Der Tag, an dem das Glück zurückkam

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Tausend Tränen hat Lisa um ihren Mann William geweint, der bei einem Auslandseinsatz gefallen ist. Aber das Leben der jungen Mutter geht weiter, ihre kleine Tochter Lilly braucht sie - und dann steht eines Tages ein Soldat vor ihrer Tür: Alex Dane ist gekommen, um ihr Williams letzte Briefe zu bringen. "PS: Sei glücklich", liest Lisa tiefbewegt. Unmöglich, dass sie den schweigsamen Überbringer einfach wieder gehen lässt! Und als sie Lillys kleine Hand vertrauensvoll in Alex' starker Hand sieht, regt sich in Lisa ein Gefühl, an das sie nicht mehr glauben wollte …


  • Erscheinungstag 05.03.2013
  • Bandnummer 1874
  • ISBN / Artikelnummer 9783954464258
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Alex Dane brauchte keinen Arzt, um zu wissen, dass sein Puls gefährlich hoch war. Er drückte einfach zwei Finger auf sein Handgelenk und zählte mit. Gleichzeitig versuchte er, seine Atmung zu verlangsamen und sich wieder einigermaßen in den Griff zu bekommen.

Sein Herz donnerte wie ein Presslufthammer.

Ohne sein ausgeprägtes Pflichtbewusstsein, hätte er einfach den Rückwärtsgang eingelegt und wäre wieder nach Hause gefahren.

Doch das konnte er nicht.

Rasch überprüfte er die Adresse auf dem zerknitterten Zettel, bevor er ihn wieder zusammenknüllte. Dabei wusste er sie längst auswendig. Und zwar seit jenem Tag, an dem sie ihm von seinem im Sterben liegenden Freund überreicht worden war.

Trotzdem trug er sie noch immer mit sich herum. Nach all diesen Monaten war es nun an der Zeit, den Zettel wegzuwerfen und sein Versprechen einzulösen.

Als er die braune Papiertüte in die Hand nahm, beschleunigte sich sein Herzschlag von Neuem, und Alex verfluchte sich dafür, dass er jemals versprochen hatte, hierher zu kommen.

Alles war genauso, wie er es sich vorgestellt hatte – und doch wieder ganz anders. Die frische Luft, die Bäume, das Gras … All diese ländlichen Eindrücke trafen ihn mit voller Wucht, als er aus dem Wagen stieg.

Ihn umgaben Düfte, nach denen er sich gesehnt hatte, als er sich noch durch Wüsten in weit entfernten Kriegsgebieten geschleppt hatte.

Jetzt konnte er schon das Haus sehen, das ein Stück weit von der Straße entfernt war. Cremefarbene Schindeln lugten unter einem Dach aus Baumkronen hervor. Alles war genauso, wie William Kennedy es beschrieben hatte.

Er versuchte, die Schuldgefühle zu ignorieren, die ihn heimsuchten, seit er wieder amerikanischen Boden unter den Füßen hatte. Dann ging er los und bemühte sich dabei, den militärischen Takt anzuschlagen, der ihm so vertraut war. Sich vorzustellen, es handle sich um einen beruflichen Auftrag, machte die Sache leichter.

Er musste ja nichts weiter tun, als sich vorzustellen, die Gegenstände zu überreichen, zu lächeln und sich dann zu verabschieden. Diesem exakten Ablauf musste er folgen. Die Einladung auf einen Kaffee ausschlagen. Kein Mitleid mit ihr empfinden. Und das Kind dabei nicht ansehen.

Da stand er auch schon am Fuße der Verandatreppe. Die Farbe blätterte von den Stufen ab, ohne sie dabei ungepflegt aussehen zu lassen.

Spielzeug lag auf dem Boden verstreut – zusammen mit einem ausgewetzten Bettvorleger, der wahrscheinlich dem Hund gehörte.

Alex blickte zur Tür, dann auf die Tüte in seiner Hand. Hätte er sich noch fester an sie geklammert, wäre sie womöglich zerrissen.

Er zählte bis vier und sog dabei so viel Luft in seine Lungen, wie nur irgend möglich. Dann klopfte er mehrmals hintereinander an die Holzvertäfelung der Tür.

Geräusche aus dem Innern verrieten, dass jemand zu Hause war. Die rasch näherkommenden Schritte bereiteten ihn darauf vor, dass es nun an der Zeit war, das lange Geübte in der Praxis anzuwenden.

Doch seine innere Stimme forderte ihn auf, die Tüte einfach vor die Tür zu legen und so schnell wie möglich abzuhauen.

Feuchter Schweiß glänzte auf seiner Stirn, als er seinen Füßen befahl, wie angewurzelt stehen zu bleiben.

Wäre er doch niemals hierhergekommen.

Lisa Kennedy überprüfte kurz ihren Pferdeschwanz, zog ihre Schürze enger und öffnete dann die Tür.

Vor ihrer Veranda stand ein Mann, mit dem Rücken zu ihr, als habe sie ihn gerade dabei erwischt, wie er sich aus dem Staub machen wollte.

Man musste kein Genie sein, um zu erkennen, dass sie es mit einem Soldaten zu tun hatte. Die kurze Streichholzfrisur und seine kontrollierte, militärische Haltung sprachen eine deutliche Sprache.

„Kann ich Ihnen helfen?“

War er ein Freund ihres verstorbenen Mannes? Sie hatte bereits viele Grußkarten und Anrufe von Männern erhalten, die William gut gekannt hatten. War dies ein weiterer Kamerad, der nach all diesen Monaten sein Beileid bekunden wollte?

Mit einer knappen Drehung, ohne sich dabei vom Fleck zu bewegen, wandte sich der Mann um und sah sie an.

Lisa hörte kurz auf, mit der Schnur ihrer Schürze zu spielen. Die blonde Streichholzfrisur gehörte einem Mann mit den braunsten Augen, die sie jemals gesehen hatte. Seine Schultern waren so breit wie die eines Footballspielers und auf seinen Lippen lag das traurigste Lächeln, das ein Mann wohl zur Schau stellen konnte.

Die Frau in ihr hätte ihn am liebsten in den Arm genommen und ihn gefragt, was er denn erlebt hatte, dass er so traurig geworden war.

Doch dem anderen Teil von ihr – der Ehefrau eines Soldaten – war klar, dass der Krieg sicher nicht zu den Dingen gehörte, an die er sich gerne erinnerte. Dazu blickte er zu gequält. Die Traurigkeit schien ihm aus allen Poren zu quellen.

„Lisa Kennedy?“

Ihren Namen aus seinem Mund zu hören, raubte ihr fast den Atem.

„Tut mir leid … Kennen wir uns …?“

Jetzt kam er langsam die beiden Stufen hinauf und blieb nur wenige Schritte von ihr entfernt stehen.

„Ich war ein Freund Ihres Mannes.“ Seine Stimme klang angespannt.

Sie lächelte. Deshalb wollte er sich also davonstehlen. Sie wusste, wie schwer es Soldaten fiel, den Hinterbliebenen eines Kameraden gegenüberzutreten. Lisa nahm an, dass er mit William in einer Einheit gewesen und gerade erst zurückgekommen war.

„Sehr freundlich von Ihnen, extra vorbeizukommen.“

Lisa streckte die Hand nach seinem Arm aus, doch ihre Finger hatten seine Haut kaum berührt, da zuckte er schon zurück, als habe sie ihn mit glühender Kohle gestreift. Als habe er noch nie die Berührung einer Frau verspürt.

Langsam zog sie die Hand zurück und verschränkte stattdessen die Arme.

Offenbar plagte ihn ein großer innerer Schmerz. Und diese Art der Kontaktaufnahme war er wohl nicht gewohnt. Lisa beschloss, ihn wie den Fremden zu behandeln, der er ja auch war.

Eine plötzliche Unsicherheit erfasste sie, als ihr bewusst wurde, wie attraktiv er eigentlich war – hätte er es nur verstanden, mal zu lächeln oder zu lachen.

Das Gesicht ihres Ehemannes war von tiefen Lachfalten gezeichnet gewesen. Und so offen, dass jeder Gedanke deutlich darin zu erkennen gewesen war.

Der Mann, der vor ihr stand, war dagegen wie eine leere Leinwand. Starke Wangenknochen, dickes, kurz geschnittenes Haar und eine goldbraune Haut, die von vielen Stunden im Freien zeugte.

Sie deutete sein Schweigen als Ausdruck von Schüchternheit – vielleicht auch von Nervosität.

„Möchten Sie hereinkommen? Ich könnte einen Eistee vertragen.“

Sie beobachtete dabei, wie er nach den richtigen Worten suchte. Es war ein trauriger Anblick. Ein so gut aussehender, so starker Mann, der so offensichtliche Schwierigkeiten hatte, sich in seine neue Rolle als Zivilist einzufinden.

„Ich … Äh …“ Er räusperte sich und bewegte sich unruhig am Fleck.

Lisa spürte, wie etwas an ihrem Hosenbein zog. Instinktiv streckte sie die Hand nach ihrer Tochter aus.

Seit Lilly erfahren hatte, dass ihr Daddy nie wieder nach Hause kommen würde, hatte sie mit niemandem außer Lisa gesprochen. Manchmal klammerte sie sich regelrecht an ihre Mutter, als wolle sie sie niemals mehr gehen lassen.

Der Blick des Mannes veränderte sich, wirkte jetzt angsterfüllt. Lisa hatte das Gefühl, dass er die Gesellschaft von Kindern nicht gewohnt war. Lillys Anblick hatte ihn offensichtlich aus der Bahn geworfen. Sein Blick wirkte jetzt sogar noch trauriger und gequälter, sofern das überhaupt möglich war.

„Lilly, geh und such Boston“, sagte sie und strich ihrer Tochter durch die langen Haare. „Im Kühlschrank liegt ein Knochen für ihn.“

Lisa warf dem Mann, dem es sichtlich die Sprache verschlagen hatte, einen weiteren Blick zu. Wenn er es gewohnt war, Befehlen zu folgen, dann würde sie ihm eben einen solchen erteilen.

„Setzen Sie sich, Soldat“, befahl sie und deutete auf eine alte Hollywoodschaukel auf der Terrasse. „Ich hol uns etwas zu trinken, und dann können Sie mir ganz genau erzählen, was Sie hierher nach Brownswood in Alaska verschlagen hat.“

Etwas huschte über sein Gesicht. Ein Anflug von Schuldbewusstsein. Doch sie ignorierte es.

Er ging zu der Hollywoodschaukel, und Lisa unterdrückte ein Lächeln. Wann hatte sie damit begonnen, sich in ihre eigene Mutter zu verwandeln? Mit jedem Tag klang sie ihr ähnlicher.

Dieser Mann wollte ihr nichts Böses, davon war sie überzeugt. Vermutlich litt er an einer Art Kriegstrauma und war wegen seines Besuchs bei ihr nervös. Doch damit konnte sie umgehen.

Außerdem geschah es nicht jeden Tag, dass ein gut aussehender Mann nach ihr verlangte. In jedem Fall wusste sie die Gesellschaft zu schätzen – auch wenn es nur darauf hinauslief, ein Glas Eistee mit einem Typen zu trinken, der nicht besonders mitteilungsbedürftig war.

Und gewiss gab es einen Grund für sein Kommen. Wieso hätte er sonst bis an ihre Türschwelle kommen sollen?

Alex bedachte sich innerlich mit jedem einzelnen Synonym für das Wort „Idiot“.

Wie ein Trottel hatte er dagestanden und die arme Frau angestarrt, während sie sich vermutlich gefragt hatte, welchem Irrenhaus er gerade entflohen war.

Was war mit seinem einstudierten Plan passiert?

Sein Blick fiel auf die Papiertüte neben ihm und er verfluchte sie. Genau wie damals, als er sie zum ersten Mal in Händen gehalten hatte.

William hatte ihm viel über seine Frau erzählt. Wie sehr er sie liebte, welche Art Mensch und was für eine tolle Mutter sie war.

Ihre Attraktivität hatte er jedoch bestimmt nie erwähnt.

Er wusste nicht genau warum, aber seine Schuldgefühle wurden dadurch sogar noch stärker. Das Bild von ihr, das er sich in Gedanken ausgemalt hatte, entsprach nicht im Entferntesten der Realität.

Vielleicht waren es die langen Haare. Die dicke, haselnussbraune Mähne, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war. Die tiefgründigen, haselnussbraunen Augen, die von langen Wimpern eingerahmt wurden. Oder die Art, wie ihre Jeans ihre Figur betonte und ihr Trägerhemd mehr Haut offenbarte, als dass es ihn nach so langer Zeit kalt ließe.

Vor allem ihre perfekte Figur ohne die Spur eines Schwangerschaftsbauches war ihm aufgefallen.

Jedem Mann wäre sie aufgefallen. Lisa war wunderschön, und zwar auf eine jugendlich frische, unschuldige Art. Er hätte schon äußerst gefühllos sein müssen, um das nicht zu bemerken.

Aber sie hätte einen Babybauch haben müssen. Oder hatte sie ihren Ehemann etwa belogen, was das Baby anging? Oder hatte Alex sich in der Zeit geirrt und das Kind war bereits auf der Welt?

In Gedanken ging er noch einmal seinen Plan durch und verfluchte seine Entscheidung, hierher zu kommen.

Er hatte sich nicht vorgestellt. Hatte nicht gelächelt. Weder hatte er ihr die Tüte gegeben noch ihre Einladung ausgeschlagen.

Sein ganz persönliches Fazit? Er war ein absoluter Dummkopf. Und wenn die junge Frau auch nur ansatzweise sensibel war, würde sie Angst vor ihm haben. Er hatte sie angeglotzt wie irgendein exotisches Tier, das darauf aus war, sie umzubringen.

Im Einsatz war er stets den Anweisungen gefolgt. Nie war er davon abgewichen.

Und jetzt reichten eine junge Frau und ein süßes Kind, um ihm völlig die Sprache zu verschlagen.

Aber vielleicht war es auch das Familienleben, dessen er hier Zeuge wurde. Vielleicht hatte ihn das aus der Bahn geworfen. Immerhin war das genau die Art von Leben, der er sich stets verweigert hatte.

Alex blickte auf, als er leise Schritte auf der Veranda vernahm. Er atmete tief ein und zwang sich zu einem Lächeln.

Auch das war etwas, das er erst wieder lernen musste: einfach nur aus Spaß zu lächeln. Klang einfach, aber aus irgendeinem Grund fiel ihm das in letzter Zeit unglaublich schwer.

Seine Mühe erwies sich jedoch als umsonst. Das einzige Wesen, das ihn beobachtete, war vierbeinig. Und wenn es darum gegangen wäre, mit ihm um die Wette zu lächeln, hätte Alex eindeutig den Kürzeren gezogen. Das Grinsen im Gesicht des schwanzwedelnden Golden Retriever war so breit, dass Alex jeden einzelnen Zahn im Maul des Hundes erkennen konnte.

„Hey, Kumpel“, sagte er und merkte dabei, wie dämlich er sich anhören musste. Bei Lisa hatte es ihm noch die Sprache verschlagen. Und jetzt sprach er mit ihrem Hund!

Boston hingegen schien Gefallen an der Unterhaltung zu finden. Er streckte seine Pfote aus, hielt sie in die Luft und winkte damit. Wollte er, dass Alex ihm die Hand gab?

„Sehr erfreut, dich kennenzulernen.“

Ein Geräusch hinter ihm ließ ihn knapp vor Bostons Pfote innehalten. Lisa kam mit einem Tablett heraus.

Alex tat, als würde er ihr kurz aufflackerndes Lächeln nicht bemerken. Na, immerhin sorgte er für ein wenig Nachmittagsunterhaltung. War er sich zuvor noch fast wie ein Geisteskranker vorgekommen, so fühlte er sich jetzt wie der Klassenclown.

Lisa stellte den Krug mit Eistee und einen Teller mit Keksen vor ihm auf den Tisch.

„Boston haben Sie bereits kennengelernt, wie ich sehe.“

Alex nickte langsam. Wie lange stand sie schon dort drüben?

„Er ist sehr gut erzogen“, sagte er schließlich.

Lisa lachte.

Alex reagierte überrascht. Es war eine Ewigkeit her, seit er eine Frau so ausgelassen erlebt hatte.

„Lilly liebt es, ihm Tricks beizubringen. Und er ist ein sehr gelehriger Schüler.“ Sie warf dem Hund ein Stück Keks vor die Pfoten. „Vor allem, wenn er mit Essen belohnt wird.“

Einen Moment lang saßen sie schweigend da. Alex suchte krampfhaft nach den Worten, die er ihr sagen wollte. Die Tüte schien ihn regelrecht anzustarren, zu pulsieren, als würde ein Herz in ihr schlagen.

Er wusste, dass der Small Talk vorbei sein würde, wenn er es ihr sagte. Seit Monaten zehrte es nun schon an ihm. Jetzt musste er es einfach loswerden.

Sie zog sich einen abgewetzten Stuhl heran und nahm Platz. Alex sah dabei zu, wie sie ihnen beiden ein Glas Tee einschenkte.

„Sie und mein Mann haben zusammen gedient, nehme ich an?“

Mit dieser Frage hatte er gerechnet, dennoch traf sie ihn hart und versetzte ihm einen Schmerz in der Schulter, der nicht ganz leicht abzuschütteln war.

Alex zögerte einen Moment, um die richtigen Worte zu finden. Reden war noch nie seine Stärke gewesen.

„Lisa.“ Er wartete bis sie sich wieder gesetzt und an ihrem Tee genippt hatte. „Als Ihr Mann aus dem letzten Fronturlaub zurückkam, wurden wir zusammen in eine Einheit versetzt.“

Sie war so schön, so herzerweichend schön, und das auf eine so sanfte und unaufdringliche Art, die es noch schwerer machte, es ihr zu sagen.

Er wollte nicht sehen, wie sich ihre freundlichen Gesichtszüge verkrampften, während er ihr von den letzten Momenten ihres Mannes erzählte. Er wusste nicht, ob er es ertragen konnte, diese Frau weinen zu sehen. Mitzubekommen, wie Tränen in diese haselnussbraunen Augen stiegen.

„Wir kamen uns während dieser Tour sehr nahe, und er hat mir viel von Ihnen erzählt. Und von Lilly.“

„Reden Sie weiter“, bat sie und beugte sich vor.

„Lisa, ich war bei ihm, als er starb.“ Er sprach diese Worte sehr hastig, als könne er es nicht erwarten, sie loszuwerden. „Es ging alles sehr schnell und ich war bis zum Ende bei ihm.“ Den Teil, dass die tödliche Kugel eigentlich für ihn bestimmt war, ließ er aus. Auch, wie William Alex warnen wollte, ihn aus der Gefahrenzone bugsierte und dabei erschossen wurde.

Er würde für seine Männer durchs Feuer gehen. Das hatte man in der Army über ihn gesagt. Und Alex konnte es aus eigener Erfahrung bestätigen.

Er sah Lisa wieder an. Eigentlich hatte er Tränen erwartet, ein unkontrolliertes Schluchzen gar, doch sie wirkte ganz ruhig. Ihr Lächeln war nun ein trauriges, doch die Verzweiflung, vor der er sich gefürchtet hatte, blieb aus.

Ihre Gelassenheit half ihm dabei, wieder zu Atem zu kommen und die Worte, die er so lange geübt hatte, auszusprechen.

„In seinen letzten Minuten hat er Ihre Adresse aufgeschrieben. Er bat mich, zu Ihnen zu fahren und nach Ihnen zu sehen. Ihnen zu sagen, dass …“

Lisa wechselte von ihrem Stuhl auf die Hollywoodschaukel und setzte sich dicht neben ihn.

Alex spürte, wie sich ihr Gewicht in die Polster drückte. Spürte die Wärme ihres Körpers, der seinem nun so nah war. Als sie dieses Mal die Hand auf seinen Arm legte, wich er nicht zurück. Stattdessen sah er sie an. „Er bat mich, Ihnen zu sagen, dass er Sie und Lilly geliebt hat. Dass Sie die Frau waren, nach der sich immer gesehnt hat.“

Jetzt hatte sie Tränen in den Augen. Sie quollen bereits über ihre Wimpern. Sie lächelte ihn knapp und mit bebenden Lippen an.

„Und er sagte: ‚Ich will, dass sie glücklich wird.‘“, endete Alex.

Während er diese Worte aussprach, spürte er, wie ein Tonnengewicht von seiner Seele genommen wurde. Diese Worte, die in seinem Kopf widerhallten, seit er sie zum ersten Mal gehört hatte. So als habe er Angst davor gehabt, sie zu vergessen.

„Typisch“, sagte sie, während sie einen Fuß anwinkelte und sich mit der Rückseite ihres Fingers die Augen abtupfte.

Seinen Arm ließ sie jetzt los, aber an der Stelle, an der sie ihn berührt hatte, konnte Alex noch immer die Wärme spüren. „Er geht und verlässt mich, und dann erklärt er mir, dass ich glücklich werden soll.“

Alex wich ihrem Blick aus. Ihm fiel nichts Tröstendes ein, das er hätte sagen können.

Dann nahm er die Tüte, die er neben sich gelegt hatte.

„Ich habe hier ein paar Dinge von ihm“, sagte er. „Hier.“ Er reichte ihr die Tüte und eine weitere Woge der Erleichterung überkam ihn.

Es fühlte sich so gut an, sie ihr endlich überreichen zu können. Seine Schuldgefühle hätten ihn noch bei lebendigem Leibe verzehrt, hätte er nicht den Mut dazu aufgebracht. Und was er wirklich nicht brauchen konnte, waren noch mehr Schuldgefühle.

Alex spürte, wie Lisa sich aufrichtete.

„Was ist da drin?“

„Einige Briefe, ein Foto von Lilly. Und seine alten Dienstmarken.“

„Er bat Sie, sie zu mir zu bringen?“

Alex nickte.

„Haben Sie die Briefe gelesen?“, fragte sie, während ihre Finger bereits nach dem Papierbündel im Innern der Tüte tasteten.

„Nein, Ma’am.“

Sie steckte sie in die Tüte zurück und beugte sich vor, um sie dann auf dem Tisch abzulegen.

„Mein Mann hat Ihnen vertraut, mir einen Besuch abzustatten, dabei kenne ich nicht einmal Ihren Namen“, sagte sie leise.

Alex stand auf. „Alex Dane.“

„Alex“, wiederholte sie. Ihr Lächeln löste in ihm den Wunsch aus, das Weite zu suchen. Noch mehr als vorhin, als sie ihm die Tür geöffnet hatte. Diese Frau sollte doch eigentlich trauern, traurig sein oder sogar deprimiert. Nicht so schön und gelöst.

Er war völlig verwirrt.

„Danke für den Tee, aber ich geh dann mal besser“, verkündete er völlig abrupt.

„Oh, nein, kommt nicht infrage.“

Als sie nach seinem Handgelenk griff, verzog er das Gesicht, wehrte sich jedoch nicht dagegen.

„Sie bleiben zum Essen. Ein Nein akzeptiere ich nicht.“

Bereitwillig ließ er sich von ihr zur Vordertür führen. Er hätte nie hierherkommen dürfen.

Am anderen Ende des Ganges linste ein Paar blaue Augen unter einem blonden Pony hervor und beobachtete ihn. Der Duft von Frischgebackenem strömte aus dem Haus. Williams gerahmtes Bild lächelte ihm von der Wand aus entgegen.

Er war hier im Haus eines anderen Mannes. Mit der Frau und dem Kind eines anderen Mannes. Er war in das Leben eines anderen getreten und das war nicht richtig.

Doch obwohl er wusste, dass es falsch war, hatte er das seltsame Gefühl, nach Hause zu kommen.

Nicht, dass er gewusst hätte, wie sich ein Zuhause anfühlte.

Lisa füllte den Wasserkocher und stellte ihn an. Trotz seines sonderbaren Verhaltens fühlte sie sich in Alex’ Gesellschaft völlig entspannt.

Nicht, dass es ihr an Besuchern gemangelt hätte – seit der Nachricht von Williams Tod kamen ständig Freunde und Familienmitglieder vorbei. Ganz zu schweigen von ihrer Schwester, die sie wie ein Kind behandelte, das einer besonderen Betreuung bedurfte. Irgendwie hatte sie immer eine Ausrede parat, um kurz vorbeizukommen.

Außerdem hatte sie viele Besuche von Soldaten gehabt, wenn auch nicht mehr in letzter Zeit.

Sie warf Alex einen kurzen Blick zu. Er saß nur wenige Schritte von ihr entfernt, doch er hätte sich genauso gut in einem anderen Staat aufhalten können. Seine Miene wirkte verschlossen, und Lisa vermutete, dass er sich dessen gar nicht bewusst war.

Nach allem, was sie über heimgekehrte Soldaten gelesen hatte, erholten sich viele von ihnen nie von den Dingen, die sie im Krieg gesehen hatten. Andere wiederum brauchten einfach etwas Zeit. Lisa hoffte, dass das bei Alex der Fall war. Jedenfalls spürte sie, dass er Hilfe benötigte.

Ein Teil von ihr war einfach nur neugierig. Der andere – ihr aufdringlicher Teil – wollte Alex über Williams Tod ausfragen. Und über die Dinge, die ihm auf der Seele lagen.

Sie nahm an, dass sie noch dazu kommen würde. Doch wie viele Fragen konnte sie ihm an einem einzigen Nachmittag stellen?

„Nehmen Sie Zucker?“ Sie sah ihn an, während er unsicher den Kopf hob.

„Ein Stück. Danke.“

Sie füllte Kaffeegranulat in jede der beiden Tassen, fügte Zucker hinzu, dann schüttete sie das kochende Wasser darüber.

Lisa spürte, wie er sie beobachtete, aber es machte ihr nichts aus. Die Tatsache, dass er bei Williams Tod an seiner Seite gewesen war, empfand sie seltsamerweise als tröstend.

Als sie Alex den Kaffee reichte, sah sie, dass er den Blick über ihren Körper schweifen ließ. Dennoch kam es ihr nicht so vor als würde er sie begaffen. Es war mehr, als würde er etwas überprüfen, nach etwas suchen.

„Ich trage keine Waffe, wenn es das ist, was Sie besorgt.“ Sie lachte, doch er zeigte noch nicht mal ein Lächeln. Stattdessen begann sein Gesicht rot zu glänzen.

Und auch Lisa verspürte eine ungewohnte Nervosität. Vielleicht war sie schon so lange aus dem Spiel, dass es ihr gar nicht mehr auffiel, wenn ein Mann sie ansah.

Es war ein seltsames Gefühl. Nicht unangenehm, aber auch nicht so, als wäre sie schon bereit dafür. Allerdings hatte sie mit ihrer Reaktion erreicht, dass er sich offensichtlich unwohl fühlte. „Es tut mir leid, Alex. Das war nur Spaß.“

Er wandte den Blick ab. „Ich bin etwas durcheinander, das ist alles.“

Fragend hob sie eine Augenbraue.

Alex seufzte und griff nach der heißen Tasse. „William hat erwähnt, dass Sie ein zweites Baby erwarten.“

Aha. Das war es also. Nun war sie beinahe enttäuscht, dass Alex sie doch nicht einfach so angesehen hatte. Doch für eine Witwe gehörte es sich ohnehin nicht, Interesse für einen anderen Mann zu entwickeln.

Es war nur so, dass der Tod ihres Mannes schon einige Monate her war. Und sie … sich wieder wie eine Frau fühlen wollte. Nicht wie eine Witwe oder eine Mutter oder eine Ehefrau. Wie eine Frau.

Was nicht hieß, dass sie ihren Mann nicht mehr liebte. Das tat sie. Sehr sogar.

Sie blinzelte ihre Verwirrung beiseite und lächelte Alex beruhigend an.

Ihr war klar, wie unwohl er sich fühlen müsste, sie das zu fragen. Nicht, dass sie ihm eine Erklärung geschuldet hätte, doch der Mann war von Wer-weiß-wo angereist, nur um sie zu besuchen und den letzten Wunsch ihres Mannes zu erfüllen.

Außerdem machte ihr es nichts aus, es ihm zu verraten. Nicht, wenn es ihm ein Stück seines Seelenfriedens zurückgab, bevor er abreiste und zu seiner eigenen Familie zurückkehrte.

„Ich wurde schwanger, als William gerade auf Fronturlaub zu Hause war. Ich hatte schon so ein Gefühl und machte am Tag vor seiner Abreise einen Test.“

Alex’ Gesicht war noch immer gerötet. Vermutlich war er es nicht gewohnt, sich mit der Frau eines Anderen über Schwangerschaften und Babys zu unterhalten.

„Ich habe das Kind im ersten Trimester verloren, wusste jedoch nicht sofort, wie ich es William beibringen sollte. Er war so begeistert darüber, dass wir endlich ein zweites Kind haben würden. Ich wollte ihn nicht enttäuschen. Doch dann ist er gestorben und hat es nie erfahren.“ Lisa hielt inne. „Wenn ich das Baby nicht verloren hätte, wäre es vor ein paar Monaten auf die Welt gekommen.“

Sie nippte an ihrem Kaffee und ihr Blick verlor sich in den Tiefen des schwarzen Gebräus.

Das Wissen, dass William niemals wieder zurückkehren würde, machte es noch immer schwer, über ihn zu sprechen. Doch ganz allmählich kam sie immer besser damit zurecht. Sie hatte das Gefühl, dass die größte Trauer überstanden war, auch wenn sie noch so manche schwere Stunde durchmachte. Diese Traurigkeit war … so erschöpfend. Und deshalb musste sie weniger werden.

„Das tut mir leid“, entgegnete er. „Wenn man weg ist, vergeht die Zeit wie im Flug.“

Lisa nickte.

„Glauben Sie, es war richtig, ihm nicht zu sagen, was mit dem Baby passiert ist?“

Alex’ Frage überraschte sie. Es war keine Anklage, keine Meinungsäußerung. Die Frage schien sich einfach nur anzubieten.

„Ja, ich glaube schon.“ Ihre Stimme klang sogar in ihren eigenen Ohren schwach. „Ich bin froh, dass er in dem Glauben gestorben ist, dass ich ein weiteres Baby erwarte, dem ich meine Liebe schenken kann. Dass Lilly einen Bruder oder eine Schwester bekommt.“

Bisher hatte sie mit niemandem so wirklich über die Fehlgeburt gesprochen. Nicht einmal mit ihrer Mutter. Es war ein gutes Gefühl, es jetzt loszuwerden. Vor allem gegenüber einer Person, die kein Aufhebens darüber machte oder sie wieder an den Schmerz erinnern würde.

Alex schwieg eine Weile. Wahrscheinlich war er auf das, was er gerade gehört hatte, nicht vorbereitet gewesen. „Es tut mir leid. Ich meine … Es ist nur so, dass …“

„… Sie nicht wissen was Sie sagen sollen?“, versuchte sie, ihm die Anspannung zu nehmen.

„Genau.“

Sie nickte. Ihre normale Reaktion wäre gewesen, ihn zu berühren, ihm die Hand zu reichen. Doch sie hielt sich zurück. Alex war nicht wie ihre üblichen Besucher. Sie musste ihm seinen Freiraum lassen.

„Möchten Sie vielleicht etwas essen?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, bitte keine Umstände.“

Autor

Soraya Lane
Mehr erfahren