Der Prinz, der die Liebe vergaß

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"Suchen Sie etwas?" Mykals vertraute Stimme lässt Janis’ Herz schneller schlagen. Oh ja. Immer noch zutiefst verletzt vom plötzlichen Ende ihrer leidenschaftlichen Ehe, sucht sie nach Antworten. Aber er scheint sie noch nicht einmal wiederzuerkennen


  • Erscheinungstag 17.01.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733739058
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Mykal öffnete langsam die Hände, in denen er etwas Wertvolles zu verbergen schien. Es war ein Schmetterling. Der schönste, den Janis jemals gesehen hatte. Die zarten rosa-weißen Flügel schimmerten fast silbern im Sonnenlicht.

„Vorsicht“, rief sie. „Tu ihm nicht weh.“

Er schaute sie belustigt an. „Das würde ich nie tun.“ Seine Stimme klang fast heiser. „Ich wollte nur, dass du ihn siehst. Er ist so wunderschön, und so zart …“, sagte er, so leise, dass sie ihn kaum hören konnte. „Er erinnert mich an dich.“

Sie schaute ihm in die Augen, diese Augen, deren Blau so klar und rein war wie ein Kristall. Sein Anblick nahm ihr beinahe die Luft zum Atmen.

„Oh, Mykal“, flüsterte sie. Ihr kamen fast die Tränen. Meinte er, was er sagte? In ihrem Leben hatte es so viele Lügen gegeben, dass sie es kaum noch wagte, irgendjemandem zu vertrauen. Schließlich lachte sie beglückt.

Das schien den Schmetterling zu erschrecken. Er flog davon, ließ sich vom Küstenwind tragen und kreiste über ihnen, immer höher und höher.

Sie schauten ihm nach, bis er sich in der Unendlichkeit des blauen Himmels verlor. Janis hakte sich bei Mykal ein und seufzte.

„Weißt du was, Mykal? Dieser Schmetterling, das war mein Herz. Du hast es befreit.“ Wieder schaute sie ihm forschend in die Augen in der Hoffnung, dass er genauso empfand wie sie. „Ich wusste nicht, dass das Leben so sein kann.“

Er nahm sie in die Arme und lächelte. „Ich auch nicht“, erwiderte er zärtlich. „Ich wusste nicht, was Liebe ist, bevor du da warst.“

Er küsste sie. „Versprich mir, dass es immer so bleiben wird zwischen uns“, murmelte er, „versprich mir, dass wir diesen Tag niemals vergessen, und dass wir niemals vergessen, was wir dabei empfunden haben.“

„Ich verspreche es.“ Sie schlang ihm die Arme um den Nacken. „Und ich sage dir, es wird noch besser werden.“

1. KAPITEL

Noch besser. Noch besser.

Ihre eigenen Worte hallten in ihr wider wie ein Echo, sosehr Janis auch versuchte, sie zu verdrängen. Das war damals. Und jetzt war heute. Wie feierte man den Tod einer romantischen Liebe?

Gar nicht. Man versuchte einfach zu überleben.

Hier stand sie nun, vor dem Haus von Mykals Familie, und war bereit mit einem Federstrich offiziell zu beenden, was ihnen noch vor wenigen Monaten so viel bedeutet hatte. Sie schlang die Finger um die Stäbe des schmiedeeisernen Zauns, der alle fernhalten sollte, die nicht hierher gehörten.

Wie zum Beispiel mich. Ganz besonders mich.

Der Bürgerkrieg war schuld. Das sagten alle. Das hatte sie sich selbst auch gesagt, als sie Mykal Marten heiratete, einen Mann, den sie damals kaum drei Monate gekannt hatte. Ihre Ehe war voller Leidenschaft gewesen, sehr intensiv, und hatte doch nur kurz gehalten. Sie waren kaum ein halbes Jahr zusammen gewesen, und doch erschien es ihr wie ein ganzes Leben.

Sie und Mykal hatten sich freiwillig zum militärischen Nachrichtendienst gemeldet. Beide hatten ein hartes Training absolviert, und als sie einander begegneten – damals ging der Krieg gerade seinem Ende entgegen –, schienen sie das perfekte Paar zu sein. Janis konnte kaum glauben, dass der Mann, den sie geheiratet hatte, in dieser … schlossartigen Villa aufgewachsen war. Hier wohnten offenbar reiche Leute. Sehr reiche Leute.

Mykal und sie hatten nie viel über ihre Familien und ihre Kindheit gesprochen. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass er über seine Vergangenheit genauso wenig redete wie sie über ihre. Sie hatte darauf vertraut, dass er nicht insgeheim eine Familie mit Verbindungen zur Mafia hatte, im Gegensatz zu ihr selbst. Allerdings redete sie darüber mit niemandem außer mit ihrem Bruder Rolo.

Nun stand sie also vor dem prachtvollen Anwesen, das man ihr als Mykals jetzige Adresse genannt hatte, und versuchte den Mut aufzubringen, zu klingeln und darum zu bitten, mit ihm sprechen zu dürfen. Sie gehörte nicht hierher. Ihr Herz klopfte heftig, und ihre Knie fühlten sich an wie Gummi. Sie hatte Angst.

Vor allem hatte sie Angst vor ihren eigenen Gefühlen. Würde sie noch einmal zulassen, dass Mykal auf ihnen herumtrampelte? Würde es ihr gelingen, die Erinnerung an die bitterste aller Enttäuschungen wachzuhalten, wenn sie in seine wundervollen blauen Augen schaute?

Sie musste es schaffen. Es ging nicht mehr nur um ihr Leben. Sie konnte es sich nicht leisten, der Stimme ihres Herzens zu folgen. Zwei Monate unter Arrest hatten sie gelehrt, mit dem Träumen aufzuhören. So war das, wenn einen der Mann, den man für die Liebe seines Lebens gehalten hatte, der Geheimpolizei auslieferte.

Sie blickte auf die Messinglocke, mit der sich Besucher ankündigen sollten. Was sollte sie dem Diener sagen? Sie musste sich irgendwie Zutritt verschaffen, um ein letztes Mal mit Mykal zu sprechen.

Mykal. Immer noch raubte ihr allein der Gedanke an ihn den Atem. Sie musste sich besser unter Kontrolle haben. Er liebte sie nicht mehr. Das stand fest. Sie brauchte nur seine Unterschrift auf ein paar amtlichen Schriftstücken. Danach konnte sie die allerletzte Brücke zu ihm abbrechen und fortgehen, ohne einen Blick zurück.

Ihre Hände zitterten. Die Reise hierher war lang und beschwerlich gewesen. Würde sie sich gut genug im Griff haben, um das hier hinter sich zu bringen? Sie musste.

Die Straße war menschenleer. An den Büschen in den Vorgärten zeigte sich erstes Grün. Es dämmerte schon fast.

„Und jetzt?“, murmelte sie. „Soll ich klingeln? Was soll ich tun, wenn keine Besucher erwünscht sind?“

Mit lautem Sirenengeheul bog plötzlich ein Krankenwagen in die Straße ein. Janis sprang zur Seite und versteckte sich hinter einem Busch. Aus irgendeinem Grund war sie sicher, dass der Wagen zu diesem Haus fahren würde. Unklar war nur, ob er jemanden brachte oder abholte. Und tatsächlich, die schmiedeeisernen Tore öffneten sich.

Geistesgegenwärtig erkannte sie ihre Chance, ungehindert ins Haus zu kommen. So unauffällig wie möglich schlüpfte sie mit dem Wagen durch das offene Tor. Sie trug noch immer den dunkelblauen Overall, den man ihr im Arrest aufgezwungen hatte, und jetzt war sie sogar froh darüber. Wenn man sie sah, würde man sie für einen Bediensteten halten oder für jemanden, der zum Krankenwagen-Team gehörte. So hatte sie eine Chance, Mykal zu finden, bevor man sie hinauswarf.

Der Wagen wendete und fuhr langsam rückwärts auf die breite Eingangstreppe zu. Ein Mann, der offenbar zum Hauspersonal gehörte, hatte bereits die zweiflügelige Eingangstür geöffnet und kam jetzt die Stufen herab. Janis ging die Stufen hinauf und schien unbemerkt zu bleiben, da jedermanns Aufmerksamkeit auf die Tür des Krankenwagens gerichtet war, die sich jetzt öffnete. Ein Sanitäter sprang heraus und rief dem Fahrer Anweisungen zu.

Janis war schon fast im Haus, als eine Stimme sie zum Stehen brachte.

„Hey.“

Sie zuckte zusammen und blickte sich um. Einer der Sanitäter schaute vom Krankenwagen zu ihr herüber.

„Hallo, junge Frau“, sagte er. „Können Sie mal nachschauen, ob drinnen alles für ihn bereit ist?“

„Oh.“ Fast hätte Janis vor Erleichterung aufgelacht. „Natürlich. Kein Problem.“

„Danke.“

Diese Frage wäre also geklärt. Es wurde jemand gebracht, nicht abgeholt.

Noch ein paar Stufen, und sie hatte es geschafft. Sie verschwendete kaum einen Blick an das prachtvolle Foyer oder die geschwungene Treppe, die zum ersten Stock führte. Sie musste Mykal finden, und in diesem riesigen Haus würde das nicht einfach sein.

„Ja bitte? Was kann ich für Sie tun?“

„Oh!“

Janis fuhr herum. Ein Mann in Uniform stand vor ihr. Erwischt. Jetzt musste sie sich schnell etwas einfallen lassen. Zum Glück hatte sie Erfahrung mit solchen Situationen.

„Ich bin mit dem Krankenwagen gekommen“, sagte sie, darauf bedacht, nicht offensichtlich zu lügen. Sie blickte hinaus zu dem Krankentransporter, der jetzt mit der Rückseite direkt an der Eingangstreppe stand. Die Doppeltür stand offen. Jemand wurde auf eine fahrbare Trage umgebettet. Janis schaute noch einmal hin und blinzelte. Es war ein Mann … und er sah sehr vertraut aus.

Ihr blieb fast das Herz stehen.

Mykal!

Für eine Sekunde wurde ihr schwarz vor Augen. Mykal war verletzt oder schwer krank. Liebe, Sehnsucht, Verlangen – all diese intensiven Gefühle waren plötzlich wieder da. Der Zorn, der Schmerz, der Verrat – all das verschwand, löste sich in nichts auf. Mykal war verletzt. Alles in ihr schrie danach, zu ihm zu gehen.

Aber das konnte sie nicht. Sie sah, dass er den Kopf bewegte. Er nickte sogar, als ein Sanitäter etwas zu ihm sagte. Erleichtert atmete sie auf. Wenigstens war er nicht bewusstlos.

Doch was war mit ihm? War er verwundet? Oder schwer krank? Schnell wurde ihr klar, wie sie vorgehen musste. Für die Bewohner der Villa musste sie so handeln, als gehöre sie zu den Sanitätern, für die Sanitäter so, als gehöre sie zum Hauspersonal. Also musste sie vorerst so tun, als ob sie Mykal nicht kennen würde. Solange sie keine Gelegenheit hatte, mit ihm allein zu reden, durfte niemand erfahren, wer sie war oder weshalb sie hier war. Man konnte nie wissen, vielleicht gab es ja die Order, sie von Mykal fernzuhalten.

Es würde alles andere als einfach werden, aber sie musste bis dahin unbedingt vermeiden, dass Mykal sie entdeckte. Wenn er jetzt aufblickte und sie erkannte …

All diese Gedanken gingen ihr innerhalb von Sekunden durch den Kopf. Aufgrund ihres Trainings wusste sie, dass sie sich vor allem so verhalten musste, als würde sie dazugehören. Sie drehte sich zu dem Diener um und setzte ein professionelles Lächeln auf.

„Könnten Sie mir bitte sein Zimmer zeigen? Ich würde gerne nachschauen, ob es seinen Bedürfnissen entsprechend ausgestattet ist.“

Der Mann zögerte einen Moment. Sah sie da so etwas wie Misstrauen in seinem Blick aufflackern? Er sagte jedoch nichts, verbeugte sich nur und führte sie an der riesigen geschwungenen Treppe vorbei zu einem Raum im hinteren Teil des Gebäudes.

„Wir haben uns für dieses Zimmer hier entschieden, um ihm fürs Erste die Treppe zu ersparen“, erklärte er. Janis nickte und warf rasch einen Blick hinein. Die Worte des Dieners verwirrten sie. Brauchte Mykal einen Rollstuhl? War er gelähmt? Es lief ihr kalt den Rücken herunter.

„Sieht gut aus“, sagte sie, nachdem sie alles gründlich in Augenschein genommen hatte. Es gab sogar ein angrenzendes Bad. Alles in allem war es größer und schöner als irgendein Apartment, das sie selbst je bewohnt hatte. „Ich bin sicher, dass er hier gut zurechtkommen wird.“

Janis hörte einen der Sanitäter rufen und blickte kurz in die Richtung. „Vielen Dank, ich komme jetzt ohne Sie zurecht“, sagte sie. „Vielleicht werden Sie dort mehr gebraucht.“

„Natürlich.“ Wieder bedachte der Diener sie mit einem skeptischen Blick, doch dann folgte er ihrem Vorschlag und ließ sie allein. Erleichtert seufzte sie und ließ sich auf das Bett sinken. Sie beugte sich vor und stützte den Kopf in beide Hände. Worauf hatte sie sich da eingelassen? Sie kam sich vor wie bei einem ihrer Undercover-Einsätze. Es war fast schon zum Lachen.

Mykal war irgendwie verletzt oder krank, aber darüber konnte sie jetzt nicht nachdenken. Sie brauchte nur etwas Zeit, um mit ihm allein sprechen zu können, bevor jemand sie aus dem Haus warf. Ihr war völlig klar, dass dieser Jemand durchaus Mykal selbst sein könnte.

Einen Moment lang schloss sie die Augen und versuchte, innerlich zur Ruhe zu kommen. Sie hatte es sich so einfach vorgestellt. Der Zorn auf Mykal schwelte schon so lange in ihr. Sie hatte geplant, ihn aufzusuchen und ihm die Wahrheit ins Gesicht zu schleudern. Sie war so bereit dazu gewesen, so voller Wut und Bitterkeit, sie hatte geglaubt, es würde kein Problem für sie sein. Aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass er verletzt sein könnte.

Ein Mann wie Mykal wurde nicht verletzt. Als Agentin hatte sie genug Abenteuer mit ihm gemeinsam überstanden. Er war ein Liebling der Götter, einzigartig, unbesiegbar. Wenn er undercover arbeitete, schien alles wie von selbst zu gehen. Safes öffneten sich ohne großen Widerstand. Frauen warfen sich ihm zu Füßen und verrieten ihm ihre intimsten Geheimnisse. Sein Lächeln öffnete Türen. Er wurde niemals erwischt, und er wurde niemals verwundet. Unfassbar, dass jemand dieses ungeschriebene Gesetz gebrochen haben sollte.

Janis stand auf und trat zur Seite, als Mykal hereingebracht wurde. Sie versuchte, sich unsichtbar zu machen. Zum Glück war der Diener nicht mit hereingekommen, sodass sie nur eine Rolle spielen musste. Die Sanitäter konzentrierten sich ganz auf ihre Arbeit und nickten ihr nur kurz zu.

Sie vermied es, Mykal anzuschauen. Sie hatte Angst vor ihrer eigenen Reaktion auf ihn. Das musste warten bis später … wenn es denn ein Später gäbe.

Da sprach er sie an.

„Hey, könnten Sie mir ein Glas Wasser bringen?“

Seine Stimme klang rau, angestrengt. Offenbar hatte er starke Schmerzen. Janis blickte auf, und ihre Blicke trafen sich für eine Sekunde, bevor er die Augen wieder schloss.

„Natürlich“, erwiderte sie. Ihr Herz schlug so heftig, dass sie sicher war, alle Anwesenden müssten es hören.

Er hatte sie nicht erkannt. Mit aller Gewalt musste Janis den Blick von seinem Gesicht losreißen, diesem Gesicht, das sie so sehr liebte. Trotz seines Zustandes wirkte er so attraktiv wie immer.

Sie holte tief Luft, stellte die Tasche mit ihren Unterlagen in eine Ecke und verließ das Zimmer. Was für ein Glück sie bis jetzt gehabt hatte. Mykal war nicht ganz er selbst, und es tat ihr weh, ihn in diesem Zustand zu sehen. Aber wenigstens hatte er sie nicht erkannt. Ein paar Minuten lang konnte sie noch frei atmen.

Janis ging in die Richtung, in der sie die Küche und den Diener vermutete. Und, tatsächlich, er nahm gerade einen kräftigen Schluck aus einer sehr verdächtig aussehenden Flasche, als sie durch die Tür trat. Rasch ließ er die Flasche verschwinden und räusperte sich.

Sie hatte wirklich Glück. Jetzt fühlte sie sich noch ein wenig sicherer.

„Wir richten gerade alles für ihn ein“, erklärte sie. „Wir hätten gerne ein Tablett mit einer Karaffe Wasser und einem Glas, er muss beides jederzeit in Reichweite haben.“

„Selbstverständlich.“ Der Diener begann sofort, alles für sie zusammenzustellen. „Mein Name ist übrigens Geronimo. Ich bin bis neun Uhr heute Abend im Dienst. Danach ist nur noch der Wachmann hier, aber den erreichen Sie jederzeit, wenn Sie die Neun auf dem Haustelefon wählen.“ Er gab ihr das Tablett. „Hier, bitte sehr. Oder soll ich …“

„Nein, ich mache das. Haben Sie vielen Dank.“

Sie wollte hinausgehen, doch er rief ihr nach.

„Signorina …“

Sie drehte sich um. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen.

„Ja?“

Einen Moment lang sagte er nichts und runzelte nur die Stirn. Sie hielt den Atem an. Schließlich zuckte er mit den Schultern und fragte nur: „Welche Speisen soll der Koch zubereiten?“

Janis biss sich auf die Unterlippe und versuchte, so zu tun, als würde sie überlegen. In Wirklichkeit war sie in Panik. Woher zum Teufel sollte sie das wissen? Sie hatte ja keine Ahnung, was genau mit Mykal passiert war.

„Da muss ich selbst noch einmal nachschauen“, erwiderte sie schnell. „Ich sage Ihnen dann Bescheid. Aber ich denke, das, was man im Allgemeinen als leichte Kost bezeichnet.“

Autsch, das klang nicht besonders authentisch, oder?

„Ich würde erst einmal eine Hühnersuppe machen“, fügte sie rasch hinzu.

Mit Hühnersuppe konnte man wohl nie etwas falsch machen. Hoffte sie.

„Ah ja. Danke, Signorina.“

„Kein Problem.“ Sie nickte dem Diener zu und ging hinaus.

Als sie weit genug von der Küche entfernt war, lehnte sie sich an die Wand und schloss die Augen. Was machte sie hier? Sie hatte nur in Mykals Nähe kommen wollen, ohne dass das Hauspersonal ihr in die Quere kam. Aber jetzt war daraus viel mehr geworden.

Komisch. Die Zeit unter Arrest hatte sie überbrückt, indem sie sich täglich vorgebetet hatte, was sie Mykal sagen würde. Das hatte ihr geholfen, nicht verrückt zu werden. Aber jetzt fiel es schwer, sich an die Worte zu erinnern. Alles war ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte.

In der Arrestzelle war sie fast durchgedreht. Erst war sie voller Angst gewesen, dann halb verrückt vor Wut und am Ende völlig verbittert, nachdem ihr klar geworden war, dass Mykal nicht kommen würde, um sie zu retten. Niemand würde kommen. Doch sie hatte Glück gehabt. Die königlichen Truppen hatten sie freigelassen.

Und Mykal – war er die ganze Zeit hier gewesen und hatte gelebt wie ein Fürst, während sie eingesperrt gewesen war? Wieder wurde ihr heiß vor Zorn. Aber Zorn war kein guter Ratgeber. Sie musste einen klaren Kopf bewahren.

Sie würde jetzt in sein Zimmer zurückgehen. Falls er eingenickt war, konnte sie immerhin noch so lange bleiben, bis die Sanitäter gingen. Was war ihm bloß zugestoßen? Eine schwere Krankheit? Eine schwere Verletzung? Wenn sie es doch nur wüsste und ihm helfen könnte.

Aber falls er wach war, dann würde ein Blick genügen. Zunächst wäre er wohl verblüfft, dass sie so dreist war, hierherzu kommen, doch dann würde er sie höchstwahrscheinlich aus dem Haus jagen, und aus seinem Leben. So wie er es nach ihrer letzten Begegnung getan hatte.

Janis atmete tief durch. Bald würde sie mit Mykal allein sein. Deswegen war sie gekommen, aber wenn sie ehrlich war, hatte sie genau davor die allergrößte Angst.

2. KAPITEL

„Drei, zwei, eins“, murmelte Janis, um sich selbst Mut zuzusprechen.

Sie würde Mykal gegenüberstehen, sie würde Forderungen stellen. Sie würde cool sein, beherrscht und konzentriert. Sie würde ihm alles sagen, was sie sich vorgenommen hatte. Sie würde es durchziehen, ohne Pardon.

Allerdings war sie noch nie gut darin gewesen, sich ihm gegenüber durchzusetzen. Ihre gemeinsame Zeit war sehr aufregend gewesen, voller Abenteuer, und niemals langweilig. Weder er noch sie hatten sich jemals Gedanken über Spielregeln gemacht, geschweige denn davon geredet. Vielleicht war ihre Beziehung deshalb von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen.

Zögernd stand sie vor der Tür zu Mykals Zimmer und lauschte. Es hörte sich an, als würden die Sanitäter aufbrechen. Im nächsten Moment öffnete sich die Tür.

„Ah, Sie bringen Wasser. Das ist gut“, sagte einer der Sanitäter.

„Im Moment ist alles in Ordnung, Signorina“, fügte der andere hinzu. Er schien zu glauben, dass sie für Mykals Wohlergehen zuständig war. „Hat man Sie über seinen Zustand genau unterrichtet?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Ich hatte gehofft, das würden Sie tun.“

„Selbstverständlich. Also, Sie wissen wohl, dass er schwer verletzt wurde, als er vor ein paar Wochen mit dem Motorrad über eine Mine fuhr.“

Das wusste sie nicht. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Es gelang ihr, sich nichts anmerken zu lassen, aber sie war zutiefst erschüttert.

„Dabei zog er sich einige Knochenbrüche zu, Organe wurden beschädigt, möglicherweise sogar das Gehirn, außerdem hat er Splitter im Rücken. Die meisten sind bereits entfernt worden, aber ein paar sehr kleine Stücke befinden sich noch ziemlich nahe am Rückenmark. Man hat noch nicht entschieden, wie man weiter vorgehen will.“

„Oh.“ Janis tastete nach einer Stuhllehne, um sich festzuhalten, doch ihr Gegenüber schien davon nichts zu bemerken.

„Wir haben die Rückenschiene ziemlich festgezurrt. Das wird ihm nicht gefallen, wenn er aufwacht. Aber Sie dürfen nichts daran verändern.“

„Kann er …“ Sie musste sich räuspern und neu ansetzen. „Kann er gehen? Ist er gelähmt?“

Der Sanitäter zögerte. „Bis jetzt nicht. Doch er muss ganz ruhig liegen. Keine körperliche Aktivität. Und keine Aufregung.“ Er hob die Schultern. „Sie wissen sicher Bescheid.“

„Tu ich das?“

Panik stieg in ihr auf. Sie konnte nichts dagegen tun. Sie war für diesen Job nicht qualifiziert. Diese Leute glaubten, sie würde und könnte sich um Mykal kümmern, so wie er es brauchte. Aber das würde sie nicht. Das konnte sie nicht. Was, wenn sie etwas tat, das seine Verletzungen verschlimmerte?

„Ich … ich habe keine Erfahrung mit Rückenverletzungen“, stammelte sie. „Vielleicht sollten Sie jemanden bestellen, der sich damit …“

Er schüttelte den Kopf. „Nicht nötig. Achten Sie einfach darauf, dass er so lange wie möglich ruhig liegt. Deshalb haben wir ihm auch etwas gegeben, damit er einschläft. Ich habe die Medikamente, die er benötigt, auf das Regal im Badezimmer gestellt. Der Arzt wird morgen kommen und nach ihm sehen, so gegen zehn.“

„Gegen zehn“, wiederholte Janis mechanisch.

„Ich habe eine Liste bereitgelegt mit sämtlichen Notfalltelefonnummern.“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber Sie scheinen hier ja genügend Personal zu haben. Ich glaube kaum, dass es in dieser Hinsicht Probleme gibt.“

Der Sanitäter warf ihr einen anerkennenden Blick zu. „Er ist ein schwieriger Patient. Kann verdammt übellaunig sein.“ Er grinste. „Aber ich schätze, das ist verständlich, nach allem, was er durchgemacht hat.“

Janis blinzelte. Das klang gar nicht nach dem Mann, den sie geheiratet hatte. Doch dann erinnerte sie sich daran, wie er am letzten Tag gewesen war, nachdem er erfahren hatte, was sie getan hatte. Ja, da hatte sich eine ganz andere Seite von ihm gezeigt, kalt und böse.

„Ja, natürlich“, erwiderte sie schwach.

„Tja, das war alles.“

Janis nickte. Sie wusste nicht, ob sie erleichtert sein sollte, dass die Sanitäter sie jetzt allein ließen. Sie hatte sich gewünscht, dass sie gingen, bevor der Diener wieder auftauchte, aber jetzt fragte sie sich, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn dieser das alles auch gehört hätte.

„Haben Sie vielen Dank für Ihre Hilfe“, sagte sie. „Soll ich Sie noch zur Tür bringen?“

„Nicht nötig. Wir kennen den Weg.“ Er lächelte breit. „Bis bald, schätze ich. Wir werden ihn zum Schloss bringen, wenn es so weit ist.“

„Oh. Ja, natürlich.“ Sie wusste, dass ihr Lächeln nicht besonders natürlich wirkte, aber was sollte sie tun? „Auf Wiedersehen“, sagte sie und blickte den Männern nach, als sie zum Ausgang gingen.

Offenbar waren Mykals Verletzungen lebensbedrohlich gewesen – und waren es vielleicht immer noch. Er hätte sterben können. Trotz allem, was geschehen war, war dieser Gedanke unerträglich für sie.

Und das Schloss? Warum um alles in der Welt sollte er zum Schloss gebracht werden?

Autor

Raye Morgan
Raye Morgan wuchs in so unterschiedlichen Ländern wie Holland, Guam und Kalifornien auf und verbrachte später einige Jahre in Washington, D.C. Jetzt lebt sie mit ihrem Mann, der Geologe und Informatiker ist, und zwei ihrer vier Söhne in Los Angeles. „Die beiden Jungen zu Hause halten mich immer auf dem...
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