Der unmögliche Viscount

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Den hübschen Kopf voll romantischer Ideen reist die bildbschöne Sophie Cavenhurst zu ihrer allerersten Saison nach London. Sie will möglichst rasch heiraten! Natürlich niemals diesen arroganten Viscount Kimberley, der sie so spöttisch anlächelt - und ihr einen viel zu feurigen Kuss raubt …


  • Erscheinungstag 25.03.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715991
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Hadlea, 1819

Miss Sophie Cavenhurst war weder für ihren Takt noch für ihre Geduld berühmt. Und auch nicht für Besonnenheit. Ausgeglichen wurden diese Mängel durch ihr Äußeres – sie war hübsch von Gesicht und Gestalt – und durch ihr weiches Herz und ihr heiteres Gemüt. In regelmäßigen Abständen hielten junge Gentlemen um ihre Hand an und wurden ebenso regelmäßig abgewiesen. „Wissen Sie“, sagte sie dann und lächelte süß, um den Hieb zu mildern, „es würde mit uns einfach nicht gut gehen.“ Was, wie ihr Vater meinte, bewies, dass sie doch besonnener war, als man ihr generell zutraute.

Sophies Problem lag darin, dass sie jeden Bewerber mit den Gatten ihrer älteren Schwestern verglich – beides Musterexemplare von Ehemännern, mit denen ihre Verehrer nie mithalten konnten. Mark, Lord Wyndham, der Gatte Janes, war freundlich, gütig und verlässlich; Isabels Gemahl, der erst kürzlich zum Ritter geschlagene Sir Andrew Ashton, der Isabel auf seinen abenteuerlichen Reisen in ferne Länder stets mitzunehmen pflegte, dagegen umwerfend und aufregend. Beide Gentlemen waren reich, wobei ihr Reichtum sehr unterschiedlichen Quellen entstammte. Mark hatte ihn ererbt, Drew seinen durch weltweiten Handel erworben. Keiner der Bewunderer, die bisher um Sophies Hand angehalten hatten, konnte den beiden das Wasser reichen.

Was sie jedenfalls ganz gewiss nicht wollte, war ein Tunichtgut wie ihren Bruder Edward, den erst eine schlimme Erfahrung und ein Aufenthalt in Indien zur Vernunft hatten bringen können und den sie dennoch von Herzen liebte. Um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, musste sie allerdings einräumen, dass er den Besitz und das Vermögen der Familie gerettet hatte, als es aussah, als würden sie beides verlieren, und dafür verzieh Sophie ihm so ziemlich alles, sogar, dass er sie ständig neckte.

„Sophie, du hast nun sämtliche annehmbaren Herren in der Umgebung entmutigt“, erklärte er ihr eines schönen Morgens im April. „Du wirst dir noch den Ruf einhandeln, übertrieben anspruchsvoll zu sein.“

„Und was wäre daran schlimm? Die Ehe ist eine wichtige Angelegenheit. Ich will nicht den gleichen Fehler machen, den Isabel beinahe gemacht hätte.“

„Und als Folge davon wirst du vielleicht als alte Jungfer enden.“

„Deshalb möchte ich zur Saison nach London. Da würde ich neue Leute kennenlernen.“

„Eine Saison? Wie kommst denn auf diese Idee?“

Natürlich konnte sie ihm nicht sagen, dass sie Angst hatte, sich in ihren Schwager Mark zu verlieben, was einfach nicht sein durfte! Dagegen würde, hatte sie sich ausgerechnet, nur eins helfen – Hadlea eine Zeit lang hinter sich zu lassen und anderswo einen Gatten zu suchen, einen, der Mark gleichkam. Und wo konnte das besser gelingen als während der Saison in London? „Ach, ich denke schon eine ganze Weile daran“, sagte sie ausweichend. „Lucy Martindale wird dieses Jahr debütieren, und sie redet von nichts anderem mehr.“ Der Besitz der Martindales lag nur zehn Meilen von Hadlea entfernt, und Sophie kannte Lucinda seit ihrer gemeinsamen Schulzeit. Nicht nur schrieben sie sich regelmäßig, sie besuchten sich auch oft gegenseitig.

„Ich sehe durchaus, dass du ihr da nicht nachstehen möchtest, nur was sagt unser verehrter Herr Vater zu deinem Einfall?“

„Ich habe ihn noch nicht gefragt.“

„Ich bezweifle, dass du ihn dazu überreden kannst. Du weißt, wie schlecht Mama das Reisen bekommt, und ohne sie wird er nicht fahren.“

„Ich weiß.“ Sophie seufzte. „Wenn Papa ablehnt, würdest dann du mich begleiten?“

„Guter Gott! Wer hat dir denn das eingeredet?“

„Niemand. Aber wer könnte es sonst tun?“

„Frag Jane.“ Immer noch pflegten alle Familienmitglieder gewohnheitsmäßig „Frag Jane“ zu sagen, sobald sich ein Problem auftat.

„Jane hat mit ihrem Baby zu tun; sie würde es nicht in der Obhut der Kinderfrau lassen, das weißt du genau, und Issie ist irgendwo auf den Weltmeeren unterwegs. Wenn du bereit bist, mich zu begleiten, kann Papa doch wohl nichts einwenden, oder?“

„Frag ihn erst einmal.“

Sie fand ihren Vater im Morgensalon über der täglich aus London gelieferten Zeitung. Er war gern auf dem Laufenden, wenn auch die Nachrichten zurzeit nicht die besten waren. Überall kam es zu Unruhen, besonders im Norden des Landes mit seinen Industrien, und immer wieder wurde für Reformen des Parlaments demonstriert, aber auch der ungeliebte Prinzregent war ein Thema. Es ging das Gerücht, er wolle sich von seiner Gemahlin scheiden lassen, von der er längst getrennt lebte – ein wahrlich unerhörter Plan und ein schlechtes Beispiel für seine Untertanen. Es hieß auch, dass er nach dem Tod seiner Tochter und seines Enkelkindes unbedingt noch einmal heiraten wolle, um einen rechtmäßigen Erben zu zeugen. Seine Brüder, von denen keiner legitimen Nachwuchs, dafür jedoch reichlich illegitimen hatte, versuchten alle gerade eiligst, sich zu vermählen und Kinder zu zeugen. Doch bisher hatte nur der Duke of Kent dergestalt Fortschritte gemacht, als dass seine Duchess in guter Hoffnung war.

Als seine jüngste Tochter mit strahlendem Lächeln ins Zimmer trat, legte Sir Edward die Zeitung beiseite.

„Papa, liebster Papa!“, begann sie überschwänglich. „Ich habe eine Bitte an dich.“

„Und sie wird mich zweifellos Geld kosten.“ Sir Edward lächelte.

Sophie hockte sich auf die Fußbank neben seinem Sessel. „Ja, das schon, aber ich weiß, du magst mich nicht enttäuschen.“

„Nun, also heraus damit.“

„Ich möchte eine Saison in London.“

„So, so … ich hätte gedacht, du wünschst dir ein neues Kleid oder sonst einen modischen Putz, aber eine Saison! Wie kommst du darauf?“

„Alle jungen Damen von Stand debütieren in London. So finden sie ihre Ehemänner. Du möchtest doch nicht, dass ich als alte Jungfer ende?“

„Ich denke, das steht nicht zu befürchten.“

„Teddy meint, doch. Er sagt, in unserer Gegend gäbe es keinen passenden Gentleman mehr, also muss ich mich anderswo umsehen. Er sagt, er begleitet mich, wenn du nicht kannst.“

„Eine solche Verantwortung würde ich ihm nicht aufbürden wollen, Sophie.“

„Dann werdet ihr mit mir mitkommen, du und Mama?“

„Sophie, eine Saison in diesem Jahr – oder wann immer – steht nicht zur Debatte. Als Landadel streben wir nicht solche gesellschaftlichen Höhen an. Es würde eine gewaltige Summe kosten, die ich leider nicht erübrigen kann. Keine deiner Schwestern hat eine Saison mitgemacht …“

„Aber sie durften eine Zeit lang zu Tante Emmeline.“

„Sophie, ihr Besuch dauerte nicht länger als höchstens zwei Wochen, und sie waren nicht in der Stadt, um zu debütieren, wie du sehr gut weißt. Jane und Isabel haben ihre Ehemänner auch ohne Bälle und Soireen und Teegesellschaften gefunden.“

„Ja, aber wo soll ich jemandem wie Mark oder Drew begegnen, wenn nicht in London, wo solche Gentlemen anzutreffen sind?“

„Ich schätze die beiden über die Maßen, aber warum willst du unbedingt einen Mann wie Mark oder Andrew?“

Das war ihr Geheimnis, daher sagte sie nur: „Sie sind mein Ideal.“

Ihr Vater lachte. „Sophie, du wirst beizeiten den richtigen Mann für dich finden. Es eilt doch nicht. Du bist gerade erst neunzehn, und unangebrachte Eile endet meistens im Unglück.“

„Also wirst du mich nicht nach London lassen?“

„Nein, so leid es mir tut. Und nun würde ich gern meine Zeitung lesen.“

Tief enttäuscht verließ Sophie den Salon und machte sich auf die Suche nach ihrer Mutter. Lady Cavenhurst war im Garten und schnitt Narzissen. Sophie schüttete ihrer Mutter ihr Herz aus. „Liebste Mama, wirst du Papa überreden? Du weißt doch, wie wichtig die richtigen Beziehungen für eine junge Dame sind. In einem ländlichen Ort wie Hadlea besteht keine Hoffnung für mich, einen passenden Ehemann zu finden.“

Ungerührt fuhr Ihre Ladyschaft mit ihrer Tätigkeit fort. „Woher dieser plötzliche Drang zu heiraten, Sophie?“

„Es ist nicht plötzlich. Ich denke schon daran, seit Jane und Issie geheiratet haben, und finde, dass es nun an der Zeit wäre, nach einem Mann wie Mark oder Drew Ausschau zu halten.“

„Du strebst ein hohes Ziel an, Kind.“

„Und warum nicht? Ist das falsch?“

„Nein, Liebes, natürlich nicht.“

„Wirst du mit Papa reden? Tante Emmeline würde mich doch aufnehmen, nicht wahr?“

„Tante Emmeline ist eine alte Dame, Sophie. Ich glaube kaum, dass sie noch oft in Gesellschaft geht.“

„Teddy sagt, dass er mich begleiten würde. Willst du also mit Papa reden?“

Ihre Mutter seufzte. „Also gut, aber du weißt, dass er sich nicht umstimmen lässt, wenn seine Meinung einmal feststeht, und ich werde ihn nicht bedrängen.“

„Danke, Mama.“

Mit diesem Zugeständnis musste Sophie sich vorerst zufriedengeben. Sollte es bei einem Nein bleiben, würde sie weitere Argumente in Stellung bringen müssen. Sie eilte ins Haus, holte sich Hut und Schal und machte sich auf, ihre Schwester auf Broadacres zu besuchen.

Broadacres war ein prächtiger Landsitz etwa drei Meilen von Greystone Manor entfernt, nicht so alt wie Greystone Manor, jedoch viel imposanter. Die lange Auffahrt mündete auf dem Vorplatz des weitläufigen Gebäudes, dessen wahrhaft eindrucksvolle Fassade mit Dutzenden hoher Fenster prunkte. Breite, vorspringende Stufen führten zu einem gewaltigen Eichenportal. Die Halle war mit Fliesen im Schachbrettmuster ausgelegt, und eine Prachttreppe wand sich ins obere Geschoss. Ein Lakai ließ Sophie ein. „Ihre Ladyschaft ist wahrscheinlich im Kindertrakt“, klärte er sie auf. „Soll ich hinaufgehen und Sie anmelden?“

„Nicht nötig, ich finde mich zurecht.“

Sophie kannte das Haus und eilte hinauf zu den Kinderzimmern, wo sie ihre Schwester auf dem Boden sitzend vorfand, in ein Spiel mit ihrem zehnmonatigen Söhnchen vertieft. Bei ihrem Eintreten rappelte Jane sich hoch. „Sophie, du? Was bringt dich her? Es ist doch zu Hause alles in Ordnung?“

„Aber ja, wir sind alle wohlauf. Darf ich nicht einfach meine Schwester besuchen?“

„Natürlich, jederzeit, das weißt du doch.“ Jane holte ihr Söhnchen aus einem Schrankfach heraus, in das der Kleine neugierig gekrabbelt war. „Ich wollte Harry gerade ausfahren, damit er ein wenig an die frische Luft kommt. Willst du mich begleiten?“

„Ja, gern.“

Die Kinderfrau wurde angewiesen, das Kind warm anzuziehen und es an den hinteren Ausgang zu bringen, wo sein Kinderwagen stand.

„Und nun erzähl, was es auf Greystone Neues gibt.“ Gemeinsam gingen die Schwestern zu Janes Räumen, damit diese sich für den Ausgang umkleiden konnte.

Sophie zuckte die Schultern. „Gar nichts. Es ist langweilig wie immer. Ich möchte nach London und habe Papa gebeten, mir eine Saison zu erlauben.“

„Und du meinst, das würde dir die Langeweile vertreiben?“

„Aber natürlich! Und vielleicht fände ich einen Ehemann.“

„Vielleicht. Vielleicht fändest du aber auch einen hier in Norfolk.“

„Teddy sagt, ich hätte alle infrage kommenden Gentlemen abgewiesen.“

Jane lachte. „Wie viele Anträge hast du bekommen?“

„Also, da war Mr. Richard Fanshawe, der unglaublich schlechte Manieren hat und eingeschnappt davonstürmte, als ich ihm einen Korb gab. Dann Sir Reginald Swayle, der sich als Dandy gebärdet, aber nur lächerlich wirkt, und dann Lord Gorange, der nun wirklich uralt und Witwer ist und zwei Kinder hat. Ich staune, dass Vater ihm überhaupt gestattet hat, mit mir zu sprechen. So jemanden kann ich nicht heiraten, verstehst du?“

„Ja, absolut. Was sagte Papa wegen der Saison?“ Jane trat vor den Spiegel und band die Bänder ihres Schutenhuts zu einer Schleife unter dem Kinn.

„Er lehnte mein Ansinnen rundheraus ab.“

Sie gingen hinunter, wo die Kinderfrau schon mit Harry wartete, der in seinem Wägelchen saß und jedermann anstrahlte. „Er wird bald laufen können“, erkläre Jane stolz, als sie ihn ins Freie und einen Pfad entlangschob, der in die Gartenanlagen führte. „Er zieht sich schon an den Möbeln hoch. Und er sagte ‚Papa‘, als Mark neulich ins Kinderzimmer kam.“ Sie lachte glücklich. „Mark ist ganz vernarrt in seinen Sohn.“

„Ja, ich weiß, ebenso vernarrt wie du. Ich behaupte, dass die Kinderfrau viel zu wenig zu tun hat.“

„Ich bin gern bei meinem Kind, Sophie, und wäre es den ganzen Tag. Aber ich habe noch andere Pflichten, die meine Zeit in Anspruch nehmen, und dann hat Tilly alle Hände voll zu tun.“

Sophie wusste, dass Jane außer ihrem Gatten, ihrem Kind und ihrem Heim einer weiteren Aufgabe nachging – das Waisenhaus, das sie in der Nähe von Witherington gegründet hatte. Dort verbrachte sie viel Zeit, weil sie bei der Erziehung der Kinder half. „Du würdest Harry nicht eine Weile hierlassen und mit mir nach London kommen?“

„Nein, Sophie, wirklich nicht. Bist du deshalb hergekommen – um mich zu überreden, dich zu begleiten?“

„Ich dachte mir schon, dass du nicht willst. Teddy würde mit mir mitkommen, aber Papa sagt, er ist der Verantwortung nicht gewachsen.“

„Da hat er nicht unrecht.“

„Ich weiß gar nicht, was ihr alle gegen Teddy habt! Seit er aus Indien zurück ist, beträgt er sich mustergültig.“

Jane lachte. „Kaum. Anscheinend hat er das ganze Geld durchgebracht, das ihm nach der Rettung Greystones noch übrig blieb.“

„Immerhin hat er nichts Ungehöriges angestellt, und wenn wir bei Tante Emmeline wohnen …“

„Ah, du hast dir schon alles zurechtgelegt, nicht wahr? Also, was soll ich für dich tun, heraus mit der Sprache?“

„Überzeuge Papa, dass Teddy gut auf mich aufpassen wird. Mama sagt, sie würde ihr Möglichstes tun, aber es wäre sicher hilfreich, wenn du auch noch einmal mit Papa sprächest.“

„Was zieht dich so plötzlich nach London?“

„Es ist nicht plötzlich. Seit du und Issie dort wart, befasse ich mich mit der Möglichkeit, und immer gab es gute Gründe dagegen. Aber ich sehe nicht ein, warum es dieses Jahr nicht gehen sollte. Ich war noch nie in London. Du schon, mehrmals sogar, und Issie hat inzwischen die ganze Welt gesehen. Das ist so ungerecht. Ich werde als alte Jungfer enden.“

„Ah, Sophie, das ist höchst unwahrscheinlich“, sagte Jane lachend. „Es gibt nicht viele junge Damen, die sich in deinem Alter rühmen können, gleich drei Heiratsanträge bekommen zu haben.“

„Aber keinen von dem richtigen Mann.“

„Wie soll denn der Richtige sein? Nur denk daran, vollkommen ist keiner.“

„Er muss nicht vollkommen sein, das wäre öde. Aber er muss mich lieben und ich ihn, so wie ihr, du und Mark, euch liebt.“

„Das ist selbstverständlich, aber wie muss er denn sein, damit du ihn liebst?“

„Nun, hochgewachsen und gut aussehend und stattlich …“

„Auch das versteht sich von selbst.“

Sophie merkte sehr wohl, dass ihre Schwester sie neckte, trotzdem fuhr sie fort: „Er muss gütig und großherzig sein und verlässlich.“

„Bewundernswerte Eigenschaften. Ich darf dich loben für so viel Vernunft.“

„Aber er sollte auch aufregend sein, er muss mein Herz schneller schlagen lassen, sollte mich manchmal überraschen …“

„Es gibt auch unangenehme Überraschungen.“

„Ich meine natürlich angenehme. Du nimmst mich nicht ernst!“

„Ganz im Gegenteil, wirklich! Nur wirst du vielleicht feststellen, dass der Mann, in den du dich verliebst, ganz anders ist – oder teilweise anders. Man kann die Liebe nicht in Auftrag geben wie ein Paar Schuhe oder einen neuen Hut. Sie überkommt einen einfach.“

„Das weiß ich, aber wie soll mir das je in Hadlea passieren?“

„Mir ist es hier passiert.“

„Ja, aber es gibt nur einen Mark.“

„Richtig.“ Jane lächelte. „Ich sehe, du hast dich darauf versteift. Ich werde Mark fragen, was er darüber denkt, und wenn er nichts Nachteiliges darin sehen kann, rede ich mit Papa.“

„Oh, du bist die beste aller Schwestern! Danke, danke!“

Zuversichtlich, dass sie Erfolg haben würde, wandte Sophie sich anderen Themen zu – Klatschgeschichten und Mode, den neu erworbenen Fähigkeiten Harrys, den Kindern im Waisenhaus und der Frage, wo Isabel wohl gerade weilte und wann sie sie endlich wiedersehen würden.

„Den letzten Brief schrieb sie aus Indien, doch sie waren gerade im Aufbruch begriffen“, erzählte Jane aufgeräumt. „Habt ihr seitdem neue Nachrichten?“

„Nein, Mama bekam den gleichen Brief. Teddy sagt, Drew denkt daran, ein weiteres Schiff zu kaufen. Wenn sie zum Beginn der Saison wieder in England wären, würden sie mich vielleicht unterstützen.“ Die Bemerkung zeigte, dass ihre Gedanken nie weit von ihrem Wunsch zu debütieren abwichen. „Aber darauf kann ich mich nicht verlassen.“

„Nein, besser nicht.“

Sie kehrten um und gaben, beim Haus angekommen, Harry wieder in die Obhut der Kinderfrau. Jane läutete nach Tee. „Mark ist nach Norwich gefahren“, erklärte sie die Abwesenheit ihres Gatten. „Anscheinend nehmen ihn seine Geschäfte länger in Anspruch, als er voraussehen konnte. Wenn er zurück ist, werde ich mit ihm reden, Sophie, versprochen, aber erwarte keine Wunder.“

Zwei Tage später trafen Mark und Sophie mit ihrem Sohn zu einem Besuch auf Greystone ein. Das war nicht ungewöhnlich; die kleine Familie kam regelmäßig, doch Sophie ging sofort davon aus, dass sie ihretwegen gekommen waren, und eilte in den Salon. „Ich freue mich so, euch zu sehen!“, rief sie überglücklich, nahm Harry seiner Mutter ab und setzte sich mit ihrem kleinen Neffen auf die Chaiselongue.

„Wir alle freuen uns“, korrigierte ihre Mutter sie lächelnd, „Aber ich ahne, dass dein Enthusiasmus etwas mit deinem Wunsch nach einer Saison zu tun hat. Richtig?“

„Ich dachte, Jane könnte mich unterstützen.“

Lady Cavenhurst wandte sich ihrer ältesten Tochter zu. „Habt ihr denn vor, für die Saison nach London zu fahren?“

„Nein, Mama, ich würde Harry oder das Waisenhaus nicht so lange allein lassen, aber soweit ich hörte, ist Teddy bereit, Sophie zu begleiten.“

„Ich weiß nicht, wie es ihr gelungen ist, ihn zu überreden.“ Ihre Ladyschaft schüttelte den Kopf. „Eigentlich hätte ich es nicht von ihm erwartet.“

„Warum nicht?“ Sophie sah ihre Mutter fragend an.

„Die Verantwortung könnte ihm zu viel werden. Außerdem ist er zu jung. Du brauchst jemanden, der weiß, was sich für eine junge Dame gehört, und darauf achtet, dass du nicht in unangenehme Situationen gerätst, die deinem Ruf schaden könnten.“

„Ich weiß darüber Bescheid, und ich kann selbst auf mich aufpassen.“ Sophie setzte sich gerade auf. „Und ich bin mir sicher, Teddy weiß es auch. Außerdem wird Tante Emmeline mich chaperonieren und darauf schauen, dass ich die richtigen Leute treffe, nicht wahr?“

„Was meinst du, Jane?“, wandte ihre Mutter sich an ihre älteste Tochter.

Jane dachte nach. „Ich weiß wirklich nicht. Hast du mit Teddy gesprochen?“

„Er wäre bereit dazu, aber da sind noch die Kosten. Eine Saison ist teuer.“

„Geld ist kein Problem.“ Mark äußerte sich zum ersten Mal. „Ich werde Sophies Debüt gern finanzieren, aber nur, wenn sie eure ausdrückliche Erlaubnis bekommt.“

„Ach, Mark“, rief Sophie mit glänzenden Augen, „das würdest du tun?“

„Ja, wenn deine Eltern zustimmen.“

„Du bist mehr als großzügig, Mark.“ Ihre Ladyschaft lächelte dankbar. „Vielleicht sprichst du mit Sir Edward. Du findest ihn in der Bibliothek. Richte ihm aus, dass gleich der Tee serviert wird und er sich uns bitte anschließen möchte.“

Mark erhob sich und ging seinen Schwiegervater suchen.

„Ach, ich kann es gar nicht erwarten!“ Seufzend drückte Sophie ihren Neffen an ihr Herz. Als der Kleine sich sträubte, setzte sie ihn auf den Boden nieder, wo er eilig zu seiner Mutter krabbelte, die ihn auf ihren Schoß hob.

„Es ist noch nicht ausgemacht“, mahnte Jane bedächtig. „Wir müssen an Tante Emmeline denken. Möglicherweise geht es ihr nicht so gut, dass sie dich aufnehmen kann. Als wir bei ihr waren, pflegte sie leicht zu ermüden. Falls du bei ihr wohnen darfst, musst du viel Rücksicht üben.“

Eine Bedienstete servierte den Tee und entfernte sich wieder. Gleich darauf trat Sir Edward in den Salon, gefolgt von Mark und Teddy. Letzterer kam von einem Ausritt und trug noch Reitkleidung. „Verzeih, Mama“, bat er mit einem schiefen Lächeln, „ich gehe sofort nach oben und ziehe mich um. Es dauert nicht lange.“

Ohne ihren Bruder zu beachten, wandte Sophie sich an ihren Vater: „Nun, Papa? Darf ich nach London?“

Aufseufzend nahm Sir Edward neben seiner Gemahlin Platz. „Mir scheint, du hast deine Truppen gut aufgestellt, Kind. Ihr habt mich ausmanövriert.“

„Du meinst, ich darf?“ Sophie sprang auf, umarmte ihn und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Oh, danke, Papa, ich danke dir!“

Sanft löste ihr Vater sich von ihr. „Mark solltest du danken. Er muss nächsten Monat geschäftlich nach London, sagt er, und wird dich und Teddy in seiner Kutsche mitnehmen und sicher bei Tante Emmeline abliefern. Dort werden dann deine Tante und dein Bruder dafür sorgen müssen, dass dir nichts zustößt.“

Sophie wandte sich Mark zu. „Mark, du bist der gütigste, großzügigste Schwager der Welt. Ich wäre höchst zufrieden, wenn ich einen Gatten wie dich fände.“

„Sophie!“, mahnte Ihre Ladyschaft leise.

Mark lachte, um seine Verlegenheit zu überspielen. „Du wirst schon den Richtigen treffen. Sei nur nicht so ungeduldig.“

Teddy, nun in angemessener Kleidung, kam zurück. „Ist es entschieden?“ Fragend schaute er zwischen den Eltern hin und her.

„Ja.“ Sein Vater nickte. „Vorausgesetzt, du weißt, was von dir erwartet wird.“

„Meine kleine Schwester hüten und dafür sorgen, dass sie keinen Unsinn macht.“

„Genau. Und selbst keinen Unsinn machen. Kein Glücksspiel!“

„Was, gar nicht? Das ist aber ziemlich hart, finde ich.“

„Auf Gesellschaften, mit niedrigen Einsätzen oder mit Spielmarken, spricht nichts dagegen“, gestand sein Vater ihm zu. „Und nur, wenn währenddessen eure Tante für Sophie als Anstandsdame zur Verfügung steht. Aber keine Spielhöllen!“

„Das meinte ich natürlich.“

„Dann darfst du, sofern Emmeline einwilligt, deine Schwester nach London begleiten. Bessie wird mitfahren.“ Bessie Sadler war Lady Cavenhursts Zofe und stand seit vielen Jahren in ihren Diensten. Sie näherte sich dem Ruhestand und lernte gerade eine junge Nachfolgerin an. Von den Familienmitgliedern abgesehen kannte niemand Sophie besser als sie, und sie würde eher merken, wenn etwas nicht stimmte, als die Tante oder Teddy.

Sophie, die in Freude und Trübsinn gleichermaßen zu Überschwang neigte, sprang auf und beeilte sich, jedem einzelnen Familienmitglied ihren Dank auszusprechen. Ihr glückliches Lächeln steckte alle andern an.

Dann wandte sich das Gespräch dem Waisenhaus zu. Es wurden Geldmittel gebraucht, die zu beschaffen Jane sich zur Aufgabe gemacht hatte. Derselbe Grund führte Mark nach London; er wollte dort seine Verbindungen nutzen, um weitere Gelder aufzutun.

Schon bald erhielt Lady Cavenhurst von Tante Emmeline eine Antwort auf ihr Schreiben, die besagte, dass sie Sophie und Teddy nur zu gern aufnehmen werde. Sie gehe nicht mehr oft aus, wolle Sophie aber gern Freunden vorstellen, denen sie sich zu bestimmten Unterhaltungen anschließen könne, sofern ihr das genügen werde.

Bis zum Reiseantritt war es noch einen Monat hin, und Sophie verbrachte die Zeit mit Träumereien darüber, was sie alles unternehmen, an welchen Bällen und sonstigen Vergnügungen sie teilnehmen und was für Verehrer sie finden würde. Natürlich überlegte sie auch, was an Kleidung angebracht wäre. Nicht dass es ihr daran gemangelt hätte, doch als sie ihre Garderobe inspizierte, stellte sie betrübt fest, dass kaum etwas davon gut genug war für eine erste Saison, während der sie stets besonders hübsch aussehen musste. Für Norfolk waren ihre Tageskleider ganz passabel, aber für London fand Sophie sie zu nichts nütze, außer um damit dem ton zu beweisen, was für ein Landei sie war. Ein einziges elegantes Abendkleid besaß sie – sie hatte es auf Janes und Isabels Doppelhochzeit getragen – und außerdem ein Nachmittagskleid aus blauer, gekreppter Seide, das für Harrys Taufe geschneidert worden war. Doch zwei Kleider reichten bei Weitem nicht aus.

Glücklicherweise kam Jane zu ihrer Rettung, noch ehe sie Mut genug gefasst hatte, ihrem Vater eine weitere Bitte vorzutragen.

„Mark ist so großzügig“, sagte ihre Schwester eines Tages, als Sophie sie besuchte, um ihr Unglück zu beklagen, „ständig drängt er mich, mir neue Kleider zu kaufen. Meine Schränke platzen aus allen Nähten, so viele Sachen sind darin, die ich im Leben nicht mehr tragen werde. Wir können dir einige davon anpassen und ändern, sodass sie der neuesten Mode entsprechen.“

Das war fast so gut, wie eine ganz neue Ausstattung anzuschaffen, und bald waren sie eifrig mit Nadel, Faden und modischem Zubehör beschäftigt. Jane konnte wunderbar nähen, und während sie ein Kleid nach dem anderen entsprechend der neuesten Mode verwandelte, bedauerte Sophie bald nicht mehr, dass sie keine neue Garderobe bekam, denn niemand würde bemerkten, dass die Sachen nicht extra für sie angefertigt worden waren. Nur ihr Schuhwerk würde sie kaufen müssen, da Jane größere Füße hatte als sie, doch dafür aufzukommen erklärte Sir Edward sich gern bereit, dankbar, ihr ansonsten nur ein Taschengeld zur Verfügung stellen zu müssen.

„Ich habe ein kleines Geschenk für dich“, sagte Jane, als wäre ein Berg Kleider, würdig einer Königin, noch nicht ausreichend. „Da, trag das zu der blauen Abendrobe.“ Sie reichte Sophie eine kleine Schatulle mit einem zauberhaften, mit Saphiren und Diamanten besetzten Collier. „Es passt farblich genau dazu.“

„Jane! Wie wunderschön! Aber du darfst mir den Schmuck nicht geben, wo du ihn doch von Mark geschenkt bekommen hast.“

„Er hat es sogar angeregt, Sophie, sobald er den blauen Stoff sah, an dem ich arbeitete. Ich habe so viel Schmuck, ich kann das Stück entbehren.“

Stürmisch umarmte Sophie ihre Schwester. „Das sieht Mark ähnlich! Sag ihm bitte meinen Dank. Mit eurer Hilfe werde ich die Ballkönigin sein!“

„Das hoffe ich für dich. Aber, Sophie, ich muss dich ermahnen, betrag dich anständig, wenn du bei Tante Emmeline bist. Zu viel Stolz wird dir nicht weiterhelfen. Allerdings darfst du auch nicht zu ehrerbietig sein. Denk dran, du bist eine Cavenhurst.“

Sophie lächelte. „Keine Angst, liebste Jane, das werde ich.“

Eine überglückliche Sophie verabschiedete sich ein paar Tage später frühmorgens von ihren Eltern und Jane und kletterte in Marks Reisekutsche. Es war Ende Mai, und endlich, endlich ging es los! Einzig das Wetter zeigte sich enttäuschend, denn es war bitterkalt geworden, und Sophie musste einen warmen Mantel über ihrem neuen Reiseensemble tragen. Sie brauchte sogar einen Pelzmuff für ihre kalten Hände und einen heißen Ziegel für ihre Füße.

Die Fahrt dauerte zwei ganze Tage, doch da die Kutsche bequem war und die Pferde bei jeder Rast gewechselt wurden, verging die Zeit recht angenehm.

Am Abend des zweiten Tages trafen sie in London ein. Mark schickte den Kutscher samt Chaise zu seinem Stadtpalais in der South Audley Street voraus und begrüßte gemeinsam mit den Geschwistern Lady Cartrose in ihrem Haus in der Mount Street.

Ihre Ladyschaft, fülliger denn je, strömte über vor Herzlichkeit. „Willkommen, mein Kind“, sagte sie zur Begrüßung, fasste Sophie bei den Händen und begutachtet sie von Kopf bis Fuß. „Meine Güte, bist du hübsch geworden! Wir werden dich mühelos unter die Haube bringen!“

Dann wandte sie sich Teddy zu und unterwarf ihn der gleichen Musterung. „Ich weiß nicht, wann ich dich zuletzt gesehen habe, junger Mann. Es muss auf der Hochzeit deiner Schwestern gewesen sein. Du bist noch nicht verlobt?“

„Nein, Tante Emmeline.“

„Wir werden sehen, was da zu tun ist. Viele meiner Freunde haben schöne Töchter.“

„Ich bin nicht hier, um eine Braut zu finden, sondern als Sophies Eskorte“, erklärte Teddy unmissverständlich.

„Pah!“ Lady Cartrose wandte sich Mark zu. „Mylord, herzlich willkommen. Wie geht es meiner lieben Jane? Und dem kleinen Harry? Eines Tages habe ich hoffentlich die Freude, ihn kennenzulernen. Sie werden zum Supper bleiben, nicht wahr? Dann können Sie mir von ihm erzählen.“

Mark lehnte die Supper-Einladung ab, blieb jedoch zum Tee und beantwortete die Fragen Ihrer Ladyschaft zu Jane und ihrem Sohn. Ungeduldig wartete Sophie darauf zu erfahren, was alles sie während ihres Aufenthalts unternehmen würden, und warf in einer Gesprächspause ein: „Was hast du für morgen geplant, Tante Emmeline?“

„Nichts Besonderes, Kind; ich dachte, dass du nach der Reise vielleicht ein wenig müde sein würdest. Höchstens am Nachmittag eine Kutschfahrt durch den Hyde Park, wenn du magst, sofern es ist nicht zu kalt ist. Speisen werden wir daheim.“

Sophie, die gleich vom Anfang ihres Aufenthalts an ein ganzes Bündel aufregender Unternehmungen erwartet hatte, reagiert gedämpft. Es war so langweilig wie daheim. Mark lächelte ihr zu. „Tröste dich, Sophie, am nächsten Tag wirst du umso frischer sein, wenn du dich in das Londoner Gesellschaftsleben stürzt. Bestimmt wirst du die Stadt im Sturm erobern.“

„Aber gewiss“, meinte die alte Dame, „Sophie wird glänzen. Eine gute Freundin von mir, Mrs. Malthouse, hat eine Tochter in Sophies Alter. Cassandra ist ein liebes, süßes Mädchen und debütiert dieses Jahr ebenfalls. Später in der Saison werden die Malthouses einen großen Ball für sie geben. Und nächste Woche laden die Rowlands zu einer Tanzgesellschaft, was für eine junge Dame, die noch nicht debütiert hat, eine gute Gelegenheit bietet, ihre Schrittfolgen zu üben. Ohne Zweifel wird Augusta eine Einladung schicken, wenn ich sie darum bitte.“

Das klang schon besser, und Sophie dankte ihrer Tante artig und stellte stumme Überlegungen darüber an, welche Robe sie tragen sollte.

An diesem Punkt verabschiedete Mark sich, nicht ohne einer Einladung zum Dinner am nächsten Tag zugestimmt zu haben, und da der Abend noch jung war, beschloss Teddy auszugehen. Ihrer Tante und deren Gesellschafterin Margret Lister überlassen, beschloss Sophie, ihren Eltern und Jane wie versprochen per Brief von ihrer sicheren Ankunft zu berichten. Anschließend ging sie zu Bett und träumte von den kommenden Vergnügungen.

Noch vor ein paar Jahren hätte die Tatsache, dass Adam Trent, Viscount Kimberley in der Stadt eingetroffen war, die jungen Damen des ton – und auch einige der verheirateten – in Aufregung versetzt. Lange Zeit hatte der stattliche, wohlhabende junge Gentleman als Zierde der Clubs und Salons der Hauptstadt gegolten, und Mütter von Debütantinnen waren reihenweise in Unruhe und Rivalität verfallen, während ihre Töchter ihm hinterhergeseufzt und davon geträumt hatten, ihn für sich zu gewinnen.

„Achtundzwanzig und immer noch ledig? Wie bist du dem Ehejoch so lange entronnen?“, hatte sein Cousin Mark ihn neckend gefragt.

„Ganz einfach. Bisher habe ich keine Frau getroffen, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen möchte. Und außerdem bin ich zu beschäftigt.“ Zu dem Zeitpunkt war ihm nämlich gerade durch den Tod seines Vaters der Titel mitsamt dem dazugehörigen Landsitz in Yorkshire zugefallen, wodurch seine Attraktivität zweifellos noch gestiegen war. Dann jedoch hatte er etwas in den Augen des ton Unverzeihliches getan und Anne Bamford geheiratet, die Tochter eines Wollspinnereibesitzers. Niemand hatte gewusst, ob es sich um eine Liebesheirat handelte oder ob er nur seinen Reichtum vergrößern wollte, doch seitdem war er nicht mehr so gut angesehen.

Nicht lange nach der Heirat hatte sein Schwiegervater das Zeitliche gesegnet und Adam die Spinnerei geerbt. Im Jahr darauf war seine junge Frau zusammen mit dem neugeborenen Sohn im Kindbett gestorben, und seitdem war er wieder allein. Um den Verlust zu überwinden, stürzte er sich ganz in seine Arbeit, sowohl in der Spinnerei als auch auf seinem Landgut. In London sah man ihn kaum noch.

An diesem Abend nun schlenderte er die South Audley Street Richtung Piccadilly entlang, als sein Cousin ihm entgegenkam. „Mark!“, rief er erfreut, „welch ein Wunder! Dass wir uns hier treffen!“

Mark, der gerade einer Schlammpfütze auswich, sah auf, als er seinen Namen hörte. „Du lieber Himmel! Adam! Was machst du in der Stadt?“

„Dringende Geschäfte, sonst wäre ich nicht hier.“

„Ich hörte vom Tod deiner Frau. Mein Beileid.“

„Ja, es war eine schlimme Zeit. Ich bin nur damit fertiggeworden, indem ich mich in die Arbeit gestürzt habe.“ Das war eine gewaltige Untertreibung, doch Adam neigte nicht dazu, seine Gefühle zur Schau zu stellen. Es war einfacher, zu tun, als hätte man keine.

Mark schüttelte den Kopf. „Nur Arbeit und kein Spaß ist ungesund. Und das Trauerjahr ist vorbei.“

„Man kann Trauer nicht einfach abbrechen, Mark.“

„Nein, natürlich nicht, wie taktlos von mir, entschuldige.“

„Schon in Ordnung. Ich wollte zu White’s. Magst du dich mir anschließen?“

Was Mark tat, und bald saßen sie in dem wohlbekannten Etablissement beim Supper. „Wie ist das Eheleben?“, erkundigte Adam sich. „Tut mir leid, dass ich die Hochzeitseinladung ablehnen musste, aber ich hatte gerade erst die Leitung der Spinnerei übernommen, und es gab eine Menge Vorbehalte auszuräumen. Es herrschte – herrscht noch immer – große Unruhe unter den Arbeitern, und ich musste meine Leute überreden, sich nicht dem Marsch nach London anzuschließen.“

Dieser Marsch vom industriell geprägten Norden nach London, zwei Jahre zuvor von den Webern aus Lancashire organisiert, hatte den Zweck gehabt, dem Prinzregenten eine Petition zu der verzweifelten Lage in der Textilindustrie zu übergeben und gegen die Aussetzung der Habeas-Corpus-Akte zu protestieren, infolge der jeder sogenannte Unruhestifter ohne Anklage festgenommen werden konnte. Militär hatte die Versammlung zerschlagen und die Anführer inhaftiert, und die Petition war dem Regenten nie vorgelegt worden.

Mark lehnte sich zurück. „Gelang es dir?“

„Leider nein. Sie werden erst zufrieden sein, wenn sie ein Wort zur Gestaltung ihrer Zukunft mitreden können. Wenn man sie nicht bald anhört, befürchte ich, wird es in einer Katastrophe enden.“

„Doch sicherlich nicht bei deinen Leuten? Du stehst in dem Ruf, ein wohlwollender Arbeitgeber zu sein.“

„Ich tue mein Bestes. Trotzdem werden ein paar Heißsporne versuchen, denen, die sich abseits halten wollen, Angst vor Vergeltungsmaßnahmen zu machen.“

„Was kannst du dagegen tun?“

Adam zuckte die Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich zahle ihnen schon mehr als den üblichen Lohn, und sie bekommen ein Mittagsmahl, doch dafür kritisieren mich die anderen Arbeitgeber, da ich angeblich ein schlechtes Beispiel gebe und das Geschäft generell ruiniere. Ich sitze zwischen zwei Stühlen, hoffe aber, durch andere Mittel Ärger vermeiden zu können.“

„Die Miliz?“

„Nein, das ist der letzte Ausweg. Wenn man Soldaten loslässt, werden meistens Unschuldige verletzt. Nein, ich will im House of Lords sprechen, weil ich hoffe, dass die Regierung der Vernunft zugänglich ist und zumindest ein paar Forderungen erfüllt.“

„Meinst du, es gelingt?“, fragte Mark nach einer Pause.

„Eher nicht, aber versuchen muss ich es. Wenn ich genug einsichtige Leute auf meine Seite bringe, kann ich vielleicht etwas bewirken. Die Zeiten ändern sich, Mark, also müssen auch wir uns ändern oder untergehen. Seit ich die Spinnerei geerbt habe, versuche ich mich in die Lage meiner Arbeiter zu versetzen. Ich habe die Arbeitszeit der Kinder um die Hälfte gesenkt, ein Schulzimmer für sie eingerichtet und einen Lehrer eingestellt, der sie unterrichtet. Selbst das wird nicht von allen gut aufgenommen. Selbst einige Eltern beschuldigten mich, ihren Kindern Flausen in den Kopf zu setzen. Meine Antwort darauf war, auch die Erwachsenen zu bilden. Das verärgert die anderen Spinnereibesitzer heftig, die befürchten, mehr Wissen mache ihre Arbeiter nur umso rebellischer.“

„Ich dächte ja, dass jemand, der lesen und schreiben kann, insgesamt tüchtiger ist.“

„Genau mein Argument! Jeder Mensch müsste das Recht haben, etwas aus sich zu machen.“ Adam unterbrach sich. „Aber betätigst du dich nicht auf ähnliche Weise?“

Mark nickte. „Wir haben ein Waisenhaus gegründet, ebenfalls mit Schulzimmer und Lehrkräften. Das Projekt ist eher das meiner Gemahlin als meines, aber ich helfe ihr, wo ich kann. Angefangen hatte es mit kaum einer Handvoll Kindern, doch daraus wurden viele, und es werden immer noch mehr. Wir müssen erweitern. Ich bin hier, um einen Architekten zu finden und weitere Mittel zusammenzubringen. Durch die große Teuerung ist es schwer geworden, alles am Laufen zu halten.“

„Aber ihr kommt über die Runden? Broadacres ist doch ein blühender Besitz.“

„Richtig, aber Jane will das Hadlea-Heim unbedingt auf eigene Füße gestellt sehen, und ich beuge mich ihren Wünschen und unterstütze das Vorhaben ganz allgemein. Natürlich ist es für mich obligatorisch, den Besitz für meinen Sohn zu erhalten, daher kann ich nicht endlos für das Waisenhaus geben.“

„Also bist du Vater geworden.“

„Ja, Harry ist jetzt zehn Monate und Janes Ein und Alles.“

„Und deines zweifellos. Wie du weißt, verlor ich mein Kind.“

„Das tut mir schrecklich leid. Aber du wirst wieder heiraten und Kinder haben.“

„Wohl kaum. Es gibt nur eine Anne.“

„Das stimmt, nur weißt du, wir alle sind einmalige Wesen, lieben und werden aus unterschiedlichsten Gründen geliebt. Daher ist eine zweite Frau nicht ausgeschlossen.“

„Als Anne so grausam und unter Schmerzen starb, schwor ich mir, es nicht noch einmal so weit kommen zu lassen.“ Adam brach ab, außerstande, weiter über seinen Verlust zu reden, den niemand, dem es nicht ebenso ergangen war, verstehen konnte. Schließlich fragte er ablenkend: „Wie wäre es mit einer Partie Whist?“

„Heute nicht mehr, Cousin. Ich habe meine junge Schwägerin nach London gebracht, zu ihrer Tante in die Mount Street, und war noch gar nicht in meinem Stadthaus. Die Dienerschaft erwartet mich. Wo bist du untergebracht?“

„Im ‚Grillon‘. So selten, wie ich in der Stadt bin, sehe ich keinen Grund, hier ein eigenes Haus zu unterhalten.“

„Dann wohne doch bei mir in Wyndham House. Natürlich kannst du kommen und gehen, wie es dir beliebt.“

Angenehme Gesellschaft zu haben und dazu eine mehr als respektable Adresse, während er hier seinen Geschäften nachging, würde ihm sehr gelegen kommen. Adam nickte langsam. „Sehr gern, Mark, vielen Dank!“

Sie verließen den Club; Mark ging nach Hause, um dafür zu sorgen, dass die Dienerschaft alles für den Besuch herrichtete, und Adam eilte ins Hotel, um seine Rechnung zu begleichen und seinen Kammerdiener anzuweisen, das Gepäck nach Wyndham House zu schaffen.

Autor

Mary Nichols
Mary Nichols wurde in Singapur geboren, zog aber schon als kleines Mädchen nach England. Ihr Vater vermittelte ihr die Freude zur Sprache und zum Lesen – mit dem Schreiben sollte es aber noch ein wenig dauern, denn mit achtzehn heiratete Mary Nichols. Erst als ihre Kinder in der Schule waren,...
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