Der Liebe kannst du nicht entfliehen ...

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Weinberge soweit das Auge reicht und ein prachtvolles Herrenhaus eingetaucht in sonniges Spätsommerlicht. Die freiheitsliebende Weltenbummlerin Remy Draycott ist hingerissen von dem Zauber des Anwesens, das dem Mann gehört, mit dem sie vor wenigen Wochen die aufregendste Nacht ihres Lebens verbrachte … und die folgenreichste. Natürlich informiert sie den sexy Weingutbesitzer Robert Tessier nur aus Pflichtgefühl, danach werden sich ihre Wege wieder trennen … doch ein tragisches Ereignis zwingt Remy zu bleiben - vorerst, denn sich zu verlieben, steht nicht auf ihrem Lebensplan …


  • Erscheinungstag 30.08.2016
  • Bandnummer 182016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733706975
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Remy Draycott blickte auf die schmale Reisebroschüre, die vor ihr lag, und nippte an ihrem Glas Chardonnay. Sie spähte durch die hohen Fenster der Weinbar auf die Hauptstraße hinaus. Das war also Bellevue, dachte sie. Der Ort wirkte weltoffen, kultiviert und unaufdringlich wohlhabend. Es hatte das Flair europäischer Eleganz.

Es gefiel ihr hier. Sogar sehr.

Eigentlich mochte sie alles, was sie auf ihrer kurzen Fahrt durch das Napa Valley gesehen hatte. Doch Bellevue, am Nordende des Tals gelegen, schien das Beste von all dem zu vereinen. Es bot eine atemberaubende Sicht auf die Berge und eine Mischung aus altertümlichem Zauber und lässiger Eleganz. Und dem großartigen Hamburger nach zu urteilen, den sie gegessen hatte, teilten die Menschen in Bellevue offenbar Remys Leidenschaft für gutes Essen.

Schade, dass sie nur auf der Durchreise war. Diese Stadt bot sich geradezu an, etwas länger zu bleiben.

Doch das konnte sie nicht. Zum ersten Mal seit Jahren hatte sie einen festen Termin. Als sie daran dachte, was ihr in drei Tagen in Portland bevorstand, leerte sie ihr Weinglas und bestellte ein neues.

In ungefähr zweiundsiebzig Stunden würde ihre Mutter ihren Halbbruder zur Welt bringen. Und Remy hatte ihr versprochen, dabei zu sein. Nicht im Warteraum des Krankenhauses, sondern direkt im Kreißsaal, zusammen mit ihrer Großmutter – und ihrem frischgebackenen Stiefvater, der nur sieben Jahre älter war als sie selbst.

Remy nippte erneut an ihrem Wein. Ihre Familiensituation überraschte, beunruhigte, verwirrte sie.

Es überraschte sie, dass sich ihre starke, unabhängige und feministische Mutter nach siebenundzwanzig Jahren als Alleinerziehende – naja … nicht ganz allein, Grandma Rosie hatte ihnen in jeder Hinsicht zur Seite gestanden – in einen Sporttrainer verliebt hatte und mit ihm jetzt eine Familie gründete. Beunruhigt war sie, weil ihre Mutter mit Mitte vierzig nicht mehr die Jüngste war, um ein Baby zu bekommen. Und verwirrend fand sie, dass sie bald einen Bruder haben würde, der mehr als ein Vierteljahrhundert jünger war als sie.

Nein, das war nicht nur verwirrend. Das war … schräg. Geradezu verstörend.

Remy hoffte inständig, dass ihre Mutter dieses Kind anders großziehen würde als sie damals. Bitte sei normal! dachte sie. Normal wäre perfekt.

Etwas in der Weinbar hatte sich verändert. Remy spürte es. Dankbar für die Ablenkung schaute sie sich um. Ein Mann hatte die Bar betreten. Er sprach mit einem jungen Paar an einem der Tische in der Nähe des Eingangs. Remy konnte ihn nur von hinten sehen und bewunderte seine breiten Schultern, die in einem weißen Hemd steckten. Auch sein knackiger Hintern unter dem teuren Stoff der maßgeschneiderten schwarzen Anzughose war ihr nicht entgangen.

Der Mann beendete sein Gespräch und trat an den nächsten Tisch, schüttelte den Herren die Hände und gab den Damen einen Kuss auf die Wange. Remy wartete darauf, dass er sich umdrehte, damit sie sein Gesicht sehen konnte. Sie stützte das Kinn auf ihre linke Handfläche, entspannt und selbstzufrieden. Es machte ihr nichts aus, allein zu sein.

Im hinteren Teil der Bar spielte eine kleine Brünette Gitarre und sang eine Ballade. Eine Gruppe jüngerer Frauen, etwa in ihrem Alter, lachte laut in einer Ecke und prostete sich zu. Verschiedenste Menschen gruppierten sich um den hufeisenförmigen Tresen und Remy entging nicht, dass die Frauen diesen Fremden ebenfalls beäugten. Obwohl in dieser Bar lauter gut aussehende und erfolgreiche Männer herumliefen, zog er viel Aufmerksamkeit auf sich – ohne viel dafür zu tun.

Er lief nun in Richtung Tresen und kam in Remys Nähe. So konnte sie – endlich! – sein Gesicht sehen. Aus nächster Nähe. Dunkelbraunes, fast schwarzes, welliges Haar, eine gerade Nase und tief liegende, geheimnisvolle Augen. Markante Gesichtszüge und auffällig schöne Lippen.

Oh, ja. Sehr heiß. Unglaublich sexy.

Remy neigte den Kopf ein wenig und sah, wie der Mann erneut in ein Gespräch verwickelt wurde. Ihr fiel auf, dass er nicht viel zu sagen schien, doch wenn er es tat, hörten die Leute ihm aufmerksam zu. Selbst wenn er schwieg, wirkte er selbstbewusst und souverän, was Remy mehr faszinierte, als sein Gesicht oder sein Körper es taten – obwohl beide ausgesprochen attraktiv waren. Er wirkte wie ein Mann, dem die Welt zu Füßen lag. Reich, mächtig, unbeirrbar.

Sie hatte viele solcher Alphamänner kennengelernt. Sie bevölkerten die Büros, Restaurants und Theater New Yorks. Doch fasziniert hatte sie keiner dieser Wichtigtuer. Dieser Mann jedoch tat es und sie fragte sich, warum. Etwas an ihm ließ sie erbeben und das verhieß nichts Gutes. Dieser Mann, das war ihr instinktiv klar, war einer von denen, die eine Frau dazu brachten, ihre Pläne über Bord zu werfen und sich lächerlich zu machen. So etwas würde ihr nie passieren. Dafür war sie zu schlau.

Bo Tessier hatte sie schon in dem Augenblick bemerkt, als er durch die Glastüren seiner Weinbar trat. Ihre Ellenbogen hatte sie auf dem Tresen abgestützt und die Finger ihrer linken Hand spielten mit einer Strähne ihres kastanienbraunen Haars, eine lange Lockenmähne, zu natürlich, um von einem Friseur gemacht worden zu sein. Sie hatte wunderschön geformte Wangenknochen, ein stures Kinn und einen langen, gertenschlanken Körper.

„Hast du gehört, dass Bella gestorben ist?“

Er löste seine Aufmerksamkeit von der Schönheit am Tresen und sah in die erwartungsvollen Gesichter seiner Bekannten. Er hatte diese Frage heute schon ein Dutzend Male beantwortet. Natürlich hatte er gehört, dass Bella Abram, seine steinalte, eigenbrötlerische Nachbarin und Eigentümerin des riesigen angrenzenden Landbesitzes, im Schlaf gestorben war. Und da sie weder einen Ehemann noch Geschwister oder Kinder hatte, fragten sich alle, wer wohl ihren Besitz erben würde.

Bo wusste es auch nicht, aber er wäre der Erste, der ein Kaufangebot abgeben würde, sobald man einen Erben ausfindig gemacht hätte. Auf Bellas riesige Villa mit all dem Krempel darin konnte er gut verzichten, aber ihr Grundstück wollte er haben. Mehr Land bedeutete mehr Rebstöcke. Vielleicht konnte er sogar exotisches Obst und Gemüse anbauen und damit seine und umliegende Restaurants beliefern.

Er wusste genau, wie begehrt das Land entlang der Weinstraße im Napa Valley war. Doch Belleaire brauchte weder ein weiteres Hotel noch einen Golfplatz oder ein Einkaufszentrum. Etwas Schlimmeres als das war kaum vorstellbar.

Er zog sich aus dem Gespräch heraus und ging zum Barkeeper. „Das Übliche, Sir?“ Bo nickte und fuhr sich mit der Hand durch das dunkle Haar.

Der Barkeeper wirkte nervös, als er ihm kurz darauf ein Whiskyglas überreichte. Bo zwang sich zu einem Lächeln und dachte daran, was seine Schwester Ginny ihm heute Morgen gesagt hatte. „Du schüchterst unsere Angestellten ein, Bo. Du bist immer so distanziert. Sei doch mal etwas lockerer, lächle ab und zu mal. Mach einen Witz oder lobe sie!“

Vor Jahren, bevor er Ana verloren hatte und Arbeit das Einzige geworden war, was ihm im Leben blieb, wäre ihm so etwas vielleicht leichter gefallen. Dieser Tage jedoch hatte er weder Zeit noch Energie, seine Mitarbeiter mit Samthandschuhen anzufassen.

Kommunikation war nicht seine Stärke, das wusste er. Und Ginny wurde nicht müde, ihn daran zu erinnern. Da er aber endlose Arbeitsstunden damit verbrachte, sein millionenschweres Familienunternehmen am Laufen zu halten, sah er keine Notwendigkeit, sich auch noch darum zu kümmern – er war mit der Verantwortung für die Weinberge, die Kellerei, die Bauernhöfe, das Hotel, die Restaurants und Weinbars mehr als ausgelastet.

Bo führte das Glas an die Lippen und schloss die Augen, als der erste kühle Schluck seine Kehle hinunterglitt. Sein Unternehmen mochte zwar auf Wein beruhen, doch für ihn gab es nichts Besseres als irischen Whiskey.

Er blickte in Richtung des Barkeepers. „War mein Cousin heute schon hier?“

„Ja, Sir. Er wartete eine Weile auf Sie, musste dann aber gehen. Er lässt ausrichten, dass er sich morgen früh bei Ihnen meldet.“

Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass die Schönheit mit den Locken den Kopf hob. Bo wusste, dass sie sein Gespräch belauschte. Er fühlte, wie sie ihn ansah, nahm ihr Interesse wahr. Und es störte ihn nicht. Sie war hinreißend.

Doch er sah viele hinreißende Frauen kommen und gehen. Sie kamen in seine Weinbar, die Kellerei, die Restaurants, ins Hotel. In sein Leben. Nie hatte er sich auf eine von ihnen eingelassen. Wenn er weibliche Gesellschaft brauchte, kannte er ein paar Damen, die er anrufen konnte. Frauen, die er mochte und die wussten, dass er nur für ein paar Stunden unverbindlichen Spaß haben wollte. Er war fünfunddreißig und kein Mönch.

Bo stützte seine Unterarme auf den Tresen und schaute auf seine Füße. Er widerstand dem Drang, die schöne Fremde anzusehen und in ein Gespräch zu verwickeln. Am besten wäre es, wenn er zurückfuhr.

Er hatte morgen nicht nur einen anstrengenden Tag vor sich, die ganze Woche würde chaotisch werden. Schon der Gedanke daran, diese Frau mit den dunklen Schatten unter den Augen anzumachen, war verrückt. Sie war eindeutig nicht sein Typ. Bo mochte Frauen, die so waren wie er: gelassen, besonnen, ruhig. Doch das kurze Sommerkleid, die Cowboystiefel und das ungeschminkte Gesicht verrieten ihm auf den ersten Blick, dass diese Frau ein Freigeist war.

Vor Freigeistern, Abenteurern und Frauen, die ihrem eigenen Rhythmus folgten, machte er stets einen großen Bogen. Er bevorzugte Frauen, die unkompliziert, genügsam und unbeschwert waren. Und ruhig. Vor allem ruhig.

Also leere dein Whiskyglas und verschwinde hier, Tessier! Du machst dich noch lächerlich!

Er war smart, erfolgreich und wohlhabend, jedenfalls ließ die Designerkleidung darauf schließen. Und doch wirkte er ein wenig verloren, dachte Remy. Seine breiten Schultern sahen verspannt aus und dass er mit dem Daumen permanent gegen sein Whiskyglas klopfte, betonte das Ganze.

Remy erkannte überarbeitete Menschen aus meilenweiter Entfernung. Vor Jahren war sie selbst noch der Prototyp eines Workaholics gewesen. Sie hatte Mitgefühl mit ihm. Er brauchte mehr als ein hastig geleertes Glas Whisky und etwas Small Talk. Dieser Mann musste sich dringend einmal entspannen und lachen. Wahrscheinlich brauchte er auch eine gesunde Portion Sex.

Das Erste und Zweite konnte sie ihm bieten. Was das Dritte betraf … Nun, es war nicht ausgeschlossen.

Hoffentlich hast du Sinn für Humor, schöner Mann, denn wenn nicht, mache ich mich gleich so was von lächerlich …

„Sie sind genau so, wie ich meinen Kaffee mag: groß, dunkel und stark.“

Er drehte sich halb zu ihr um, und Remy stockte der Atem, als sie ihm zum ersten Mal in die Augen sah. Sie waren blaugrau und umrahmt von langen, spitzen Wimpern.

„Wie bitte?“ Er zog seine Augenbrauen zusammen.

Remy musste lachen und gab vor nachzudenken. „Das hat also nicht geklappt. Gut, wie wäre es hiermit? Ich habe einen Mann gesucht, der noch einen VHS-Recorder hat, und ich glaube, ich habe ihn gerade gefunden. VHS … vorne und hinten sexy.“

Er rollte mit den Augen, doch Remy sah ein amüsiertes Leuchten darin. Gott sei Dank. Denn sein perfektes Gesicht wirkte vollkommen ungerührt. Wäre das fröhliche Funkeln seiner Augen nicht gewesen, hätte Remy längst die Flucht ergriffen.

„Im Ernst?“

Remy grinste ihn frech an. „Mies, oder?“

Die Spur eines Lächelns umspielte seine sexy Lippen. „Ziemlich.“

„Okay. Einen habe ich noch: Sind Sie nicht der Mann, der mir gleich einen Drink ausgeben wird?“

Einen Augenblick lang starrte er sie an. Dann schien sich etwas in ihm zu lösen und er lächelte, was ihn eine Spur zugänglicher machte.

Du solltest unbedingt öfter lächeln, schöner Mann.

„Nicht gerade umwerfend, aber erträglich.“

Seine Stimme war tief, melodisch und so samtig wie der teure Whisky, den er trank, dachte sie, als er sich umdrehte, um ihr einen Drink zu bestellen. Dann setzte er sich auf den freien Platz neben sie und blinzelte wie erwartet, als sich ihre Blicke trafen. Doch statt die ungewöhnlich goldene Farbe ihrer Augen zu kommentieren, wie so viele andere es taten, verschränkte er die Arme vor der Brust. Dabei spannten sich die Ärmel seines Hemdes auf beiden Seiten über seinem festen Bizeps. Remy hätte am liebsten seine perfekt gebundene rote Krawatte gelockert und den obersten Knopf seines Hemdes geöffnet. Sie fragte sich, wie er wohl in verwaschenen Jeans und einem T-Shirt aussehen würde. Oder nackt. Sicher umwerfend.

„Und? Haben Sie normalerweise Erfolg mit diesen Anmachsprüchen?“, fragte er. Sein Blick wurde wieder undurchdringlich.

„Sie haben mir doch einen Drink bestellt, oder nicht?“

„Stimmt.“ Er schob ein Glas Wein in ihre Richtung.

„Haben Sie noch andere?“

„Anmachsprüche? Klar!“

„Dann lassen Sie mal hören.“

„Sie sind wirklich schlimm“, warnte sie ihn verschmitzt.

„Schlimmer als der mit dem VHS-Recorder?“

Remy trommelte mit den Fingerspitzen auf den Tresen und gab vor nachzudenken. „Okay. Wie wäre es damit? Ihr Körper ist ein Wunderland, und ich möchte Alice sein?“

Er stöhnte auf.

„Könnten Sie sich bitte vom Tresen entfernen? Sie bringen das ganze Eis zum Schmelzen?“

Da war es wieder, dieses Lächeln.

„Sind Sie ein Wörterbuch? Denn dank Ihnen weiß ich, was umwerfend bedeutet?“

Ja, das Lächeln wurde breiter. Komm schon, ich weiß, dass es irgendwo da drin versteckt ist.

„Sie sind so heiß, dass nicht einmal die Feuerwehr Sie löschen könnte.“

Er brach so unerwartet in schallendes Gelächter aus, dass Remy ein wohliger Schauer über den Rücken lief. Kurz darauf schoss ihr Hitze durch die Venen. Sie hatte ihm ein Lächeln entlockt und ihm zum Lachen gebracht. Es fühlte sich an, als hätte sie einen Preis gewonnen.

Sie strahlte ihn an. „Ich bin Remy.“

„Robert. Aber die meisten nennen mich Bo.“

Robert klang zu förmlich, dachte Remy, als sie an ihrem Wein nippte. Doch der Name schien zu seiner ruhigen Gutsherrenart zu passen. „Bo“ hingegen passte besser zu dem lachenden Mann, der neben ihr saß.

Und den Mann fand Remy eindeutig zu attraktiv.

„Wie lange bleiben Sie in Bellevue?“, fragte er.

Remy sah auf ihre Armbanduhr. „Noch ungefähr zehn Stunden. Morgen früh fahre ich weiter. Und Sie? Leben Sie hier?“

Er nickte. „Sind Sie allein unterwegs?“

Sie blickte in sein Gesicht. Sah das Feuer, das sie spürte, in seinen Augen reflektiert. „Ja, allein.“

„Ein schöner Urlaub, so eine Tour durch das Weingebiet“, antwortete Bo so beiläufig, dass Remy für einen Moment glaubte, sie hätte ihn falsch eingeschätzt.

Dann jedoch bewegte er seine Hand auf ihre zu, und Remy spürte, wie er ihr mit dem Daumen über das Handgelenk strich. Ihr Puls begann zu rasen.

Großer Gott! Sie war dabei, mit dem Feuer zu spielen. Remy starrte auf Bos starke Hand auf ihrem Handgelenk. Außerstande, sich seiner so simplen und doch so verheerenden Berührung zu entziehen, griff sie mit der freien Hand nach ihrem Weinglas, um sich etwas Mut anzutrinken.

„Und wie war Ihre Reise bis jetzt?“ Wieder stellte er eine beiläufige Frage. Seine Stimme war unverändert, nur seine Augen waren dunkler geworden, voller Leidenschaft. Wie konnte er seine Stimme so ruhig halten, während sie vor Sehnsucht und Begehren kaum mehr einen klaren Satz hervorbrachte? Küss mich endlich, wollte sie ihn anflehen.

„Oh. Ich … mache keinen Urlaub. Ich bin professionelle Weltenbummlerin.“

Schon besser. Gut, die Stimme klang etwas belegt, aber immerhin waren da Worte, die sich zu einem Satz fügten. Ziemlich beeindruckend.

Sein Daumen löste sich von ihrem Handgelenk. Nein!

„Wollen Sie mir das erklären?“

Remy konnte nicht. Alles, woran sie denken konnte, war die Wirkung, die Bo auf sie hatte, und ihr Wunsch, ihm die Klamotten vom Körper zu reißen, um mit beiden Händen über seinen warmen, muskulösen Körper zu streichen. Wie sollte sie ihm erklären, dass sie bis vor drei Jahren in New York gelebt hatte, wo sie mit einem Doktortitel in Informatik bei einem millionenschweren Unternehmen angeheuert und dort gearbeitet hatte, als jüngste Leiterin der Informationstechnik aller Zeiten?

Sie hatte eine Wohnung in Manhattan gehabt und achtzig Stunden die Woche gearbeitet, bis sie ein faustgroßes Magengeschwür bekommen und einen Hang zu Panikattacken entwickelt hatte. Sie war unzufrieden, unglücklich und unerfüllt gewesen. Zickig, fordernd, ungeduldig. Sie würde ihm nie erzählen können, dass ein Krankenhausaufenthalt nötig war, bis sie eingesehen hatte, dass sie sich zu Tode arbeitete. Und wofür? Einen fetten Gehaltsscheck und die Anerkennung ihrer Mutter?

Würde er auch nur ansatzweise verstehen, warum sie alles aufgegeben hatte? Dass sie weggelaufen war? Nach Europa, Afrika und Asien? Nachdem sie auf der ganzen Welt nicht das gefunden hatte, wonach sie gesucht hatte – ein nebulöses Etwas, das ihrem Leben Sinn verleihen würde –, war sie wieder nach Hause gekommen. Vielleicht würde sie das Etwas ja finden, wenn sie ihr Heimatland bereiste.

Sie spürte, dass Bo noch immer auf eine Antwort wartete, und biss sich auf die Unterlippe. „Ich bin schon lange unterwegs.“

„Warum?“

Sie legte den Kopf schief.

„Ich bin auf der Suche nach mir selbst und versuche herauszufinden, warum ich bestimmte Entscheidungen treffe.“

Er unterdrückte ein Lächeln. „Und wie klappt das so?“

„Nicht gut“, antwortet Remy übertrieben schwermütig. Und obwohl sie sich über sich selbst lustig machte, gestand sie sich ein, dass sie sich fragte, ob sie es je herausfinden würde

„Wovon leben Sie?“ Er begann erneut, mit dem Daumen über ihr Handgelenk zu streichen. Remy konnte ebenso wenig ihre Hand zurückziehen, wie sie das Wetter beeinflussen konnte.

Ersparnisse, Vermögensanlagen, Immobilienbesitz … Sie hatte so hart gearbeitet, dass ihr keine Zeit geblieben war, ihr lächerlich hohes Gehalt auszugeben. Durch Zinsen, Dividenden, Mieten und gelegentliche Aufträge als IT-Beraterin nahm sie genug Geld ein, was ihr eine lange Reise ermöglichte. Mit etwas Glück würde sie auf diese Weise bald finden, was sie suchte. Vielleicht in Portland. Oder in einer anderen Stadt.

„Wenn es nötig ist, finde ich Arbeit.“ Immer wieder bekam sie Mailanfragen für ein Beratungsprojekt – und wenn ihr eines interessant erschien, nahm sie es an.

„Was für Arbeit?“

„Dies und das. Ich bin eine begnadete Köchin … dafür aber eine miese Kellnerin.“

Bo lachte wieder, und Remys Unterleib zog sich zusammen. Warum war es so ein unbeschreibliches Gefühl, diesen ernsten, schweigsamen Mann zum Lachen zu bringen?

„Gut zu wissen.“

„Und was machen Sie beruflich?“

Bo hob die Augenbrauen. „Was glauben Sie?“ Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem verführerischen Lächeln.

Flirtete er? Er wirkte so kontrolliert, dass sich Remy nicht sicher war.

„Ich rate mal. Nun, Sie wirken einigermaßen intelligent“, neckte sie ihn. „Buchhalter?“

Bo verzog das Gesicht. „Aaah!“

Sie versuchte es erneut. „Anwalt?“

„Nochmal Aaah!“

Sie tippte sich nachdenklich auf die Unterlippe. „Also … kein Buchhalter und kein Anwalt. Ich würde trotzdem sagen, dass Sie etwas verwalten.“

„Das stimmt auch.“

Und dann wusste sie, dass er an der Spitze von etwas Großem stand. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er Anweisungen entgegennahm. Dafür war er zu kontrolliert, zu sehr Alpha-Männchen – überhaupt nicht ihr Typ. Jedenfalls nicht auf lange Sicht. Mit ihrer Karriere hatte sie auch alle Träume bezüglich der Liebe und ihres Wunsches nach Mann und Kindern aufgegeben. Sie hatte – endlich! – eingesehen, dass anders, als alle immer sagten, Liebe, Vertrauen und Bestätigung nie bedingungslos zu haben waren.

Also hatte sie vor drei Jahren und zwei Monaten aufgehört, bei diesem Spiel mitzuspielen, und alle neuen Beziehungen simpel gehalten. Die meisten waren flüchtig, schon weil sie immer unterwegs war.

Und das zwischen ihr und Bo war eine rein sexuelle Energie: Leidenschaft, Lust und eine große Anziehungskraft.

Remy löste ihren Blick von seinem Daumen und schaute ihm in die Augen. Sie schluckte, als sie die Leidenschaft in ihnen sah, und stöhnte leise, als Bo seine Hand hob und sein magischer Daumen ihr über die Unterlippe strich.

„Sie sind hinreißend“, murmelte er, während er seine andere Hand auf Remys Hüfte legte.

Remy blickte auf seine Finger hinab und konnte sich leicht vorstellen, wie diese Hände über ihre Brüste strichen. Über ihre Hüften, ihren Hintern, um sie schließlich hochzuheben und …

In diesem Moment lehnte Bo sich ein wenig nach vorn und seine Lippen berührten Remys. Warm, wunderbar. Remy, erschrocken, überrascht und zutiefst verwirrt, klammerte sich an seine Arme, um nicht vom Barhocker zu fallen. Bo hielt sie an der Taille fest, um ihr Halt zu geben, und sie spürte die Wärme seiner Hände durch ihr Baumwollkleid hindurch.

Remy schloss ihre Finger um seine Handgelenke und zog ihn fest an sich. Sie wollte mehr von dieser Wärme, dieser Stärke und presste ihre Lippen auf seine. Er schmeckte nach Whisky und Minzbonbons und sein Kuss fühlte sich wunderbar an. Fest, entschlossen, zuversichtlich. Bo strahlte von Kopf bis Fuß das aus, was Remy hinter ihrer fröhlichen Fassade fehlte: Selbstsicherheit.

Seine rechte Hand strich nun über ihre Wirbelsäule und arbeitete sich hinauf zu ihren nackten Schultern, bis sie schließlich ihr Gesicht berührte. Sein Daumen streichelte sanft ihre Wangenknochen, während er den Kuss vertiefte und seine Zunge zwischen ihre geöffneten Lippen schob.

Remy öffnete die Augen. Sie musste Bo ansehen, um sicherzugehen, dass sie nicht träumte. Nie zuvor hatte sie einen Kuss erlebt, der so gekonnt, so vollkommen war.

Sie wollte mehr davon – von ihm. Jetzt. Heute Abend. Eine leidenschaftliche Nacht mit einem Mann, der ihre Welt auf den Kopf stellen würde.

Remy nahm ihren ganzen Mut zusammen, löste sich von Bo und war entschlossen, nur einen Moment lang vernünftig zu sein. „Das mag sich wie eine ungemein persönliche Frage anhören und ich weiß, du könntest lügen, aber ich hoffe, du tust es nicht. Bist du verheiratet oder liiert?“

Er löste seinen Blick keine Sekunde lang von Remy, während er nach seinem Whiskyglas griff und den Inhalt in einem Zug leerte. „Nein.“ Seine Stimme klang ruhig und kontrolliert. Nur in seinen Augen lag noch immer etwas Heißes, Ungestümes.

„Gut.“ Remy nickte. „Denn das würde gegen meine Prinzipien verstoßen.“

In der Hoffnung, in diesem Moment nicht den größten Fehler ihres Lebens zu begehen, stand sie auf und griff nach ihrer schwarzen Handtasche. Sie war unglaublich nervös und konnte kaum glauben, dass sie den Mut aufbrachte, das zu tun, was sie tat. Sie wusste, dass nur ein Lachen die Spannung zwischen ihnen lockern würde, also sah sie auf Bos Schuhe hinab und zwinkerte ihm zu.

„Du weißt, was sie über Männer mit großen Füßen sagen. Willst du mir beweisen, dass es stimmt?“

Er lachte noch einmal und griff nach Remys Hand. Fast alle Gäste der Bar sahen ihnen nach, als sie gemeinsam durch die großen Glastüren ins Freie traten.

„Geht es dir gut?“

Der Klang von Bos Stimme jagte wohlige Schauer über Remys Haut. Sie nickte und legte ihren Kopf an seine Schulter.

„Bestens, danke.“

Und das stimmte. Mit Bo zu schlafen war kein Vergleich zu dem einzigen anderen One-Night-Stand, den sie je gehabt hatte. Anders als damals war Remy heute zutiefst befriedigt, bereute nichts und verspürte keinerlei Schuld oder Gewissensbisse.

Sie fühlte sich entspannt, ruhig und seltsam sicher.

Wahrscheinlich hatte sie so etwas wie den One-Night-Stand-Jackpot geknackt. Das große Los gezogen, einen gut aussehenden Fremden mit einem zum Dahinschmelzen schönen Körper gefunden zu haben. Wohldefinierte Muskeln, breite Schultern, ein faszinierendes Gesicht. Und er roch göttlich.

Er war mit großem Abstand der beste Liebhaber, den sie je gehabt hatte. Der Sex mit Bo hatte großen Spaß gemacht und war – nach Remys zugegebenermaßen spärlicher Erfahrung diesbezüglich – für einen One-Night-Stand ungewöhnlich romantisch gewesen. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Bei den wenigen bisherigen Partnern und Affären hatte ihr Verstand stets die Oberhand behalten. Remy hatte sich nie erlaubt, das Denken abzustellen und einfach nur den Moment zu genießen.

Doch statt der schnellen und gefühllosen Nummer, die für einen One-Night-Stand typisch gewesen wäre, hatte sie etwas vollkommen anderes bekommen. Bo hatte lange Augenblicke damit verbracht, ihren Körper zu ehren, und Remy gestattet, dasselbe für ihn zu tun. Und das hatte ihre flüchtige Begegnung in etwas Tieferes, Persönlicheres verwandelt. In etwas Sanfteres.

Schade, dass der Mann, der ihr gezeigt hatte, wie Sex wirklich sein sollte, und der ihr Befriedigung verschaffen konnte, wie sie es nie für möglich gehalten hatte, gleichzeitig der Mann war, mit dem sie nicht mehr als wenige Stunden teilen konnte.

Remy sah, dass Bo einen Blick auf seine Armbanduhr warf, das römische Ziffernblatt leuchtete im Dunkeln. Das war es dann wohl. In fünfzehn Minuten würde er aus ihrem Bett steigen und aus ihrem Leben verschwinden. Sie sollte sich nicht noch etwas mehr Zeit mit ihm wünschen, aber genau das tat sie: nur eine Stunde, einen Tag oder zwei, hier, in dieser zauberhaften Stadt.

Sie strich mit der Handfläche über das feine dunkle Haar auf seiner Brust. Dann drückte sie ihr Gesicht in seine Halsbeuge und wünschte sich nichts mehr, als dass dieser Moment nie vergehen möge.

Doch schon tippte er sie an und sie hob den Kopf. „Ich muss gehen. Morgen habe ich ein sehr frühes Meeting.“

Autor

Joss Wood
<p>Schon mit acht Jahren schrieb Joss Wood ihr erstes Buch und hat danach eigentlich nie mehr damit aufgehört. Der Leidenschaft, die sie verspürt, wenn sie ihre Geschichten schwarz auf weiß entstehen lässt, kommt nur ihre Liebe zum Lesen gleich. Und ihre Freude an Reisen, auf denen sie, mit dem Rucksack...
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