Der unwiderstehliche Dr. Riley

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Dr. Tom Riley besitzt den Ruf als größter Playboy des Krankenhauses. Trotzdem fühlt Kunsttherapeutin Cori sich mit jedem Tag mehr zu ihm hingezogen. Sie spürt, dass er nur sein verletztes Herz schützen will. Doch ist er auch bereit, es durch ihre Liebe heilen zu lassen?


  • Erscheinungstag 02.10.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751512909
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Kannst du mir einen Gefallen tun?“

Die Bitte von Dr. Helen Kowalski klang, als wollte sie mit ihm flirten, doch Tom Riley wusste, dass sie rein aus beruflichen Gründen fragte. Es war Sonntagnachmittag, und der Anruf aus der hektischen Notaufnahme konnte nur eines bedeuten.

„Du willst, dass ich runterkomme und mir einen Patienten anschaue?“

„Falls du auf deiner Station nicht zu viel zu tun hast. Wir haben hier einen Jungen, der alle in den Wahnsinn treibt.“

„Und da er unter sechzehn ist, willst du ihn an mich abgeben.“ Tom lachte. „Weil schwierige Jungs mein Spezialgebiet sind.“

Helen lachte ebenfalls. „Jetzt könnte ich sagen: Um mit einem klarzukommen, muss man selbst einer sein.“

„Wenn du das tust, gehe ich sofort nach Hause. Ich sollte heute noch nicht mal hier sein.“

„Komm runter, Tom.“ Irgendwo im Hintergrund war ein Krachen zu hören, und Helen fluchte halblaut. „Bitte!“

„Bin schon unterwegs.“

Die Ursache der Probleme stellte sich als ein rothaariger Achtjähriger heraus. Er saß auf der Liege in einer der Behandlungskabinen und zappelte wild mit den Beinen herum. Tom machte einen großen Bogen, um nicht getroffen zu werden, und lächelte der Frau neben dem Jungen zu.

„Ich bin Dr. Tom …“ Er zuckte leicht zusammen und wich zurück, als er merkte, dass er die Reichweite des Jungen unterschätzt hatte.

„Oh, das tut mir furchtbar leid. Adrian, lass das, sonst tust du noch jemandem weh.“

Die Frau, die neben dem Jungen saß, hatte das dunkle Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst und mit einem Schal umwickelt. Sie trug einen farbverschmierten Overall, die Ärmel hatte sie von den Schultern gestreift und um die Taille gebunden, und darunter einen bunten, grob gestrickten Wollpullover mit einem Flicken am Ellbogen. Sie sah aus, als käme sie direkt von einem Heimwerker-Projekt, das sie halb fertig zurückgelassen hatte.

„Nichts passiert.“ Tom ignorierte das Bedürfnis, sich die Stelle am Bein zu reiben, wo Adrian ihn getroffen hatte. „Was hat Sie zu uns geführt?“

Als die junge Frau ihn anschaute, sah er in ungewöhnliche veilchenfarbene Augen. Und auf einmal spielte der Grund, weshalb sie hier war, gar keine Rolle mehr. Doch da senkte sie auch schon den Blick.

„Es geht um Adrian.“ Müde wandte sie sich dem Jungen zu und legte ihm die Hand aufs Bein, um ihn zu beruhigen. An ihrer anderen Hand hielt sich der Junge krampfhaft fest. „Er hat sich den Kopf gestoßen, und da ist eine Beule.“

„Okay.“ Tom überlegte. „Sonst noch was? Eine Veränderung in seinem Verhalten?“

Mit einem scherzhaften Lächeln schaute sie den Jungen an, der sofort aufhörte, seine Beine zu schwingen. „Er hat immer sehr viel Energie.“

So konnte man es auch ausdrücken. „Was ist denn passiert?“

„Ich stand auf einer Leiter, und Adrian hat gespielt. Er ist an die Leiter gekommen, sodass wir beide auf dem Boden landeten. Da er sich den Kopf gestoßen hat, dachte ich, es wäre das Beste, herzukommen und ihn untersuchen zu lassen.“ Eindringlich sah sie ihn an.

Tom konnte ihren Blick fast auf seiner Haut spüren. „Und Sie sind nicht verletzt?“ Die steife Art, wie sie sich bewegte, zeigte ihm, dass nicht nur Adrian von einem Arzt untersucht werden sollte.

„Mir geht’s gut.“ Doch sie hielt seinem Blick nicht stand. „Adrian, hör bitte auf damit!“

Tom bemerkte, dass der Junge angefangen hatte, das Schutzpapier auf der Liege sorgfältig in kleine Stücke zu zerreißen. „Also gut, junger Mann. Dann wollen wir uns mal deinen Kopf anschauen.“

Adrians sommersprossiges Gesicht und die roten Haare schienen zu glühen. Heftig krallte er sich an der jungen Frau fest, die vor Schmerz das Gesicht verzog.

Tom trat zurück, zog sich einen Stuhl heran, setzte sich und verschränkte die Arme. Da nun keine Gefahr mehr drohte, dass er von seiner Begleiterin getrennt werden könnte, beruhigte sich der Junge und sah Tom unverwandt an.

„Na schön, Adrian.“ Tom streckte die langen Beine vor sich aus, als hätte er alle Zeit der Welt. „Wie wollen wir die Sache jetzt angehen?“

Dieser Arzt war ein Traum. Cori hatte gewusst, was für eine Herausforderung es sein würde, Adrian in die Notaufnahme zu bringen. Aber er musste untersucht werden, und an einem Sonntagnachmittag blieb einem keine große Wahl. Im Warteraum hatte er laut Furzgeräusche imitiert, was um sie herum für freie Sitze gesorgt hatte. Und die Ärztin, die sich Adrian zuerst angesehen hatte, war zwar freundlich und gründlich gewesen, jedoch offenbar zu beschäftigt, um ihm die Zeit zu widmen, die der Junge brauchte.

Cori hatte den Nachnamen des Arztes nicht mitbekommen, aber vielleicht hatte er ihn auch nicht genannt. Anders als die übrigen Mitarbeiter in der Notaufnahme trug er kein Namensschild. Doch das Wichtigste war, dass er sich die Zeit nahm, damit Adrian das Tempo bestimmen konnte.

Der Mann war blond, blauäugig und sehr attraktiv, wirkte aber gleichzeitig auch kompetent und durchsetzungsfähig. Er versuchte gar nicht erst, Adrian von ihr zu trennen, sondern schaffte es irgendwie, den Jungen zu untersuchen, während dieser sich noch immer an sie klammerte. Als die Finger des Arztes versehentlich ihre Wange streiften, vergaß Cori die Schmerzen an ihrer Hüfte und Schulter und spürte, wie sie sich sofort entspannte.

„Also gut, Adrian.“ Tom lachte. „Ich bestätige dir hiermit offiziell, dass du vollkommen in Ordnung bist. Das bedeutet, du kannst mit deiner …“ Fragend sah er Cori an.

„Schwester“, ergänzte sie.

Tom nickte, wobei man ihm ansah, dass er den Altersunterschied zwischen ihr und Adrian einzuschätzen versuchte – es waren achtzehn Jahre.

„Du kannst also mit deiner Schwester nach Hause gehen.“

Cori stupste Adrian an, der Tom erfreut ansah.

„Danke“, sagte der Junge.

Wieder lächelte Tom. Ein sympathisches Lächeln.

„Gern geschehen.“ Dann wandte er sich an Cori. „Es war richtig, dass Sie hergekommen sind. Wie fahren Sie jetzt nach Hause?“

„Mein Vater holt uns ab. Er müsste eigentlich schon da sein.“

„Gut. Wie heißt er?“

„Ralph Evans. Aber …“

„Bleiben Sie hier.“ Tom warf ihr einen Blick zu, der keinen Widerspruch zuließ. „Ich schau mal, ob ich ihn finde.“

Da Adrian sich anscheinend noch immer nicht von seiner Schwester trennen wollte, musste Tom sich etwas einfallen lassen, um sie zu untersuchen, ohne den Jungen zu beunruhigen. Denn auch wenn Adrian unbedingt nach Hause wollte, und so sehr seine Schwester sich bemühte, es zu verbergen, hatte sie doch sichtlich Schmerzen. Trotz seiner medizinischen Fähigkeiten konnte Tom allerdings beim besten Willen nicht erkennen, ob ihre Rippen gebrochen waren, wenn er sie nur ansah.

Da Helen gerade vorbeieilte, hielt er sie zurück. „Hast du mal eine Minute? Ich möchte, dass du dir die Frau anschaust, die mit dem Jungen hergekommen ist.“

„Wieso? Was ist los mit ihr?“

„Sie ist gestürzt. Könntest du sie rasch untersuchen?“

Helen schüttelte den Kopf. „Wenn es nicht dringend ist, muss sie warten. Der Vater des Jungen war gerade hier.“

„Dann mach du weiter, ich suche ihn.“

Tom blickte sich in der Notaufnahme um und überlegte, wer der Vater des Jungen sein könnte. Vielleicht jemand mit roten Haaren?

Ein Mann mittleren Alters kam auf ihn zu. „Dr. Riley? Ich bin hier, um Adrian Harper abzuholen. Ich bin sein Vormund.“

Tom war überrascht. Seiner Erfahrung nach ließ sich das Verhalten von Kindern oft erklären, wenn man die Eltern kennenlernte. Aber dieser Mann mit seiner ruhigen Art und dem graumelierten Haar hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mit Adrian. Noch ehe Tom fragen konnte, zog der Mann eine Karte aus seiner Brieftasche, um sich auszuweisen.

„Adrian ist Ihr Pflegesohn?“

Ralph nickte. „Geht es ihm gut?“

„Er hat eine ordentliche Beule am Kopf.“ Tom gab ihm ein Merkblatt aus dem Gestell hinter dem Anmeldetresen. „In den nächsten vierundzwanzig Stunden sollten Sie ihn im Auge behalten.“

Ralph lachte. „Das tun wir immer. Und wie geht es Cori?“

„Seiner Schwester?“ Erst jetzt wurde Tom klar, dass er ihren Namen gar nicht kannte. Ihr Lächeln, ihre außergewöhnliche Augenfarbe und ihre warmherzige Art hatten ihm genügt.

„Ja. Als sie anrief und sagte, dass Adrian in eine Leiter gerannt ist, hatte ich gehofft, dass sie nicht gerade oben draufstand.“

Anscheinend hatte Cori nicht die ganze Wahrheit erzählt. „Mir hat sie gesagt, dass er gegen die Leiter gestoßen und sie heruntergefallen ist. Ich möchte, dass sie auch untersucht wird, da sie offensichtlich Schmerzen hat. Aber Adrian will sie einfach nicht loslassen.“

Ralph nickte. „Okay, danke. Ich nehme Adrian mit nach Hause und sorge dafür, dass Cori untersucht wird.“

„Möglichst heute.“ Tom schaute hinüber in den Warteraum, der noch voller aussah als vor einer halben Stunde. „Wenn sie wieder zurückkommt, versuche ich jemanden zu finden, der sie schnell drannimmt.“

„Danke. Ich weiß, wie viel Sie hier zu tun haben. Das ist sehr freundlich von Ihnen. Sie kommt zurück, sobald Adrian im Auto sitzt.“

Vom Krankenhausparkplatz kehrte Cori zur Notaufnahme zurück. Adrian war beschwichtigt, weil sie ihm versichert hatte, dass sie von hier aus in ihre Wohnung zurückfahren würde. Doch davon wollte Ralph nichts hören. Leise hatte er darauf bestanden, dass sie sich auch untersuchen ließ. Also musste sie sicher wieder zwei Stunden warten.

Die Schmerzen in ihrer Hüfte und der Schulter wurden stärker, und Cori war zum Heulen zumute. Sie durfte sich nicht verletzt haben. Nicht ausgerechnet jetzt. Morgen früh sollte sie hier in diesem Krankenhaus einen achtwöchigen Projekteinsatz beginnen, aus dem vielleicht die Vollzeitstelle werden könnte, die sie sich erhoffte. Sie konnte es sich nicht leisten, den Job nicht anzutreten.

„Hallo.“ Das klang wie die Stimme von Tom.

Als Cori aufschaute, sah sie ihn mit einem Kaffeebecher in der Hand am Eingang der Notaufnahme stehen.

„Kommen Sie.“ Mit einem letzten langen Schluck trank er den Pappbecher leer, ehe er ihn in den Mülleimer warf.

Nur allzu gern wäre sie mit ihm gegangen, doch das würde sie nicht weiterbringen. „Ich muss mich anmelden und in die Warteschlange einreihen.“

Tom lächelte, und sie hielt inne. Wenn er lächelte, war er der perfekteste Mann, den sie je gesehen hatte.

„Sie sind gerade auf den ersten Platz vorgerückt.“

„Aber …“ Das wäre zu schön, um wahr zu sein. „Da warten noch Leute. Die sollten Sie zuerst aufrufen.“

„Ich habe keinen Dienst, und für mich gibt es hier nichts mehr zu tun. Außerdem haben Sie ja vorhin bereits gewartet.“

Cori zögerte. „Ist schon in Ordnung. Wirklich. Ich weiß Ihr Angebot zu schätzen, aber wenn Ihre Schicht vorbei ist, sollten Sie nach Hause gehen.“

Stirnrunzelnd sah er sie an. „Sie werden mich doch nicht treten, oder?“

Wortlos schüttelte sie den Kopf.

„Gut. In dem Fall sollten Sie jetzt lieber mitkommen.“ Ohne weitere Einwände von ihr abzuwarten, machte er auf dem Absatz kehrt und ging voran in die Notaufnahme.

Tom hatte Cori keine Chance zum Protestieren gegeben. Nach einem kurzen Blick auf die blauen Flecke an ihrer Schulter und Hüfte schickte er sie mit einem ausgefüllten Formular zum Röntgen. Während er auf Coris Rückkehr wartete, nutzte Helen die Gelegenheit, um ihm noch zwei kleinere Fälle zuzuweisen mit dem Kommentar, sie könnte es nicht ertragen, wenn er sich langweilte.

Als die Röntgenaufnahmen fertig waren, betrachtete er sie genau, ehe er zu Cori ging, die in einer der Kabinen saß. Sie trug ein Krankenhemd, das ihr bis über die Knie reichte. T-Shirt und Pullover hielt sie zu einem Bündel zusammengewickelt an sich gedrückt.

„Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, weil Sie zu Adrian so nett gewesen sind. Und es tut mir leid, dass er Sie getreten hat. Hoffentlich war es nicht allzu schmerzhaft“, sagte sie, sobald er den Vorhang hinter sich zuzog.

„Schon gut. Ich kenne Schlimmeres.“ Wesentlich schlimmer. Tom, der damit aufgewachsen war, hatte früh gelernt, Schläge einzustecken und einfach weiterzumachen. Um dann erst später zu weinen, wenn er allein in seinem Bett lag. Schnell schob er die Erinnerungen beiseite, wobei er sich fragte, warum sie ausgerechnet jetzt wieder auftauchten. Vielleicht hatte es etwas mit der sanften Art zu tun, wie Cori mit Adrian umgegangen war. Zartheit schien immer ein seltsames Gefühl von Verlust in ihm wachzurufen.

„Also, was malen Sie denn gerade?“ Da sie nervös wirkte, versuchte Tom es mit ein bisschen Smalltalk.

„Eine Wand.“ Ihre Anspannung schien ein wenig nachzulassen. „Um genau zu sein, ein Wandgemälde. In meiner Freizeit arbeite ich mit einer Gruppe von Künstlern zusammen, die Wandgemälde für Wohltätigkeitsorganisationen und Krankenhäuser stiftet.“

„Klingt toll. Aber Adrian hatte etwas dagegen?“

Sie versteifte sich. „Es war keine Absicht von ihm. Normalerweise ist er nicht so ungezogen wie Ihnen gegenüber.“

Es gefiel ihm, dass sie den Jungen vehement verteidigte. „Kein Problem. Ich mache ihm keinen Vorwurf.“

„Danke. Adrian hat es in den letzten paar Jahren nicht leicht gehabt.“

„Ihr Vater sagte, dass er als Pflegekind in Ihrer Familie ist.“

„Ja, das stimmt. Er hat mit Krankenhäusern schon sehr schlechte Erfahrungen gemacht.“ Rasch fügte Cori hinzu: „Aber nicht in diesem hier.“

„Für Kinder ist ein Aufenthalt im Krankenhaus immer schwierig“, meinte Tom. „Wir tun unser Bestes, aber …“

„Ich weiß. Sie sind wunderbar mit ihm umgegangen. Das macht einen großen Unterschied.“ Sie hielt kurz inne. „Als er klein war, wurde er mit seiner Mutter in die örtliche Notaufnahme gebracht. Eine Überdosis Drogen. Der Freund der Mutter vergaß Adrian komplett, sodass er allein im Warteraum zurückgelassen wurde. Die Mitarbeiter fanden ihn dort schließlich in einer Ecke, wo er sich verkrochen hatte.“

Ein kleiner Junge, verloren und allein. Tom spürte plötzlich ein Gefühl von Schwere und Enge in der Brust. „Deshalb wollte er Sie nicht loslassen?“

„Ja. Und deshalb habe ich auch gesagt, dass mit mir alles in Ordnung ist.“ Cori hob die Schultern, verzog dabei jedoch das Gesicht. „Eigentlich sollte ich Ihnen das alles gar nicht erzählen, aber ich denke, es ist okay, weil Sie sein behandelnder Arzt sind. Ich wollte nur, dass Sie wissen, wie viel es für ihn bedeutet, wie Sie mit ihm umgegangen sind. Er kann es nicht so ausdrücken. Jedenfalls noch nicht.“

Einen Moment lang hatte Tom das Gefühl, als könnte er nicht atmen und müsste mühsam nach Luft ringen. Doch dann kam ihm seine Selbstbeherrschung zu Hilfe. „Danke für diese Information. Adrian hat Glück, dass Sie für ihn eintreten.“

„Ich bin adoptiert.“ Sie lächelte. „Und ich hatte auch Glück, dass jemand für mich eingetreten ist, als ich es nötig hatte.“

Und jetzt gab sie es weiter. Tom wandte sich schnell ab. In seiner Kindheit war niemand für ihn eingetreten, und jetzt war es viel zu spät dafür. Er ließ die Liege herunter, damit Cori sich ohne Hilfe darauf setzen konnte. „Ihre Röntgenbilder sehen gut aus. Keine Brüche oder Haarrisse. Aber ich würde gerne noch die Beweglichkeit Ihrer Schulter überprüfen.“

Sie nickte, stand steif von ihrem Stuhl auf und setzte sich auf die Liege. Dann ließ Tom diese hochfahren, bis er und Cori fast auf gleicher Höhe waren. Dabei bemühte er sich, sich nicht von ihren Augen ablenken zu lassen.

„Ich werde jetzt Ihr Schultergelenk drehen. Das wird ein bisschen wehtun, aber versuchen Sie, sich so weit wie möglich zu entspannen.“

Wieder lächelte sie. Im Grunde genommen sollte er nicht auf ihr Lächeln achten, und schon gar nicht mit der Reaktion eines Teenagers.

„Es tut jetzt schon ein bisschen weh.“

„Dann könnte es leider noch etwas mehr wehtun.“

Ja, es tat weh, stellte Cori fest, obwohl Tom sanft und achtsam war.

„Tut mir leid, gleich ist es vorbei“, sagte er.

Cori stieß den Atem aus, den sie unwillkürlich angehalten hatte. Irgendwie hatte sie die Bettkante losgelassen und stattdessen nach dem gegriffen, was ihr am nächsten war, nämlich nach Toms weißem Kittel. Errötend ließ sie ihn los und hoffte, dass Tom es nicht gemerkt hatte.

„Hier ist alles in Ordnung“, stellte er fest. „Jetzt schaue ich mir nur noch mal die Prellungen an. Könnten Sie das Hemd etwas zur Seite schieben?“

Obwohl er sich abgewandt hatte, um etwas in ihre Patientenakte zu schreiben, fühlte Cori sich plötzlich befangen, als sie seiner Bitte nachkam.

Er wirkte kühl und professionell, während er mit Handschuhen vorsichtig ihre Schultern und den Rücken abtastete.

Cori schloss die Augen und ließ den Kopf sinken, sodass er an Toms Schulter lag.

„Ja, so ist es gut.“ Dann trat er zurück. „Sie können sich jetzt wieder anziehen.“

„Vielen Dank. Ich weiß sehr zu schätzen, was Sie alles für uns getan haben.“ Sie wartete, bis er die Liege heruntergefahren hatte, damit sie problemlos aufstehen konnte.

„Das gehört alles mit zum Service. Ich stelle Ihnen ein Rezept für ein Schmerzmittel aus und schaue mal nach einem Merkblatt.“ Scherzhaft fuhr er fort: „Offenbar haben wir hier Merkblätter für so ziemlich alles.“

Tom ging hinaus, woraufhin sich Cori ihr T-Shirt und den Pullover so schnell wieder anzog, wie es ihre schmerzenden Glieder erlaubten.

Als Cori einen Schmerzenslaut ausstieß und sich an seinem Kittel festklammerte, hätte Tom sie beinahe umarmt, um sie zu trösten. Dann hatte er sich jedoch daran erinnert, wo er war, und sich rasch zurückgezogen. Er gab ihr genügend Zeit, um sich anzuziehen, ehe er in die Kabine zurückging. Dort fand er sie vollständig angezogen vor und bereit, zu gehen.

Tom gab ihr das Faltblatt, das sie rasch überflog. „Da steht drin, was Sie tun können, damit Sie sich besser fühlen. Sie sollten es die nächsten Tage langsam angehen lassen. Sie haben einige starke Prellungen, die morgen früh vermutlich schmerzen werden.“

Cori presste die Lippen zusammen. „Ich werde morgen einen neuen Job anfangen. Und zwar hier.“

„Sie sollten lieber zu Hause bleiben.“ Erst jetzt begriff er, was sie sagte. „Hier?“

„Ja, ich bin Kunsttherapeutin und habe hier einen achtwöchigen Job bekommen.“

Cori? Corrine Evans? Tom wurde plötzlich der Mund trocken. Das war also die Frau, die er unbedingt von seiner Abteilung fernhalten wollte?

„Es ist eine große Herausforderung, und ich kann mir auf keinen Fall freinehmen.“ Mit ernster Miene sah sie ihn an.

Er selbst war die Herausforderung, von der sie sprach. Und ihr entschlossener Ausdruck zeigte, wie sie damit umgehen würde.

„Ich bin sicher …“ Er brach ab. Sollte er etwa sagen, dass Dr. Thomas Riley, der kommissarische Chefarzt der Pädiatrie, ihr nur allzu gerne die beiden nächsten Tage freigeben würde? Am liebsten sogar die gesamten acht Wochen?

Ehe er wusste, wie er ihr die Neuigkeit beibringen sollte, stand Cori auf.

„Ich möchte Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Vielen Dank für alles, was Sie getan haben.“ Mit einem Lächeln verabschiedete sie sich und ging davon.

Corrine Evans. Jetzt, nachdem er sie kennengelernt hatte, schien sogar ihr Name einen besonderen Klang zu haben. Eigentlich hatte Tom damit gerechnet, dass er die neue Kunsttherapeutin größtenteils ignorieren könnte. Er hatte die Absicht, ihr ein paar unwichtige Aufgaben zu geben, damit sie niemanden störte und er in Ruhe seinen Job als leitender Arzt machen konnte.

Ein merkwürdiges Gefühl tief in seiner Magengrube sagte ihm jedoch, dass das wohl nicht so einfach werden würde.

2. KAPITEL

Als Cori erwachte, fühlte sie sich, als wäre sie in der Nacht von einer Dampfwalze überrollt worden. Sie hoffte, es würde besser werden, sobald sie geduscht und sich ein bisschen bewegt hatte.

Etwas anderes blieb ihr nicht übrig. Ihre Chefin hatte ihr mitgeteilt, dass Dr. Shah, der Chefarzt der Pädiatrie, aus gesundheitlichen Gründen eine längere Auszeit benötigte, und dass der stellvertretende Chefarzt Bedenken gegen ihren Einsatz in der Abteilung geäußert hatte. Unter keinen Umständen wollte Cori ihm die Chance geben, sie wegzuschicken, bevor sie die Gelegenheit gehabt hatte, ihm zu beweisen, welche Fähigkeiten sie besaß. Wenn sie gleich am ersten Tag nicht auftauchte, wäre das so, als würde sie ihm ihren Kopf auf einem Silbertablett servieren.

Schon gestern Abend hatte sie alles, was sie möglicherweise brauchte, in eine große Segeltuchtasche gepackt und im Flur bereitgestellt. Jetzt nahm sie die schwersten und weniger wichtigen Gegenstände wieder heraus, hängte sich die Tasche um und rief sich ein Taxi.

Die drei Kilometer zum Krankenhaus zu bewältigen, war per Taxi kein Problem. Aber nachdem sie dort schließlich ihren Weg durch das Labyrinth an Gängen und Fluren bis zur Kinderstation gefunden hatte, brannte ihre Schulter höllisch, und sie hatte das dringende Bedürfnis, sich zu setzen. Der Eingang zur Abteilung war verschlossen, und als sie den Klingelknopf drückte, schien niemand zu reagieren.

„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie ein paar Tage zu Hause bleiben sollten.“ Die Stimme hinter ihr war unverkennbar.

Verflixt, was hatte er denn hier zu suchen? Die Notaufnahme war doch auf der anderen Seite des Krankenhauses.

Mühsam drehte Cori sich um. „Nein, eigentlich hatten Sie gesagt, ich sollte es ein paar Tage langsam angehen.“

„Das stimmt. Und wie ich sehe, befolgen Sie meine Anweisung ganz genau.“

An ihr vorbei streckte er den Arm aus und drückte einen Code auf das Zahlenfeld neben der Tür. Dann hielt er sie für Cori auf. In seinem Anzug, den er heute statt der dunkelblauen Chinohose von gestern trug, wirkte er wesentlich distanzierter, wenn auch genauso attraktiv.

„Danke. Ich suche das Stationsbüro.“

„Ich bin Tom Riley.“ Er zog die Tür hinter sich zu. „Stellvertretender Chefarzt der Pädiatrie.“

Entsetzt starrte sie ihn an.

Sein Blick wurde etwas sanfter. „Erst nachdem Sie gegangen waren, wurde mir klar, wer Sie sind.“

Zumindest war das keine offene Kriegserklärung.

„Ich hatte Ihren Nachnamen leider nicht mitbekommen.“ Cori wurde rot, als sie sich daran erinnerte, dass Adrian ihn getreten hatte, bevor Tom seinen Nachnamen überhaupt hatte nennen können.

„Ich helfe Ihnen mit der Tasche.“ Auf einmal war er ihr sehr nahe. „Sie müssen Schmerzen haben, das weiß ich.“

Leider hatte sie ihm schon viel zu viel von sich verraten, und dann hatte sie auch noch von diesen strahlenden blauen Augen geträumt. Die distanzierte Professionalität, mit der sie Dr. Riley heute Morgen begegnen wollte, würde sie jetzt nicht mehr aufbringen können.

„Danke.“ Cori versuchte, sich den Riemen der schweren Tasche über den Kopf zu ziehen.

Daraufhin kam Tom noch näher heran, um ihr dabei behilflich zu sein. Sobald er das Gewicht der Tasche spürte, verzog er das Gesicht. „Wie sind Sie hergekommen?“

Obwohl er die Frage vermutlich nur aus Besorgnis stellte, kam es ihr so vor, als würde er sie kritisieren. Mit einem Lächeln erwiderte sie: „Mit dem Taxi – es war ganz leicht.“

Ihr Versuch zu scherzen kam nicht sonderlich gut an.

Zuerst schien es, als wollte er lächeln, dann wandte er sich jedoch abrupt ab und ging voran, am Anmeldetresen vorbei. Cori folgte ihm einen langen Korridor hinunter, den Blick auf Toms Rücken geheftet.

Schließlich stieß er eine Tür auf. „Wir haben einen Raum für Sie freigemacht.“

„Vielen Dank.“ Cori war verblüfft. Das Programm der Gesundheitsbehörde, bei dem Kunsttherapeuten den örtlichen Krankenhäusern zugewiesen wurden, sah vor, dass ihnen tatsächlich ein eigener Raum zur Verfügung gestellt werden sollte. Aber die meisten Kollegen aus ihrer Gruppe hatten eher einen besseren Kleiderschrank bekommen. Auch wenn Tom vielleicht nichts von ihrer Anwesenheit halten mochte, hatte er ihr einen hellen, luftigen Raum mit zwei großen Arbeitstischen und einer kleinen Sitzecke zugeteilt.

„Das ist …“ Perfekt. Wundervoll. Sie konnte es kaum fassen. „Gibt es irgendwelche Beschränkungen in Bezug auf die Zeiten, in denen ich den Raum nutzen kann?“

„Nein, für die nächsten acht Wochen gehört er ganz Ihnen.“ Wieder spielte ein kaum wahrnehmbares Lächeln um seine Mundwinkel. „So wie es die Richtlinien vorschreiben.“

„In den Richtlinien wird so viel gefordert, dass wir gar nicht erwarten, dass alles erfüllt wird.“ Sie blickte sich um. „Das ist wunderbar. Ich danke Ihnen.“

Er nickte. „Ich habe gleich eine Besprechung und hoffe, es macht Ihnen nichts aus, wenn ich Sie jetzt allein lasse. Ich werde Maureen, unsere Sekretärin, bitten, Ihnen alles zu zeigen. Dann können Sie den Tag heute dazu nutzen, sich hier einzurichten. Es wäre schön, wenn Sie auch eine Liste von Vorschlägen zu den Aktivitäten erstellen könnten, die Sie hier durchführen möchten.“

Cori hatte bereits eine solche Liste gemacht. Zwar hatte sie nicht gewusst, welche Räumlichkeiten sie bekommen würde, aber vom Besenschrank bis zu einem Palast hatte sie darin fast alle Möglichkeiten abgedeckt. Tom, der es offenbar eilig hatte, war schon halb an der Tür.

Daher erwiderte Cori nur: „Vielen Dank. Maureen, sagten Sie?“

Er lächelte kurz. „Ja. Sie ist wahrscheinlich noch nicht da, aber ich lege ihr einen Zettel auf den Schreibtisch. Wenn Sie hierbleiben, dann kommt sie nachher vorbei.“

„Gut, in Ordnung.“

Diesmal lächelte er richtig. Ein schnelles, intensives Lächeln, das in ihrem gesamten Körper ein warmes Prickeln auslöste.

„Die Kaffeemaschine steht im Stationsbüro. Dort können Sie sich gerne bedienen.“ Damit verließ er den Raum – und schon waren sein Lächeln und auch sein frischer Duft verschwunden. Und leider auch Coris Hoffnung, ihn gleich bei ihrem ersten Treffen für sich einnehmen zu können.

Autor

Annie Claydon
<p>Annie Claydon wurde mit einer großen Leidenschaft für das Lesen gesegnet, in ihrer Kindheit verbrachte sie viel Zeit hinter Buchdeckeln. Später machte sie ihren Abschluss in Englischer Literatur und gab sich danach vorerst vollständig ihrer Liebe zu romantischen Geschichten hin. Sie las nicht länger bloß, sondern verbrachte einen langen und...
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