habt das gute Aussehen der Douglases geerbt“, rief George und zwinkerte ihren Töchtern zu, die sich erfreut zu ihm setzten. „Nächstes Mal bringe ich euch silberne Haarkämme mit, damit ihr eure glänzenden schwarzen Haare so richtig zur Schau stellen könnt“, versprach er.

„Warum sind Patrick Blackadder und sein Vater hier?“, flüsterte Alison ihm zu, während sie sich auf seiner anderen Seite niederließ.

„Sie haben viele Krieger unter ihrem Befehl“, antwortete George. „Und wir brauchen jede Hilfe, die wir bekommen können.“

„Dann nehmt sie wieder mit, wenn ihr geht.“ Je schneller die beiden aus ihrer Burg verschwanden, desto besser.

Sie sah über die Tafel hinweg zu Archie und hoffte, er würde aufschauen und ihre Töchter bemerken, doch er war mit einem der Männer in ein Gespräch vertieft.

„Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, dich zu fragen.“ Alison wandte sich wieder an George. „Wie geht es unseren Schwestern?“

„Sybil ist wie immer in Hochform“, erwiderte er grinsend. „Sie bricht sämtliche Herzen am Hof, schert sich aber nicht darum, wie sie auf andere wirkt.“

Alison lächelte. Beatrix kam nach Sybil, was sie meistens beruhigend fand.

„Was ist mit Maggie?“, fragte sie, und ihre Gedanken wanderten zu der sanften, gutherzigen Schwester, nach der sie ihre jüngere Tochter benannt hatte.

„Wie ich höre, ist sie wieder guter Hoffnung“, flüsterte George.

„Jetzt schon?“ Die arme Maggie hatte ja kaum Zeit gehabt, sich vom Verlust ihres letzten Babys zu erholen. Ihr Gemahl hätte warten sollen. Männer konnten so selbstsüchtig sein.

Bevor sie sich auch nach ihrer jüngsten Schwester erkundigen konnte, erhob sich Archies Stimme laut über den Lärm in der Halle.

„Zu den Pferden!“

Die Männer erhoben sich von den Tischen und tranken rasch ihr Ale aus, einige von ihnen griffen nach Hähnchenschlegeln oder Brotstücken, um sie mitzunehmen.

„Bei Gott, kann Archie die Männer denn nicht wenigstes aufessen lassen?“, murmelte sie leise. Sie hatte gehofft, mehr Zeit zu haben, um ihn zu überzeugen.

Mit ihren Töchtern im Schlepptau durchquerte Alison die Halle, um die Douglas-Männer unter dem Torbogen zu verabschieden.

„Lady Alison“, grüßte jeder einzelne der Douglas-Krieger, und jeder nickte auf dem Weg hinaus ihren Töchtern zu. Ihr Vater und ihr Großvater hatten darauf geachtet, dass ihre Männer den Frauen der Familie Respekt erwiesen – ganz anders als Alisons Gemahl, der sie bei jeder Gelegenheit vor dem gesamten Haushalt lächerlich gemacht hatte.

Ihre Brüder waren die letzten der Douglases, die hinausgingen. Auf Alisons Zeichen hin knicksten ihre Töchter vor ihnen und sahen dabei so hinreißend niedlich aus, dass Alison trotz aller Sorgen lächeln musste. Wie könnte Archie sie ansehen und nicht Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sie zu beschützen?

„Vergiss uns nicht“, bat Alison, als sich Archie hinabbeugte, um sie auf die Wange zu küssen.

„Nächstes Mal sprechen wir über einen neuen Gemahl für dich“, versprach er.

Bevor sie Gelegenheit hatte, ihm zu erklären, dass sie nicht vorhatte, je wieder zu heiraten, war er schon hinausgeeilt, ohne ein Wort oder einen Blick für ihre Töchter übrigzuhaben.

„Wenn dir irgendjemand Ärger macht, dann schick nach uns“, sagte George, legte ihr einen Arm um die Schulter und drückte sie. „Aber keine Angst, Allie, der Kampf findet in Edinburgh statt. Hier wird nichts geschehen.“

Zwei Monate später …

David war bei Sonnenaufgang in Hume Castle angekommen und nach einem weiteren erfolgreichen nächtlichen Beutezug ins Bett gekrochen. Er hätte schwören können, dass sein Kopf gerade erst das Kissen berührt hatte, als er von Rufen aus dem Burghof wieder geweckt wurde. Dem Lärm nach zu schließen, war es kein Angriff, und er war sehr versucht, sich einfach herumzurollen und weiterzuschlafen. Stattdessen stemmte er sich hoch, um nachzusehen, was diesen Tumult unter seinen Männern verursacht hatte.

„Bei allen Heiligen“, zischte er nach einem raschen Blick durch eine der Schießscharten.

Genau wie er vermutet hatte, war unter den jüngeren seiner Männer ein Kampf entbrannt. Die Älteren wussten es besser. Doch er hatte nicht erwartet, dass sich sein Bruder Robbie im Mittelpunkt des Tumults befand und auf einen der anderen einschlug, als wollte er ihn umbringen.

Hastig stieg David in seine Hose, packte sein Schwert und eilte die Turmtreppe hinunter.

Die Männer bildeten einen Kreis, brüllten und feuerten die Kämpfer an, doch als sie David über den Burghof auf sich zueilen sahen, verstummten sie. Nur die beiden Kontrahenten schienen ihn nicht einmal zu bemerken. Jedenfalls Robbie nicht. Sein Gegner kauerte am Boden und versuchte, sein Gesicht vor Robbies Fausthieben zu schützen.

David packte Robbie am Kittel und riss ihn hoch. Sein Bruder war so blind vor Zorn, dass er fast den Fehler begangen hätte, David einen Schlag zu versetzen, bevor er begriff, wer ihn da festhielt. Sobald Robbie wieder einigermaßen zur Besinnung gekommen zu sein schien, stellte David ihn wieder auf die Füße, ließ ihn aber nicht los.

Auf sein Kopfnicken halfen ein paar der Männer Robbies Gegner auf. Es war Harold, ein großmäuliger junger Mann, der drei Jahre älter und gut dreißig Pfund schwerer war als Robbie.

„Lass eine der Frauen einen Blick auf deine geplatzte Lippe werfen“, wies David ihn an. „Wir sprechen später über deine Beteiligung an dieser Sache.“

Einer der älteren Männer hätte sofort eingreifen und den Kampf beenden müssen, doch sie hatten gezögert, Hand an Davids Bruder zu legen. Was vermutlich eine weise Entscheidung gewesen war.

„Geht zurück an eure Arbeit“, forderte David sie auf, bevor er seinen Bruder zum Bergfried schob. „Rein. Sofort.“

„Aber Harold hat …“

„Nicht vor den Männern“, knurrte David mit zusammengebissenen Zähnen.

Nachdem sich die Türen des Bergfrieds hinter ihnen geschlossen hatten, versuchte Robbie, den Griff seines Bruders abzuschütteln. David packte ihn noch fester, bevor er ihn schließlich losließ. Dann stiegen sie schweigend die Treppe hinauf und betraten Davids Gemach.

„Ich werde nicht zulassen, dass du meine Befehle missachtest“, sagte David und stemmte die Hände in die Hüften. „Wir kämpfen gegen unsere Feinde, nicht gegen unsere eigenen Männer.“

„Ich hatte keine Wahl.“ Robbie starrte ihn zornig an. „Harold hat sich über Will lustig gemacht.“

„Was hat er gesagt?“, fragte David betont gelassen. Zorn jagte durch seine Adern, doch seine Wut war nicht wild wie Robbies, sondern kalt und kontrolliert. Und sehr viel gefährlicher.

„Harold hat gesagt, wir sollten Will ein Kleid anziehen und ihm die Haare flechten“, knurrte Robbie. „Das konnte ich so nicht stehenlassen, auch wenn es wahr ist.“

Wills Mutter hatte ihn verhätschelt und der Junge war weichherziger, als gut für ihn war. Trotzdem würde David nicht tolerieren, dass sich jemand über seinen Bruder lustig machte.

„Schau ihn dir doch nur mal an!“, sagte Robbie und deutete aus dem Fenster.

David trat neben ihn, und beide beobachteten, wie ihr kleiner Bruder einen Welpen herzte und küsste wie eine lange vermisste Geliebte. Herrgott.

„Du musst etwas unternehmen“, sagte Robbie. „Er benimmt sich so peinlich.“

David rieb sich über die Stirn. Will war so anders als er selbst, dass er einfach nicht wusste, was er tun sollte. „Er ist jung, und er vermisst eure Mutter.“

„Ich vermisse sie auch“, entgegnete Robbie hitzig. „Das ist keine Entschuldigung dafür, sich wie ein schwächliches Mädchen aufzuführen.“

„Will hat ein großes Herz. Wenn er älter ist, wird er lernen, das zu verbergen.“ David hoffte für Will, dass es so kommen würde. „Er wird einmal einen guten Kämpfer abgeben, er ist vollkommen furchtlos.“

„Er ist furchtlos, weil er blind ist für seine Umwelt“, widersprach Robbie.

David seufzte verstohlen, denn es stimmte, was Robbie da sagte, und eine solche Blindheit war gefährlich. Er wünschte, er könnte Will noch ein wenig länger einfach nur Kind sein lassen, doch es war seine Pflicht, einen Mann aus seinem Bruder zu machen. Um in den Borders zu überleben, musste man einen kühlen Kopf bewahren und sich auf seine Kampfkünste verlassen können. Am wichtigsten war jedoch, dass man respektiert wurde.

„Das ist meine Schuld. Ich hätte das früher erkennen müssen.“ David hatte nicht darum gebeten, seine Brüder großzuziehen, doch er hatte diese Verantwortung angenommen. Es war schon lange vor dem Tod seines Vaters geschehen, auch wenn er nicht hätte sagen können, wann genau es begonnen hatte.

„Niemand traut sich, Witze über Will zu machen, wenn du in Hörweite bist“, murrte Robbie. „Aber Harold ist nicht der Einzige, der das Maul aufreißt.“

„Darum werde ich mich kümmern, nicht du“, sagte David und durchbohrte ihn mit einem finsteren Blick. „Ich werde nicht zulassen, dass meine Männer gegeneinander kämpfen.“

„Aber …“

„Ich erwarte, dass jeder, ohne Ausnahme, meinen Befehlen Folge leistet“, erklärte David. „Wenn du dich mir noch einmal widersetzt, werde ich nicht nachsichtig mit dir sein. Verstanden?“

„Aye“, sagte Robbie und senkte den Blick. „Keine Kämpfe unter unseren eigenen Männern mehr.“

„Ich bin froh, dass wir das geklärt haben.“ David verschränkte die Arme. „Gibt es noch irgendwelche Befehle, über die du dir unsicher bist?“

„Nay, aber wenn ich meine Kampfkünste für unsere Feinde aufheben soll, warum nimmst du mich dann nicht auf einen Raubzug mit? Du warst in meinem Alter schon dabei.“

Gott schenke mir Geduld. Er verstand, dass Robbie mitkommen wollte, aber Raubzüge waren gefährlich und unberechenbar. Er würde nicht zulassen, dass sein Bruder sein Leben für ein paar Kühe riskierte, doch zum Glück konnte er ihm einen anderen Grund nennen.

„Die Raubzüge haben ihren Zweck erfüllt“, erklärte er.

David hatte so viele Kühe, dass er gar nicht mehr wusste, was er damit anfangen sollte. Wichtiger noch war jedoch, dass die Menschen auf beiden Seiten der Grenze seinen Namen fürchteten und es niemand wagte, das Territorium der Humes ohne seine Erlaubnis zu durchqueren.

„Dieses Mal geht es um mehr als um Vieh“, sagte er und starrte aus dem Fenster auf die Hügel hinter der Burg.

„Blackadder Castle?“, fragte Robbie.

David nahm die rasche Auffassungsgabe seines Bruders lächelnd zur Kenntnis. „Aye.“

„Wir werden die Blackadders dafür bezahlen lassen, was sie uns angetan haben“, sagte Robbie.

„Ich muss zuschlagen, bevor es ein anderer tut“, bestätigte David. „Eine Burg in den Händen einer jungen Witwe ist wie eine tief hängende Frucht. Sämtliche Border-Lairds haben ein Auge auf sie geworfen.“

Er hatte gehört, dass die Witwe lammfromm war. Sie würde nicht lange durchhalten.

„Du wirst dir Blackadder Castle holen, bevor sie auch nur verstehen, was passiert ist“, bekräftigte Robbie.

Blackadder Castle und die Witwe. David sprach es nicht laut aus. Es war noch nicht an der Zeit, seinen Bruder in diesen Teil seines Plans einzuweihen.

Doch die Witwe war der Schlüssel zu allem.

3. KAPITEL

Alison saß alleine an der hohen Tafel. Die Schüssel mit Eintopf vor ihr war kalt geworden, und längst hatte sie ihren Kindern erlaubt, spielen zu gehen. Nach zehn Jahren Ehe war sie endlich frei. Frei, um was zu tun? Sie wusste nicht mehr, wer sie war.

Sie konnte sich kaum noch an das hochmütige und manchmal gedankenlose Mädchen erinnern, das sie bei ihrer Hochzeit mit dreizehn Jahren gewesen war. Als Enkelin zweier mächtiger Clananführer war sie dazu erzogen worden, eine hohe Meinung von sich selbst zu haben. Trotz all ihrer Fehler hatte Alison das Mädchen von früher viel lieber gemocht als die Frau, zu der sie als Blackadders Gemahlin geworden war: unterwürfig, mit vergiftetem Herzen.

Als sie sein Bett verbrannte, hatte sie sich wieder wie das Mädchen von früher gefühlt. Und sie hatte dieses Gefühl genossen, ganz gleich wie flüchtig es gewesen war.

Als sie Blackadders dritte Gemahlin wurde, war er bereits vierzig gewesen, siebenundzwanzig Jahre älter als sie. Und sie war jung genug für ihn, sodass er sie noch formen und zu der Frau machen konnte, die er wollte. Das hatte sie ihn oft genug zu seinen Freunden sagen hören.

Frauen sind wie Hunde oder Pferde. Am besten holt man sie sich jung, solange sie noch leicht zu erziehen sind.

Blackadder hatte ihre Autorität beständig untergraben, indem er sie vor dem gesamten Haushalt lächerlich machte. Er hatte Entscheidungen ignoriert, die üblicherweise im Verantwortungsbereich der Burgherrin lagen, und sie dann kritisiert, wenn nicht alles reibungslos verlief.

Sie wollte all dies ändern, doch wie sich herausgestellt hatte, war das keine leichte Aufgabe. Die Bediensteten waren seit Langem daran gewöhnt, ihre Anweisungen ohne Angst vor Bestrafung zu missachten. Und die Krieger der Blackadders waren sogar noch schlimmer. Sie hatten ihren Befehl, das Bett ihres Gemahls in den Burghof zu tragen, nur deshalb befolgt, weil sie geglaubt hatten, Alison hätte vor Trauer den Verstand verloren, und Wahnsinn jagte ihnen Angst ein.

Die Burg gehörte nun ihr – oder besser gesagt, ihren Töchtern –, und sie war entschlossen, die Führung des Haushalts zu übernehmen.

Sie nahm einen Löffel von dem faden Eintopf und entschied, dass sie genauso gut jetzt gleich damit beginnen konnte. Bevor sie der Mut verließ, machte sie sich auf den Weg in die Küche hinab.

„Das Essen lässt zu wünschen übrig“, konfrontierte sie den Koch, einen dünnen, hohlwangigen Mann mit räudigem Bart und säuerlicher Miene. „Es gab wieder kein Fleisch, nur etwas Kaninchen in der Suppe.“

„Ich kann nicht kochen, was ich nicht habe, M’Lady“, erwiderte er. „Das letzte unserer Schweine habe ich geschlachtet, als Eure Verwandten, die Douglases, über uns hergefallen sind. Es gibt keine mehr.“

Sie vermutete, dass die Blackadder-Krieger beim Verlassen der Burg die Vorräte geplündert hatten. Doch wenigstens dieses Problem war leicht zu lösen.

„Dann müssen wir unsere Vorräte wohl aufstocken“, sagte sie und verschränkte die Arme. „Und bis es wieder Schweinefleisch gibt, essen wir eben Rind.“

Sie war stolz auf sich, weil sie nicht klein beigab.

„Die Humes haben unser Vieh gestohlen“, erklärte der Koch. „Es ist keine einzige Kuh mehr übrig.“

„Wie konnte das passieren? Und warum hat es mir niemand gesagt?“

„Die Hühner haben wir schon gegessen“, fuhr er fort und achtete gar nicht auf ihre Fragen. „Deshalb gibt es auch keine Eier.“

„Dann schicken wir eben eine der Küchenmägde auf den Markt ins Dorf, um neue Vorräte zu kaufen.“

„Das habe ich schon getan“, erklärte er. „Sie ist mit leeren Händen zurückgekommen.“

Alison war fassungslos. „Die Küchenmagd hat das Geld gestohlen?“

„Es ist nicht so, wie Ihr denkt, M’Lady“, warf eine junge Frau ein, die in einer Ecke Töpfe spülte. „Die Humes halten alle auf, die sie auf der Straße zum Dorf erwischen, und nehmen ihnen alles ab, was sie haben.“

„Ich dachte, die Hume-Lairds seien tot? Meine Brüder haben mir erzählt, dass sie wegen Verrats hingerichtet wurden.“

Aye, aber der Sohn eines der beiden ist der neue Laird of Wedderburn“, erläuterte der Koch. „Alle reden über ihn, sie sagen, er wäre schlimmer als sein Vater und sein Onkel zusammen.“

„Schlimmer? Das ist unmöglich“, flüsterte sie mit versagender Stimme.

Es gab furchtbare Gerüchte darüber, was die Humes nach der Niederlage der Schotten bei der Schlacht von Flodden Field getan hatten, zu furchtbar, als dass man ihnen Glauben schenken könnte. Einige behaupteten, die Hume-Krieger hätten vor dem Verlassen des Schlachtfelds die Leichen ihrer Landsleute geplündert. Das fantastischste aller Gerüchte besagte, dass der König die Schlacht überlebt hatte und dass ihn die Humes schwerverletzt geborgen und versteckt hatten. Es wurde gemunkelt, dass der König noch immer am Leben, aber nicht bei klarem Verstand war. Keiner jener Männer, die um die Macht wetteiferten, wollte diese Geschichte glauben, und es war gefährlich, sie zu erzählen.

„Der neue Laird der Humes hat zweihundert königlichen Wächtern getrotzt“, fuhr der Koch fort. „Und er hat es geschafft, den Kopf seines Vaters und seines Onkels aus Tolbooth in Edinburgh herauszuholen.“

„Ganz allein?“ Sie legte sich eine Hand auf die Brust. „Dann hätte man ihn doch gefasst.“

„Man sagt, der Teufel persönlich hätte ihn in die Stadt getragen und in schwarzen, wirbelnden Nebel gehüllt“, erzählte die Küchenmagd. Ihre Worte jagten Alison einen Schauder über den Rücken. „Deshalb hat ihn auch niemand gesehen, bis er sein Vorhaben erfüllt hat.“

„Man nennt ihn die Bestie von Wedderburn“, berichtete der Koch.

Und nun versperrte dieser niederträchtige Mann, diese Bestie, die Straße zu ihrer Burg und bedrohte sie.

„Wie viele Vorräte haben wir noch?“ Ihre Kehle war so eng, dass sie die Frage kaum herausbrachte.

„Nicht viele.“ Der Koch schüttelte den Kopf.

Alison lehnte sich haltsuchend gegen die Arbeitsfläche. In ihrer Vorstellung sah sie einen riesigen Krieger in schwarzer Rüstung, mit lodernden Flammen, wo seine Augen hätten sein müssen, der durch wirbelnden schwarzen Nebel auf sie zukam.

Meine geliebten Brüder,

David Hume, der neue Laird of Wedderburn, hat unmissverständlich seine Absichten bekundet, sich Blackadder Castle zu nehmen. Seit einer Woche versperrt er die Straßen, die zu meiner Burg führen.

Alison hörte den Namen ihres Feindes aus dem Gemurmel und dem Geflüster ihrer Männer in der Halle heraus, während sie am Kopfende der hohen Tafel saß und an ihre Brüder schrieb. Sie fragte sich, wie es sein konnte, dass keinerlei Güter über die Straße nach Blackadder Castle kamen, die Gerüchte über Wedderburns letzte Beutezüge dagegen schon. Selbst in den Borders, wo Raub und Gewalt zur Tagesordnung gehörten, war David Hume rasch zu einer berüchtigten Legende geworden.

Ich bin sicher, dass er sich darauf vorbereitet, die Burg zu belagern und uns auszuhungern. Unsere Vorräte sind beängstigend geschrumpft. Lange halten wir nicht mehr durch.

Ich bitte Euch, kommt schnell.

Eure Euch liebende Schwester

A.

Alison faltete das Pergament zusammen, tropfte geschmolzenes Wachs auf die Faltstelle und drückte ihr persönliches Siegel darauf. Ihr Großvater, der Earl, war einst vom König verhaftet worden, weil ein Schreiber den Mund nicht hatte halten können und den Inhalt eines delikaten Briefes ausgeplaudert hatte. Aufgrund dieser Lektion hatte der Earl darauf bestanden, dass all seine Enkel lesen und schreiben lernten, damit sie ohne diese Gefahr miteinander kommunizieren konnten.

Alison erhob sich und wandte sich an die Männer, die sich für ein mageres Mittagsmahl in der Halle versammelt hatten.

„Der Laird of Wedderburn und seine Männer können nicht das gesamte Gelände um uns herum überwachen“, sagte sie und hielt den versiegelten Brief hoch. „Einer von euch muss sich an den Humes vorbeischleichen und meinen Brüdern diese Nachricht überbringen.“

Es wurde still in der Halle. Keiner der Männer trat vor.

Alison schluckte ihre aufwallende Panik hinunter und deutete auf Walter, den großen, schwarzhaarigen Befehlshaber der Wache. Als er den Kopf schüttelte, deutete sie auf einen anderen Mann.

„Nay“, sagt der zweite. „Die Bestie von Wedderburn würde mich in Stücke hacken und an die Hunde verfüttern.“

Feiglinge! Am liebsten hätte sie sich ein Pferd geholt und wäre selbst gegangen, doch sie konnte ihre Töchter nicht verlassen.

„Ohne die Krieger meiner Brüder sind wir verloren“, sagte sie. Die Verzweiflung nagte an ihr. „Ist denn hier niemand mutig genug, den Versuch zu wagen, uns zu retten?“

Garrett, ein gebeugter alter Mann, der sich um die Pferde kümmerte, trat vor. „Ich werde gehen, M’Lady.“

Alison starrte die anderen Männer an. Sicherlich würde diese Tapferkeit die anderen beschämen, und sie würden sich doch noch melden. Stille senkte sich immer schwerer über die Halle.

Sie richtete den Blick wieder auf ihren einsamen Freiwilligen. Das Schicksal ihrer Töchter, ihres Heims und ihrer Ländereien hing davon ab, dass es diesem alten Mann gelang, sich an den Klauen der Bestie von Wedderburn vorbeizuschleichen.

„Ich bin dir dankbar, Garrett“, sagte sie und zwang sich zu einem Lächeln.

„Keine Angst, M’Lady, die Bestie wird mich nicht kriegen“, versicherte er und zwinkerte mit einem trüben Auge. „Ich kenne alle Geheimpfade.“

Der alte Garrett war wahrscheinlich schon im Alter von zwölf Jahren bei Viehraubzügen dabei gewesen, genau wie alle Männer in den Borders. Er hatte also vielleicht wirklich eine Chance. Sie reichte ihm den Brief und drückte seine Hand.

„Möge dich Gott für deinen Mut segnen und dich sicher führen.“

Alison ignorierte ihren knurrenden Magen und versuchte, sich auf ihre Stickarbeit zu konzentrieren, während sie mit ihren Töchtern nahe beim Ofen saß, doch jedes Mal, wenn die Tür der Halle geöffnet wurde, schreckte sie auf.

„Ich will nicht mehr sticken.“ Beatrix ließ die Schultern hängen und warf Alison einen mitleiderregenden Blick zu. „Ist denn noch nicht Essenszeit?“

Schuldgefühle überkamen sie. Es gab nur noch so wenig zu essen, dass sie gezwungen war, es zu rationieren. Selbst ihre Töchter mussten mit kleineren Portionen zurechtkommen.

„Eure Onkel werden bald hier sein“, sagte sie mit mehr Zuversicht, als sie empfand. „Dann wird alles gut.“

„Wenn Eure Douglas-Männer kommen würden, dann wären sie schon längst hier“, widersprach jemand mit tiefer Stimme hinter ihr.

Als sie sich umwandte, erkannte sie Walter, der auf sie herabblickte.

„Dieser Teufel von einem Hume muss den Alten geschnappt haben“, fuhr er fort.

„Es ist zu früh, um das zu sagen.“ Sie verbiss sich die Bemerkung, dass Walter selbst hätte gehen sollen. Der arme alte Garrett. Falls Wedderburn ihn ermordet hatte, wäre es ihre Schuld.

„Es ist jetzt eine Woche her, seit er gegangen ist“, widersprach Walter und starrte sie an, die Hände in die Hüften gestemmt, als könnte sie daran etwas ändern.

„Ich weiß genau, wie lange es her ist.“ Nach einer weiteren Woche, in der keinerlei Vorräte zur Burg durchgekommen waren, lagen ihre Nerven blank. Sie schenkte ihren Töchtern ein Lächeln, das hoffentlich ermutigend wirkte. Es wurde immer schwieriger, ihre zunehmende Angst vor ihnen zu verbergen.

„Sie sind hier!“ Einer der Wachmänner kam hereingestürzt, und sein Ruf hallte durch den Raum. „Sie sind hier!“

Alison sprang auf und klatschte in die Hände. Gott sei Dank. Garrett hatte es doch geschafft.

„Wir sind gerettet“, rief sie ihren Töchtern zu. „Heute Abend gibt es ein Festmahl!“

Doch ihr Lächeln verblasste, als sie sah, dass die Männer nach ihren Waffen griffen. Sie packte einen von ihnen am Ärmel, als er an ihr vorbeirennen wollte.

„Was ist los?“, fragte sie. Ihr Herz hämmerte.

„Die Bestie von Wedderburn ist gekommen.“

4. KAPITEL

Eine weitere Woche verging und der Ring der Belagerer schloss sich fest um die Burg. Schließlich begab sich Alison in den höchsten Stock des Turmes und erklomm die metallenen Sprossen, die man in den Stein geschlagen hatte, um aufs Dach zu gelangen. Sie spähte durch die Luke und sah zwei Wachmänner, die hinter der Brustwehr kauerten.

„Gibt es schon irgendein Zeichen der Douglas-Krieger?“, rief sie ihnen zu.

Ob der alte Garrett die Nachricht nun überbracht hatte oder nicht, früher oder später mussten ihre Brüder von der Belagerung hören, und dann würden sie endlich kommen. Die Frage war nur, ob sie eintrafen, bevor Alison gezwungen war, sich zu ergeben.

„Ihr solltet nicht hier oben sein“, warf der jüngere der Wachmänner ein. „Es ist zu gefährlich. Wir befinden uns innerhalb der Reichweite ihrer Pfeile.“

„Ihr seid doch auch hier“, sagte sie und streckte ihm die Hand entgegen, damit er ihr aufs Dach half.

Ihr stockte der Atem, als sie sich umsah. Hunderte von Kriegern umzingelten ihre Burg. Im Inneren des Bergfrieds hatte sie sich selbst vorgaukeln können, dass die Bedrohung nicht so ernst war, doch hier oben hatte sie einen unverfälschten Blick auf den Feind, mit dem sie es zu tun hatte. Sie fühlte sich wie ein von Hunden in die Enge getriebenes Reh.

Bis zu diesem Augenblick hatte sie im Grunde keine echte Angst um ihre persönliche Sicherheit gehabt. Sie war immerhin die Schwägerin der Königin. Ihr Bruder war einer der mächtigsten Männer Schottlands. Doch als sie die Bewaffneten musterte, die ihr Heim eingekreist hatten, wurde ihr bewusst, dass sich ein Mann, der ihre Burg trotz ihrer mächtigen Verwandtschaft angriff, auch nicht von dem gesellschaftlichen Schutz abschrecken lassen würde, der sie umgab.

Immer wieder wurde ihre Aufmerksamkeit von einem der Hume-Krieger angezogen, der reglos auf einem gewaltigen schwarzen Ross saß. Aus dieser Entfernung konnte sie seine Gesichtszüge nicht ausmachen, und er konnte sie sicher nicht besser erkennen als sie ihn, trotzdem spürte sie, wie sein Blick sie durchbohrte wie ein Eissplitter.

„Ist das dort Wedderburn?“, fragte sie den Wachmann, obwohl sie es schon wusste.

Aye, das ist die Bestie hochpersönlich.“

„Glaubt ihr, dass wir Gnade von ihm erwarten können?“

„Von Wedderburn?“ Die Miene des Wachmanns war grimmig. „Ich fürchte nicht, M’Lady.“

„Dann müssen wir durchhalten, solange wir können.“ Sie dachte an ihre Töchter und erschauderte.

„Ich bete, dass Eure Brüder bald kommen.“

Auch Alison betete um Erlösung. Doch allmählich verlor sie den Glauben daran, dass ihre Brüder sie befreien würden.

David sah zu, wie seine Bogenschützen eine weitere Ladung Pfeile über die Mauern schossen. Wie lange wollte diese verdammte Frau denn noch stur bleiben, bevor sie sich dem Unausweichlichen beugte? Er hatte gehofft, die Burg friedlich einnehmen zu können, doch sie schien nicht vernünftig genug zu sein, ihm die Tore zu öffnen.

„Sollen wir die Pfeile anzünden und sie ausräuchern?“, fragte einer der jüngeren Krieger.

„Diese Burg wird bald mir gehören. Ich habe nicht vor, sie zu zerstören“, knurrte David. „Wir warten.“

Ungläubig sah er, wie eine weibliche Gestalt auf den Zinnen des Bergfrieds erschien. Der Stoff ihres weinroten Kleides flatterte im Wind wie ein Banner vor dem Hintergrund des grauen Steins.

„Nicht schießen!“, brüllte er und hob die Hand.

Verdammt, sie machte sich selbst zur Zielscheibe. Niemand außer der Burgherrin würde ein solch feines Kleid tragen. Was für eine Närrin musste sie sein, wenn sie sich so zur Schau stellte, während die Pfeile flogen?

Er hatte endgültig die Geduld mit der Lady of Blackadder verloren. Es war Zeit, sie zu zwingen, ihm ihre Hand zu gewähren.

„Ich habe keinen Hunger.“ Alison ließ die wässrige Brühe fortbringen, obwohl allein der Duft ihren Magen knurren ließ. Sie wusste nicht mehr, wann sie zuletzt etwas gegessen hatte.

Sie sah zu, wie alle anderen hungrig ihre Brühe löffelten und dann die Schale an den Mund setzte, damit ihnen auch nicht ein einziger Tropfen entging. Was wäre das schlimmere Schicksal für ihre Männer? Ein langsamer Tod durch Verhungern oder ein schneller Tod durch das Schwert? Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, was die Frauen würden erleiden müssen. Deshalb sagte sie sich jeden Morgen, dass sie noch einen weiteren Tag ausharren und auf ihre Brüder warten würde. Doch sie kamen nicht.

Das Baby einer der Mägde begann wieder zu weinen, und das war es, was das Fass zum Überlaufen brachte. Sie konnte es nicht mehr ertragen. Ein Tag, eine Stunde, welchen Unterschied machte das schon? Der Brief hatte ihre Brüder nicht erreicht, und die Douglases würden nicht kommen, um sie zu retten.

Sie umklammerte die Tischkante, erhob sich und wartete darauf, dass das Schwindelgefühl nachließ.

„Wir werden uns ergeben“, verkündete sie. „Mögen uns Gott und Laird Wedderburn gnädig sein.“

Bumm. Bumm. Bumm.

Die Wände erzitterten unter einem Donnergrollen. Schreie und Rufe erhoben sich in der Halle. Beatrix und Margaret klammerten sich jammernd an Alisons Röcke.

„Was ist das?“, rief sie und versuchte, sich Gehör zu verschaffen.

„Ein Rammbock“, antwortete einer der Männer, bevor er zum Tor rannte.

Warum griff Wedderburn ausgerechnet jetzt an, nachdem er so lange gewartet und sie ausgehungert hatte?

Bumm. Bumm. Bumm.

Der Boden unter ihren Füßen erzitterte, als ob Thor höchstpersönlich im Burghof auf seinen Amboss einschlüge.

Was sollte sie tun?

Wenn die Humes die Burg stürmten, würde es mit Sicherheit ein Blutbad geben. Wenn sie sich friedlich ergab, könnte sie damit vielleicht Leben retten. Sie wandte sich an die Kinderfrau, deren Blicke wild durch die Halle zuckten, und brachte ihre Töchter zu ihr.

„Flora, bring die Mädchen in unser Gemach und verriegele die Tür“, befahl sie. „Öffne niemandem außer mir.“

Sie eilte aus dem Bergfried und blieb am Kopf der Eingangstreppe stehen. Im Burghof herrschte Chaos. Die Verteidiger eilten zum Tor und unterstützten jene, die sich bereits gegen das Holz drückten und sich mit ihrem eigenen Gewicht gegen das unablässige Hämmern stemmten.

Bumm. Bumm. Bumm.

„Sagt ihm, dass ich mich ergebe!“, schrie sie. „Öffnet das Tor!“

Bumm. Bumm. Bumm.

Sie wiederholte ihren Befehl, doch niemand hörte sie. Sie eilte die Treppe hinunter, sie musste sich Gehör verschaffen. „Wir ergeben uns! Öffnet das Tor!“

Ein grässliches Splittern drang an ihre Ohren.

„Sie brechen durch!“, brüllte jemand. „Rennt um euer Leben!“

Es war zu spät. Mit wild jagendem Herzen raffte Alison die Röcke und rannte los. Sie musste ihre Töchter erreichen, bevor die Angreifer durchbrachen und mordend und plündernd die Burg einnahmen. Ihre eigenen Männer rempelten sie an, und zweimal wäre sie fast zu Boden gegangen, doch es gelang ihr schließlich, in den Bergfried zu kommen.

Der Lärm in der Halle war ohrenbetäubend. Die Rufe und Schreie folgten ihr die Treppe hinauf und hallten von den Wänden wider, während sie sich zu ihren Töchtern durchkämpfte.

„Lasst mich rein!“ Mit den Fäusten trommelte sie gegen die Tür zu ihrem Gemach.

Als die Tür aufschwang, stand Beatrix vor ihr, ihre kleine Schwester hinter sich. Flora kauerte auf einem Hocker in der Ecke und wiegte sich jammernd vor und zurück.

Alison warf die Tür hinter sich zu und schob den Riegel vor. Dann drehte sie sich zu ihren Töchtern um. Beide sahen sie aus blassen Gesichtern mit angstgeweiteten Augen an. Alison fiel auf die Knie und zog sie an sich.

„Schon gut.“ Alison log ihre Töchter niemals an, doch dieses Mal tat sie es. „Es wird alles gut.“

Ein Blick auf Flora, die schon alt gewesen war, als sie Alison aufgezogen hatte, verriet ihr, dass ihr die arme Frau keine Hilfe sein würde.

Das Klirren von Schwertern und das Gebrüll der Männer drangen durch die Fenster herein und erfüllten Alison mit Panik. Der Feind befand sich jetzt innerhalb der Burgmauern. Sie betete darum, dass die Tore des Bergfrieds standhalten würden. Sie verbarg das Gesicht im Haar ihrer Töchter, sog ihren vertrauten Duft ein und fragte sich, ob dies das letzte Mal war, dass sie die beiden Mädchen im Arm hielt.

Ein lautes Krachen erscholl, gefolgt von noch lauterem Brüllen. Plötzlich drang der Kampfeslärm nicht nur vom Burghof, sondern auch aus der Halle herauf. Sie musste ihre Kinder beschützen. Aber wie?

Alison fiel das Schwert ihres Gemahls ein, das sie in der Truhe am Fußende des Bettes aufbewahrte. Sie zwang sich dazu, ihre Töchter loszulassen, und tastete mit zitternden Fingern nach dem Schlüsselbund an ihrem Gürtel. Endlich hatte sie den richtigen Schlüssel gefunden.

Als sie die Truhe aufschloss, hörte sie schwere Schritte auf der Treppe. Sie warf Laken und Kleider beiseite und suchte fieberhaft nach dem Schwert.

Klick. Bei dem Geräusch zuckte sie zusammen. Jemand hatte die Türklinke heruntergedrückt. Ihr Herzschlag dröhnte in ihren Ohren, als sie das Schwert aus der Truhe zog und es mit Mühe aus der Scheide befreite. Als sie es endlich geschafft hatte, stolperte sie rückwärts.

Bumm. Bumm. Jemand schlug mit der Faust gegen die Tür. Der Riegel hielt, aber wie lange noch?

„Bleibt hinter mir“, befahl sie ihren Töchtern.

Sie stand vor ihnen und wandte sich zur Tür, das Schwert in der Hand.

David kämpfte sich durch die Reihen der Krieger im Burghof, direkt auf den Bergfried zu. Er hatte nur noch sein Ziel vor Augen.

Die Burg würde schnell fallen. Die Verteidiger hatten keinen Anführer und kämpften ungeordnet. Er sorgte sich nur darum, ob es vielleicht einen geheimen Tunnel aus der Burg gab. Während der Belagerung hatte er seine Männer ausgeschickt, damit sie die Umgebung der Festung überwachten, doch dann hatte er seine Kräfte für den Angriff zusammengezogen, und jetzt befanden sich die meisten seiner Männer hier in der Burg. Wenn es einen Tunnel gab, dann musste er die Witwe und ihre Töchter in Gewahrsam nehmen, bevor sie fliehen konnten. Der Gedanke, sie mit Hunden durch die Felder hetzen zu müssen, gefiel ihm ganz und gar nicht.

Die Verteidiger hatten ungeschickterweise zu lange mit dem Rückzug in den Bergfried gewartet, und die meisten saßen im Burghof fest, als Davids Männer durchbrachen. Ohne ihnen mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken, rannte er die Stufen zum Bergfried hinauf.

Mit mehreren seiner Männer hinter sich stürmte er mit gezücktem Schwert durch das Tor. Am Eingang zur großen Halle hielt er inne. Frauen und Kinder schrien, und die wenigen Blackadder-Krieger, die es in den Bergfried geschafft hatten, stießen in einem hoffnungslosen Versuch, sich zu verteidigen, Tische um.

„Wenn ihr Gnade wollt, dann lasst die Waffen fallen“, rief David so laut, dass man ihn über den Tumult hinweg hörte.

Er sah die Männer, die noch zögerten, seinen Befehl zu befolgen, unverwandt an, bis endlich sämtliche Waffen klirrend zu Boden fielen. Dann ließ er den Blick zu den Frauen wandern. Ihre Kleidung bestätigte ihm, was er schon in dem Augenblick gewusst hatte, in dem er in die Halle getreten war. Blackadders Witwe war nicht unter ihnen.

„Wo ist sie?“, fragte er einen der Blackadders.

„Wer, M’Lord?“ gab der Mann zurück und sah weg.

„Eure Herrin!“ David packte ihn am Waffenrock und beugte sich über ihn. „Sag es mir, sofort.“

„In ihrem Schlafgemach“, krächzte der Mann und deutete auf einen Türbogen. „Da ist die Treppe.“

David nahm den scharfen Geruch von Urin war und ließ den Mann angewidert zu Boden fallen. Dieser Jämmerling hatte sich nass gemacht.

„Bringt ihn in den Kerker“, befahl er. Der Feigling hatte seine Herrin für Davids Geschmack viel zu leicht ausgeliefert.

David eilte mit gezücktem Schwert die Wendeltreppe in die oberen Stockwerke hinauf. Er rechnete damit, auf Blackadder-Krieger zu stoßen, die ihre Burgherrin verteidigen wollten. Doch niemand befand sich auf der Treppe und auch im ersten Stock war keiner zu sehen.

Verdammt. Sie musste entkommen sein. Er knirschte mit den Zähnen, als er sich ausmalte, wie die Wachen der Lady sie in diesem Augenblick durch den Tunnel in die Freiheit führten.

Gerade wollte er eine der Türen zu den Gemächern öffnen, nur um ganz sicherzugehen, dass der Raum dahinter leer war, als Brian, einer seiner besten Leute, die Treppe herunterkam.

„Laird, ich habe sämtliche Gemächer überprüft, während Ihr noch in der Halle wart“, erklärte er.

Davids Kiefer schmerzte, so fest biss er die Zähne aufeinander.

„Es gibt eine Tür auf dem Stockwerk über uns, die sich nicht öffnen lässt“, sprach Brian weiter. „Soll ich sie aufbrechen?“

David winkte ihn zu sich und zog die Axt aus seinem Gürtel, während er die Stufen weiter emporeilte.

„Aufmachen!“, brüllte er und hämmerte gegen die Tür.

Er wartete nicht auf eine Antwort, denn in genau diesem Augenblick konnte sie durch eine Geheimtür verschwinden. Drei harte Schläge mit der Axt, und die Tür zersplitterte. Er trat sie auf und stürmte dann in das Gemach dahinter.

Beim Anblick der Frau schienen seine Füße jedoch plötzlich auf dem Boden festgewurzelt zu sein. Er fühlte sich merkwürdig und sein Blick wurde unscharf, so als hätte er einen Zaubertrank geschluckt, der sein Sichtfeld einengte. Er nahm nichts mehr wahr außer ihr.

Sie war hinreißend. Veilchenblaue Augen, blasse Haut und schimmerndes schwarzes Haar. Doch da war noch etwas anderes an ihr, etwas jenseits ihrer Schönheit, das ihn gefangen hielt. Sie war jung. Viel jünger, als er erwartet hatte. Und sowohl ihre Gestalt als auch ihre Gesichtszüge waren zart, was einen herben Kontrast zu der Wildheit darstellte, mit der sie ihn ansah.

David war sich tief in seinem Herzen bewusst, dass es einem Rohling wie ihm nicht zustand, Anspruch auf eine so fragile Blume zu erheben, doch in seinem Kopf dröhnte wie ein Trommelschlag immer nur dieses eine Wort: Mein. Er wusste nicht, wie lange er dort gestanden und sie angestarrt hatte, als er plötzlich begriff, dass sie ein Schwert in den Händen hielt. Erst dann bemerkte er endlich auch die beiden kleinen Mädchen, die sich hinter ihr versteckten und ihn ansahen wie verängstigte Kätzchen.

Zorn kochte in seiner Brust hoch. Jeder einzelne der Blackadder-Männer hätte hier sein und sich zwischen ihn und ihre Herrin stellen müssen. Stattdessen stand sie ihm alleine gegenüber, mit einem Schwert, das sie kaum halten konnte.

Es war eine tapfere, aber dennoch lächerliche Geste.

Sie hatte keine Chance gegen ihn.

5. KAPITEL

Als die Axt mit einem Krachen, das wie das das Splittern von Knochen klang, durch das Holz brach, hatte Alison geschrien, doch nun verschloss ihr blankes Entsetzen die Kehle, als der riesige Krieger durch die zerborstenen Überreste der Tür stieg. Direkt am Eingang blieb er stehen, die Axt noch immer erhoben, wie bereit zum Schlag.

An seiner bedrohlichen Ruhe erkannte sie ihn als den Mann, den sie vom Turm aus auf seinem schwarzen Pferd gesehen hatte. Dies hier war die Bestie von Wedderburn. Ihr Herz schlug so laut, dass das Hämmern den gesamten Raum zu erfüllen schien.

Dolche, ein Schwert und verschiedene andere Waffen hingen von seinem Gürtel und von den Lederriemen, die er sich um Brust und Hüfte geschlungen hatte. Zerzaustes Haar, das wie Gold und Bronze glänzte, streifte seine unglaublich breiten Schultern, von denen ein Kettenhemd hing. Was sie jedoch mehr ängstigte als seine Waffen, waren diese grimmigen grünen Augen. Er sah sie an wie ein Wolf seine Beute.

Hinter ihr begannen ihre Töchter zu wimmern, und es zerriss ihr das Herz.

„Bleibt zurück oder ich erschlage Euch!“, schrie sie und hielt das Schwert vor sich. Wenn es nötig war, würde sie sterben, um ihre Töchter zu beschützen.

„Lasst das Schwert fallen.“ Seine Stimme war ein tiefes Grollen, das in ihrem Bauch vibrierte und ihr die Knie weich werden ließ.

„Nein! Ich werde nicht zulassen, dass Ihr uns anrührt!“

„Lasst es fallen, sofort.“

Autor

Margaret Mallory
<p>Margaret Mallory wuchs im US-Staat Michigan auf, studierte dort Jura und arbeitete später im juristischen Bereich. Mit dem Schreiben historischer Liebesromane begann sie, als ihre beiden Kinder auf dem College waren. Ihre gefühlvollen Geschichten haben bereits zahlreiche Preise gewonnen. Die Autorin lebt mit ihrem Mann an der wild-romantischen Pazifikküste der...
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