Der Kuss im Rosengarten

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Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlt sich Joane begehrt. Der faszinierende Unternehmer Ben Norris flirtet ausschließlich mit ihr und zeigt kein Interesse an ihrer Mutter, der schönen Schauspielerin Clea Thorpe. Doch dann scheint ein Albtraum wahr zu werden: Clea kommt aus Bens Schlafzimmer …


  • Erscheinungstag 05.05.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756871
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Er blieb sekundenlang auf der Türschwelle stehen und ließ den Blick seiner dunklen Augen unbeteiligt durch den Raum schweifen. Die Neugier und das unterdrückte Flüstern der übrigen Gäste ignorierte er mit gelangweiltem Gesichtsausdruck.

„Wer ist das?“, fragte jemand neben Joane, sodass sie unwillkürlich den Kopf wandte, um den Fremden zu mustern. Sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen, sonst hätte sie sich mit Bestimmtheit an ihn erinnert. Er war kein Typ, den man vergaß. Seine Miene und seine Körperhaltung verrieten ungebrochene Selbstsicherheit. Schauspieler war er Joanes Überzeugung nach nicht, und das war ungewöhnlich in dieser Umgebung. Auf Cleas Partys tummelte sich jede Menge davon. Auf Begabung legte Clea dabei weniger Wert als auf gutes Aussehen. Und in Südfrankreich gab es viele gut aussehende junge Männer. Der Neuankömmling gehörte jedoch nicht zu ihnen. Er trug ein unsichtbares Etikett mit der Aufschrift: Gefährlich.

Wo steckte Clea überhaupt? Joane spähte durch den Raum, vorbei an den kleinen Grüppchen, die plaudernd beieinander standen. Auf ihre Weise war sie gegenüber den eleganten Pariser Roben, den Juwelen und dem exaltierten Gehabe der meisten Anwesenden genauso gleichgültig wie der Fremde an der Tür.

„Wo ist Ihre Mama?“ Sam Ransom war neben ihr aufgetaucht. Er schwenkte ein Glas in der Hand, sodass die Eiswürfel darin klirrten. „Sie wird von dem neuen Gast begeistert sein. Das möchte ich mir nicht entgehen lassen.“ In seiner Stimme schwang Boshaftigkeit mit. Er war auf Clea im Augenblick nicht gut zu sprechen. Als Reaktion auf eine seiner bissigen Fragen in seinem letzten Interview hatte sie ihm ein volles Glas Martini ins Gesicht gekippt. Aber warum dieser merkwürdig erwartungsvolle Ton? Wer war der Neuankömmling? Sam kannte ihn offenbar, also konnte er nicht ganz unbedeutend sein. Aber wer auf Cleas Party war schon unbedeutend?

Außer Joane selbst. Bei dieser trockenen Feststellung musste sie unwillkürlich lächeln.

„Hat Clea heute bessere Laune?“ Sam schien noch immer eingeschnappt zu sein. Cleas Temperamentsausbrüche waren berühmt. Pflegte sie im Allgemeinen auch süß wie Honig zu sein, konnte sie doch plötzlich explodieren und sich in eine Tigerin verwandeln. Dann funkelten ihre veilchenblauen Augen, und ihre Lippen waren zusammengepresst. Es war dies eine ihrer Eigenschaften, die sie bemerkenswert machten, abgesehen von ihrer unglaublichen Schönheit selbstverständlich. Gerade diese Unberechenbarkeit verlieh ihr eine elektrische Spannung, die anderen Schauspielerinnen fehlte. Deshalb war es unfair von Sam, gegen etwas zu protestieren, das Clea für ihn und seinesgleichen zu einem so dankbaren Objekt für Zeitungsberichte machte.

„Ben, da bist du ja! Das ist großartig!“ Eine laute, dröhnende Stimme übertönte das unaufhörliche Stimmengewirr in dem überfüllten Raum, und Joane sah, dass sich Lester Swann mit ausgestreckter Hand zu dem Fremden an der Tür durchkämpfte. Lester gehörte zu den Geldgebern, die hinter Cleas neuem Film standen. Ein Amerikaner, der sein Vermögen in der Industrie gemacht hatte. Aus steuerlichen Gründen lebte er jetzt in Frankreich und bemühte sich, durch Investitionen im Filmgeschäft sein Geld noch zu vermehren – Lester war ein alter Freund Cleas.

Der dunkeläugige Fremde gehörte also offenbar zum Bekanntenkreis von Lester. Das hob ihn automatisch in eine besondere Kategorie. Obwohl sich Lester jetzt in Filmkreisen bewegte, blieb seine besondere Wertschätzung doch den Angehörigen seiner eigenen Welt vorbehalten. Seine Haltung gegenüber den Schauspielern war stets ein wenig herablassend.

Joane beobachtete, wie sich der Neuankömmling von Lester in die Gesellschaft ziehen ließ. Das Lächeln, das um seinen Mund spielte, blieb rein höflich, ohne je seine Augen zu erreichen, deren Ausdruck ironisch und sogar ein wenig verächtlich blieb, während er die Leute begrüßte, mit denen Lester ihn bekannt machte. Aus der Art, wie die anderen ihm entgegenkamen, schloss Joane, dass der Fremde wohlhabend und einflussreich war, eine Persönlichkeit, mit der die Filmbranche rechnen musste. Joane war es gewöhnt, so still dazusitzen und ihre Beobachtungen anzustellen. Das war ihre Weise, die Partys zu genießen.

Die französischen Fenster standen offen, um die milde Nachtluft hereinzulassen. Eine leichte Brise trug den Duft des Gartens in den Raum und verminderte ein wenig den schalen Geruch von abgestandenem Alkohol und Zigarettenqualm, der sich in den vergangenen Stunden gebildet hatte. Joane saß in einer Ecke, halb von der bodenlangen, weißen Samtportiere verborgen. Clea hatte eine Vorliebe, sich mit Blau und Weiß zu umgeben – ihren Farben, wie sie es nannte. Sie verstand es sehr wohl, ihrer Schönheit den richtigen Rahmen zu geben, das Blau ihrer Augen zu vertiefen und das Schwarz ihrer Haare zu betonen, das noch keine Spur von Silber zeigte. Wenn böse Zungen auch flüsterten, Cleas Friseur sorge dafür, so wusste Joane, dass das eine Lüge war. Clea brauchte keine künstlichen Hilfsmittel, um ihre Haare schwarz zu behalten. Bis jetzt hatte die Zeit an ihr noch keine Spuren hinterlassen.

„Ich glaube, ich würde mit silbergrauen Haaren sehr elegant aussehen, Liebling“, hatte Clea einmal lächelnd gesagt. „Ich hoffe, mit Charme und Anstand zu altern.“

Joane hatte liebevoll zurückgelächelt. „Nun, vorläufig hast du noch lange Zeit damit.“

Lester redete mit erhobener Stimme, während er den Blick seiner leicht hervorquellenden Augen durch den Raum schweifen ließ. „Aber wo ist sie? Wo ist Clea? Du musst sie unbedingt kennenlernen, Ben. Sie ist genauso fantastisch, wie sie auf der Leinwand aussieht.“ Er erspähte Joane in ihrem verborgenen Winkel, und ein verblüffter Ausdruck huschte über sein Gesicht. Es war für Joane nicht ungewohnt, so gemustert zu werden. Obwohl sie sich ständig in Cleas Nähe befand, erinnerten sich nur wenige Leute an sie oder ihre Beziehung zu Clea. Wenn zwischen ihnen auch eine gewisse Ähnlichkeit bestand, so besaß Joane doch keineswegs Cleas strahlende Schönheit.

Ohne beleidigt zu sein, erwiderte Joane den verblüfften Blick Lesters mit einem freundlichen Lächeln. Der Mann neben ihm war Lesters Blick gefolgt. Joane begegnete der kühlen Musterung seiner Augen mit aufsteigender Feindseligkeit. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein? Sie bemühte sich, ironisch zurückzustarren. Eine seiner schmalen Augenbrauen zuckte empor. Dann wandte er sich mit einem gleichmütigen Achselzucken ab. Diese Geste brachte Joane erst recht in Harnisch.

Sie war es zwar gewöhnt, von den Satelliten, die ihre Mutter umkreisten, ignoriert zu werden. Aber aus irgendeinem Grund fühlte sie sich von der kalten Zurückweisung dieses völlig Fremden in ihrem Selbstbewusstsein verletzt.

Der teure Schnitt seines Anzugs war ausgesprochen konservativ, registrierte sie. Auch das gab über seine Person einen gewissen Aufschluss. Das blau gestreifte Hemd war untadelig, wenn auch weniger für eine Party geeignet. Eher sah er aus, als sei er gerade aus einer Aufsichtsratssitzung gekommen. Eigentlich hätte er unter den zumeist extravagant gekleideten Partygästen deplatziert wirken müssen. Zu Joanes Ärger brachte er es jedoch mit seiner Selbstsicherheit fertig, den Eindruck zu erwecken, als seien alle anderen Gäste falsch angezogen.

Mit einer Mischung aus Belustigung und Zorn beobachtete Joane, wie viele Frauen den Fremden verstohlen musterten. Lina Rothman hatte sich bereits aus der Menge gelöst und kam mit einem trägen Lächeln auf die beiden Männer zugeschlendert. Ihre roten Haare glänzten im Lichtschein des Kronleuchters.

„Lester, mein Schatz“, murmelte sie und legte eine Hand auf seinen Arm, während ihre grünen Augen auf den Fremden gerichtet waren. „Wie geht es dir?“

Lester, der sie bewunderte, nahm resigniert ihr unverhülltes Interesse für den Mann in seiner Begleitung zur Kenntnis. „Lina, dies ist Ben Norris“, stellte er vor.

„Der Sohn von Jeb Norris?“ Lina riss überrascht die Augen auf. Dann streckte sie dem Neuankömmling ihre Hand entgegen.

Joane, die den Namen mitgehört hatte, war wie vor den Kopf geschlagen. Der Sohn von Jeb Norris. Du lieber Gott! Und Lester hatte ihn mit zu Cleas Party gebracht? War Lester übergeschnappt? Oder hatte er etwa keine Ahnung? Es war natürlich schon eine alte Geschichte, die die meisten Leute vielleicht längst vergessen hatten. In den vergangenen zwanzig Jahren hatte es so viele neue Skandale gegeben. Clea war stets eine gute Lieferantin von Histörchen für die Klatschspalten gewesen, und keine ihrer Romanzen war der Öffentlichkeit verborgen geblieben. Auch ihr Privatleben fand im Scheinwerferlicht statt. Aber keine der späteren Geschichten war so faszinierend gewesen wie das Duell, das Jeb Norris ihretwegen am Strand von Santa Anna ausgetragen hatte. Es hatte tagelang die Schlagzeilen gefüllt. Jeb Norris war schwer genug verletzt worden, um eine Woche im Krankenhaus verbringen zu müssen. Sein Gegner war mit heiler Haut als Sieger davongekommen und hatte Clea einen Monat später in England geheiratet.

Joane starrte auf den dunkelhaarigen Kopf von Jeb Norris’ Sohn. Nach den Bildern zu urteilen, die sie in der Zeitung von seinem Vater gesehen hatte, bestand eine unverkennbare Ähnlichkeit zwischen den beiden.

Sie selbst war ein Jahr nach dem Duell geboren worden. Einmal hatte ihr Vater, der Sieger, ihr davon erzählt. Seine Stimme war dabei trocken und voller Selbstironie gewesen. Joane hatte ihm mit aufgerissenen Augen zugehört. Selbst in diesem Alter noch hatte sie Clea wie eine Märchenprinzessin betrachtet, und ein Duell hatte in ihren Augen genau zu einem so wunderbaren Geschöpf gepasst, wie ihre Mutter es war. Ihr Vater, John Ross, hatte schließlich genug bekommen von dem Wanderzirkus, auf den das Leben mit Clea hinauslief. Fünf Jahre lang war er dabei geblieben, wie Joane vermutete, zuletzt hauptsächlich noch ihretwegen.

Die Liebe zwischen ihm und Clea war damals schon erloschen gewesen, und die Scheidung hatte niemanden mehr überrascht, nicht einmal Joane. Ihr Vater hatte ihr die Situation behutsam erklärt, ohne Clea irgendeine Schuld zuzuschieben, wofür Joane ihm später dankbar gewesen war. Er hatte ihr selbst die Entscheidung überlassen, wo sie künftig leben wollte, bei ihrer Mutter oder bei ihm, und Joane hatte geweint, weil sie damit überfordert gewesen war. Und dann hatte Clea, elegant und nach Parfüm duftend, das Kinderzimmer betreten. Ganz Sanftheit und Wärme, hatte sie Joane in die Arme genommen, ihr über die Haare gestreichelt und mit Entschiedenheit erklärt: „Mein Kind bleibt bei mir.“ Und John hatte nicht widersprochen.

Joane hatte keine Stürme durchzustehen gehabt. Alles war ruhig und zivilisiert über die Bühne gegangen, und nachdem ihr Vater aus ihrem Leben verschwunden war, hatten die Dinge wieder ihren gewohnten Gang genommen.

John Ross war nach England zurückgekehrt und hatte wieder geheiratet. Eine ruhige, angenehme, höfliche Engländerin, so verschieden von Clea wie Tag und Nacht. Die Ehe war durchaus glücklich geworden. Es waren zwei Kinder aus ihr hervorgegangen, David und Patricia, nette, höfliche, blonde Geschöpfe, die Joane von Besuchen bei ihrem Vater kannte. Sie hatte jedoch nichts gemeinsam mit ihnen. Ihre Welten waren so weit voneinander entfernt, als seien sie Wesen von einem anderen Stern.

Ihrem Vater brachte Joane eine stille Zuneigung entgegen. Die einzige Verrücktheit seines Lebens war die kurze Leidenschaft für Clea gewesen. Nach der Scheidung hatte er zu seinem wahren Charakter zurückgefunden und sich ganz in die Leitung des Familienunternehmens vertieft. Er führte das große Londoner Hotel, das ihm sein Vater hinterlassen hatte, mit Geschick und Können. Er war wohlhabend, tüchtig und nett. Joane wünschte sich oft, ihn mehr lieben zu können, aber all ihre Gefühle hatte sie schon lange zuvor an ihre Mutter verschwendet.

Ein neuerlicher Blick auf das Paar neben Lester Swann zeigte ihr, dass es Lina Rothman gelungen war, Ben Norris’ Aufmerksamkeit zu erregen. Lina war fünf Jahre jünger als Clea und bedeutend weniger bekannt. Allerdings besaß sie schauspielerische Begabung, musste Joane einräumen. Clea hatte niemals schauspielerische Fähigkeiten besessen. Sie waren auch nie von ihr verlangt worden. Clea hatte allein mit ihrer Schönheit jede Szene dominiert und alle anderen Frauen neben sich verblassen lassen.

Ben Norris begegnete Linas einladenden Blicken mit undeutbarer Miene. Leider war es Joane nicht möglich, seine gedämpfte Stimme zu verstehen, sie konnte jedoch die unmissverständliche Ironie in seinen Augen erkennen, als Lina ihm eine unausgesprochene Aufforderung signalisierte.

Was mochte ihn hierher gebracht haben? Neugier? War er gekommen, um die Frau zu sehen, deretwegen sein Vater vor Jahren den Kopf verloren hatte?

Er musste um die Dreißig sein, schätzte Joane. Also war er ein kleiner Junge von sieben oder acht Jahren gewesen, als das Duell stattgefunden hatte. Zweifellos alt genug, um davon gewusst zu haben. Soweit Joane sich erinnerte, war seine Mutter, Linda Norris, ebenfalls Schauspielerin gewesen, wenn sie auch nie Berühmtheit erlangt hatte. Dafür hatte es umso mehr Klatsch um sie gegeben. Alkohol, ungezügeltes Benehmen, unkontrollierte Ausbrüche – wie viel davon Schuld ihres Mannes oder ihre eigene gewesen war, konnte Joane nicht beurteilen. Klar war jedenfalls, dass Ben Norris eine wenig erfreuliche Kindheit gehabt haben musste bei dieser unbeherrschten Mutter und einem Vater, der wegen eines Filmstars gesellschaftlichen Selbstmord begangen hatte.

Inzwischen schienen alle Gäste über seine Identität informiert zu sein. Die Blicke der meisten Anwesenden waren in gnadenloser Neugier auf ihn gerichtet. Ben Norris nahm jedoch keine Notiz davon. Ein Glas in der Hand, stand er in lässiger Haltung vor Lina und ließ sich von ihr ohne eine Spur von Unsicherheit unterhalten.

Plötzlich erschien Clea in der Türöffnung. Vermutlich war sie mit einer kleinen Schar ihrer Anbeter im erleuchteten Garten gewesen. Jetzt stand sie, eingerahmt von den weißen Samtportieren, in atemberaubender Schönheit auf der Schwelle. Das weiße Kleid, das sie trug, enthüllte auf gewagte Weise ihre perfekten weiblichen Formen.

Nur eine Frau von äußerster Selbstsicherheit konnte es riskiert haben, ein Gewand von so klassischer Schlichtheit zu wählen. Wie immer beim Anblick ihrer Mutter empfand Joane neidlose Bewunderung. Wie konnte eine Frau nur so schön sein? Was besaß Clea? Zwei Augen, eine Nase, einen Mund wie andere Frauen. Doch bei ihr hatte sich das alles zu außerordentlicher Wirkung vereint.

Um den Hals trug sie ein eng anliegendes Band aus gerüschter schwarzer Spitze, das verführerische Schatten auf ihre weiße Haut warf. An einem Handgelenk glitzerte ein breites Brillant-Armband, in dem das reflektierte Licht der Kronleuchter aufblitzte. Clea überlud sich niemals mit Schmuck, obwohl sie Juwelen in Hülle und Fülle besaß. Sie hatte einen unfehlbaren Blick dafür, welches Stück zu welcher Gelegenheit passte. Mochte sie auch keine große Schauspielerin sein, so verfügte sie doch über ein todsicheres Gespür, sich vorteilhaft zu präsentieren.

Joane wandte sich hastig nach Ben Norris um. Ihre Augen weiteten sich überrascht, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. Fast fühlte sie eine gewisse Gereiztheit in sich aufsteigen. Merkte er nicht, wie er Clea anstarrte? Noch dazu, wo die Aufmerksamkeit der meisten Gäste auf ihn gerichtet war.

Zufrieden mit der Wirkung, die ihr Auftritt erzielt hatte, betrat Clea den Raum. Lester Swann eilte ihr strahlend entgegen. Joane sah, wie er ihrer Mutter etwas zuflüsterte. Dann hob Clea den Kopf und spähte an Lester vorbei auf den Mann, der ihm gefolgt war. Sie biss sich offenkundig irritiert auf die Lippe, während Joane die Gedanken erraten konnte, die ihrer Mutter durch den Kopf jagten. Ben Norris war, ebenso wie Joane, der lebende Beweis, wie viel Zeit vergangen war. Und wenn Clea auch immer vorgab, keine Angst vor den Jahren zuhaben, hegte sie insgeheim doch eine tiefe Furcht vor dem Alter.

Joane beobachtete nicht ohne Stolz die gewinnende Geste, mit der Clea die Hand ausstreckte und den Schock verbarg, den sie gerade bekommen hatte. Wer wollte behaupten, dass Clea nicht Theater spielen konnte?

Ben Norris machte einen Schritt vorwärts, um die dargebotene Hand zu ergreifen, wobei er den Blick nicht von Cleas Gesicht wandte. Die Kühle und die ironische Verachtung war aus seiner Miene gewichen und hatte einem Ausdruck ungläubiger Bewunderung Platz gemacht. Falls Ben Norris gekommen war, um Clea seine Verachtung zu zeigen, so hatte sie ihn mit einem Blick aus dem Konzept gebracht.

Schließlich ist er auch nur ein Mensch, dachte Joane trocken. Sie verfolgte zusammen mit den übrigen Gästen, wie Ben Norris die Hand ihrer Mutter nahm. Er verharrte einen Augenblick schweigend. Dann neigte er in ehrerbietiger Weise den Kopf und küsste Clea die Hand. Clea lächelte.

Joane konnte die Erleichterung in ihren Augen erkennen. Ben Norris hatte kampflos auf den ersten Blick kapituliert. Clea war sich ihres Triumphes bewusst: Noch hatte sie ihre Fähigkeit nicht verloren, einen Mann wortlos zu erobern.

Der Abend verlief wie ihre meisten Partys – in einem Gewirr von Stimmen, Gelächter und Musik. Von Zeit zu Zeit kam Joane aus ihrer Ecke heraus, um für Nachschub von Speisen und Getränken zu sorgen. Seit ein paar Jahren schon hatte sie die Haushaltsführung übernommen. Als Hilfskraft von Milly zuerst, der Sekretärin und Vertrauten ihrer Mutter, und dann mit zunehmenden Fähigkeiten, in alleiniger Verantwortung.

Ein Dragoner von fünfzig Jahren, mit sandfarbenen Haaren und durchdringenden, braunen Augen, verbarg Milly hinter ihrem schroffen Auftreten ein weiches Gemüt. Clea erhielt täglich stapelweise Briefe. Zuschriften von Verehrern überwiegend, aber auch Geschäftspost. Milly bemühte sich, alles im Griff zu behalten, scharfzüngig, sachlich und mit kühlem Kopf. Nur Clea und Joane wussten, dass sich hinter ihrem prosaischen Äußeren eine romantische Seele verbarg, die sie überhaupt erst veranlasst hatte, sich für die Stellung bei Clea zu bewerben. Ihre Zuneigung für Clea war ein Geheimnis zwischen ihnen dreien, das Milly streng zu verbergen trachtete. Selber plump und unansehnlich, bewunderte Milly die Schönheit Cleas ohne Neid, wie man ein Kunstwerk bewundert. Clea war sich Millys Ergebenheit dankbar bewusst und hing ihrerseits mit großer Zuneigung an ihrem Faktotum.

Abgesehen von Clea war Joane der einzige Mensch, den Milly liebte. Während Joanes Kindheit war Milly die Bezugsperson für das kleine Mädchen gewesen, eine Ersatzmutter. Clea war oft zu Filmaufnahmen unterwegs gewesen. Milly hatte dafür gesorgt, dass Joane das Familienleben gehabt hatte, das ein Kind braucht, und Joane hing deshalb mit liebevoller Zärtlichkeit an Milly.

Die Gäste begannen aufzubrechen. Der Lärmpegel schwoll ab. Milly erschien auf der Bildfläche und erkundigte sich lächelnd bei Joane:

„Hat alles geklappt? Waren die Getränke ausreichend?“

„So gerade“, versetzte Joane mit einem kleinen Schmunzeln.

Milly spähte über ihre Schulter zu Ben Norris und Clea hinüber und zog fragend eine Augenbraue empor. „Der ist neu, nicht wahr? Ein Schauspieler? Wer ist es?“

„Der Sohn von Jeb Norris.“

Milly zog geräuschvoll die Luft ein. „Wer hat den denn hierher gebracht?“

„Lester Swann.“

„Das hätte ich mir denken können!“, meinte Milly bedrückt.

„Entweder ist er ahnungslos oder ungeheuer dickfellig!“

„Beides“, versetzte Milly, und beide mussten lachen. „Wie hat Clea denn auf ihn reagiert?“

„Zuerst war sie natürlich schockiert“, sagte Joane zögernd. „Sie stand da wie eine Göttin, und er fiel vor ihr auf sein Angesicht.“ In ihrem Ton schwang eine eigenartige Schärfe mit, die sie sich selbst nicht erklären konnte.

Milly musterte sie nachdenklich. „Es wird von Jahr zu Jahr schwerer für sie“, bemerkte sie dann mit einem liebevollen Gesichtsausdruck, den nur wenige an ihr kannten.

„Wie alt ist sie eigentlich?“, fragte Joane, wie sie es schon oft getan hatte.

Und wie ebenso oft zuvor erwiderte Milly: „So alt wie ihre Haare und ein wenig älter als ihre Zähne.“

„Manchmal komme ich mir älter als Clea vor“, bekannte Joane.

„Du bist so jung, wie du dich fühlst“, erklärte Milly belustigt.

„Dann müsste ich eigentlich von der Queen ein Glückwunsch-Telegramm zu meinem hundertsten Geburtstag bekommen“, gähnte Joane. „Es ist vier Uhr früh! Morgen werde ich tot sein.“ Sie schaute zu ihrer Mutter hinüber. „Wie schafft sie das bloß? Sie sieht noch genauso aus wie zu Beginn der Party, kein Haar ist verrutscht, und ihre Haut wirkt taufrisch. Während ich mich morgen mit einem Eisbeutel auf dem Kopf herumschleppe, taucht sie auf wie der junge Mai.“

„Das ist jahrelanges Training“, erklärte Milly. „Sie hat immer früh aufstehen und ins Studio fahren müssen, ob es am Abend zuvor eine Party gegeben hatte oder nicht. Auf diese Weise hat Clea gelernt, jede Stunde zu nützen, die sie erwischen kann.“

Bis auf Ben Norris hatten sich inzwischen alle Gäste verabschiedet. Nur er stand noch an die Wand gelehnt, den Blick fasziniert auf Cleas lachendes Gesicht gerichtet.

„Scheint ihn ganz schön erwischt zu haben“, stellte Milly fest. „Soll ich dazwischen gehen, oder willst du das übernehmen? Clea sollte doch endlich ins Bett.“

„Ich erledige das schon“, sagte Joane und trat auf die beiden zu. Clea wandte den Kopf und legte Joane liebevoll einen Arm um die Schulter.

„Haben Sie mein kleines Mädchen schon kennengelernt, Ben?“

Joane hatte den Eindruck, als löse er seinen Blick nur widerwillig von Cleas Gesicht. Dann musterte er Joane gleichgültig. „Nein“, versetzte er in einem Ton, als wollte er sagen: „Und ich habe jetzt auch keine Lust dazu.“

„Meine Tochter Joane“, sagte Clea und drückte Joane an sich. „Finden Sie nicht, dass wir uns ähnlich sehen, Ben?“

Die schmalen Augenbrauen wölbten sich empor, während er den Blick seiner dunklen Augen langsam und abschätzend über Joane gleiten ließ. Sie spürte, wie ihr dabei das Blut in die Wangen stieg.

„Nein“, sagte er dann in einem Ton, der sie so in Wut brachte, dass sie ihm hätte ins Gesicht schlagen können. Sie wurde oft von Leuten, die sie gerade kennengelernt hatten, ungläubig angestarrt. Aber die meisten bemühten sich zumindest der Höflichkeit halber, eine Ähnlichkeit mit Clea festzustellen. Ben Norris unternahm nicht einmal den Versuch, höflich zu sein. Er stellte unverblümt fest, was sein kühler Blick ihr bereits verraten hatte. Er empfand sie neben Clea als blassen, uninteressanten Schatten. Dabei war Joane nicht etwa hässlich. Ein schlankes Mädchen, mit dunklem Teint und langen schwarzen, glatt auf die Schultern herabfallenden Haaren, wurde sie nur von der fesselnden Schönheit ihrer Mutter stets überstrahlt. Ihr zurückhaltendes Wesen ließ sie überdies noch unscheinbarer wirken.

Um ihren Ärger zu verbergen, fragte sie Ben Norris: „Bleiben Sie länger in Nizza?“

„Ein paar Wochen.“

„In einem Hotel?“ Sie konnte seine Ungeduld spüren. Er legte keinen Wert darauf, sich mit ihr zu unterhalten, ihre Fragen zu beantworten.

„In einer Villa.“ Seine Stimme klang schroff, als wünsche er Joane zum Teufel.

„In wessen Villa?“, wollte Clea wissen. Sie kannte so ziemlich alle Leute, auf die es in dieser Gegend ankam. Ihre eigene Villa besaß sie bereits seit zehn Jahren und verbrachte dort so viel Zeit, wie sie ermöglichen konnte. Ihre Partys waren berühmt und Einladungen dazu allgemein begehrt.

„Lesters“, versetzte Ben Norris und wandte sich ihr zu.

„Lester ist ein Gönner von mir“, meinte Clea lachend. „Er wird meinen nächsten Film finanzieren.“

„Er hat mir vorgeschlagen, auch zu investieren“, erwiderte Ben, ohne sie aus den Augen zu lassen.

„Und werden Sie es tun?“

„Es ist eine reizvolle Vorstellung“, versetzte er ausweichend. Doch Clea ließ sich davon nicht abschrecken. Sie bedachte ihn im Gegenteil mit einem schmeichelnden Lachen. Zu Männern mit Geld war sie immer besonders liebenswürdig.

„Die Rolle ist fabelhaft“, meinte sie seufzend.

Es hatte einige Verzögerungen wegen des Films gegeben. Joane wusste nicht warum. Clea hatte einige Monate nicht gearbeitet. Aber das war gut. Sie brauchte einmal Ferien.

Jetzt verstand Joane zumindest, warum Ben Norris so herzlich von Lester begrüßt worden war. Er musste ein reicher Mann sein. Jeb Norris hatte in den Vereinigten Staaten mit Elektronik Millionen gemacht. Offenbar sollte jetzt ein Teil davon die Film-Branche befruchten. Es hatte viele Männer im Leben ihrer Mutter gegeben, und die meisten waren reich gewesen. Manche hatten mit Clea Thorpes Filmen Vermögen gemacht, andere hatten Vermögen verloren. Wie Joane vermutete, hatte auch Jeb Norris einmal Geld in einen Film von Clea investiert. Zumindest hatten die Zeitungsberichte damals angedeutet, dass sein Spiel mit Cleas Karriere ein weiterer Grund für die Eifersuchtsanfälle seiner Frau gewesen war.

„Wann müssen Sie wieder in die Schule zurück?“, fragte Ben Norris unerwartet, und Joane wurde rot. Er hätte wirklich kaum uncharmanter sein können! Wie ein Schulkind sah sie nun wohl doch nicht mehr aus.

Clea stieß ein silberhelles Lachen aus. „Oh, ich brauche Joane in meiner Nähe“, erklärte sie, ohne darauf hinzuweisen, dass ihr kleines Mädchen bereits zwanzig, sehr bald sogar einundzwanzig Jahre alt war. Jede Erwähnung von Alter war in diesem Hause tabu. Die Uhr ist stehen geblieben, dachte Joane, Clea ist alterslos.

Ben Norris starrte sie an. Offenbar versuchte er ihr Alter zu schätzen. Keine leichte Aufgabe, denn selbst auf Partys benützte sie kaum kosmetische Hilfsmittel. Ihre sonnengebräunte Haut wirkte ungeschminkt ohnehin besser. Abgesehen davon sah es Clea nicht gern, wenn sie sich zurechtmachte. Auch das schlichte Blaue, das Clea für sie ausgesucht hatte, unterstrich Joanes jugendliches Aussehen.

Milly, die anscheinend die Hoffnung aufgegeben hatte, dass Joane ihr Ziel erreichen würde, kam zu ihnen herüber.

Clea fing ihren Blick auf und lächelte ihr zu. „Dies ist Milly“, informierte sie Ben. „Mein Hausdrachen, meine Beschützerin! Sie regiert mein Leben mit eiserner Rute, und ich nehme an, sie will mich jetzt ins Bett schicken.“

Die gespielte Unterwürfigkeit war bezaubernd. Ben lächelte. „Müssen Sie wirklich gehorchen?“

„Ich brauche meinen Schönheitsschlaf“, versetzte Clea.

Er schüttelte den Kopf. „Aber doch nicht Sie!“

„Wie reizend“, sagte Clea. Sie überließ ihm ihre Hand, die er küsste. „Man könnte fast denken, Sie hätten französisches Blut in den Adern. Ihr Vater war nie so galant.“ Sie zögerte einen Moment mit gesenkten Augenlidern. „Wie geht es ihm übrigens?“ Die Art ihrer Frage bewies, dass zuvor von Jeb Norris noch nicht gesprochen worden war.

„Gut“, antwortete Ben schroff.

„Er ist vermutlich in den Staaten?“

Ben zögerte. „Ich nehme es an. Wir sehen uns ziemlich selten.“

Clea wandte sich mit einem Lächeln ab. „Nun, dann gute Nacht.“

Die reine weiße Seide umfloss ihren schlanken Körper, als sie sich mit graziösen Schritten entfernte. Milly folgte ihr, obwohl Clea in ihrem Schlafzimmer trotz der späten Stunde von ihrer Zofe Marie erwartet wurde. Clea ging nie allein zu Bett. Wie eine Prinzessin erwartete sie, bedient zu werden. Aufgrund ihrer unkomplizierten Freundlichkeit besaß sie jedoch die Gabe, in anderen Frauen ein Gefühl von Loyalität und Dienstbereitschaft zu wecken. Sie war niemals niederträchtig, gehässig oder gemein. Und ihre beinahe kindliche Angst vor dem Altern rief eigentlich nur Mitleid hervor. Selbst die Männer in ihrem Leben bewahrten ihr nach einer Trennung Zuneigung. Denn wenn sie sich einer neuen Liebe zuwandte, so tat sie das mit der Naivität eines Kindes, das auf ein neues Spielzeug erpicht ist, ohne deshalb das alte weggeben zu wollen. Liebhaber wurden zu Freunden, und Clea bemühte sich um diese Freundschaften.

2. KAPITEL

Joane war mit Ben Norris allein zurückgeblieben. „Ich werde Sie hinausbegleiten“, sagte sie höflich.

Er warf ihr einen feindseligen Blick zu. „Vielen Dank.“

Autor

Charlotte Lamb
Die britische Autorin Charlotte Lamb begeisterte zahlreiche Fans, ihr richtiger Name war Sheila Holland. Ebenfalls veröffentlichte sie Romane unter den Pseudonymen Sheila Coates, Sheila Lancaster, Victoria Woolf, Laura Hardy sowie unter ihrem richtigen Namen. Insgesamt schrieb sie über 160 Romane, und zwar hauptsächlich Romances, romantische Thriller sowie historische Romane. Weltweit...
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