Der richtige Mann – die falsche Braut

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Niemals wird sie zulassen, dass ihre unschuldige Schwester den ungehobelten Schuft ehelichen muss, wie ihr Vater es wünscht! Lady Amy ist fest entschlossen, Mr. Benjamin Lovell von ihrer Familie fernzuhalten. Schade nur, dass der dreiste Gentleman sich von ihrem kratzbürstigen Verhalten nicht abschrecken lässt. Egal, was sie auch unternimmt, um ihn zu verärgern: Ben ist einfach nicht aus der Ruhe zu bringen. Und plötzlich bemerkt Amy, dass ihr Herz immer lauter klopft, wenn der künftige Gemahl ihrer Schwester sie berührt …


  • Erscheinungstag 20.02.2018
  • Bandnummer 0583
  • ISBN / Artikelnummer 9783733733674
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Wie stets zum Höhepunkt der Saison in London waren die Gesellschaftsräume der „Almack’s Assembly Rooms“ so gut besucht, dass man sie schon beinahe als überfüllt bezeichnen konnte. Amelia Summoner umkreiste den Hauptraum dicht an der Wand, um die heiratswillige Schar ungestört beobachten zu können. Das war nicht weiter schwer, wenn man die Örtlichkeiten und die Menschen darin so gut kannte, wie sie es tat.

In den drei Jahren, die ihre Familie nun schon über Eintrittskarten für Almack’s verfügte, hatte sie keinen einzigen der Bälle ausgelassen, die jeden Mittwoch hier stattfanden.

Während dieser Zeit hatte sie zugesehen, wie drei Generationen von Debütantinnen eintrafen, sich zur Schau stellten und schließlich am Arm ihres auserwählten Heiratskandidaten wieder entschwanden. Im ersten Jahr war sie selbst in die Gesellschaft eingeführt worden, doch nach einem kurzen Aufspritzen war sie in den trüben Wassern des Vergessens versunken.

Inzwischen bewegte sie sich hier wie ein Fisch in der Tiefe, unsichtbar, bis sie sich dazu entschloss, gesehen zu werden. Anders als die anderen noch ledigen Mädchen ihres Alters betrachtete sie diesen Umstand mehr als eine Art persönlicher Freiheit denn als Versagen. Es war ganz einfach entspannter, wenn man tanzen, Unterhaltungen führen oder kokettieren konnte, wenn einem danach war, und nicht aus jedem gesellschaftlichen Austausch ein möglicherweise lebensentscheidendes Ereignis machen musste. Wenn man nur zusehen wollte, dann war es besser, einfach nur dieses Summoner-Mädchen zu sein.

Nein. Nicht die Hübsche. Die andere. Die Merkwürdige.

Schon nach ein paar Bällen hatte sie begriffen, dass sie kein großer gesellschaftlicher Erfolg werden würde. Die Patronessen des Clubs hatten sie als „eigenwillige Schönheit mit außergewöhnlich scharfem Verstand“ eingestuft. Jedes andere Mädchen wäre nach einem so vernichtenden Kompliment am Boden zerstört gewesen. Amy brauchte ihre so hochgepriesene Intelligenz nicht zu bemühen, um zu begreifen, dass nur der geschätzte Name ihrer Familie verhindert hatte, dass man sie als „unscheinbar und eigensinnig“ bezeichnete. Eine durch eine Ehe geknüpfte Verbindung zu Lord Summoner konnte einem jungen Mann sowohl in politischer als auch in gesellschaftlicher Sicht alle Türen öffnen. Doch junge Männer hofften trotzdem eher auf eine Braut, die außergewöhnlich schön statt außergewöhnlich scharfzüngig war.

Amy hatte indessen vor, genau so zu bleiben, wie sie war. Bisher war ihr Charakter vollkommen kompromisslos geformt worden, und sie war mit dem Ergebnis zufrieden. Einem Mann, für den sie bereit gewesen wäre, sich zu ändern, war sie bisher noch nicht begegnet. Angesichts ihrer vollkommenen Verweigerung, auch nur einen der Heiratskandidaten, die sie umworben hatten, zu ermuntern, hatten es auch die standhaftesten Verehrer längst aufgegeben, sie erobern zu wollen. Wenn in dieser Saison einer der Gentlemen sie zum Tanz aufforderte, dann höchstens aus Mitleid.

Oder eher noch, weil er als ein netter junger Mann betrachtet werden wollte, der seine Freundlichkeit auf die ganze Familie auszudehnen verstand und es sogar mit Miss Amelia Summoner aushielt, solange es nur ihre jüngere Schwester Miss Belle Summoner zum Lächeln brachte. Dieses Jahr drehten sich die Gespräche in London um Lord Summoners jüngere Tochter: die gefeierte Schönheit des Jahrzehnts. An diesem Abend hatte Amy schon mehr als einmal gehört, wie junge Herren seufzend erklärten, ein einziges Lächeln dieser erlesenen Grazie wäre jedes Opfer wert. Dafür könne man es sogar auf sich nehmen, freundlich zu Miss Amelia zu sein, dieser alten Jungfer.

Bisher hatte es allerdings noch niemand versucht, und Amy hatte nicht vor, sich zu einer leichten Beute zu machen, die für billige Komplimente zu haben war. Entschlossenen Schritts bewegte sie sich durch die Menge und gab sich den Anschein, ein festes Ziel vor Augen und daher keine Zeit für Unterbrechungen zu haben. Dann setzte sie sich in eine Ecke, hob den Fächer und ließ den Blick durch den Saal schweifen, als hielte sie nach jemandem Ausschau. Sie achtete darauf, nicht zu viele Bekanntschaften zu schließen, denn sie wusste, dass niemand es wagen würde, sie anzusprechen, ohne ihr zuvor formell vorgestellt worden zu sein. Wenn sie sich jeder neuen Bekanntschaft verweigerte, konnte man sie auch nicht als Mittel zum Zweck benutzen, um an Belle heranzukommen.

Da sie ihre Zeit nicht aufs Tanzen oder auf nichtssagende Gespräche verschwenden musste, konnte sie zusehen und lauschen. Sie hörte Dutzende von Unterhaltungen, ohne je Teil davon zu sein, während sie gleichzeitig die Menschen im Saal im Auge behielt. Besonders jene, die ihre Schwester mit mehr als beiläufigem Interesse musterten. Wenn einer der hier anwesenden Gentlemen ernstere Absichten hegte, dann würde sie es beinahe noch vor ihm selbst wissen. Dann konnte sie eine wirkungsvolle Abwehrstrategie entwerfen. Wer um die Hand ihrer Schwester werben wollte, musste schon ein ganz besonderer Mann sein. Alle anderen brauchten es erst gar nicht zu versuchen.

Allein an diesem Abend hatte Amy zwölf mögliche Anwärter ausgemacht und eingeordnet. Ihre Absichten waren bedeutungslos, sofern sie nicht über ausreichend Geld, angemessene Manieren und einen gewissen Status verfügten. Lord Summoner hatte feste Pläne mit seinen Töchtern: Er erwartete, dass sie sich gut verheirateten, wenn sie es denn überhaupt taten. Nachdem er jahrelang versucht hatte, einen Ehemann für Amy zu finden, hatte Lord Summoner erklärt, sie sei zu starrköpfig, um einen Mann zu ehelichen, den sie sich nicht selbst ausgesucht hatte, und er ließ sie gewähren.

Aber Belle …

Amy verbarg ein Seufzen hinter ihrem Fächer. Belle würde sich leicht lenken lassen, ob nun von Vater oder jemand anderem. Nur gut, dass sie eine Schwester hatte, die auf sie aufpasste und sie vor allen Übeln beschützte.

Es war ja nicht so, dass Amy ihre Schwester nicht glücklich verheiratet sehen wollte. Trotz all der Tunichtgute, Frauenhelden und Glücksritter in London gab es durchaus auch ein paar vielversprechende Kandidaten. Immer wenn Amy einen von ihnen ausfindig gemacht hatte, schrieb sie seinen Namen auf die Rückseite ihrer leeren Tanzkarte, um sich später über ihn zu erkundigen. Bisher hatte sie immerhin acht junge Männer auf ihrer Liste notiert, die gut zu Belle passen könnten. Sie waren weder zu jung noch zu alt, wenigstens angemessen gut aussehend und von freundlichem Wesen. Außerdem aus guter Familie und reich, aber nicht zu ambitioniert. Eine Verbindung mit einem von ihnen würde eine angenehme Zurückgezogenheit auf dessen Landsitz für den Großteil des Jahres bedeuten, ohne allzu strapaziöse gesellschaftliche Verpflichtungen in der Hauptstadt.

Nachdem Amy in der an diesem Abend anwesenden Männerschar die Spreu vom Weizen getrennt hatte, gab es allerdings noch einen Mann, den sie nicht zuordnen konnte. Und genau dieser beunruhigte sie. Während sie Benjamin Lovell beobachtete, brauchte sie seine Worte nicht zu hören, um zu begreifen, dass er auf Brautsuche war.

Mr. Lovell erweckte den Anschein, als wollte er auf dem beliebtesten Heiratsmarkt Londons nur ein wenig tanzen und ein leichtes Abendessen zu sich nehmen. Doch er bemühte sich zu sehr, möglichst uninteressiert zu wirken, als dass es glaubwürdig gewesen wäre. Er stand auf der anderen Seite des Raumes und tat so gelangweilt, dass er der Tanzfläche sogar den Rücken zuwandte. Allerdings hatte er sich so platziert, dass er in einen der Spiegel an der Wand sehen und so die jungen Frauen im Saal ebenso aufmerksam mustern konnte, wie Amy es mit den jungen Männern tat.

Gespielte Gleichgültigkeit war für Mädchenherzen oft gefährlicher als eine zu eifrige Werbung. Mr. Lovells Desinteresse bewirkte nur, dass sich die jungen Damen umso mehr anstrengten, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Genau das wollte er von ihnen, da war sich Amy sicher. Er wollte die Beute sein, nicht der Jäger. Für einen Mann von ungewisser Abstammung war dies ein kühner Schachzug, und sie bewunderte ihn dafür.

Anscheinend bewunderten ihn auch die Patronessen. Wenn sie einen jungen Mann nicht für würdig erachteten, in die vornehmsten Familien Londons einzuheiraten, dann konnte kein Geld der Welt sie dazu bewegen, ihm eine Eintrittskarte zu überreichen. Unehelichkeit war ein Makel, über den nicht viele junge Männer hinauswachsen konnten, doch den Gerüchten zufolge war Mr. Lovell ein wirklich überaus vornehmer Bastard.

Seine Gnaden, der Duke of Cottsmoor, hatte Mr. Lovell nie formell anerkannt, aber er musste es vorgehabt haben. Vor Cottsmoors plötzlichem Tod hatte man Mr. Lovell häufig in der Gesellschaft des Dukes und seiner Duchess gesehen. Sie hatten ihn behandelt, als gehörte er zur Familie, auch wenn sie nie ein Wort über seine Herkunft verloren hatten. Nachdem der Duke, die Duchess und ihr erstgeborener Sohn an der Grippe gestorben waren, hatte sich Mr. Lovell ein Jahr lang aus der Gesellschaft zurückgezogen und sie wie seine verlorenen Eltern und seinen verlorenen Bruder betrauert.

Seine Geburt und sein früheres Leben waren geheimnisumwittert. Er war im Ausland erzogen und ausgebildet worden, was den Absolventen der Universitäten Oxford oder Cambridge die eine oder andere hochgezogene Braue entlockte. Doch man konnte es Cottsmoor kaum vorwerfen, dass er seinen Bastardsohn nicht auf dieselbe Hochschule geschickt hatte wie seinen Erben.

Mr. Lovell hatte die Ausbildung auf dem Kontinent hingegen nicht geschadet. Seine Sprache war tadellos, und bisher hatte noch niemand eine Lücke in seinem Wissen ausfindig machen können. Er galt als intelligent, ohne belehrend zu wirken, schlagfertig, aber nicht gehässig und durchaus zu einem klugen Ratschlag fähig, wobei er allerdings auch den Mund halten konnte, wenn seine Meinung nicht gefragt war. Deshalb suchte ihn der neue Duke of Cottsmoor, der kaum alt genug war für die Universität, manchmal auf, wenn er Hilfe brauchte, um sich in seiner neuen Rolle zurechtzufinden.

Bestand Lovells einziger Fehler tatsächlich darin, dass sein Vater versäumt hatte, ihn als seinen Sohn zu legitimieren? Nachdem die vornehme Gesellschaft ihn kennengelernt hatte, war offenbar beschlossen worden, dass dies wohl kaum als Fehler gelten konnte. Tatsächlich war es vielleicht sogar ein Vorzug. Der Duke hatte in seinem Nachlass verfügt, dass für seinen unehelichen Sohn reichlich gesorgt war. Den Gerüchten zufolge hatte Mr. Lovell sein Erbe klug investiert und es so zu noch größerem Reichtum gebracht.

Wer nicht genau hinsah, konnte diese Tatsache jedoch leicht übersehen. Seine Kleidung betonte den neu erworbenen Reichtum nicht. Alles war von tadellosem Schnitt, doch darin unterschied er sich nicht von den anderen Gentlemen im Raum. Aber die Wahl der Garderobe – ein tiefschwarzer Frack, der im Kontrast zu der reinweißen Weste aus teurem Brokat stand – verriet, dass er zwar modebewusst, aber kein Dandy war.

Die Schnallen seiner Kniehosen waren nicht übertrieben groß, aber wenn man genauer hinsah, konnte man erkennen, dass sie aus massivem Silber bestanden. Abgesehen von der Uhrkette mit dem Anhänger trug er keinerlei Schmuck. Dieser Anhänger war zwar eindrucksvoll, doch er verbarg sich unter dem Frack und blitzte nur beim Tanzen hervor. Dann zeigte sich eine schwere Goldkette, an der ein großer Smaragd hing, dessen Funkeln zu sagen schien: „Ich habe Geld, bin aber selbstbewusst genug, dies nicht zur Schau zu stellen.“

Sein Kammerdiener hatte sich nicht die Mühe gemacht, einen ausgefallenen Krawattenknoten zu schlingen, sondern die schlichte Variante des schlichten „Oriental“ gewählt. Genauso gut hätte sich Mr. Lovell das Krawattentuch auch selbst binden können. Das strahlende Weiß betonte die markante Linie seines Kiefers. Die gesamte Familie Cottsmoor hatte dunkle Augen, dunkles Haar und eine leicht olivfarbene Haut. Wenn der junge Duke auch nur halb so anziehend zu werden versprach wie Mr. Lovell, dann würde er seinen Titel nicht brauchen, um sich der Gunst der Damen sicher sein zu können.

An diesem Abend war es jedoch Mr. Lovell, dem alle Aufmerksamkeit der Mädchen im Raum galt. Amy fächerte sich Luft zu, um eine plötzlich aufsteigende Hitze zu lindern. Sie selbst hatte kein Interesse an dem Mann, sie musste sich nur vergewissern, dass er keine Gefahr für Belle darstellte. Wenn sich Mr. Lovell als unwürdig erwies, würde es keine Rolle spielen, was Lady Jersey, eine der Patronessen, von ihm hielt. Er würde Belle nicht einmal vorgestellt werden.

Aber wenn er wirklich so passend war, wie er schien?

Wieder fächerte sie sich Kühlung zu. Wenn er dazu fähig war, ein gütiger und liebender Ehemann zu sein, der seiner Gemahlin ebenso viel Aufmerksamkeit widmete wie seinem sorgsam gewahrten Ruf, dann konnte sich Amy keine bessere Partie für ihre Schwester vorstellen. Sie schlenderte in seine Richtung, wobei sie vorgab, die Tänzer zu bewundern. Einen so schönen Mann anzusehen hätte eigentlich ein Vergnügen sein müssen, doch dieser hier hatte etwas an sich, das sie beunruhigte. Benjamin Lovell war einfach zu gut, um wahr zu sein. Amy konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass seine mühelose Perfektion sorgsamer abgestimmt war als die Taschenuhr am anderen Ende des Smaragdanhängers.

Ein Teil von ihr konnte ihm das kaum verübeln. Wer trug nicht von Zeit zu Zeit eine Maske? Aber dieses Verhalten hätte mehr Sinn ergeben, wenn er arm gewesen wäre. Wenn er wirklich Geld hatte – was offensichtlich der Fall war –, dann hatte er keinen Grund, eine Scharade zu spielen.

Ohne mit dem Fächern aufzuhören, kam sie näher, ging dann an ihm vorbei und setzte sich auf einen Stuhl in der Ecke, wohin das Kerzenlicht der Leuchter nicht ganz reichte. Von hier aus hatte sie einen ausgezeichneten Blick auf Mr. Lovell und seinen Freund Mr. Guy Templeton. Die beiden Männer unterhielten sich angeregt.

Mr. Templeton trat kaum wahrnehmbar von einem Fuß auf den andern. Dann blickte er sich rasch nach möglichen Beobachtern um – wobei er Amy aber übersah –, und zupfte am Bund seiner Kniehosen. Dann wiegte er sich wieder hin und her. „Dieses verdammte Ding rutscht immer wieder“, murmelte er Mr. Lovell zu.

Das höfliche Lächeln auf Mr. Lovells Gesicht veränderte sich nicht. „Vornehmheit hat ihren Preis, Templeton. Keine Dame von Stand wird dich haben wollen, wenn du nicht geduldig in formeller Kleidung ausharren kannst.“

„Das ist doch Unsinn“, beharrte Templeton. „Ich frage mich, ob sie wirklich erst unsere Beine mustern müssen, bevor sie ihre Wahl treffen. Als wären wir Gäule.“

„Beine und Ausdauer“, stimmte ihm Lovell mit einer beiläufigen Geste zur Tanzfläche zu. „Du solltest ihnen lieber zeigen, dass du auch galoppieren kannst. Mit diesen Stelzen wirst du keine Frau überzeugen, es sei denn, du polsterst deine Waden ein bisschen auf. Zumindest musst du dir einen besseren Schneider zulegen. Du trägst diesen Anzug, als stecktest du in einem Sack Flöhe.“

„Weil er juckt“, bekräftigte Templeton. Dann seufzte er verträumt. „Aber das Mädchen, auf das ich ein Auge geworfen habe, wird mich auch so nehmen.“

„Dann muss sie der geduldigste Mensch in ganz London sein, wenn sie bereit ist, es mit dir auszuhalten, solange du nicht auf Feinheiten achtest.“

Ganz so geduldig nun auch wieder nicht, dachte Amy. Mr. Templeton hatte es dank seiner guten Abstammung, seiner vollen Geldbörse und seines angenehmen Gesichts fast an die Spitze der möglichen Heiratskandidaten für ihre Schwester geschafft.

„Zum Teufel mit den Details“, murmelte Templeton gedämpft und nickte einer der vorbeigehenden Patronessen höflich zu. „Diese alten Fledermäuse bestehen darauf, dass man Kniehosen trägt, nennen Tee und Kuchen ein Abendessen und zieren sich schon, wenn man einen Walzer mit einem hübschen Mädchen tanzen will. Dann übernehmen sie das Vorstellen und bilden sich ein, für uns über unsere Eheschließungen bestimmen zu können. Und außerdem lassen sie uns auch noch für dieses Privileg bezahlen.“

„Es scheint tadellos zu funktionieren.“ Mr. Lovell zuckte mit den Schultern.

„Aber wenn wir jemanden wirklich lieben, können wir dann nicht einen direkteren Weg wählen, um unsere Gefühle zu zeigen? Das hier ist, als würde man an einem Flussufer stehen.“ Templeton gestikulierte zu einer Gruppe Mädchen auf der anderen Seite des Raumes. „Aber anstatt einfach zum Objekt unserer Begierde hinüberzuschwimmen, müssen wir uns einen Weg über glitschige Steine suchen.“

„Schwimmen?“ In gespielter Überraschung hob Mr. Lovell eine Braue. „Das Wasser würde doch unsere Kniehosen ruinieren. Und was bringt dich zu dem Glauben, dass die Wahl einer Gemahlin irgendetwas mit romantischen Gefühlen zu tun hat?“

Die Worte klangen kalt und berechnend, und sie passten so wenig zu dem freundlichen Ausdruck auf Mr. Lovells attraktivem Gesicht, dass Amy vor Schreck beinahe ihren Fächer fallen gelassen hätte. Sie umklammerte ihn fester und wandte den Blick ab, damit die Männer ihre Verärgerung nicht sahen. Er war ein herzloser Heuchler, genau wie sie vermutet hatte.

„Man sollte seine zukünftige Gemahlin deiner Meinung nach also nicht lieben und begehren?“, fragte Templeton offenbar ehrlich überrascht. „Ist das nicht der halbe Spaß dabei, wenn man auf Brautsuche ist?“

„Spaß.“ Lovell verzog angewidert die Lippen, so als hätte er eine Fliege in seiner Limonade entdeckt. „Die Ehe ist ein viel zu wichtiges Unternehmen, als dass man es durch nutzloses Vergnügen herabwürdigen sollte.“

Dann verschwand die Grimasse, und das Lächeln kehrte zurück. Doch seine Haltung – die Schultern gestrafft und einen Fuß leicht vor den anderen gesetzt – war genau dieselbe, die ihr Vater immer einnahm, wenn er einen politischen Vortrag hielt. Dieselbe abweisende Pose nutzte er auch, wenn er sie dazu ermutigte, sich den gesellschaftlichen Regeln zu fügen und sich einen Ehemann auszusuchen, der ihren Charakter verbessern würde, damit er selbst es nicht mehr tun musste.

Mr. Lovell war Zoll für Zoll ein steifer britischer Gentleman, der genau wusste, wie die Dinge zu sein hatten, und der keinerlei Skrupel hatte, anderen seine Sicht der Dinge darzulegen. „Bei einer Hochzeit geht man nicht nur eine Verbindung mit einer jungen Dame ein, sondern auch mit ihrer Familie und mit der Gesellschaft im Allgemeinen.“

„Man sollte doch annehmen, dass du dir über solcherlei Dinge keine Gedanken zu machen brauchst“, legte Templeton dar. „Immerhin hat Cottsmoor …“

Mit einer Geste schnitt ihm Lovell das Wort ab. „Lass uns um der Diskussion willen einmal annehmen, ich hätte keinerlei Familie. Ich bin der Erste meiner Blutlinie, was es nur umso wichtiger macht, dass ich meine Verbindungen sorgsam auswähle. Einem ehrgeizigen Mann ist mit dem richtigen Schwiegervater mehr gedient als mit der richtigen Gemahlin.“

„Dann willst du also einen Schwiegervater mit einem angesehenen Adelstitel. Der Duke of Islington ist reich wie Krösus, und er hat drei Töchter, die alle im heiratsfähigen Alter sind.“

Lovell schüttelte den Kopf. „Titel sind erblich, genau wie die dazugehörigen Ländereien. Und ich brauche kein Geld. Ich verstehe es sehr gut, mir ein eigenes Vermögen zu schaffen.“

„Kein Titel also.“ Templeton machte eine Geste, als wollte er sich nachdenklich über einen eingebildeten Bart streichen. „Des Geldes wegen musst du nicht heiraten. Und natürlich wäre die Tochter eines neureichen Kaufmanns nicht gut genug für dich.“

„Und ich will auch keinen Gelehrten oder Gesetzesvertreter zum Schwiegervater“, stimmte Lovell ihm zu. „Ich möchte einen anständigen Konservativen mit altem Vermögen, der über ausgezeichnete politische Verbindungen verfügt. Jemanden, der mit Wellington zu Abend isst und Grenvilles Vertrauen genießt.“

Hellhörig geworden, lehnte sich Amy ein wenig nach vorn.

„Politik?“ Templeton wirkte überrascht.

„Wenn jemand wirklich etwas bewegen will, wo sonst sollte er sich dann aufhalten als im Parlament?“

„Und du sprichst natürlich von Lord Summoner.“

„Demselben“, bestätigte Lovell, und Amy sank das Herz.

„Dann beabsichtigst du also, die liebreizende Arabella zu heiraten?“ Templeton lachte schallend auf.

„Sie ist der Stern der Saison“, antwortete Lovell. „Ich werde mich nicht mit weniger als dem Allerbesten zufriedengeben.“

„Dann musst du dich hinter all den anderen Junggesellen Londons anstellen.“ Templeton schüttelte den Kopf. „Ihre Tanzkarte war schon beinahe voll, bevor wir überhaupt hier angekommen sind. Ich musste mich mit einem anderen Kerl um den letzten freien Tanz streiten.“

„Diese Mühe habe ich mir gar nicht erst gemacht. Bisher bin ich ihr nicht einmal formell vorgestellt worden, und unsere erste Begegnung muss vollkommen respektabel verlaufen.“

Amy überlegte fieberhaft, um ihm einen Schritt voraus zu sein. Sein Bestehen auf die Wahrung des Anstands war immerhin ein kleiner Trost. Es bedeutete, dass ihr noch Zeit blieb, ihn aufzuhalten.

„Selbst wenn es dir gelingt, sie kennenzulernen, wirst du es als Herausforderung empfinden, sie ein wenig aus ihrem Schneckenhaus zu locken“, erklärte Templeton. „Sie ist sehr schüchtern. Ihr Lächeln ist blendend schön, aber sie spricht kaum ein Wort.“

„Umso besser“, erklärte Lovell. „Wer würde eine solche Frau schon der Unterhaltungen wegen heiraten?“

Amy umklammerte ihren Fächer so fest, dass eine der Streben zerbrach. Dieser abscheuliche Kerl sprach über Belle, als wäre sie nur eine Fußnote in seinen Plänen. Schlimmer noch, sie argwöhnte, dass er mit seiner Bemerkung über fehlende Unterhaltungen auf etwas anspielte, über das kein Gentleman im Zusammenhang mit einer Dame sprechen sollte.

Templeton schien in diesem Punkt offenbar ihrer Meinung zu sein, denn er setzte zu einem Widerspruch an: „Hör mal, Lovell …“

Der Angesprochene hob beschwichtigend die Hand. „Ich wollte die junge Dame nicht beleidigen. Aber ein Mann muss sich keine geistig stimulierende Gemahlin aussuchen, wenn er vorhat, einen Platz unter den klügsten Köpfen der englischen Gesellschaft einzunehmen.“

Rasch hob Amy den Fächer, um ihr abfälliges Lächeln zu verbergen. Sie hatte einige der Freunde ihres Vaters kennengelernt, und Mr. Lovells Ansichten über die männliche Überlegenheit erschienen ihr in diesem Zusammenhang fast schon rührend naiv.

Er fuhr mit der Darlegung seiner Pläne fort. „Ich möchte eine Frau heiraten, die schön und talentiert ist, die sich um mein Heim kümmert und meine Kinder zur Welt bringt und erzieht.“ Er dachte kurz nach. „Außerdem wird es für meinen guten Geschmack und meine Überzeugungsgabe sprechen, wenn ich das begehrteste Mädchen des Jahres erobere. Ich will der Beste sein, und ich werde nicht weniger als das Beste von meiner Umgebung verlangen. Aber wie schon gesagt, geht es mir weniger darum, das Mädchen als vielmehr dessen Vater für mich zu gewinnen. Er hat die Kontrolle über gleich zwei Sitze im Unterhaus, und ich beabsichtige, bis zum Jahresende einen der beiden einzunehmen. Wenn Lord Summoner heute Abend hier ist, werde ich ihn aufsuchen und einen Weg finden, mich seiner Gunst zu versichern. Dann wird sich schon alles Weitere fügen.“

Bastard.

Eine weitere Fächerstrebe zerbrach, aber Amy nahm es kaum wahr. Bastard war genau genommen eine zu treffende Beschreibung seines Standes, um diesen Kerl beleidigen zu können. Es gab jedoch eine ganze Menge weiterer Beinamen, mit denen sie Lovell hätte belegen können, und er hätte jeden einzelnen davon verdient. Er mochte vielleicht bescheiden tun, in seinem perfekten, schlichten Anzug, aber dieser Mann war ein aufgeblasener Pfau, der fast an seinem eigenen Stolz erstickte. Ohne sie auch nur kennengelernt zu haben, hatte er beschlossen, dass er ihre süße, unschuldige Belle haben musste, nur, um so einen Sitz im Unterhaus zu ergattern. Nach der Hochzeit würde er keinen Gedanken mehr an sie verschwenden. Schlimmer noch, wenn er sich nur mit dem Besten zufriedengeben wollte, was ihm sein Umfeld zu bieten hatte, dann würde er seine Enttäuschung über Rückschläge möglicherweise an Belle auslassen, wenn er erkannte, dass sie seinen ehrgeizigen Plänen nicht gewachsen war.

Es musste etwas getan werden, und zwar sofort. Amy stand auf und stieß beinahe mit einem jungen Mann zusammen, der sich am Rand des Saals entlanggeschoben hatte und viel zu viele Limonadengläser auf einmal trug. Er murmelte eine Entschuldigung und wollte sie umrunden.

Da hatte sie plötzliche eine Idee.

Sie antwortete mit einem albernen Lachen. „Ach, Sir, was für eine Erleichterung, Sie zu sehen. Ich habe mich in diese Ecke zurückgezogen, weil ich halb verdurstet und nahe daran war, in Ohnmacht zu fallen.“

Bevor er ihr eine Limonade anbieten oder abschlagen konnte, nahm sie ihm kurzerhand zwei der Gläser ab und trank einen Schluck aus einem davon. „Schon viel besser“, sagte sie, kicherte wieder albern und ignorierte seine Verblüffung über ihre Unverfrorenheit.

Dann, als wäre sie tatsächlich so wackelig auf den Beinen, wie sie vorgegeben hatte, wandte sie sich um und stolperte zwei Schritte nach vorn, bis sie direkt vor Mr. Lovell stand. Sie schwankte, erlaubte sich ein kleines, triumphierendes Lächeln und kippte ihm den Inhalt beider Gläser über die elegante weiße Weste.

2. KAPITEL

Zur Hölle!

Ben neigte nicht zu Wutausbrüchen. Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Wenn er allein war, gestattete er sich ab und zu, seinem Selbstmitleid nachzugeben und die seltsamen Wendungen in seinem Leben zu verfluchen, die ihn an den Ort geführt hatten, an dem er sich nun befand. Dann erinnerte er sich jedoch immer daran, dass sich nur ein Dummkopf über etwas beklagen würde, was andere als erstaunliches Glück bezeichnen würden. Daraufhin fasste er sich wieder, rief sich in Erinnerung, wofür er dankbar sein konnte, und ignorierte alles Weitere.

In der Öffentlichkeit durfte er sich jedoch nicht mehr gestatten als diesen kurzen, stummen Fluch, und er musste darauf achten, dass seine Miene nichts von seiner Verärgerung preisgab. Bisher war alles viel zu gut verlaufen, als dass er seinen tadellosen Ruf wegen ein paar unbedachter Worte zu dieser kleinen Närrin, die ihn mit Limonade getauft hatte, ruinieren wollte.

Das Missgeschick hatte ihm jede Chance verdorben, an diesem Abend noch Lord Summoner gegenüberzutreten. Wenn man den Grundstein für eine politische Karriere legen wollte, dann konnte man es sich nicht leisten, weniger als perfekt auszusehen und nicht in Hochform zu sein. Ganz sicher durfte man dabei nicht gedanklich beim unschuldigen Fehler einer aufgeregten Debütantin verharren.

Also würde er ein Gentleman sein und sich nicht um die ruinierte Weste scheren, die ihn erst in der vergangenen Woche volle dreißig Pfund gekostet hatte.

Er würde einfach die Tropfen von den mit Spitze verzierten Manschetten seines Leinenhemdes schütteln. Sein Krawattentuch glich einem durchtränkten Lumpen, und die Brokatweste wies gelbliche Flecken auf. Wie viele Gläser hatte das Mädchen denn getragen, um so einen Schaden anrichten zu können? Oder hatte der kleine Tollpatsch tatsächlich vorgehabt, ihn zu ertränken?

Woher war die ungeschickte junge Dame überhaupt gekommen? Normalerweise achtete er sehr darauf, auch im Gedränge niemandem auf die Zehen zu treten oder mit dem Ellbogen zu treffen. Sie schien einfach aus dem Nichts aufgetaucht zu sein, als hätte sie auf der Lauer gelegen, um sich auf ihn zu stürzen.

Ein Gentleman würde sich jedoch nicht um solche Kleinigkeiten scheren, und Ben wollte nicht nur als höflich gelten. Um den Makel seiner Geburt auszumerzen, musste er der edelmütigste Mann ganz Londons sein.

Also verbarg er seinen Ärger und zwang einen Ausdruck der Sorge um die junge Dame auf sein Gesicht. Rasch griff er nach seinem Taschentuch und hielt es der albern kichernden Debütantin hin. Sie wedelte mit einem kaputten Fächer. „Es tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe, Miss. Ist etwas von der Limonade auch auf Ihr Kleid gespritzt?“ Dann sah er hinab in ihr herzförmiges Gesicht, das sich gerade mal auf Höhe seines obersten Westenknopfes befand.

Er starrte sie an. Wie unhöflich von ihm. Wenn er den geplanten Erfolg haben wollte, konnte er es sich nicht leisten, weniger als vollkommen zu sein, aber nach nur einem Blick in dieses Gesicht starrte er sie an wie ein Schwachkopf. Sein gesunder Menschenverstand schien sich davongemacht und sein gutes Benehmen gleich mitgenommen zu haben.

Sie war keine atemberaubende Schönheit, jedoch durchaus hübsch. Sie hatte eine ansprechende Figur, auch wenn sie ein wenig zu klein war. In dem Versuch, größer zu erscheinen, hatte sie ihr braunes Haar zu allerlei Zöpfen geflochten, in Locken gelegt und übertrieben hoch aufgesteckt. Die Federn, die ihre Frisur abrundeten, wippten, als sie auf seine Entschuldigung hin den Kopf neigte. Wenn man sie nach diesem albernen Gegacker beurteilte, dann war wohl auch ihr Kopf voller Federn.

Oder vielleicht auch nicht.

Ihr Lachen war so falsch und dümmlich, dass sie es vielleicht eingeübt hatte, um Männer zu vertreiben. Wenn sie es allerdings darauf angelegt hatte, abschreckend zu wirken, dann verdarben ihre Augen ihr dieses Spiel. Sie schlugen ihn in ihren Bann und ließen ihn nicht mehr los. Sie waren groß und strahlend, und sie hatten den warmen Braunton von edlem Sherry. Oder jedenfalls beinahe. Das linke wies einen goldenen Fleck in der Iris auf, der wie ein geheimer Scherz zu funkeln schien.

Eigentlich hätte sie diese Unstimmigkeit weniger anziehend machen müssen, denn beruhte nicht alle Schönheit auf Symmetrie? Doch stattdessen war er fasziniert. Er verlor sich in diesem kleinen Goldfleck, war verzaubert davon. Er wollte ihr für immer in die Augen sehen, bis sie ihm ihr Geheimnis preisgaben. Schlimmer noch: Während er sie ansah, erwachte in ihm seltsamerweise der Wunsch, sich ihr anzuvertrauen und ihr die so sorgsam gehüteten Geheimnisse über seine Vergangenheit zu offenbaren.

Dann verebbte dieses Gefühl wieder. Auf den zweiten Blick erschien ihm das geheimnisvolle Funkeln eher wie ein Aufblitzen kühler Berechnung. Er musste ihr sein Innerstes gar nicht erst offenbaren, irgendwie hatte sie ihn durchschaut, und sie wollte ihn für seine Unverschämtheit bestrafen. Sie spielte das dumme Mauerblümchen nur, um hinter dieser Maske eine gefährliche, fast männliche Intelligenz zu verbergen.

„Vielen Dank für Ihre Sorge, Sir. Mein Kleid ist unversehrt. Aber Ihr armer Anzug …“ Sie betupfte die Aufschläge seines Fracks fest, rieb die Limonade damit nur noch tiefer in den Stoff.

So sanft wie möglich ergriff er ihre behandschuhten Finger, um sie davon abzuhalten, weiteren Schaden anzurichten. „Das ist nicht nötig“, sagte er nachdrücklich. „Aber vielen Dank für den Versuch.“

„Ach, es tut mir ja so leid, Sir.“ Sie sah ihn mit dem flehenden Blick eines Spaniels an. Dieser unschuldige Ausdruck war so plötzlich auf ihrem Gesicht erschienen, dass sie ihn vor dem Spiegel eingeübt haben musste. Was ihn nur noch mehr davon überzeugte, dass es ihr kein bisschen leidtat. Tatsächlich genoss sie es, ihn in Verlegenheit gebracht zu haben.

Er schenkte ihr ein nicht weniger perfekt eingeübtes Lächeln. „Aber nicht doch. Reden wir nie wieder davon.“ Wenn Gott es wollte, würde er sie auch nie wiedersehen. Irgendetwas an ihr beunruhigte ihn. Von diesem Augenblick an würde er auf der Hut sein und eine sichere Entfernung zu ihr wahren.

„Danke.“ Sie knickste hastig und verschwand ebenso schnell, wie sie aufgetaucht war.

Sein Freund neben ihm begann zu lachen. „Gut gemacht, Lovell.“

„Was meinst du? Ich habe gar nichts gemacht.“ Er wollte sich die Flecken von der Weste tupfen, gab es dann jedoch auf und warf das Taschentuch beiseite.

„Anscheinend hast du Miss Summoner beeindruckt.“

Ben suchte den Raum nach Miss Summoner ab, die den Weg in seine Zukunft verkörperte. Sie stand an der gegenüberliegenden Seite des Saals und unterhielt sich mit dem federköpfigen Mädchen, das ihn eingeweicht hatte. Waren sie etwa Freundinnen? Nein. Etwas an der Neigung des Kopfes wies auf eine Familienähnlichkeit hin. „Mein Gott, sag nicht …“

„Schwestern“, bestätigte Templeton noch immer lachend. „Die kleinere ist die ältere. Eine alte Jungfer, wenn man den Leuten glauben will.“

„Warum nur“, entgegnete Ben, ohne sich die Mühe zu machen, seinen Sarkasmus zu verbergen.

„Sie behauptet, dass sie nicht heiraten will, weil sie sich nicht von ihrer Schwester trennen kann.“

„Das würde jede Frau mit nur einem Funken Stolz behaupten, wenn sie keinen Ehemann finden kann“, antwortete Ben. „Allerdings finde ich es wahrscheinlicher, dass sie sich auch anderen gegenüber so verhalten hat wie gerade bei mir und dass sie sich deshalb nicht der Gunst der Gesellschaft erfreut.“

„Das spielt wohl kaum eine Rolle“, erklärte Templeton vernünftig. „Nach mehreren Saisons gilt sie nun einmal als alte Jungfer, aber wenn du es auf die Jüngere der beiden abgesehen hast, wirst du dich wohl an sie gewöhnen müssen. Die ältere Miss Summoner wird nach der Hochzeit sehr wahrscheinlich zu deinem Haushalt gehören.“

„Das wird sie ganz sicher nicht.“ Ben lief es eiskalt über den Rücken. Wenn er jeden Morgen beim Frühstück in diese Augen sehen musste, könnte er ebenso gut gleich nackt an den Tisch kommen. Sie würde ihm jede seiner Verteidigungsmauern nehmen und dabei kichern.

„Wohin sollte sie sonst gehen?“, fragte Templeton sachlich. „Lord Summoner wird nicht ewig leben. Irgendwann wird es die Pflicht des Ehemannes ihrer Schwester sein, für sie zu sorgen.“

„Es sei denn, es findet sich ein ahnungsloser Gentleman, der sich in die Falle locken lässt und sie heiratet.“

„Wie stehen die Chancen dafür, nach so vielen Jahren auf dem Markt?“

„Nach so vielen Jahren?“ Ben warf ihr über die Tanzfläche hinweg einen kurzen Blick zu und sah dann wieder weg, bevor sie es bemerken konnte. „Sie kann doch kaum älter als dreiundzwanzig sein. Das macht sie noch nicht zu einer alten Jungfer, ganz egal was die Gesellschaft über sie denkt. Wenn man ihr diese Federn aus den Haaren pflückt, die Zöpfe auflöst und ihr vielleicht eine andere Schneiderin sucht …“ – und ihr beibringt, ihr Glas festzuhalten und mit dem Gekicher aufzuhören – „… dann ist sie doch bestimmt ganz hübsch.“

„Aber dieses Auge.“ Templeton schauderte.

„Diese Augen“, verbesserte ihn Ben. „Sie hat zwei davon. Und sie sind nicht ohne Reiz. Nur ziemlich … verwirrend.“

„Welcher Mann will sich schon von einer Frau aus der Fassung bringen lassen?“ Wieder schauderte er. „Vielleicht bist du weniger erfahren, als du vorgibst, wenn es um das schöne Geschlecht geht, Lovell. Es ist nie gut, wenn man sich von ihnen überrumpeln lässt.“

„Vielleicht ist auch aufrüttelnd das Wort, nach dem ich suche. Oder fesselnd.“ Berauschend. Faszinierend. Er hätte sein ganzes Leben damit verbringen können, diese Augen zu beschreiben.

Templeton schüttelte den Kopf. „Das klingt auch alles nicht viel besser. Wenn du dich gerne zum Spielzeug oder Sklaven einer Frau machen möchtest, dann leg dir eine Mätresse zu. Dann hast du so viel Leidenschaft und Melodrama, wie du dir wünschst, aber keinerlei gesetzliche Verpflichtungen, sobald du genug von ihr hast.“

„Ich habe nicht vor, mein Leben unter der Fuchtel einer Frau zu verbringen, verheiratet oder nicht.“

Nie wieder.

„Und ich halte die ältere Miss Summoner auch nicht für fähig, den Mann, der sie einmal heiratet, zu beherrschen“, fügte er noch hinzu, auch wenn er es nicht wirklich glaubte. Doch die Tatsache, dass er sich nach einem einzigen Blick so ausgeliefert und schutzlos gefühlt hatte, mochte nur seiner Angst geschuldet sein, die unglückliche Vergangenheit könnte sich wiederholen.

„Wenn das so ist, dann gibt es ja kein Problem.“ Templeton grinste. „Du scheinst sehr überzeugt davon zu sein, dass du sie im Griff behalten könntest. Außerdem möchtest du weder aus Liebe noch aus Leidenschaft heiraten, und du findest sie deinen eigenen Worten nach immerhin recht ansehnlich. Wenn du dir durch die Heirat mit seiner Tochter eine Verbindung zu Lord Summoner wünscht, dann sollte es keinen Unterschied machen, ob du nun Miss Amelia oder Miss Arabella ehelichst.“

Warum eigentlich nicht?

Angesichts dieser überzeugenden Argumente fiel ihm nicht so schnell eine Antwort ein. Dann erinnerte er sich wieder an die Limonadenflecken auf seiner besten Weste, und er malte sich zukünftige Ereignisse aus, die von derlei Vorkommnissen überschattet werden könnten. Wenn er als unerschütterlich gelten wollte, dann konnte er sich nicht an eine Frau binden, die ihn beständig aus der Fassung brachte und seine äußere Erscheinung ruinierte. „Nur ein Dummkopf würde so tun, als wären die beiden Summoner-Mädchen austauschbar. Jeder Mann in London verehrt die Jüngere der beiden. Die Ältere ist schon so weit abgeschlagen, dass ich nicht einmal von ihrer Existenz wusste. Außerdem suche ich nach einer Braut, mit der ich mich schmücken kann, nicht nach einem merkwürdigen Mauerblümchen. Belle Summoner gleitet durch einen Raum wie ein Schwan. Ihre Schwester dagegen …“ Er sah auf seine ruinierte Weste hinab.

Templeton lachte. „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass das ein Versehen war? Mein lieber Freund, trotz allem Glanz und Schliff bist du offenbar zu naiv, um es mit den Damen Londons aufnehmen zu können.“

„Was soll das heißen?“

„Nur, dass du nicht ins Almack’s kommen und dich dann vor dem Tanzen drücken kannst. Interessierte junge Damen greifen zu allen verfügbaren Mitteln, um deine Aufmerksamkeit zu erregen.“

Dieser grässliche Gedanke war ihm bisher noch nicht gekommen. „Du glaubst, dass …“

„Du gefällst ihr.“

„Und sie hat das absichtlich getan, um meine Gunst zu gewinnen?“ Falls das wirklich stimmte, dann waren Frauen tatsächlich verrückt.

„Es ist die einzig mögliche Erklärung. Sie hat ein Auge auf dich geworfen. Und da sie keine anderen Aussichten hat, wird Lord Summoner mit Sicherheit nur umso dankbarer sein, wenn du sie ihm abnimmst.“ Templeton klopfte ihm auf die Schulter. „Geh zu ihm und hol dir deinen Preis.“

„So wie ich aussehe, kann ich nicht zu ihm gehen“, erklärte Ben geistesabwesend, während er den Blick auf der Frau ruhen ließ, die ihn quasi überfallen hatte. Konnte das die Erklärung für das Funkeln in ihren Augen sein? Er war sicher, dass hinter ihrer Tat eine verborgene Absicht steckte. Aber er hätte schwören können, dass dies weniger mit Heiratsabsichten als vielmehr mit ihrem Wunsch zu tun hatte, ihn wie einen Trottel dastehen zu lassen. „Ich möchte Miss Amelia nicht heiraten“, erklärte er verstimmt. Eigentlich war es überflüssig, dass er diese Worte laut aussprach, um seine Absichten zu verdeutlichen. Wenn sie tatsächlich eine alte Jungfer war, dann bedeutete das, dass dieser Raum voller Männer war, die sie nicht wollten.

Templeton sah ihn mitleidig an. „Du willst Belle, wie jeder Mann in ganz London. Aber du hast schon verloren, bevor du überhaupt angefangen hast, mein lieber Freund. Wenn du ihrer Schwester mit deiner Gleichgültigkeit das Herz brichst, dann wird Belle nichts mit dir zu tun haben wollen. Frauen sind so, weißt du. Sie lieben einander mehr, als sie uns jemals lieben werden.“

„Ihr das Herz brechen? Ich habe nichts dergleichen getan. Ich habe ihr keinen Anlass gegeben, zu glauben, ich wäre an ihr interessiert.“ Es sei denn, sie hatte etwas in seinem Blick gesehen. Mehr war es nicht gewesen – nur ein Blick. Doch er war ihm zu lang vorgekommen, so als hätte er sich darin verloren und sich erst wieder freikämpfen müssen.

„Natürlich nicht, Lovell.“ Das Grinsen auf Templetons Gesicht strafte seine tröstlichen Worte Lügen. „Aber ich würde dir dennoch raten, Miss Amelia so sanft wie möglich abzuweisen, und dann einen anderen Mann zu suchen, auf den sie ihre Aufmerksamkeit richten kann. Sonst heiratest du am Ende Belle, und Amy Summoner findet sich als Dauergast in deinem Zuhause ein und trauert ihrer verlorenen Liebe zu dir nach.“

3. KAPITEL

Am nächsten Morgen stieg Amy die Treppe hinab und machte sich auf den Weg zum Studierzimmer ihres Vaters. In der Hand hielt sie die Liste möglicher Anwärter. Was die Brautwerbung und die Hochzeit ihrer Schwester betraf, entwickelten sich die Dinge viel zu schnell. Die Saison hatte kaum begonnen, und schon planten vollkommen Fremde wie Benjamin Lovell die Zukunft ihrer Schwester. Die nachlässige Haltung, die ihr Vater bei alldem einnahm, mochte bei manchen Mädchen durchaus akzeptabel sein, bei Belle allerdings nicht.

Sie klopfte an die geschlossene Tür und trat ein, ohne auf eine Antwort zu warten. Dann setzte sie sich in den großen Ledersessel vor dem Schreibtisch ihres Vaters.

Er sah kaum von seinen Papieren auf. „Du wünschst, mit mir zu sprechen, Amelia?“

„Ich wünsche, mit dir den gestrigen Abend im Almack’s zu diskutieren.“

„Ich hoffe, ihr habt es beide genossen.“ Diese Bemerkung war eine reine Höflichkeitsfloskel, nichts weiter. Sie spürte kein echtes Interesse darin. Stattdessen hing der unausgesprochene Gedanke in der Luft, dass Lord Summoner wirklich keine Zeit für solche Banalitäten hatte, da doch das Schicksal Englands von seinen Entscheidungen abhing.

„Belle hat es genossen“, antwortete Amy. „Ich fand es genau wie immer.“

Er seufzte. „Was bedeutet, dass du nur deiner Schwester wegen überhaupt dorthin gegangen bist. Kein Wunder, dass du noch unverheiratet bist. Du gibst dir kein bisschen Mühe.“

„Ich bin nicht verheiratet, weil ich bisher niemanden gefunden habe, mit dem ich mein ganzes weiteres Leben verbringen möchte“, erklärte sie wohl zum hundertsten Mal.

„Wie gut für mich, dass deine Schwester nicht so wählerisch ist.“ Er unterzeichnete das Dokument, das er gerade gelesen hatte, und wedelte es kurz durch die Luft, um die Tinte zu trocknen, bevor er es beiseitelegte.

„Belle liebt alle und jeden, sie weiß nicht, wie man wählerisch ist“, kommentierte Amy. „Es ist unsere Aufgabe, eine kluge Entscheidung für sie zu treffen.“

„Unsere?“ Nun sah ihr Vater doch auf und versetzte ihr einen jener durchdringenden Blicke, die sie längst zu ignorieren gelernt hatte.

„Zu diesem Zweck habe ich mir die Zeit genommen, die Gentlemen auf dem Ball gestern Abend in Kategorien einzuteilen und nach ihrer Eignung zu sortieren.“

Sie legte die Liste auf den freien Platz, an dem sich gerade eben noch das Dokument befunden hatte.

Ohne einen Blick darauf zu werfen, schob er das Papier zurück. „Du gehst zu weit, wenn du glaubst, du könntest deiner Schwester einen Ehemann auswählen, statt dir deinen eigenen zu suchen.“

Amy konnte ein undamenhaftes Schnauben nicht unterdrücken. „Dann haben wir also Fortschritte gemacht. Als ich auf der Suche war, hast du noch auf der Meinung bestanden, dass diese Wahl allein dir überlassen werden sollte.“

Er seufzte. „Und so hätte es auch sein sollen. Nach dem Tod eurer Mutter habe ich dir viel zu viele Freiheiten gestattet, und jetzt muss ich den Preis dafür zahlen.“

Er hatte beschlossen, die Vergangenheit in diesem Licht zu sehen. Nachdem ihre Mutter gestorben war, hatte er ihnen weder jemals etwas erlaubt noch etwas abgeschlagen. Er war einfach nach London gereist und hatte seine Töchter vergessen. „Was für ein Glück, dass Arabella gefügiger ist“, sagte sie.

„Allerdings“, stimmte er ihr zu, ohne auf den Sarkasmus in ihrer Stimme zu achten.

Amy fasste sich und schwieg, bis sie sicher war, sich wieder im Griff zu haben. „Ich gebe gerne zu, dass ich nicht die Tochter bin, die du verdienst. Ich bin starrköpfig und eigensinnig, was aber nicht bedeutet, dass ich dich nicht liebe. Belle liebt dich auch. Doch wir wissen beide, dass sie nicht wie andere junge Damen ist. Genau deshalb müssen wir sie vor jenen beschützen, die sie vielleicht nur ausnutzen wollen.“

Ihr Vater griff nach einem weiteren Papier, wobei er beinahe das Tintenfässchen umgestoßen hätte, hastig darum bemüht, sich mit etwas anderem zu beschäftigen als mit der Wahrheit. „Unsinn. Wenn du sie nicht so verwöhnen würdest, dann gäbe es überhaupt kein Problem. Vielleicht hätte ich wieder heiraten sollen. Dann hättest du sie niemals so bemuttern müssen, und sie würde sich mehr Mühe geben, mitzuhalten.“

„Sie gibt sich große Mühe.“ Sie legte die Hand auf die ihres Vaters. „Und trotzdem gibt es vieles, was sie nicht kann. Die Ärzte haben dir doch gesagt, dass die Geburt sowohl für Mutter als auch für Belle sehr schwer war.“

„Sie war stärker als deine Mutter“, widersprach er stur. „Sie hat überlebt.“

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