Der Masken-Club von London – Drei Freunde riskieren ihren Ruf beim Spiel der Herzen (3-teilige Serie)

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WER SIND SIE, MADAME FORTUNE? von DIANE GASTON
Getarnt als Madame Fortune genießt Lady Celia die rauschenden Nächte im Masquerade Club. Der Inhaber John Rhysdale entführt sie in eine Welt ungeahnter Sinnlichkeit. Aber ihr Traum kann jederzeit enden – wenn John herausfindet, dass sie hinter der Maske steckt!

DIE LEIDENSCHAFT DER PIANISTIN von DIANE GASTON
Phillippa liebt ihre Auftritte als Pianistin im Masquerade Club. Hier gilt nicht alle Aufmerksamkeit ihrer Narbe im Gesicht – und ausgerechnet der attraktive Xavier Campion macht ihr den Hof. Ihr Glück scheint perfekt – bis eine makellose Schöne beginnt, gegen sie zu intrigieren …

EINE VERFÜHRERISCH SÜNDIGE LADY von DIANE GASTON
Hugh Westleigh ist Daphnes Held, seit er sie bei einem Brand gerettet hat. Aufopferungsvoll pflegt sie den Erblindeten – und verzehrt sich nach seinen erregenden Küssen. Doch kann Hugh ihr vergeben, wenn er von ihrer dunklen Vergangenheit im Masquerade Club erfährt?


  • Erscheinungstag 16.12.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751512572
  • Seitenanzahl 480
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Diane Gaston

Der Masken-Club von London - Drei Freunde riskieren ihren Ruf beim Spiel der Herzen (3-teilige Serie)

IMPRESSUM

Wer sind Sie, Madame Fortune? erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2013 by Diane Perkins
Originaltitel: „A Reputation For Notoriety“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL SAISON
Band 28 - 2015 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Mira Bongard

Umschlagsmotive: "Harlequin Books S.A., Talangart/GettyImages, phokin/GettyImages"

Veröffentlicht im ePub Format in 03/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733715861

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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PROLOG

London, Juni 1819

Rhys war die Frau sofort aufgefallen, als sie in der Türöffnung erschien. Sie war ungewöhnlich groß, und erhobenen Hauptes blickte sie sich im Saal um. Eine mit Federn geschmückte schwarze Maske, die an jene erinnerte, die er in Venedig gesehen hatte, bedeckte die obere Gesichtshälfte. Ein roter Granatstein funkelte zwischen den Augenschlitzen.

In ihrem tiefroten Kleid passte sie hervorragend zu den Rot-, Grün- und Goldtönen des Spielsaals. Er beobachtete, wie sie anmutig den Raum betrat. Hatte sie vor, sich auf eines der riskanten Glücksspiele einzulassen, oder würde sie sich für ein Kartenspiel entscheiden? Er wollte unbedingt, dass dieser Frau gefiel, was er aus der heruntergekommenen Spielhölle gemacht hatte, und dass sie sich hier vergnügte.

Rhys wollte, dass sie wiederkam.

Der Masquerade Club sollte ein großer Erfolg werden. Er würde sich erst zufriedengeben, wenn er Londons beliebtester Spielsalon war, ein Haus, das bei den Gentlemen ebenso gut ankam wie bei den Damen der feinen Gesellschaft. Dabei ging es ihm nicht um das Geld, das er verdienen würde. Er wollte unter Beweis stellen, dass er bei allem, was er in Angriff nahm, der Beste war.

Eine solche Herausforderung hatte er zuletzt vor einer Schlacht empfunden. Auch wenn ihm diesmal kein Blutbad bevorstand.

Hier und heute war es nur seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass eine bezaubernde Frau sich amüsierte.

In der Mitte des Saals blieb sie stehen, und er schritt eilig auf sie zu.

„Guten Abend, Madam.“ Er verbeugte sich. „Ich bin John Rhysdale, der Besitzer des Clubs. Welches Spiel möchten Sie spielen? Es wäre mir eine Freude, Ihnen behilflich zu sein.“

Sie blickte durch die Sehschlitze der schwarzen Maske zu ihm hoch. Ihre Augen funkelten in einem faszinierenden Grün. Das lange hellbraune Haar, in dem goldene Strähnen aufschimmerten, trug sie locker hochgesteckt.

Wer war sie?

„Mr Rhysdale.“ Sie nickte, und ihre Stimme klang erstaunlich leise und zurückhaltend. „Ich würde gern Whist spielen, doch ich habe keinen Partner.“

Am liebsten hätte er sich selbst als Spielpartner angeboten, aber er hielt sich an den Grundsatz, nicht im eigenen Haus zu spielen. Er musste also einen Gentleman finden, der gewillt war, die Aufgabe zu übernehmen. Sein Freund Xavier würde gewiss mit Vergnügen neben ihr am Kartentisch Platz nehmen, wenn er ihn darum bat. Doch Frauen ließen sich viel zu leicht von Xaviers attraktivem Äußeren blenden. Nein, er würde sie nicht Xavier überlassen.

Er wollte sie für sich haben.

1. KAPITEL

London, Mai 1819, einen Monat zuvor

Rhys und sein Freund Xavier saßen an einem Tisch im Speisesaal des Stephen’s Hotel. Gerade hatte man ihnen das Essen serviert, als Rhys einen Blick auf den Eingang warf.

Dort standen zwei Männer, die offenbar nach jemandem Ausschau hielten.

Rhys kannte die beiden. Er kannte sie seit seiner Kindheit. Es waren Viscount William Neddington, genannt Ned, und sein Bruder Hugh Carstairs, die beiden legitimen Söhne des Earl of Westleigh.

Seine Halbbrüder.

Rhys wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Essen zu.

Klirrend ließ Xavier die Gabel fallen. „Teufel noch einmal!“ Er wies mit dem Kopf in Richtung Eingang. „Schau mal, wer da steht.“

Rhys sah hoch. „Sie suchen nach jemandem.“

Im Stephen’s Hotel verkehrten hauptsächlich Offiziere oder ehemalige Militärangehörige wie Rhys und Xavier. Es gehörte nicht zu den Orten, an denen sich die Söhne des Earls normalerweise aufhielten.

Rhys wartete den unausweichlichen Moment ab, in dem einer der Brüder ihn bemerken und dann schnell wegsehen würde. Wann immer sich ihre Wege im Laufe der Jahre gekreuzt hatten, waren Neddington und Hugh bemüht gewesen, ihn wie Luft zu behandeln. Gewiss wünschten sie sich, dass er gar nicht existierte.

Ned, der ältere und größere der Brüder, drehte den Kopf in Rhys’ Richtung. Ihre Blicke trafen sich, doch diesmal sah Ned nicht weg. Diesmal stieß er Hugh leicht mit einem Ellbogen an, und gemeinsam gingen die beiden direkt auf Rhys’ Tisch zu.

„Sie kommen zu uns“, sagte Rhys zu Xavier.

Der Freund atmete tief aus. „Verflucht …“

Rhys hielt Neds Blicken weiterhin stand. Den Brüdern gegenüber hatte er sich immer zu behaupten gewusst.

Sie blieben vor seinem Tisch stehen.

„Rhys.“ Ned neigte leicht den Kopf, und Rhys schien es, als ob sein Halbbruder sich um Freundlichkeit bemühte.

„Gentlemen.“ Er würde den Teufel tun, die beiden namentlich zu begrüßen und eine Vertrautheit vorzutäuschen, die nie existiert hatte. Er wies in Xaviers Richtung. „Mein Freund, Mr Campion.“

„Wir sind miteinander bekannt.“ Ned verbeugte sich zur Begrüßung.

„In der Tat sind wir das.“ Xaviers Worte klangen sarkastisch.

Rhys schnitt sich ein Stück Fleisch ab. „Wolltet ihr mich nur kurz begrüßen, oder habt ihr eigens nach mir gesucht?“

„Wir haben nach dir gesucht“, erwiderte Hugh.

Xavier blickte von einem zum anderen und war sichtlich neugierig, was der Anlass für diesen ungewöhnlichen Besuch sein mochte.

„Bitte verzeih, dass wir dich beim Dinner stören.“ Neds Worte hörten sich in Rhys’ Ohren versöhnlich, wenngleich etwas hölzern, an. „Wir müssen mit dir reden.“

Sie mussten mit ihm reden? Das war in der Tat etwas ganz Neues.

Rhys konzentrierte sich absichtlich weiter auf seinen Teller, wies jedoch zugleich mit einer Hand auf die zwei freien Stühle am Tisch. „Nehmt Platz.“

Hugh, der schon immer ein hitzköpfiger Charakter gewesen war, schnaubte empört.

„Wir würden es bevorzugen, mit dir allein zu reden“, sagte Ned freundlich.

Xavier setzte sich kerzengerade hin.

Rhys musterte die Männer, in denen er nichts als die beiden Jungen von früher sah. Die bittere Erinnerung an ihre erste Begegnung, bei der er neun Jahre alt gewesen war, kam ihm in den Sinn. Er hatte sie mit dem konfrontiert, was er gerade erst erfahren hatte – dass sie denselben Vater hatten.

Dieses Zusammentreffen hatte wie zahllose andere in ihrer Kindheit mit fliegenden Fäusten und blutigen Nasen geendet.

Rhys starrte in die Augen, die den seinen so glichen – dunkelbraune Augen, über denen sich dichte Brauen wölbten. Wie er selbst trugen auch Ned und Hugh das dunkle Haar kurz geschnitten. Er war zwar größer und muskulöser, doch wenn er neben diesen beiden Männern stand, würde niemand daran zweifeln, dass sie Brüder waren.

Er tauschte mit Xavier Blicke aus. Die Miene des Freundes verriet Misstrauen.

Dann zuckte er mit den Schultern. „Wartet in der Eingangshalle auf mich. Ich komme zu euch, sobald ich aufgegessen habe.“

Ned verbeugte sich kurz, und Hugh sah finster drein, aber beide drehten sich um und verließen den Speisesaal.

Xavier sah ihnen nach. „Ich traue den beiden nicht. Willst du nicht lieber, dass ich dich begleite?“

Rhys schüttelte den Kopf. „Es hat nie eine Zeit gegeben, in denen ich nicht allein mit den beiden fertiggeworden wäre.“

„Trotzdem gefällt mir die Sache nicht“, entgegnete der Freund. „Die Burschen führen etwas im Schilde.“

Rhys aß weiter. „Oh ja, das denke ich auch. Dennoch werde ich allein mit ihnen reden.“

Xavier warf ihm einen skeptischen Blick zu.

Rhys ließ sich Zeit, aufzuessen, obgleich er keinen Appetit mehr verspürte. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde es eine unangenehme Unterredung werden.

Xavier klopfte ihm auf die Schulter, bevor er ihn verließ. „Sei vorsichtig, alter Junge.“

Rhys ging in die Eingangshalle, und Ned und Hugh drehten sich zu ihm.

„Kommt mit nach oben“, forderte er die beiden auf.

Er führte sie die Stufen zu seinem Apartment in der zweiten Etage hoch. Als sie das Wohnzimmer betraten, erschien sein Diener.

„Bringen Sie uns Brandy, MacEvoy.“

MacEvoy hob die Brauen. Der Mann, der eine noch verwegenere Vergangenheit als er selbst hinter sich hatte, war während des Krieges sein Offiziersbursche gewesen. Offenkundig hatte er Hugh erkannt, dem sie auf dem Schlachtfeld begegnet waren.

„Bitte setzt euch.“ Rhys wies auf die Sessel. Es bereitete ihm eine seltsame Genugtuung, dass seine Möbel von feinster Qualität waren, auch wenn er sie nur als Gegenleistung für Spielschulden akzeptiert hatte. Ihm ging es gut, was nicht immer der Fall gewesen war.

MacEvoy brachte den Brandy und verließ das Zimmer.

Rhys trank einen Schluck. „Weshalb müsst ihr mich ausgerechnet heute sprechen? Ihr habt euch doch all die Jahre über so bemüht, einen großen Bogen um mich zu machen.“

Verlegen blickte Ned zur Seite. „Wir haben vielleicht nicht direkt mit dir geredet, aber wir haben uns immer darüber auf dem Laufenden gehalten, wo du dich aufhältst und wie es dir geht.“

Ned log. Rhys hätte sein ganzes Vermögen darauf gewettet, dass seine Halbbrüder sich nie darum geschert hatten, wie es ihm nach dem Tod seiner Mutter ergangen war. Damals hatte ihr Vater jede weitere Unterstützung abgelehnt. Gerade einmal vierzehn Jahre war er alt gewesen, als der Earl ihn ohne jeden Penny dem Schicksal überlassen hatte.

Doch es schien ihm sinnlos, wegen der Lüge einen Streit zu beginnen. „Ich fühle mich geschmeichelt“, sagte er stattdessen.

„Dir wurde der höchste militärische Orden verliehen“, fügte Ned hinzu.

Diesmal blickte Hugh zur Seite.

„Ich habe mich im Leben stets bemüht, etwas zu erreichen“, erwiderte Rhys.

Hugh war ebenfalls im Krieg gewesen. Rhys war ihm von Zeit zu Zeit in Spanien, in Frankreich und schließlich in Waterloo begegnet, obwohl Hugh in einem prestigeträchtigen Kavallerie-Regiment, den Royal Dragoons, gedient hatte. Doch letzten Endes hatte Rhys den höheren militärischen Rang erreicht und war im gefürchteten 44. Infanterieregiment bis zum Major aufgestiegen. Nach dem verhängnisvollen Angriff der Kavallerie auf dem Schlachtfeld von Waterloo hatte Rhys den vom Pferd gestürzten Hugh aus dem Schlamm gezogen und ihn vor dem tödlichen Hieb eines französischen Säbels gerettet. Damals hatten sie kein Wort miteinander gewechselt, und Rhys würde auch jetzt nicht davon reden. Es war nur ein flüchtiger Moment gewesen – einer von vielen in diesen schrecklichen Tagen.

Ned beugte sich vor. „Du verdienst dir deinen Lebensunterhalt derzeit durch das Kartenspiel, nicht wahr?“

„Im Wesentlichen“, bestätigte Rhys.

Wie fast jeder Junge hatte er das Kartenspielen bereits in der Schule gelernt, doch erst in den Straßen Londons war er zu einem der geschicktesten Spieler geworden. Allein das Spielen hatte ihm ermöglicht, zu überleben. Aus schierer Not war er immer besser geworden und hatte schließlich genug gewonnen, um ein Offizierspatent zu erwerben. Nun, da der Krieg vorüber war, mehrten seine Gewinne die Grundlage für ein solides Vermögen. Niemals würde es wieder dazu kommen, dass er mit leeren Händen dastand und sein Bauch vor Hunger schmerzte. Langfristig hatte er ehrgeizige Pläne. Ihm schwebte vor, eine eigene Manufaktur aufzubauen. Etwas Nützliches herzustellen schien ihm weit besser, als sich auf das Glück im Spiel zu verlassen.

Hugh schnaubte ungeduldig. „Nun komm schon zur Sache, Ned. Wir sollten nicht um den heißen Brei herumreden.“

Ned sah Rhys direkt an. „Wir benötigen deine Hilfe, Rhys.“

„Beim Kartenspiel?“ Das schien unwahrscheinlich.

„In gewisser Hinsicht schon.“ Ned rieb sich über das Gesicht. „Wir möchten dir ein Angebot machen … ein Geschäftsangebot, das dir ebenfalls zum Vorteil gereichen würde.“

Hielten sie ihn für einen Dummkopf? Äonen würden verstreichen, bevor er sich auf ein Geschäft mit den beiden einlassen würde!

Rhys vermied es, seinen Ärger zu zeigen. „Ich brauche kein Geschäftsangebot. Bei mir lief es ziemlich gut, seit ich auf mich allein gestellt war.“

„Es reicht, Ned.“ Hughs Gesicht rötete sich. „Unsere Familie steht am Rande des Abgrunds …“

Ned unterbrach ihn mit seiner ruhigeren und maßvolleren Art. „Unser Vater hat sich bei seinen Wetten unbesonnen verhalten …“

„Er ist rücksichtslos und leichtsinnig!“ Hugh warf die Hände hoch. „Seinetwegen geht alles den Bach herunter!“

Der Earl of Westleigh war also hoch verschuldet? Das erklärte alles. Auch wenn Aristokraten, die Schulden machten, verglichen mit den Armen auf der Straße noch immer im Überfluss lebten. Im Unterschied zu mir würden Ned und Hugh niemals am eigenen Leibe erfahren, was echter Hunger, Einsamkeit und Verzweiflung bedeuten, dachte Rhys.

Er zwang sich, nicht an die Zeit zu denken, in der er beinahe zugrunde gegangen wäre.

„Was habe ich damit zu tun?“, fragte er freundlich.

„Wir brauchen Geld – viel Geld –, und zwar so rasch wie möglich“, antwortete Hugh.

Rhys lachte. „Der Earl of Westleigh will sich also Geld von mir leihen?“

„Es geht nicht darum, Geld zu leihen“, stellte Ned klar.

Hugh machte eine ungeduldige Handbewegung. „Wir möchten, dass du für uns eine Spielhölle eröffnest und dort die Leitung übernimmst. Hilf uns, schnell große Gewinne zu erzielen.“

Erneut ergriff Ned das Wort. „Der Gedanke dahinter ist folgender: Wenn unser Vater ein Vermögen in Spielhöllen verlieren kann, sollte es für uns umgekehrt auch möglich sein, ein Vermögen zurückzugewinnen, indem wir selbst ein solches Unternehmen betreiben.“ Er hielt die Handflächen hoch. „Nur, dass es für uns beide nicht möglich ist, eine Spielhölle zu eröffnen, selbst wenn wir wüssten, wie man das am besten anstellt – was überdies nicht der Fall ist. Außerdem würde es die Aufmerksamkeit auf unsere derzeitige Lage lenken, und die Gläubiger würden unruhig werden.“ Er lächelte Rhys an. „Aber du könntest es tun. Du hast die nötige Erfahrung … und für dich hätte es keine negativen Auswirkungen.“

Außer dass ich im Gefängnis landen kann, dachte Rhys.

Obwohl er natürlich Mitgliedsgebühren erheben konnte. Dann würde ein solches Unternehmen als Club gelten und wäre legal …

Rhys schüttelte den Kopf. Niemals würde er eine Spielhölle für Lord Westleighs Söhne betreiben.

„Wir brauchen dich“, drängte Hugh.

Waren sie verrückt geworden? Sein ganzes Leben über hatten sie ihn verachtet und verschmäht. Und jetzt erwarteten sie, dass er ihnen half?

Rhys leerte sein Glas und sah die beiden an. „Ihr braucht mich, aber ich brauche euch nicht.“

Hugh erhob sich ein Stück vom Sessel. „Unser Vater hat dich und deine Mutter unterstützt. Du schuldest ihm das. Er hat dich zur Schule geschickt. Stell dir bloß vor, wie es dir ergangen wäre, wenn er das nicht getan hätte!“

Rhys starrte den anderen an, der mit seinen neunundzwanzig Jahren nur ein Jahr jünger war als er selbst. „Stell dir vor, was meine Mutter für ein Leben hätte haben können, wenn der Earl sie nicht gezwungen hätte, mit ihm das Bett zu teilen.“

Dann hätte sie heiraten können. Sie hätte ein ehrbares und glückliches Leben führen können, anstatt die Last zu tragen, ein außereheliches Kind zu haben.

Möglicherweise würde sie sogar noch leben.

Rhys wandte sich ab und unterdrückte den Schmerz, der ihn befiel, wenn er an seine Mutter dachte. Dieser Kummer verließ ihn nie ganz.

Ned blieb hartnäckig. „Rhys, ich werfe dir gar nicht vor, wenn du unseren Vater oder uns verachtest, aber es geht hier nicht nur um unser Wohlergehen. Zahllose Menschen, die du zum Teil selbst kennst, sind von unserer Familie abhängig. Die Bediensteten, die vielen Pächter, die Knechte in den Stallungen … und auch die Lebensgrundlage der Dorfbewohner ist infrage gestellt, wenn die Ländereien von Westleigh Hall nicht mehr bewirtschaftet werden. Schon sehr bald sind wir nicht mehr in der Lage, die Kosten für die Aussaat zu bestreiten. Wie ein Kartenhaus ist alles in Gefahr, in sich zusammenzustürzen. Und die Menschen in der Gegend von Westleigh werden die Konsequenzen am härtesten zu spüren bekommen.“

Rhys ballte die Hände zu Fäusten. „Das hat der Earl selbst zu verantworten. Diese Last könnt ihr nicht auf meinen Schultern abladen. Ich habe damit nichts zu tun.“

„Du bist unsere letzte Hoffnung“, flehte Hugh ihn an. „Wir haben versucht, das Gut zu verpachten, aber in diesen schweren Zeiten will niemand das Risiko eingehen.“

„Haltet mich aus der Sache heraus.“

„Wir können dich nicht heraushalten!“ Hugh sprang auf die Füße und ging im Zimmer auf und ab. „Wir brauchen dich. Verstehst du das nicht? Du musst das einfach für uns tun!“

„Hugh, das ist nicht hilfreich.“ Ned stand ebenfalls auf.

Rhys erhob sich und sah die beiden an. „Ich werde euch noch einmal die Worte eures Vaters wiederholen: ‚Ich bin nicht verpflichtet, irgendetwas für dich zu tun‘.“ Er wandte ihnen den Rücken zu und ging zu der Karaffe mit Brandy, um sich ein weiteres Glas einzuschenken. „Ihr solltet jetzt gehen, sonst lauft ihr Gefahr, dass ich euch hinauswerfe.“

Hugh machte einen Schritt auf ihn zu. „Ha, das möchte ich sehen!“

Ned zog ihn zurück. „Wir gehen ja schon. Aber ich bitte dich, in Ruhe darüber nachzudenken. Die Idee könnte uns allen ein Vermögen einbringen. Wir besitzen genug, um den Einstieg zu finanzieren. Alles, was wir noch brauchen, ist …“

Rhys senkte die Stimme. „Raus!“

Ned schob seinen Bruder zur Tür. Sie nahmen ihre Hüte und Handschuhe und verließen den Raum.

Rhys starrte noch lange auf die Tür, nachdem das Hallen ihrer Schritte auf dem Gang verklungen war.

Seufzend trank er seinen Brandy aus. Dann klopfte es. Erbost riss er die Tür auf. „Ich sagte doch, ihr sollt verschwinden!“

„Donnerwetter!“ Xavier hob die Hände. „Sie sind also abgezogen.“

Rhys trat zur Seite. „Was tust du hier? Hast du etwa unten abgewartet, bis die beiden gegangen sind.“

„Erraten.“ Xavier betrat das Zimmer. „Ich konnte keinen Augenblick länger warten, um zu erfahren, was die beiden wollten.“

Rhys füllte ein weiteres Glas mit Brandy und reichte es dem Freund. „Setz dich. Du wirst es nicht glauben …“

Nachdem er seine Halbbrüder hinausgeworfen hatte, hätte Rhys die Angelegenheit eigentlich vergessen können. Und wahrscheinlich wäre es besser gewesen, er hätte sich an diesem Abend auf seine Karten konzentriert, anstatt die Arbeitsweise in der Spielhölle von St James’s zu beobachten.

Doch auch in den folgenden Tagen besuchte er so viele verschiedene Clubs wie nur möglich. Wie sonst spielte er dort an den Kartentischen, allerdings achtete er währenddessen auf jedes Detail – auf die Anordnung der Tische, die Qualität der Speisen und die Einträglichkeit der unterschiedlichen Spiele.

„Was ist der Grund für diesen Streifzug durch Londons Spielhöllen?“, erkundigte sich Xavier, als sie zu einem weiteren Club aufbrachen.

Rhys zuckte mit den Schultern. „Es gibt keinen besonderen Grund. Nenne es von mir aus eine Marotte.“

Der Freund sah ihn zweifelnd an.

Rhys wollte sich selbst nicht recht eingestehen, dass er über den Vorschlag seiner Halbbrüder nachdachte. Immer wieder kamen ihm die Leute aus dem Dorf in den Sinn, die seiner Mutter geholfen hatten. Nur zu gut konnte er sich vorstellen, wie sehr sie leiden würden, wenn sie auf dem Anwesen des bankrotten Earls kein Auskommen mehr fanden.

Außerdem reizte ihn die Vorstellung, viel Geld verdienen zu können. Ned und Hugh würden das ganze Risiko tragen, nicht er. Für ihn war es eine beinahe sichere Wette.

Wenn ihm doch nur ein anderer und nicht ausgerechnet die Halbbrüder diesen Vorschlag unterbreitet hätten!

Rhys betätigte den Türklopfer eines großen Stadthauses. Ein Bär von einem Mann in farbenprächtiger Livree öffnete die Tür. Rhys hatte das Etablissement länger als ein Jahr nicht mehr betreten, doch es schien, als ob sich nichts verändert hätte.

„Wie geht es Ihnen, Cummings?“, fragte er den Mann. „Ich war viel zu lange nicht mehr hier.“

„Guten Abend, Mr Rhysdale“, erwiderte Cummings. Dann nickte er Xavier zu. „Mr Campion.“ Er nahm ihnen die Hüte und Handschuhe ab. „Hier hat sich nichts verändert, außer ein paar von den Mädchen. Die kommen und geh’n.“

Rhys interessierte sich nicht für die Mädchen, die zumeist nebenher ihre intimeren Dienste anboten.

Er sah sich im Vestibül um. Es schien sich tatsächlich nichts verändert zu haben.

Vor drei Jahren war er hier Stammkunde gewesen. Ebenso wie viele Gentlemen hatte ihn zu dieser Zeit eine maskierte Frau fasziniert, die regelmäßig zum Kartenspiel erschien und oftmals herausragend spielte. Die geheimnisvolle Aura, die sie umgab, hatte ihre Anziehungskraft noch verstärkt. Bald hatten die Männer darum gewettet, wer sie als Erster für sich gewinnen würde – was alles fein säuberlich im Wettbuch festgehalten worden war. Rhys fand es geschmacklos, eine Frau zu verführen, um eine Wette zu gewinnen.

Er schüttelte den Kopf. Seit Langem hatte er nicht mehr an die maskierte Frau gedacht.

Er wandte sich wieder an Cummings. „Ist Madame Bisou heute Abend da?“

„Ja, sie müsste oben sein.“ Cummings verstaute ihre Hüte in der Garderobe.

Rhys und Xavier gingen die Treppe hoch und betraten den Spielsaal, in dem es wie immer um kurz vor Mitternacht geschäftig zuging.

„Ich dachte, du wärest hergekommen, um Karten zu spielen.“ Xavier stieß ihn leicht mit dem rechten Ellbogen an.

„Das habe ich auch vor“, erwiderte er. „Aber ich bin ein ganzes Jahr nicht mehr hier gewesen. Da darf ich mich doch wohl einmal in Ruhe umsehen.“

In diesem Moment eilte eine dralle Frau mit flammend rotem Haar auf sie zu. „Monsieur Rhysdale und Monsieur Campion! Wie schön, eusch zu se’en. Es ist trop longtemps ’er, nisch waa?“

Rhys lächelte, weil er sich freute, sie wiederzusehen und auch ein wenig wegen ihres grauenhaften Versuchs, einen französischen Akzent zu imitieren. „Madame Bisou!“ Er beugte sich vor, um ihr einen Wangenkuss zu geben und flüsterte ihr ins Ohr: „Wie geht es dir, Penny?“ Er kannte sie noch aus den schwereren Tagen seiner Jugend.

„Träh bien, mein Junge“, antwortete sie, doch ihr Lächeln wirkte verkrampft. Sie drehte sich zu Xavier, um ihn zu begrüßen, bevor Rhys weitere Fragen stellen konnte.

„Warum bist du so lange nicht hier gewesen?“ Sie ergriff Rhys’ rechte Hand und drückte sie.

„Das frage ich mich auch.“ Rhys lächelte sie an.

Ihr Ton änderte sich, und mit einem Mal klang sie geschäftsmäßiger. „Wonach steht euch heute der Sinn, Gentlemen? Wollt ihr eine Frau, oder ist euch nach einem Glücksspiel zumute?“

Xavier antwortete ihr. „Wir würden gern eine Partie Whist spielen.“

Nachdem sie einige Runden gespielt hatten, begaben sie sich in den Supper Room. Als eines der Mädchen begann, mit Xavier zu flirten, ging Rhys zu Penny, die ganz hinten in einer Ecke saß.

„Es passt gar nicht zu dir, dass du hier allein herumsitzt, Penny. Ist etwas nicht in Ordnung?“

Sie seufzte müde. „Ich bin das alles manchmal so leid, Rhys. Ich wünschte, ich könnte einfach fortgehen und dem allen entfliehen …“

Rhys horchte auf. „Denkst du darüber nach, das Geschäft zu verkaufen?“

„Wie soll ich das denn anstellen? Ich kann ja nicht einmal eine Anzeige in die Zeitung setzen. Schließlich betreibe ich keinen legalen Club.“

Diese Resignation sah ihr gar nicht ähnlich. Normalerweise fand Penny immer einen Weg.

Rhys spürte, dass dies eine einmalige Chance war.

Das Schicksal drängte ihn geradezu, eine bestimmte Richtung einzuschlagen. Er war die Lösung für Pennys Probleme. Zugleich konnte er die Menschen in Westleigh retten. Und er konnte seine eigenen Kassen füllen.

Dazu musste er nur seine Seele an den Teufel verkaufen. An seinen Vater.

Am nächsten Tag stand Rhys vor dem Stadthaus des Earl of Westleigh. Xavier hatte er nichts von seinen Absichten erzählt. Er wollte verhindern, dass der Freund ihm den Plan ausredete.

Der Lakai, der die Haustür öffnete, führte ihn in ein Gesellschaftszimmer am anderen Ende des Vestibüls. Unglücklicherweise dominierte ein riesiges Porträt seines Vaters das Zimmer. Mit gekreuzten Armen starrte der gemalte Earl of Westleigh auf ihn hinunter – mit strenger und, wie es Rhys schien, missbilligender Miene.

Sollte dieser Mann doch ruhig weiter Verachtung zur Schau tragen. Rhys wusste, was er wert war. Und er war wild entschlossen, es der Welt zu beweisen.

Dennoch stellte die Präsenz des Earls in diesem Haus seine Nerven auf eine Zerreißprobe. Würde der alte Mann bei dieser Unterredung mit Ned und Hugh zugegen sein?

Viel wahrscheinlicher war jedoch, dass der Earl alles Erdenkliche tun würde, um seinem Bastard aus dem Weg zu gehen.

Er musste seinen Halbbrüdern immerhin zugutehalten, dass sie ihn nicht lange warten ließen. Ihre eiligen Schritte und ihre gedämpften Stimmen hörte er bereits, bevor sie das Zimmer betraten.

Ned ging auf ihn zu, als ob er ihm die Hand reichen wollte, hielt dann jedoch inne und wies auf einen der Stühle. „Wollen wir uns setzen?“

Hugh hielt sich im Hintergrund.

Ruhig sah Rhys von einem zum anderen. „Ich glaube, ich bleibe lieber stehen.“

„Können wir dein Erscheinen dennoch so deuten, dass du über unser Angebot noch einmal nachgedacht hast?“, erkundigte sich Ned.

Rhys hätte am liebsten gelacht. Ned nannte es also ein Angebot! „Ich kam, um die Diskussion darüber fortzusetzen, ob ich gewillt bin, euch und euren Vater vor dem Ruin zu bewahren.“

„Warum?“, fragte Hugh ungeduldig. „Was hat deine Meinung geändert?“

Rhys sah ihn unverwandt an. „Nenn es von mir aus einen Anfall familiärer Loyalität. Allerdings sagte ich nichts davon, dass ich meine Meinung geändert hätte.“

Ned legte beruhigend eine Hand auf Hughs rechten Unterarm und drehte sich zu Rhys. „Worüber möchtest du mit uns reden?“

Rhys zuckte mit den Schultern. „Nun, zum einen benötigt man eine Menge Kapital, um einen Spielbetrieb zu eröffnen. Soll ich dabei etwa mein eigenes Geld investieren? Ich bin nicht bereit, meinen Wohlstand für eine so riskante Geschäftsidee aufs Spiel zu setzen.“

„Worin soll denn das Risiko bestehen?“, fragte Hugh aufgebracht. „Der Betreiber einer Spielhölle ist immer im Vorteil. Das weißt du ganz genau!“

„Selbst die Bank kann geknackt werden“, widersprach Rhys. „Es ist alles eine Glückssache.“

„Aber das ist höchst unwahrscheinlich, oder etwa nicht?“, konterte Hugh.

Ned warf seinem Bruder einen warnenden Blick zu, bevor er sich wieder an Rhys wandte. „Das Investitionsrisiko liegt allein bei uns.“ Er senkte die Stimme. „Für uns geht es um alles oder nichts, Rhys. Wir haben die letzten Reste unseres Vermögens zusammengekratzt, um dieses Vorhaben zu finanzieren. Aber wir brauchen dich, um die Idee in die Tat umzusetzen.“

Sie mussten wirklich verzweifelt sein, wenn sie sich auf einen Plan wie diesen versteiften – und dabei auf seine Hilfe zählten.

„Ein Spielclub kann nicht sofort große Umsätze machen, außer es gelingt ihm, rasch von sich reden zu machen. Er muss sich deutlich von den anderen Häusern unterscheiden und entsprechende Vorzüge haben, um die richtigen Spieler in ausreichender Zahl anzulocken.“ Rhys hielt kurz inne. „Schließlich wollt ihr Kunden, die hohe Einsätze riskieren und genügend Geld haben, um es zum Fenster hinauszuwerfen …“

„Es sollte auf jeden Fall ehrlich zugehen“, unterbrach Hugh ihn barsch. „Keine manipulierten Würfel oder gezinkten Karten.“

Rhys warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Willst du mich beleidigen, Hugh? Wenn du mich für keinen ehrlichen Mann hältst, warum bittest du mich dann, das Geschäft zu führen?“

Hugh wich seinem Blick aus.

„Keinerlei Betrügereien und keine Prostitution. Ich werde weder das eine noch das andere dulden“, sagte Rhys. Er würde Madame Bisous Mädchen weiter als Bedienungen anstellen, aber wenn sie ihre Körper verkaufen wollten, würde das nicht in seinem Haus geschehen.

„Wir sind natürlich vollkommen einverstanden mit allem, was du vorschlägst“, erklärte Ned.

Rhys fuhr fort: „Überdies will ich freie Hand haben, wie das Haus zu führen ist.“

„Selbstverständlich“, willigte Ned ein.

„Warte mal! Was meinst du denn genau mit freier Hand?“, hakte Hugh nach.

„Ich meine, dass ich entscheide, wie das Geschäft zu gestalten und zu leiten ist“, erwiderte Rhys gelassen. „Ich werde der Besitzer sein, und es wird keine Einmischung von eurer Seite geben. Ich werde dafür sorgen, dass es ein Haus wird, das jeder reiche Aristokrat oder Kaufmann besuchen will. Außerdem soll es nicht nur Männer, sondern auch Damen anlocken.“

„Damen!“ Hugh wirkte entsetzt.

„Wir alle wissen, dass Ladies genauso gern spielen wie Gentlemen, nur dass sie dabei riskieren, ihren guten Ruf zu verlieren. Daher schlage ich vor, das Haus wie eine Mischung aus Spielclub und Maskenball zu gestalten. Jeder kann im Kostüm oder maskiert kommen. Auf diese Weise können auch die Damen bei uns spielen, ohne erkannt zu werden.“

Rhys hatte sich alles genau überlegt. Er würde die Spielhölle „Masquerade Club“ nennen.

Er fuhr mit den Erklärungen für Ned und Hugh fort: „So weit stehen meine Pläne fest. Sie sind nicht verhandelbar. Wenn ich bessere Ideen habe, werde ich sie in die Tat umsetzen und euch nicht vorher zurate ziehen.“

„Aber …“, wollte Hugh widersprechen.

Ned winkte ab. „Lass es gut sein, Hugh. Solange das Geschäft ehrlich und profitabel ist, können uns die Einzelheiten egal sein.“ Er wandte sich an Rhys. „Sonst noch etwas?“

„Ich will die Hälfte des Gewinns.“

„Die Hälfte?“, schrie Hugh empört.

Erneut sah Rhys ihn direkt an. „Ihr riskiert euer Geld, aber bei mir steht mehr auf dem Spiel. Wir können einen symbolischen Mitgliedsbeitrag erheben und die Spielhölle als Club bezeichnen, aber es besteht immer das Risiko, dass er für illegal erklärt wird und ich dafür hafte. Für dieses Risiko verlange ich einen Ausgleich.“ Außerdem hatte er vor, Penny an seinen Gewinnen zu beteiligen und auch Xavier, falls er gewillt war, ihm zu helfen.

„Ich denke, deine Bedingungen sind annehmbar“, sagte Ned. „Wollen wir jetzt darüber reden, welches Startkapital du benötigst?“

Rhys nickte, tippte sich jedoch mit einem Finger gegen die Lippen. „Ich habe noch eine Frage.“

Ned sah ihn misstrauisch an. „Um was handelt es sich?“

„Weiß der Earl von eurem Wunsch, dass ich das Geschäft führe?“

Die beiden Brüder tauschten Blicke aus.

„Er weiß es“, antwortete Ned.

Und bestimmt ist er darüber alles andere als glücklich, mutmaßte Rhys. Darauf zählte er. Neben der Möglichkeit, Geld zu verdienen, lohnte sich das Unternehmen für ihn noch aus einem anderen Grund. Er wollte dem Earl vor Augen führen, dass ausgerechnet sein Bastard ihn vor dem Ruin rettete. Er wollte sich an dem Mann rächen, der ihn gezeugt und diese Tatsache niemals anerkannt hatte. Dieser Mann hatte ihm jede Hilfe verwehrt, weil es ihm egal gewesen war, ob sein unehelicher Sohn lebte oder starb.

„In Ordnung, meine Brüder …“, sagte er in sarkastischem Tonfall. „Ich erkläre mich bereit, eure Spielhölle zu betreiben.“

Seine Halbbrüder atmeten erleichtert auf.

„Allerdings nur unter einer weiteren Bedingung“, fügte Rhys hinzu.

Hugh verdrehte die Augen.

„Unser Vater, Lord Westleigh, muss mich öffentlich als Sohn anerkennen. Es muss den Anschein haben, als ob ich als einer der euren in der Familie akzeptiert werde. Ich will künftig als vollwertiges Mitglied dieser Familie behandelt werden und bei Familienfeierlichkeiten und gesellschaftlichen Anlässen mit einbezogen werden.“ Gab es eine bessere Rache als diese?

Ned und Hugh starrten ihn entgeistert an.

„Das ist meine Bedingung“, wiederholte Rhys.

Ned blickte zur Seite, und Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus.

Schließlich sah er Rhys wieder an. „Willkommen in der Familie, Bruder.“

2. KAPITEL

Rhys schloss den Kauf ab und schaffte es, Pennys Spielhölle bereits drei Wochen später neu zu eröffnen. Er veränderte die Einrichtung, das Dekor und die Speisekarte und schulte das Personal um. Madame Bisou’s wurde zum Masquerade Club, und die Nachricht von der Neueröffnung verbreitete sich wie ein Lauffeuer.

Die ersten Tage waren nervenaufreibend gewesen, doch jeden Abend stieg die Zahl der Gäste und mit ihnen der Gewinn. Rhys konnte sich darauf verlassen, dass wenigstens einer seiner Halbbrüder – zumeist war es Hugh – maskiert oder ohne jede Tarnung im Club auftauchte, um nach dem Rechten zu sehen. Er wusste, dass seine Arbeit genau überwacht wurde.

Er hatte gerade nach den beiden Ausschau gehalten, als stattdessen die hübsche Frau mit der Maske eingetreten war, die ihn eben gebeten hatte, einen Whist-Partner für sie zu finden.

Rhys hatte eine ganze Reihe von Mätressen gehabt. Gemeinsam mit Xavier hatte er wilde Nächte in Paris verbracht, doch es war selten vorgekommen, dass er sich von einer Frau so angezogen gefühlt hatte wie von der maskierten Besucherin.

Ihre Haltung verriet Stolz, und dass sie ohne männliche Begleitung in seine Spielhölle gekommen war, verriet bereits ihren Mut. Ihre verlockenden Lippen schimmerten feucht und rosa, und ihre Stimme klang wie Musik in seinen Ohren.

„Wie finde ich einen Spielpartner?“, erkundigte sie sich.

Welcher Mann würde sich bei ihrem Anblick weigern?

Er verbeugte sich. „Geben Sie mir einen Augenblick Zeit, um Ihre Frage zu beantworten.“ Eines der Serviermädchen kam in diesem Moment mit einem Tablett vorbei. Er nahm ein Glas mit Champagner und reichte es ihr. „Erfrischen Sie sich währenddessen und sehen Sie sich an, was das Haus alles zu bieten hat.“

Eilig blickte er sich um und machte sofort Sir Reginald aus, einen harmlosen Mann, der häufig in Spielhöllen verkehrte, gern mit Damen flirtete, aber niemals aufdringlich wurde. Er spielte passabel Karten, wenngleich ohne besonderen Einfallsreichtum. Sir Reginald würde nachsichtig sein, falls sie sich als schlechte Spielerin erwies, aber auch halbwegs mithalten können, wenn sie talentiert war.

Eigentlich konnte Rhys sich kaum vorstellen, dass sie unbegabt war.

Er brachte Sir Reginald zu ihr. „Madam, darf ich Ihnen Sir Reginald vorstellen?“

Sir Reginald verbeugte sich galant. „Es ist mir eine Ehre, Ihr Partner beim Whist zu sein.“

Als sie Sir Reginald anlächelte und die rosafarbenen Lippen öffnete, wurden ihre strahlend weißen Zähne sichtbar. Sie reichte Rhys das leere Glas, als ob er ein Bediensteter wäre, ergriff Sir Reginalds dargebotenen Arm und ging mit ihm zu einem der Kartentische, an dem bereits zwei Spieler saßen. Nachdem sie mit den Gentlemen geredet hatten, nahmen die maskierte Dame und Sir Reginald Platz. Einer der anderen Männer teilte die Karten aus.

Rhys hatte nicht vor, sich so leicht von der rätselhaften Frau mit der Maske abweisen zu lassen. Im Augenblick hatte er andere Verpflichtungen, aber bevor sie ging, wollte er auf jeden Fall noch mit ihr reden.

Celia Gale atmete erleichtert auf, als sie endlich an einem Kartentisch Platz genommen und Karo, Herz, Kreuz und Pik vor Augen hatte.

Den Spielsaal zu betreten, war ihr wie ein Gang in die Hölle vorgekommen. Sie hatte ihren ganzen Mut zusammenreißen müssen, um diesen Schritt zu wagen – ein Schritt, der ihren Ruf ruinieren konnte. Die Witwe eines Barons ging nicht einfach allein mitten in der Nacht in eine Spielhölle.

Und was noch weit schlimmer war – sie betrat eine Welt, wo ganz andere Gefahren lauerten: Die Verlockungen des Glücksspiels, der Rausch des Gewinnens und der irrige Glaube, Verluste könnten mit einem guten Blatt oder einem einzigen Würfelwurf wieder ausgeglichen werden.

Das Glücksspiel hatte ihr schon einmal alles geraubt, was ihr lieb und wert gewesen war.

Aber blieb ihr eine andere Wahl? Wie sollte sie sonst das Geld beschaffen, das sie so dringend benötigte?

„Sie geben, meine Liebe“, sagte Sir Reginald und riss sie aus ihren Gedanken.

Sie hatte Sir Reginald bereits bei ein paar gesellschaftlichen Veranstaltungen gesehen, die sie besucht hatte, doch sie waren einander nie vorgestellt worden. Sie musste also kaum fürchten, dass er sie erkannte. Den beiden anderen Gentlemen, die ebenfalls nicht maskiert waren, war sie nie zuvor begegnet.

Sie mischte den Stapel absichtlich langsam, aber gründlich.

„Das nenne ich ordentliches Mischen.“ Der Mann zu ihrer Linken lächelte herablassend.

Ihr Vater hatte ihr beigebracht, dass erfolgreiches Spielen nicht nur eine Frage der Fähigkeiten, sondern auch eine der Menschenkenntnis war. Sollten sich diese Gentlemen doch ruhig überlegen dünken. Es war für sie von Vorteil, wenn sie unterschätzt wurde. Oft wurden die Gegner dadurch fahrlässiger und trafen bei der Wahl der Karten, die sie ausspielten, falsche Entscheidungen.

Sie tat, als ob sie zum ersten Mal an einem Spieltisch Platz genommen hätte, und mit dieser Taktik wuchs der hübsche kleine Stapel Jetons neben ihrem rechten Ellbogen stetig an. Die Mitspieler setzten allerdings nur bescheidene Beträge, und ab und an kam es ihr sogar so vor, als ob sie sie absichtlich gewinnen ließen.

Celia reagierte gelassen auf die unangebrachte Überheblichkeit. Schon bald würde man in diesem Spielsaal erfahren, welche Fähigkeiten sie besaß – und dann würden auch die Einsätze steigen.

Sie sah hoch. Der Besitzer des Clubs, Mr Rhysdale, schien sie genau zu beobachteten. Jedes Mal, wenn sie hochblickte, blickte er in ihre Richtung. Das machte sie nervös.

Mr Rhysdale war ein ungewöhnlich attraktiver Mann – groß und von athletischer Statur. Es schien, als ob er alles, was im Saal geschah, unter Kontrolle hätte, während seine Miene unergründlich blieb. Was dachte er, wenn er zwischen den Spieltischen umherschlenderte und unverwandt zu ihr hinsah?

Er hob sein Glas in ihre Richtung, und schnell schaute sie zur Seite.

Warum um alles in der Welt beobachtete er ausgerechnet sie? Es gab in diesem Saal doch noch eine ganze Reihe anderer Damen, die maskiert waren und Karten spielten.

Sie spielte ihre letzten drei Trümpfe aus und gewann das Spiel.

„Ich höre jetzt lieber auf“, erklärte einer der Gentlemen.

„Ich auch“, sagte sein Spielpartner.

Sir Reginald setzte sich gerade hin. „Hätten Sie Lust, Ihr Glück beim Rouge et noir zu versuchen, meine Liebe?“

Celia schüttelte den Kopf. „Nein, vielen Dank, Sir.“

Sie wollte lieber weiter Karten spielen. Spiele, bei denen Können gefragt war, lagen ihr mehr als reine Glücksspiele. Sie wusste nur noch nicht, ob sie Mr Rhysdale erneut bitten sollte, Spielpartner für sie zu finden.

Die drei Gentlemen verbeugten sich höflich und entschuldigten sich dann, sodass Celia allein am Tisch zurückblieb. Sie stand auf und schob die Jetons in ihr Retikül. Bisher war der Abend einträglich verlaufen – nicht überwältigend, aber es war zumindest ein Anfang.

„War das Glück auf Ihrer Seite, Madam?“

Erschrocken drehte sie sich um. „Glück?“ Sie lächelte. „Ja, das Glück ist mir diesmal treu geblieben, Mr Rhysdale.“

„Dann lösen Sie jetzt Ihre Gewinne ein?“ Er stand so nah bei ihr, dass sie das Gefühl hatte, kaum atmen zu können.

Sie umklammerte das Retikül und legte den Kopf zur Seite. „Offen gestanden würde ich gern weiterspielen, Sir. Darf ich Sie erneut bitten, mich mit Spielpartnern zu versehen?“

„Es ist mir ein Vergnügen, Madam“, antwortete er mit tiefer Stimme.

Wenig später hatte er zwei Gentlemen und eine Dame gefunden, die einen vierten Spieler benötigten, und Celia bestritt mehrere Partien. Ihr neuer Spielpartner war geschickter als Sir Reginald, und die Gewinne vervielfachten sich.

Nachdem die anderen Spieler sich verabschiedet hatten, tauchte Mr Rhysdale erneut neben ihr auf. „Brauchen Sie noch mehr Spielpartner?“

Ihr Herz schlug heftiger als sonst. Aber weshalb? „Für heute reicht es.“

Er beugte sich nah an sie heran. „Dann nehmen Sie doch eine Erfrischung mit mir ein.“

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. „Wie spät ist es?“

Er zog eine kostbare goldene Uhr aus der Westentasche. „Viertel vor drei.“

Ihre Kutsche kam um halb vier.

Sie sah sich prüfend um. Für eine weitere Partie Whist blieb nicht genug Zeit. „Einverstanden“, antwortete sie betont gleichgültig.

Er führte sie aus dem Spielsaal in den angrenzenden Supper Room. Dabei hielt er sie am linken Ellbogen fest. Ihr Herz raste. Würde er ihr jetzt verraten, weshalb er sie die ganze Zeit über so aufmerksam beobachtet hatte?

Wenn er sie für eine Falschspielerin hielt, konnte das ihre gesamten Pläne zunichtemachen.

Sie wünschte sich, dass er sie einfach in Ruhe ließ.

„Haben Sie Hunger?“, erkundigte er sich, während er sie zu einem Tisch im Supper Room führte, der ein wenig abseits stand. „Wir können uns etwas vom Büfett aussuchen oder, wenn Sie das bevorzugen, ein Menü bestellen.“

Sie war noch immer beunruhigt. „Etwas vom Büfett reicht vollkommen aus.“

„Möchten Sie Wein trinken?“ Fragend hob er die dunklen Brauen.

Sie nickte. „Ja, sehr gern.“

Rhysdale zog einen Stuhl für sie vor, sie nahm Platz und glättete ihr Kleid.

Sie beobachtete, wie er zum Büfett ging und zielstrebig einige Leckerbissen auswählte. Kurz sprach er mit einem der Bediensteten. Einen Augenblick später brachte ein Diener zwei Gläser und eine Flasche Rotwein an ihren Tisch und schenkte ihnen ein.

Als Rhysdale vom Büfett zurückkehrte und je einen Teller mit Köstlichkeiten vor ihr und vor sich abstellte, wuchs ihre Anspannung. Er nahm auf dem Stuhl gegenüber Platz. Jetzt würde sie den Blicken seiner unergründlichen dunklen Augen nicht mehr ausweichen können.

„Ich hoffe, dass Sie mit meiner Auswahl zufrieden sind“, bemerkte er lächelnd.

Sie warf einen Blick auf ihren Teller. „Oh ja, das sieht gut aus.“

„Ich bin neugierig“, sagte er. „Weshalb sind Sie heute in den Masquerade Club gekommen?“

Innerlich angespannt, sah sie hoch. „Warum wollen Sie das wissen?“

Seine Mundwinkel zuckten. „Ich will erreichen, dass mein Club ein voller Erfolg wird. Daher möchte ich wissen, was eine Frau anlockt.“ Er hielt inne. „Und was sie möglicherweise dazu verführt, wiederzukommen.“

Erstaunt blickte sie ihn an. War das alles, was er von ihr wollte? Das konnte sie sich kaum vorstellen.

Sie wählte ihre Worte mit Bedacht. „Ich hörte davon, dass eine Frau in Ihrem Club Karten spielen kann, ohne ihre Identität zu offenbaren.“

Er nickte. „Ich hatte gehofft, dass sich die Anonymität anziehend auswirken würde.“ Er trank einen Schluck Wein. „Und bei welcher Gelegenheit haben Sie vom Masquerade Club gehört?“

Jetzt musste sie aufpassen. Wenn sie wahrheitsgemäß antwortete, dass sie bei einer musikalischen Soiree davon gehört hatte, würde er erfahren, dass sie in den feinsten Kreisen der Gesellschaft verkehrte.

Was konnte sie entgegnen, ohne sich zu verraten? „Im Theater.“

Ja, das klang nach einer schlüssigen Erklärung. Schließlich konnte fast jeder ins Theater gehen.

Er sah sie eine Weile zu lange an, und Unbehagen beschlich sie.

Schließlich aß er etwas von den Leckereien auf seinem Teller. „Und wie denken Sie jetzt über meinen Club, nachdem Sie ihn gesehen haben?“

Sie entspannte sich ein wenig. Vielleicht war er völlig aufrichtig ihr gegenüber. Es machte schließlich Sinn, dass der Inhaber wissen wollte, was den Gästen gefiel und was nicht.

„Er kommt meinen Wünschen sehr entgegen.“

Er sah hoch. „Und was haben Sie für Wünsche?“

Sie schluckte ein Stückchen Käse hinunter. „Einen sicheren Ort, wo Frauen Karten spielen können.“

„Sicher?“ Er sah sie fragend an.

Sie zögerte, weitere Erklärungen abzugeben. „Sicher vor … vor den Geschichten, die man sich über Spielsalons erzählt.“

Er wandte den Blick nicht von ihr ab. „Haben Sie sich hier sicher gefühlt?“

„Ja, in der Tat“, räumte sie ein.

Rhysdale sah sie mit seinen wachsamen dunklen Augen an. „Und welche Spiele bevorzugen Sie? Sie haben Whist gespielt. Interessieren Sie sich auch für die Glücksspiele? Hazard? Faro?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich traue dem Glück nicht über den Weg.“

Zu oft im Leben hatte das Glück sie völlig im Stich gelassen.

Er musterte sie prüfend. „Sie verlassen sich also lieber auf Ihr Können?“

Einen Moment zögerte sie. „Man sollte eine gewisse Kontrolle über sein Schicksal behalten.“

„Darin stimme ich Ihnen zu.“ Er schenkte ihr ein Lächeln, das seinen attraktiven Gesichtszügen einen besonderen Zauber verlieh.

Ihr verschlug es fast die Sprache.

„Auch wenn Sie zu Recht einwenden können, dass die Eröffnung einer Spielhölle das Schicksal geradezu herausfordert“, fügte er hinzu.

„Das Glück steht bei den meisten Spielen auf der Seite der Bank, vor allem bei den Spielen, um die ich bewusst einen Bogen mache.“ Sie trank ihren Wein aus. „Können Sie mir bitte sagen, wie spät es ist?“

Er zog seine Taschenuhr hervor. „Es ist zwanzig nach drei.“

Sie stand auf. „Dann muss ich mich verabschieden. Meine Kutsche kommt in zehn Minuten, und ich muss noch die Jetons eintauschen.“

Er begleitete sie ins Erdgeschoss. Hinter dem Vestibül lag der Kassenraum. Nicht ohne freudige Erregung sah sie zu, wie die Münzen, die sie gewonnen hatte, vor ihr aufgehäuft wurden. Sie schob das Geld in einen ledernen Beutel. Dann ging sie zur Garderobe und ließ sich ihre Stola geben.

Rhysdale wich nicht von ihrer Seite.

Er hielt ihr die Tür auf. „Ich hoffe, Sie beehren uns bald wieder mit Ihrem Besuch.“

„Vielleicht.“ Sie deutete einen Knicks an. „Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, Mr Rhysdale, und natürlich für das köstliche Essen.“

„Sie sind immer herzlich willkommen.“ Seine Stimme klang noch tiefer als zuvor, und es war, als würde der Klang in ihrem Inneren nachhallen.

Er begleitete sie hinaus auf die dunkle Straße. „Ich werde Sie noch zu Ihrer Kutsche bringen“, sagte er.

Gerade brachte ihr Kutscher Jonah die Pferde zum Stehen, und sie war froh, dass auf dem Wagenschlag nicht mehr das Wappen ihres verstorbenen Gatten prangte.

Rhysdale öffnete die Kutschentür, zog die Trittstufen heraus und half ihr hinein. Bei seiner Berührung überlief sie ein wohliger Schauer.

Er schloss die Tür und streckte den Kopf durch das geöffnete Fenster. „Gute Nacht, Madam. Es war mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen.“

Sie holte tief Luft. „Gute Nacht“, erwiderte sie.

Die Kutsche fuhr los, und Celia drehte sich eilig um und schaute durch das Rückfenster.

Er stand noch auf der Straße und sah ihr nach.

Rhys ging erst wieder hinein, als die Kutsche ganz in der Dunkelheit verschwunden war.

Wer zum Teufel war diese geheimnisvolle Schönheit?

Es war nicht der rechte Zeitpunkt, um sich von einer Frau verzaubern zu lassen. Das würde ihn nur ablenken, und er musste unbedingt einen klaren Kopf behalten. Der Club hatte absoluten Vorrang.

Rhys hatte zu viele Frauen kennengelernt, die zwar spielten, sich aber in Wahrheit nur dem Gewinner des Abends an den Hals werfen wollten.

Doch diese Frau schien anders zu sein.

Sie wollte mit Spielen Geld gewinnen.

Er hatte sie genau beobachtet – ihre konzentrierte Haltung, die Kalkulation bei der Wahl der Karten. Es war ihr nicht um Vergnügen gegangen.

Sie kam ihm wie eine Seelenverwandte vor, eine Spielerin von derselben Art wie er selbst.

Würde sie wiederkommen? Sie musste einfach wiederkommen! Er begehrte sie, wie ein Mann eine Frau nur begehren konnte.

Er ging zurück in das Haus und nickte Cummings im Vorbeigehen zu. Vor der Tür zum Spielsaal traf er auf Xavier, der mit vor der Brust gekreuzten Armen gegen die Wand lehnte.

„Was soll das?“, fragte er brummig.

Rhys wusste nicht recht, was er antworten sollte. „Sie weckt meine Neugier.“ Er warf Xavier einen warnenden Blick zu. „Falls sie wiederkommt, mach dir keine Hoffnungen darauf, sie zu erobern.“

Xavier, der Frauen mit solcher Leichtigkeit anzog, dass er nie eine Eroberung machen musste, antwortetet nur: „Verstehe.“

Gemeinsam betraten sie den Spielsaal.

„Weißt du, wer sie ist?“, erkundigte sich Xavier.

Rhys grinste. „Noch nicht.“

3. KAPITEL

Celia saß an dem kleinen Schreibtisch in der Wohnung, die sie für die Saison gemietet hatte. Inzwischen hatte sie wieder mehr Hoffnung, dieses Apartment bezahlen zu können. Ihre Gewinne hatte sie zu zwei kleinen Häufchen aufgetürmt – die eine Hälfte legte sie als Einsatz für den nächsten Besuch im Masquerade Club zur Seite.

Was hätte sie getan, wenn sie nicht von dem neuen Club erfahren hätte? Ihr bescheidenes Witwengeld reichte schon lange nicht mehr, um die laufenden Ausgaben zu bestreiten, und unablässig trafen weitere Rechnungen ein.

Sie ließ ein paar der gewonnenen Münzen zwischen den Händen hin und her rollen. Die Kühle des Metalls und das klimpernde Geräusch versetzten sie in Entzücken.

Erschrocken über sich selbst legte sie die Münzen zurück auf den Tisch. Sich am Gewinn zu berauschen war gefährlich. Unter keinen Umständen durfte sie der Spielsucht verfallen – wie es bei ihrem Vater der Fall gewesen war. Letztlich waren ihre Eltern beide daran zugrunde gegangen.

Celia sah aus dem Fenster in den kleinen Garten an der Rückseite des Hauses. Im Augenblick war sie noch davon abhängig, dass Rhysdale ihr Spielpartner beschaffte, doch schon bald würde sie unter den Stammgästen bekannt sein. Dann würde man nach ihr als Spielpartnerin fragen.

Sie tippte mit einem Finger gegen einen der beiden Münzstapel. Sie brauchte mehr. Die Saison ihrer Stieftochter kostete eine stattliche Summe, und ihre Schwiegermutter gab nach wie vor unbekümmert Geld aus und weigerte sich, ihr Verhalten zu ändern.

Baron Gale, ihr verstorbener Mann, war ein Verschwender gewesen, der keinerlei Maß gekannt hatte – egal ob es um Glücksspiel, Alkohol oder Mätressen gegangen war.

Auch die Verachtung gegenüber seiner jungen Frau hatte er auf die Spitze getrieben.

Sein Tod hatte sie aus einer Ehe befreit, die sie nie gewollt hatte, und von einem Mann, den sie verabscheute. Zurückgeblieben war sie mit einer Stieftochter, die beinahe in ihrem eigenen Alter war, und mit einer Schwiegermutter, die sie hasste.

„Celia!“ Ihre Stieftochter Adele rief nach ihr.

Das Mädchen war ihre einzige Freude und ihr so lieb und wert wie eine eigene Tochter. Adele hoffte von Herzen, bei ihrer ersten Saison der Liebe ihres Lebens zu begegnen. Celia war fest entschlossen, ihr das zu ermöglichen, was sie sich selbst einst erträumt hatte.

„Hier bin ich, Adele“, antwortete sie.

Und auch wenn man die Träumerei beiseiteließ, war es für Adele sinnvoll, eine gute Partie zu machen. Das Mädchen verdiente einen wohlhabenden und großzügigen Ehemann, der zugleich bereit war, für das Auskommen von Adeles Großmutter zu sorgen. Sie allein wäre mit dem bescheidenen Witwengeld ausgekommen, es reichte jedoch definitiv nicht aus, um auch noch den Unterhalt der Stieftochter und der Schwiegermutter zu bestreiten.

Überdies hatte Celia nicht vor, ewig an Lady Edna Gale gefesselt zu sein.

Adele hüpfte in das Zimmer und gab ihr einen Kuss auf die linke Wange. „Großmutter und ich waren spazieren, Celia. Wir sind durch die Burlington Arkaden geschlendert. Es war wunderschön!“

„Ja, hat es dir Freude bereitet?“ Celia würde Adele vermissen, wenn sie eine eigene Familie gründete. Das Mädchen war der einzige Lichtblick in ihrem Leben.

Adele drehte sich schwungvoll. „Es gibt dort bestimmt mehr als hundert Geschäfte. Wir haben nicht einmal die Hälfte davon sehen können.“ Sie wurde ernst. „Aber ich versichere dir, dass wir nichts gekauft haben.“

Celia lächelte. „Ich hoffe, dass du dich trotzdem amüsiert hast.“

„Ja, ich kann dir gar nicht beschreiben, was für bezaubernde Sachen es dort gibt!“ Adele setzte sich auf einen Stuhl und blickte auf den Schreibtisch. „Sag nicht, dass dies alles Rechnungen sind.“

„Doch, es sind Rechnungen, aber mach dir keine Sorgen. Ich habe bereits die Mittel, um einige davon zu begleichen.“ Celia schob den Stapel mit den vordringlichen Rechnungen ein Stück zur Seite. „Auch die Modistin werde ich bezahlen. Du kannst dir also ein paar neue Kleider bestellen.“

Adele schüttelte den Kopf. „Das ist nicht nötig. Die alten reichen mir aus.“

Celia stand auf und ging zu dem Mädchen. „Nein, du sollst nicht darauf verzichten.“ Sie ergriff Adeles Hände. „Es ist sehr wichtig, dass du gut gekleidet bist. In diesem Punkt sind sich deine Großmutter und ich einig. Außerdem habe ich Geld … gefunden, von dem ich vorher nichts wusste. Wir sind also doch nicht ganz so verarmt.“

Adele wirkte skeptisch. „Ich hoffe, du erzählst mir die Wahrheit und verschweigst mir nichts, als ob ich noch ein Kind wäre.“

Celia drückte ihr liebevoll die Hände und wich dem Thema aus. „Natürlich bist du kein Kind mehr. Ein Kind hat schließlich kein Debüt.“ Adele war neunzehn Jahre alt. Celia selbst war erst dreiundzwanzig, aber im Vergleich fühlte sie sich uralt.

„Ich schicke Tucker heute los, damit er die Rechnungen begleicht.“ Tucker hatte seit vielen Jahren in den Diensten der Gales gestanden und Celia während ihrer schrecklichen Ehe so gut er konnte beigestanden. Seit dem Tod ihres Mannes war er ihr treuer Butler.

„Wo hast du das Geld gefunden?“, fragte Adele.

Celia zeigte auf die Münzen. „Das war reiner Zufall. Ich habe eigentlich etwas ganz anderes gesucht und dabei einen Geldbeutel mit Münzen gefunden.“

Nur drei Menschen wussten von ihrem Ausflug in den Masquerade Club – Tucker, der Kutscher Jonah und Younie. Seit Lord Gales Tod diente Younie allen drei Damen des Hauses als Zofe.

Ohne anzuklopfen betrat die ältere Lady Gale das Zimmer. „Hier bist du also, Adele.“ Sie begrüßte ihre Schwiegertochter mit keinem Wort. „Wir müssen überlegen, was du heute bei der musikalischen Soiree anziehst. Das Kleid, das du jetzt trägst, hat jeder bereits zweimal gesehen.“ Erst jetzt wandte sie sich an Celia. „Sie benötigt dringend neue Kleider. Sie verhalten sich furchtbar grausam, ihr das zu verwehren.“

„Guten Tag, Lady Gale.“ Celia lächelte gequält. „Sie werden erfreut sein zu hören, dass Adele und ich uns gerade darüber unterhalten haben. Sie kann sich zwei neue Kleider schneidern lassen.“

Die alte Frau, die noch immer so gertenschlank wie bei ihrem eigenen Debüt war, verengte die Augen zu Schlitzen. „Nur zwei? Ich ertrage es nicht, wie geizig Sie sind!“

Celia versuchte, ruhig zu bleiben. „Fürs Erste nicht mehr als zwei, aber ich bin zuversichtlich, dass sich die finanzielle Situation bald bessert. Dann kann Adele sich mehr anfertigen lassen.“

Die Schwiegermutter verzog die schmalen Lippen. „Und ich soll vermutlich weiter meine alten Lumpen tragen.“

Celia zwang sich, höflich zu sagen: „Wenn Sie möchten, können Sie sich ebenfalls zwei Kleider bestellen.“

„Kommst du heute Abend mit, Celia?“ Adele sah sie erwartungsvoll an.

Celia überlegte kurz, wann die Soiree enden würde. Im Anschluss konnte sie immer noch für ein paar Stunden den Masquerade Club aufsuchen. „Wenn dir daran gelegen ist.“

„Oh ja!“ Adeles Miene hellte sich auf.

Ihre Großmutter rollte mit den Augen. „Ich hoffe, Sie werden sich angemessen kleiden.“

Celia ging nicht auf diese überflüssige Bemerkung ein und wandte sich an Adele. „Warum bittest du Younie nicht, eines deiner älteren Kleider für heute Abend abzuändern? Sie ist in diesen Dingen sehr geschickt.“

Adele sprang sofort hoch. „Das ist eine großartige Idee! Das werde ich sofort tun.“ Sie ging zur Tür. „Wenn du mich jetzt bitte entschuldigst, Großmutter.“

Die alte Baroness winkte mit der rechten Hand. „Geh nur, mein Kind.“

Nachdem Adele das Zimmer verlassen hatte, drehte Lady Edna Gale sich zu Celia um. „Ich sehe übrigens nicht ein, weshalb meine Enkelin und ich uns mit Ihnen eine Zofe teilen müssen.“

Celia bemühte sich, gelassen zu bleiben. „Weil ich nicht über die nötigen Mittel verfüge, um mehr Bedienstete einzustellen.“

„Geld!“, rief die alte Baroness verärgert. „Sie reden von nichts anderem mehr!“

In der Tat musste Celia fast ständig an Geld denken. Seit dem Vorabend kamen Herz, Karo, Pik und Kreuz dazu.

Wird sich Rhysdale über meinen erneuten Besuch freuen? überlegte sie.

Doch weshalb dachte sie überhaupt an diesen Mann? Es war nicht gut, dass sie ihm aufgefallen war, ganz egal, wie attraktiv und charmant er war. Sie hatte vor, zu gewinnen, und zwar möglichst oft.

Was, wenn er sie verdächtigte, zu betrügen, weil sie ungewöhnlich gut spielte?

Lady Devines musikalische Soiree war eine gefragte Veranstaltung, und Lady Edna Gale wurde nicht müde zu betonen, wie glücklich sie sich schätzen konnten, eine Einladung erhalten zu haben.

Sie schlenderten durch die Salons, in denen sich die Crème de la Crème der feinen Gesellschaft versammelt hatte. Celia kannte die Namen der Leute nicht. Adeles Debüt war der erste Anlass für sie, sich in den feinen Kreisen zu bewegen. Als ihre Eltern noch lebten, war sie noch zu jung für die Einführung in die Londoner Gesellschaft gewesen. Nach deren Tod hatte man sie sofort mit Baron Gale verheiratet, und ihr Gatte hatte beschlossen, dass sie auf dem Landsitz blieb, damit sie sich nicht in sein lasterhaftes Leben einmischen konnte. Diese Regelung war ihr entgegengekommen, denn auf diese Weise hatte sie ihn seltener gesehen.

Seine Mutter hingegen hatte die meiste Zeit in London verbracht und regen Anteil am gesellschaftlichen Leben genommen. In der Tat waren die vielen Einladungen, die sie erhielten, ihrer Schwiegermutter zu verdanken.

„Holen Sie mir ein Glas Wein“, befahl ihr die alte Baroness.

„Ich werde dir ein Glas holen, Großmutter“, versprach Adele und verschwand in der Menge, bevor jemand Einspruch erheben konnte.

Lady Edna Gale sah ihre Schwiegertochter vorwurfsvoll an, doch dann erregte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit. „Schauen Sie, Celia, dort ist unser Cousin Luther!“

Luther war der Cousin zweiten Grades ihres verstorbenen Gatten. Und er war der neue Baron Gale.

Unnötig zu erwähnen, dass Luther alles andere als beglückt über den Zustand seines Erbes war. Auf den Gebäuden lasteten Hypotheken, und sämtliche Reserven waren erschöpft. Folglich verspürte er nicht die geringste Neigung, der Mutter des früheren Barons, dessen Tochter oder dessen Witwe finanzielle Unterstützung anzubieten.

„Huhu! Luther!“ Lady Edna Gale winkte.

Zunächst gab er sich alle Mühe, sie zu ignorieren, doch dann kam er mit schicksalsergebener Miene zu ihnen. „Guten Abend die Damen.“ Er verbeugte sich. „Ich hoffe, es geht Ihnen gut.“

„Es geht uns hervorragend“, zwitscherte die alte Baroness, die plötzlich ganz aufgekratzt wirkte. „Und wie geht es Ihnen, Sir?“

„Passabel“, murmelte er, während er seine Blicke in anderer Richtung durch das Zimmer wandern ließ.

„Meine Enkelin ist auch hier, Luther“, fuhr sie fort. „Bestimmt möchten Sie sie begrüßen.“

Luther sah aus, als ob ihm nach allem anderen der Sinn stünde.

„Sie gibt ihr Debüt, Sie erinnern sich doch gewiss?“ Die alte Frau klimperte mit den Wimpern, als ob sie das Mädchen wäre, das seine erste Saison hatte. „Wir erwarten viele Verehrer.“

„Ja?“ Luther schien nach einer Möglichkeit zu suchen, dem Gespräch zu entrinnen.

„Ihre Mitgift ist beachtlich, müssen Sie wissen.“ Was allein daran lag, dass Adeles Vater nicht an das Geld herangekommen war.

Luther hob interessiert eine Braue. „Wirklich?“

Celia erfasste ein Grauen. Plante ihre Schwiegermutter etwa, eine Ehe zwischen Adele und Luther einzufädeln? Luther hatte bereits hinlänglich bewiesen, dass er von hartherzigem Charakter war. Schließlich hatte er Gale House sofort nach dem Trauerjahr übernommen und sie, Adele und die alte Baroness zum Auszug gezwungen, ohne ihnen eine andere Unterkunft anzubieten. Derzeit bewohnte er allein das große Stadthaus, obwohl es für ihn ein Leichtes gewesen wäre, die drei Frauen für die Saison dort unterzubringen.

„Gale!“, einige Gentlemen riefen nach Luther. „Kommst du?“

Luther zögerte nicht. „Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen.“ Erneut verbeugte er sich.

„Aber Sie haben doch Adele noch gar nicht gesprochen!“, rief Lady Edna Gale ihm hinterher, obgleich er ihr bereits den Rücken zugewandt hatte.

Adele kehrte mit zwei Weingläsern zurück. „Ich habe dir auch etwas zu trinken mitgebracht, Celia.“ Sie reichte das eine Glas ihrer Großmutter und das andere ihrer Stiefmutter.

„Adele, du hast unseren Cousin Luther verpasst“, sagte Lady Edna Gale vorwurfsvoll.

„Oh?“, erwiderte Adele mit einem strahlenden Lächeln. „Ich hätte ihn gern gesprochen, um ihn zu fragen, wie es den Leuten in Gale House geht. Ich vermisse sie.“

Eine Freundin gesellte sich zu Adeles Großmutter, und rasch waren die beiden alten Damen in eine lebhafte Unterhaltung vertieft.

Adele trat näher an Celia heran. „Ein ausgesprochen netter Gentleman hat mir geholfen. Ich … ich weiß nicht, ob ich mich angemessen bei ihm bedankt habe. Das muss ich unbedingt tun, falls ich ihn wiedersehe.“

Celia lächelte. „In dieser Saison wirst du noch vielen netten Gentlemen begegnen.“ Von ganzem Herzen wünschte sie sich für das Mädchen einen verantwortungsvollen und großzügigen Ehemann.

Luther war ganz gewiss nicht großzügig.

„Du weißt, dass deine Großmutter die Verehrer für dich auswählen möchte“, fügte Celia hinzu.

Adele runzelte die Stirn. „Ich möchte, dass sie mit mir zufrieden ist.“

Celia trank einen Schluck Wein. „In erster Linie musst du selbst zufrieden sein.“ Dann wurde der Beginn des musikalischen Programms angekündigt, und der Abend nahm seinen Lauf.

Rhys behielt den Eingang im Blick, seit er den Club aufgeschlossen hatte.

„Wen erwartest du?“, erkundigte sich Xavier.

Er zuckte mit den Schultern. „Die Frau mit der schwarzen Maske.“

Xavier runzelte die Stirn. „Das ist nicht der rechte Zeitpunkt für eine Eroberung, Rhys. Deine Zukunft hängt davon ab, dass dieser Club ein Erfolg wird.“

Die Worte des Freundes erzürnten ihn. „Ich werde meine Pflichten nicht vernachlässigen.“

Xavier gab nicht nach. „Frauen machen immer Schwierigkeiten.“

Rhys lachte. „Das musst gerade du sagen! Es kommt selten vor, dass dir gerade keine Frau in den Armen liegt.“

„Frauen fühlen sich von mir angezogen, das ist wahr.“ Xaviers blaue Augen und sein attraktives Äußeres zogen das schöne Geschlecht wie ein Magnet an. „Doch ich habe noch keine getroffen, die mich von dem abgelenkt hätte, was ich mir vorgenommen habe.“

„Ich habe nichts davon gesagt, dass sie mich ablenkt oder dass ich sie erobern will.“ Rhys versuchte nicht nur den Freund, sondern auch sich selbst zu überzeugen. „Sie macht mich einfach neugierig. Sie ist eine Spielerin von meinem Schlag, und das fasziniert mich.“

Xavier sah ihn spöttisch an. „Hast du mich deshalb gestern Nacht gewarnt, ihr nicht zu nahe zu kommen?“

Rhys legte die Stirn in Falten. „Dieses Verbot gilt nach wie vor.“ Xavier hatte recht. Diese Frau reizte nicht nur seine Neugier, sie zog ihn geradezu magisch an.

Doch das würde ihn nicht davon abzuhalten, diese Spielhölle in eine Goldgrube zu verwandeln und seinen Stiefbrüdern und dem Earl zu beweisen, dass er in ebenjener Welt Erfolg hatte, in der sein Vater gescheitert war.

Rhys sah zum Eingang. Die Frau, auf die er den ganzen Abend gewartet hatte, betrat den Spielsaal. Sie trug dasselbe Kleid und dieselbe Maske wie am Vorabend.

„Da ist sie.“ Er ließ Xavier stehen und ging quer durch den Raum auf sie zu. „Madam, Sie sind wiedergekommen. Ich fühle mich geschmeichelt.“

Sie legte eine Hand auf die Brust. „Ja, ich bin in der Tat wieder hier, Mr Rhysdale. Hätten Sie die Liebenswürdigkeit, noch einmal einen Whist-Partner für mich zu suchen?“

Xavier tauchte neben ihm auf. „Es wäre mir ein Vergnügen, Ihr Spielpartner zu sein, Madam.“

Rhys warf ihm einen unfreundlichen Blick zu, bevor er sich wieder an die maskierte Frau wandte. „Darf ich Ihnen Mr Campion vorstellen, Madam. Er ist ein guter Freund und ein ausgezeichneter Kartenspieler.“

Sie reichte Xavier die behandschuhte rechte Hand. „Mr Campion.“

Xavier gab ihr einen Handkuss und verbeugte sich. „Ich bin entzückt.“ Er schenkte ihr ein höchst verführerisches Lächeln. „Würden Sie mir die Ehre erweisen, mich Xavier zu nennen? In einer Spielhölle muss man schließlich keinen Wert auf Förmlichkeiten legen.“

Rhys stöhnte innerlich.

„Dann also Xavier“, sagte sie und ließ sich von Rhys’ Freund zu einem der hinteren Kartentische führen.

Rhys schlenderte erneut durch den Saal, beobachtete die Spieler und sprach mit den Croupiers an den einzelnen Tischen. Immer wieder zog die maskierte Frau seine Blicke an. Sie saß Xavier gegenüber und wirkte wachsam, aber nicht angespannt. Nie schien sie zu zögern, welche Karte sie spielen sollte. Sie hatte ihm erzählt, dass sie Spiele bevorzugte, bei denen Können gefragt war, und beim Whist erwies sie sich als äußerst fähig.

Gerade wollte er an ihren Tisch gehen, um aus der Nähe zuzusehen, als Ned auf ihn zukam. „Wie laufen die Dinge?“, erkundigte er sich in verschwörerischem Tonfall.

Rhys hob die Brauen. „Wie geplant. Die Investitionssumme haben wir bereits fast wieder eingespielt.“

„Ausgezeichnet.“ Ned rieb sich die Hände.

„Aber vergiss nicht, dass wir noch etwas anderes vereinbart hatten“, fügte Rhys hinzu.

Er erwartete, dass die Stiefbrüder sich an ihr Wort hielten, und der Earl ihn endlich offiziell als Sohn anerkannte. Zum hundertsten Mal überlegte er, weshalb er darauf bestanden hatte. Jedem anderen wäre es wohl um den Zutritt zu den feinen Kreisen gegangen, die eine solche Anerkennung mit sich brachte, doch ihm war das vollkommen gleichgültig.

Nein, er wollte seinen Vater zwingen, das zu tun, was er hätte tun müssen, als er noch ein Kind gewesen war – die Verantwortung für seine Existenz zu übernehmen. Wenn er das erreicht hatte, konnte er diesem Mann und seinen Söhnen den Rücken zukehren und ihnen mit derselben Gleichgültigkeit begegnen, die sie ihm gegenüber zur Schau getragen hatten.

„Hugh und ich haben das nicht vergessen“, sagte Ned leise. „Unser Vater … braucht etwas Zeit.“

Rhys hob eine Schulter an. „Ich gebe das Geld erst frei, wenn dieser Teil der Vereinbarung eingehalten wird.“ In ihrer verzweifelten Situation hatten Ned und Hugh ihm die alleinige Kontrolle über die Finanzen überlassen.

Als sie bemerkte, dass Rhysdale erneut zu ihr hinsah, konzentrierte sich Celia wieder auf ihr Blatt und spielte ihren letzten Trumpf aus. Sie nahm an, dass Xavier noch immer zwei Trümpfe auf der Hand hielt.

Sie hatten die meisten Runden gewonnen, und jedes Mal hatte sie ein Gefühl des Triumphes verspürt. Die Mienen der Gegner verfinsterten sich zunehmend. Xavier gewann die beiden nächsten Stiche, und auch diese Partie war zu ihren Gunsten entschieden.

Celia mischte die Karten, und der Mann zu ihrer Rechten hob ab. Sie teilte aus, und das nächste Spiel begann. Nur dass Xavier diesmal nicht so spielte wie zuvor. Die Gegner gewannen Stiche, die sie eigentlich hätten verlieren müssen. In der Tat spielte er geradezu nachlässig. Er verlor ihr Geld. Sie warf ihm einen strengen Blick zu, aber er schien es überhaupt nicht wahrzunehmen.

Schließlich entschieden ihre Gegner die Partie für sich und wirkten hoch erfreut. Glücklicherweise war der Einsatz bescheiden gewesen, doch sie war verärgert, weil sie so unnötig verloren hatten.

„Das war ein großartiges Spiel!“, begeisterte sich der Gentleman zu ihrer Rechten. „Dennoch ist es für heute genug.“ Er stand auf, sammelte seinen kleinen Stapel Jetons ein und verbeugte sich vor Celia. „Sie sind eine ausgezeichnete Spielerin, Madam.“ Er wandte sich an Xavier. „Sie haben sich eine hervorragende Partnerin ausgesucht, Sir. Wir müssen unbedingt demnächst wieder gemeinsam spielen.“

„Ich höre ebenfalls auf“, sagte der andere Mann.

Beide verabschiedeten sich und gingen zu den Tischen mit Glücksspielen.

„Sie müssen den Wunsch verspüren, mehr gegen uns aufs Spiel zu setzen“, flüsterte Xavier.

Celia sah ihn erstaunt an. „Sie haben sie also zum Schluss absichtlich gewinnen lassen, um sicherzustellen, dass die beiden wieder gegen uns spielen.“

Er nickte und lächelte. „Genau.“

Sie musste zugeben, dass er einen ausgezeichneten Spielpartner abgegeben hatte, und ihre Gewinne lagen deutlich höher als am Vorabend. Dennoch wurde sie das Gefühl nicht los, dass er seine eigenen Gründe hatte, sie als Spielpartnerin auszuwählen – Gründe, die nichts mit Gewinnen oder Verlieren zu tun hatten.

Sie zog ihre Uhr aus dem Retikül. Es war bereits Viertel nach drei. In wenigen Minuten würde Jonah mit der Kutsche vorfahren, und sie musste noch die Jetons einlösen. Sie stand auf und verabschiedete sich von Xavier.

Nachdem sich Xavier zu den Tischen mit Glücksspielen begeben hatte, tauchte Mr Rhysdale neben ihr auf. „Werden Sie schon bald wieder von Ihrem Kutscher abgeholt, Madam?“

In seiner Nähe wurde ihr ganz heiß. „Ja.“

Sanft berührte er ihren rechten Ellbogen. „Darf ich Sie nach draußen begleiten?“

„Das ist nicht nötig, Sir.“ Wenn er sie so ansah, konnte sie kaum einen klaren Gedanken fassen.

Er wies mit einem Finger auf ihr Retikül. „Ich kann nicht zulassen, dass Sie sich allein in die dunkle Nacht wagen. Insbesondere nicht mit einem gut gefüllten Geldbeutel.“

Wie in der Nacht zuvor begleitete er sie zum Kassierer und wartete, bis Cummings ihre Stola geholt hatte. Dann hielt er ihr die Tür auf und führte sie auf das Trottoir.

Rhysdale stand dicht neben ihr. „Hatten Sie heute gute Karten, Madam?“

Mit einer Hand umschloss sie das Retikül. „Ich bin zufrieden.“

„Sie haben nichts verloren.“ Es war keine Frage, er stellte das als Tatsache fest.

Sie lächelte. „Ich versuche immer zu gewinnen.“

„Das habe ich schon bemerkt“, sagte er leise. „Und Sie haben ein ausgezeichnetes Kartengedächtnis, nicht wahr?“

Sie starrte ihn an. „Ist das ein Problem?“

„Nicht für mich“, entgegnete er. „Zumindest noch nicht.“

Ihre Hände zitterten. „Wollen Sie mich etwa warnen?“

„Ganz und gar nicht.“ Seine Stimme blieb sachlich. „Solange Sie nicht betrügen, sehe ich keinen Anlass, mich einzumischen, egal wie viel Sie gewinnen.“

„Verdächtigen Sie mich etwa des Betrugs?“, fragte sie empört.

Unweigerlich musste sie an ihren Vater denken.

Er schüttelte den Kopf. „Sie sind eine erfahrene Spielerin. Ich bewundere das.“

Sie beruhigte sich wieder und hielt nach Jonah Ausschau.

„Wer hat Ihnen das Spielen beigebracht?“, erkundigte sich Rhys beiläufig.

Sie wandte das Gesicht ab, denn sie wusste, dass sie ihren Schmerz nicht verbergen konnte. „Mein Vater.“ Sie schluckte. „Er war ein sehr guter Spieler.“

Bevor er starb.

Sie sah Rhys direkt an, um die Aufmerksamkeit von sich abzulenken. „Und wer hat Ihnen das Spielen beigebracht, Sir?“

Er stieß einen verächtlichen Laut aus. „Ganz sicher nicht mein Vater. Ich habe es in der Schule gelernt, aber ein richtig guter Spieler bin ich erst geworden, als es zwingend notwendig wurde.“

„Warum zwingend notwendig?“

Kurz blickte er zur Seite. „Ich lebte auf der Straße.“

Entsetzt sah sie ihn an. „Auf der Straße?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich war vierzehn und hatte niemanden und nichts. Ich kam nach London und lernte, mich mit Kartenspielen über Wasser zu halten.“

Niemand und nichts?

Wie gut sie sich an das trostlose Gefühl erinnern konnte, niemanden und nichts zu haben.

Sie wollte nach dem Grund für seine Einsamkeit fragen, danach, was mit seinen Eltern passiert war, doch Jonah bog gerade mit der Kutsche um die Ecke und brachte die Pferde wenige Augenblicke später vor ihnen zum Stehen.

Wie in der Nacht zuvor klappte Rhys die Trittleiter für sie auf und öffnete die Tür.

Dann streckte er die Hand aus, um ihr hineinzuhelfen, ließ sie jedoch nicht sofort los. „Kommen Sie morgen wieder, Madam?“

Sie wollte wiederkommen. Sie wollte noch mehr gewinnen.

Und sie wollte ihn wiedersehen.

Alles schien gleichermaßen gefährlich.

„Ich werde wiederkommen, Sir.“

Er drückte kurz ihre rechte Hand.

Nachdem er die Kutschentür hinter ihr geschlossen hatte, spürte sie noch immer den zärtlichen Druck seiner Finger.

4. KAPITEL

Ned wartete bis zwölf Uhr mittags darauf, dass sein Vater aufstand und im Frühstückszimmer erschien. Bisher hatte er vergeblich versucht, ihn an die Einhaltung des Versprechens zu erinnern.

Endlich hörte Ned, wie sich die unverwechselbaren Schritte des Vaters näherten.

Der Earl betrat das Zimmer, hielt jedoch einen Moment inne und warf seinem ältesten Sohn einen verärgerten Blick zu. „Ich hatte gehofft, in Ruhe frühstücken zu können.“

Ned stand auf. „Ich wünsche dir auch einen guten Morgen, Vater.“

Der Earl ging direkt zu dem Büfett. „Hast du nichts Vernünftiges zu tun? Zum Beispiel meine Rechnungen in Listen zu übertragen?“

Angesichts des sarkastischen Tonfalls sträubten sich Ned die Nackenhaare. „Du solltest Hugh und mir dankbar sein!“

Der Earl nahm am Kopf der Tafel Platz. Ein Lakai erschien, um ihm Tee einzuschenken. Ned gab dem Bediensteten ein Zeichen, das Zimmer zu verlassen.

Sein Vater wartete, bis der Mann die Tür hinter sich geschlossen hatte. „Ich bin euch überhaupt nicht dankbar, dass ihr mich wie einen tatterigen Greis behandelt.“ Er stopfte sich Rührei in den Mund.

Ned ließ sich nicht verunsichern. „Es ist mittlerweile einen Monat her, seit Rhysdale den Club eröffnet hat, und du hast deinen Teil der Abmachung noch immer nicht erfüllt.“

„Du erwartest doch nicht allen Ernstes von mir, dass ich mit diesem Kerl rede?“ Er schob sich eine Sardine in den Mund.

„Mit ihm reden?“ Ned wurde rot vor Zorn. „Du hast dein Wort gegeben, weit mehr als das zu tun. Du musst anerkennen, dass er dein Sohn ist.“

Sein Vater winkte ab. „Ich habe genug getan, indem ich ihn zur Schule schickte.“

Ned knirschte mit den Zähnen. „Du hast deine Zustimmung gegeben, Vater. Rhysdale hat bereits das Kapital wieder eingespielt, das wir investiert haben. Doch er gibt das Geld erst frei, wenn du einhältst, wozu du dich verpflichtet hast.“

„Das ist Erpressung!“, schrie der Earl.

„Nein, es ist sein gutes Recht“, widersprach Ned. „Rhysdale ist kein Narr, und das Geld ist sein Druckmittel. Du musst tun, was er sagt.“

„Ich muss überhaupt nichts tun, was ich nicht tun möchte.“

„Vater, du musst dein Wort halten. Uns läuft die Zeit davon. Niemand wird dir noch einen Kredit gewähren, und wir benötigen das Geld, um die Felder zu bewirtschaften. Das Vieh braucht Futter. Unsere Pächter müssen etwas zum Leben haben …“

In diesem Moment betrat Hugh das Zimmer. „Man hört dich schon von Weitem, Ned.“

Hugh nahm Platz und schenkte sich eine Tasse Tee ein.

„Vater weigert sich, sein Wort zu halten“, sagte Ned.

Hugh trank einen Schluck. „Das ahnte ich bereits.“ Er warf seinem Vater einen vernichtenden Blick zu. „Dein Bastard hat wahrhaftig mehr Ehre im Leib als du. Er hat seinen Teil der Vereinbarung eingehalten.“

Lord Westleigh setzte sich kerzengerade hin. „Ich verbiete mir eure Respektlosigkeit!“

Hugh sah ihn erbost an. „Dann verhalte dich auch wie ein Mann, den ich respektieren kann! Halte ein, was du zugesagt hast. Immerhin hast du dein Wort gegeben.“

„Nur euch beiden gegenüber“, versuchte der Earl sich herauszureden.

Ned senkte die Stimme. „Das Wort, das du deinen Söhnen gibst, zählt also nicht?“

Hugh erhob sich vom Stuhl. „Vergiss ihn, Ned! Er denkt weder an uns noch an die Menschen von Westleigh. Er denkt nur an sich.“

„Du undankbarer Flegel!“, schrie der Earl und sprang auf die Beine.

Ned stand auf und wies die beiden mit einer Armbewegung an, sich wieder hinzusetzen. Er hielt noch einen Trumpf in Händen. „Wir sollten Mutter an diesem Gespräch teilnehmen lassen.“

„Das werdet ihr nicht tun!“, brüllte sein Vater.

„Ned hat recht“, stimmte Hugh seinem Bruder zu. „Mutter muss endlich erfahren, was für eine jämmerliche Gestalt du geworden bist.“

Ned nahm an, dass ihre Mutter längst erkannt hatte, mit was für einer erbärmlichen Kreatur sie verheiratet war. Aber wahrscheinlich ahnte sie nicht, welches Ausmaß die Schulden angenommen hatten und welche schrecklichen Konsequenzen drohten, wenn sie nicht endlich anfingen, die Forderungen der Gläubiger zu begleichen.

Natürlich wusste sie von Rhys’ Existenz, und es tat Ned leid, dass sie die Demütigung ertragen musste, die mit dessen offizieller Anerkennung verbunden war.

„Von mir aus“, gab der Earl unwirsch nach. „Ich werde in diese Spielhölle gehen und mich mit Rhysdale unterhalten.“

„Du musst mehr als das tun“, warnte ihn Ned.

Lord Westleigh nickte. „Ja, ja, aber erst will ich mir dieses Etablissement ansehen, um mich zu vergewissern, dass er uns nicht an der Nase herumführt.“

„Er führt uns nicht an der Nase herum!“, sagte Hugh hitzig.

Der Earl beachtete ihn gar nicht. „Wenn alles so ist, wie es sein soll, können wir überlegen, wie wir eurer Mutter den Rest schonend beibringen.“

Rhys ging von Spieltisch zu Spieltisch und beobachtete die Gäste und die Arbeit der Croupiers. Er wollte sichergehen, dass seine Angestellten ehrlich blieben, und dass keiner der Spieler betrog. An einem Ort, an dem jede Nacht so viel Geld den Besitzer wechselte, war die Versuchung groß, dem Glück nachzuhelfen.

Rhys ertappte sich dabei, immer wieder nach der maskierten Frau Ausschau zu halten. In der letzten Woche war sie fast jeden Abend gekommen, und er hatte sich stets etwas ausgedacht, um ein paar Minuten allein mit ihr zu verbringen.

Sie beschäftigte ihn mehr, als er zugeben wollte. Woher kam sie? Wer war sie? War sie etwa verheiratet und versuchte, ihr Spielen vor dem Gatten zu verheimlichen?

Zum wahrscheinlich tausendsten Mal sah er zur Tür, doch nicht die maskierte Frau, sondern Lord Westleigh betrat mit einem seiner Freunde den Spielsaal.

Er beobachtete, wie der Earl in seiner herablassenden Art den Saal begutachtete. Dann machte er eine Bemerkung, und er und sein Begleiter lachten.

Rhys ballte die Hände zu Fäusten. Es kam ihm vor, als ob die beiden sein jüngeres Selbst verspotteten – einen einsamen, verzweifelten Jungen, der nicht mehr ein noch aus gewusst hatte. Doch jetzt lagen die Dinge anders. Dies war sein Club, und er würde damit erfolgreicher werden, als es sich der Earl je vorstellen konnte.

„Wo ist der Besitzer dieses Hauses?“, fragte Lord Westleigh mit dröhnender Stimme. „Ich will ihn sprechen.“

Rhys wandte sich einem der Croupiers zu und überprüfte die Faro-Karten. Es sollte nicht wirken, als würde er nach Westleighs Pfeife tanzen.

Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie jemand seinem Vater zeigte, wo er zu finden war.

Als sich der Earl näherte, sträubten sich Rhys die Nackenhaare.

„Rhysdale!“ Westleigh ließ den Namen wie einen Befehl klingen.

Rhys antwortete nicht sofort, sondern legte den Kartenstapel wieder in Ruhe auf den Ständer.

Dann drehte er sich langsam um. „Lord Westleigh“, sagte er tonlos.

„Ich wollte mir doch ansehen, worüber die Leute so reden – eine Spielhölle mit Maskerade.“ Er lachte verächtlich.

„Was möchten Sie spielen?“, fragte Rhys kühl.

„Ich möchte Faro spielen“, sagte der Begleiter des Earls. „Das habe ich schon jahrelang nicht mehr gemacht.“

Rhys wandte sich an Westleigh. „Und Sie, Sir. Was bevorzugen Sie?“

Der Earl hatte sich zur Tür gedreht, deren Schwelle gerade von der maskierten Frau überschritten wurde, auf die Rhys schon den ganzen Abend gewartet hatte.

„Ich bevorzuge die“, murmelte der alte Mann.

Rhys ballte erneut die Hände zu Fäusten.

Er stellte sich direkt vor Westleigh, sodass ihm die Sicht auf die Frau versperrt war. „Dies ist ein Spielclub und nichts anderes. Haben Sie das verstanden?“ Er sprach mit fester Stimme. „Die Damen, die hier spielen, werden in Ruhe gelassen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“

Der Earl presste die Lippen aufeinander. „Meine Söhne haben mir erzählt, dass das Geschäft gut läuft. Stimmt das?“

„Ja, das stimmt.“ Rhys nahm an, dass der Earl wegen seines Anteils gekommen war. Doch er würde kein Geld sehen, bevor er nicht seinen Teil der Vereinbarung erfüllte.

„Aber bisher haben Sie meinen Söhnen keinen Penny bezahlt.“ Westleigh besaß auch noch die Frechheit, ihn erzürnt anzublicken.

„Sie haben die Auszahlung aufgehalten“, erwiderte Rhys erbost.

„Nun, gut, das ist kompliziert.“ Westleigh sah an ihm vorbei.

Rhys lachte leise. „Ich kann mir vorstellen, dass es Ihnen unangenehm ist.“ Er schüttelte den Kopf. „Mir ist es gleichgültig, ob Sie Ihr Wort halten oder nicht. Dieser Club macht mich reich.“ Er ließ den alten Mann stehen und ging zu einem der anderen Tische.

Kaum hatte Celia den Spielsaal betreten, hielt sie nach Rhysdale Ausschau. Er stand neben einem älteren Gentleman, der kostspielig gekleidet war und den sie noch nie gesehen hatte.

Sie ging durch den Saal und erwiderte die Grüße von Spielern, für die sie inzwischen eine vertraute Gestalt war. Längst brauchte sie Rhysdale nicht mehr, um Spielpartner zu finden.

Sie ging an Xavier Campion vorbei. Dieser Mann schien sie immer im Auge zu behalten. Doch es war nicht wie bei den anderen Gentlemen. Sie hätte schwören können, dass er sie mit Argwohn betrachtete.

Wenig später saß sie mit geeigneten Spielpartnern an einem Tisch und sortierte ihre Karten.

Rhysdale hatte sich inzwischen von dem älteren Gentleman entfernt, und seine Miene wies auf unterdrückten Zorn hin. Sie glaubte nicht mehr, dass er sich besonders um sie kümmerte, weil er sie des Betrugs verdächtigte. Im Gegenteil, sie genoss seine Freundlichkeit. Wenn er in ihrer Nähe war, kam es ihr vor, als ob die Luft knisterte, wie es manchmal vor einem heftigen Sommergewitter der Fall war.

Zu ihrem Entsetzen hatte sie an diesem Abend kein Glück mit ihren Karten. Dennoch gab sie nicht auf, in der Hoffnung, das nächste Blatt würde die entscheidende Wende bringen. Doch je später es wurde, desto mehr schrumpfte der Stapel Jetons vor ihr. Sie hatte bereits die Hälfte des Geldes verloren, das sie eingesetzt hatte.

Celia sah auf die verbliebenen Spielmarken und kam zur Besinnung. Halt! Hör auf, bevor du mit nichts heimkehrst! ermahnte sie sich selbst.

Sie stand auf. „Ich muss mich verabschieden.“

Bevor die anderen am Tisch Einspruch erheben konnten, war sie bereits auf dem Weg zum Kassierer. Sie wollte die Jetons sofort eintauschen, um nicht in Versuchung zu geraten, an die Spieltische zurückzukehren.

Es war erst zwei Uhr morgens und viel zu früh, um draußen auf die Kutsche zu warten. Nachdem sie das Spielgeld eingelöst hatte, begab sie sich in den Supper Room. Sie war nicht hungrig, wollte jedoch ein Glas Wein trinken, um ihre Nerven zu beruhigen.

Viele Tische waren besetzt, doch ihr Blick fiel sofort auf jenen, an dem sie am ersten Abend mit Rhysdale gespeist hatte.

Er saß tatsächlich dort und starrte mit einem Glas in der Hand ins Leere.

Sie ging auf ihn zu und hatte das Gefühl, sich zu einem Freund zu gesellen. „Guten Abend, Rhysdale.“

Überrascht sah er hoch und lächelte. „Die Dame mit der Maske.“ Er stand auf und rückte einen Stuhl für sie vor. „Wollen Sie sich zu mir setzen?“

Sie nahm Platz.

„Was möchten Sie? Soll ich Ihnen einen Imbiss zusammenstellen?“, fragte er.

Sie seufzte. „Ich möchte nur ein Glas Rotwein.“

Er gab einem der Angestellten ein Zeichen. „Wie war Ihr Abend?“, erkundigte er sich.

„Nicht gut“, antwortete sie.

Als ihr Wein serviert wurde, trank sie in einem Zug das Glas halb leer.

Rhys hob die Brauen. „Bringen Sie eine Flasche“, wies er den Bediensteten an, bevor er sich wieder zu ihr wandte. „Dann haben Sie also verloren.“

Sie trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. „Ja.“

Tröstend ergriff er ihre rechte Hand. „Sind Sie in einer Notlage?“

Sie sah ihm in die Augen, in denen sich aufrichtige Besorgnis widerspiegelte. Obwohl sie Handschuhe trug, spürte sie die beruhigende Wärme seiner Hände.

„Ich komme zurecht“, erwiderte sie, auch wenn es ihr an Zuversicht mangelte.

„Ich kann Ihnen Geld leihen“, bot er an.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich werde mich davor hüten, etwas von Geldverleihern zu borgen.“

Seine Augen funkelten. „Ich bin kein Geldverleiher. Ich biete es Ihnen als Freund an.“ Er fuhr mit einem Finger am rechten Rand ihrer Maske entlang. „Verraten Sie mir, wer Sie sind?“

Seine sanfte Berührung ließ sie erstarren, derweil ihr Herz wie wild pochte.

„Ich bin niemand“, sagte sie mit dem Brustton der Überzeugung. Keiner hatte ihrer Person je Beachtung geschenkt oder Rücksicht auf sie genommen.

Sie schaute ihm in die Augen.

Er schien seinen Vorschlag ernst gemeint zu haben. Sie hatte das Gefühl, ihm vertrauen zu können. Würde er ihr wirklich Geld leihen? Und was war dann? Ohne zu gewinnen, konnte sie es ihm nicht zurückzahlen.

Sie erschauderte, als sie an ihren Vater dachte. Er musste sogar ihr Pony verkaufen, um die Geldverleiher zu bezahlen. Das Leben danach war zumeist voller Entbehrungen gewesen.

Schließlich war der Tag gekommen, an dem ihr die Mutter eine viel schlimmere Nachricht als den Verlust des Ponys überbracht hatte. Ihr Vater war tot. Man hatte ihn beim Kartenspiel des Betrugs bezichtigt, und ein Mann – ein Earl – hatte ihn anschließend im Duell getötet.

„Ich brauche keinen Kredit“, sagte sie.

Sie trank das Glas Wein aus, nachdem der Bedienstete eine Flasche auf den Tisch gestellt hatte. Rhysdale schenkte ihr nach.

Nach den Verlusten des heutigen Abends würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als mit Adele und der Schwiegermutter in ein deutlich bescheideneres Quartier zu ziehen, das sie mit ihrem Witwengeld bezahlen konnte. Sie musste das Personal entlassen, und Adeles Chancen, eine gute Partie zu machen, verringerten sich drastisch.

Sie beschloss, von sich abzulenken. „Was ist mit Ihnen, Rhysdale? Als ich heute Abend ankam, wirkten Sie, als ob Sie gerade eine Menge Geld verloren hätten.“

Seine Mundwinkel zuckten. „Das Haus verliert nie, das wissen Sie doch. Das Geschäft läuft gut.“

Sie lächelte. „Das freut mich für Sie. Jedes Mal, wenn ich hier bin, scheint die Zahl der Spieler weiter gewachsen zu sein.“

„Und die der Spielerinnen ebenfalls.“ Erneut berührte er ihre Maske. „Die Sache mit der Verkleidung scheint keine schlechte Idee gewesen zu sein.“

„Für mich war das jedenfalls gut.“

Er lehnte sich zurück. „Bis heute.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich muss darüber nachdenken, ob ich wiederkomme, um die Verluste auszugleichen.“

„Möchten Sie damit etwa andeuten, dass Sie vielleicht zum letzten Mal da sind?“

Sie schwieg einen Moment. „Ich sollte es besser aufgeben.“

„Sagen Sie das bloß nicht!“

Ihr Herz fing wieder an, wie wild zu pochen. Sie trank noch einen Schluck Wein. „Es kommt doch nicht auf eine Spielerin an, oder?“

Er antwortete nicht sofort und sah sie eindringlich an. „Ich glaube, eine ganze Reihe Männer lassen sich allabendlich nur hier blicken, weil sie sich Hoffnungen machen, mit Ihnen spielen zu können“, sagte er schließlich.

Sie lachte. „Das meinen Sie nicht ernst.“ Gewiss hatten die Gentlemen, mit denen sie bisher gespielt hatte, erkannt, dass sie eine erfahrene Spielerin war. „Nach meiner heutigen Pechsträhne wird gewiss niemand mehr meinen Spielpartner abgeben wollen.“

„So gering schätzen Sie sich wert?“ Erneut sah er ihr in die Augen.

Sie blickte auf die Tischplatte. „Wer möchte schon mit einer Partnerin spielen, die verliert?“

„Ich habe einen Vorschlag“, sagte er schließlich. „Arbeiten Sie für mich.“ Weshalb hatte er nicht schon vorher daran gedacht?

„Was meinen Sie damit?“, fragte sie erschrocken. „Was soll ich denn tun?“

„Spielen“, beteuerte er eilig. „Nichts anderes.“ In seinem Kopf nahm die Idee bereits konkrete Gestalt an. „Ich bezahle Sie dafür, dass Sie spielen. Und dafür, dass Sie andere ermutigen, mitzuspielen.“

Ihre Augen funkelten skeptisch hinter der Maske. „Soll ich etwa betrügen?“

Er winkte ab. „Niemals! Sie sollen so spielen wie bisher, ohne jeden Vorteil.“

Sie sah ihn direkt an. „Wie viel würden Sie mir zahlen?“

Er nannte die erste Summe, die ihm in den Sinn kam. „Fünf Pfund pro Abend?“

„Fünf Pfund?“, wiederholte sie erstaunt.

War das genug? Er zahlte den Angestellten lediglich fünfzig Pfund im Jahr. „Das ist mehr als großzügig, Madam.“

Einen Moment saß sie ganz ruhig da und schien zu rechnen.

„Ich brauche Geld, Sir. Fünf Pfund sind gewiss großzügig, aber wenn meine Aufgabe darin besteht, zu spielen, kann ich keine hohen Einsätze riskieren. Außerdem kann ich rasch alles verlieren.“

Damit hatte sie nicht ganz unrecht. „Also gut, dann statte ich Sie mit einem entsprechenden Einsatz aus.“ Er dachte einen Augenblick nach. „Sagen wir, hundert Pfund. Am Ende jedes Abends geben Sie den Einsatz an mich zurück, behalten aber Ihre Gewinne. Falls Sie verlieren, geht das zulasten meines Einsatzes.“ Wenn sie zu häufig verlor, würde er den Vorschlag überdenken. Er rechnete jedoch damit, dass sie mehr Geld einbrachte, als sie verlor.

Jetzt wirkte sie ernsthaft interessiert. „Erhalte ich trotzdem fünf Pfund pro Abend?“

Ein solcher Narr war er nun auch wieder nicht. „Zwei Pfund und Ihre Gewinne.“

Erneut schien sie zu rechnen. Wie sie wohl unter der Maske aussah? Wie gern hätte er sie ihr vom Gesicht genommen, um den Schatz dahinter zu entdecken.

Sie öffnete ihren verlockenden Mund, und er konnte an nichts anderes mehr denken, als daran, ihre Lippen zu küssen. Sie würde auf seinen Vorschlag eingehen – er spürte es.

Celia war in großer Versuchung. Er hatte ihr eine Möglichkeit angeboten, zu spielen, ohne das Risiko, Geld zu verlieren. Was konnte es Besseres geben? Selbst wenn sie sich dem Rausch des Spiels überließ, konnte sie nicht in Gefahr geraten.

Es schien, als ob er ihr die Zukunft, die sie sich so gewünscht hatte, auf einem silbernen Tablett servierte. Auf diese Weise konnte sie Adele eine gute Partie ermöglichen und sich dann auf das Land zurückziehen und ein bescheidenes, aber selbstbestimmtes Leben führen.

Er drängte sie nicht, sondern schenkte ihr ein weiteres Glas Wein ein und wartete ab.

Er hatte ihr dieses Angebot als Freund gemacht. Doch wann hatte sie zuletzt einen Freund gehabt? Eigentlich hatte sie nie einem Mann trauen können. Selbst ihr geliebter Vater hatte ein Versprechen nach dem anderen gebrochen.

Rhys sah sie verständnisvoll an. „Sie müssen nicht sofort eine Entscheidung treffen. Kommen Sie am Nachmittag zu mir, dann können wir in Ruhe darüber reden.“ Er senkte die Stimme. „Wenn Sie die Anstellung ablehnen, bleibt mein Angebot bestehen, Ihnen Geld zu leihen.“

Tränen traten ihr in die Augen. „Sie sind sehr freundlich, Rhysdale.“

Er lächelte. „Sagen Sie das bloß nicht zu laut, sonst ruinieren Sie meinen Ruf.“

Sie musste beinahe lachen.

Gerade betrat eine Gruppe von Gentlemen den Supper Room, und sie kam zur Besinnung. „Wie spät ist es?“ Sie zog ihre Uhr aus dem Retikül. „Ich muss aufbrechen.“

Rhys begleitete sie hinaus.

Als sie auf der Straße standen, umschloss er ihre Hände. „Kommen Sie heute Nachmittag.“ Sanft drückte er ihre Finger. „Verlassen Sie mich nicht.“

Sie blinzelte und musste schlucken. „Schon gut, ich werde kommen.“

Dankbar lächelte er sie an und beugte den Kopf vor.

Celia spürte ihren wilden Herzschlag. Obgleich sie ihn besser von sich stoßen sollte, wünschte sie sich nichts sehnlicher, als von ihm in die Arme genommen zu werden.

Das Klappern von Hufen näherte sich, und er trat einen Schritt zurück. Jonah hielt die Pferde vor ihnen an. Rhys öffnete den Wagenschlag und half ihr in die Kutsche.

Sie sah ihn noch einmal an. „Ich werde für Sie arbeiten.“

Er strahlte. „Wirklich?“

„Ja.“ Sie lächelte.

Einen Moment lang sah es aus, als ob er sie an sich ziehen und küssen würde. Stattdessen strich er ihr zärtlich unterhalb der Maske über eine Wange. „Dann reden wir am Nachmittag über die Einzelheiten.“

„Bis dann“, flüsterte sie.

Er schloss den Wagenschlag und trat zurück.

Als die Kutsche losfuhr, schlug ihr Herz im Galopp. Hatte sie sich davor gefürchtet, dass er sie küsste, oder hatte sie sich danach gesehnt, seine Lippen auf ihren zu spüren?

5. KAPITEL

Aufgeregt setzte Celia den Hut auf und zog Handschuhe an, um sich zeitig zu dem Gespräch mit Rhysdale auf den Weg zu machen.

In diesem Moment kam ihre Schwiegermutter die Treppe hinunter. „Wohin gehen Sie?“

Celia hatte gehofft, unbemerkt aus dem Haus zu schlüpfen. „Ich habe etwas zu erledigen, bin aber bald wieder zurück.“

„Aha!“, sagte Lady Edna Gale. „Ich nehme an, dass Sie mir nicht erzählen wollen, worin diese Erledigung besteht?“

„Richtig.“ Celia lächelte.

„Höchstwahrscheinlich bitten Sie einen Geschäftsinhaber um mehr Kredit, obgleich er sich eigentlich glücklich schätzen müsste, Aufträge von uns zu erhalten. Sie werden sich wohl kaum mit einem Liebhaber treffen. Mein Sohn hat immer gesagt, dass Sie gefühlskalt und unfruchtbar sind.“

Diese spitze Bemerkung traf Celia wie ein Messerstich.

Die Grausamkeit der Schwiegermutter war nur von der ihres Sohnes übertroffen worden. Paradoxerweise war die alte Baroness gegenüber den Fehlern ihres Sohnes vollkommen blind, wohingegen sie großes Vergnügen daran fand, ihr immer wieder ihre Schwächen aufzuzeigen.

Celia wusste, dass aus Lady Edna Gales Sicht ihre vorrangige Unzulänglichkeit natürlich in ihrer Unfähigkeit, ein Kind zu bekommen, bestand. Weder ihr verstorbener Gatte noch seine Mutter hatten ihr je verziehen, keinem Sohn das Leben geschenkt zu haben. Beide hatten nie einen Gedanken daran verschwendet, wie niederschmetternd die Kinderlosigkeit für sie selbst war.

Sie schloss die Bänder ihres Huts. „Denken Sie so schlecht wie Sie wollen von mir, aber sprechen Sie Ihre Gedanken wenigstens nicht laut aus.“ Sie öffnete die Tür. „Ich bin in ungefähr einer Stunde zurück.“

Younie hatte ihr einen Netzschleier an den Hut genäht. Als sie auf das Trottoir trat, zog Celia ihn über das Gesicht. Auf diese Weise würde niemand sie erkennen, wenn sie den Masquerade Club betrat.

Draußen war es kühl, und sie ging zügig, um den Ärger über die Schwiegermutter aus ihren Gedanken zu vertreiben.

Lady Edna Gale wusste nur zu gut über die Ausschweifungen ihres Sohnes Bescheid, dennoch zog sie es noch immer vor, ihre Schwiegertochter für die finanzielle Misere verantwortlich zu machen. Celia hatte nichts von Männern gewusst, als ihre Tante und ihr Onkel die Ehe mit Baron Gale arrangiert hatten. Sie war noch viel zu jung und ganz benommen vom Tod ihrer Eltern gewesen.

Das Einzige, was Gale von ihr gewollt hatte, war ein Erbe. Als sie diesen Wunsch nicht erfüllen konnte, hatte er sie mit Verachtung gestraft, wo es nur ging. Das Leben war für sie nur erträglich gewesen, wenn er sich in London aufgehalten hatte.

Sie hatte nicht geahnt, dass er sein ganzes Vermögen verschwendete und nur das unberührt ließ, worauf er keinen Zugriff hatte: ihr Witwengeld und Adeles Mitgift.

Nach Gales Tod hatte sie Trauer getragen, doch sie hatte ihm nie eine Träne nachgeweint. Sein Tod war für sie eine Befreiung gewesen.

Erst als sie in den Park Place einbog, wurde ihr wieder bewusst, wohin sie unterwegs war. Der Masquerade Club befand sich nur wenige Straßen von ihrer Wohnung entfernt, und dennoch war es, als ob er in einer anderen Welt läge.

Als sie den Türklopfer betätigte, zitterten ihre Hände.

Zum ersten Mal würde er ihr Gesicht sehen …

Umgehend wurde ihr geöffnet. Der kräftige Mann, der abends den Eingang bewachte, stand im Türrahmen.

Celia lächelte. „Guten Tag. Ich habe eine Verabredung mit Mr Rhysdale.“

Der Mann nickte und führte sie in ein elegant eingerichtetes Wohnzimmer im zweiten Stock. Dann ließ er sie allein.

Einen Moment später erschien Rhysdale. „Madam?“

Sie drehte sich zu ihm und lüftete den Netzschleier. Mit einem Mal hatte sie Angst, dass ihm ihr Gesicht nicht gefallen könnte.

Lächelnd forderte er sie auf, Platz zu nehmen. Sie setzte sich auf das dunkelrote Sofa. Er nahm in einem Sessel daneben Platz. „Ich habe uns Tee bestellt.“

Im Tageslicht beeindruckte Rhysdale sie noch mehr. Er war so gepflegt und untadelig gekleidet wie ein modebewusster Gentleman, auch wenn es ihm gelang, die Kleidung so lässig zu tragen, als wäre er gerade von einem morgendlichen Ausritt heimgekehrt. Seine Augen, die im Spielsaal so dunkel wie die Nacht wirkten, changierten in einer faszinierenden Mischung aus Umbra und Bernstein, sobald sie vom Sonnenlicht erhellt wurden.

Er wandte die Blicke nicht von ihr ab, doch zugleich wirkte seine Miene teilnahmslos. Enttäuschte sie ihn? Sie war größer als die meisten Frauen. Ihr Hals war zu lang, ihr Gesicht zu schmal, ihre Lippen waren zu voll, ihre Haare von einem zu schlichten Braunton … Beinahe hörte sie ihren verstorbenen Gatten ihre Mängel auflisten.

Aber was dachte Rhysdale?

Und warum lag ihr so viel an seiner Bewunderung?

Er blinzelte. „Ich nehme an, dass Sie Ihre Meinung über meinen Vorschlag nicht geändert haben.“

Sie schluckte. „Sonst wäre ich nicht gekommen.“

Er lächelte. „Dann wäre es vielleicht angebracht, dass Sie sich kurz vorstellen.“

Wenigstens darauf war sie vorbereitet. Er wäre ein Narr gewesen, wenn er sie eingestellt hätte, ohne ihren Namen zu erfahren.

Sie hatte bereits beschlossen, ihm ihren wahren Namen zu nennen – ihren Mädchennamen.

„Ich bin Celia Allen, Sir.“ Sie streckte ihm die behandschuhte Rechte entgegen.

Er ergriff die Hand, hielt sie jedoch eher fest, als sie zu schütteln. „Miss Allen oder Mrs Allen?“

Sie zog die Hand zurück. „Miss Allen.“

Rhys hatte das Gefühl, dass ihm mit ihrer Hand zugleich etwas Kostbares entglitt. Nachdem er ihr Gesicht erblickt hatte, begehrte er sie mehr denn je.

Mit ihrem schlanken Hals und den auffallend wachsamen Augen, die wie Moos in der Dämmerung schimmerten, erinnerte sie ihn an ein Reh. Sie schien nicht in die Stadt zu passen, schien einzig für das Leben auf dem Land geschaffen. Die Natürlichkeit ihrer rosigen Wangen und der himbeerfarbenen Lippen wirkte, als ob sie in London fehl am Platz wäre.

Sie Miss Allen zu nennen, erschien ihm falsch. Er war ihr gegenüber an keinen Förmlichkeiten interessiert.

„Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Sie mit Celia anrede?“, fragte er. „Sie können mich gern Rhys nennen.“

Sie errötete. „Wenn Sie es so möchten. Allerdings nicht im Club.“

Autor

Diane Gaston
<p>Schon immer war Diane Gaston eine große Romantikerin. Als kleines Mädchen lernte sie die Texte der beliebtesten Lovesongs auswendig. Ihr Puppen ließ sie tragische Liebesaffären mit populären TV- und Filmstars spielen. Damals war es für sie keine Frage, dass sich alle Menschen vor dem Schlafengehen Geschichten ausdachten. In ihrer Kindheit...
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