Der Kuss des schwarzen Falken

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An einem Lagerfeuer unter dem Sternenhimmel erlebt Grace, die zierliche Tierschützerin aus reichem Hause, das erste Mal ein erotisches Abenteuer. Den kraftvollen Rand Blackhawk hatte sie eigentlich nur gebeten, ihre Pferde zu retten - und jetzt macht er Grace ganz zu der Seinen, als er ihr in dieser glutvollen Nacht zeigt, was Liebe ist ... Kann Grace ihren freiheitsliebenden Lover zähmen, bevor Rands Auftrag erledigt ist - oder wird er weiterziehen wie ein Falke?


  • Erscheinungstag 25.07.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733717988
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Die Meinungen über Rand Sloan waren geteilt. Je nach dem, ob man von einer Frau oder einem Mann ein Urteil über ihn einholte, fiel es sehr unterschiedlich aus. Fragte man einen Mann nach ihm, erhielt man mehrheitlich zur Antwort, er sei ein verdammt dickköpfiger und meist schlecht gelaunter Bursche, der sich in der Weltgeschichte herumtriebe und bei dem man nie recht wisse, woran man bei ihm sei. Frauen dagegen beschrieben ihn durchweg als außergewöhnlich, atemberaubend und interessant.

In einem Punkt allerdings waren sich Männer wie Frauen über Rand Sloan einig. Er galt als der beste Pferdetrainer in ganz Texas.

Außerdem hatte er mit seinen zweiunddreißig Jahren etwas an sich, das einen glauben ließ, er habe mehr gesehen und erlebt als andere Männer seines Alters. Davon zeugten die charakteristischen Fältchen, die sich von den Winkeln seiner pechschwarzen Augen zu den Schläfen hin ausbreiteten, und sein markant geschnittener Mund unterstrich diesen Eindruck noch. Sein volles Haar glänzte schwarz und reichte ihm bis in den Nacken. Das gleiche Schwarz zeigte sich als Bartschatten auf dem energischen Kinn, wenn er, was mit schöner Regelmäßigkeit vorkam, eine Rasur ausgelassen hatte. In allem, was er tat, ließ er sich Zeit, ein Vorzug, den vor allem Frauen, die ihn näher kannten, zu schätzen wussten. Einen Meter dreiundneunzig groß und durchtrainiert, bewegte er sich mit souveräner Gelassenheit.

Selbstbeherrschung und Disziplin standen bei Rand Sloan an oberster Stelle. Für jeden, der mit Wildpferden arbeitete, waren diese beiden Eigenschaften lebenswichtig. Sie waren ausschlaggebend dafür, ob man in einer kritischen Situation mit einem lästigen Bluterguss davonkam oder mit einem gebrochenen Bein im Krankenhaus landete. Und manchmal entschieden sie sogar über Leben und Tod, denn ungezähmte Pferde waren launisch und unberechenbar. Manche gebärdeten sich wie wahnsinnig. Rand Sloan verstand es, ihnen mit unendlicher Geduld zuzureden, ihnen Rückzugsmöglichkeiten zu lassen, wenn sie sie brauchten, und sie nicht in ihrem Stolz zu verletzen.

All das hatte etwas mit ihm selbst zu tun. Er konnte sich in die Tiere hineinversetzen. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte er sich ebenso unbändig gegen Eingriffe in seine Freiheit wehren müssen. Das war im Wesentlichen der Grund, warum er sich zu den Wildpferden hingezogen fühlte und warum er sich gerade diesen Beruf ausgesucht hatte.

„Nun komm schon, Schätzchen“, sagte er leise, während er Maggie Mae aus ihrer Box führte.

Die Stute schnupperte an der Brusttasche seines Jeanshemds. Sie wollte wissen, ob er ihr etwas Leckeres zu fressen mitgebracht hatte. Das hatte er. Rand gab ihr den halben runzeligen Apfel und streichelte die weiße Blesse auf ihrer Stirn. Dann band er das Tier neben der Box an einen Pfosten. Das Pferd war klein, aber kräftig, eine hübsche zweijährige Fuchsstute, die wie das übrige lebende und tote Inventar unter den Hammer kommen sollte, wenn Rands Mutter die Ranch nächsten Monat aufgab.

Ohne auf den heißen, trockenen Wind zu achten, der die Hitze aus der weiten Ebene in die Scheune trieb, setzte Rand seine Arbeit fort. Arbeit war für ihn immer das Beste gewesen, um den Kopf freizubekommen. Und einen klaren Kopf brauchte er jetzt mehr denn je.

Es kam nicht alle Tage vor, dass man davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass man die letzten dreiundzwanzig Jahre mit einer Lüge gelebt hatte. Sein Bruder und seine Schwester, Seth und die süße kleine Lizzie, lebten noch. Sie waren nicht zusammen mit den Eltern bei dem Autounfall getötet worden, wie man ihm seit seinem neunten Lebensjahr hatte weismachen wollen.

Staub wirbelte auf, als er die Streu im Stall wechselte. Heute hatte er den Brief von der Anwaltskanzlei Beddingham, Barnes und Stephens, aus Wolf River bekommen. Er steckte seit dem Morgen in der Gesäßtasche seiner Jeans. Rand hatte ihn danach zwar nicht mehr hervorgeholt, aber er kannte jedes Wort daraus auswendig, und der eine entscheidende Satz beschäftigte ihn unablässig.

Seth Ezekiel Blackhawk und Elizabeth Marie Blackhawk, Sohn und Tochter des Jonathan und der Norah Blackhawk aus Wolf River County, Texas, haben den Autounfall, bei dem ihre Eltern ums Leben kamen, überlebt.

Der Rest bestand aus den üblichen juristischen Floskeln und der Bitte, sich baldmöglichst mit der Kanzlei zur Abwicklung der Formalitäten in Verbindung zu setzen. Aber was kümmerten ihn Formalitäten! Seth und Lizzie waren noch am Leben. Seth musste jetzt dreißig sein, Lizzie fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig.

Rand hatte sich all die Jahre bemüht, die Erinnerung an seine Geschwister aus seinem Gedächtnis zu löschen, genauso wie die an den Unfall. Aber von Zeit zu Zeit wurden sie immer wieder lebendig. Er war machtlos dagegen, und auch der Whiskey half nicht, die einstürmenden Bilder zu verdrängen: das grelle Scheinwerferlicht, das Quietschen der Reifen, das Bersten von Glas und Metall, die Schreie seiner Mutter und Lizzies Weinen.

Und dann die plötzliche Stille. Eine Stille, die ihn seitdem immer wieder verfolgte. Oft wachte er nachts schweißgebadet auf, das Bett zerwühlt, mit jagendem Puls und zitternden Händen. Selbst jetzt, da er an Seth und Lizzie dachte, schlug sein Herz schlug wie wild.

„Rand?“

Aus seinen Gedanken aufgeschreckt, drehte er sich mit einem Ruck herum, als er hinter sich Mary Sloans sanfte Stimme hörte. Mit ihren einundsechzig Jahren war sie noch immer eine attraktive Frau. Silberne Fäden durchzogen ihr rabenschwarzes Haar. Ihre Haut war fest und von der Sonne gebräunt. Feine Falten zeichneten ihr Gesicht mit den strahlend blauen Augen. Doch sie sah müde aus. Das Leben auf der Ranch war hart, die Arbeitstage waren lang und brachten wenig ein. Und in den neunundzwanzig Jahren ihrer Ehe hatte es für Mary nichts anderes gegeben als die Ranch.

Mary und Edward Sloan hatten Rand Blackhawk kurz nach dem Unfall adoptiert. Mary war immer gut zu ihm gewesen und liebte ihn wie einen eigenen Sohn. Von Edward konnte man das nicht behaupten. Aber das spielte nun keine Rolle mehr.

„Was ist mit dir? Alles in Ordnung?“, fragte sie und trat einen Schritt näher.

Es lag ihm schon auf der Zunge zu antworten: Ja, alles in Ordnung. In der Sloan-Familie war immer „alles in Ordnung“. Aber Rand entschloss sich, die Wahrheit zu sagen: „Verdammt, ich weiß es doch auch nicht, Mom.“

Mary wusste von dem Brief, den Rand bekommen hatte. Sie war feinfühlig genug, sich vorstellen zu können, was er für ihn bedeutete. „Es ist Viertel nach eins“, sagte sie nach einer Pause. „Kommst du?“

Er spießte mit der Heugabel einen halben Ballen Stroh auf und warf es in die Pferdebox. „Geh schon vor. Ich bin hier gleich fertig.“

„Rand, ich …“ Mary verstummte. Sie hätte ihm gern Mut zugesprochen, aber sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Unschlüssig stand sie da, dann wandte sie sich zum Gehen.

In diesem Augenblick hörte man draußen einen Wagen vorfahren.

Mary drehte den Kopf und sah Rand fragend an. „Wer kann das denn sein?“

„Keine Ahnung. Erwartest du Besuch?“

„Nein, ich bestimmt nicht.“ Mary sah jetzt nicht nur müde, sie sah auch sehr traurig aus. „Ich schau mal nach, wer es ist. Vielleicht will ja jemand zu Matthew oder zu Sam.“

Sie wussten beide, dass das sehr unwahrscheinlich war. Matthew und Sam, Rands jüngere Stiefbrüder, die leiblichen Kinder von Edward und Mary, waren schon vor Jahren weggegangen und genauso wie Rand erst vor ein paar Tagen hierher zurückgekommen. Es war kaum anzunehmen, dass sich das schon herumgesprochen hatte.

Noch einmal sah Mary ihn ernst an und sagte: „Wir reden später miteinander, wenn du willst, ja?“

Rand nickte. Er wusste genau, dass sie auf den Brief anspielte. Mary straffte die Schultern und ging aus der Scheune. Rand blickte ihr hinterher. Sicher würden sie noch darüber reden. Er hatte nur keine Ahnung, was das bringen sollte.

Grace Sullivan parkte den Jeep vor dem zweigeschossigen Ranchhaus und stellte den Motor ab. Sie schob ihre Sonnenbrille hoch und musterte den in ein Holzbrett geschnitzten Namen neben dem Eingang. Endlich! dachte sie und atmete auf. In ganz Texas hatte sie nach dem sagenhaften Rand Sloan gesucht. Wenn er hier nicht wohnte, konnte ihr vielleicht wenigstens endlich jemand sagen, wo er zu finden war. Vorausgesetzt, dass hier jemand zu finden war.

Sie stieg aus dem Wagen. Unbarmherzig brannte die Augustsonne. Grace schob die Sonnenbrille wieder auf die Nase und betrachtete das Haus. Die ehemals weiße Farbe blätterte an etlichen Stellen ab. Das Dach war schadhaft. Die Beete vor der Veranda waren von Unkraut überwuchert, und die Koppel hinter dem Haus war leer. Eine Hollywoodschaukel mit ausgeblichenen blauen Kissen bewegte sich auf der Veranda leicht im Wind und quietschte dabei rhythmisch.

Grace blickte die Straße zurück, auf der sie gekommen war. Die Staubwolke, die die breiten Reifen des Jeeps aufgewirbelt hatten, stand noch immer in der flimmernden Luft. So weit das Auge reichte, gab es in dieser eintönigen Ebene nur ein paar vereinzelte Kakteen und Dornbüsche. Grace lauschte. Das leise Quietschen der Schaukel im Wind war alles, was in der bleiernen Stille zu hören war. Was für ein gottverlassener Ort! Nicht einmal ein Hofhund kam ihr entgegen und bellte sie an.

„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“

Grace fuhr herum. Die Frau, die sie angesprochen hatte, sah ein wenig bedrückt, aber nicht unfreundlich aus. Sie war schlank und hochgewachsen. Ihr kurz geschnittenes dunkles Haar begann grau zu werden. Sie trug eine schwarze Hose, eine kurzärmlige Bluse und schwarze Cowboystiefel.

„Hallo“, erwiderte Grace lächelnd. „Mein Name ist Grace Sullivan. Es tut mir leid, dass ich Sie einfach so überfalle.“

„Keine Ursache.“ Die Frau trat näher und begrüßte sie mit einem festen Händedruck. „Ich bin Mary Sloan.“

Wer kann sie sein? überlegte Grace. Seine Frau? Seine Schwester? Sie wusste fast nichts über den Mann, den sie suchte. „Ich wollte zu Rand Sloan. Wohnt er hier?“

Die Frau lächelte. Die Frage schien sie zu amüsieren. „Nein, schon seit fünfzehn Jahren nicht mehr.“

Grace seufzte. Schon wieder ein Fehlschlag. Einen weiteren konnte sie sich nicht leisten. „Haben Sie denn eine Ahnung, wo ich ihn finden könnte? Es ist sehr dringend“, fügte sie hinzu.

„Hab ich“, antwortete Mary trocken. „Sie finden ihn dort drüben in der Scheune.“

In der Scheune? Einfach so? Grace konnte es kaum glauben. Unzählige Male hatte sie schon vergeblich nach ihm gefragt. Endlose Meilen war sie der Spur des geheimnisvollen Rand Sloan gefolgt. „Kann ich zu ihm gehen?“, fragte sie lebhaft.

„Natürlich.“ Mary ging an ihr vorbei die Stufen zur Veranda hinauf. Dann blieb sie plötzlich stehen. „Wenn Sie allerdings von dem Rechtsanwalt aus Wolf River kommen, rate ich Ihnen, ihm nicht zu nah zu kommen.“

Grace schüttelte verständnislos den Kopf. „Ich komme von keinem Rechtsanwalt.“

Mary nickte zufrieden. „Umso besser.“ Damit verschwand sie im Haus.

Grace schaute ihr verblüfft nach. Dann ging sie zu der schon ein wenig windschiefen Scheune. Sie war gespannt, den Mann zu Gesicht zu bekommen, den sie gesucht hatte. Der Kies knirschte unter den Sohlen ihrer Pumps. Ihre Kleidung, nicht nur die Schuhe, auch ihre weiße Bluse und der elegante weiße Seidenblazer passten nicht in diese Umgebung. Sie hätte sich gern umgezogen. Aber dazu war an diesem Morgen keine Zeit mehr gewesen. Sie hatte sich beeilen müssen, um nach der Vorstandssitzung in Dallas sofort zum Flughafen zu kommen und den Flug nach San Antonio noch zu erreichen.

Auf dem Weg zur Scheune überdachte sie noch einmal ihr Vorgehen. Sie ging an all ihre Vorhaben methodisch heran. Das hatte ihr Vater ihr schon als Kind beigebracht. Ob sie als kleines Mädchen ein bestimmtes Spielzeug oder später als großes Mädchen ihr erstes Auto hatte bekommen wollen, sie hatte ihre Strategie, um zu erreichen, was sie wollte, immer akribisch ausgearbeitet. Und das hatte sie bis jetzt beibehalten.

Entschlossen stieß sie die Tür auf und trat in die Scheune. „Hallo?“, rief sie und blickte sich um.

Erst einen Moment später entdeckte sie einen Mann, der am anderen Ende der Scheune in einer Pferdebox arbeitete. Als er sich jetzt umdrehte, war Grace einen Augenblick wie benommen. Sie hatte sich zwar keine bestimmte Vorstellung von dem Mann gemacht, den sie treffen wollte, aber sie hatte einen Mann mittleren Alters erwartet, mit den für Cowboys typischen O-Beinen und einem buschigen Schnurrbart, vielleicht sogar mit schon grauen Schläfen.

Dieser hier war in fast allen Punkten das direkte Gegenteil. Sie schätzte ihn auf Anfang dreißig. Als er sich aufrichtete und sie mit seinen schwarzen Augen fixierte, als wolle er sie mit seinem Blick durchbohren, bemerkte sie, wie groß er war. Und sein athletischer Körper zeigte nicht ein Gramm Fett, nur feste, harte Muskeln.

Das Erstaunlichste an diesem Mann war jedoch seine Ausstrahlung. Grace musste an einen Krieger der Apachen denken, wie er so dastand, die Heugabel neben sich aufgepflanzt, als sei sie ein Speer oder eine Lanze. Der dunkle Schatten eines Dreitagebarts lag auf seinem markanten Kinn und den hohen Wangen. Rand Sloan zog die Augenbrauen zusammen, die genauso pechschwarz waren wie sein Haar, und musterte sie von Kopf bis Fuß.

„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, fragte er.

Grace bezwang ihre Verwirrung. „Sind Sie Rand Sloan?“

„Bin ich“, antwortete er und rammte die Heugabel in einen Strohballen.

„Ich bin Grace Sullivan. Schon seit zwei Wochen versuche ich, Sie zu erreichen. Es war gar nicht so einfach. Es gibt keine Telefonnummer von Ihnen, keine Adresse …“

„Warum sagen Sie mir nicht einfach, was Sie von mit wollen, Miss Sullivan? Miss ist doch richtig?“, fügte er hinzu, nachdem sein Blick ihre linke Hand gestreift hatte.

„Wie? … Oh ja, natürlich. Und Sie können auch Grace sagen.“

„Schön, Miss Grace …“

„Nein, einfach Grace.“

Rand Sloan sah sie schweigend an. Er wartete immer noch auf die Antwort auf seine Frage, was sie eigentlich von ihm wolle.

Grace riss sich zusammen. „Ich komme von der ‚Edgewater Animal Management and Adoption Foundation‘. Sie haben von unserer Organisation vielleicht schon einmal gehört. Wir kümmern uns um Wildpferde, die Überlebensschwierigkeiten haben, und versuchen, sie an verantwortungsvolle Leute zu vermitteln. Wir brauchen Ihre Hilfe. Eine versprengte Gruppe von Mustangs hat sich in den Black River Canyon verirrt. Die Tiere müssen da herausgeholt werden, wenn sie nicht verenden sollen. Wir würden diesen Job auch bezahlen.“

„Tut mir leid, dass Sie den weiten Weg umsonst gemacht haben. Meine Antwort heißt Nein.“ Rand wandte sich ab und griff nach der Heugabel, um seine Arbeit fortzusetzen.

Grace konnte es nicht fassen. Er sagte einfach Nein? Perplex blickte sie auf den muskulösen Rücken, den Rand Sloan ihr nun wieder zugedreht hatte, während er weiter das Heu in der Box erneuerte. Sie trat ein paar Schritte näher. Der Geruch von Pferdestall mischte sich mit dem von Sloan, dem der Schweiß den Nacken hinunterlief. Keine unangenehme Mischung, dachte sie spontan.

„Fragen Sie jemanden anderen“, sagte er noch knapp, ohne sich umzublicken.

Sie hatte schon mit einigen harten Brocken verhandelt, aber der hier schien ein besonders schwerer Fall zu sein. „Ich will niemanden anderen“, entgegnete sie, während sie neben ihn trat, ohne sich darum zu kümmern, dass er sie offenbar ignorieren wollte. „Ich will Sie.“

Rand unterbrach erneut seine Arbeit und schaute Grace an. Normalerweise war jetzt der Punkt erreicht, an dem er jeden Eindringling zum Teufel gejagt hätte. Aber ob es nun dieser besondere Tag war, der ihm zusetzte; das teure Parfüm, das ihm in die Nase stieg; oder Graces außergewöhnliche Erscheinung – er tat es in diesem Fall nicht. Sein Blick ruhte auf ihrer tadellosen Figur, die in den leichten Sommersachen gut zur Geltung kam. Ihre vollen, schön geschwungenen Lippen konnten einen Mann zum Träumen bringen. Dazu kam eine wilde Mähne aus kastanienbraunen Locken und flaschengrüne, leicht schräg stehende Augen mit langen dunklen Wimpern.

Rand verfluchte sich dafür, dass er zögerte, sie hinauszuschmeißen, aber er brachte es einfach nicht über sich. „Und warum gerade ich?“, fragte er.

„Jeder weiß, dass Sie der Beste sind“, antwortete Grace. „Der Job ist schwierig und nicht ungefährlich. Aber wie man hört, ist das für Sie ja eher ein Ansporn.“

Schmeicheleien, aber ausnahmsweise einmal die Wahrheit. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte so eine Aufgabe ihn tatsächlich gereizt. Eine echte Herausforderung war für ihn immer interessant. Nur nicht ausgerechnet heute.

Er ging zu Maggie Mae, band sie los und führte sie in ihre frisch hergerichtete Box zurück. „Sie verschwenden nur Ihre Zeit, Miss Grace.“

„Auch wenn ich Ihnen sage, dass Sie meine letzte Hoffnung sind?“

Rand fühlte sich augenblicklich unbehaglich. Er mochte es gar nicht, jemandes „letzte Hoffnung“ zu sein. Nachdem er das Pferd versorgt hatte, holte er sein Taschentuch hervor und wischte sich den Schweiß vom Nacken.

„Es tut mir wirklich leid. Aber ich bleibe bei meinem Nein.“ Er ging an ihr vorbei zur Scheunentür.

„Mr. Sloan“, rief sie leise hinter ihm her. „Rand! Rand, bitte.“

Unwillkürlich hielt er inne, weil ihre Stimme so sanft und bittend klang, und drehte sich um.

„Geben Sie mir wenigstens noch ein paar Minuten, damit wir noch einmal darüber reden können.“ Grace ließ nicht locker.

Rand schwieg einen Augenblick. Dann sagte er: „Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen. Ich muss mich umziehen. Heute wird mein Vater beerdigt.“

2. KAPITEL

Draußen schlug eine Autotür zu. Grace, die eingenickt war, schreckte hoch. Die Müdigkeit hatte sie übermannt. Kein Wunder. Die Nacht zuvor hatte sie wenig geschlafen, und den Tag über war sie keine Minute zur Ruhe gekommen – erst die Vorstandssitzung, dann der Flug nach San Antonio und die Fahrt über fast zweihundert Kilometer im Mietwagen. Als sie sich dann in Mary Sloans Wohnzimmer auf einen bequemen Sessel gesetzt hatte, um auf Rand und Mary zu warten, bis sie von der Beerdigung zurückkehrten, waren ihr die Lider schwer geworden.

Grace stand auf und spähte durch die Spitzengardinen. Mary und Rand waren schon aus ihrem Pick-up gestiegen. Dahinter war ein zweiter vorgefahren, aus dem jetzt zwei junge Männer kletterten. Auch sie waren groß und hatten dunkles Haar.

Grace sah auf ihre Armbanduhr und wunderte sich, dass die Beerdigung schon vorbei war. Sie hatte ursprünglich schon zurückfahren wollen, weil sie es taktlos fand, sich jemandem an einem solchen Tag aufzudrängen, aber Mary hatte darauf bestanden, dass sie noch blieb.

„Ich kann heute bestimmt noch etwas weibliche Unterstützung gebrauchen“, hatte Mary erklärt.

Grace hatte ihr angemerkt, dass sie bedrückt und traurig war, und es nicht über sich gebracht, die Einladung abzulehnen. Außerdem war sie nach Rands Abfuhr ohnehin unschlüssig, was sie jetzt unternehmen sollte. Sie hatte Mary von ihrem Anliegen erzählt und berichtet, wozu sie Rands Hilfe brauche.

Rand trat nun ins Zimmer. Er sah ein wenig anders aus als heute Mittag, wo sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Er hatte geduscht und sich rasiert, trug schwarze Jeans, ein weißes Hemd und darüber ein dunkles Jackett. Sein Blick streifte sie, er sagte jedoch kein Wort. Offensichtlich war er nicht davon begeistert, dass Mary sie eingeladen hatte.

Erneut musterte Rand sie eingehend, und sie merkte, dass ihr Körper sofort darauf reagierte. Sein Blick war aufreizend direkt, was sie vielleicht als unverschämt empfinden sollte, doch die Wahrheit war, dass ihr noch nie ein Mann begegnet war, der so viel Sex-Appeal besaß.

„Wie ich höre, bleiben Sie zum Essen?“, bemerkte er schließlich.

„Benimm dich anständig, Rand Sloan“, sagte Mary, die hinter ihm hereinkam. „Ich habe Grace eingeladen. Zu meiner Verstärkung gegen euch drei Männer im Haus.“

„Was denn für drei Männer?“, gab Rand zurück, und der Anflug eines spöttischen Lächelns huschte über sein Gesicht.

Grace sah ihn erstaunt an. Sie hätte nicht gedacht, dass er Humor hatte.

„Wenn du damit irgendetwas andeuten willst, können wir das draußen gern klären“, konterte einer der jungen Männer, die mit dem zweiten Pick-up gekommen waren, grinste dabei aber breit.

Er ging auf Grace zu und reichte ihr die Hand. „Ich bin Matthew Sloan“, begrüßte er sie freundlich. „Und das hier ist Sam.“ Er deutete auf den Mann neben ihm.

Die Sloan-Brüder waren gut aussehende Burschen. Alle drei waren sich vom Typ ähnlich: dunkle Haare, dunkle Augen, groß und kräftig. Rand stach ein wenig heraus. Er war dunkler als Matthew und Sam und hatte von ihnen die ausgeprägtesten Gesichtszüge. Dagegen hatte er nicht das bezwingende Lächeln seiner Brüder. Rand scheint überhaupt so gut wie nie zu lächeln, dachte Grace.

„Grace Sullivan“, stellte sie sich vor und schüttelte Matthew und Sam die Hand. „Mein Beileid für Ihren Vater.“

Ein paar Sekunden entstand ein betretenes Schweigen. Matt war es, der es unterbrach. „Nett, dass Sie bleiben konnten. Mal ̓ne hübsche Abwechslung zu Rands hässlicher Visage.“

Rand sah ihn scharf von der Seite an. Aber man merkte, dass er derlei Neckereien von seinen Brüdern gewohnt war und gutmütig aufnahm.

„Matt und Sam, bewegt euch in die Küche. Ihr müsst mir helfen!“, rief Mary dazwischen.

Die beiden Angesprochenen entschuldigten sich, gingen hinaus und ließen Rand und Grace allein.

„Vielleicht sollte ich in die Küche gehen und auch helfen“, meinte Grace und machte einen Schritt zur Küchentür.

Rand berührte sie am Arm, um sie zurückzuhalten. „Bleiben Sie nur. In meinem ganzen Leben hat meine Mutter noch nie Hilfe in der Küche gebraucht.“

Grace sah ihn fragend an.

„Sie möchte vermutlich, dass wir uns einen Augenblick allein unterhalten.“

„Ach so.“ Sie lächelte unsicher. „Aber Sie möchten das doch bestimmt nicht.“

„So würde ich das nicht ausdrücken.“

Der Blick, mit dem Rand sie dabei ansah, ließ sie erbeben, und sie spürte noch den sanften Druck seiner kräftigen, warmen Hand auf ihrem Arm. Fünfzehn Sekunden Auszeit, bat sie im Stillen. Sie musste erst wieder zu Verstand kommen, nachdem ihre Gedanken auf Abwege geraten waren.

Grace gab sich einen Ruck. „Rand, es muss heute ein schwerer Tag für Sie alle sein. Wenn Ihre Mutter mich nicht ausdrücklich gebeten hätte zu bleiben, wäre ich auch längst verschwunden. Es tut mir leid, dass ich ausgerechnet heute hier hereingeplatzt bin. Vergessen Sie bitte, warum ich gekommen bin, und betrachten Sie mich einfach als einen ganz normalen Gast Ihrer Mutter.“

Rand schwieg. Es hatte wenig Zweck Grace zu erklären, dass seine Mutter seit Ewigkeiten keine Gäste mehr gehabt hat.

„Nimm die Finger aus dem Kartoffelsalat, Sam, oder es gibt was hinter die Ohren“, ertönte Marys Stimme aus der Küche.

„Aber, Mom, ich wollte ihn doch nur abschmecken.“

„Samuel Sloan, willst ausgerechnet du mit erzählen, wie mein Kartoffelsalat schmecken muss?“

Autor

Barbara McCauley
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