Der Highlander und die stolze Schönheit

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Der Highlander Athdar MacCallum bringt Isobels junges Herz zum Erbeben! Aber sie gibt sich keinerlei Hoffnung hin. Niemals würde ihr gestrenger Vater einer Verbindung mit dem fremden Clan-Chef zustimmen. Trotzdem ist die temperamentvolle Schönheit wehrlos gegen die Gefühle, die der breitschultrige Hüne in ihr weckt. Sie sehnt sich so danach, in seinen Armen zu liegen. Und ihr heimlicher Wunsch wird erhört, als sie Athdar nach einem Skandal heiraten muss! Doch hat Isobel damit ihr Schicksal besiegelt? Denn es heißt, der Highlander sei verflucht: Jede Frau, die er liebt, findet ein tragisches Ende …


  • Erscheinungstag 16.02.2016
  • Bandnummer 321
  • ISBN / Artikelnummer 9783733765200
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Los, kommt mit!“, rief Athdar im gleichen Tonfall wie dem des Befehlshabers der Krieger seines Vaters. Das hölzerne Schwert hocherhoben, zeigte er auf den Wald und erklärte: „Unsere Feinde haben sich in den Schutz der Bäume zurückgezogen.“

Athdar führte seine Freunde, zwei Cousins und zwei Söhne eines Dorfbewohners, alle im gleichen Alter wie er, zwischen den Bäumen hindurch. Während er die Schatten absuchte, ob sich irgendwo etwas rührte, folgte er dem Trampelpfad, der in der Nähe des Flusses entlangführte.

Da! Etwas hatte sich vor ihm im Gehölz bewegt, und er rief den anderen erneut Befehle zu. Vielleicht ein Reh, vielleicht ein Fuchs oder ein anderes wildes Tier streifte durchs Gesträuch. Lachend versuchten sie, ihm zu folgen, doch es verschwand im Dickicht. Nach einer Weile bemerkte Athdar, dass das Rauschen der Wellen leiser wurde und dass ihr Weg sie vom Fluss weggeführt hatte. Er sah sich um und musste feststellen, dass nichts um ihn herum vertraut aussah. Er blieb kurz stehen, dann rannte er los und rief den anderen zu, ihm zu folgen. Unerwartet gelangte er auf eine kleine Lichtung, an deren Rand ein tiefer Graben verlief, der früher einmal Teil des Flussbetts gewesen war. Er lief noch etwas schneller, um genug Schwung zu bekommen, sprang über das Hindernis und landete auf der anderen Seite in einem Haufen Blätter. Schnell stand er auf und rief: „Macht schon! Dieser Graben kann uns nicht aufhalten!“

Als der Sohn des Lairds war er es gewöhnt, diese zusammengewürfelte Truppe aus Freunden anzuführen. Er winkte ihnen zu, damit sie ihm endlich folgten.

„Habt ihr etwa Angst?“, forderte er sie heraus. „Nehmt Anlauf, und dann schafft ihr es.“ Athdar sah ihnen ihre Unentschlossenheit an, wollte jedoch nicht, dass sie sich selbst ihr Abenteuer verdarben. „Nur Feiglinge missachten die Befehle ihres Anführers.“ Seine harschen Worte versetzten ihm selbst einen Stich, aber er wusste, seine Freunde mussten angefeuert werden.

Sie stießen sich gegenseitig an, nickten sich zu und gingen ein paar Schritte zurück, um Anlauf zu nehmen. Athdar stand lächelnd da und verschränkte die Arme vor der Brust, ganz so wie sein Vater es oft tat. Fast gleichzeitig machten die vier einen Satz in die Luft, um den tiefen Graben zu überspringen.

Ihre anfeuernden Rufe verwandelten sich in Entsetzensschreie, als sie merkten, dass der Schwung nicht reichte, um bis zur anderen Seite zu gelangen. Fassungslos hörte Athdar mit an, wie die Schreie einer Totenstille wichen. Sein hastiger Atem war das einzige Geräusch, als er sich zögerlich dem Rand des Grabens näherte und in die Tiefe spähte.

Gut zwanzig Fuß unter ihm lagen seine Freunde auf dem Grund des steinigen, ausgetrockneten Flussbetts. Auch wenn er erst sieben Jahre alt war, begriff er sofort, dass ein paar von ihnen tot und die anderen schwer verletzt waren. Die Art, wie Gliedmaßen und bei dem einen oder anderen auch der Kopf verdreht waren, konnte nichts Gutes verheißen.

Und alles war seine Schuld! In aller Eile suchte er in seinem Beutel nach dem Seil, das er gewöhnlich mit sich führte, aber es war nicht da. Da er sich so dicht am Grabenrand aufhielt, löste sich immer mehr Erde und regnete auf seine Freunde hinab. Ein leises Husten verriet ihm, dass zumindest einer von ihnen noch lebte. Nacheinander rief er ihre Namen, erst auf ein lautes „Robbie!“ hin stöhnte einer von ihnen.

„Robbie! Ich komme runter!“, sagte er und schob die Beine über die Kante, um am Rand des Grabens nach unten zu rutschen.

Das war seine Schuld. Allein seine Schuld. Er musste ihnen helfen!

„Bleib oben“, ächzte Robbie. „Wir haben nichts davon, wenn du mit uns hier unten in der Falle sitzt.“

Athdar hielt inne und klammerte sich an der freiliegenden Wurzel eines Baums gleich neben ihm fest, um nicht wegzurutschen. Es stimmte. Wenn er seine Freunde nicht nach oben holen konnte, war er für sie keine Hilfe. Ein Strahl der bereits tief stehenden Sonne, der durch das Blattwerk gedrungen war, machte ihn darauf aufmerksam, dass es schon bald dunkel werden würde und dass dann neue Gefahren drohten.

„Ich hole Hilfe!“, rief er einmal laut, dann ein zweites Mal, als von unten keine Reaktion kam. Schließlich hängte er sich den Beutel um und versuchte sich zu orientieren. Sie waren von Ost nach West durch den Wald gelaufen. Oder … doch nicht? In allen Richtungen sah es für ihn gleich aus. Er musste tief durchatmen, sich beruhigen, da er sonst vor Angst den Kopf verlor.

Er musste den Heimweg finden. Er musste Hilfe holen. Er musste …

Athdar rannte los, tauchte unter den niedrig hängenden Zweigen hindurch und lief weiter, um das Flussufer zu erreichen.

Es dauerte eine Weile, bis er den Fluss erreichte, und am Ufer angekommen, hatte er keine Ahnung, ob er sich nach links oder nach rechts wenden sollte. Sobald die Angst oder die Erschöpfung zu groß wurde, rief er sich das Bild ins Gedächtnis, das seine Freunde tief unten im Graben zeigte. Es gab ihm die Kraft zum Weiterlaufen. Es wurde dunkel, und irgendwann brach er völlig übermüdet zusammen und schlief ein.

Auch als er im Morgengrauen erwachte, wusste Athdar noch immer nicht, wie er nach Hause gelangen sollte. Schließlich ließ er die Angst und das schlechte Gewissen siegen und begann um seine Freunde zu weinen.

Das war der Moment, als sein Vater, sein Onkel und zwei Clans-Angehörige auf ihren Pferden auf ihn zugeprescht kamen und ihn entdeckten. Schnell schilderte er, was geschehen war, doch es verging geraume Zeit, bis er sie zur Unglücksstelle geführt hatte. Dort sah er mit an, wie die Männer Robbie und die anderen aus dem Graben holten.

Athdar fühlte sich schrecklich. Bei jedem seiner Freunde, der nach oben geholt wurde, brach es ihm das Herz. Nur einer von ihnen regte sich, und die Stille, die herrschte, während die Männer überprüften, ob noch Leben in den Verunglückten war, brachte ihn fast um. Schließlich machten sie sich völlig niedergeschlagen auf den Weg zur Feste.

Auch wenn die Eltern der toten Jungen von einem verheerenden Unfall redeten, kannte Athdar die Wahrheit. Das Ganze war seine Schuld. Ebenso gut hätte er jeden seiner Freunde persönlich in den Graben stoßen können. In gewisser Weise hatte er das ja auch getan, indem er ihren Stolz infrage gestellt und sie zu einer Mutprobe getrieben hatte, die ihnen zum Verhängnis geworden war. Und als er sie anschließend vielleicht noch hätte retten können, hatte er sich verirrt und kostbare Stunden verloren, die möglicherweise entscheidend über Leben und Tod gewesen waren.

Auch wenn niemand anklagend mit dem Finger auf ihn zeigte, entgingen ihm nicht die misstrauischen Blicke, als drei seiner Freunde beerdigt wurden. Er hörte die getuschelten Zweifel an seiner Unschuld, und am liebsten hätte er seine Schuld laut hinausgeschrien. Doch seine Eltern versuchten ihn davon zu überzeugen, dass er nichts dafür konnte und dass es sich nicht so zugetragen hatte, wie er behauptete. Es war ein schrecklicher Unfall, an dem niemand etwas ändern konnte. Mit der Zeit würde die Erinnerung daran verblassen.

Und so kam es dann auch. Niemand verlor je wieder ein Wort darüber, weil sein Vater, der Laird, es verboten hatte. Niemand sprach von den Kindern, die gestorben waren, oder von Robbies Eltern, die aus dem Dorf weggezogen waren. Es redete auch niemand über die Verletzungen, die der überlebende Junge erlitten hatte. Niemand stellte zu beharrliche Fragen, und Athdar selbst wurde dazu angehalten, nicht darüber nachzudenken. Mit der Zeit verblassten die Erinnerungen an das Unglück und an seine Freunde, und innerhalb weniger Jahre war dieser Teil seiner Vergangenheit völlig verstummt.

Ein Teil, an den er sich nicht länger erinnerte.

Aber jemand erinnerte sich noch daran.

Jemand trauerte um die Toten und suchte Trost in jener Art von Wahnsinn, der von unerträglichem Schmerz ausgelöst wurde.

Und dieser Jemand beschloss, denjenigen zur Rechenschaft zu ziehen, der dafür verantwortlich war, auch wenn der sich längst nicht mehr daran erinnerte.

1. KAPITEL

Lairig Dubh, Schottland, im Jahre 1375

Sieh doch! Sieh doch! Da ist er!“

Das aufgeregte Flüstern ließ Isobel hellhörig werden. Ihre Freundin Cora nahm kaum einmal von einem Mann Notiz, also musste es sich wohl um jemand Besonderen handeln. Sie drehte sich um und entdeckte Athdar MacCallum, den Bruder von Jocelyn, der Ehefrau des Lairds. So zielstrebig, wie er in Richtung Bergfried ging, ohne nach links oder rechts zu schauen, machte klar, dass er etwas mit Connor MacLerie, dem Laird, zu besprechen hatte und er sich durch nichts und niemanden davon abbringen lassen würde. Dennoch bot dieser Mann einen aufregenden Anblick.

„Er reist bald ab und kehrt nach Hause zurück“, sagte sie und erklärte auf Coras fragenden Blick hin: „Mein Vater hat es heute Morgen erwähnt.“

„Wird er zum Nachtmahl noch hier sein?“, fragte Cora.

Isobel hielt sich zurück, ihre Begeisterung und ihr Interesse an Athdar zu zeigen, denn wenn ihr Vater davon erfuhr, würde sie Probleme bekommen. Normalerweise genügte es bereits, den Namen zu erwähnen, dann reagierte ihr Vater sofort äußerst missmutig – und niemand wollte den Missmut des großen Kriegers Rurik hervorrufen.

Denn Rurik, der halb nordische, halb schottische außereheliche Sohn des Earl of Orkney hatte nicht viel Geduld mit Dummköpfen, und irgendwann, noch lange vor ihrer Geburt, das wusste Isobel, hatte Athdar etwas sehr Dummes gemacht, das ihr Vater ihm nicht verzeihen konnte. Dabei kümmerte es ihn nicht, dass Athdar damals noch ein ungestümer kleiner Junge gewesen war, und es spielte auch keine Rolle, dass als Folge dieser Dummheit Jocelyn MacCallum nach Lairig Dubh gekommen und die Ehefrau des Lairds geworden war. Für ihren Vater zählte nur, dass es Athdar seinerzeit an Charakter gemangelt hatte, und dass das jetzt wohl immer noch so war. Isobel drehte sich zu Cora um.

„Ich weiß nicht, ob er heute Abend noch hier sein wird, Cora. Ich halte nicht nach, wann er kommt und wann er geht.“

Auch wenn sie das machen würde, wenn sie es könnte.

In den letzten Jahren hatte sie mit angesehen, wie ihre vielen Cousins und Cousinen verheiratet wurden, und seit sie selbst nun ebenfalls im heiratsfähigen Alter war, hatte sich Athdar als der einzige Mann erwiesen, der ihr Interesse weckte. Natürlich hatte das nichts zu tun mit seinem muskulösen Körper oder den eindringlich blickenden braunen Augen oder dem langen braunen Haar, das sein markantes Gesicht umrahmte. Hitze stieg ihr in die Wangen, als sie sich seine maskuline Gestalt vorstellte. Schnell tupfte sie ein paar Schweißperlen von ihrer Stirn ab, und ihr wurde klar, dass sie viel zu sehr auf seine körperlichen Vorzüge konzentriert gewesen war.

Aber die waren es nicht allein, was sie an ihm faszinierte. Ihr gefiel seine respektvolle Art, wenn er so mit ihr redete, als sei es für ihn normal, dass eine Frau einen Verstand besaß. Und er machte im Gegensatz zu anderen Männern keinen Bogen um sie. Er war stark und selbstbewusst. Jemanden zu haben, der sich gegen ihren Vater behaupten konnte, wäre sicher nicht verkehrt. Dem Laird zufolge war Athdar ein gerechter, kluger Mann, und seine Schwester Jocelyn bescheinigte ihm Mitgefühl mit anderen.

Isobel konnte ihm eine durchdringende Traurigkeit anmerken, die etwas tief in ihrer eigenen Seele ansprach und ihr sagte, dass sie diejenige sein musste, die ihm Trost spendete. Diese Traurigkeit sprach sie an, während manch andere Frau davor zurückgeschreckt wäre. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie wieder in seine Richtung sah.

Cora entging diese Reaktion nicht, und sie lächelte wissend. „Ich glaube, er ist dir nicht so gleichgültig, wie du mich glauben lassen willst, Isobel.“

„Warum sollte ich kein Interesse an ihm haben? Er ist über meinen Vater mit mir verwandt“, wich sie aus und hoffte, Cora würde das Thema nicht weiter verfolgen. Sie wischte sich die feuchten Hände an ihrem Kleid ab und strich sich die Haare zurück. „Komm, wir müssen vor dem Nachtmahl noch Arbeiten erledigen, ganz gleich, ob Athdar dabei sein wird oder nicht.“

Das war knapp gewesen. Zum Glück bohrte ihre Freundin nicht nach, während sie mit einigem Abstand zu Athdar den Burghof in Richtung des Bergfrieds überquerten. Der Gedanke, beim Spätmahl mit ihm reden zu können, ließ ihr Herz so rasen, dass sie versuchen musste, es wieder zu bändigen. Und fast wäre es ihr auch gelungen, hätte in diesem Moment nicht jemand hinter ihnen seinen Namen gerufen. Athdar blieb stehen und drehte sich um. Isobel spürte förmlich den intensiven Blick seiner braunen Augen, obwohl sie noch ein Stück weit von ihm entfernt war.

Jegliche Hoffnung, sich ihm gegenüber so zu verhalten, als wäre seine Aufmerksamkeit ihr gegenüber etwas Alltägliches, schwand auf der Stelle, da er ihr zuzwinkerte und sie anlächelte. Wie erstarrt blieb sie stehen und versuchte, ruhig zu atmen. Obwohl ihr Hitze in die Wangen stieg, zwang Isobel sich, Athdar anzusehen und das Lächeln zu erwidern. Doch noch während sie überlegte, was sie zu ihm sagen könnte, eilte Ranald an ihr vorbei und stellte sich vor sie.

„Ich bin auf dem Übungsgelände, Dar“, rief der Krieger ihm zu. „Komm rüber, wenn du beim Laird fertig bist.“

Athdar nickte, dann ging er weiter Richtung Bergfried.

Ranald wandte sich um, grüßte sie und Cora und kehrte zum Übungsgelände zurück.

Amüsiert stellte Isobel fest, dass Coras Blick ihm Schritt für Schritt folgte. Schließlich räusperte sie sich laut, und die Freundin wandte sich ihr zu. Deren rote Wangen mussten ihre eigenen widerspiegeln, da ihr Gesicht immer noch glühte. Isobel gab Cora ein Zeichen, weiterzugehen. Auf deren unübersehbares Interesse an Ranald kam sie nicht zu sprechen.

Als sie den Bergfried betraten, beschloss Isobel, später unter einem Vorwand zum Übungsplatz zu gehen und den beiden Männern bei den Trainingskämpfen zuzusehen. Ganz sicher würde Cora sie dann begleiten wollen.

Athdar fluchte stumm, als er vor den beiden jungen Frauen zum Bergfried ging, wo sein Schwager, der Laird, ihn erwartete. Er musste sich mit Connor und einigen von dessen Beratern zusammensetzen, um Änderungen an ihren Plänen zu besprechen. Während er im Vorbeigehen jedem zunickte, den er kannte, ärgerte er sich über seine Dummheit. Es musste ihm wirklich an Verstand fehlen, wenn er Isobel in der Gegenwart anderer Leute zulächelte.

Oder ihr sogar zuzwinkerte …

Isobel war Ruriks Tochter. Und wenn Rurik davon erfährt, dass ich ihr zugelächelt habe, wird er mir den Kopf abreißen … oder andere Körperteile, dachte Athdar. Der Mann hatte ihm schon einmal mit dem Tod gedroht, und das sollte ihm kein zweites Mal widerfahren. Nicht einmal für die reizende Isobel.

Verdammt, sie war aber auch eine Schönheit! Er hatte sie vom schlaksigen Mädchen zu dieser selbstbewussten und intelligenten jungen Frau heranwachsen sehen. Ihre Eltern hatten dafür gesorgt, dass sie genauso Unterricht erhielt wie die meisten engeren Angehörigen der MacLeries. Und so wie viele von den anderen Mädchen und Frauen aus dem Clan war sie dazu angehalten worden, ihren Verstand zu benutzen und ihre Meinung zu sagen. Er wusste, das war äußerst ungewöhnlich, doch in der Feste und im Dorf seines Schwagers schienen diese Dinge alle völlig normal zu sein.

Athdar suchte das Gemach auf, das Connor als Arbeitsraum benutzte, und traf ihn und einige andere Leute an, die er kannte. Bevor sie ihre Unterredung begannen, schweiften seine Gedanken ab zu einem herzförmigen Gesicht mit fröhlich dreinblickenden blaugrünen Augen, eingerahmt von hellblonden Locken. Und erst diese vollen rosigen Lippen, die ihn zum Wahnsinn treiben konnten. Sein Körper folgte diesen Gedanken und reagierte so überraschend und stark, dass Athdar auf seinem Stuhl umherrutschte und die Aufmerksamkeit des Lairds auf sich lenkte.

„Geht es dir gut?“, fragte Connor und bot ihm einen Becher Wein an.

„Ja, es geht mir gut“, antwortete er und trank einen Schluck, damit er sich auf die Unterredung konzentrieren konnte, aber nicht auf die reizende und doch verbotene Isobel. „Wie sieht es mit den Vorbereitungen für den Winter aus?“

Sosehr er sich auch bemühte, Connors Ausführungen zu folgen, musste er doch bald schon wieder an Isobel denken.

Und an die Aussichtslosigkeit, sie jemals zu der Seinen machen zu können.

Als er sich umsah und feststellte, dass fast alle Anwesenden glücklich verheiratet waren, ging ihm wie so oft ein Stich durchs Herz. Glücklich könnte er wohl sein, aber heiraten würde er nicht noch einmal.

Das traurige Ende seiner beiden vorangegangenen Ehen und der Verlobung hatte ihm die Entscheidung abgenommen, nie wieder eine Frau den Gefahren auszusetzen, die eine Heirat mit ihm bedeutete.

Vor allem nicht die reizende Isobel.

Die Tragödien seiner Vergangenheit mochten ihn Tag und Nacht verfolgen, doch er würde nicht das Leben einer so kostbaren und vor Leben sprühenden Frau auf die Gefahr hin riskieren, dass er wahrhaftig verflucht war.

Mancher würde lachen und ihn zum Narren erklären. Menschen starben. Frauen starben, besonders häufig sogar bei der Geburt eines Kindes. Doch dann würden sie sich daran erinnern, dass zwei Gattinnen zu Tode gekommen waren, eine Verlobte einen Unfall erlitten hatte und zwei potentielle Ehefrauen Reißaus genommen hatten vor dem Schicksal, das ihnen drohte, sollten ihre Väter der Heirat zustimmen.

So sehr er sich auch wünschte, eine Ehefrau zu finden und eine Familie zu gründen, war ihm dennoch klar, dass das Schicksal gegen ihn war. Er stand auf und ging zum Fenster, von wo aus er Connors Erklärungen folgte und seine Fragen beantwortete.

Als hätten seine Gedanken sie beschworen, entdeckte er Ruriks Tochter, die soeben den Hof in Richtung des Übungsplatzes überquerte. Sie und ihre Freundin unterhielten sich angeregt, lachten und beobachteten die Männer, die den Umgang mit dem Schwert und anderen Waffen übten. Athdar trank seinen Becher aus und stellte ihn auf einem Tablett ab.

„Ich werde dein Angebot annehmen und für ein paar Tage bleiben, Connor.“ Ohne sich um die fragenden Blicke der Anwesenden zu kümmern, ging er zur Tür. „Ich muss mit meinen Leuten reden, welche Vorräte wir benötigen.“

„Deine Schwester ist im Wohngemach, Dar“, sagte Connor.

„Sie werde ich später aufsuchen.“ Er hob den Riegel an und zog die Tür auf. „Ich bin bald zurück.“

Als hätten seine Füße ein Eigenleben entwickelt, machten sie sich mit ihm auf den Weg, noch bevor er sich sein sonderbares Benehmen erklären konnte. Es war, als hätte jemand ein Seil um ihn gelegt, um ihn mitzuziehen, mit zu … ihr. Noch gerade rechtzeitig merkte er, dass er mit seinem Verhalten sein Wohl und ihres in Gefahr brachte. Er wurde langsamer und beschloss, seine Kräfte mit Ranalds zu messen.

Ein ordentlicher Schlagabtausch würde ihm schon diese verrückten Ideen austreiben. Dann würde er sich vor Augen führen können, wieso er eigentlich hergekommen war … und wieso er jeden Gedanken an eine Heirat so schnell wie möglich unterdrückte.

Wahrscheinlich hätte sein Plan funktioniert, wäre da nicht Isobel gewesen, die nach Luft ringend seinen Namen ausstieß, als er nach dem einen gezielten Haken von Ranalds Faust mit dem Gesicht voran im Staub landete. Wie sollte es ihm gelingen, diese Frau jemals zu ignorieren, wenn er sie mit Leib und Seele für sich beanspruchen wollte?

„Rurik erwägt, sie anderweitig zu verheiraten.“

Connor trat näher und sah sich an, was sich unter ihnen auf dem Hof abspielte. Dies war sein Lieblingsplatz: auf der Brustwehr hinter seiner geliebten Jocelyn stehend. Er beugte sich ein wenig vor, legte ihr die Hände an die Hüften und atmete den Duft ihrer Haare ein. Die bloße Nähe zu ihr erregte ihn, und er musste den Kopf schütteln, da er nicht fassen konnte, dass sie auch nach ihrer langen Ehe für ihn immer noch die Versuchung in Person war.

„Hat er endlich eingesehen, dass sie im heiratsfähigen Alter ist?“, fragte Jocelyn und drehte sich in seinen Armen zu ihm um. „Er hat sich ja lange genug dagegen gesträubt.“

„Zwei Anträge liegen ihm seit Kurzem vor. Wir haben ausführlich darüber geredet, und er musste schließlich zugeben, dass die Zeit gekommen ist.“

„Und du unterstützt diese Anträge?“, wollte sie wissen. Etwas schwang in ihrer Stimme mit. Argwohn? Sarkasmus?

Connor lachte. „Dann hat das Spiel begonnen, Weib?“ Er küsste sie und sah das schelmische Funkeln in ihren Augen. „Tatsächlich, es hat begonnen.“

Er ließ sie los und schaute seitlich über das Brustwehr nach unten auf den Übungsplatz in einer Ecke des großen Burghofs. Ihr Bruder hatte sich von der Besprechung zurückgezogen und kämpfte jetzt von einer begeisterten, johlenden Menge umgeben gegen Ranald, einen der jüngeren Krieger. Sogar auf diese Entfernung konnte Connor an Dars Kampfstil erkennen, dass er nicht bei der Sache war. Und wenn er sich nicht irrte, wusste er auch, wer der Grund dafür war.

„Er hat von ihr Notiz genommen.“ Er spürte, wie Jocelyn sich verkrampfte, und wartete nur auf ihren Widerspruch. „Rurik wird das nicht erfreuen.“

„Athdar hat geschworen, nie wieder zu heiraten“, flüsterte Jocelyn ihm zu, während sie mit ansehen mussten, wie ihrem Bruder die Kontrolle über den Kampf entglitt. „Er trägt so viel Schmerz in sich.“

Connor schwieg, da er wusste, es hätte genauso gut eine Schilderung seiner eigenen Geschichte sein können – der Schmerz, die Weigerung zu heiraten, das Unvermögen, doch noch auf die Liebe hoffen zu können. Einzig die Frau, die jetzt vor ihm stand, hatte sein Herz und seine Seele vor der ewigen Finsternis bewahren können. „Rurik hofft, dass sie einen anderen erhören wird, und dabei ist Dars Name nicht einmal gefallen.“

„Ich hätte nicht gedacht, dass Rurik irgendeinen Groll so beharrlich hegen würde“, sagte Jocelyn und sah ihn forschend an. „Das ist alles so lange her, und Athdar war doch noch so jung. Außerdem war es nur eine Beleidigung, aber kein Angriff.“

„Du hast dich bislang nicht in Dars Angelegenheiten eingemischt. Warum willst du dir jetzt diese Mühe machen?“, fragte er, während er insgeheim überlegte, ob die beiden womöglich ihre nächste Herausforderung darstellten, zwei Menschen zu verkuppeln.

„Ich hatte kein Recht dazu, Connor. Und das hatte ich so hingenommen“, antwortete sie betrübt.

„Hatte?“ Das hörte sich nicht gut an.

„Bei Zusammenkünften sehe ich seinen sehnsüchtigen Blick. Er will das, was wir haben. Eine Ehefrau, Kinder, eine Familie. Er will Liebe. Aber er fürchtet sich davor, es noch einmal zu wagen.“

„Vielleicht solltest du ihm dann auch die Entscheidung überlassen.“ Es konnte nicht schaden, seiner geliebten Ehefrau einen leichten Schubs in die richtige Richtung zu geben. „Er ist jetzt der Anführer, er trägt Verantwortung. Ich glaube, es würde ihm nicht gefallen, wenn er wüsste, dass du etwas über seinen Kopf hinweg planst.“ Er konnte nur noch hoffen, dass seine Worte genügten, um sie davon abzuhalten, diese gegenseitige Anziehung zwischen Dar und Isobel zu festigen. „Ich habe noch zu tun. Sehen wir uns an der Tafel?“

Sie lächelte beschwichtigt, doch tief in seiner Seele wusste er, sie würde eine mögliche Heirat zwischen ihrem Bruder und Ruriks Tochter nicht sich selbst überlassen. Und er wusste auch, sie würden es alle bereuen, wenn sie Anstrengungen in dieser Richtung unternahm. Im Moment fehlte ihm die Zeit, um ihr das Risiko klarzumachen, das damit verbunden war, aber das würde er später nachholen. Noch heute Nacht. In ihrem Bett.

„Bis dahin“, sagte sie leise, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf den Mund.

Sein Blick haftete am verführerischen Schwung ihrer Hüften, als sie wegging. Dabei fiel ihm auf, dass sie ihm mit keinem Wort versprochen hatte, sich nicht als Kupplerin zu betätigen. Einmal mehr war er dem Verlangen nach seiner Ehefrau erlegen und hatte sich überlisten lassen. Leise fluchend ging er in die entgegengesetzte Richtung weg. Er musste mit Rurik reden.

Oder vielleicht doch nicht.

Denn einmal in Rage gebracht, war der Befehlshaber all seiner Truppen sogar für ihn eine Herausforderung. Vielleicht werde ich mich diesmal einfach zurückhalten und nur zusehen, wie sich die Dinge entwickeln, überlegte Connor.

Von den Gedanken erfüllt, welche Verlockungen ihn heute Nacht in seinem Schlafgemach erwarteten, machte er sich auf den Weg, um jemanden zu finden, der mit ihm kämpfen würde. Es war eine gute Methode, um einen klaren Kopf zu bekommen und den Verstand zu schärfen. Den würde er dringend nötig haben, sollte seine Frau sich für einen Ehekandidaten für Isobel entschieden haben.

Nach dem überlegenen Gesichtsausdruck zu urteilen, unmittelbar bevor Jocelyn sich weggedreht hatte, würde aber womöglich sein scharfer Verstand nicht ausreichen, um diesen Kampf zu gewinnen.

2. KAPITEL

Da er ein Familienmitglied und kein Besucher mit einer offiziellen Mission war, überraschte es Athdar nicht, dass es beim Nachtmahl zwanglos zuging. Er hatte oft hier in Connors großem Saal gespeist, und meistens war es dabei abgelaufen wie auch jetzt. Familie, Freunde, Dorfbewohner und jeder, der eine Mahlzeit benötigte, saßen beim Essen zusammen und unterhielten sich, wobei manche von Tisch zu Tisch zogen, um mit anderen Gästen zu reden.

Wie so oft wanderte sein Blick zu Connor, der seit gut zwanzig Jahren sein Schwager war. In vielem war Connor sein Mentor, in manch anderer Hinsicht seine Nemesis, dennoch störte er sich weder an seiner Anwesenheit noch an seinen Ansichten. Wenn Athdar beobachtete, wie das Gesicht dieses Mannes einen sanftmütigen Ausdruck annahm, sobald er seine Kinder oder seine Frau ansah, dann durchströmten ihn die widersprüchlichsten Gefühle: Neid, Eifersucht und Bewunderung. Dass der furchtlose und gefürchtete Connor MacLerie, Earl of Douran, ein weiches Herz hatte, weckte in ihm einmal mehr den Wunsch, er hätte das, was sein Schwager hatte.

Er trank einen Schluck und nickte Bekannten zu, die an seinem Tisch vorbeikamen und ihn grüßten. Als er seinen Blick weiter durch den Saal schweifen ließ, entdeckte er Rurik, der mit Frau und Kindern an einer der langen Tafeln saß. Sein Sohn, der einige Jahre jünger war als Isobel, würde schon bald so Respekt einflößend sein wie der Vater. Größe und Statur ließen das nordische Erbe deutlich erkennen. Plötzlich lachte Isobel, und Athdar erschauerte. Als sie den Kopf hob, begegneten sich ihre Blicke.

Er wusste, er sollte wegsehen. Sie war zu jung für ihn. Sie war zu unschuldig für all die Schrecken, die er erlebt hatte. Für den Moment gelang es ihm, das Unschuldige und Unverbrauchte zu genießen, das in ihren Augen zu erkennen war, und nicht an sein brennendes Verlangen zu denken. Doch dann erschien seine Schwester und brach den Bann.

„Athdar“, sagte Jocelyn und setzte sich zu ihm auf die Bank. „Wann wirst du nach Hause zurückkehren?“

Ihre Worte ließen ihn auflachen. Hätte er sie nicht so gut gekannt, wäre er davon überzeugt gewesen, die angebotene Gastfreundschaft über Gebühr strapaziert zu haben. „Ich gehe davon aus, dass wir am Morgen aufbrechen werden“, antwortete er. „Ich habe mit deinem Ehemann alles besprochen, was besprochen werden musste.“

Sie beugte sich vor und nahm sich etwas von seinem Teller. „Ich habe überlegt …“, begann sie, schob das Stück Fleisch in den Mund und begann zu kauen.

Wenn Jocelyn sich etwas überlegte, bedeutete das für ihn meistens Ärger. Das war schon in seiner Kindheit so gewesen, und daran hatte sich bis jetzt kaum etwas geändert. „Das ist nicht gut für dich, Joss“, sagte er. „Connor sollte dir das Überlegen ausreden.“

Sie gab ihm einen Klaps auf die Schulter. „Manchmal bist du so ein Dummkopf. Ist ja kein Wunder, dass du …“ Sie verstummte. Anscheinend war ihr klar geworden, dass jede scherzhafte Bemerkung über seine Ehen ein Schlag ins Gesicht sein würde. Doch das Mitleid, das den Schalk in ihrem Blick verdrängte, schmerzte mehr als die unschönen Erinnerungen. „Dar …“ Sie wollte nach seiner Hand fassen, aber er zog sie schnell zurück.

„Und was hast du dir überlegt?“, fragte er in der Hoffnung, dass sie sich jede weitere Bemerkung verkneifen und zum ursprünglichen Thema zurückkehren würde.

„Wird das dein letzter Besuch bis zum Ende des Jahres sein? Ich weiß, du hast mit Connor über die Lieferung von Vorräten gesprochen, aber ich habe keine Ahnung, ob das auch heißt, dass du bis zum Frühjahr nicht mehr reisen wirst.“

„Connor hat mich auf einen weiteren Besuch eingeladen, und diese Einladung werde ich wahrnehmen, solange noch gutes Wetter herrscht.“

„Solange noch gutes Wetter herrscht …“, wiederholte sie leise, wandte den Kopf von ihm ab und schwieg einen Moment. „Gut“, sagte sie dann. „Ich freue mich immer, dich zu sehen.“

Er war sich sicher, dass sie noch etwas sagen wollte, doch Connor kam dazwischen, weil er sie zu sich rief. Nachdem sie aufgestanden und zwei Schritte weit gegangen war, drehte sie sich nochmals zu ihm um. „Hat er erwähnt, dass er … dir helfen will … ein Arrangement zu finden?“

Athdar wusste, was sie meinte. In diplomatische Worte gehüllt, hatte Connor sich angeboten, für ihn einen Heiratsvertrag zu vermitteln. Das hatte er schon für andere Verwandte und Verbündete getan, daher war es kein ungewöhnliches Angebot, aber Athdar wollte diese Form der Hilfe nicht.

„Ja, das hat er, Joss, und ich habe dankend abgelehnt.“

„Aber du brauchst …“

„Halt dich da raus!“, unterbrach er sie ungehalten und war offenbar viel lauter geworden als beabsichtigt, da alle im Saal verstummten und sich zu ihm umdrehten.

Connor eingeschlossen.

Und auch Isobel. Verdammt, warum musste ihm das bloß auffallen?

Und Isobels Vater.

Rurik, der seit langer Zeit loyal zu Jocelyn stand, würde nicht tatenlos zusehen, wie sie beleidigt wurde. Der Befehlshaber aller MacLerie-Krieger war bereits aufgestanden und kam zu ihm, doch Connor ging dazwischen und schickte ihn zurück.

„Jocelyn?“, fragte er und hielt seiner Frau die Hand hin.

„Ich mische mich wieder einmal ein, nachdem du, mein Gemahl, mich davor gewarnt hast“, sagte sie und lächelte ihn an. „Diesmal war mein Bruder das Ziel, der meine Einmischung gar nicht wünscht.“

Wie üblich versuchte sie, den Zorn anderer von ihm auf sich zu lenken. Das hatte sie schon als Kind gemacht, und das war auch jetzt noch so, obwohl sie in einer Position war, in der sie das nicht tun musste. Dieses Verhalten hatte vor langer Zeit ihrer beider Leben in unumkehrbarer Weise verändert.

„Verzeih mir meinen Tonfall, Jocelyn“, sagte Athdar laut genug, um von allen gehört zu werden. Immerhin war er nur ein Gast und sie die Gattin des Lairds. Jocelyns Reaktion ließ die Anspannung im Nu verfliegen, da sie sich ihm an den Hals warf und ihn fest an sich drückte. Er gestattete sich einen Moment der Schwäche, dann löste er sich aus ihrer Umarmung.

„Ich möchte mich jetzt von dir verabschieden, Schwester“, sagte er und nickte seinem Schwager zu. „Ich breche beim ersten Tageslicht auf und möchte so früh niemanden aus dem Schlaf holen.“

Connor gab ihm die Hand und kehrte zu seinem Platz zurück. Ringsum setzten die anderen Gäste ihre Gespräche fort, als wäre nichts geschehen. Athdar trank sein Ale aus und begab sich zu seiner Schlafkammer. Dabei wurde ihm einmal mehr deutlich, wie einsam er doch war.

Ganz gleich, was er zu seiner Schwester gesagt hatte, ihm gefiel dieser Zustand nicht. Doch die Gefahren, die damit verbunden waren, etwas an diesem Zustand zu ändern, wogen schwerer als sein eigenes Verlangen. Nach dem Tod von zwei Ehefrauen und einer Verlobten würde er keine Frau mehr dem Risiko aussetzen, mit ihm liiert zu sein.

Isobel hatte von ihrem Platz an der Tafel aus beobachten können, wie Athdar mit Lady Jocelyn gesprochen hatte. Und ihr waren auch nicht seine schroffen Worte entgangen, die die Burgherrin kreidebleich hatten werden lassen. Während Totenstille eingetreten war, waren ihr Vater und der Laird besorgt zu ihr gelaufen.

Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Lady vor Athdar beschützt werden musste. Immerhin war der Mann ihr Bruder. Aber dann hatten sich die Gemüter wieder beruhigt, ihr Vater und der Laird waren an ihre Plätze zurückgekehrt, Athdar hatte den Saal verlassen – und ihr war klar gewesen, dass sie ihn bei diesem Besuch nicht mehr wiedersehen würde. Und genauso wusste sie, dass er immer diesen traurigen Blick haben würde. Und das konnte sie einfach nicht zulassen. Sie musste etwas unternehmen.

Nachdem sie mit ihrer Familie in ihr Cottage mitten im Dorf zurückgekehrt war, begab sich Isobel zu Bett und versuchte vergebens einzuschlafen. Dabei wurde ihr klar, dass sie Athdar nur helfen konnte, wenn sie ihre Mutter auf ihrer Seite hatte, denn auf sie würde ihr Vater hören. Und auch die Unterstützung von Lady Jocelyn wäre von Vorteil. Im Verlauf der nächsten Stunden legte sie sich einen Plan nach dem anderen zurecht, bis sie durch das kleine Fenster ihrer Schlafkammer sehen konnte, dass der Morgen anbrach.

Rasch zog sie sich an und schlich sich aus dem Cottage, um ja niemanden zu wecken. Wenn das Glück auf ihrer Seite war, würde sie zurück in ihrem Bett sein, bevor jemand ihr Verschwinden bemerken konnte. Einige Dorfbewohner gingen bereits ihrem Tagwerk nach, im Vorbeigehen nickte sie ihnen zu. Auch wenn sie selbst nicht so genau wusste, wieso sie jetzt mit Athdar reden wollte, beschloss sie, es einfach auf sich zukommen zu lassen, und ging weiter in Richtung der Feste und auf das Haupttor zu.

Sie wickelte ihr Schultertuch eng um sich, um die morgendliche Kälte abzuwehren. Ein knirschendes Geräusch verriet ihr, dass das zweiflügelige Tor in der Burgmauer geöffnet wurde. Sie hob den Kopf und erblickte eine kleine Gruppe Berittener, die auf sie zukam. Der Reiter an der Spitze gab den anderen ein Zeichen und brachte sein Pferd vor ihr zum Stehen.

„Es ist noch etwas früh am Morgen, um schon unterwegs zu sein, Mädchen“, sagte Athdar in gedämpftem Tonfall. „Weiß Euer Vater, dass Ihr allein unterwegs seid?“ Seine Stimme klang etwas rau und ließ ihr aus unerfindlichen Gründen einen Schauer über den Rücken laufen. Seine tadelnde Äußerung versuchte sie nicht zur Kenntnis zu nehmen.

„Ich … äh … habe Lady Jocelyn etwas zu überbringen, wenn … äh … Ihr das unbedingt wissen müsst“, stotterte sie. Sie wandte sich ab und ging um sein Pferd herum, da seine Nähe sie verwirrte.

Was machte er bloß mit ihr?

Ihre von ihren Eltern so gelobte selbstbewusste Art ließ sie im Stich und gab ihr das Gefühl, in seiner Gegenwart nichts weiter als ein dummes Kind zu sein. Mit jedem im MacLerie-Clan und mit praktisch jedem Besucher der Feste konnte sie eine intelligente Unterhaltung führen. Doch sein Anblick, wie Athdar gebieterisch hoch zu Ross saß, hatte ihr anscheinend vorübergehend den Verstand verwirrt, sodass sie nicht vernünftig mit ihm sprechen konnte. Heiße Röte war ihr in die Wangen gestiegen.

Er wendete sein Pferd und sah sie an. „Ich möchte Euch nicht von Euren Pflichten gegenüber meiner Schwester abhalten.“

Als er ihr zunickte und sie anlächelte, wäre sie am liebsten im Erdboden versunken.

„Geht jetzt, Mädchen, ich werde warten, bis Ihr hineingegangen seid“, forderte er sie auf.

Wie fürsorglich von ihm, dachte Isobel. Er wollte nicht, dass sie in Gefahr geriet.

„Eine sichere Reise, Laird MacCallum.“

„Mein Name ist Athdar, Mädchen.“

So hatte sie ihn noch nie angesprochen, immerhin war er älter als sie und stand im Rang über ihr. Dennoch …

„Dann wünsche ich Euch eine sichere Reise, Athdar“, sagte sie und nickte.

Er verzog den Mund zu einem Lächeln, mit dem sich sein ganzes Erscheinungsbild veränderte. Das Unheilvolle wich von ihm, an seine Stelle trat ein Ausdruck, der etwas Verruchtes an sich hatte und ihn noch attraktiver wirken ließ. Ihr stockte der Atem, und sie suchte krampfhaft nach der kühnen Art, die ihrem Vater die Sorgenfalten ins Gesicht getrieben hätte. „Und mein Name ist Isobel“, rief sie ihm keck zu.

Dass er ihre Worte mit einem Lachen quittierte, verschaffte ihr ein Gefühl der Befriedigung. „Ich wünsche Euch einen guten Tag, Isobel!“, erwiderte er und wendete erneut sein Pferd, trieb es an, um zu seinen Männern aufzuholen, die bereits vorausgeritten waren.

Isobel ging eilig in Richtung Tor und grüßte die Wachen, die dort ihren Dienst verrichteten. Bei jedem Schritt musste sie sich mit aller Macht zwingen, sich nicht nach Athdar umzudrehen. Obwohl sie keine bestimmte Nachricht für Lady Jocelyn hatte, beschloss sie, sie dennoch aufzusuchen und ihren Feldzug zur Eroberung von Athdar in Angriff zu nehmen.

3. KAPITEL

Die MacCallum-Feste, zwei Monate später

Athdar ritt durch das Tor der Feste und rief seine Männer zu sich, während er sich den Stallungen näherte. Zwei Tage hatte er damit verbracht, seine Ländereien zu inspizieren, das Ende der Ernte und die Einlagerung des Getreides für den kommenden Winter zu überwachen. Auch wenn er schon viele Jahreszeitenwechsel erlebt hatte, kam ihm dieser dennoch anders vor. Irgendetwas lag in der Luft. Er fragte sich, ob Schnee und Stürme früher als üblich die Bergpässe überwinden würden.

„Laird.“

Athdar sprang aus dem Sattel, drehte sich um und sah, dass sein Steward zu ihm kam. „Broc“, sagte er und wartete, bis der Mann bei ihm angekommen war. „Die Vorbereitungen laufen ganz nach Plan, so wie du es gesagt hast.“

„Wird dies dann ein ruhiger Winter werden?“, erklang plötzlich die Stimme von Padruig MacCallum.

Sein Clans-Mann hatte die Angewohnheit, sich an andere Leute heranzuschleichen. Er hatte es sich antrainiert, so leichtfüßig zu gehen, dass man ihn nicht hören konnte. In Gefahrensituationen war das schon oft von Nutzen gewesen, aber mitunter ging es Athdar höllisch auf den Geist, wenn Padruig wie aus dem Nichts auftauchte.

„Der MacLerie hat seine Kontrolle und seinen Einfluss im gesamten Südwesten Schottlands gefestigt, da der König sich nicht rührt. Er sieht keinen Anlass für Feindseligkeiten, jedenfalls noch nicht“, berichtete Athdar.

Die Mienen der beiden Männer verrieten ihm nicht, ob diese Neuigkeiten sie erfreuten oder betrübten. So wie jeder Krieger hatte er nichts gegen einen guten Kampf einzuwenden. Doch seit er für den Clan und dessen Wohlergehen verantwortlich war und da die Vorräte gesichert waren, fand er, dass ein ruhiger Winter seinen Reiz hatte. Jedenfalls konnte er das sich selbst gegenüber eingestehen.

„Welche Neuigkeiten hast du noch für mich, Padruig? Was machen die Kampfübungen? Hat dein Sohn den Schwertkampf inzwischen gemeistert?“

Um das Gesprächsthema zu wechseln, war es immer sehr hilfreich, seinen Freund auf dessen Sohn anzusprechen. Padruig war in den Jungen, der längst fast ein Mann war, völlig vernarrt und lobte dessen Begabungen über alles. Als Athdar sah, wie sich die sonst eher mürrische Miene des Mannes aufhellte, wusste er, welche Richtung die Unterhaltung von nun an nehmen würde. Innerlich machte er sich bereits auf die Tortur gefasst, die er sich selbst eingebrockt hatte.

Es kam so wie erwartet.

Broc machte sich umgehend aus dem Staub, um den Lobeshymnen auf den jungen Mann zu entgehen. Athdar hätte zu gern das Gleiche gemacht. Mit jeder begeisterten Schilderung aus Padruigs Mund kam es ihm vor, als würde ein weiterer Dolch in sein Herz getrieben, denn er würde niemals einen Sohn haben. Anscheinend verriet seine Miene dem Freund seinen Schmerz, denn er beendete abrupt seine Rede und wechselte das Thema.

„Hat Broc mit dir gesprochen?“

„Wegen des Viehs?“

„Nein, wegen deiner Schwester, Lady MacLerie“, erklärte Padruig.

„Broc!“, rief Athdar dem Steward hinterher, der auf dem Weg zum Bergfried war. Padruig fasste ihn am Arm, um ihn zurückzuhalten.

„Jocelyn ist hierher unterwegs. Ein Vorreiter hat die Nachricht überbracht.“

„Warum kommt sie jetzt her?“, wunderte er sich und befreite sich aus dem Griff seines Freundes. Er winkte einen Stallknecht herbei, übergab ihm seinen Hengst und begann, ebenfalls zum Bergfried zu gehen, um einige Antworten zu erhalten. Er hielt kurz inne. „Schick zwei Männer los, um sie in Empfang zu nehmen.“

„Dar.“ Padruig schnaubte missmutig.

Wenn Jocelyn auf Reisen war, dann war sie mit genügend Vorräten und ausreichend Wachen unterwegs. Anders würde Connor es nicht zulassen. Die Sicherheit seiner Schwester bot also keinen Grund zur Sorge. „Vergiss, was ich gesagt habe.“

Dennoch musste er unbedingt mehr erfahren. Deshalb begab er sich in den Bergfried und suchte seinen Steward. Hatte Broc absichtlich vergessen, ihm von dem anstehenden Besuch zu erzählen? Er fand ihn in einem der Lagerräume neben der Küche.

„Meine Schwester?“, rief er ihm zu, um ihn auf sich aufmerksam zu machen.

Ein Problem konnte Jocelyn dazu geführt haben, ihn aufzusuchen, aber das musste nicht der Grund sein. Seine Schwester und ihr Ehemann kamen mehrmals im Jahr her, manchmal um ihn zu besuchen, manchmal auch, weil sie auf dem Weg zu einem anderen Ziel hier vorbeikamen und Rast machten. Was der Anlass für Jocelyns Reise war, wusste er nicht – ganz im Gegensatz zu seinem Steward, der ihm nicht geantwortet hatte.

„Broc!“, rief er so energisch, dass die Dienerschaft in der Küche und im angrenzenden Korridor vor Schreck erstarrte. Endlich straffte sein Steward die Schultern und drehte sich zu ihm um.

Im gleichen Moment kam eine hübsche Magd hinter Broc zum Vorschein. Verdammt, der Mann hatte wirklich ein Händchen dafür, was Frauen anging. Nach dem Lächeln und den geröteten Wangen zu urteilen, musste sie seine neueste Eroberung sein.

„Laird“, sagte sie leise und verließ an Athdar vorbei den Raum.

Broc wartete, bis sie durch den Korridor davongeschlendert war, dann kam er nach vorn an die Tür des Vorratsraums.

„Nicht viel länger und sie wäre ausgezogen gewesen“, stellte Athdar fest. „Mein Gott, Mann, du bist unglaublich schnell. Du hast doch erst vor ein paar Augenblicken den Hof verlassen.“

Sein Steward war schon immer ein Mann gewesen mit mehr Affären, als jeder andere hätte bewältigen können. So hatte er sich schon in jüngeren Jahren verhalten, und es gab keine Anzeichen dafür, dass sich mit zunehmendem Alter daran etwas ändern würde. Broc zuckte amüsiert mit den Schultern und nahm die Bemerkung anscheinend als Kompliment auf, wie Athdar es auch gemeint hatte.

„Meine Schwester ist auf dem Weg hierher?“ Athdar trat in den Korridor.

Broc schloss die Tür hinter sich zu, und gemeinsam begaben sie sich in die Küche. „Aye. Ihr Kurier sagte, dass sie noch einen Tagesritt von hier entfernt sind und morgen gegen Mittag eintreffen werden.“

„Stimmt irgendetwas nicht? Hat sie den Grund für ihren Besuch genannt?“

„Nein, mit keinem Wort. Nur, dass sie mit einer kleinen Gruppe unterwegs ist und etwa eine Woche bleiben wird. Ich habe den Auftrag gegeben, das große Gemach für sie und ihre Begleiterinnen herzurichten.“

Seine Feste war nicht vergleichbar mit der von Connor mit ihren vielen Stockwerken, Schlafkammern und Türmen. Es gab einen großzügigen Raum im Erdgeschoss gleich neben dem Rittersaal, der für Gäste zur Verfügung stand, außerdem vier kleinere Gemächer im ersten Stockwerk, dazu einen Turm für die Wachen. Der Saal und die Küche beanspruchten im Erdgeschoss den meisten Platz, Stallungen und Kapelle befanden sich außerhalb des Bergfrieds. Im Vergleich zur Connors Burg war alles recht bescheiden, aber es war sauber und bequem, und es gehörte ihm.

Ein Schauer lief ihm über den Rücken, und er fragte sich, was ihm mehr Sorgen bereitete – der drohende Wetterumschwung oder der anstehende Besuch. Es passte nicht zu seiner Schwester, ohne Einladung und ohne frühzeitige Ankündigung herzukommen. Als Lady MacLerie und als Countess of Douran hatte sie so viele Verpflichtungen, dass sie eigentlich nicht aus einer Laune heraus quer durch halb Schottland reisen konnte, um ihn zu besuchen. Er konnte nur hoffen, dass sein Unbehagen kein Vorzeichen für drohendes Unheil war.

Athdar nickte, und Broc entfernte sich, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Dann suchte er selbst den kleinen Raum auf, den er benutzte, um seine Geschäftsbücher und Schriftrollen aufzubewahren. Da sie nicht bedeutend genug waren, um sie von einem Priester führen zu lassen, kümmerte er sich selbst um seine Niederschriften, worauf er auch stolz war. Als er jetzt die Zahlen begutachtete, war er davon überzeugt, dass sie den kommenden Winter gut überstehen würden.

Sein ungutes Gefühl verließ ihn jedoch nicht, auch nicht, während er sich den Tag über um seine ganz normalen Pflichten kümmerte.

Autor

Terri Brisbin
<p>Das geschriebene Wort begleitet Terri Brisbin schon ihr ganzes Leben lang. So verfasste sie zunächst Gedichte und Kurzgeschichten, bis sie 1994 anfing Romane zu schreiben. Seit 1998 hat sie mehr als 18 historische und übersinnliche Romane veröffentlicht. Wenn sie nicht gerade ihr Leben als Liebesromanautorin in New Jersey genießt, verbringt...
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