Der süße Reiz des Verbotenen

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Seit einem schweren Schicksalsschlag hat Prinz Antonio De Santis der Liebe abgeschworen. Doch dann beobachtet er eines Nachts eine atemberaubend schöne Frau bei einem einsamen Tanz. Antonio weiß sofort, wer sie ist: Bella Sanchez. Und er kennt auch die pikanten Skandale und schockierenden Gerüchte, die die uneheliche Tochter einer Mätresse umgeben! Keine Frage, Bella Sanchez ist das Gegenteil einer vornehmen Prinzessin! Warum begehrt Antonio sie dann bloß so heftig - ist es der süße Reiz des Verbotenen?


  • Erscheinungstag 06.06.2017
  • Bandnummer 2287
  • ISBN / Artikelnummer 9783733708412
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Antonio De Santis schlenderte die dunkle Straße entlang. Er erholte sich von den 80 Minuten im Fitnessstudio des Palasts und genoss es, sich ein kleines bisschen Freiheit zu gönnen. Genoss die Stille. Das Alleinsein. Die Dunkelheit. Die Ruhe.

Er prüfte, ob die Kapuze seines Sweatshirts noch so saß, dass sie einen Großteil seines Gesichts verbarg. Bald würde er umkehren müssen. In weniger als einer Stunde würde es auf dieser Straße von Arbeitern wimmeln, die die letzten Vorbereitungen treffen und die Absperrungen überprüfen würden, die sie gestern aufgebaut hatten. Und auch die Zuschauer würden sich früh einfinden. Das prestigeträchtige Autorennen von San Felipe läutete jedes Jahr die Karnevalssaison ein, was bedeutete, dass Antonio in den kommenden Wochen noch mehr um die Ohren haben würde als sonst. Offizielle Bälle, Handelskonferenzen, Empfänge und die Karnevalsfestivitäten würden ihn rund um die Uhr auf Trab halten, während die Reichen und Schönen aus aller Welt anreisten, um den Zauber seines Landes zu genießen.

Und weil sein jüngerer Bruder nicht da war, war Antonio der einzige Vertreter der königlichen Familie, der Präsenz zeigen konnte.

Er näherte sich einer Kreuzung. Die Straße zu seiner Linken, die ins Stadtzentrum führte, war die Ausgehmeile mit vielen Restaurants und Bars. Er sah an der schmuckvollen Fassade der ehemaligen Feuerwache an der Ecke empor; sie war kürzlich in einen hippen Nachtclub umgebaut worden. Schon eine Woche nach der Eröffnung redete man mehr über diesen Laden als über alle anderen.

BURN.

Trotzig prangten die vier bronzenen Lettern an der Wand. Antonio verstand den Schriftzug als unverblümtes Zeichen der Entschlossenheit – sie war hier, sie ließ sich nicht einschüchtern, und sie hatte nicht vor, sich zu verstecken.

Antonio runzelte die Stirn, als plötzlich direkt vor ihm ein Fenster schwungvoll geöffnet wurde. Er blieb stehen. Auch wenn die Vorschriften während der Karnevalszeit laxer gehandhabt wurden, sollte der Club um diese Uhrzeit geschlossen sein. Antonio warf einen Blick durch das offene Fenster. Er erwartete, ein paar noch immer feiernde, angetrunkene Gäste zu sehen. Allerdings war kein Bassgewummer zu hören, kein Gekicher, Gelächter oder Gemurmel. Es schien, als befände sich niemand in dem großen Raum, doch dann blitzte ganz hinten etwas Weißes auf. Als er genauer hinsah, entdeckte er eine sich schnell bewegende Gestalt. Die Frau trug ein weißes Top und … sonst nichts? Instinktiv heftete er den Blick auf ihre Beine – ihre unglaublich langen Beine, die sich unglaublich schnell bewegten.

Kurze Pyjamahosen. Sie trug kurze Pyjamahosen.

Nun öffnete sie ein weiteres Fenster. Sie hatte Ballettschuhe an und tanzte durch den Raum. Dabei drehte sie sich so schnell, dass ihr das wellige rotbraune Haar um den Kopf flog. Dann machte sie einen Satz und landete neben einem Fenster am jenseitigen Ende des Raums, das sie mit einer theatralischen Geste öffnete, bevor sie sich wieder umdrehte und Antonio ihr Gesicht zum ersten Mal richtig sah.

Sie lächelte. Es war nicht die Art Lächeln, das Antonio normalerweise vorbehalten war, nicht ehrfürchtig oder verunsichert oder lockend … dieses Lächeln war so voller Lebenslust, dass Antonio es ratsam fand, sofort zu verschwinden, doch er konnte seinen Blick nicht losreißen.

Erregung packte ihn.

Wut. Kein Verlangen. Verlangen empfand er nie.

Um nicht mitzubekommen, dass sie nach San Felipe gezogen war, hätte er die vergangenen sechs Monate hinter dem Mond leben müssen. Als Regent des Inselstaats wusste er genau, wer sie war und warum sie hier war. Und es war ihm egal, dass sie in Natura noch viel besser aussah als auf all den Bildern im Internet.

Bella Sanchez war hier, um Ärger zu machen.

Und Antonio wollte keinen Ärger in San Felipe.

Bella Sanchez wollte er ebenfalls nicht.

Er wollte niemanden.

Und doch stand er hier wie angewurzelt und beobachtete, wie sie selbstvergessen von einem Fenster zum nächsten wirbelte, bis sie alle geöffnet hatte. Am Schluss vollführte sie noch ein paar schwindelerregende Pirouetten und blieb plötzlich stehen – direkt vor dem Fenster, durch das er zu ihr hineinsah.

„Gefällt dir der Anblick?“ Ihr Lächeln war erloschen und ihre Stimme voller Sarkasmus.

Weil er sich nicht rührte, kam sie näher. Sie war nicht einmal außer Atem. Mit ihren grünen Katzenaugen funkelte sie ihn wütend an.

Glaubte sie etwa, sie könnte ihn dazu bringen, beschämt abzuziehen? Wieder wallte Wut in ihm auf. Er schob die Kapuze seines Sweatshirts zurück und blickte die Frau ungerührt an.

Als sie ihn erkannte, machte sie große Augen, aber ihr erschrockener Gesichtsausdruck verwandelte sich rasch in eine undurchdringliche Miene. Bella straffte sich. Sie hatte eine unglaublich aufrechte Haltung.

„Hoheit“, sagte sie. „Kann ich Ihnen behilflich sein?“

Unglücklicherweise bekam er keinen Ton heraus. Wie konnte sie so früh am Morgen schon so blendend aussehen? Sie hatte sicher eine lange Nacht gehabt, trotzdem sah sie unerträglich frisch und strahlend aus – und das ohne das kleinste bisschen Schminke.

Antonio vermied es, mit Frauen alleine zu sein – vor allem, wenn es sich bei ihnen um Models, Schauspielerinnen und andere Promis handelte. Aufgrund seiner Stellung belagerten sie ihn trotzdem und versuchten ihr Glück bei ihm. Im Lauf der letzten Jahre hätte er Hunderte, wenn nicht Tausende von schönen Frauen haben können. Und er hatte sie alle zurückgewiesen.

Aber keine hatte so toll ausgesehen wie Bella Sanchez in diesem Moment. Und so stolz.

Sie kam einen weiteren Schritt näher. „Warum haben Sie mich beobachtet?“

Sein Ärger verstärkte sich. Er war einer Begegnung mit ihr bewusst aus dem Weg gegangen, und jetzt ließ sie es klingen, als sei er ein Spanner. Und ein wenig kam er sich auch so vor.

„Die Sperrstunde ist längst angebrochen“, antwortete er steif.

„Ist das eine Kontrolle?“ Sie funkelte ihn an. „Der Club ist geschlossen.“

Ihr leichter englischer Akzent war wahrscheinlich auf die vielen Jahre, die sie im Ausland gelebt hatte, zurückzuführen. „Ich lüfte einfach nur die Räumlichkeiten.“

„Um verdächtige Gerüche loszuwerden?“ Er würde nicht so tun, als wüsste er nichts von den Gerüchten.

Ein knappes Lächeln spielte um ihre Lippen, so ganz anders als das von vorhin. „Das hier ist ein Nichtraucherlokal und keine Lasterhöhle.“

„Es gibt noch andere Laster“, gab er zu bedenken. „Salvatore Accardi hat mich gewarnt, dass dieses Unternehmen nur Ärger für San Felipe bedeutet.“

„Er kennt sich mit Ärger ja bestens aus“, gab sie unbeeindruckt zurück.

Antonio hatte ihre Reaktion auf den Namen Accardi testen wollen, aber diese war sehr zurückhaltend ausgefallen. Salvatore Accardi, ein italienischer Politiker im Ruhestand, hatte sich dauerhaft in seinem Ferienhaus in San Felipe niedergelassen. Und es hieß, dass er der Vater von Bella Sanchez sei.

Bei ihrer Geburt vor etwa zwanzig Jahren hatte man angenommen, dass sie das Kind des verheirateten Salvatore und seiner Geliebten sei.

Die skandalträchtige Affäre war damals in allen Zeitungen breitgetreten worden, aber Salvatore hatte Bella nie als seine Tochter anerkannt. Er hatte sich geweigert, einen Vaterschaftstest durchzuführen, war bei seiner leidgeprüften Ehefrau geblieben und hatte mit ihr die gemeinsame Tochter aufgezogen, die gerade einmal drei Monate vor Bella geboren worden war. Bella war im Blickpunkt der Öffentlichkeit aufgewachsen und war professionelle Tänzerin gewesen, bevor sie diesen Club im Herzen von Antonios Fürstentums eröffnet hatte. Und laut Salvatore Accardi würde ihre Anwesenheit in San Felipe nur Skandale provozieren.

„Was ist so schlimm daran, den Leuten zu ermöglichen, sich ein bisschen zu amüsieren?“, fragte Bella und zuckte mit ihren schmalen Schultern. Trotz ihrer sehr schlanken Erscheinung wirkte sie ziemlich kräftig.

Stirnrunzelnd wunderte sich Antonio darüber, wohin seine Gedanken abirrten. „Darum geht es nicht“, entgegnete er kalt. „Es geht um Rache. Darum haben Sie hier direkt vor Accardis Nase die Zelte aufgeschlagen.“

„Hat er Ihnen das erzählt?“, fragte sie verärgert. „Denken Sie ernsthaft, dass Sie alles glauben können, was er sagt?“

Salvatore Accardi war Antonio zwar nie besonders sympathisch gewesen, andererseits hatte er nie schlechte Erfahrungen mit ihm gemacht. Die Korruptionsanschuldigungen, die über ihn kursierten, waren nie bewiesen worden. Und wenn der Mensch eine zweifelhafte Moral hatte, so war das seine Sache. Er war schon zu lange Grundbesitzer in San Felipe, als dass Antonio ihn ohne Weiteres des Landes hätte verweisen können.

Genauso wenig wie er Bella Sanchez eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung hätte verweigern können. Und hatte nicht jeder ein Recht darauf, für unschuldig gehalten zu werden, solange nicht das Gegenteil bewiesen werden konnte?

In ihren kurzen weißen Pyjamahosen sah Bella sowohl unschuldig als auch unerträglich sinnlich aus. Durch den dünnen Baumwollstoff war deutlich zu erkennen, dass sie nichts darunter trug. Und ihre schmale Taille war ebenso wenig zu übersehen wie ihre weiblichen Rundungen.

„Ich bin nicht sicher, ob ein Lokal wie dieses zu San Felipe passt“, sagte Antonio steif.

„Als gäbe es hier nicht noch andere Clubs“, erwiderte sie und beugte sich so weit vor, dass er einen aufregenden Einblick in ihr Dekolleté erhaschte. „Das hier ist schließlich kein Sexclub. Es gibt keine Stangentänzerinnen und keine Stripperinnen.“ Sie hielt kurz inne und fuhr dann nachdrücklich fort: „Und ganz sicher keinen Drogenkonsum in irgendwelchen Hinterzimmern.“

Er wusste, dass ihre Mutter Madeleine Sanchez, eine berühmte Mätresse in einer Zeit, als so etwas noch als skandalös gegolten hatte, vor über einem Jahr in einem Pariser Apartment an einer Überdosis gestorben war.

Jeder wusste alles über Bella Sanchez.

„Das hier ist ein seriöses Tanzlokal“, fuhr sie fort, „und ich bin eine verantwortungsbewusste Clubbetreiberin.“

„Sie sind jung und unerfahren“, entgegnete er und fügte hinzu: „Was das Leiten eines Unternehmens betrifft.“

Einen kurzen Moment lang sah sie wütend aus, doch sie hatte ihre Gefühle schnell wieder im Griff – entschlossen straffte sie die Schultern und musterte ihn mit einem leichten Lächeln.

Er wappnete sich. Gleich würde sie zum Gegenschlag ausholen. Und sonderbarerweise freute er sich darauf.

Mit einer einladenden Geste meinte sie verführerisch gurrend: „Warum kommen Sie nicht rein und machen sich ein Bild? Schauen Sie selbst nach, ob hier irgendetwas nicht stimmt.“

Das war eine unverblümte Kampfansage – sie hatte in Sekundenschnelle auf „Bella Sanchez, Sexsymbol“ umgeschaltet.

Doch das konnte ihm nichts anhaben. Nicht dieses kokett-überlegene Lächeln. Ganz im Gegensatz zu den Gefühlen, die sich in ihrem Blick spiegelten. Der Wut, die sie zu unterdrücken versuchte, und dem leichten Zittern ihrer Hände, bevor sie diese zu Fäusten ballte.

„Gern.“ Er wusste, sie hatte geglaubt, dass er dankend ablehnen und verschwinden würde. Aber ihm war gerade danach, genau das zu tun, was niemand von ihm erwartete – sie schon gar nicht. Befriedigt registrierte er den erschrockenen Ausdruck, der über ihr Gesicht huschte.

Antonio wartete, während sie die schwere Tür aufschloss und beiseite trat, um ihn hereinzulassen. Drinnen hielt er inne und sah zu, wie sie die Tür schloss und um ihn herumging, um ihn hineinzuführen.

„Keine verdächtigen Gerüche, stimmt’s?“, fragte sie.

„Nichts Illegales jedenfalls.“

Hier im Erdgeschoss sah es gepflegt aus und roch sauber. Der eher nicht als angenehm zu bezeichnende Geruch von Hunderten exzessiv tanzender Gäste hatte sich hier noch nicht festgesetzt. Antonio ließ den Blick über die Luxustapete hinauf zur Empore mit dem schmiedeeisernen Geländer schweifen. Die Kronleuchter funkelten. Er war seit zehn Jahren nicht mehr in einem Nachtclub gewesen. Mit Anfang 20 war er gekrönt worden, aber ihm waren die Einschränkungen, die seine Stellung mit sich brachte, bereits vorher bewusst gewesen. Er war immer ein pflichtbewusster Mensch gewesen, hatte es sein müssen.

Jetzt regten sich die Sehnsüchte, die er vor so vielen Jahren begraben hatte, zum ersten Mal wieder. Wann hatte er das letzte Mal getanzt?

„Sie wollen sicher die Ausschankgenehmigung sehen.“ Bella ging zum Haupttresen. „Hier ist sie – wo sie sein soll. Die Notausgänge sind vorschriftsmäßig markiert“, fügte sie hinzu. „Das hier war übrigens mal eine Feuerwache.“

Das wusste er. Und er war sich sicher, dass man hier nichts gegen Bellas feurigen Blick auszurichten gewusst hätte.

„Die übrigen Unterlagen sind oben“, sagte sie und wandte sich ihm zu.

„Nach Ihnen“, antwortete er nur. Jetzt wollte er es genau wissen.

Einen Moment lang konnte er ihr den Schreck wieder ansehen.

Natürlich, Kronprinz Antonio – wie seine Landsleute ihn nach dem Tod seiner Eltern weiterhin nannten – würde normalerweise niemals das Hinterzimmer eines berüchtigten Nachtclubs betreten – noch dazu in der alleinigen Gesellschaft einer mutmaßlichen Femme fatale. Aber er hatte Lust dazu, einfach nur, weil er ihre Reaktion noch einmal sehen wollte.

Er verkniff sich ein Lächeln, als er ihr zu der Wendeltreppe an der Seite des Raums folgte. Doch als er hinter ihr die Stufen hochstieg, erlosch sein Lächeln. Mit einer so leicht bekleideten Frau war er seit Jahren nicht mehr alleine gewesen. Eigentlich hätte es kein Problem sein sollen. Nur ihre Beine – die waren so unendlich lang. Er versuchte, nicht darauf zu achten – erfolglos. Als sie die Empore erreichte, eilte sie voraus, um ein weiteres Fenster zu öffnen. Anschließend steuerte sie auf eine Nische zu, in der sich eine Tür verbarg, auf der „Privat“ stand.

Dahinter befand sich eine weitere Treppe.

Dieses Mal gab er der Versuchung nach und gönnte sich einen verstohlenen Blick auf ihre Schönheit. Bella wusste es ja nicht. Doch als sie in ihrem Büro auf ihn wartete, waren ihre Wangen ein wenig gerötet.

Das oberste Stockwerk war eindeutig ihr privater Bereich und unterschied sich stark von dem dunklen, pompös eingerichteten Club. Dieser Raum war heller mit seinen weißen Wänden und dem cremefarbenen Teppich auf dem Dielenboden. Ein großer Schreibtisch mit einem Laptop und Ordnern darauf dominierte den Raum. Dahinter gab es einen Aktenschrank, davor standen ein paar Sessel. Antonio zögerte. Es gab noch eine weitere Tür, die offen stand. Dahinter konnte er eine kleine Küchenzeile erkennen.

Da Bella im Pyjama war, musste er wohl annehmen, dass es dort außerdem ein Bett gab. Auf der Stelle war ihm klar, dass er einen Fehler gemacht hatte. Und er konnte sich keine Fehler leisten.

Bella war perplex. Antonio De Santis hatte ihre Herausforderung tatsächlich angenommen und stand nun in ihrem kleinen Büro. Sie hatte angenommen, dass er dankend ablehnen würde. Doch offenbar hatte er sich tatsächlich diesen frühen Morgen ausgesucht, um ihr Unternehmen zu kontrollieren – unanständig früh, in diesem für ihn seltsamen Aufzug und obendrein mit Verweis auf den Mann, der sich weigerte, sie anzuerkennen.

Ohne die Kapuze seines Sweatshirts über seinem Kopf hatte sie ihn sofort erkannt, obwohl er dem asketischen Mann, den sie aus dem Fernsehen und aus Magazinen kannte, nicht wirklich ähnelte. Der war groß, breitschultrig, perfekt frisiert und trug fast immer einen makellosen dunkelblauen Anzug. Was perfekt zu dem reservierten, stets höflichen und distanzierten Staatsoberhaupt passte.

Der Mann, der vor ihr stand, war unrasiert und ungekämmt. Er war wohl laufen gewesen in dem alten Sweatshirt, den Jogginghosen und den Sportschuhen.

Und dann sein angespannter Blick! Das alles verblüffte sie. Wie auch die Tatsache, dass sie in seiner Gegenwart so aufgeregt war.

So fühlte sie sich sonst nie, wenn sie mit einem Mann zusammen war.

„Hier ist alles Wichtige drin.“ Sie öffnete einen Ordner und drehte ihn so, dass De Santis darin lesen konnte. Sie wollte, dass er so schnell wie möglich zufrieden verschwand. Auf keinen Fall würde sie sich unterkriegen lassen. All den Zweiflern hatte sie bewiesen, dass sie diesen Club managen konnte. Und auch ihm würde sie es beweisen.

Sie machte sich nichts daraus, dass sie nur ihren knappen Pyjama und unter dem etwas zu weiten Top keinen BH trug – ihr war nichts peinlich. Es war ihr egal, dass sie nur zwei Stunden geschlafen hatte, weil so viel zu tun war. Der Club hatte erst seit einer Woche geöffnet, und auch wenn sich alles vielversprechend anließ, würde es noch eine Weile dauern, bis der Laden so erfolgreich wäre, dass sie ihn verkaufen und das Unternehmen gründen könnte, von dem sie träumte.

Antonio sagte nichts zu den Dokumenten. Als sie zu ihm aufsah, erwischte sie ihn dabei, wie er sie anstarrte.

Bella war es gewohnt, von Männern mit Blicken verschlungen zu werden. Sie wollten ja immer dasselbe. Alle dachten sie, sie wüssten Bescheid über sie. Aber der eisige Blick dieses Mannes war anders. Er war durchdringend.

Antonio stand ganz still da. Verhalten. Abschätzend.

Jeder kannte die Geschichte von Antonio De Santis. Seine große Liebe war knapp zwei Monate nach dem tödlichen Unfall seiner Eltern und seiner anschließenden Krönung an Krebs gestorben. Seitdem war er mit keiner Frau zusammen gewesen. Sein Herz war mit ihr gestorben. Und laut den Klatschmagazinen würde ihn nur die Liebe einer reinen und perfekten Frau heilen können.

Diese Frau war sie, Bella, ganz sicher nicht, so, wie er sie ansah – abweisend und missbilligend.

Das verunsicherte Bella und es reizte sie, ihm eine Reaktion zu entlocken. Hinter dieser Eiswand musste sich doch irgendein Gefühl verbergen.

Eigentlich hätte er sie einschüchtern müssen. Sie hätte höflich bleiben müssen. Seine Macht respektieren. Aber sie war zu müde. Und zu verletzt.

„Warum starren Sie mich an, als hätte ich mich danebenbenommen?“, fragte sie spitz und trat hinter dem Tisch hervor. „Hätte ich einen Knicks machen sollen, als Sie hereingekommen sind? Soll ich vor Ihnen auf die Knie sinken?“, fuhr sie in verführerischem Ton fort.

Und schon bereute sie es.

Denn es kam keine Reaktion. Er rührte sich nicht. Sagte nichts. Sah sie einfach nur weiter mit diesem unterkühlten Blick an.

Ihre Wangen glühten. Jetzt hatte sie sich verhalten wie der skandalöse, ordinäre Vamp, für den man sie hielt. Aber sie machte allen nur etwas vor.

Er nicht. Er war so frostig, wie man über ihn sagte. Und mindestens ebenso atemberaubend.

„Da müssen Sie sich schon etwas mehr anstrengen“, bemerkte er schließlich. „Sie glauben doch wohl nicht, dass Sie die Erste sind, die versucht, mich herumzukriegen, indem sie sich für mich auszieht und vor mir herumtanzt.“

Das saß. „Ich habe mich nicht ausgezogen.“

„Aber Sie haben sich auch nichts übergezogen.“

„Und ich habe nicht vor Ihnen herumgetanzt. Ich war alleine und habe mich aufgewärmt. Sie sind derjenige, der stehen geblieben ist und reingeguckt hat. Sie hätten weitergehen können, Tony.“

Endlich bekam sie eine Reaktion – er starrte sie fassungslos an. Aber nur für den Bruchteil einer Sekunde. „Wie haben Sie mich eben genannt?“, fragte er schneidend.

„Tony“, antwortete sie. „Kronprinz Antonio ist doch ein bisschen übertrieben als Anrede.“

Einen Moment lang sagte er nichts, ließ seinen Blick nur über ihren Körper gleiten. „Ein bisschen übertrieben …“, wiederholte er.

Hatte er das jetzt tatsächlich gesagt, während er ihre Brüste angestarrt hatte? Die tatsächlich eher groß waren, vor allem für eine Tänzerin. Nun verschränkte er die Arme und schaute Bella weiter an, was sie sehr verunsicherte.

Er verhielt sich ihr gegenüber ganz anders als die meisten anderen, schien sie eingehend zu prüfen.

„Ich kenne diese ganzen Finessen, mit denen ihr Frauen versucht, mein Interesse zu wecken“, behauptete er. „Das funktioniert nicht.“

„Glauben Sie, dass ich meine weiblichen Reize einsetze, um Sie einzuwickeln? Weil Sie der Hauptgewinn sind?“

„Tun Sie das denn nicht?“ Er neigte leicht den Kopf zur Seite. „Oder wollen Sie mich einfach nur provozieren? Um dem Eisprinzen eine Reaktion zu entlocken? Denn auf eine Reaktion sind Sie doch scharf.“

Bella staunte über seine Treffsicherheit.

„Ich kenne alle Varianten“, fuhr er fort, „die Mitleidsschiene und die zickige Tour … ich habe das alles schon gehabt, also bemühen Sie sich nicht.“

Ihr wurde ganz heiß vor Wut. „Sie meinen also, dass ich etwas von Ihnen will?“

Er verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln und sagte nichts.

„Sie sind unglaublich eingebildet.“

„Finden Sie?“

Und ob. Doch trotz der unterkühlten Stimmung fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Er war schrecklich attraktiv, und heiße Sehnsucht durchströmte sie. Was, wenn er ihre Herausforderung annahm?

Würde sie widerstehen können? Aber so dumm war sie nicht. Ihre Triebe sollten sich dorthin verziehen, wo sie sich die letzten drei Jahre versteckt hatten.

„Keine Angst, ich flirte nicht mit Ihnen“, erklärte sie mit Nachdruck. „Ich habe nicht vor, Sie mir mit irgendwelchen Tricks gewogen zu machen oder sexuelle Begehrlichkeiten zu wecken. Kurz gesagt, ich bin nicht an Ihnen interessiert.“

„Aber Sie interessieren mich“, erwiderte er und brachte sie damit ins Schleudern.

Ihre Haut prickelte vor Erregung.

„Warum sind Sie nach San Felipe gekommen? Warum jetzt?“, wollte er wissen.

Bellas Herzschlag stockte, als sie in seine blauen Augen blickte. Einen Moment lang sah er tatsächlich menschlich aus, so, als würde es ihn wirklich interessieren. Und einen Moment lang sehnte sie sich danach, sich ihm anzuvertrauen.

Aber wie sollte sie es ihm sagen, wenn er selbstgefällig davon ausging, dass sie auf einen königlichen Liebhaber aus war? Wenn er ihrem Vater glaubte, der sich stets geweigert hatte, sie als seine Tochter anzuerkennen?

Sie wünschte, Antonio würde gehen, gleichzeitig konnte sie den Blick nicht von seinem lösen. Sie hatte geglaubt, mit allem fertigwerden zu können, aber ob sie mit ihm klarkommen würde, wusste sie nicht.

Wie zur Begrüßung streckte er ihr die Hand entgegen. „Warum jetzt, Bella?“

Um nicht von ihm berührt zu werden, drehte sie sich abrupt um.

„Vorsicht …“

Seine Warnung kam zu spät. Bei ihrem Ausweichmanöver knickte Bella um und geriet ins Straucheln. Dabei ratschte sie sich den Oberschenkel an der Ecke des Tisches auf.

Antonio zuckte zusammen, als er ihr schmerzverzerrtes Gesicht sah. Sie hatte sich den Oberschenkel verletzt. Als er genauer hinsah, bemerkte er eine lange, wellige Narbe an ihrem Schienbein.

Sie wurde blass und kniff die Lippen zusammen.

Es war so lange her, dass er zum letzten Mal getröstet worden war oder jemanden getröstet hatte, dass er schon fast vergessen hatte, wie das ging. „Bella?“

„Alles in Ordnung.“ Sie straffte sich und atmete tief ein.

„Dann ist es ja gut“, antwortete er, obwohl er wusste, dass es eben nicht gut war.

„Nicht, dass Sie das wieder für irgendeinen Trick halten.“

„Es ist ja meine Schuld, dass das passiert ist“, antwortete er steif. Er wollte ihr helfen, fühlte sich aber sonderbar ohnmächtig.

„Sie fühlen sich verantwortlich? Keine Sorge, ich werde Sie nicht anzeigen. Das Bein ist ohnehin kaputt.“

„Trotzdem muss man sich darum kümmern.“ Aus der kleinen Wunde quoll Blut. „Haben sie einen Verbandskasten?“

„Selbstverständlich.“ Bella rührte sich nicht.

Er seufzte. „Zeigen Sie ihn mir, oder ich entziehe Ihnen die Ausschankgenehmigung.“

Zähneknirschend ging sie um den Tisch herum. Antonios Irritation wuchs. Bella wollte sich wirklich nicht helfen lassen. War er ihr zu nahe getreten, oder lag es daran, dass er mit seiner Andeutung nicht ganz falsch lag?

Sie hatte ihn reizen wollen. Aber das mit dem Niederknien hatte nicht doppeldeutig klingen sollen. Anderenfalls wäre sie ihm eben nicht so erschrocken ausgewichen.

Bella reichte Antonio den Kasten mit finsterem Blick. Antonio verkniff sich ein zufriedenes Lächeln und öffnete den Kasten.

„Lehnen Sie sich an den Tisch“, befahl er.

„Das ist nicht nötig.“

Er war es nicht gewohnt, Anweisungen zu wiederholen. Als er ihr ins Gesicht sah, funkelte sie ihn aufmüpfig an. „Lehnen Sie sich an den Tisch.“

Widerwillig gehorchte sie.

„Danke“, antworte er betont höflich.

Er kniete sich vor sie, wobei er unwillkürlich an ihre doppeldeutige Bemerkung von eben dachte.

Antonio wusste, dass eine Verletzung ihre Karriere beendet hatte. Er kannte sich mit Ballett nicht besonders gut aus, aber ihm war klar, wie viel Engagement und Kraft Bella in ihre Karriere investiert haben musste.

Ihr Körper war noch immer ungeheuer athletisch. Jetzt, aus der Nähe, konnte Antonio ihren leichten, blumigen Duft riechen, der ihn an einen Sommertag erinnerte, nicht an lange Nächte in einem dunklen Club. Er sah sie vor sich, wie sie mit den Gästen provokante Tänze aufs Parkett legte, und biss die Zähne zusammen. Er war nicht eifersüchtig. Und nicht erregt.

Sie erregte ihn nicht.

Er war nicht wie die anderen Männer. Er hatte keine Zeit dazu. Und kein Recht. Aber in diesem Moment wollte er nur noch ein ganz normaler Mann sein.

„Tanzen Sie bei allem, was Sie tun?“, fragte er, um sich von ihrem süßen Duft und ihrer zarten Haut abzulenken. Er tupfte das Blut ab und klebte so rasch wie möglich ein Pflaster auf die Wunde, um Bella nicht länger als nötig zu berühren.

„Meinen Sie die Frage ernst?“, wollte sie wissen.

„Ja.“ Er blickte auf. Bella saß unnatürlich steif da, offenbar hielt sie den Atem an.

Sie sah ihn aus ihren tiefgrünen Augen an. „Sie wollen wissen, ob ich beim Zähneputzen tanze?“

Autor

Natalie Anderson
<p>Natalie Anderson nahm die endgültigen Korrekturen ihres ersten Buches ans Bett gefesselt im Krankenhaus vor. Direkt nach einem Notfall-Kaiserschnitt, bei dem gesunde Zwillinge das Licht der Welt erblickten, brachte ihr ihr Ehemann die E-Mail von ihrem Redakteur. Dem Verleger gefielen ihre früheren Korrekturen und da es gerade einen Mangel an...
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