Der Kuss des Sizilianers

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Die temperamentvolle Briana O'Connell fasziniert Gianni auf den ersten Blick. Nur für ein kurzes erotisches Intermezzo ist ihm die hübsche Fotografin viel zu schade. Als er erfährt, dass er zusammen mit ihr die Vormundschaft für das Kind gemeinsamer Freunde übernehmen soll, fasst er einen Plan. Allerdings hat Gianni die Rechnung ohne Briana gemacht …


  • Erscheinungstag 28.06.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733742614
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Gianni Firelli war rastlos.

Es war schon fast sechs an diesem warmen Maiabend, aber die Party anlässlich der Geburt von Stefano Lucchesis erstem Kind wollte einfach kein Ende nehmen.

Der Raum war zu voll, der Geräuschpegel zu hoch, und wenn ihm jetzt noch ein einziges Mal jemand ein schreiendes Baby unter die Nase hielt, würde Gianni glatt vergessen, dass die zivilisierte Reaktion auf eine so unerträgliche Lärmbelästigung ein Lächeln war. Außer Babys in Bäuchen und Babys in Decken gab es überall herumwuselnde Kinder, genug für eine Footballmannschaft.

Wahrlich ein fruchtbarer Clan, in den Stefano da eingeheiratet hatte.

Vor einer Stunde war zu allem Überfluss auch noch Tomasso Massini aufgetaucht, einer von Giannis ältesten Freunden. Mit seiner hochschwangeren Frau.

Du auch, Tommy? hatte Gianni gedacht, während er dem Freund die Hand geschüttelt, seiner Frau ein Küsschen auf die Wange gedrückt und das Richtige gesagt hatte.

Einziger Lichtblick des Nachmittags war die sexy Blondine mit den traumhaft langen Beinen gewesen, die aber leider so schroff war, dass man es schon fast als unverschämt bezeichnen musste.

Gianni schaute zum hundertsten Mal auf die Uhr. Okay. Noch ein paar Minuten, dann konnte er sich empfehlen. Bis dahin würde er gute Miene zum bösen Spiel machen und herauszufinden versuchen, was um Himmels willen Stefano veranlasst haben könnte, seine Freiheit aufzugeben, um nicht nur Ehemann, sondern auch noch Vater zu werden.

Nicht dass Gianni etwas gegen Ehe oder Kinder gehabt hätte. Irgendwann würde es ihn vermutlich auch erwischen, aber das lag zum Glück noch in weiter Ferne.

Obwohl Stefano und Tomasso zweifellos glücklich wirkten, wollte es ihm einfach nicht in den Kopf, warum die beiden jetzt schon – immerhin waren sie alle erst in den Dreißigern – ihre Freiheit aufgegeben hatten.

Grassierte da womöglich eine Seuche?

Eine Frage, die er sich gegenüber Tomasso verkniff. Immerhin trug seine Frau einen Bauch von der Größe eines Medizinballs vor sich her, da riss man nicht solche Witze, auch dann nicht, wenn man sich von Kindesbeinen an kannte. Er, Tommy und Stefano hatten nämlich ihre Kindheit zusammen im New Yorker Stadtteil Little Italy verbracht. Später hatten sich ihre Wege getrennt, aber wenn es wichtig war, waren sie bis zum heutigen Tag immer füreinander da.

Und Babys waren offenbar wichtig.

Irgendwer – ein Schwager von Stefano, wie sich gleich darauf herausstellte – ging mit einem weinenden Baby auf dem Arm so dicht an ihm vorbei, dass ihm ein schauerlicher Geruch in die Nase wehte.

Definitiv kein Babypuder.

„Entschuldigung“, sagte der Typ und grinste.

Gianni bemühte sich um ein Lächeln. „Macht nichts“, erwiderte er und floh auf die Terrasse, wo er gierig nach frischer Luft schnappte. So. Hier würde er bleiben und die Aussicht auf den vierzig Stockwerke weiter unten liegenden Central Park genießen. Dabei konnte er sich überlegen, ob er sich heute Abend noch mit Lynda treffen wollte. Ihr gegenüber musste er wenigstens keine Begeisterung heucheln, dass seine beiden besten Freunde offenbar den Verstand verloren hatten.

Vielleicht hätte er sich ja doch eine Ausrede einfallen lassen sollen, so wie er es anfangs vorgehabt hatte. Doch da er schon die Hochzeit verpasst hatte, hatte er diesen Gedanken sofort wieder verworfen.

In so einem Fall abzusagen wäre schlicht unmöglich gewesen.

Genauso unmöglich wie diese Blondine mit den ewig langen Beinen.

Gianni zog ein finsteres Gesicht. Fing er schon wieder damit an? Offenbar hatte er nichts anderes zu denken. Klar war, die Lady hatte Eindruck auf ihn gemacht. Allerdings keinen guten. Und da nach dem kurzen Wortwechsel mit ihr nicht mehr viel passiert war, kehrten seine Gedanken eben immer wieder zu ihr zurück.

Es war wie bei Zahnschmerzen. Da stocherte man mit der Zunge auch immer wieder zwanghaft in dem kranken Zahn herum, und wenn es noch so wehtat.

Das hier war genauso zwanghaft.

Gianni schaute in Lucchesis weiträumiges Wohnzimmer. Da drüben war sie und unterhielt sich mit Tomassos Frau, so vertraut, als ob sie schon mit ihr im Sandkasten gespielt hätte. Sie lächelte Karen an, legte ihr eine Hand auf den Arm, jetzt grinste sie sogar.

Während sie für ihn nicht einmal den Anflug eines Lächelns übrig gehabt hatte.

Nicht dass es ihm etwas ausmachte. Sie war sowieso nicht sein Typ. Ihm waren dunkelhaarige, kleine, sehr weibliche Frauen lieber. Frauen wie Lynda, die fast nur aus Kurven bestand, während die Blonde so mager war wie ein Junge. Lynda lächelte zurück, wenn ein Mann sie anlächelte. Die Blondine dagegen verzog keine Miene.

Ein Kellner schaute auf die Terrasse, und als er ihn sah, kam er mit seinem Getränketablett auf ihn zu. „Darf ich Ihnen etwas zu trinken reichen, Sir?“

Gianni nahm ein Glas Rotwein.

Er und die Blondine waren gleichzeitig angekommen. Die Türen des Privatlifts, der nur im Penthouse hielt, hatten sich gerade geschlossen, als jemand in letzter Sekunde die Lichtschranke mit der Hand verdeckte und damit den Fahrstuhl am Abfahren hinderte.

Die Türen waren wieder aufgeglitten, und da hatte er sie zum ersten Mal gesehen.

Nicht mein Typ, war sein erster Gedanke gewesen.

Er lächelte höflich. „Entschuldigung. Ich habe Sie nicht kommen sehen.“

Sie blieb draußen stehen und musterte ihn eingehend. Argwöhnisch.

„Das ist ein Privatlift“, erklärte sie schließlich.

Giannis Lächeln verschwand. „Ich weiß.“

„Er fährt nur zum Penthouse.“

„Genau da will ich auch hin.“

„Hat der Pförtner …“

„Vielleicht möchten Sie ja meinen Führerschein, meinen Pass und meine Geburtsurkunde sehen“, unterbrach er sie. „Oder sollte ich mir vielleicht besser Ihre Ausweispapiere zeigen lassen?“

Das hatte etwas Farbe in ihre Wangen gebracht.

„Ich will zu den Lucchesis.“

„Ich auch. Also los, steigen Sie ein.“

Sie betrat den Aufzug und schaute betont gelangweilt zur Seite.

„Sind Sie eine Freundin von Fallon?“

„Nein“, sagte sie, noch immer den Blick abgewandt.

„Von Stefano?“

„Nein.“

„Dann sind Sie …“

„Ich wüsste nicht, was Sie das angeht“, erwiderte sie, ohne sich die Mühe zu machen, ihn anzusehen. Wenig später aber wandte sie sich ihm zu, mit einem eisigen Glitzern in den Augen. „Bemühen Sie sich nicht. Ich bin nicht interessiert.“

Diesmal trieb es ihm die Verlegenheitsröte in die Wangen.

„Ich kann Ihnen versichern, dass ich mit keinem Gedanken …“

Der Aufzug hielt, die Türen glitten geräuschlos auseinander. Gianni war so wütend, dass er alle Höflichkeit beiseiteließ und zuerst ausstieg. Bloß gut, dass sie sich bereits in Stefanos Foyer befanden. Er war sich nämlich nicht sicher, was er getan hätte, wenn sie vor einer Wohnungstür gestanden hätten. Hätte er sofort geklingelt oder ihr vorher gesagt, dass sie sich zum Teufel scheren sollte?

Ja, ja, er wusste selbst, wie erbärmlich das war, das brauchte ihm niemand zu sagen. Noch erbärmlicher allerdings war, dass er sich so über sie aufregte. Er war drauf und dran gewesen, ihr die Meinung zu sagen, da war Stefano lächelnd auf ihn zugekommen. Im selben Moment hatte sich ihm die Blonde mit einem hysterischen Aufschrei an den Hals geworfen.

„Hallo, Stefano“, hatte sie gegurrt, mehr hatte Gianni nicht mitbekommen, weil er schnell weitergegangen war.

Ihr Lächeln hatte die Eisprinzessin offenbar für ein paar wenige Auserwählte reserviert.

Als er jetzt zu ihr schaute, sah er, wie sie – wieder lächelnd – Stefanos Frau Fallon das Baby abnahm. Das Baby strampelte wie wild, und jetzt lächelte die Blonde nicht mehr, sondern legte den Kopf in den Nacken und lachte.

Und was für ein Lachen das war! Oh, Mann. Heiser. Kehlig. Verdammt sexy wahrscheinlich unter gewissen Umständen.

Gianni kniff die Augen zusammen.

Inzwischen war ihm klar geworden, dass er einiges, was die Frau betraf, am Anfang nicht ganz richtig gesehen hatte. Natürlich nur Kleinigkeiten in Anbetracht der Umstände, aber er war eben gern genau. Also: Ihr Haar war nicht blond, sondern schimmerte in ungefähr einem halben Dutzend blassen Goldtönen. Und sie war keineswegs mager, sondern schlank, mit hübsch gerundeten Hüften und einem ausgesprochen knackigen Po.

Als sie, immer noch lachend, das Baby hochhielt, hoben sich ihre Brüste, und er hätte blind sein müssen, um nicht zu sehen, wie rund und voll sie waren …

Und nicht eingezwängt durch einen BH.

Das blassgrüne Seidenkleid schmiegte sich so eng an ihren Körper, dass sich unter dem dünnen Stoff ihre Brustwarzen abzeichneten.

Wie sie wohl waren? Groß? Klein? Und die Farbe? Wahrscheinlich rosa wie ihre Lippen, überlegte er. Und samtweich wie Rosenknospen. Aber wenn man daran leckte, würden sie hart werden …

Heiliger Strohsack, war er noch zu retten?

Er war hier schließlich auf keiner Junggesellenparty. Peinlich berührt, wandte Gianni sich von ihr ab und versuchte sich auf die von der untergehenden Sonne in Gold getauchte Skyline zu konzentrieren, aber Gold war offenbar keine gute Idee. Es brachte ihn sofort wieder zu den Haaren der Blonden.

Dann vielleicht besser an Grün denken? An das leuchtende Grün des Buchsbaums zum Beispiel, der auf der Terrasse wuchs.

An das leuchtende Grün des Kleides, das sich an den Körper der Blonden schmiegte. Verdammt.

„Na, ist sie nicht wunderschön?“

Er hatte Stefano gar nicht kommen hören. Der Freund hatte eine Flasche Wein mitgebracht, die er jetzt fragend hob. Gianni nickte und hielt ihm sein Glas entgegen.

„Ist es so offensichtlich?“, fragte er mit einem zerknirschten Lächeln.

„Soll das ein Witz sein?“

Gianni seufzte. „Vielen Dank.“

„He, es ist einfach nur die Wahrheit.“

„Du hast gut reden, Lucchesi.“

„Wer könnte so viel Schönheit widerstehen?“

„Jetzt mach mal halblang, Mann. Natürlich ist sie attraktiv, vorausgesetzt, man steht auf den Typ.“

„Attraktiv?“

„Na ja, ist alles dran, die richtigen Kurven an den richtigen Stellen und so.“

Stefano musterte ihn, als ob er den Verstand verloren hätte. Dabei fiel Gianni wieder ein, wie die Blondine seinen alten Freund begrüßt hatte. „Aber sie deshalb als wunderschön zu bezeichnen, halte ich gelinde gesagt für übertrieben.“

„Du machst also doch Witze, ja?“

„Außerdem ist sie ungefähr so charmant wie eine Vogelspinne.“

Stefanos Gesicht verfinsterte sich. „He, du hast Glück, dass du mein alter Kumpel bist. Sonst könntest du jetzt was erleben.“

„Was ist los, spinnst du? Du bist wirklich sauer auf mich, nur weil ich irgendeine Frau nicht so prickelnd finde wie du?“

„Da hast du verdammt recht. Weil diese Frau … sie ist absolut …“ Stefano unterbrach sich plötzlich. „Moment mal, welche Frau meinst du eigentlich?“

Passierte das mit einem, wenn man heiratete und auch noch Vater wurde? Verlor man also nicht nur seine Freiheit, sondern auch den Verstand?

„Na, von der Blonden, von wem denn sonst“, erwiderte Gianni ungeduldig. „Die dich mit so viel … äh … Wärme begrüßt hat … aber jetzt mal im Ernst, macht das Fallon gar nichts aus?“

Stefano schaute ihn verblüfft an, dann fing er an zu lachen.

„Na toll“, sagte Gianni. „Freut mich, dass du …“

„Die Blonde!“ Stefano lachte immer noch. „Oh, mein Gott, die Blonde!“

„Oh, Mann, wirklich, du kannst mich mal.“ Gianni stellte sein Glas klirrend auf dem erstbesten Tisch ab und wollte wieder nach drinnen gehen.

Stefano packte ihn am Arm. „Wo willst du hin, du Idiot?“

„Jetzt hör mir mal gut zu, Lucchesi“, sagte Gianni gereizt. „Ich bin nicht scharf darauf, mit dir in Anwesenheit deiner Gäste den Boden aufzuwischen, aber wenn du nicht sofort …“

„Ich rede von meiner Tochter!“

„Richtig. Und ich sage dir …“ Gianni stutzte. „Was? Von deiner Tochter?“ Er spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. „Du hast … du hast von …“

„Von Cristina. Aber ja! Von wem denn sonst?“

„Himmel.“ Gianni wandte sich ab, stützte sich auf die Brüstung und starrte peinlich berührt hinaus in die Abenddämmerung. Verdammt. „Stimmt“, brummte er schließlich. „Ich bin wirklich ein Idiot.“

Stefano lachte leise auf. „Dann sind wir uns ja einig.“ Die beiden Männer schwiegen einen Moment, bis Stefano sich räusperte. „Also, um welche Blondine geht’s?“

„Vergiss es.“ Gianni machte eine wegwerfende Handbewegung. Wieder verstrichen ein paar Sekunden. „Die dich so wild und stürmisch begrüßt hat“, ergänzte er schließlich.

„Keine besonders gute Beschreibung, Firelli. Weil mich nämlich alle Frauen stürmisch begrüßen.“

Gianni lachte. „Lass das bloß deine Frau nicht hören.“

„Was soll ich nicht hören?“, fragte Fallon, die sich gerade zu ihnen gesellte. „Nett, dich wieder mal zu sehen, Gianni.“

Gianni küsste sie auf die Wange. „Danke, gleichfalls, Fallon. Wie geht’s denn so? Wie ich sehe, bist du durch die Mutterschaft noch schöner geworden, auch wenn ich nicht geglaubt hätte, dass das überhaupt noch möglich ist.“

Fallon klimperte mit den Wimpern. „Ihr Sizilianer versteht es wirklich, den Frauen Komplimente zu machen.“

„Nur manchen“, warf Stefano ein, woraufhin Fallon fragend die Augenbrauen hob. „Zumindest eine Frau scheint die Chance vertan zu haben, in Giannis kleinem schwarzen Notizbuch verewigt zu werden“, erklärte er.

„Stefano“, warnte Gianni.

Stefano legte den Arm um seine Frau, während er unbeirrt fortfuhr: „Bloß keine falsche Scham. Ich meine, wenn du an einer Frau hier interessiert bist …“

„Bin ich ja gar nicht. Ich habe nur gesagt …“

Aber jetzt war Fallon neugierig geworden. „Wer ist es denn? Ich mache dich mit ihr bekannt.“

Gianni warf Stefano einen Blick zu. Der grinste breit. „Verdammt, Lucchesi! Fallon, deinem Mann geht offenbar die Fantasie durch.“

„Ich weiß, wer es ist“, sagte Stefano grinsend zu Fallon.

„Du weißt gar nichts“, wandte Gianni eilig ein. Wie zum Teufel hatte ihm diese Situation bloß so schnell entgleiten können? „Hier gibt es mindestens ein halbes Dutzend Blondinen.“

„Die mich so stürmisch begrüßt hat, hast du gesagt.“

„Und?“

„Und dass sie attraktiv ist.“ Stefano zwinkerte seiner Frau zu. „Attraktiv, hast du gehört?“

„Was willst du eigentlich sagen?“, fragte Gianni.

„Gar nichts. Nur dass ich weiß, wer es ist.“ Stefano kostete die Situation sichtlich aus. Er legte eine kleine Kunstpause ein, bevor er genüsslich fortfuhr: „Bei besagter Dame handelt es sich nämlich um meine Schwägerin.“

Gianni starrte seinen alten Freund an. „Deine …“

„Er meint Briana“, klärte Stefano Fallon auf.

„Hör sofort auf mit dem Quatsch, sie ist überhaupt nicht mein Typ … Himmel, jetzt lyncht ihr mich wahrscheinlich gleich.“

„Die Gefahr besteht in der Tat“, bestätigte Fallon. Sie löste sich von ihrem Mann und hängte sich bei Gianni ein. „Du kommst nur mit heiler Haut davon, wenn ich dich mit Bree bekannt machen darf.“

Da Stefano und Fallon lachten, beschloss Gianni, dasselbe zu tun, während Fallon ihn zurück in den überfüllten Raum zog. Gott sei Dank war Bree oder Briana oder wie sie auch heißen mochte, nirgends zu entdecken.

„Scheint schon weg zu sein“, brummte er erleichtert. „Schade, dabei hätte ich sie wirklich gern kennengelernt.“

„Sie ist oben und wickelt das Baby.“ Mit diesen Worten zog Fallon ihn auch schon zur Treppe. „Keine Sorge, du entkommst mir nicht.“

„Hör zu, Fallon. Ich weiß, ich hätte über deine Schwester nicht so reden dürfen. Bestimmt ist sie ganz reizend, und schön ist sie sowieso. Und …“

„Ach, da bist du ja, Bree“, sagte Fallon, und als Gianni sich umdrehte, sah er die Frau, von der die ganze Zeit die Rede gewesen war.

Jawohl, es war so. Er hatte es auf Anhieb gesehen.

Briana O’Connell war nicht einfach schön.

Sie war atemberaubend.

Große azurblaue Augen dominierten ein ebenmäßiges Gesicht, das von einer goldblonden Mähne eingerahmt wurde. Ein zarter sinnlicher Rosenknospenmund, schlanke Taille, sanft gerundete Hüften und dann eben diese Wahnsinnsbeine.

Sie gönnte ihm kaum einen Blick.

„Bree, das ist Gianni Firelli. Gianni, darf ich vorstellen, meine kleine Schwester Bree.“

„Briana“, sagte die blonde Erscheinung schroff, dann wandte sie sich wieder Fallon zu. „Die Kleine ist gleich eingeschlafen. Jetzt ist das Kindermädchen bei ihr.“

„Gut. Ach, übrigens, Briana, Gianni ist einer von Stefanos ältesten Freunden.“

Diesmal traf ihr eisiger Blick Gianni mit voller Wucht. „Schön für die beiden. Wenn ihr mich jetzt bitte entschuldigen würdet.“

„Ich entschuldige gar nichts.“ Gianni, der auf Briana zugegangen war, sprach so leise, dass nur sie ihn hören konnte. „Sind Sie immer so unhöflich oder nur zu mir?“

Diese strahlend blauen Augen blitzten gefährlich auf.

„Bilden Sie sich bloß nichts ein“, erwiderte sie ebenso leise, und dann war sie auch schon fort.

Gianni konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal so wütend gewesen war. Zähneknirschend malte er sich aus, wie er ihr folgte, sie packte und so lange schüttelte, bis sie um Gnade bettelte, oder …

Oder wie er sie packte und in irgendein Zimmer schleppte, wo er ihr dieses grüne Kleid vom Leib reißen, seine Hände in ihr Haar wühlen und sie küssen würde, bis das Eis in ihrem Blick schmolz und sie nicht um Gnade bettelte, sondern darum, dass er sie …

„Tut mir echt leid, Gianni.“

Er schrak zusammen und schaute Fallon ins Gesicht. Sie war ebenso schockiert wie er.

„Bree ist … normalerweise ist sie nicht so. Ich verstehe wirklich nicht, was in sie gefahren ist.“

Es war ein kleines Kunststück, zu lächeln, aber er schaffte es. „Mach dir keine Gedanken, ist schon okay.“

„Gar nicht. Ich werde sie suchen und …“

„Nein!“, entgegnete er scharf. Wieder zwang er sich zu lächeln und fuhr fort: „Wirklich, Fallon, es ist halb so schlimm.“

„Das finde ich nicht. Aber ich werde sie mir vorknöpfen, verlass dich drauf, und dann …“

„Vergiss es. Vielleicht hatte sie ja einen schweren Tag.“

„Bree und ein schwerer Tag?“ Fallon schnaubte wenig damenhaft. „Wie sollte das denn gehen? Wo sie um alles, was man als schwer bezeichnen könnte, einen großen Bogen macht.“

Dafür scheint es ihr Spaß zu machen, Männer wie Dreck zu behandeln, dachte Gianni, behielt es jedoch für sich. Fallon konnte schließlich nichts dafür, dass ihre kleine Schwester so erbärmliche Umgangsformen hatte.

„Arbeitet sie nicht?“

„Schon, aber sie ist ziemlich unbeständig. Du kannst dir nicht vorstellen, was sie schon alles angefangen hat. Fotografin, Reisebegleiterin, Verkäuferin, Rechercheassistentin bei einer Spielshow …“ Fallon schüttelte den Kopf. „Unsere Mutter glaubt, dass sie sich einfach noch nicht gefunden hat, aber wahrscheinlich ist sie nur … na ja … ein bisschen flatterhaft.“

Eine freundliche Umschreibung dafür, dass Briana O’Connell nicht nur unverschämt und humorlos war, sondern dazu auch noch unzuverlässig. Welcher Mann interessierte sich schon für so eine Frau? Er bestimmt nicht.

„Fallon“, sagte er und ergriff die Hände seiner Gastgeberin. „Hab vielen Dank für die Einladung, es war wirklich nett bei euch.“

„Du willst doch nicht schon gehen?“

Mit einem Lächeln zog er kurz ihre Hände an die Lippen.

„Ich fürchte, ich muss. Ich bin heute Abend noch verabredet.“

„Schade. Stefano hatte gehofft, du bleibst noch ein bisschen, wenn die anderen weg sind. Ihr redet doch so gern über alte Zeiten.“

„Ein andermal, versprochen. Grüß ihn von mir, ja?“

„Mach ich.“ Fallon hakte sich bei ihm unter, während sie zum Aufzug gingen. „Und noch mal, Gianni … das mit meiner Schwester tut mir wirklich leid.“

„Mach dir keine Gedanken. Ist schließlich nicht das erste Mal, dass mir eine Frau eine Abfuhr erteilt.“

Fallon strich ihm lachend über die Wange.

„Was für ein erbärmlicher Lügner du doch bist, Gianni Firelli. Dabei wissen wir beide, dass es keine einzige Frau auf dieser Welt gibt, die nicht schwach würde, wenn du auch nur in ihre Richtung lächelst.“

„Schön wär’s ja.“

Sie lachte wieder, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm zum Abschied einen freundschaftlichen Kuss.

„War schön, dich mal wieder zu sehen. Und noch mal vielen Dank für das wundervolle Geschenk für Cristina.“

„War mir ein Vergnügen. Mach’s gut, Fallon.“

„Du auch, Gianni.“

Der Aufzug wartete bereits. Gianni behielt sein Lächeln bei, bis sich die Türen geschlossen hatten. Doch als er sein Handy aus der Tasche zog, verfinsterte sich sein Gesicht.

Lynda nahm gleich nach dem ersten Klingeln ab. „Hallo“, meldete sie sich mit diesem atemlosen Flüstern, auf das er normalerweise so abfuhr.

Nur heute ließ es ihn seltsamerweise kalt.

„Hallo. Ich bin’s.“

„Gianni.“ Das Flüstern hatte sich in ein Schnurren verwandelt. „Wie schön, deine Stimme zu hören. Kommst du noch vorbei?“

Der Aufzug war unten angelangt. Gianni stieg eilig aus, nickte dem Pförtner zu und öffnete die Tür zur Straße.

„Wir könnten zusammen etwas essen“, sagte er.

„Natürlich, Darling. Soll ich mich schön machen? Oder lieber so bleiben, wie ich bin? Ich habe eben gebadet und trage den seidenen rosa Morgenmantel von dir.“

Rosa. Rosenknospenrosa wie Briana O’Connells Mund.

„Gianni? Bist du noch da?“

Er räusperte sich. „Ja.“

„Wenn du Lust hast, könnten wir dieses neue Restaurant ausprobieren, das derzeit so in ist. Das Green Meadows, du weißt schon. Es soll super sein.“

Grün wie das Kleid, das sich an Brianas gertenschlanken Körper schmiegte …

„Gianni?“

Da wusste Gianni plötzlich, was er tun musste. Es hatte nichts mit Briana O’Connell zu tun. Absolut nichts. Es war einfach etwas, was er wahrscheinlich schon früher hätte machen sollen, und jetzt war genau der richtige Augenblick.

„Lynda?“

„Ja?“

„Du brauchst keinen Tisch reservieren zu lassen. Ich bin in zwanzig Minuten bei dir.“ Er machte eine Pause. „Und zieh dir etwas an“, fügte er sanft hinzu. „Okay?“

Er hörte, wie sie tief Atem holte. „Gianni? Ist alles in Ordnung?“

„Bis gleich“, sagte er und beendete das Gespräch.

Eine Stunde später verließ er Lyndas Apartment zum letzten Mal. Sie weinte, und er hatte heftige Gewissensbisse. Aber sie hatten sich von Anfang an darauf verständigt, dass sie die Sache ehrlich beenden würden, wenn es so weit war. Für Lynda war es dennoch ein harter Schlag, wie sich jetzt herausstellte.

Gianni seufzte. Inzwischen war es dunkel geworden. Er wollte endlich nach Hause, lange duschen und diesen seltsamen Tag hinter sich lassen. Er überlegte, ein Taxi zu nehmen, aber dann beschloss er, doch lieber zu Fuß zu gehen.

Und Lynda würde er morgen zur Aufheiterung ein hübsches Geschenk schicken. Ein Armband vielleicht. Etwas richtig Wertvolles, damit sie ihren Kummer vergaß. Etwas, mit dem er sein schlechtes Gewissen besänftigen konnte.

Wenn er ganz ehrlich zu sich selbst war, musste er sich eingestehen, dass er bis vor Kurzem noch nicht daran gedacht hatte, die Sache zu beenden. Eigentlich war er mit der Situation ganz zufrieden gewesen. Bis zu dieser verdammten Party heute. Bis er in den Augen einer Frau ein kurzes Aufblitzen von Leidenschaft entdeckt hatte, obwohl sie ihn wie Luft behandelte.

Ein Windstoß fegte die 57th Street hinunter, überraschend kalt nach dem warmen Tag. Gianni schlug seinen Kragen hoch, schob die Hände tief in die Taschen und beschleunigte seine Schritte.

2. KAPITEL

„Was hast du eigentlich gegen ihn?“

Bree schaute von ihrem Salat auf. Da war sie, die gefürchtete Frage, auf die sie schon die ganze Zeit wartete. Überraschend war nur, dass Fallon eine ganze Woche gebraucht hatte, um Bree anzurufen und sich mit ihr zum Mittagessen zu verabreden, und fast eine halbe Stunde, um ihre Frage zu stellen.

„Gegen wen?“

„Stell dich nicht dumm. Gianni Firelli.“

Bree schob sich eine Tomatenscheibe in den Mund und kaute nachdenklich. Als sie Fallons entschlossen gerecktes Kinn sah, entschied sie, den Stier bei den Hörnern zu packen.

Sie legte ihre Gabel ab. „Wenn ich dich richtig verstehe, reden wir von der Tatsache, dass ich vor dem Mann nicht auf die Knie gefallen bin.“

„Auf die Knie fallen? Ein schlichtes ‚Hallo, freut mich, Sie kennenzulernen‘ hätte schon genügt.“

„Ich habe ‚Hallo‘ gesagt.“

„Du weißt genau, was ich meine, Bree. Du hast ihm fast den Kopf abgerissen.“

„Unsinn.“

„Aber ja. Ich kann es kaum glauben, dass du dich so schlecht benimmst.“

Jetzt reckte Bree ebenfalls das Kinn. „Und ich kann kaum glauben, dass du mich behandelst, als wäre ich immer noch sechs.“

„Du warst grob.“

„Ich war nur ehrlich.“

„Aber da braucht man doch nicht gleich grob zu werden.“

„Manchmal geht’s eben nicht anders. Isst du dieses Croissant noch?“

„Nein. Lenk nicht ab.“

„Tu ich ja gar nicht. Ich will nur einfach nicht belästigt werden.“

„Deine Manieren waren einfach beschämend.“

„Ich weiß wirklich nicht, wie ich es dir begreiflich machen soll, aber du bist nicht meine Mutter, sondern meine Schwester.“

„Und das ist gut so. Wenn Mas Flugzeug keine Verspätung gehabt hätte, wäre sie rechtzeitig da gewesen und hätte deinen rüpelhaften Auftritt mitbekommen. Kannst du dir vorstellen, wie sie reagiert hätte?“

„Nein. Sag du es mir.“

Offensichtlich hatte Fallon keine Antwort parat.

Autor

Sandra Marton
<p>Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
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