Der Zauber dieser einen Nacht

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Lust auf den ersten Blick: Erst flirtet Ivy mit dem breitschultrigen Angus auf der Strandhochzeit ihrer Schwester, dann küssen sie sich heiß in einer lauschigen Bucht und lieben sich voller Leidenschaft … Dabei weiß Ivy genau, dass sie, die reiche Erbin, und Angus, der sich alles in seinem Leben hart erkämpft hat, aus unterschiedlichen Welten stammen. Ganz schnell muss sie sich ihn aus dem Kopf schlagen, bevor es kompliziert wird. Aber als sie Angus fünf Wochen später wiedersieht, findet Ivy ihn immer noch so sexy! Komplikationen hin - Leidenschaft her …


  • Erscheinungstag 15.03.2016
  • Bandnummer 0006
  • ISBN / Artikelnummer 9783733706616
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Genau bei Schritt elf in Richtung des Altars hatte es angefangen.

Ivy wusste es, weil sie gewissenhaft mitzählte.

Rechter Fuß vor, linker Fuß folgt – eins. Rechter Fuß vor, linker Fuß folgt – zwei.

Im Allgemeinen begann sie immer dann zu zählen, wenn ihr etwas zu hitziges Temperament mit ihr durchzugehen drohte. Oder bei den seltenen Anlässen, bei denen sie nervös war – auch wenn sie sich nicht daran erinnern konnte, wann das zuletzt vorgekommen war. Und heute traf beides nicht zu. Die Braut, ihre Schwester April, war diejenige, deren Herz bis zum Hals schlagen sollte. Denn der Gedanke an Heirat und Familie konnte wirklich Angst machen. Zumindest ging es Ivy so. Deshalb hatte sie derartige Pläne auch aus ihrem Leben verbannt. Zwar traf sie sich gelegentlich mit dem einen oder anderen Verehrer, doch es hatte sich nie irgendetwas Ernstes daraus entwickelt. Ivys Fokus war auf ihre Arbeit und das Familienunternehmen gerichtet. Alles andere war unwichtig. Und da Beziehungen erfahrungsgemäß die ärgerliche Angewohnheit hatten, jeden Bereich des Lebens zu beeinflussen, konnte Ivy in einer Zeit, in der sie kurz vor dem Höhepunkt ihrer beruflichen Karriere stand, einfach keinen Partner gebrauchen.

Doch was stimmt heute nicht mit mir? Erleichtert darüber, dass sich alle Hochzeitsgäste allein auf das Brautpaar konzentrierten, war sie die ersten Meter in Richtung des Altars gelaufen. Plötzlich aber – exakt mit ihrem elftem Schritt – hatte sich etwas verändert.

Jemand schenkte ihr, Ivy, Beachtung. Sehr viel Beachtung! Jemand sah nur sie an, auf eine Art, die Ivy niemals für möglich gehalten hatte. Es war ein Blick, der bis auf den Grund ihrer Seele zu dringen schien.

So seltsam und unerwartet, dass Ivy sogar vergaß, weiterzuzählen.

Zum Glück hatte sie nicht vergessen weiterzulaufen. Und sie vergaß auch nicht, ihren Blick auf das Ende ihres Weges zu richten: den hölzernen Altar, der extra für Aprils Hochzeit am wunderschönen Sandstrand von Nusa Dua errichtet worden war. Direkt am Ufer des azurblauen Indischen Ozeans. Denn heute war Ivy doch die Hauptbrautjungfer ihrer Schwester, und sie erledigte jede Aufgabe, die man ihr übertrug, äußerst gewissenhaft. Egal, ob es die Pflichten einer Brautjungfer waren oder die einer Geschäftsführerin eines großen Unternehmens. Arbeit war Arbeit, und Ivy hatte immer nach dem Grundsatz gelebt, bei allem, was sie tat, ihr Bestes zu geben.

So begann sie von Neuem zu zählen und sich dabei auf ihre Aufgabe zu konzentrieren, so gut sie konnte.

Doch sie spürte diesen seltsamen Blick noch immer, während ihre Schwester und Evan das Hochzeitsgelübde ablegten. Erst nachdem April und ihr frisch angetrauter Ehemann sich am Altar geküsst hatten und die Glückwünsche von Familien und Freunden entgegennahmen, wagte Ivy, sich unter den Gästen umzusehen. Um herauszufinden, was um alles in der Welt hier vor sich ging.

Doch es war zu spät. Sie spürte den unglaublich eindringlichen Blick nicht mehr.

Viel später, nachdem sie über eine Stunde für den Fotografen gelächelt hatte, stand Ivy mit ihren beiden Schwestern und mehreren Brautjungfern hinter dem riesigen Festzelt, in dem der Hochzeitsempfang stattfand.

Das Luxushotel, das ihre Mutter für den festlichen Anlass gebucht hatte, verfügte über drei Haupthäuser mit je vier Stockwerken, die das Festzelt wie eine Schlossmauer umgaben. Die geöffnete Vorderseite des Zeltes jedoch ermöglichte einen endlosen Ausblick auf den leuchtendblauen Ozean.

Es war früh am Abend, und die Sonne würde bald untergehen. Ein willkommener Windhauch streifte Ivys nackte Schultern und drückte den seidigen Stoff ihres bodenlangen Kleides gegen ihre Beine. Glücklicherweise ließ Balis berüchtigte Luftfeuchtigkeit bereits etwas nach. Dennoch war eine blonde Stylistin gerade schwer damit beschäftigt, das Make-up und die Frisuren von Ivy und ihren Schwestern in Ordnung zu bringen.

„Ich kann doch nicht zulassen, dass Sie mit verschmierter Wimperntusche auf der Societyhochzeit des Jahres herumlaufen!“, verkündete sie lachend.

Ivy nickte und unterdrückte den Drang, mit den Augen zu rollen. Sie hätte sich so gern irgendwo hingesetzt. Denn die unglaublich teuren, maßgeschneiderten High Heels, die sie trug, malträtierten mittlerweile nicht nur ihre Füße. Alles tat ihr weh.

Der Hochzeitsplaner überprüfte den Zeitablauf, besprach mit April ein paar Änderungsvorschläge und rief schließlich allen Brautjungfern ihre Anweisungen zu. Auch an Ivy richtete er das Wort, doch sie brauchte keine Erinnerung. Sie wusste genau, was sie zu tun hatte. Sobald ihr Make-up aufgefrischt war, lief sie zu Sean, Evans bestem Freund und Trauzeugen, und hakte sich bei ihm ein.

„Gehen wir hinein?“, fragte er und trank einen Schluck Bier aus seinem Glas. Es war ganz sicher nicht das Erste an diesem Tag. Sean nahm seine Trauzeugenpflichten eindeutig nicht so ernst, wie Ivy es gern gesehen hätte.

Sie hörte die Musik, die April für den Einzug ins Festzelt ausgewählt hatte, nahm Sean das Bier ab und drückte es dem Hochzeitsplaner in die Hand.

„Folgen wir den beiden jetzt?“, wollte Sean wissen, als er sah, wie eine der anderen Brautjungfern mit ihrem Begleiter im Zelt verschwand.

„Du warst doch bei der Probe dabei!“ Ivy äußerte den Vorwurf mit einem gezwungenen Lächeln, während sie Sean hinter sich herzog.

Dann betrat sie das Zelt, in dem es nur eine einzige Wand gab. An den anderen Seiten hingen lediglich luftige weiße Vorhänge in den Ecken. Die wohl zweihundert Hochzeitsgäste saßen an weiß drapierten Tischen mit elfenbeinfarbenen Blumengestecken und Dutzenden funkelnder Kerzenleuchter. Und hinter ihnen erstreckte sich, wie ein Postkartenmotiv, der Ozean. Natürlich musste die Hochzeit einer Molyneux-Tochter über alle Maßen spektakulär sein. Doch sogar Ivy war beeindruckt. Alles war makellos – selbst das Timing. Denn gerade als April und Evan das Festzelt betraten, begann die Sonne über dem mittlerweile dunkelblau schimmernden Meer unterzugehen. Perfekt.

Gerade war Ivy in der Mitte des Zeltes angekommen, als sie merkte, dass sie erneut ihre Schritte zählte.

Zweiunddreißig. Dreiunddreißig. Vierunddreißig …

Diesmal verstand sie es noch viel weniger. Vielleicht hatte sie sich vor dem Altar etwas seltsam gefühlt, weil sie unwillkürlich über Liebe und Beziehungen nachdenken musste. Außerdem hatten die High Heels gerade in diesem Moment begonnen, ihre Füße zu quälen. Also war Schritte zählen noch irgendwie gerechtfertigt gewesen. Doch jetzt? Sie spürte ihre Füße ja gar nicht mehr. Es gab keinen Grund zu zählen. Außer …

Und in diesem Moment musste Ivy es sich eingestehen. Ich bin nervös. So nervös, dass ihr Magen drohte, zu rebellieren.

Warum?

Sie war es doch gewohnt, dass Menschen sie ansahen. Wie oft hatte sie für Molyneux-Mining große Besprechungen geleitet und Interviews gegeben? Ivy hatte so viele Jahre Medientraining hinter sich. War live im Fernsehen aufgetreten und unzählige Male von Journalisten belagert worden. Sie hatte – ob sie es wollte oder nicht – ihr Leben lang im Interesse der Öffentlichkeit gestanden.

Und ja, so war es verständlich gewesen, dass sie als Neunzehnjährige stets ihre Schritte zählte. Als Fünfundzwanzigjährige ab und zu. Jetzt, mit einunddreißig und als Managerin des Bergbauunternehmens, hatte sie einfach kein Recht dazu.

Sie war eine selbstbewusste, ausgeglichene – manche sagten sogar einflussreiche – Frau. Schritte zählen passte so gar nicht in dieses Bild.

Siebenundfünfzig. Achtundfünfzig. Neunund…

„Was habe ich falsch gemacht?“, fragte Sean, der Ivy am Hochzeitstisch den Stuhl zurechtrückte.

Ivy blinzelte. „Wie bitte?“

„Du hast mir gerade gesagt, ich soll damit aufhören.“ Er musterte sie verwirrt. „Und das Ganze in ziemlich herrischem Ton!“

„Das musst du dir eingebildet haben“, entgegnete Ivy schnell. Dann nahm sie auf ihrem Stuhl Platz und rückte, obwohl es überhaupt nicht notwendig war, ihr Glas ein wenig zurecht, während Sean sich neben sie setzte.

Während er sie noch immer verwirrt ansah, richtete Ivy ihre Aufmerksamkeit auf April, die am Arm ihres Mannes mit leuchtenden Augen das Festzelt betrat.

Ihre kleine Schwester hatte nie schöner ausgesehen: Mit ihren aufgesteckten blonden Haaren und in ihrem weißen Kleid mit der endlosen Schleppe wirkte sie beinahe wie eine Prinzessin.

Ivy lächelte und vergaß für einen Moment das Rätsel um ihre unangebrachte Nervosität. Sie freute sich so sehr für ihre Schwester. Heute wurde Aprils Traum wahr.

Langsam lehnte Ivy sich auf ihrem Stuhl zurück und sah sich um. Niemand würde bemerken, wenn sie unter dem Tisch diese schrecklichen Schuhe auszog.

Und gerade als sie das Gefühl hatte, mit den Schuhen zugleich etwas von ihrer Anspannung abgestreift zu haben, spürte sie es erneut.

Diesen seltsamen Blick. Diese Beachtung, die eine Gänsehaut auf ihrem Körper auslöste und Ivy am ganzen Körper zittern ließ.

Das war zu viel.

Sie sah sich noch einmal um. Langsam und konzentriert. Nichts würde sie davon abhalten, die Person zu finden, die sie derart durcheinanderbrachte.

Und da war … ER.

Auf der entgegengesetzten Seite der Tanzfläche. Seinem kurz geschorenen Haar und dem extrem durchtrainierten Körper nach zu schließen, musste dieser Mann in der Armee sein – und so wusste Ivy sofort, wer er war.

Angus. Es musste Angus sein … Ivy erinnerte sich daran, dass ihr der unbekannte Name auf der Gästeliste aufgefallen war. Auch April wusste nicht besonders viel über ihn. Nur dass er ein alter Schulfreund von Evan war und als Berufssoldat sein Geld verdiente. „Soviel ich weiß, ist er bei einer Spezialeinheit“, hatte April beinahe ehrfürchtig gesagt.

Da Ivy jeden Tag der letzten Wochen in ihre Brautjungfernpflichten und noch viel mehr in ihre beruflichen Anforderungen eingebunden war, hatte sie keinen weiteren Gedanken an den mysteriösen Soldaten verschwendet.

Doch jetzt gerade fesselte dieser Mann ihre gesamte Aufmerksamkeit. Und als sie seinem Blick schließlich begegnete, die unglaubliche Intensität nun wirklich sehen konnte, war es beinahe, als beherrsche Angus sie. Ihren Körper, der noch immer zitterte. Ihre Haut, die brannte wie Feuer. Ihren Mund, der wie ausgetrocknet war.

Und auf die Distanz konnte sie nicht einmal die Farbe seiner Augen erkennen.

Oh, Gott. Was passiert, wenn er mir nah genug kommt, dass ich herausfinden kann, ob sie blau, grün oder grau sind?

Ihrer gegenwärtigen Reaktion nach zu urteilen, würde sie wahrscheinlich in Flammen aufgehen.

Das wäre nicht gut.

Was war bloß los mit ihr? Er war doch nur ein Mann. Lediglich ein Gast auf Aprils Hochzeit.

Eine Ablenkung, die Ivy nicht brauchte.

Sie war heute die erste Brautjungfer. Und sie war Managerin von Molyneux-Mining. Also durfte sie nicht wie eine vollkommene Idiotin hier herumsitzen und über die Tanzfläche hinweg einen Gast auf der Hochzeit ihrer Schwester anstarren.

Doch genau das tat sie.

Und gerade als sie sich noch einmal sagte, dass sie einfach irgendwo anders hinschauen müsste … irgendwo hin … nur nicht in Angus’ Augen … passierte es.

Er blinzelte.

Angus Barlow wusste immer, was er tat. Er war ruhig, methodisch und strukturiert. Gelassen. Selten konnte ihn etwas ablenken oder aus dem Konzept bringen.

Ihm war auch klar, was er tat, als er Ivy Molyneux bei ihrem Gang zum Altar nachgesehen hatte. Er hatte einfach den Anblick einer umwerfenden Frau genossen.

Ihr langes schwarzes Haar war zu einem Knoten aufgesteckt, sodass Angus ihren Hals und ihre bloßen Schultern bewundern konnte. Ihre leicht gebräunte Haut hatte im Sonnenlicht – ebenso wie in diesem Moment im kerzenerleuchteten Zelt – wie Gold geschimmert.

Ivy hatte ein interessantes Profil. Eine schmale Nase und ein starkes Kinn.

Die Meeresbrise hatte fabelhafte Dinge mit dem violetten Kleid angestellt, das Ivy trug. Der Stoff hatte ihre beindruckenden Kurven umschmeichelt. Wenn er also der Hauptbrautjungfer einen Moment zu lange nachgesehen hatte, anstatt seine Aufmerksamkeit auf die Ankunft des Hochzeitspaares zu richten, konnte niemand das Angus zum Vorwurf machen.

Doch auch jetzt, Stunden später, konnte er seinen Blick nicht von Ivys Körper lösen.

Angus nahm an, dass viele der Anwesenden Ivy nicht unbedingt für die schönste Frau in diesem Festzelt hielten. In der Tat hatte er in Gesprächen mit anderen Hochzeitsgästen herausgehört, dass man Ivy bemitleidete, weil sie im Gegensatz zu ihren beiden Schwestern nicht das Filmstaraussehen ihres Vaters geerbt hatte. Angus konnte sich über derartige Aussagen nur wundern. Es stimmte wohl, dass Ivy sehr nach ihrer Mutter kam, sowohl was das Äußere betraf als auch – wie ebenfalls aus den Gesprächen der anderen Anwesenden hervorging – in Bezug auf ihre Persönlichkeit als Karrierefrau. Doch gerade das Ungewöhnliche an Ivy gefiel ihm: die hohen Wangenknochen, die eine besondere Entschlossenheit ausdrückten, dazu die dunklen Brauen über ihren klugen Augen.

Und dann ihre unglaublich vollen Lippen. Sie waren Angus nie zuvor aufgefallen, obwohl er Ivy schon oft in Zeitschriften oder Fernsehinterviews gesehen hatte. Im wahren Leben jedoch war es ihm unmöglich, die eigenartige Schönheit ihres Gesichts nicht wahrzunehmen.

Im wahren Leben? Angus fühlte ein schmerzhaftes Stechen in seinem bandagierten rechten Handgelenk. Fast wie eine Erinnerung an das wirklich wahre Leben. Denn das beinhaltete für Angus keine Hochzeiten, auf denen er hübsche Milliardärinnen bewundern konnte. Es beinhaltete überhaupt keine Hochzeiten.

Normalerweise wäre Angus gar nicht hier gewesen. Er hatte die ursprüngliche Einladung abgelehnt, nur um sich kurz darauf bei einer Wehrübung in Darwin die Hand zu brechen.

Und so befand er sich – statt mit seiner Einheit in Afghanistan – auf Evans Hochzeit. Umgeben von Menschen, die Teil einer Welt waren, die Angus vor siebzehn Jahren abrupt verlassen hatte und die er offen gestanden keinen einzigen Tag vermisste.

Das hier war nicht sein Ding: eine überschwängliche, protzige Abendveranstaltung, auf der sich die Mitglieder der High Society die Ehre gaben. Im Allgemeinen waren sie ja keine schlechten Menschen. Nur einfach nicht seine bevorzugte Art von Gesellschaft.

Ebenso wenig war Ivy Molyneux – trotz ihres faszinierenden Aussehens – seine bevorzugte Art von Frau. Eine wohlbehütet aufgewachsene Milliardenerbin, die in Kürze die Leitung des Familienunternehmens übernehmen würde, konnte doch gegenüber dem Rest dieser Welt nur eine absolute Ignorantin sein. Oder täuschte er sich?

Denn von allen Anwesenden hier war Ivy die Einzige gewesen, die ihm direkt in die Augen geblickt hatte. Inmitten von Prunk, Glitzer und dem oberflächlichen schönen Schein hatte dieser Moment so … aufrichtig gewirkt.

Damit hatte Angus nicht gerechnet.

So war sein Blick auf Ivy unvermutet mehr geworden als die simple Wertschätzung einer schönen Frau.

Und das war der Grund, warum er geblinzelt hatte.

Es hatte sie beträchtliche Mühe gekostet, doch irgendwie war es Ivy während ihrer Brautjungfernrede gelungen, einen weiteren Blick in Angus’ Augen zu vermeiden. Dank ihrer vielen Jahre im Management von Molyneux-Mining hatte sie sich daran gewöhnt, vor Publikum zu reden. Sie wusste, was zu tun war, damit jeder der Anwesenden das Gefühl hatte, dass Ivy mit ihm allein sprach. Zwar musste sie während ihrer Rede den gesamten Gästen an Angus’ Tisch dieses Gefühl vorenthalten … doch daran konnte sie leider nichts ändern.

Nicht, dass es Ivy groß geholfen hätte, Angus nicht anzusehen. Denn er hatte sie definitiv weiterhin gemustert.

Ivy wusste es, weil sie mit jeder Faser ihres Körpers seine konzentrierte Aufmerksamkeit spürte. Nur mit äußerster Willenskraft hatte Ivy das Rasen ihres Herzens und das Zittern ihrer Hände unter Kontrolle halten können. Niemand schien zu merken, dass ihre Nerven zum Zerreißen gespannt waren und ihr Magen Purzelbäume schlug. Dass ihre Stimme ein wenig atemloser, heiserer und verführerischer klang. Ein wenig mitleiderregend.

April hatte sie nach der Rede fest in den Arm genommen und sich für die wunderbaren Worte bedankt. Was für eine Erleichterung! Denn alles, was heute zählte, war, dass der Abend zur Zufriedenheit des Brautpaares verlief.

Sogar ihre Mutter, die am Kopfende des Elterntisches und damit in unmittelbarer Nähe zur Hochzeitstorte saß, hatte Ivy subtil zugenickt. Ivy hatte bereits vor langer Zeit gelernt, dies als überschwänglichste Gefühlsbekundung von Irene Molyneux zu akzeptieren.

Nachdem ihre formellen Pflichten erledigt waren, hätte sich Ivy endlich entspannen und den restlichen Hochzeitsreden zuhören können. Doch natürlich gelang ihr das nicht.

Als der Nachtisch serviert wurde und Evan eine – der Reaktion der Gäste nach zu urteilen – höchst amüsante Dankesrede gehalten hatte, von der Ivy jedes einzelne Wort entgangen war, wollte sie sich aus Frust am liebsten irgendwo vergraben.

Und als der Tanz eröffnet wurde, ergriff sie einfach die Flucht.

Sie nahm ihre Schuhe bei den Riemchen und trat barfuß auf die kühle Rasenfläche vor dem Festzelt hinaus. Ivy musste ein ganzes Stück laufen, bevor das Meeresrauschen den Lärm der Musik und das Stimmengewirr der Hochzeitsgäste übertönte.

Der Hotelgarten erstreckte sich parallel zum Strand. Lichter säumten die schmalen Wege, die zu den Bungalows und Villen führten. Doch an diesem Abend, wo jeder Hotelbewohner zugleich ein Hochzeitsgast war, blieben sowohl der Garten als auch der Strand menschenleer.

Gerade diese Leere brauchte Ivy jetzt. Sie war erst gestern aus London hierher geflogen. Oder war es vorgestern?

Sie dachte angestrengt nach. Jedenfalls irgendwann vor Kurzem. Der Jetlag hatte sie noch immer fest im Griff.

Und nach einer Woche voll intensiver Geschäftsbesprechungen, einem sechsunddreißigstündigen Flug, dem Wahnsinn, den eine riesige Hochzeit so mit sich brachte – und ihrer seltsamen Begegnung mit diesem Mann namens Angus war es sicher ganz normal, dass sie ein wenig durcheinander war.

Sie nahm einen langen, beruhigenden Atemzug und wartete darauf, dass ihr Körper sich endlich entspannte.

Was nicht geschah.

„Ivy.“

Sie drehte sich um – und erblickte den Grund für ihre nicht enden wollende Anspannung. Angus trug ein cremefarbenes Leinenhemd und eine dunkle maßgeschneiderte Leinenhose. Ein eher ungewöhnliches Outfit, wenn man es mit denen der anderen männlichen Hochzeitsgäste verglich. Anders als die meisten Männer, die ein paar Hundert Meter entfernt im Festzelt feierten, schaffte er es jedoch, selbst in diesem legeren Aufzug wie ein Hochzeitsgast auszusehen – nicht wie der Besucher einer Grillparty. Vielleicht war es seine Körperhaltung? Selbst im Sand stand er absolut gerade, was ihm eine unglaubliche Eleganz verlieh. Oder war es die Tatsache, dass seine Kleidung wie angegossen an seinem durchtrainierten Körper saß?

Was auch immer es war, Ivy vermutete stark, dass dieser Mann sogar umwerfend aussah, wenn er im Jogginganzug seinen Müll hinausbrachte.

„Sie sind mir gefolgt“, sagte sie.

Er zuckte mit den Schultern. „Sie wussten, dass ich das tun würde.“

Ivy blieb der Mund offen stehen. „Das wusste ich nicht!“

Während sein Hemd im schwachen Schein der Gartenbeleuchtung deutlich sichtbar war, schien der gesamte Rest von Angus in Dunkelheit gehüllt. Sein Gesicht. Seine Augen. Und dennoch wusste Ivy, dass er ihr einen ungläubigen Blick zuwarf.

„Sehen Sie …“, erklärte sie in sachlichem Geschäftston, „… ich habe wirklich keine Zeit für so etwas.“

„So etwas?“

Er hatte wirklich eine angenehme Stimme. Tief und ruhig.

Nicht, dass das irgendeinen Unterschied machte.

„So etwas“, sagte Ivy noch einmal und wedelte mit beiden Händen zwischen sich selbst und Angus hin und her.

„Können Sie dieses ‚etwas‘ ein wenig näher erklären?“

Ivy seufzte frustriert. „Ich habe keine Zeit für das, was auch immer zwei Fremde tun, wenn sie sich auf einer Hochzeit begegnen.“

Das hatte sie wirklich nicht. Sie sollte sich eher ihren E-Mails widmen, die sie seit Stunden nicht abgerufen hatte.

Angus lachte. „Ich bitte Sie, Ivy. Sie erscheinen mir wie eine kluge Frau, die bessere Erklärungen als so etwas‘ und ‚was auch immer‘ geben kann.“

„Das könnte ich“, erwiderte sie. „Doch es würde noch mehr von meiner wertvollen Zeit in Anspruch nehmen. Also …“

Sie war einen halben Schritt von ihm entfernt, als sie Angus’ Hand auf ihrem Unterarm spürte. Er trug eine Bandage, die seine Handfläche und die Hälfte seines Unterarms bedeckte. Ivy spürte das raue Verbandsmaterial an ihrer Haut.

„Jeder hat doch Zeit, um …“, sein Griff lockerte sich, und er ließ seine Finger ganz leicht über Ivys Handgelenk gleiten, „… sich nur ein wenig zu unterhalten.“

Ivy ignorierte das verräterische Zittern ihres Körpers und verteidigte sich. „Ich will mich nicht nur ein wenig mit Ihnen unterhalten.“

Keine gute Antwort.

Obwohl sie in der Dunkelheit kaum sein Gesicht sehen konnte, wusste sie, dass Angus lächelte.

„Nein“, sagte er. „Und genau das ist Ihr Problem, stimmt’s?“

Ivy schüttelte den Kopf, in der vagen Hoffnung, dass sie das zur Vernunft bringen würde. Sie war nur müde. Abgespannt. Sie sollte besser für eine Weile auf ihr Hotelzimmer gehen. Und natürlich würde sie dabei ihre Schritte zählen.

„Mein Problem ist, dass es gar kein Problem gibt“, erklärte sie und zuckte im selben Moment innerlich zusammen. Wann hatte sie das letzte Mal so einen vollkommenen Blödsinn geredet?

Sie versuchte es noch einmal. „Sie sind nicht mein Typ, Angus.“

Sein erneutes Lächeln verriet ihr, dass sie einen erneuten Fehler begangen hatte. Denn jetzt wusste Mister Neunmalklug, dass sie seinen Namen kannte.

Doch da er in diesem Moment extrem nah vor ihr stand, sollte Ivy wohl erleichtert sein, dass sie überhaupt noch sprechen konnte. Was machte dieser Mann nur mit ihr?

„Das glaube ich Ihnen nicht“, sagte er leise.

Und dann überraschte er Ivy, indem er sich einfach zu ihrer Rechten in den Sand setzte. Er lehnte sich auf seine Ellenbogen zurück und kreuzte seine Beine an den Knöcheln, bevor er zu Ivy aufblickte. „Nehmen Sie Platz.“

Es wäre das Vernünftigste, in das Festzelt zurückzukehren. Doch da die Ratio Ivy an diesem Abend im Stich zu lassen schien, setzte sie sich tatsächlich neben Angus in den Sand. Allerdings nicht ganz so entspannt wie er. Sie saß vollkommen aufrecht, drückte mit den Händen ihren langen Rock an ihre Knie und starrte beharrlich auf den schwarzen Ozean hinaus.

Eine kleine Stimme in ihrem Kopf flüsterte, dass sie wirklich zum Festzelt zurückgehen musste. Was war, wenn April sie brauchte? Zudem war es wirklich Stunden her, dass sie ihre E-Mails überprüft hatte. Also musste sie auch unbedingt noch in ihrer Hotelsuite vorbeischauen.

Gerade wollte sie aufstehen, als sie Angus’ Hand noch einmal auf ihrem Arm spürte. Es war beinahe, als ob ein Stromschlag durch ihren Körper schoss. Ivy zuckte zusammen.

„Hey“, sagte er lächelnd. „Wir haben uns noch immer nicht unterhalten.“

„Aber, meine E-Mails …“

Angus lachte laut auf.

„E-Mails? Sie sind an einem verlassenen tropischen Strand mit einem Typen, der Sie über alle Maßen attraktiv findet, und Sie denken an Ihre E-Mails? Sie brechen mir das Herz.“

Trotz ihrer Anspannung musste auch Ivy lächeln. Dann zog sie erneut ihren Rock über ihre Knie, was – unglücklicherweise – ihren Arm aus Angus’ Berührung löste.

„Sie finden mich über alle Maßen attraktiv?“, fragte sie schließlich.

„Wenn ich Ihnen gestehe, dass ich Sie für die schönste Frau auf dieser Hochzeit halte – hören Sie dann auf, über Ihre Arbeit zu reden?“

Ivy lächelte noch einmal. „Na gut.“

Für einen langen Moment blickte sie noch auf den Ozean. Ihre Augen hatten sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt, und sie konnte deutlich erkennen, wie sich die Wellen am Strand brachen. Und ebenso brach ihr Widerstand. Ivy merkte, wie sie sich langsam entspannte. Ihre Schultern, ihre Muskeln, ihre Gedanken.

Sie konnte nicht sagen, warum es plötzlich so angenehm war, neben diesem Mann zu sitzen. Vielleicht, weil ihre Anspannung anderen Gefühlen wich, die stärker und umfassender waren, nach denen sie sich sehnte.

Nicht, dass sie weniger verwirrend gewesen wären als die Nervosität zuvor. Denn Ivy wusste nicht, wie sie mit diesen Gefühlen umgehen sollte. Alles war plötzlich so anders. So aufregend.

Sie blickte in sein hinreißendes Gesicht.

„Hallo, ich bin Ivy Molyneux“, sagte sie und reichte ihm ihre Hand.

„Angus Barlow.“

Ivy lachte. Die letzten Tage waren wirklich anstrengend gewesen. So verrückt, dass sie gar nicht bemerkt hatte, an welchem wunderbaren Fleckchen Erde sie sich befand. Zum ersten Mal fühlte sie bewusst den Sand unter ihren nackten Füßen. Die kühlende Ozeanbrise.

Ivy verdiente eine Pause, selbst wenn sie keine Zeit für einen Urlaub hatte.

Und ganz ehrlich – was war schlimm daran, für einen Moment neben einem umwerfenden, charmanten Mann am Strand zu sitzen?

Danach könnte sie immer noch ihre E-Mails überprüfen und zurück zur Hochzeitsfeier gehen.

Ganz einfach.

2. KAPITEL

Ruhig schloss Ivy den Plastikdeckel über dem Teststreifen und nahm einen langen, tiefen Atemzug.

Sie saß auf dem geschlossenen Deckel einer öffentlichen Toilette. Einer sehr eleganten öffentlichen Toilette in einem der exklusivsten Bürogebäude von Perth. Aber dennoch einer öffentlichen Toilette.

Was für eine blöde Idee …

Doch den Test zu kaufen war ihr an diesem Morgen wie die rationalste Lösung erschienen. Ihr Fahrer, Simon, hatte keinerlei Verdacht geschöpft, als sie ihn gebeten hatte, auf dem Weg zu ihrem Meeting an einer Apotheke zu stoppen. Und, selbst wenn er sich vielleicht gefragt hatte, warum Ivy Molyneux in eine Apotheke ging, um etwas zu holen, womit sie offenbar keinen ihrer Assistenten behelligen wollte, war er zu diskret, um Fragen zu stellen.

Autor

Leah Ashton

Anders als viele unserer Autorinnen hat Leah Ashton nicht immer vorgehabt, selbst zu schreiben. Sie hat zwar schon als Kind alles gelesen, das ihr in die Finger kam – von Büchern bis hin zur Rückseite der Cornflakes-Verpackung beim Frühstück –, doch ans Schreiben dachte sie erst nicht. Eines Tages entdeckte...

Mehr erfahren