Der letzte Kuss?

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Cassies ruhige Ferientage am Meer nehmen eine überraschende Wende. Die Tochter eines Multimillionärs verliebt sich in den Rancher Matthew, der sie auf seine Rinderfarm einlädt. Cassie möchte nur eines: für immer bei diesem attraktiven Mann bleiben …


  • Erscheinungstag 05.05.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756826
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Auf dem Gipfel von Warinna Ridge angekommen, zügelte Matthew seine braune Stute. Dies war der Lieblingsplatz der Aborigines, und auch ihn zog der Ort unwiderstehlich an, bot er doch den besten Ausblick auf ganz Jabiru. Von hier aus konnte er auf die Herde blicken, die über das weite, grüne Tal verstreut war. Ein wenig Regen genügte, und die rotbraune Erde verwandelte sich in schimmerndes Smaragdgrün. Nur dieses Mal hatte es eine mächtige Überschwemmung gegeben, die sie dem Wirbelsturm Amy zu verdanken hatten.

Die prächtigen Rinder mit ihren auffallenden Schlappohren, der Wamme und den Höckern brauchten nicht mehr weit zu laufen. Nun, da das Flutwasser abgezogen war, war das Weideland in hervorragendem Zustand. Paruna Creek und der Oolong Swamp – Heimat unzähliger Wasservögel, Pelikane, Schwäne, Enten, Brolgakraniche und Jabirus, den großen tropischen Störchen, die der Farm ihren Namen gegeben hatten – bildeten einen natürlichen Schutz, sodass die Rinder in wogendem Gras weiden konnten.

Wie kleine Lagunen funkelten tiefe Seen in der Mittagssonne. Der Dunst, der durch die Hitze von der Oberfläche aufstieg, ließ sie wie heiße Quellen erscheinen. Die Wasserstellen gab es überall, sie boten den Rindern eine natürliche Erfrischung, und viele nahmen ein Bad darin.

Während Matthew den Ausblick über das Land genoss, legte sich seine innere Unruhe ein wenig. Es war immer noch sehr heiß und feucht, aber die leicht nach Sandelholz duftende Brise kühlte seine sonnengebräunte Haut. Obwohl er Tausende von Dingen zu tun hatte, konnte er sich von dem Anblick, der sich ihm bot, nicht losreißen. Jabiru erfüllte ihn mit Stolz und gab ihm das Gefühl, etwas geleistet zu haben. Für jemanden, der unehelich geboren war, hatte er es weit gebracht. Trotzdem hatte er einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Vielleicht würde er ihn nie loswerden.

Die Berge in der Ferne, Ausläufer des Great Dividing Range, die das Hinterland von der Küste trennten, leuchteten in einem warmen Purpurrot, einer Farbe, die der Künstler Namitjira so gern verwendet hatte. Ein außergewöhnlicher Glanz lag über dem Land, das ihm unermessliche Freude bereitete und ein Ausgleich für Einsamkeit und Isolation war. Manchmal, wenn er nachts einen langen Ausritt unterm Sternenhimmel machte, verspürte er vollkommenen Frieden. Dabei war Jabiru kein großartiger Grundbesitz, sondern nur ein kleines, auf Gewinn ausgerichtetes Unternehmen.

Rinder von Jabiru waren jetzt begehrt, aber dafür hatte er auch jahrelang schwer gearbeitet. Und nun, da sich seine Mühsal auszahlte, hatte er niemanden, mit dem er den Erfolg teilen konnte. Keine Seele. Es hatte immer nur ihn und seine Mutter gegeben. Sie waren von Stadt zu Stadt gezogen und nirgendwo lange genug geblieben, um akzeptiert zu werden, bis sie im tropischen North Queensland angekommen waren, über tausend Meilen von dem Ort entfernt, wo sie einmal angefangen hatten. Hier musste niemand hungern oder frieren. Tropische Früchte fielen überreichlich von den Bäumen, das hervorragende Rindfleisch war billig, und in den Flüssen und im herrlichen blauen Meer wimmelte es von Fischen.

Ungefähr zwölf war Matthew damals gewesen. Ein schwieriges Alter für einen Jungen, zumindest für ihn als Beschützer seiner Mum. Seine Mutter, eine schöne Frau, aber viel zu weichherzig und verletzlich, hatte eine feste Anstellung als Aushilfe in einem Gasthaus gefunden. Marcy Graham, die Frau des Wirts, hatte sie beide unter ihre Fittiche genommen. Marcy war eine gute Seele und hatte ein Herz aus Gold. Eine Weile lang hatten sie sogar im Pub gewohnt, bis Marcy am Stadtrand ein Bungalow für sie gefunden hatte, das sie sich leisten konnten. Es war einsam am Rande des geheimnisvollen grünen Regenwalds gewesen, aber auch schön. Matthew hatte sich sogar an die Schlangen gewöhnt, seine Mutter jedoch nie.

Es hatte lange gedauert, bis er Freunde an der Schule gefunden hatte. Etwas an ihm hatten die anderen Kinder Abstand zu ihm halten lassen. Er hatte ein aufbrausendes Temperament und konnte es nicht ertragen, wenn man gegen ihn und seine Mutter stichelte. Und das hatte man in jenen Tagen oft getan. Für sein Alter war er groß gewesen und kräftig. Zwei Kämpfe hatten genügt, den Schlägertypen eine Lektion zu erteilen.

Erst als er vierzehn war und die Bemühungen des Schuldirektors sich bezahlt gemacht hatten, hatte er den Ruf, „clever“ zu sein. Matthew hatte keine Ahnung, wie das passiert war. Sie waren so oft umgezogen, dass er nicht viel zum Lernen gekommen war, aber als er sich dann darauf konzentriert hatte, war er groß herausgekommen. Er hatte den besten Abschluss von allen Schülern des Gymnasiums gemacht und hätte sich die Universität aussuchen können. Er hätte sogar Arzt, Wissenschaftler oder Anwalt werden können, nur dass dafür kein Geld vorhanden gewesen war.

„Es ist eine Schande“, sagte Bill Carroll, sein alter Schulleiter, betroffen zu seiner Mutter, als er das hörte. „Matthew könnte eine große Zukunft vor sich haben und alles werden, was er will.“

Aber er war nur ein Rinderzüchter, und es gefiel ihm. Selbst als er wie ein Sklave geschuftet hatte, war er glücklich gewesen. Den Traum, auf die Uni zu gehen, hatte er nicht verwirklichen können, aber er hatte seinen Verstand und seine Energie genutzt, um es auf andere Weise zu etwas zu bringen.

Marcy hatte ihm einen Job als Jackeroo auf Luna Downs besorgt. Der abwesende Eigentümer war schrecklich reich und der Verwalter ein gemeiner Kerl gewesen. Er hatte allen jungen Männern auf der Farm das Leben zur Hölle gemacht, aber Matthew hatte es ihm im Namen aller heimgezahlt, bevor er gegangen war.

Sobald er alt genug war, hatte er sich mit einem Darlehen von der Bank ein Stück Land gekauft. Trotz seiner Jugend war es ihm irgendwie gelungen, den Bankmanager davon zu überzeugen, dass er aus der Wildnis eine rentable Rinderfarm machen könne. Vor drei Jahren hatte er sie mit einem schönen Gewinn verkauft, um Jabiru zu erwerben.

Jabiru gehörte der Gordonfamilie. In ihrer Glanzzeit hatten die Gordons bedeutendes Weideland gehabt. Aber die Zeiten hatten sich geändert. Jabiru war abgewirtschaftet. Alle Farmer wussten, dass es viel Arbeit kosten würde, sie wieder in Schwung zu bringen. Man wusste aber auch, dass Matthew keine harte Arbeit scheute. Außerdem hatte der alte Gordon ihn ins Herz geschlossen.

Natürlich kannte Gordon die Geschichte. Alle kannten sie. Im Outback gab es keine Geheimnisse. Er, Matthew, war der dunkle Punkt in der Familiengeschichte: Jock Macalisters unehelicher Sohn. Das war auch kaum zu verheimlichen. Selbst er wusste, dass er das Abbild Macalisters als junger Mann war.

Heute sprach man von Sir John Macalister als den großen alten Herrn der Rinderindustrie. Macalister hatte drei hübsche Töchter, aber einen Sohn hatte er in seiner Ehe nicht bekommen. Er hatte nicht einmal einen Enkel, dem er alles vermachen konnte. Seine Töchter hatten zwar geheiratet, aber auch nur Mädchen bekommen. Vielleicht war das die ausgleichende Gerechtigkeit für Jocks unehrenhafte Vergangenheit.

Matthews Mutter hatte immer geschworen, dass sich Macalister ihr nie aufgezwungen habe und sie ihn ebenso gewollt habe wie er sie. Sie hatte damals als Kindermädchen auf einem von Macalisters Anwesen gearbeitet. Aber als ihre Beziehung bekannt geworden war, hatte „die Missus“, ihre direkte Arbeitgeberin, sie auf die Straße gesetzt und ihr Geld gegeben, damit sie weit weg zog. Macalister war der Boss, ein Mann, dessen Ruf hochgehalten werden musste, notfalls durch seine Angestellten. Er war damals schon mit der Mondale-Erbin verheiratet gewesen und hatte zwei kleine Kinder, an die er denken musste. Und Matthews Mutter war jung und hübsch, letztlich jemand, den man vergessen konnte.

Ihn selbst auch – wenn er nicht Macalisters rotes Haar, seine dunklen Augenbrauen und seine außergewöhnlich blauen Augen geerbt hätte. Verflixt! Er hatte sogar das gleiche tiefe Grübchen im Kinn. Es hatte nicht einmal eine Woche gedauert, bis die Stadt in North Queensland ihr Geheimnis aufgedeckt hatte. Ja, er war Jock Macalisters Sohn, nur würden die reichen und mächtigen Macalisters das nie akzeptieren.

Matthew hatte seinen sogenannten Vater nie persönlich gesehen, er kannte ihn nur aus Zeitungen und aus dem Fernsehen. Er würde dem alten Herrn auch nicht gern begegnen. Allein Sir Johns Alter würde ihn davon abhalten, den Mann zusammenzuschlagen.

Vor zwei Jahren war Matthews Mutter ums Leben gekommen. Sie und einige Freunde waren abends ausgegangen. Der Abend hatte in einer Tragödie geendet. Aus unerklärlichen Gründen hatten seine Mutter und ihr Freund, der kein schlechter Kerl war, eine falsche Abzweigung genommen und waren in einem Kanal gelandet. Dabei hatten sie die Gegend gut gekannt. Trinken war eine Gefahr. Am nächsten Tag hatte man das Auto mit den beiden aus dem Wasser gefischt, und noch am selben Tag hatte die Polizei ihn mit dem Hubschrauber in die Stadt geflogen, um von ihm die Leichen identifizieren zu lassen. Oh Mann!

„Du musst deine Mutter verstehen, Red“, hatte Marcy ihn zu trösten versucht. „Sie hat sich immer so einsam gefühlt.“

Einsam? War er denn ein Niemand? Er hatte wie ein Sklave geschuftet, um ein besseres Zuhause für seine Mutter zu schaffen. In den Busch hatte er sie nicht mitnehmen können. Das wäre zu hart für sie gewesen. Sie wäre auch nicht mitgekommen. Seine Mutter brauchte Menschen um sich. Aber er hatte sie stets mit Geld versorgt und war immer in die Stadt gefahren, um zu sehen, wie es ihr ging. Ganz so einsam konnte sie nicht gewesen sein. Es hatte stets einen Mann in ihrem Leben gegeben. Zwei von ihnen hatte er persönlich hinausgeworfen.

Seine Mutter war als kleines Mädchen mit ihren Eltern von England nach Australien gekommen. Einige Jahre war alles gut gegangen, bis sich ihre Eltern getrennt hatten. Sie war bei ihrer Mutter geblieben, die schließlich wieder geheiratet hatte.

„Ich habe mich mit meinem Stiefvater nie verstanden“ war alles, was seine Mutter je gesagt hatte, aber jeder hatte zwischen den Zeilen lesen können. Seine Mutter, ein Bild von einer Frau, war das geborene Opfer. Es machte Matthew unglaublich wütend auf seinen leiblichen Vater, der viele Sünden zu verbergen haben musste.

Matthew trug natürlich den Nachnamen seiner Mutter: Carlyle. Matthew hieß er nach seinem Großvater in England, an den sich seine Mutter so gern erinnert hatte. Aber niemand hatte ihn je anders als Red gerufen, abgesehen von seiner Mutter, die ihn immer nur Matty genannt hatte, auch dann noch, als er ein Meter fünfundachtzig war und von kräftiger Statur. Ja, und sein alter Schulleiter und eine Miss Westwood, die ihm die Liebe zu Büchern beigebracht hatte. Bücher waren eine große Erholung für einen Mann, der ein einsames Leben führte. Nicht, dass er wie ein Mönch lebte. Er fand auch Zeit für Frauen. Es schien immer viele von ihnen zu geben, aber er suchte sich nur solche aus, die wussten, wo es langging. Und er passte auf, dass keine von ihnen schwanger von ihm wurde. Denn sonst wäre er nicht besser als sein Vater gewesen.

Matthew lüftete seinen abgetragenen Akubra und fuhr sich mit der Hand durchs dichte Haar, das bis an seinen Hemdkragen reichte. Dann setzte er den Hut wieder auf und zog ihn tief in die Stirn. Fünf Männer arbeiteten jetzt für ihn, zwei von ihnen stammten von den Aborigines ab, den Ureinwohnern Australiens. Die beiden waren wunderbare Viehzüchter und Fährtenleser, die im Busch lebten und arbeiteten. Echte Originale und trotz der harten Arbeit immer zu Scherzen aufgelegt. Mit den anderen Männern hatte er auch keine Probleme, alles zähe, selbstständige Burschen, die gelegentlich auf Sauftouren in die Stadt fuhren, von wo er sie mit dem Geländewagen wieder abholen musste.

Was er, Matthew, jetzt brauchte, war eine Frau. Eine richtige Frau. Aber wie, zum Teufel, sollte er die finden? Er hatte keine Zeit, auf Brautschau zu gehen. Er arbeitete von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Danach war er zu müde, sich in den Jeep zu setzen und zweihundert Kilometer in die Stadt und wieder zurückzufahren. Er war jetzt vierunddreißig, und da er auf dem besten Weg war, die Früchte seiner Arbeit zu ernten, wollte er gern eine eigene Familie gründen. Eine Vergangenheit, die irgendjemand anerkennen würde, hatte er nicht, und seine geliebte Mutter war tot. Er wollte eine Familie, eigene Kinder haben und etwas aus seinem Leben machen.

Am Abend setzte sich Matthew, ein eisgekühltes Bier in der Hand, auf die Veranda seines bescheidenen Hauses, das er selbst gebaut hatte, atmete tief die reine, würzige Luft ein und dachte über seine Zukunft nach. Warum nicht eine Frau per Anzeige suchen? Früher hatten Grenzbewohner auch immer Anzeigen aufgeben müssen, und in gewisser Hinsicht war Jabiru immer noch Grenzland. Wenn er die Frau haben wollte, die er suchte, würde er Abenteurerinnen und Frauen, die bloß ein Zuhause wollten, allerdings aussortieren müssen.

Die Idee ließ Matthew nicht mehr los. Sie beschäftigte ihn auch noch, als er sich das Abendessen zubereitete, das natürlich aus Beefsteak bestand. Er aß viel davon, auch wenn Gesundheitsfreaks es von ihrem Speiseplan gestrichen hatten. Doc Sweeney hatte ihm versichert, dass er topfit sei, als er das letzte Mal bei ihm in der Stadt gewesen war. Also gab es Rib-Eye-Steak mit viel frischem Salat.

Charlie, der halbe Aborigine, der in seinem früheren Leben ein chinesischer Gärtner gewesen sein musste, hatte alle Salatsorten, jede Menge Kräuter, Gurken, Paprika, Tomaten, Zwiebeln und was sonst noch alles in seinem Garten. Die kleinen Kartoffeln kamen so sauber aus der roten vulkanischen Erde, dass man sie nur noch abzubürsten brauchte. Es gab allein über dreißig Avocadobäume auf dem Grundstück, die alle reichlich Früchte trugen. Nein, er, Matthew, aß nichts Minderwertiges oder diese Fertigmenüs, mit denen viele Alleinstehende sich begnügten. Er setzte sich an einen ordentlich gedeckten Tisch und aß von anständigen Tellern.

„Verdammt, ich bin ein zivilisierter Mensch“, sagte er sich. Seine Mutter hatte ihm Manieren beigebracht. Er würde keine Frau mit Kraftausdrücken oder schlechtem Benehmen beleidigen. Eines Tages würde er in England nach der Familie seiner Mutter suchen.

Im Augenblick trennte ihn eine Riesenkluft von seinen Wurzeln. Seine Großeltern mütterlicherseits waren tot. Das wusste er. Merkwürdig, dass seine Mutter nie den Versuch unternommen hatte, nach Hause zurückzukehren. Aus Stolz? Oder eher aus Scham? Wenn er an seine Mutter dachte, was er jeden Tag tat, brach ihm fast das Herz. Ich muss leben, sagte er sich. Und leben heißt, ich muss mir eine Frau suchen. Eine Ehefrau.

2. KAPITEL

Eigentlich hätten es die perfekten Ferien hier oben in den Tropen sein sollen, aber irgendetwas fehlte.

Es ist lange her, dass ich mich wohlgefühlt habe, dachte Cassie. Nicht, dass es irgendjemandem etwas ausmachte. Zumindest ihrer Mutter nicht, die ihr ganzes Leben auf Partys verbracht und sie nie wirklich gewollt hatte. Fast von Geburt an hatte sie ein Kindermädchen gehabt. Cassie hatte Rose geliebt, und dann war sie plötzlich gegangen. Sieben war sie damals gewesen.

Cassie erinnerte sich noch, wie sie nach der Schule voller Angst in das Schlafzimmer ihrer Mutter gelaufen war. „Wo ist Rose? Was ist mit ihr passiert?“

„Langweile mich nicht, Cassandra.“ Ihre Mutter hatte vorm Frisiertisch gesessen und sie weggescheucht. „Du bist zu alt für ein Kindermädchen.“

„Warum durften wir uns nicht wenigstens Auf Wiedersehen sagen?“ Noch heute schnürte es Cassie die Kehle zu, wenn sie daran dachte.

„Weil ich sehr gut ohne deine hysterischen Anfälle auskommen kann“, hatte ihre Mutter erklärt und sich wieder dem Spiegel zugewandt. „Du wirst langsam erwachsen, Cassandra. Ein neuer Abschnitt beginnt. Du wirst auf ein Internat kommen. Nach St. Catherine’s. Es ist das Beste. Daddy und ich werden in diesem Jahr viel unterwegs sein. Und immer geschäftlich.“

Daddy, groß, ungemein gut aussehend und selten zu Hause, war ein sehr wohlhabender Geschäftsmann, der sich in der Nähe eines kleines Mädchens irgendwie unbehaglich fühlte. Wann immer er Cassie sah, tätschelte er sie freundlich und verschwand gleich wieder.

Aufs Internat zu kommen war eine große Sache für Cassie. Sie lernte schnell, und am Ende war sie richtig gern dort. Sie gewann viele gute Freunde und war sowohl bei ihren Altersgenossen als auch bei den Lehrern sehr beliebt. In ihrem letzten Jahr wurde sie sogar Schulsprecherin. Ihre Eltern freuten sich über ihre Erfolge, aber besser war noch: aus dem zarten, blassen Kind war eine richtige Schönheit geworden.

„Es tut einem Kind nicht gut, wenn man es mit Liebe überschüttet“, hatte Cassie ihre Mutter einmal zu der Mutter ihrer Freundin Julie sagen hören. „Sieh Cassie an. Während Stuart und ich auf Reisen waren, ist sie erwachsen und selbstbewusst geworden.“

Julies Mutter hatte gelächelt, aber das Lächeln hatte ihre Augen nicht erreicht. Cassie hatte immer das Gefühl gehabt, dass ihre Mutter zwar von allen eingeladen wurde und viele Freunde zu haben schien, aber keiner sie wirklich mochte. Wie sollten sie auch, wenn ihre Mutter nichts zu geben hatte?

So schnell sie konnte, hatte Cassie ihre geliebte Rose aufgespürt, die zurückgezogen in einer tristen Wohnung lebte. Sie hatten sich umarmt und sich ihrer schmerzlichen Trennung erinnert. Cassie richtete Rose eine neue Wohnung ein und ermöglichte ihr ein gutes Auskommen. Ihre Eltern hatten Cassie nicht daran hindern können. Sie war achtzehn und hatte von ihrer Großmutter mütterlicherseits, die immer für sie eingetreten und ganz außer sich gewesen war, als man sie aufs Internat abgeschoben hatte, viel Geld geerbt. Zwischen ihrer Großmutter und ihrer Mutter hatte es oft Streit gegeben. Meistens ihretwegen.

Dass Grandma sie so reichlich bedacht hatte, hatte ihre Mutter zutiefst schockiert. Sie hielt es für eine Sünde, dass sie mit Ausnahme einer sehr wertvollen Jadesammlung, auf die sie seit Langem begierig war, im Testament nicht berücksichtigt worden war.

Auch auf der Universität zeigte Cassie hervorragende Leistungen, doch was ihre Eltern anging, füllte sie damit nur ihre Zeit aus. Ihre Aufgabe war, sich gut zu verheiraten. Also stellte ihre Mutter sie gnadenlos überall vor und fand auch den richtigen Mann für sie. Er war furchtbar. Etwa um die Zeit fand Cassie endlich den Mut, ihrer Mutter zu widersprechen. In allem. Statt den Mund zu halten und zu gehen, fing sie an zu diskutieren. Immerhin war sie ein angesehenes Mitglied des Debattierklubs der Universität.

„Was versuchst du mir anzutun, Cassandra?“, hatte ihre Mutter geklagt. „Du machst mich ganz fertig.“

Cassie hatte keine andere Wahl, als von zu Hause auszuziehen. Sie und ihre Mutter waren von Grund auf verschieden. Ihr Vater war nur eine wohlwollende Figur am Rande. Cassie wurde jetzt auch klar, dass sie in ihren verschiedenen Beziehungen unbewusst immer nach einer Vaterfigur gesucht hatte. Die Männer, mit denen sie ausgegangen war, waren meist älter, klüger und beruflich etabliert gewesen, aber wirklich gefunkt hatte es nie.

Cassie wurde es jetzt zu heiß in der Sonne. Sie erhob sich von der Liege, um noch einmal in den Pool zu springen. Danach konnten sie und Julie ans Mittagessen denken. Vielleicht sollten sie in das kleine italienische Restaurant auf der Anhöhe mit Blick auf die See gehen? Die Meeresfrüchte dort waren einfach himmlisch. Oder besser Pasta? Cassie liebte Pasta. Sie bereitete oft Nudeln mit einer einfachen Sauce aus Tomaten, Basilikum und Olivenöl zu.

Ja, sie war die Köchin hier. Julie, ihre Freundin seit ihrem ersten Tag in St. Catherine’s, hatte von Haushalt und Kochen wenig Ahnung. Bis zu ihrem Weggang von zu Hause hatte Cassie die Küche auch selten betreten. Ihre Eltern hatten eine Haushälterin, eine hervorragende Köchin, die ihre Domäne eifersüchtig bewachte.

Julies Vater, Chef einer Börsenmaklerfirma, für die sie beide arbeiteten, war ein wunderbarer Mensch. Auch ihre Mutter, die viel für karitative Organisationen tat, war großartig. Glückliche Julie! Ihnen gehörte das fabelhafte Ferienhaus hier in den Tropen. Eigentlich hatten sie und Julie schon viel früher kommen wollen, aber der Zyklon Amy hatte ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht.

„Warum gehen wir nicht in den Gasthof?“, schlug Julie vor, als sie die Küstenstraße entlangfuhren. „Hinten im Garten ist es zauberhaft, und das Essen soll sehr gut sein. Du meine Güte!“ Bewundernd blickte sie auf das üppige Angebot in einem der vielen Stände am Straßenrand. „Was für eine Auswahl an tropischen Früchten! Ich kenne nicht einmal die Hälfte davon.“

Cassie setzte sich kerzengerade auf, kreidebleich im Gesicht. „Mensch, Julie, pass auf!“

Ein Geländewagen raste auf sie zu, während Julie im gemieteten Kleinwagen seelenruhig mitten auf der Straße fuhr.

„Tut mir leid.“ Julie schluckte und fuhr schnell an die Seite.

„Wenn wir nicht ums Leben kommen wollen, fahre ich wohl besser“, erklärte Cassie energisch.

Statt sich auf das Fahren zu konzentrieren, neigte Julie dazu, immer dort hinzublicken, wo es gerade etwas Interessantes zu sehen gab. Und hier oben, wo die Landschaft so unglaublich schön war und die Küstenstraße auf einer Seite fast ununterbrochen mit weißen Bougainvilleen gesäumt war, während auf der anderen Seite die kristallklare See glitzerte, war die Ablenkung besonders groß.

„Leute wie du brauchen einen Chauffeur.“

„Stimmt. Wie dein Daddy. Hast du ihn in letzter Zeit mal gesehen?“, fragte Julie ironisch.

„Ich habe viel gearbeitet, aber ich denke, er weiß, dass ich verreist bin.“

Julie schüttelte den Kopf. „Du hast viel durchgemacht, Cass.“

„Nur mit meinen Eltern“, entgegnete Cassie. „Fahren Sie an die Seite, Lady“, ahmte sie einen Verkehrspolizisten nach. „Jetzt zum Beispiel.“ Das Leben war vielleicht nicht toll, aber sie hatte noch keine Lust, schon über die Klinge zu springen.

Sie standen beide am Straßenrand und wollten gerade die Plätze tauschen, als ein staubbedeckter Geländewagen neben ihnen hielt.

„Alles okay?“, erkundigte sich der Fahrer.

Cassie, ganz benommen von seinem Anblick, brachte keinen Ton heraus, während Julie ein hörbares „Wow!“ hervorstieß.

Der Mann zog amüsiert die schwarzen Augenbrauen hoch. „Wie bitte?“

Cassie fing sich als Erste wieder. „Alles in Ordnung. Danke. Wir tauschen nur gerade die Plätze.“

„Nun, dann gute Fahrt.“ Leuchtend blaue Augen blickten sie herausfordernd an. „Beim nächsten Mal würde ich nicht so dicht an den Straßenrand fahren. Wir haben viel Regen gehabt. Es könnte rutschig sein.“

„Vielen Dank.“ Cassie warf den Kopf zurück und wunderte sich, warum sie sich so anders als sonst benahm.

„Keine Ursache.“ Der Mann hob grüßend die Hand, trat aufs Gaspedal und fuhr davon.

Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, bis Julie aufgeregt hervorstieß: „Hast du das gesehen, Cass? Das muss der bestaussehende Mann sein, den ich je in meinem Leben getroffen habe. Diese Farben! Dunkelrotes Haar, sonnengebräunte Haut, schwarze Augenbrauen und diese unglaublich blauen Augen! Wo hat der Kerl die ganze Zeit gesteckt?“

„Draußen im Busch.“ Cassie war überrascht, dass ihre Stimme ganz normal klang. „Ich würde sagen, er ist Rinderzüchter und unterwegs auf einem seiner regelmäßigen Ausflüge in die Stadt. Dafür spricht sein Äußeres.“

„Oh Mann! Nach zehn Jahren Suche habe ich endlich meinen Traummann gefunden.“ Julie gab Cassie einen Klaps auf den Arm. „Bist du sicher, dass es kein Geist war?“

Cassie lachte. „Ich hoffe, nicht.“

„Machen wir uns also auf den Weg“, drängte Julie und lief auf die Beifahrerseite des Mietwagens. „Bis zur Stadt brauchen wir noch zwanzig Minuten.“

Sie erkannten den ramponierten Geländewagen, der vor dem Gasthof parkte, sofort.

„Was habe ich gesagt? Die besten Leute essen hier!“, jubelte Julie.

„Nein, lassen wir das lieber.“ Cassie war über sich selbst überrascht. Normalerweise hätte sie das Ganze vielleicht als Spaß angesehen, aber mit diesem Mann war nicht zu spaßen, so blendend er auch aussah.

Julie blickte ihre Freundin erstaunt an. „Wenn du behauptest, er hätte keinen Eindruck auf dich gemacht, lügst du.“

„Ich gebe zu, dass er sehr gut aussieht.“

Julie schüttelte den Kopf. „Sehr gut aussieht? Ich hatte das Gefühl, jeden Moment ohnmächtig zu werden.“

„Na schön, er sieht umwerfend aus“, räumte Cassie ein. „Aber auch ein bisschen gefährlich, findest du nicht?“

„Gefährlich? Inwiefern?“ Julie überlegte. Cassie war außerordentlich intelligent. Das fand sogar ihr Dad, und der geizte mit Lob. „Ich fand es sehr höflich von ihm, sofort anzuhalten.“

„Wir sehen ja auch nicht gerade übel aus“, versetzte Cassie. „Ich weiß, er hat uns nicht angemacht, eher im Gegenteil, aber er wirkte ziemlich kompliziert, nicht wie sonst die Typen. Ich denke, dass er kein einfaches Leben gehabt hat.“

„Dir ist ja eine ganze Menge aufgefallen.“ Julie war wie immer beeindruckt. „Ich habe nur seine schönen Augen gesehen.“

Cassie lächelte. „Ich weiß. Du warst wie vom Blitz getroffen. Lass es dabei, Julie. Ich sage das nur zu deinem Besten. Typen wie er sollten ein Schild mit der Aufschrift ‚Vorsicht‘ um den Hals tragen.“

„Keine Angst, Cassie. Ich will ihn nur noch mal sehen, um herauszufinden, ob er wirklich so toll ist, wie ich dachte. Wahrscheinlich hört er sich wie ein Hinterwäldler an, wenn er den Mund aufmacht.“

Marcy blickte auf, als die beiden jungen Frauen den Gasthof betraten. Sie wusste, wer sie waren, das heißt, sie kannte die niedliche kleine Blondine, die immer lachte und sich mit großen blauen Augen interessiert umblickte. Sie war die Tochter der reichen Maitlands, die sich draußen an der Aurora Bay ein luxuriöses Ferienhaus gebaut hatten. Marcy, die es liebte, den Leuten Kosenamen zu verpassen, nannte sie insgeheim Blondy und die andere junge Frau Sable.

Sable war ihr einmal in der Stadt begegnet. Man konnte sie kaum übersehen. So hübsch Blondy auch war, ihre Freundin stellte sie in den Schatten. Sable hatte üppiges schwarzbraunes Haar, helle leuchtende Augen und eine wundervolle Haut. Sie war groß und sehr schlank und wirkte dynamisch.

Beide Frauen waren fast gleich gekleidet und hatten hautenge weiße Jeans und knappe Tops an, die ihre festen Brüste und zarten Schultern hervorhoben. Kein Wunder, dass sich alle sofort nach ihnen umdrehten.

„Kann ich Ihnen helfen?“, begrüßte Marcy sie mit einem gewinnenden Lächeln.

„Ja, bitte.“ Sable kam auf sie zu. Obwohl sie hinreißend aussah, war sie nicht überheblich, sondern freundlich und nett. „Ich bin Cassie Stirling. Und das ist meine Freundin, Julie Maitland. Wir wohnen oben in dem Haus von Julies Eltern.“

„Ja, ich weiß, meine Liebe.“ Marcy nickte freundlich. „Das große Terracottahaus oben an der Aurora Bay.“

„Ja, genau.“ Julie gesellte sich zu ihrer Freundin am Tresen. „Wir dachten, wir könnten hier vielleicht zu Mittag essen.“

„Sehr gern“, sagte Marcy. „Sie suchen doch nicht jemanden, oder?“ Blondy stand buchstäblich auf Zehenspitzen und blickte sich um.

„Ganz im Vertrauen“, Julie beugte sich zu Marcy rüber und flüsterte: „Wir sind auf der Spur eines hinreißend aussehenden Mannes mit flammend rotem Haar und leuchtend blauen Augen. Wir dachten, er wäre vielleicht hier reingegangen.“

„Du dachtest das“, betonte Cassie errötend und wünschte, Julie würde den Mund halten.

„Das müsste Red sein. Red Carlyle.“ Marcy nahm einen Lappen und wischte damit über den bereits makellos sauberen Tresen.

„Sie kennen ihn?“, fragte Julie hoffnungsvoll.

Autor

Margaret Way
<p>Mit mehr als 110 Romanen, die weltweit über elf Millionen Mal verkauft wurden, ist Margaret Way eine der erfolgreichsten Liebesroman-Autorinnen überhaupt. Bevor sie 1970 ihren ersten Roman verfasste, verdiente sie ihren Unterhalt unter anderem als Konzertpianistin und Gesangslehrerin. Erst mit der Geburt ihres Sohnes kehrte Ruhe in ihr hektisches Leben...
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