Der Mann, der vom Himmel fiel

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Das ist der hübschen Computer-Spezialistin Darcy Alexander noch nie passiert: ein unglaublich gut aussehender Mann fällt ihr direkt vor die Füße: Reece Erskine, der seinen Ausflug auf einen Baum nicht ganz unverletzt überstanden hat. Darcy bringt ihn in das nächste Krankenhaus, erlebt dort allerdings eine amüsante Überraschung. Reece behauptet, dass Darcy - seine Frau - ihn gesund pflegen wird. Bevor sie überhaupt protestieren kann, hakt er sich zärtlich bei ihr ein, und sie sind auf dem Weg nach draußen. Reeces verführerische Nähe weckt in Darcy heißes Verlangen! Sie fühlt sich wie im siebten Himmel. Dabei hat sie doch wirklich nicht an die Liebe auf den ersten Blick geglaubt ...


  • Erscheinungstag 27.04.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733746384
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Hallo, Dad!“, rief Darcy Alexander fröhlich ins Telefon. „Ist Mum da?“ Sie saß gemütlich in einem Sessel in ihrer Wohnung, die sie mit ihrer Freundin Jennifer teilte, und freute sich auf einen Plausch mit ihrer Mutter.

„Es tut mir leid, Darcy, du kannst nicht mit ihr reden. Sie … sie ist nicht hier.“

Darcy stutzte, und ihre Ferienstimmung war dahin. Dass ihre hyperaktive Mutter nicht zu Hause war, hatte nichts zu bedeuten, aber wie ihr Stiefvater es gesagt hatte, war alarmierend. „Was ist es heute? Probt sie für das Weihnachtskonzert, oder tagt der Ausschuss für die Reparatur des Kirchendachs?“, fragte sie so heiter wie möglich. Jack würde ihr von selbst erzählen, was los war, allerdings durfte man ihn nicht drängen.

Kurz spielte ein Lächeln um ihre Lippen, als sie an den Mann dachte, der ihre Mutter geheiratet hatte. Sie mochte ihn wahnsinnig gern. Ihr Bruder Nick war sieben gewesen und sie selbst fünf, als Jack in ihr Leben getreten war. Nach zwei Jahren war Clare geboren worden, und viel später und zu aller Überraschung kamen die Zwillinge Harry und Charlie. Ja, sie waren eine große, einander eng verbundene Familie.

„Weder noch“, antwortete Jack angespannt.

Darcy runzelte die Stirn. Der Mann, der seinem ersten Enkel in einem Landrover auf die Welt geholfen hatte, ohne in Angstschweiß auszubrechen, hörte sich den Tränen verflixt nahe an. Nein, sie sollte sich nicht länger in vornehmer Zurückhaltung üben. „Was ist los, Dad?“

„Deine Mutter …“

Zutiefst beunruhigt rutschte sie auf dem Stuhl hin und her. „Was ist mit ihr? Ist sie krank?“

„Nein. Sie ist weggefahren … Sie will Weihnachten in einem … Kloster in Cornwall verbringen.“

„Das ist am anderen Ende der Welt!“ Was für eine idiotische Bemerkung. Wo ihre Mutter sich aufhielt, war ziemlich egal, aber nicht, warum sie ihr Zuhause verlassen hatte. Ihre stets so stabile Mutter, die für die ganze Familie immer ein Fels in der Brandung war … Nein, es machte keinen Sinn!

„Und es gibt dort auch kein Telefon“, sagte Jack deprimiert. „Ich weiß nicht, was ich tun soll. Jeder fragt nach ihr. Sie ist für die Kostüme zuständig, die die Schulkinder fürs Krippenspiel brauchen, und die Frauenvereinigung will am Donnerstag zweihundert gefüllte Pasteten haben. Wie werden die zubereitet, Darcy?“

„Wir müssen uns über Wichtigeres den Kopf zerbrechen als über Pasteten!“ Verdammt, als ob sie Jack daran erinnern musste! „Hast du eine Ahnung, warum sie weggefahren ist, Dad? Habt ihr euch gestritten?“

„Nein, haben wir nicht. Sie war zuletzt etwas in sich gekehrt … Ja, du hast recht. Ich habe bestimmt etwas falsch gemacht.“

„So ein Unsinn!“ Sollte sie je einen Mann kennenlernen, der nur halb so wunderbar war wie ihr Stiefvater, würde sie sich mit Handschellen an ihn ketten.

„Anscheinend braucht sie etwas Zeit für sich …“

Menschen wie Mum geraten in keine Identitätskrisen, dachte Darcy verwirrt, und sie gehen nicht einfach fort, ohne eine Erklärung abzugeben.

„Darcy, was soll ich tun?“ Jack klang verzweifelt. „Sam, Beth und der kleine Jamie treffen nächsten Freitag aus den Staaten ein. Es ist ein wenig spät, um ihnen abzusagen.“

„Nein, mach das nicht!“, protestierte sie energisch. Seit seine Tochter aus erster Ehe nach Amerika gezogen war, sah Jack die drei nur noch sehr selten.

„Nick hat angerufen und sich fürs Wochenende angekündigt, und Clare wird auch irgendwann kommen.“

Wie typisch für Clare, sich auf kein Datum festzulegen! Darcy lächelte spöttisch.

„Eure Großmutter kann jeden Tag hier auftauchen. Kannst du dir vorstellen, wie sie reagiert … Als wir das letzte Mal gezählt haben, sollten fünfzehn Leute zum Weihnachtsessen da sein, und der Aga-Herd ist ausgegangen. Ich kenne mich mit dem verdammten Ding nicht aus. Eure Mutter …“

Darcy hörte, wie er schluckte. „Nur keine Panik, Dad. Wenn ich jetzt packe und losfahre, dürfte ich in …“

„Dein Skiurlaub, Darcy“, protestierte Jack schwach. „Du hast dich so darauf gefreut.“

Ja, aber leider kam jetzt eine familiäre Krise dazwischen. „Bei meinem Glück wäre ich wahrscheinlich mit einem Gipsbein nach Hause zurückgekehrt.“

„Du darfst den Urlaub nicht absagen“, erklärte Jennifer, als sie zusah, wie Darcy den Koffer wieder auspackte, um Sachen hineinzulegen, die geeigneter für ein Weihnachtsfest im hintersten Yorkshire waren. „Du hast dich das ganze Jahr darauf gefreut. Warum kann Clare nicht zu Hause helfen?“

Darcy lachte. „Die Hausfrau zu spielen scheint mir nicht unbedingt eine Glanzrolle für sie zu sein.“ Ihre hübsche, begabte und etwas verwöhnte Halbschwester hatte zwar ein Herz aus Gold, verlor aber schon wegen eines abgebrochenen Fingernagels die Nerven.

„Und deine ist es?“

„Ich werde sie mir erarbeiten, was bleibt mir anderes übrig?“

Jennifer seufzte resigniert. „Du bist eine Närrin.“

„Was nichts Neues ist.“ Darcy zuckte die Schultern.

Das war nicht deine Schuld“, widersprach die Freundin wütend.

„Erzähl es Michaels Frau und den Kindern.“

„Du bist offenbar etwas verweichlicht“, schimpfte sich Reece Erskine, während er den Schlafsack auf dem Boden des leeren Zimmers ausrollte. Dieses Jahr würde er nicht das geringste Risiko eingehen und deshalb den Rest der Weihnachtszeit hier in dem alten viktorianischen Herrenhaus im hintersten Yorkshire bleiben. Er mochte die Festtage nicht und noch viel weniger das Verständnis, das seine Mitmenschen meinten, ihm entgegenbringen zu müssen.

Dieses Mal wusste außer seinem Freund Greg niemand, wo er sich aufhielt. Und das war gut so. Denn im letzten Jahr hatte ihn seine damalige Freundin – eine Bezeichnung, die er sehr weit fasste – in einem sexy Negligé und mit einer Flasche Champagner in dem Hotelzimmer überrascht, in das er sich zurückgezogen hatte. Sie hatte sich als entsetzlich hartnäckig erwiesen und sich später bitter gerächt, indem sie die Geschichte ihrer angeblich leidenschaftlichen Beziehung an eine Boulevardzeitung verkauft hatte.

Wen stört schon das bisschen Kälte! Du brauchst nur Feuer in dem offenen Kamin zu machen und noch einige Wolldecken zu kaufen, sagte er sich, als er nach draußen in den riesigen verwilderten Garten des Anwesens ging, das sein Freund als Kapitalanlage gekauft hatte. Hätte er gewusst, dass die Renovierungsarbeiten noch so wenig fortgeschritten waren, wäre er vielleicht nicht hergekommen. Doch sich das jetzt zu fragen war akademisch, denn er war nun einmal hier.

Warum schwärmen so viele Leute von der Landschaft Yorkshires, wunderte er sich, während er sich umblickte. Alles wirkte auf ihn nur trist und grau. Plötzlich sah er in der Ferne etwas Rotes schimmern und hörte entrüstet, wie jemand sang. Greg hatte ihm geschworen, dass er auf keine Menschenseele treffen würde, wenn er es nicht wollte.

Empört folgte er der melodischen Stimme des Störenfrieds, der zu allem Übel auch noch ein Weihnachtslied zum Besten gab, durch das unwegsame Gelände und stand schließlich vor dem Grenzzaun. Wenn er den Unruhestifter schon nicht vertreiben konnte, wollte er zumindest herausfinden, wer es war. Entgegen seinem Naturell kletterte er spontan auf die alte Eiche in der Nähe, um sich einen guten Überblick über das Nachbargrundstück zu verschaffen.

Wenn die Gartenlaube im Sommer von Glyzinien und Rosen umrankt war, lud sie zum Träumen ein, doch auch im Winter war sie zuweilen gefragt, weil man dort so herrlich allein sein konnte. Genau deshalb war Darcy hergekommen, denn hier konnte sie ohne lästige Zuhörer für ihren Auftritt proben.

„Worauf habe ich mich nur eingelassen!“ Gepeinigt stöhnte sie auf. Ihre Stimme war wirklich nicht für ein Solo geeignet.

Adam Wells, der neue Pfarrer, war ein teuflisch gefährlicher Mann. Er hatte sie so treuherzig angeblickt und gleichzeitig moralisch unter Druck gesetzt, bis sie sich nahezu aufgedrängt hatte, im Weihnachtskonzert den Part ihrer musikalischen Mutter zu übernehmen. Erst auf dem Nachhauseweg war ihr richtig klar geworden, was sie sich aufgeladen hatte, und ihr war ganz anders geworden. Seit dem Zwischenfall in der Kindheit, als sie beim Krippenspiel ein Esel gewesen war und wie gelähmt auf der Bühne gestanden und das Geschehen behindert hatte, bis man sie tatsächlich weggetragen hatte, litt sie furchtbar unter Lampenfieber.

Schlimmstenfalls blamiere ich mich eben ein weiteres Mal, dachte sie unglücklich und verließ die Laube, als sie es krachen hörte. Im nächsten Moment fiel ihr ein Mann fast vor die Füße, und dann landete neben ihr ein dicker, morscher Ast, der zunächst auf dem Dach aufgeschlagen war und dort ein großes Loch hinterlassen hatte.

Nach der ersten Schrecksekunde ging Darcy vor der leblos daliegenden Gestalt in die Hocke und tastete voller Angst nach der Halsarterie. „Bitte, bitte, sei nicht tot“, flehte sie und fühlte erleichtert, dass der Puls regelmäßig schlug.

Stöhnend drehte sich Reece auf den Rücken. Es flimmerte ihm vor den Augen, und als er endlich wieder halbwegs klar sehen konnte, erkannte er, dass er nicht etwa in das Gesicht eines Engels blickte, sondern in das eines blonden Jugendlichen mit einem dicken Schal um den Hals. „Ich tue mein Möglichstes.“

„Ich wohne ganz in der Nähe und hole Hilfe“, erklärte Darcy und erschrak, als der Unbekannte sie am Arm festhielt.

„Nein.“ Reece wusste nicht, wie schwer er sich verletzt hatte, und wenn er den ziemlich verängstigt wirkenden Jungen jetzt gehen ließ, kam er vielleicht nicht zurück. „Hilf mir aufzustehen.“

Da er wild entschlossen schien, es auch allein zu versuchen, zuckte Darcy die Schultern und fasste ihn unter den Achseln.

„Au!“

Sofort ließ sie ihn wieder los. „Habe ich Ihnen wehgetan? Es … es tut mir leid.“

Reece stützte den verletzten Arm mit dem anderen ab, ignorierte den stechenden Schmerz in der Schulter und setzte sich auf. „Das ist nicht deine Schuld.“ Kurz blickte er den Jungen an. Er hatte ein rundliches Gesicht, eine niedliche Stupsnase und große blaue Augen und vermittelte den Eindruck, als müsste er sich jeden Moment übergeben. Ihm selbst war ähnlich zumute.

„Ist das klug?“ Besorgt beobachtete sie, wie er sich aufraffte und hinstellte.

„Ich glaube, ich habe mir die Schulter verletzt.“

Für Darcy war es keine Glaubensfrage, sondern Gewissheit. Und dass der dunkelhaarige Fremde verboten gut aussah, stand für sie gleichermaßen fest. Er hatte ein energisches Kinn, einen sinnlichen Mund, eine gerade Nase, hohe Wangenknochen und grüne Augen mit atemberaubend dichten Wimpern.

„Ich habe ein Handy dabei. Nimmst du es für mich heraus?“ Vorsichtig hob er den Arm etwas an und blickte bezeichnend auf die Brusttasche seiner Lederjacke. „Ich bin ganz harmlos“, fügte er hinzu, als der Teenager ihn argwöhnisch betrachtete.

Fast hätte sie laut gelacht. Kein Mann mit einem solchen Mund war harmlos! Tief atmete sie ein. Es widerstrebte ihr, ihn zu berühren, was ziemlich seltsam war, denn sie war eigentlich nicht scheu, sondern ging natürlich mit ihren Mitmenschen um.

„In der Innentasche.“

Darcy schluckte und merkte, dass ihre Bewegungen noch ungeschickter wurden. Sie roch sein teures After Shave und spürte, wie ihre Nerven leicht zu flattern begannen, als sie die Hand unter seine Jacke schob. Er fühlte sich trotz der herrschenden Kälte sehr warm an, und plötzlich wurde ihr selbst entsetzlich heiß, und sie errötete. Schnell sah sie zu Boden, während sie die Finger über seine breite, muskulöse Brust gleiten ließ. Seit der Geschichte mit Michael war sie keinem Mann mehr so nah gekommen. Endlich hatte sie das Handy gefunden und holte es hervor. Reece fluchte verhalten. Es hatte den Sturz nicht schadlos überstanden und würde wohl nicht mehr zu gebrauchen sein.

„Sie müssen darauf gefallen sein“, sagte sie bedauernd.

„Welch genialer Rückschluss.“

Darcy wurde ärgerlich. Es war vielleicht nicht die intelligenteste Bemerkung, aber sie war schließlich nicht so dumm gewesen und auf einen morschen Baum geklettert. Warum hatte er es überhaupt getan?

„Sind irgendwelche Erwachsenen in der Nähe, Junge? Deine Eltern vielleicht?“

Junge! Darcy konnte es nicht fassen. Nein, sie war keine strahlende Schönheit wie Clare, doch hatte sie durchaus schon den einen oder anderen Blick auf sich gezogen. Und noch niemand hatte sie je für einen Jungen gehalten!

Allerdings hatte sie sich heute Morgen nicht geschminkt, und die alte Winterjacke, ein abgelegtes Kleidungsstück von einem der Zwillinge, war so dick wattiert, dass sie ihre weiblichen Rundungen verdeckte. Dass er sie fälschlicherweise für ein männliches Wesen hielt, war vielleicht verständlich, insbesondere wenn er eine Gehirnerschütterung erlitten hatte.

Eigentlich hat die Situation etwas Komisches, dachte sie und sagte pfiffig: „Mein Dad ist zu Hause.“ Sie deutete die Richtung an. „Es ist nicht weit weg. Meinen Sie, Sie könnten es schaffen?“ Kritisch sah sie ihn an.

„Du wirst es als Erster merken, wenn nicht.“

„Aber Sie bluten am Kopf.“

„Das ist nicht tragisch.“

Darcy zuckte die Schultern. Sollte er doch den Macho spielen.

„Dad!“, rief Darcy, kaum hatte sie die Hintertür geöffnet, und betrat mit Reece die rustikal eingerichtete Küche, in der schon ihre drei Brüder saßen.

„Große Güte, was ist passiert?“, fragte Jack, der gleich herbeigeeilt war, und sah entsetzt auf Darcys blutbeschmierte Jacke.

„Reg dich nicht auf. Es ist nicht meines“, versicherte sie, als der Fremde leicht schwankte, sodass sie ihn vorsichtshalber am Ellbogen stützte. „Es ist seines. Ein Ast der morschen Eiche ist auf das Dach der Gartenlaube gefallen.“

„Ich habe dem Beauftragten des neuen Eigentümers schon mehrfach gesagt, wie gefährlich der Baum ist“, erklärte Jack. „Bist du wirklich okay?“ Prüfend betrachtete er sie.

„Mir geht es gut.“

„Und Ihnen, Mr. …“

Reece lehnte sich gegen die Wand und schloss die Augen, während er den Schwindel bekämpfte, der ihn in Wellen überfiel. Der Lärm und die Unruhe um ihn her hatten das Dröhnen in seinem Kopf wieder verstärkt. Besorgt blickte Jack seine Tochter an, die lässig die Schultern zuckte.

„Frag mich nicht. Ich weiß nicht, wer er ist.“

„Du bist mit einem Mann in der Gartenlaube und kennst seinen Namen nicht?“ Argwöhnisch sah Nick den Fremden an.

„Ich war nicht in der Gartenlaube, sondern davor.“ Warum suchte er sich nur immer den falschen Moment aus, um den großen Bruder zu spielen?

„Und hast was getan?“

Darcy verdrehte genervt die Augen und wandte sich Reece zu. „Sie sollten sich besser setzen.“

„Lass mir noch eine Minute Zeit“, antwortete er und wehrte sich, in die entsprechende Richtung dirigiert zu werden.

Auch wenn sie über einige Kraft verfügte, war ihr klar, dass sie diesen großen Mann nicht gegen seinen Willen von der Stelle bewegen konnte. „Harry, Charlie, ich brauche eure Hilfe.“

Die eineiigen Zwillinge schüttelten in perfekter Harmonie die Köpfe.

„Wir würden dir gern helfen …“

„Aber wir können kein Blut sehen.“

Darcy schnaufte verächtlich. „Ihr seid hoffnungslose Fälle.“

„Eben Schwächlinge“, sagte Charlie vergnügt.

Harry nickte zustimmend. „Vielleicht ist er einer der Bauleute, die das Herrenhaus renovieren.“

„Nein, die sind jetzt in den Weihnachtsferien“, erwiderte sein Zwilling. „Außerdem sieht er nicht wie einer von denen aus. Er scheint ganz schön betucht zu sein.“

Darcy teilte Charlies Einschätzung, traute dem großen Unbekannten diese Arbeiten allerdings absolut zu. Wenn sie nur daran dachte, wie herrlich muskulös sich seine breite Brust angefühlt hatte …

„Vielleicht ist er der Typ, der das Anwesen gekauft hat“, meinte Harry, und Reece, dem es allmählich wieder besser ging, bemerkte, dass diese Vorstellung allseits Heiterkeit hervorrief. „Mensch, da hat man Sie aber reingelegt.“

Darcy stöhnte leidgeprüft auf. „Ich glaube nicht, dass momentan der richtige Zeitpunkt für ein Kreuzverhör ist. Es ist egal, wer er ist. Er hat sich verletzt, und die Wunde am Kopf muss verarztet werden. Charlie, hol den Verbandskasten.“

„Ich weiß nicht …“

„Er ist im Badezimmer, im ersten Regal unten. Und du, Harry, schaffst die Hunde aus der Küche.“

Reece war noch immer leicht benommen, die Hektik um ihn her machte ihn zusätzlich nervös, und so setzte er sich gehorsam hin, als Darcy ihn energisch dazu aufforderte.

„Ich heiße Reece Erskine“, stellte er sich vor, aber keinem schien sein Name etwas zu sagen. Vielleicht bin ich ja doch nicht so bekannt, dachte er selbstironisch und lehnte sich ein wenig entspannter zurück. „Sie müssen sich meinetwegen keine Umstände machen“, erklärte er bestimmt. „Wenn ich kurz das Telefon benutzen dürfte …“

Er erntete nur freundlich ablehnende Blicke, was eine neue, unliebsame Erfahrung war, denn normalerweise entsprach man seinen Wünschen. Weit mehr ärgerte ihn allerdings, dass er noch nicht wieder im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war, um den Anwesenden zu beweisen, wie sehr er Herr der Lage war.

„Sollten wir nicht besser den Notarzt rufen?“, wandte sich Jack besorgt an seine großen Kinder.

„War er lange bewusstlos?“, erkundigte sich Nick.

„Ich weiß es nicht …“

„Ich war überhaupt nicht bewusstlos“, erklärte Reece, aber keiner schien ihm zuzuhören.

„Vermutlich geht es schneller, wenn wir ihn selbst in die Notaufnahme bringen“, meinte Darcy und streckte Charlie erwartungsvoll die Hand entgegen.

„Ich habe den Kasten nicht gefunden.“

„Muss ich mich denn um alles selbst kümmern?“ Schon lief sie die Hintertreppe hinauf nach oben und zog sich unterwegs den Schal und die Winterjacke aus. Natürlich war der Erste-Hilfe-Kasten genau dort, wo sie gesagt hatte. Warum konnten Männer eigentlich nie genau hinsehen! Sie nahm ihn aus dem Regal und kehrte eilig in die Küche zurück, während sie das ohnehin bereits verrutschte Gummi aus den feinen blonden Haaren zog und sie mit den Fingern kurz auflockerte.

„Ich reinige zuerst die Kopfwunde“, sagte Darcy, und Reece ließ die Prozedur gleichmütig über sich ergehen. „Möglicherweise haben Sie sich das Schlüsselbein gebrochen“, erklärte sie dann. „Es schadet jedenfalls nicht, wenn es etwas gestützt wird.“ Schon beugte sie sich wieder zu ihm.

Reece wusste nicht, woher die junge Frau so plötzlich gekommen war, aber es war ihm egal, denn was sie mit ihren schlanken Händen tat, verschaffte ihm kolossale Erleichterung. Aufmerksam betrachtete er ihr Gesicht. Sie musste die Schwester des Jungen sein, der ihn hergebracht hatte, denn die Ähnlichkeit zwischen den beiden war unverkennbar.

„Unsre Darcy ist eine gute Krankenschwester“, stellte Jack stolz fest.

Darcy? Den Namen habe ich doch schon gehört, überlegte er, während sie ihm behutsam die Armschlinge anlegte. Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. „Sie sind eine Frau!“, stieß er überrascht und leicht verärgert hervor.

Jack betrachtete ihn besorgt. „Vielleicht sollte ich doch besser den Notarzt rufen.“

Mit spöttisch verzogenem Mund verknotete Darcy die Enden des Dreiecktuchs, richtete sich auf und strich sich über die Hüften. „Ich bin Darcy.“

„Reece“, erwiderte er gepresst, ohne ihr ins Gesicht zu sehen. Irgendwie schien er unfähig, den Blick von ihren vollen, festen Brüsten zu wenden, die sich deutlich unter dem engen Pulli abzeichneten.

Sie beugte sich etwas zu ihm. „Achtzig C“, informierte sie ihn kaum hörbar.

Sofort sah er sie an und wurde rot, als sie ihn anlächelte.

„Mr. Erskine hat mich für einen Jungen gehalten“, erklärte sie ihren Leuten ernst, wollte ihm nach der schmachvollen Verwechslung die Verlegenheit nicht ersparen.

Ihre Familie war im ersten Moment sprachlos vor Überraschung, aber dann war die Erheiterung groß. Sogar Jack wirkte amüsiert. Reece rang sich ein Lächeln ab. Schließlich wollte er nicht als humorlos gelten.

„Das wäre mal etwas Neues.“ Nick lachte seine Schwester an.

Darcy war nicht wirklich rachsüchtig. Sie hatte ihren kleinen Triumph gehabt, und nun sollte sich ihr Patient auch wieder entspannen dürfen, weshalb sie beschloss, ihn aus der Schusslinie zu nehmen. „Warst du es nicht, Nick, der im Zug seinen Sitzplatz einer vermeintlich schwangeren Frau überlassen hat?“

„Erinnere mich bloß nicht daran.“

Unwillkürlich sah Reece zu Darcy hin. Bei ihrer Wespentaille würde man nicht fälschlich auf den Gedanken kommen. Er ließ den Blick zu ihren schlanken Hüften gleiten und zu ihrem festen, rundlichen Po. Wie hatte er sie nur für einen Jungen halten können! Er musste bei dem Sturz eine ordentliche Gehirnerschütterung erlitten haben, anders war sein Irrtum nicht zu erklären.

„Ich bringe ihn ins Krankenhaus.“

„Ja. Doch das übernehme ich, Darcy“, erwiderte Nick.

Liebevoll zerzauste sie ihm das Haar. „Nein, du hast gerade eine lange Fahrt hinter dir. Ich mache es, vorausgesetzt, deine Brüder haben den Wagen wieder aufgetankt, nachdem sie ihn gestern benutzt haben.“

„Aber Darcy!“, entrüsteten sich die Siebzehnjährigen wie aus einem Mund und sahen sie unschuldig an. Wie konnte sie nur meinen, sie hätten für das Benzingeld, das sie ihnen gegeben hatte, eine bessere Verwendung gefunden.

Die drei älteren Familienmitglieder schnauften verächtlich.

„Es ist wirklich nicht nötig.“ Reece stand auf. „Ich möchte Ihnen nicht zur Last fallen.“

Amüsiert beobachtete Darcy, wie er versuchte, sich wieder etwas Würde zu erkämpfen. „Das tun Sie bereits. Also können Sie es auch auskosten.“

2. KAPITEL

„Ich bin gleich wieder zurück.“ Schon schlug Darcy die Autotür zu, nachdem Reece sich in den alten Kleinwagen gezwängt hatte.

Momente später merkte er, dass er im Nassen saß. Er blickte sich um, entdeckte das halb offene Seitenfenster, das vermutlich für die Misere verantwortlich war, und probierte vergebens, es zu schließen. Ärgerlich sah er zu Darcy hin, die in einem dunkelgrauen Trenchcoat neben ihrem Bruder auf der Haustürschwelle stand und mit ihm diskutierte.

„Gib mir die Schlüssel“, hörte er Nick sagen.

„Sei nicht albern. Du bist kaputt.“

„Und du nicht? Was ist, wenn er ein gemeingefährlicher Psychopath ist … oder ein gesuchter Triebtäter?“

Reece fühlte sich zwar schon viel besser, brauchte aber zwei, drei Sekunden, bis er begriff, dass sie von ihm sprachen. In dem Fall ist es gerechtfertigt, wenn ich sie belausche, dachte er und lehnte sich lässig gegen die Tür, damit ihm kein Wort entging.

„Das Gesicht habe ich schon mal gesehen. Erskine … Erskine … Irgendwie kommt mir der Name bekannt vor. Nein, lach nicht, Darcy. Ich meine es ernst. Du bist immer so vertrauensselig.“

Plötzlich fühlte Reece etwas Kaltes und Feuchtes an der Stirn und rückte unwillkürlich vom Fenster weg, durch dessen breiten Spalt ein großer Hund seine Schnauze geschoben hatte.

„Schau, Wally mag ihn!“, rief Darcy triumphierend und kam aufs Auto zu. Freudig sprang der Hund sie an. „Nein, Wally, du musst heute hier bleiben.“

Reece hatte nichts dagegen.

„Entschuldigen Sie, dass es so lange gedauert hat.“ Darcys Lächeln verschwand, als sie sich ansahen. Sein Blick schien sie gefangen zu nehmen und zu hypnotisieren, sodass sie unfähig war, sich abzuwenden. Dann war dieser verwirrende Moment vorbei, und sie spürte nur noch, dass ihr Herz zu schnell schlug und ihr Mund seltsam trocken war. Hatte sie sich diese merkwürdige Begebenheit nur eingebildet? Reece wirkte völlig normal, als wäre nichts passiert. Auch schien er nicht mehr benommen zu sein, was sie erleichterte, wenngleich sie nicht wusste, ob ihr der harte, kritische Ausdruck in den grünen Augen besser gefiel.

„Ich darf mich in meiner Lage wohl kaum beklagen …?“

„Darcy.“

„Natürlich … Darcy. Ich stehe in Ihrer Schuld, Darcy.“

Er fand ihren Namen offenbar sehr exotisch und ihre Familie vermutlich auch. Wenn er nicht glaubte, in ihrer Schuld zu stehen, hätte er wahrscheinlich keine Skrupel gehabt, sich zu beschweren. Er vermittelte nicht den Eindruck, als wäre er ein geduldiger Mensch. Allerdings wäre ich bestimmt auch nicht besonders umgänglich, wenn ich mich gerade verletzt hätte, überlegte sie und erwiderte freundlich: „Ich führe keine Strichliste.“

„Sie verhalten sich einfach bloß gutnachbarlich?“

Schon wieder diese bittere Skepsis, dachte sie und stieg ein. „Ist es so ungewöhnlich?“, fragte sie leicht gereizt.

„Nur verschwindend seltener als ein ehrlicher Politiker.“

Er hatte gleich bemerkt, dass sie sich irgendwann in den letzten Minuten die Lippen geschminkt hatte. Diese typisch weibliche Eitelkeit amüsierte ihn, doch zog ihr ausgesprochen sinnlicher Mund seinen Blick jetzt noch magischer an. Und trotz der dumpfen Schmerzen in seinem Körper spürte er, wie Verlangen in ihm erwachte. Nervös setzte er sich etwas anders hin.

„Anscheinend hat Ihr Zynismus den Sturz unbeschadet überstanden. Ich gratuliere.“

„Sie klingen missbilligend.“

Darcy zuckte die Schultern. Sie stritt nicht mit Leuten, die dringend ärztlich versorgt werden mussten.

„Meiner Erfahrung nach tut selten jemand etwas umsonst“, erklärte er energisch.

Offenbar war er ein Mann mit festen Ansichten und hielt sich für unfehlbar. Sollte er doch denken, was er wollte. Sie teilte seine verbitterte Einstellung nicht und hätte unter anderen Umständen vielleicht heftig mit ihm diskutiert, aber so versicherte sie ihm nur freundlich: „Ich habe keine Hintergedanken.“

Reece zog die Brauen hoch, gab ihr ganz eindeutig zu verstehen, dass er ihr nicht glaubte. Und während sie über die beschlagene Windschutzscheibe wischte, fühlte sie, wie ihre Abneigung gegen ihn wuchs und es ihr immer schwerer fiel, diese zu verbergen.

Sollte das eine Rüge sein oder nicht? fragte er sich insgeheim und konnte sich nicht entscheiden. Allerdings hegte er keinen Zweifel an ihrer Missbilligung. Sie schlug ihm fast so deutlich entgegen wie der blumige Duft ihres leichten Parfüms, den er unwillkürlich einatmete.

„Er mag kein nasses Wetter“, entschuldigte sich Darcy, nachdem sie dreimal vergebens versucht hatte, den Motor anzulassen.

„Wer mag …“

„Bingo!“ Erleichtert seufzte sie auf, als es endlich klappte. „Der Wagen ist zuweilen etwas launisch.“ Fast zärtlich klopfte sie auf das Armaturenbrett, und Reece war nicht wirklich überrascht, dass sie dem alten, verrosteten Auto menschliche Eigenschaften zuschrieb. Es passte zu der gefühlvollen Art, die sie bislang gezeigt hatte. „Gleich wird es auch warm“, versprach sie und lächelte ihn an, zählte offenbar nicht zu den nachtragenden Leuten. „Ich fahre einen Schleichweg. Dann sind wir schnell dort.“

Autor

Kim Lawrence
Kim Lawrence, deren Vorfahren aus England und Irland stammen, ist in Nordwales groß geworden. Nach der Hochzeit kehrten sie und ihr Mann in ihre Heimat zurück, wo sie auch ihre beiden Söhne zur Welt brachte. Auf der kleinen Insel Anlesey, lebt Kim nun mit ihren Lieben auf einer kleinen Farm,...
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