Der Viscount ihres Herzens

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Beim Rendezvous mit dem schneidigen Viscount Lyndlington wähnt sich Lady Margaret im siebten Himmel der Liebe! Zwischen ihnen besteht eine ganz besondere Verbindung, das spürt sie sofort. Aber ein unerwarteter Antrag holt sie schnell auf den Boden der Tatsachen zurück: Nicht der Viscount will ihre Hand - sondern sein Bruder!


  • Erscheinungstag 11.04.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733739768
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

London, Ende April 1831

Dein Halbbruder wird also heiraten.“

Die zwei jungen Abgeordneten saßen in einem Privatsalon des Quill and Gavel, einem Lokal nahe dem Parlamentsgebäude. Nun schaute Giles Hadley, eigentlich Viscount Lyndlington, von dem Bericht auf, den er gerade studierte. „George?“ Giles war nicht sicher, ob er richtig gehört hatte.

David Tanner Smith lächelte geduldig. „Genau, George! Hast du noch einen Halbbruder?“

Giles unterdrückte die scharfe Antwort, die ihm auf der Zunge lag – dass es ihm einerlei war, ob und wenn, wen sein misslicher Halbbruder heiratete – und sagte stattdessen: „Wie kommst du darauf?“

„Es steht in der Morning Post. Lady M., Tochter des Marquess of W.“, las David vor, „wurde in letzter Zeit regelmäßig mit dem Honorable G. H., dem jüngeren Sohn des Earl of T. gesehen. Die Dame ist reich und aus einwandfreier Familie, der Gentleman mit Ambitionen auf höhere Ämter, wenn er auch nicht der Erbe ist. Könnte das ein Bund im politischen Himmel sein?“

„Lady Margaret, Tochter des Marquess of Witlow – wenn ich die diskreten Auslassungen der Zeitung korrekt deute – empfiehlt sich durchaus als ideale Gattin für einen Mann, der im Kreis der Torys etwas werden möchte“, gab Giles zu. „Kein Wunder, dass George interessiert ist.“

„In der Tat. Da die Gemahlin des Marquess’ von schwacher Gesundheit ist, fungiert Lady Margaret schon seit Jahren für ihren Vater als Gastgeberin – seit sie ihren Gatten verlor, tragischerweise schon bald nach der Hochzeit.“

Giles kramte in seinem Gedächtnis. „Vor fünf oder sechs Jahren, nicht wahr?“

„Ja. Obendrein interessiert sich ihr Bruder nicht für Politik. Daher bekäme der Mann, der Lady Margaret ehelicht, nicht nur eine Gattin mit außerordentlichem politischen Sachverstand, sondern gewönne dazu die Macht und den Einfluss des Marquess’, den der sonst für seinen Sohn genutzt hätte.“

„Eine Schande, dass sie die falsche Partei unterstützt“, meinte Giles. „Also, nicht dass ich an Heiraten dächte.“

„Und eine noch größere Schande, die Dame an George zu verschwenden – sofern nicht übertrieben ist, was man über ihren Charme und Geist hört.“

Just da flog die Tür auf, und zwei weitere Männer stürzten herein. Indem er auf den Stapel Papiere auf dem Tisch wies, rief der eine, Christopher Latimer: „Vergiss die Berichte des Ausschusses, Giles! Die Sitzungsperiode wird beendet!“

„Ehrlich, Christopher?“, warf David ein und fragte, an den anderen Ankömmling, Benedict Tawny, gewandt: „Ist das sicher, Ben?“

„Ausnahmsweise scherzt Christopher mal nicht“, antwortete Ben aufgeregt. „Grey ist es leid, dass die Torys endlose Verzögerungen inszenieren. Er will die Frage dem Volk vorlegen. Was Neuwahlen bedeutet.“

„Das sind großartige Neuigkeiten!“, rief Giles. „Fegen wir die Torys weg, und das Reformgesetz wird bestimmt verabschiedet! Gleichwertige Vertretung für jeden Bezirk, eine Stimme für jeden Landinhaber und ein Ende mit der Herrschaft der Großgrundbesitzer!“

„Und sicherlich ein Ende mit den Zwergbezirken“, sagte David. „Ich bezweifle, dass wir das Übrige erreichen – noch nicht. Wenn ich auch wirklich nicht genau weiß, warum dir, Giles, als zukünftigem Earl, das Übrige so wichtig ist. Eigentlich jedem von euch. Ich bin der Einzige hier, der nicht zu den ‚Großgrundbesitzern‘ gehört.“

„Du bist der Sohn eines Bauern, was dich von Berufs wegen dazu macht“, meinte Christopher grinsend.

„Meines Vaters Beruf, nicht meiner“, entgegnete David. „Im besten Fall kann ich eine Rübe von einem Rettich unterscheiden.“

„Wie auch immer – der Tag verlangt nach einem Toast“, kam es von Ben. Er ging zur Tür und rief hinaus: „Mr. Ransen, eine Runde Ale für uns, bitte!“

„Als wir damals in Oxford in der kleinen Kneipe herumsaßen und uns unsere Zukunft ausmalten, habt ihr da ehrlich geglaubt, dass wir diesen Tag je erleben würden?“, fragte David staunend. „Damals waren unsere Ansichten eindeutig nicht sehr populär.“

„Und wir selbst auch nicht, außer bei den Schankmädchen. Welch unpassender Trupp!“ Christopher lachte. „Ich, nach außen der Sohn eines Barons, doch in Wirklichkeit der Spross eines der Liebhaber meiner Mutter, wie die Spötter stets gern anmerkten. Giles, mit seinem blaublütigen Vater entzweit, doch offiziell erbberechtigt, dem der vom Papa favorisierte Halbbruder sabbernd an den Fersen hängt, begierig, ihm die Nachfolge streitig zu machen.“

„Und der schon zu Schulzeiten allen Kameraden einbläute, dass er, sollte er den Titel bekommen, niemandem vergeben wird, der sich mit mir anfreundet“, ergänzte Giles und unterdrückte die Bitterkeit, die fortwährend unter der Oberfläche brodelte.

„Und dann noch ich, der illegitime Sohn einer niederen Gouvernante“, schlug Ben in die gleiche Kerbe. „Auch diese Tatsache zu erwähnen werden die Spötter nie müde.“

„Aber trotzdem alle von Adel. Anders als dieser echte Bauernsohn hier.“ David tippte sich auf die Brust. „Ich weiß, es ist selbstsüchtig, aber ich bin froh, dass ihr drei euch nie recht bei Euresgleichen einfügen mochtet. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie einsam Oxford sonst für mich gewesen wäre.“

„Du wärst nicht einsam gewesen; du bist viel zu klug“, erklärte Christopher. „Du hast in jedem Fach geglänzt. Wer sonst hätte uns so gut auf die Prüfungen vorbereiten können?“

Ehe jemand antworten konnte, brachte der Wirt das Ale, und die vier Freunde hoben ihre Krüge.

„Auf Giles, unseren ungeduldigen Anführer, auf David, unseren philosophischen Vordenker, auf Ben, unseren Demagogen, und darauf, dass unsere Träume endlich in Erfüllung gehen“, rief Christopher. „Auf die Teufelsbrut!“

„Auf die Teufelsbrut!“, stimmten alle ein und stießen mit den Krügen an.

Während die anderen tranken, wandte David sich an Giles. „Neuwahlen bedeuten eine neue Strategie. Wirst du in den Wahlkampf einsteigen?“

„Mein Sitz ist mir sicher. Ich denke, ich mische in ein paar Bezirken mit, die wir noch nicht fest in der Hand haben. Vielleicht können wir den örtlichen Grundbesitzern noch ein paar Stimmen abjagen.“ Er grinste. „Vielleicht sogar ein paar dem Vater der, ach, so tüchtigen Lady Margret stibitzen.“

David lachte. „Ich hörte, seine Sitze sind ihm gewiss. Aber versuch es auf jeden Fall.“

Giles leerte seinen Krug. „Werde ich.“

1. KAPITEL

Einen Monat danach strahlte Lady Margaret Roberts vom Sitz ihrer offenen Kutsche, die sie vor dem Wahlpodium in dem Marktflecken Chellingham zum Halten gebracht hatte, auf die Ansammlung davor hinab. „Sie werden morgen alle zur Wahl gehen, nicht wahr? Ich wäre so dankbar, wenn Sie für meinen Cousin Mr. Armsburn stimmten. Ich versichere Ihnen, er wird sein Bestes tun, um im Parlament Ihre Interessen zu vertreten.“

„Meine Stimme hat er, wenn er verspricht, Sie zu jeder Wahl herzuschicken“, verkündete einer der Männer unmittelbar neben der Kutsche.

„Ja, und meine auch für ein so hübsches Lächeln“, rief sein Nachbar.

„Danke, Gentlemen!“ Sie warf den beiden eine Kusshand zu. Als die Menge begeistert jubelte, lachte Margaret und wiederholte die Geste.

Ah, wie sie das liebte! Die aufgeregte, wimmelnde Masse, ihre eigene wachsende Vorfreude am Wahltag in dem Wissen, dass der Sieger ins Parlament einziehen und dazu beitragen würde, das Schicksal der Nation zu schmieden. Die Vorstellung, an der Gestaltung der Geschichte des Landes mitzuwirken, wenn auch nur im Kleinen, war ein Reiz, der nie verblasste.

Seit sie ihren Gatten Robbie verloren hatte – ein bitterer, andauernder Schmerz – kannte sie nur eine echte Freude, nämlich als Gastgeberin ihres Vaters auftreten zu können und seine politische Arbeit zu unterstützen, und es war das Einzige, was sie von ihrem Kummer ablenkte.

Ihre große Liebe mochte dahingegangen sein, doch immer noch gab es wichtige Arbeit zu tun. Oder zumindest sagte sie sich das in der Einsamkeit ihres Bettes.

Sie riss sich aus ihren Betrachtungen und hob den Blick – um in so fesselnde Augen zu schauen, dass sie unwillkürlich scharf den Atem einsog. Tiefblaue Augen – wie im Mondlicht glitzernder Lapislazuli, dachte sie unzusammenhängend – hielten sie so machtvoll im Bann, dass es war, als würde sie körperlich näher gezogen.

Und dann merkte sie, dass sie sich das nicht einbildete. Der Besitzer dieser prachtvollen Augen bahnte sich seinen Weg durch die Menge und hielt auf ihren Wagen zu. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Ein ahnungsvolles Prickeln schoss ihr durch die Glieder.

Diese faszinierenden Augen, stellte sie fest, während der Mann sich näherte, beherrschten ein kraftvolles, scharfgeschnittenes Antlitz mit markanter Nase, entschlossenem Kinn und hoher Stirn, über der sich ein üppiger Schopf blau-schwarzen Haares wellte. Der Gentleman war groß genug, dass seine breiten Schultern, vom jagdgrünen Jackett umschlossen, aus der Menge ragten, durch die er sich drängte.

Gerade als er so nah war, dass sie den sinnlichen Schwung seiner Lippen bemerken konnte, schenkte er ihr ein wissendes Lächeln, das ihr einen sachten Schauer über die Haut jagte.

Wie machte er es, dass sie sich nackt fühlte, obwohl sie doch komplett bekleidet war?

Und dann stand er vor ihr, immer noch lächelnd, und streckte ihr seine Hand entgegen.

„Wie könnte ich nicht wünschen, einer so entzückenden Dame die Hand zu schütteln?“, fragte er, und seine tiefe Stimme war wie eine Liebkosung. Und obwohl sie in solchem Gedränge normalerweise körperlichen Kontakt vermied, fand sie sich dabei, ihm ihre Hand zu reichen.

Sein Griff war, wie sie es sich ausgemalt hatte, fest und sicher. Als er ihre Hand umfing, wanderten kleine erregende Wellen ihren Arm empor, und einen kurzen Augenblick konnte sie kaum atmen. Wenn sie zu pathetischem Gefühlsüberschwang geneigt hätte, wären ihr womöglich gar kurz die Sinne geschwunden.

Tief atmete sie ein und schüttelte leicht den Kopf, um Fassung bemüht. „Ich hoffe, Sie werden charmant genug sein, Mr. Armsburn Ihre Stimme zu geben?“, fragte sie, erfreut, dass ihr Ton so gelassen klang, wie sie selbst sich keineswegs fühlte.

Er dämpfte sein Lächeln. „Ich schlage einer Dame sehr ungern etwas ab, aber leider bin ich hier, um Mr. Reynolds zu unterstützen.“

„Mr. Reynolds, den Radikalen? Du meine Güte“, rief sie aus, viel enttäuschter als sie hätte sein sollen. „Dann fürchte ich, unsere Standpunkte werden nicht übereinstimmen, Mr. …?“

Ehe der Gentleman antworten konnte, schwappte eine Woge von Männern aus dem Gasthof auf die Straße. „Freibier, freie Männer, freie Wahlen!“, deklamierten sie lauthals und stürmten auf den Platz. Von einer Ecke her schob sich eine andere Gruppe mit grünen Armbinden, die sie als Unterstützer ihres Cousins auswiesen, heran. „Torys für Gerechtigkeit!“, skandierten sie und umringten die Unterstützer der freien Wahlen. Mehrere der schubsenden Männer stolperten und stießen gegen Margarets Kutschpferd, das sich im Geschirr aufbäumte. Sie zerrte an den Leinen, doch das erschreckte Tier gehorchte nicht.

Augenblicklich sprang der fremde Herr vor, packte das Zaumzeug und zog den verschreckten Wallach zurück auf seine vier Hufe. „Fahren Sie besser weg, das hier könnte noch hässlich werden“, riet er. Seinen Stock nutzend, machte er eine Gasse frei und führte Pferd und Wagen durch das Gedränge bis zu einer Seitenstraße.

„Da drüben ist eine ruhige Schankwirtschaft“, erklärte er, während sie um die Ecke bogen. „Dort sind Sie in Sicherheit, während ich Ihren Cousin suche.“

Eigentlich wollte Margaret ihm versichern, dass sie nun allein zurechtkomme, doch in Wahrheit hatte sie der plötzliche Aufruhr, das Geschrei und die lärmende Balgerei, die man noch bis hierher hörte, stärker verstört, als sie zugeben mochte. Also sagte sie: „Dafür wäre ich dankbar.“

Innerhalb kürzester Zeit erreichten sie das Gasthaus, ihr Begleiter übergab Pferd und Wagen einem Stallknecht und bot Margaret den Arm, um sie hinein zu geleiten. „Einen Privatsalon für Lady Margaret, und bringen Sie Brot und Käse“, befahl er dem Wirt, der zur Begrüßung herbeieilte.

„Sofort, Sir, Mylady“, beteuerte der Besitzer und führte sie diensteifrig zu einem kleinen Salon gegenüber dem Schankraum.

Dort den Blicken Neugieriger entzogen, verneigte der Gentleman sich. „Lady Margaret, nicht wahr?“

„Ja, aber ich glaube, wir wurden einander noch nicht vorgestellt, richtig? Ich bin mir sicher, ich würde mich an Sie erinnern.“ Keine Frau unter neunzig mit einer Affinität zum männlichen Geschlecht hätte diesen Mann treffen und wieder vergessen können.

„Wir wurden uns noch nicht offiziell vorgestellt, ein Fehler, den ich nur zu gern korrigiere. Aber der Marquess of Witlow hat den Bezirk Chellingham schon so lange in seiner Hand; wie könnte da eine andere reizende Dame für ihn in den Wahlkampf ziehen als seine Tochter, die gefeierte Lady Margaret.“

„Oh je! Das klingt, als wäre ich ziemlich … berüchtigt.“

Er schüttelte den Kopf. „Bewundert und respektiert – sogar von Ihren Gegnern. Ich glaube nicht, dass die Streitereien da draußen in Gewalt ausarten, aber bei Freibier und Wahlen kann man sich nicht sicher sein. Versprechen Sie mir, dass Sie hierbleiben, bis Ihr Cousin in der Lage ist, Sie abzuholen. Obwohl ich ja sagen muss, dass ein Mann, der das Glück hat, eine so entzückende Wahlhelferin für sich in Anspruch nehmen zu können, besser auf sie achtgeben sollte.“

„Wie kann ich Ihnen für Ihre Freundlichkeit danken?“, fragte sie. „Darf ich Ihnen nicht wenigstens ein Glas Ale anbieten? So ungern ich es zugebe – ich würde mich besser fühlen, wenn ich Gesellschaft hätte, während ich … mich zu beruhigen versuche.“

Das mochte ihren Zustand übertrieben darstellen, doch ausnahmsweise machte es Margaret nichts aus, die Ritterlichkeit eines Gentlemans auszunutzen, wenn das hieß, ein bisschen länger seine Gesellschaft genießen zu dürfen.

Und mehr über diesen Mann herauszufinden, der fesselnder war als alle, die sie seit Langen getroffen hatte.

Er lächelte sie an – wobei seine blauen Augen wie Saphire funkelten, sodass ihr erneut ein sachter Schauer über die Haut lief. „Gern, ich möchte Sie nicht … so beunruhigt zurücklassen.“

Oh, der Spitzbube! Sie unterdrückte ein Lachen, halb versucht, ihn zu tadeln. Diese wissenden Augen sagten, ihm sei bewusst, auf welche Weise er sie beunruhigt habe und bedauere es nicht im Mindesten.

Mit seiner prächtigen Figur, den faszinierenden Augen und dem verführerischen Lächeln hatte er vermutlich nicht wenige Damen beunruhigt, wie sie sich insgeheim ermahnte. Ehe er sie in Versuchung führte, sich ihren Vorgängerinnen anzuschließen, sollte sie so klug sein, ihn seiner Wege zu schicken.

Nach ihrer letzten Erfahrung auf dem Gebiet legte sie absolut keinen Wert auf Wiederholung.

Doch der Stimme der Vernunft zum Trotz mochte sie ihn nicht einfach gehen lassen.

Da der Wirt gerade das Bestellte brachte, ergriff sie die Gelegenheit, ihre Antwort hinauszuzögern. „Sie werden dem Wirt erlauben, Ihnen einen Krug von seinem exzellenten Selbstgebrauten zu bringen? Mr. Carlson, nicht wahr?“, fragte sie, sich an den Wirt wendend. „Mein Cousin Mr. Armsburn sagte mir, Ihr Ale sei das beste in Chellingham. Ich weiß, er hat bei Ihnen schon so einige Krüge geleert, wenn er auf seinen Wahlkampfreisen vorbeikam.“

„Das stimmt, Lady Margaret“, antwortete Carlson. „Einem seiner Unterstützer spendiere ich gern einen Krug.“ Mit einer kleinen Verbeugung hastete er hinaus.

„Nun, solch ein großzügiges Angebot können Sie nicht ausschlagen“, erklärte sie ihrem Retter.

„Selbst wenn ich es unter falschen Voraussetzungen annehme?“

„Das sagen wir Mr. Carlson lieber nicht, um ihn nicht zu erschüttern. Er wählt die Torys schon seit so vielen Jahren.“

„Kein Wunder, dass Sie die Wähler bezaubern – wenn Sie sogar den Wirt am Ort mit Namen kennen.“

Sie hob eine Braue. „Natürlich kenne ich sie alle. Man kann nicht die Interessen des Bezirks vertreten, wenn man nicht die Leute und ihre Bedürfnisse kennt. Aber Sie haben mir immer noch etwas voraus – Sie wissen, wer ich bin, haben mir aber noch nicht Ihren Namen genannt. Ich weiß nur, dass Sie so fehlgeleitet sind, die Radikalen zu unterstützen.“

Er lachte, was sie auch beabsichtigt hatte, und verneigte sich übertrieben vor ihr. „Giles Hadley, zu Ihren Diensten.“

Sein leicht herausfordernder Ton verwirrte sie eine kurze Sekunde, bis sie den Namen einordnen konnte. „Giles Hadley!“ Sie keuchte leicht auf. „Der Anführer der Teufelsbrut! Der berüchtigte Viscount Lyndlington, obwohl – Sie benutzen den Titel nicht, nicht wahr? Ah, sollte ich mit einem Hauch Feuer und Schwefel rechnen?“

Wieder lachte er. „Die Gerüchte über unsere Umtriebe sind maßlos aufgebauscht! Vermutlich waren wir den Kneipen und dem Umgang mit den, äh, edlen Damen, die dort arbeiteten, nicht stärker zugetan als die meisten anderen jungen Studenten. Nur frequentierten wir eine bescheidenere Sorte jener Etablissements und berieten uns eher mit den Wirten, als sie zu begönnern.“

„Woher dann der Ruf, der Hölle zu entstammen?“

Er zuckte mit den Schultern. „Einer der Dozenten, ein Mann der Kirche, hörte, dass wir, hätten wir je die Macht, die Sitze des Klerus im Oberhaus abschaffen wollten. Das Sakrileg, die etablierte Ordnung umstürzen zu wollen, zusammen mit unserem ‚zügellosen‘ Betragen, brachte ihn dazu, uns alle als des Teufels Jünger anzuprangern. Und was meinen Titel angeht, ziehe ich es vor, für das bekannt zu sein, was ich erreicht habe.“

„Was so einiges ist, soweit ich weiß! Ich habe so viel über Sie gehört!“

„Wenn Sie es von meinem Halbbruder gehört haben, wundert es mich nicht, dass ich in Ihrer Vorstellung Hörner und einen Bocksfuß habe“, sagte er trocken.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, vorwiegend von meinem Vater und seinen Mitarbeitern – die Sie als den aufgehenden Stern der Whigs sehen. Mein Vater, der nicht so schnell lobt, hat mehrfach beklagt, dass Lord Newville Sie ihm für den Reformkurs weggeschnappt hat, ehe er Sie überreden konnte, sich den Torys anzuschließen. Ich bin geehrt, die Bekanntschaft eines Mannes zu machen, den mein Vater so sehr schätzt.“

Und den Mann zu treffen, von dem selbst seine Gegner sagten, dass er wahrscheinlich eines Tages Premierminister sein würde, war tatsächlich überwältigend genug, um einen Moment zu vergessen, wie attraktiv er war.

Doch nur einen Moment. Dann wurde ihr abermals eindringlich bewusst, welch gewaltige Anziehungskraft er auf sie ausübte.

Was für eine Kombination!, dachte sie benommen. Diese intensive maskuline Wirkung eines Mannes, der seinen Weg auf eine Art und Weise verfolgte, die sie über alles bewunderte. Und seinen abwiegelnden Worten zum Trotz umgab ihn etwas wie Verruchtheit.

Doch anstatt sich, wie wohl die meisten Männer, in ihrer sichtlichen Bewunderung zu sonnen, war ihm offenbar ein wenig unbehaglich zumute – eine unerwartete Bescheidenheit, die seinen Charme nur noch steigerte.

Gebannt von Augen, die tief in ihre Seele zu blicken schienen, unterdrückte sie nur mit Mühe einen Seufzer.

„Danke für die Komplimente, auch wenn ich sie nicht verdiene“, sagte er nach einem Augenblick, als wäre ihm erst jetzt klar geworden, dass sie einander einige Minuten lang nur in die Augen geschaut hatten. „Und vergeben Sie mir, dass ich abfällig über George sprach. Dem Artikel zufolge, den ich kürzlich in der Morning Post las, muss ich Ihnen anscheinend Glück wünschen.“

„Mir Glück wünschen …“, wiederholte sie. Als ihr dämmerte, was er meinte, fühlte sie sich kurz irritiert. „Gewiss nicht! Als Angehöriger der politischen Partei meines Vaters sehe ich Mr. Hadley ziemlich oft, aber zwischen uns gibt es kein Einverständnis. Zeitungen!“ Ungeduldig schüttelte den Kopf. „Die Klatschspalten verkuppeln mich permanent, seit ich die Trauerzeit hinter mir habe.“

„Also sind Sie nicht geneigt, meinem Halbbruder Ihre Hand zu gewähren?“ Auf ihr erneutes Kopfschütteln hin lächelte er abermals – dieses strahlende Lächeln, das in ihrem Magen ein sachtes Flattern erzeugte. „Ich muss zugeben, das höre ich gern.“

Kein weibliches Wesen, dem er dieses Lächeln schenkte, würde seinem Halbbruder auch nur einen Blick gönnen. Sie war wie geblendet. Ohne nachzudenken, sagte sie: „George Hadley sucht keine Gattin, sondern einen Spiegel seiner Herrlichkeit, und ich eigne mich nicht als Spiegel.“

Erst als ihr diese ehrlichen, doch erschreckend indiskreten Worte über die Lippen gekommen waren, erkannte sie, wie sehr Giles Hadley sie aus der Balance gebracht hatte. Sie äußerte sich sonst nur ganz selten unschmeichelhaft über Bekannte und niemals gegenüber Fremden.

Vor Verdruss errötend fügte sie rasch hinzu: „Bitte verzeihen Sie mir. Das war nicht besonders nett, ich hätte es nicht sagen dürfen.“

„Auch wenn Sie wissen, dass es stimmt?“

„Das ist irrelevant“, gab sie hitzig zurück. „Üblicherweise bin ich nicht so kritisch. Oder zumindest spreche ich solche Kritik nicht aus“, verbesserte sie, was der Wahrheit näher kam.

„Dann ehrt mich Ihre Aufrichtigkeit umso mehr. Und ich bin erleichtert, muss ich sagen. Frauen finden George eigentlich charmant.“

„Wirklich?“ Sie versuchte, sich einer der für den Mann typischen Unterhaltungen zu erinnern. „Vielleicht Frauen, die er bezaubern möchte. In unseren Gesprächen scheint er den Blick stets mehr auf meinen Vater zu richten, als wäre ihm Papas Anerkennung wichtiger als meine.“ Sie lächelte schief. „Dabei komme ich mir immer wie die preisgekrönte Henne bei einer Geflügelschau vor, die er partout für seinen Hühnerhof ergattern will. Und auch das hätte ich nicht sagen sollen.“

Hadley lachte. „Dann ist er ein noch größerer Narr, als ich dachte – und auch ich hätte das nicht sagen sollen! Aber wir sind uns nicht grün, wie Sie vermutlich wissen.“

„Vom Hörensagen. Ich finde es immer traurig, wenn in der Familie Differenzen herrschen.“

Mehr als nur Differenzen – ein Skandal größeren Ausmaßes, wusste sie, wenn sie auch keine Details kannte. Daher überraschte es sie kaum, dass er kein aufklärendes Wort sagte.

Ehe sie ein weniger heikles Thema anschneiden konnte, stürzte der Assistent ihres Cousins in den Raum. „Lady Margaret, sind Sie unverletzt?“, rief Proctor. „Armsburn und ich haben Sie überall gesucht. Als wir von dem Getöse auf dem Platz hörten und wir Sie nirgends finden konnten …“ Er atmete schaudernd aus. „Ich wusste, wenn Ihnen etwas geschehen wäre, würde Michael mir den Kopf abreißen, weil ich Sie allein ließ! Bitte verzeihen Sie mir.“

„Da gibt es nichts zu verzeihen“, sagte sie. Außer dein Erscheinen hier, das zweifellos dem Intermezzo mit diesem faszinierenden Gentleman ein Ende setzen wird. „Mr. Hadley hat gut auf mich aufgepasst.“

Die zwei Herren wechselten Verneigungen. „Hadley, dann stehen wir sehr in Ihrer Schuld“, sagte Proctor.

„Es war mir ein Vergnügen“, entgegnete Hadley. „Ich würde Ihnen jedoch empfehlen, in Zukunft besser auf Ihre reizende Wahlhelferin achtzugeben. Wenn ich sie erneut allein umherwandernd fände, würde ich sie vielleicht behalten.“

Seine Worte und das betörende Lächeln, das er ihr dabei schenkte, ließen ihren Puls höher schlagen. Leere Galanterie, sagte sie sich, um Fassung bemüht.

In diesem Moment nahm Proctor sie beim Arm und zerrte sie fast von ihrem Stuhl. „Wenn Sie nun mit mir kommen möchten, Lady Margaret? Ihr Cousin sorgt sich sehr.“

„Natürlich möchte ich Michael keinen Kummer bereiten.“ Mit Bedauern wandte sie sich an ihren Retter: „Mr. Hadley, ich habe unsere Unterhaltung sehr genossen. Die wir hoffentlich demnächst einmal trotz unserer gegensätzlichen Ansichten fortführen können.“

„Das könnten Sie sich nicht glühender wünschen als ich! Guten Tag, Lady Margaret“, sagte Hadley und neigte sich über ihre Hand.

Als seine Finger sich um die ihren schlossen, stolperte ihr Herz ein wenig, und heiß schoss ihr das Blut durch die Adern. Einen kurzen Moment vergaß sie, ihm ihre Hand zu entziehen.

„Guten Tag, Mr. Hadley“, meinte sie schwach und verließ den Raum, sich intensiv bewusst, dass sein Blick auf ihr haftete.

Während sie gemeinsam mit Proctor das Gasthaus verließ, stellte sie fest, dass sie Giles Hadley wirklich gerne wiedersehen würde. Obwohl es ihr gleichzeitig nicht ratsam erschien. Sie wand sich innerlich, als sie an ihre unüberlegten Worte über seinen Halbbruder dachte. Einem Mann, der fesselnd genug war, um einen die Manieren vergessen zu lassen und ein Teil der Vernunft zu rauben, sollte man besser aus dem Wege gehen.

Doch, ach, wie er ihren Geist aufgewühlt und ihre Sinne erregt hatte!

„Sie waren hoffentlich nicht zu entgegenkommend zu Hadley“, sagte Proctor, nachdem er ihr in die Kutsche geholfen hatte.

„Seit wann bin ich ‚entgegenkommend‘ zu Männern, die ich kaum kenne, John?“, antwortet sie scharf.

Proctor hob abwehrend eine Hand. „Aber Michael – und Ihr Vater – vertrauen darauf, dass ich auf Sie aufpasse. Mir wäre lieb, wenn Sie Hadley auswichen. Er ist gefährlich.“

„Gefährlich? Inwiefern? Sicherlich glauben Sie doch nicht all den Unsinn über die ‚Höllenbrut‘. Mein Vater sagt, er bewundert ihn.“

„Sein eigener Halbbruder weigert sich, mit ihm zu verkehren, und sein Vater will nichts von ihm wissen. Seine Ansichten sind extrem, selbst für einen Radikalen. Er würde jeden Mann in England wählen lassen, vom höchsten Adelsherrn bis zum niedrigsten Londoner Lumpen. Ich hörte, er würde sogar das gesamte Oberhaus abschaffen wollen!“

„Gewiss, empörend!“, räumte sie ein, erschüttert, seine radikale Haltung bestätigt zu hören – falls stimmte, was Proctor da sagte. „Aber Papa ist immer für offenen Meinungsaustausch, selbst wenn die Parteien sich letztlich nicht einigen können. Ich zweifle doch sehr, dass schlicht mit ihm zu reden für mich riskant sein könnte.“

„Mag sein. Doch ein Mann mit so extremen politischen Ansichten hegt vielleicht auch radikale gesellschaftliche Vorstellungen – befürwortet freie Liebe und die Abschaffung der Ehe. Ich würde ihm keine Dame anvertrauen, ganz sicher nicht allein in einem Privatsalon.“

Glaubte Hadley an freie Liebe? Kein Wunder, dass er so verrucht wirkte. Die ungehörige Vorstellung legte einen Funken an ihre immer noch glimmenden Sinne. Ah, sie konnte sich wirklich vorstellen, frei mit ihm Umgang zu pflegen!

Sie schüttelte den Kopf, um sich die wollüstigen – und ganz nutzlosen – Gedanken aus dem Kopf zu schlagen. Für die Zukunft hatte sie nichts Erotischeres im Sinn, als Papas Dinners vorzustehen – und vielleicht einem Wähler eine Kusshand zuzuwerfen.

Sich wieder an Proctor wendend, spöttelte sie: „In einem gut besuchten Gasthof mit offener Tür zum Schankraum? Kaum ein geeigneter Ort, um jemanden zu Ungehörigem zu verleiten. Obwohl es mir nichts ausmachen würde, mit ihm über freie Liebe und die Abschaffung der Ehe zu diskutieren“, ergänzte sie, Proctors Mienenspiel beobachtend.

Bei seinem entsetzten Blick lachte sie. „Ruhig, John. Ich necke Sie nur! Aber es geschieht Ihnen nur recht, wenn Sie eine Frau meines Alters über ihr Betragen belehren. Wie verlief die Kampagne? Glaubt Michael, er wird sich gegen Reynolds durchsetzen?“

Die kleine Ermutigung genügte. Proctor stürzte sich in eine detaillierte Schilderung des Wahlkampfverlaufs.

Normalerweise hätte Margaret begeistert gelauscht. Heute jedoch wanderten ihre Gedanken immer wieder zu einem gewissen Herrn mit faszinierenden blauen Augen, dessen verführerisches Lächeln ihr das Gefühl gegeben hatte, eine begehrenswerte Frau zu sein – was sie seit dem Debakel mit Sir Francis nicht mehr empfunden hatte.

Die Erinnerung daran sollte jener rapide wachsenden Anziehungskraft Einhalt gebieten. Stirnrunzelnd rief sie sich die letzten blumigen Worte Hadleys ins Gedächtnis.

Natürlich war es bedeutungslose Galanterie gewesen. Was sonst? Sie kannten sich ja kaum! Und bei seinem guten Aussehen war er bestimmt in der Kunst der Schmeichelei geübt und konnte Frauen, die es besser wissen sollten, mühelos weismachen, dass er sie begehrenswerter fand, als es tatsächlich der Fall war.

Sie seufzte. Anscheinend lernte sie nur langsam.

Und doch … Dieser Funke, der zwischen ihnen aufflammte … das war keine Einbildung. Sie mochte wenig Erfahrung haben, doch sie konnte sich immer noch an die verzauberte Zeit erinnern, als die Liebe zu Robbie, dem Gefährten ihrer Kindheit, sich in mehr verwandelte, als sich die Freundschaft und Zuneigung mit Begehren mischte. Ach, die Faszination, Haut an Haut zu spüren, das Prickeln, wenn man sich der Leidenschaft ergab, die Ekstase des Miteinanderverschmelzens.

Wie sehr sie sich nach dem Verlorenen sehnte!

Nein, sie bildete sich ihre physische Reaktion nicht ein. Aber fand Hadley sie wahrhaftig begehrenswert? Darüber weiter nachzudenken, war ganz und gar sinnlos; denn eine Affäre wäre viel zu riskant.

Die Vernunft mahnte sie, einem so verführerischen Mann besser aus dem Wege zu gehen. Aber gewiss war das Leben doch gedacht, es zu erfahren, und nicht sich von Vorsicht und Angst leiten zu lassen. Die Freuden, die es einem bot, sollte man beim Schopf packen, ehe sie einem weggeschnappt wurden – auch das hatte Robbies Verlust sie gelehrt.

Sie war siebenundzwanzig, eine Witwe, die ihr Herz nicht aufs Spiel setzen wollte, indem sie erneut heiratete. Es mochten sich ihr nicht mehr viele Gelegenheiten bieten, in Versuchung zu geraten.

Abgesehen von seiner verführerischen Persönlichkeit war Hadley auch als Mensch faszinierend, mit Ansichten und Wertvorstellungen, über die sie gern mit ihm diskutieren würde. Nach den nicht sonderlich schmeichelnden Worten, die sein Halbbruder über ihn hatte fallen lassen, hatte sie erwartet, er sei so etwas wie ein Wilder, und tatsächlich umgab ihn etwas Ungezähmtes. Eine Aura von Zielstrebigkeit mit einer Spur Ungeduld, als könnte er nicht schnell genug Bedeutendes tun. Und mehr als nur eine Spur Zorn schwelte unter der Oberfläche, besonders wenn er seinen Halbbruder erwähnte.

Oder war es einfach nur die Leidenschaft, die anscheinend in ihm brodelte? Die Erinnerung daran löste eine Reaktion in ihr aus, und ihr wurde warm.

Ja, ich werde ihn noch öfter sehen, entschied sie. Er sprach regelmäßig im Unterhaus, sagte ihr Vater. Populär, wie er war, musste man nicht fragen, ob er ins nächste Parlament gewählt werden würde. Sie musste unbedingt einmal eine seiner Reden anhören.

Ehe sie jedoch mehr über seine politischen Ansichten erfuhr, sollte sie besser mehr über den Mann erfahren. Falls er wirklich gefährlich war, sollte sie besser vorher wissen, welches Risiko er bedeutete.

Aber wen sollte sie fragen? Papa, der Klatsch verabscheute, würde ihr über Hadleys Hintergrund bestimmt nur die bloßen Fakten erzählen.

Dann fiel ihr genau die Person ein, die mit Freuden jedes winzige Detail vor ihr ausbreiten würde. Sobald ich zurück in London bin, beschloss sie, werde ich Großtante Lilly besuchen.

Bequem in seinem Armsessel lehnend leerte Giles gemächlich seinen Krug Ale. Da hatte er also die berühmte Lady Margaret kennengelernt – und sie so geistreich gefunden, wie David sie geschildert hatte, und noch viel attraktiver.

Zugegeben, er hatte gehofft, sie zu treffen. Als er mit seinen Freunden die Wahlkampfbezirke durchgegangen war, hatte er sich für diesen entschieden, weil er wusste, dass ihr Vater diesen Bezirk fest in der Hand hatte – und es war bekannt, dass Lady Margaret ihn oft unterstützte. Nach dem Gespräch über ihre möglichen Heiratsabsichten und nach Davids Beschreibung von ihr war er neugierig auf die Frau geworden.

Als er sich ihrer Kutsche genähert hatte, war er sehr beeindruckt gewesen – ihr einnehmendes Lächeln, die Unbefangenheit, mit der sie sich der Menge präsentierte, ihre offensichtliche Freude am Wortgeplänkel mit den Leuten und deren begeisterte Reaktion auf ihr Auftreten …

Und dann war er ihrem Blick begegnet. Verwirrt schüttelte er den Kopf. Wie ein heißer Strom war eine seltsame Energie zwischen ihnen geflossen, die ihn buchstäblich gebannt hatte. Trotz des Gedränges und des allgemeinen Lärms ringsum hatte er das lächerliche Gefühl gehabt, dass allein sie beide in der Welt existierten.

Er erinnerte sich nicht, nähergetreten zu sein, doch plötzlich war er neben ihr gewesen, unfähig, nicht zu lächeln, unter dem kaum beherrschbaren Drang, sie zu berühren – obwohl doch nichts anderes möglich war, als ihr die Hand zu schütteln.

Auch konnte er sich kaum erinnern, was er während des Intermezzos im Gasthof zu ihr gesagt hatte, und konnte nur hoffen, es war kein kompletter Unsinn gewesen. Nur zwei wichtige Punkte hatte er behalten: Ihr Vater akzeptierte ihn, und sie würde George nicht heiraten.

Deswegen so erleichtert zu sein war nun wirklich übertrieben!

Er konnte sich nicht entsinnen, sich je einer Frau so unmittelbar und heftig verbunden gefühlt zu haben – und fand keine Erklärung dafür. Sie war keine Schönheit im üblichen Sinne. Ihr Haar war kastanienbraun, nicht goldblond, für eine Frau war sie überdurchschnittlich groß, ihr Gesicht eher länglich als oval, mit großem Mund und kecker, Sommersprossen gezierter Nase. Doch irgendetwas in diesen lebhaft grünen Augen war ihm direkt in die Lenden geschossen und hatte ihn zu ihr gezogen wie einen Durstigen zu einem klaren Quell.

Wenn er sich auch zu bitterlich des Schicksals seiner Mutter bewusst war, um ein Roué zu werden, war er doch nicht unerfahren und hatte seinen Teil an diskreten Liaisons genossen, stets auf Vorkehrungen bedacht, die Dame vor unerwünschten Auswirkungen zu schützen. Er war kein grüner Junge frisch von der Universität und anfällig dafür, von einer reizvollen Frau umgeworfen zu werden.

Kurz gesagt, er konnte sich einfach nicht erklären, was an Lady Margaret ihn so gründlich erschüttert hatte.

Er wusste aber, dass er sie wiedersehen wollte und würde, und sei es nur, um zu sehen, ob diese beispiellose Reaktion erneut auftreten würde. Oder ob bei näherer Bekanntschaft der Reiz, den sie auf ihn ausübte, nachließ.

Obwohl, überlegte er stirnrunzelnd, Lady Margaret eine Beziehung zu George nachdrücklich bestritten hatte, mussten die Zeitungen, als sie die Nachricht einer eventuellen Eheschließung streuten, irgendeine Ermunterung erfahren haben – möglicherweise von seinem Halbbruder selbst. In eine wichtige politische Familie einzuheiraten wäre genau das, was George für einen klugen Schritt in Hinblick auf seine ersehnte Karriere als führender Staatsmann halten würde.

Die preisgekrönte Henne, die er für seinen Hühnerhof ergattern will. Leise glucksend erinnerte Giles sich der Worte. Die Dame verdiente gewisslich Besseres als das.

Wenn die Bekanntschaft mit einer Frau, die George sich als die Seine ausgeguckt hatte, ihm – Giles – Probleme mit seinem Halbbruder einbrachte … na, wenn schon.

2. KAPITEL

Eine Woche später führte der Butler Lady Margaret in den vorderen Salon des Stadthauses ihrer Großtante am Grosvenor Square. „Der Tee wird gleich serviert“, verkündete die Dowager Countess of Sayleford nach dem obligatorischen Wangenkuss. „Mach es dir bequem und erzähl mir alles über den Wahlkampf in Chellingham.“

Wie ihre Großtante recht gut wusste, waren die Wahlen Margarets bevorzugtes Thema, und obwohl sie praktisch vor Neugier wegen Giles Hadley platzte, wollte sie sich nicht den Fragen aussetzen – auf die sie selbst keine Antwort hatte – die Tante Lilly bestimmt auf sie abfeuern würde, wenn sie nicht sofort auf die Politik zu sprechen kam, sondern sich nach einem Gentleman erkundigte.

Daher berichtete sie pflichtgetreu, was sich bei dem Auftritt in Chellingham zugetragen hatte.

„Ich bin froh, dass Armsburn den Sitz halten konnte“, meinte ihre Tante. „Meine Quellen berichteten mir, dass eins der ersten Ziele von Greys Parlament sein wird, Bezirke wie Chellingham, die von den örtlichen Landbesitzern kontrolliert werden, abzuschaffen.“

„Ja, und leider ist es sicher, dass ein Gesetz dieses Inhalts verabschiedet werden wird. Überall werden flammende Reden gehalten! Selbst im sonst so ruhigen Chellingham ging es äußerst turbulent zu.“ Lebhaft schilderte sie, was ihr widerfahren war und endete: „Aber keine Angst, ich wurde schnell gerettet – von einem höchst charmanten Herrn.“

Verärgert fragte ihre Großtante: „Wo waren denn Michael und Proctor? Ich hätte erwartet, dass im Falle eines Falles sie dir zu Hilfe kommen.“

„Leider waren sie gerade bei einer anderen Kundgebung, aber es kam ja niemand zu Schaden. Sag es nur nicht Papa.“

Eine ganze Weile beäugte ihre Großtante sie, ehe sie schließlich nickte. „Also gut, wenn du meinst. Nun, und wer war dieser ‚charmante Herr‘, der dich beschützte, als deine Verwandten ihre Pflicht versäumten?“

„Ebenfalls Parlamentsmitglied – tatsächlich sogar von der Opposition.“ Sie versuchte, einen ganz neutralen Ton beizubehalten. „Mr. Giles Hadley.“

Tante Lilly riss die Augen auf. „Giles Hadley – du meinst Viscount Lyndlington?“

Als sie nickte, fuhr die Tante fort: „Du meine Güte! Charmant, sagst du? Wenn man ein paar der verbisseneren Torys hört, ist er der Teufel in Person.“

„Sein Halbbruder lässt ihn häufig in diesem Licht erscheinen. Aber Papa bewundert ihn, und auf seine Meinung gebe ich viel mehr. Aber es macht mich tatsächlich neugierig – dass Papas Meinung so sehr von der des Bruders abweicht – und ich frage mich durchaus, was passiert ist, dass die Familie derart entzweit ist. Papa weiß es sicher, aber ich denke, er würde mir nicht viel erzählen.“ Sie lächelte spitzbübisch. „Wohingegen ich wusste, dass du mir alles erzählen würdest.“

„Was hältst du von ihm?“, kam die unerwartete Entgegnung.

Irritiert stellte sie fest, dass sie errötete. „Das ist wohl offensichtlich. Ich finde ihn attraktiv.“

Ihre Großtante hob die Brauen, ihre Augen blitzten. „Da ich mich nicht erinnern kann, dass du dich je nach einem Herrn erkundigt hättest, dachte ich mir das schon. Ausgezeichnet! Du hast Robbie vor sechs Jahren verloren. Mehr als lange genug her, um endlich vorwärtszuschauen.“

Autor

Julia Justiss
<p>Julia Justiss wuchs in der Nähe der in der Kolonialzeit gegründeten Stadt Annapolis im US-Bundesstaat Maryland auf. Das geschichtliche Flair und die Nähe des Meeres waren verantwortlich für zwei ihrer lebenslangen Leidenschaften: Seeleute und Geschichte! Bereits im Alter von zwölf Jahren zeigte sie interessierten Touristen das historische Annapolis, das für...
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