Des Ritters heimliche Geliebte

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Der kühne Ritter Nicholas of Dunkeathe befindet sich in einem Dilemma: Um sein Schloss retten zu können und nicht in schrecklicher Armut zu versinken, muss er vermögend heiraten. Und das gerade, als zum ersten Mal in seinem Leben sein Herz gesprochen hat: Die temperamentvolle Lady Riona weckt in ihm eine so sehnsüchtige Leidenschaft, dass er etwas streng Verbotenes tut. Er verführt die zauberhafte, junge Dame, die ihn heiß liebt. Niemals wird er sie zur Gemahlin nehmen können, denn sie ist völlig mittellos. Nicholas befürchtet, dass er auf das große Glück für immer verzichten muss ... Der kühne Ritter Nicholas of Dunkeathe befindet sich in einem Dilemma: Um sein Schloss retten zu können und nicht in schrecklicher Armut zu versinken, muss er vermögend heiraten. Und das gerade, als zum ersten Mal in seinem Leben sein Herz gesprochen hat:


  • Erscheinungstag 24.02.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733766795
  • Seitenanzahl 320
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Glencleith, Schottland, im Jahre 1240

Bitte, Riona! Sprich du mit ihm!“ flehte der achtzehnjährige Kenneth Mac Gordon, während er neben seiner älteren Cousine den kleinen Innenhof des Holzforts von Glencleith durchschritt. „Vielleicht hört er wenigstens auf dich! Ob Thane oder nicht – wir sind nun einmal arm! Er sollte nicht jedem hergelaufenen Habenichts, der vor dem Tor auftaucht, Essen und Obdach gewähren! Sonst bringt er uns alle noch an den Bettelstab!“

„Aye“, stimmte Riona Mac Gordon zögernd zu, „aber es wird ihm das Herz brechen, in Zukunft niemanden mehr in seinem Festsaal zu bewirten.“

Nachdrücklich hieb sich der rothaarige Kenneth die Faust in die Handfläche. „Vater darf sich nicht länger etwas vormachen. Wir sind arm und werden immer ärmer. Er kann nicht irgendwelche Fremden, denen er begegnet, auf ein Mahl und ein Nachtlager einladen!“

Riona beschwichtigte ihn. „Ich werde ein Wörtchen mit ihm reden. Mal sehen, ob ich ihn zu der Einsicht bringen kann, dass wir vorsichtiger haushalten müssen.“ Inzwischen waren sie am Tor angelangt. Ganz in der Nähe pickten und scharrten Hühner in der festgetrampelten Erde bei den Stallungen. Die Holzpalisaden, welche den äußeren Befestigungsring bildeten, kippten bereits an etlichen Stellen um, und das Tor selber hätte nicht einmal einem entschlossenen Kind standhalten können. „Vielleicht hat er ein offenes Ohr, wenn ich ihm sage, dass er dir nichts weiter hinterlassen wird als ein Fleckchen steinigen Grund und eine heruntergekommene Fluchtburg.“

„Erzähl ihm lieber, dass auch für dich nicht die geringste Mitgift bleibt!“

„An einer Mitgift liegt mir nichts“, betonte Riona. „Dein Vater hat schon genug geleistet, indem er mich als kleines Mädchen bei sich aufnahm und wie eine eigene Tochter behandelt hat. Im Übrigen bin ich inzwischen zu alt, um noch an eine Eheschließung zu denken. Die Blüte der Jugend habe ich längst hinter mir, und Freier, die mir als Gemahl zugesagt hätten, boten sich nicht an.“

„Du bist nicht zu alt! Jenen Hagestolz aus Arlee focht dein Alter nicht an!“

„Freilich, weil er an die fünfzig war – und so gut wie zahnlos obendrein! Wenn ich solche wie den zur Wahl habe, sterbe ich lieber mit Freuden als Jungfer.“

„Nachdem du dich vom Krankenlager erhoben und davon überzeugt hast, dass alles in guten Händen ist, bevor du für immer die Augen schließt!“ bemerkte Kenneth.

„Irgendjemand muss sich ja um dich und deinen Vater kümmern!“

„Richtig, und um die restlichen Leute von Glencleith. Sag, wie viele Hütten hast du in den vergangenen zwei Wochen besucht? Wie viele Beschwerden hast du anhören und auf eigene Faust schlichten müssen, weil du Vater damit nicht behelligen wolltest?“

Riona lächelte. „Das macht mir nichts aus. Und den Frauen ist es ohnehin lieber, wenn sie sich mit ihren Sorgen an mich wenden können.“

„Gut und schön, doch hältst du Vater dadurch allen Verdruss vom Halse, obwohl ihm ein wenig Ärger recht gut tun würde. Vielleicht geht ihm ja endlich ein Licht auf, wenn wir ihm darlegen, dass mir kein Geld und dir keine Mitgift bleibt!“

Mit einem Stoßseufzer lehnte Riona sich rücklings gegen die Palisadenwand. Die Hölzer ächzten dermaßen beängstigend, dass sie sich unverzüglich wieder aufrichtete. „Ach, hätte Onkel doch viel Geld und ein schönes Lehen, damit er nach seinem Gutdünken und ohne Sorgen leben könnte! Es wäre nur recht und billig, gibt es doch keinen gütigeren und großzügigeren Mann auf der Welt. Von seiner Gastfreundschaft könnten jene normannischen Lords sich wahrlich eine Scheibe abschneiden!“

„Aye!“ Kenneth wischte sich eine Locke seines Kraushaars aus der Stirn und trat hinter einen Kieselstein. „Eines Tages, Riona, wird sich alles zum Besseren wenden. Ich verspreche es!“

„Zumindest dürfen unsere Leute sich des Wissens erfreuen, dass du ihnen ein ebenso guter Clanführer sein wirst wie dein Vater – wenngleich auch ein wenig praktischer veranlagt.“

Die Bemerkung zauberte ein Lächeln auf Kenneth’ sommersprossiges Gesicht, welches noch immer eher die Züge eines Jünglings als eines Mannes aufwies. „Hoffentlich! Ist der alte Mac Dougan wirklich so sterbenskrank, wie er zu sein vorgibt? Solange ich denken kann, liegt er auf Leben und Tod!“

„Es ist nicht gut um ihn bestellt, so blass, wie er ist“, erwiderte Riona. „Ich habe versucht, ihn zum Verlassen seines zugigen Cottage zu bewegen, doch davon wollte er nichts wissen.“

„Nahm einfach nur das Essen und das Brennholz, das du ihm brachtest, was?“

„Aye, aber ich mache mir Sorgen um ihn, wie er so ganz allein dort haust. Vielleicht kann ich ihn überreden …“

„Holldrihi und holldrihoo, die holde Maid aus Killamagroo …“ Urplötzlich dröhnte laut eine singende Männerstimme von jenseits des Tores, so dass die beiden wie Bluthunde erstarrten, die eine Fährte witterten.

„Da ist Vater ja!“ bekundete Kenneth unnötigerweise, denn in ganz Glencleith gab es nur einen, der so laut und oft der Sangeslust frönte. „Er hört sich glücklich an. Sehr glücklich sogar!“

Riona ersparte sich den Hinweis darauf, dass Onkel Fergus generell so aufgeräumt klang. Hätte er unglücklich geklungen, wäre das Anlass zur Besorgnis gewesen.

„So besteht wohl Hoffnung, dass er einen guten Preis für die Wolle erzielt hat“, vermutete sie, während sie das Tor öffnete.

„Wünschen wir uns vor allem, dass er unterwegs nicht ein halbes Dutzend Hausierer oder Hungerleider aufgelesen hat!“ ergänzte Kenneth. „Wäre ich nur mit ihm gefahren! Ich hätte es ja getan, aber er ist aufgebrochen, bevor ich von der Jagd zurück war. Fast möchte man glauben, er hat’s absichtlich gemacht!“

Im Interesse der Familienharmonie verzichtete Riona lieber auf den Hinweis, dass Kenneth mit seinem Verdacht durchaus richtig lag. Sie hatte versucht, ihren Onkel zu überreden, auf die Rückkehr des Sohnes zu warten – mit dem Ergebnis, dass er ihren Einwand kurzerhand beiseite wischte und darauf verwies, bereits mit Wolle gehandelt zu haben, ehe sie überhaupt geboren worden war. Das entsprach zwar der Wahrheit, doch Riona wurde den Gedanken nicht los, dass er sich schon seit damals übers Ohr hauen ließ.

„Solange er bei guter Stimmung ist“, schlug Kenneth vor, „wäre jetzt vielleicht der geeignete Zeitpunkt, ihm ins Gewissen zu reden, er möge doch mehr … oder weniger …“

„Ich knöpfe ihn mir gleich vor“, entgegnete Riona. Ein Hinauszögern hätte ihr die Aufgabe ohnehin nicht erleichtert.

Durch das unbewachte Tor zog die uralte Mähre nun den Karren. Auf dem Sitzbrett thronte Onkel Fergus, gekleidet in seine wollene Schottentracht, den Umhang tief unter dem stattlichen Bauch gegürtet, das Leinenhemd halb über dem Gürtel hängend. Strähnen seines schulterlangen grauen Haars hatten sich dem Lederriemen, mit dem er seine Lockenpracht ansonsten bändigte, entzogen. Er wirkte dermaßen zerzaust, dass Riona vermutlich angenommen hätte, er habe getrunken. Aber Onkel Fergus trank nur selten übermäßig, und im Dorfe erst recht nicht.

„Und ich führte sie soooo aus Killamagrooooo!“ Schwungvoll brachte er das Lied zu Ende, um dann strahlend auf Sohn und Nichte herunterzuschauen wie ein triumphierender Heerführer, der von einem langen und beschwerlichen Feldzug heimkehrt. „Aha! Da seid ihr beide ja!“ rief er aus, wobei er die Zügel losließ und sich erhob. Er breitete die Arme aus, als wolle er die gesamte kleine Wehranlage umarmen, mitsamt Palisaden, Steingebäuden und allem Drum und Dran. „Riona, meine Schöne! Ich habe interessante Neuigkeiten für dich!“

Ungeachtet des bevorstehenden Gespräches und trotz ihrer Befürchtungen hinsichtlich des für die Wolle erzielten Preises konnte Riona sich ein Lächeln nicht verkneifen. Eine Schönheit war sie zwar lediglich in den Augen ihres liebevollen Onkels, aber seine Anrede gab ihr stets das Gefühl, möglicherweise doch ein klein wenig schön zu sein.

„Was für Nachrichten! Und wenn ich gewartet hätte, hätte ich sie vielleicht gar verpasst!“ verkündete er mit einem missbilligenden Seitenblick auf seinen Sohn. Dann drehte er sich um und machte sich ans Absteigen, wobei sein Umhang sich beinahe an einer Ecke des Sitzbrettes verhakt hätte.

Mit einem milden, leisen Kraftausdruck zupfte er den Wollstoff los und bedeckte seine bloßen Knie.

„Macht dir dein Rücken Beschwerden?“ fragte Riona besorgt, während ihr Cousin und sie vorstürzten, um dem Alten zu helfen. „Du hast doch nicht etwa beim Abladen der Wolle geholfen?“

„Nein, nein, meine Schöne“, versicherte er. „Die ganze Arbeit habe ich den jungen Spunden von Mac Heath überlassen.“

Kenneth warf Riona einen verärgerten Blick zu. Dieser Mac Heath war nicht eben als ehrbarer Kaufmann bekannt. Riona zweifelte nicht, dass Kenneth, hätte er denn das Sagen, kein Wort mit dem Kerl wechseln, geschweige denn Wolle an ihn verkaufen würde.

„Warum Mac Heath?“ wollte Kenneth wissen.

„Weil er mir den besten Preis bot.“

Riona und Kenneth wechselten einen weiteren Blick, der Fergus diesmal nicht entging.

„Aber, Kinder!“ schalt er, wenngleich selbst Kritik bei ihm stets recht jovial klang. „Solche Blicke sind unangebracht. Ich hielt mich an deinen Vorschlag, Kenneth, und fragte etliche Händler, wie viel sie wohl zahlen würden. Mac Heath bot am meisten.“

Nach Rionas Vermutung lag das daran, dass Mac Heath seine Waagschalen beschwerte. Aber bevor sie näher darauf eingehen konnte, legte Onkel Fergus Sohn und Nichte bereits schwungvoll die Arme um die Schultern und bedachte sie, während er mit ihnen der Halle zustrebte, noch einmal mit einem breiten Lächeln.

„Nun lasst mich erzählen, was mir zu Ohren gekommen ist. Es ist wunderbar – etwas, was dein ganzes Leben verändern könnte, Riona“, schloss er, wobei er ihr bedeutungsvoll zunickte.

Es war ihr ein Rätsel, was er damit meinte – es sei denn, er hatte von einer Möglichkeit gehört, einen kleinen Haushalt kostenlos zu ernähren. An der Halle angelangt, einem niedrigen, rechteckigen Gebäude von zehn mal zwanzig Fuß, ließ Onkel Fergus die Arme sinken. „Ihr wisst doch von Sir Nicholas of Dunkeathe? Von dem Normannen, dem König Alexander das riesige Lehen südlich von hier gab? Als Belohnung für seine Dienste?“ fragte er, bevor er die beiden über den binsenbedeckten Fußboden zum Kamin in der Saalmitte führte, in dem selbst an diesem milden Junitag ein Feuer aus Torfsoden brannte.

„Ja, von dem habe ich vernommen“, erwiderte Riona argwöhnisch, gespannt darauf, was in aller Welt dieser normannische Söldner denn wohl mit ihr zu schaffen haben sollte.

„Ich ebenfalls“, fügte Kenneth hinzu. „Dünkelhaft bis dorthinaus, was mich nicht wundert, denn schließlich ist er Normanne.“

„Wenn es stimmt, was man sich über ihn erzählt, hat er auch allen Grund zum Hochmut“, wandte Fergus ein. „Nicht jeder Mann hat das Zeug, mit beinahe nichts anzufangen, um es dann so weit zu bringen! Aye, und zudem ist er ebenso ansehnlich wie reich, und obendrein noch ein Freund des Königs!“

„Und was hat er mit Riona zu tun? Oder sie mit ihm?“ erkundigte sich Kenneth verblüfft.

„Eine ganze Menge“, erklärte Onkel Fergus, wobei er sich schwungvoll in den einzigen Sessel fallen ließ, der das Innere des Saales zierte. „Er lässt verbreiten, er suche ein Eheweib. All jene, welche den Ansprüchen genügen, sind eingeladen, sich auf seiner Burg vorzustellen. Dann wird er aus der Mitte der Kandidatinnen eine Braut küren. Wir sollen bis zum Mittag des Johannistages dort sein – Mittsommertag also. Sir Nicholas will bis zum Erntetag seine Wahl getroffen haben.“

„Vom 23. Juni bis zum ersten Tag des Monats August ist es nicht sehr lang“, warf Kenneth ein. „Warum ist Sir Nicholas denn in solcher Eile?“

„Weil ihm zweifellos an einer Gattin liegt, die ihm bei der Führung der Burg hilft. Und wer wäre eine geeignetere Braut als unsere Riona, hm?“

Wie vom Donner gerührt, starrte Riona ihn an. Ich soll einen Normannen heiraten? Glaubt Onkel Fergus wirklich, dass mich ein normannischer Edelmann nehmen würde? Vielleicht hatte er doch getrunken!

Kenneth wirkte ebenso bestürzt. „Du meinst, Riona soll einen Normannen ehelichen?“

„Den schon, ja! Wenn’s sich machen lässt! Da könnte es wahrlich schlimmer kommen für eine Frau!“

Für Riona war das schwer zu glauben, und für ihren Cousin offensichtlich ebenso. „Selbst wenn sie ihn wollte“, fuhr Kenneth fort, wobei er ihr einen blitzschnellen Blick zuwarf, der verriet, wie undenkbar ihm dies vorkam, „wie verhält es sich mit den Ansprüchen, die du erwähntest?“

„Ach, die sind unwichtig“, wiegelte Onkel Fergus mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. „Ausschlaggebend ist vielmehr, dass dieser reiche Junggeselle eine Frau braucht – und Riona verdient einen guten Mann!“

„Aber er wird mich gewiss nicht wollen!“ protestierte Riona.

Onkel Fergus sah sie an, als habe sie gerade eine Gotteslästerung ausgestoßen. „Wieso denn nicht?“

Sie flüchtete sich in ein Argument, welches ihm und ihr selber am wenigsten wehtun würde. „Weil er doch sicher eine normannische Braut wünscht!“

„Nun, er wurde als Normanne geboren, da magst du Recht haben“, grübelte Fergus, wobei er sich das bärtige Kinn kraulte. „Aber jetzt ist er ein schottischer Lord. Dunkeathe war seine Belohnung von Alexander – von unserem eigenen König, wohlgemerkt, nicht dem englischen! Auch King Alexander hat sich bereits zwei Mal eine Normannin zur Gemahlin erwählt. Warum also sollte ein Normanne keine Schottin heiraten? Und hat Sir Nicholas nicht außerdem seinem Lehen den ursprünglichen Namen zurückgegeben? Nennt er’s jetzt nicht wieder Dunkeathe statt Beauxville oder Beauxview oder was das sonst für eine lachhafte normannische Bezeichnung war?“

„Aber er war doch Söldner! Ein hartgesottener Mordgeselle, der gegen Lohn tötet!“

„Richtig, ein Kämpfer und arm obendrein“, bestätigte Fergus. „Ein solcher Mann, der es zu etwas gebracht hat, genießt durchaus meine Hochachtung.“

„Zweifellos sucht er eine reiche Braut.“

„Genau, und Geld für eine Mitgift haben wir nicht“, ergänzte Kenneth.

Wenngleich es stimmte, dass sie an Gold oder Silber so gut wie nichts zu bieten hatten, verzog Riona doch schmerzhaft das Gesicht, als sie den Ausdruck ungläubigen Erstaunens in den blauen Augen ihres Onkels sah. „Was denn – gar nichts?“

„Nicht viel jedenfalls“, erwiderte Kenneth ausweichend. „Wir haben ja versucht, dich zu warnen …“

„Ja, ja, schon gut!“ unterbrach Fergus ihn stirnrunzelnd. „Aber dass es so schlimm stehen würde, hätte ich nicht gedacht.“

Selten hatte Riona ihren Onkel derart besorgt gesehen, und es behagte ihr nicht, der Anlass für seinen Kummer zu sein. „Ach, einerlei! Ich will ja gar nicht …“

Lächelnd fiel Fergus ihr ins Wort. „Aye, was machen Gut und Geld am Ende schon aus?“ verkündete er. „Ginge es um irgendein anderes Frauenzimmer, dann vielleicht schon! Aber du, meine Schöne, du selbst bist der Preis, nicht etwa ein Beutel mit barer Münze!“

Sie versuchte es mit einem anderen Einwand. „Onkel, ich verstehe aber nichts von der Führung eines normannischen Haushalts!“

„Was gibt’s da groß zu verstehen? Meinen führst du seit deinem zwölften Lebensjahr! Und außerdem: Dem Vernehmen nach sind normannische Weiber arm dran. Verbringen all ihre Zeit bei Stickerei und Geschwätz.“

Riona hätte ihn gern daran erinnert, dass der Ruhm der Mac Gordons in den vergangenen hundert Jahren einiges von seinem strahlenden Glanz eingebüßt hatte. Sie verkniff es sich aber und verzichtete zudem wohlweislich auf den Hinweis, dass die Führung des Haushaltes für einen niederen schottischen Thane mit winzigem Anwesen nicht zu vergleichen war mit der für einen normannischen Hochadeligen samt gewaltiger Burg und riesigem Lehen. „Die meisten von denen müssen wohl doch fleißiger sein. Gewiss ist es sehr zeitaufwendig und mühsam, die Wirtschaft eines Lords zu leiten“, gab sie zu bedenken.

„Besser als du kriegen sie’s sicherlich auch nicht hin“, hielt Fergus mit vollster Überzeugung dagegen. „Du bist das gescheiteste Mädchen in ganz Glencleith. Schau nur, wie schnell du die normannische Sprache erlernt hast!“

„Und wer sieht hier nach dem Rechten, wenn ich fort bin?“

Das nahm Onkel Fergus für einen Moment den Wind aus den Segeln – allerdings nur vorübergehend. „Aigneas, die Tochter des Schmieds, wird so lange aushelfen, bis Kenneth sich eine Ehefrau gesucht hat. Sie ist ein helles Köpfchen.“ Er zwinkerte seinem Sohn zu. „Ich glaube nicht, dass du etwas dagegen hast, was, mein Junge?“

Kenneth wurde rot, während sein Vater sich bereits wieder an Riona wandte. „Ein wenig werden wir leiden müssen, das stimmt – du hast uns eben nach Strich und Faden verwöhnt! Doch dieses Opfer bringen wir gern. Es ist an der Zeit, dass wir einmal an dein Glück denken, nicht an das unsere. Auch wird der Rest unserer Leute womöglich besser zu würdigen wissen, wie gut du über die Jahre zu ihnen warst!“

Ungeachtet der freundlichen und schmeichelhaften Lobpreisungen ihres Onkels, führte Riona noch einen weiteren Grund für eine Ablehnung an. „Sir Nicholas wird eine junge Braut wollen. Ich bin zu alt.“

„Du bist kein alberner, kichernder Backfisch mehr, da stimme ich dir zu“, konterte ihr Onkel. „Das aber spricht nur für dich!“

Er stemmte sich aus seinem Sessel hoch, fasste seine Nichte sanft bei den Schultern und bedachte sie mit dem Anflug eines kummervollen Lächelns. „Riona, meine Schöne, es ist allerhöchste Zeit für mich, meiner Selbstsucht zu entsagen und dich nicht länger hier bei mir anzuketten. Vielleicht hätte ich einige der jungen Burschen, die uns besuchen kamen, als du noch jünger warst, etwas ermuntern sollen. Nur befand sich nach meiner Ansicht leider keiner unter ihnen, der gut genug für dich gewesen wäre. Aber du solltest dein eigenes Heim besitzen, einen liebenden Gemahl und Kinder, welche dich ehren.“

Sie wollte schon protestieren, doch Onkel Fergus schnitt ihr das Wort ab. „Es gibt nicht viele, die nach meiner Einschätzung für dich infrage kämen. Dieser aber gehört dazu. Er ist kein verweichlichter Edelmann, der sein Lebtag noch nicht mal ’nen harten Tagesritt geleistet hat. Seinen Besitz hat er sich erarbeitet, und dein Liebreiz und deine Klugheit werden schon dafür sorgen, dass zwischen euch alles reibungslos verläuft. Was nun die Mitgift angeht oder vielmehr das Nichtvorhandensein einer solchen – es ist die Liebe, die zählt, nicht das Geld. Ist er dir erst einmal begegnet, wird er sich zweifellos in dich verlieben. Wir sind zwar arm, aber unser Familienname ist ein alter und geachteter. Was kann’s schon schaden, Sir Nicholas kennen zu lernen? Falls er dir nicht gefällt, kehren wir sofort nach Hause zurück!“

Onkel Fergus sprach dermaßen herzlich und sah sie dabei so liebevoll an, dass Riona sich beinahe gefühllos vorkam, weil sie nicht auf der Stelle dem Vorschlag zugestimmt hatte, diesen Sir Nicholas of Dunkeathe zu ehelichen.

Fergus warf seinem Sohn einen Seitenblick zu. „Solange wir uns auf Dunkeathe aufhalten, führst du in Glencleith das Kommando, Kenneth! Wird Zeit, dass du ein wenig Übung darin bekommst!“

Kenneth’ Gesicht hellte sich auf vor freudiger Erregung. Riona begriff, dass für ihren Cousin sämtliche Einwände hinfällig geworden waren, denn es bestand die Aussicht, mit Aigneas zusammen zu sein, sowie die Gelegenheit, seine Führungskraft unter Beweis stellen zu können. Man konnte es ihm nicht verdenken. Er war jung und versessen darauf, seinen Weg zu finden, und das Ganze verschaffte ihm wahrhaftig eine gute Chance zum Üben. Was Aigneas betraf, so war Riona sich nicht sicher, wie tief Kenneth’ Gefühle für das Mädchen gingen und umgekehrt. Doch nun bot sich den beiden eine Gelegenheit, sich über ihre Zuneigung klar zu werden.

Mit gerunzelter Stirn musterte Fergus seinen Sohn. „Aigneas wird aber bei ihrem Vater übernachten und lediglich tagsüber zur Halle kommen!“ erklärte er warnend.

Verlegen wich der junge Mann dem Blick seines Vaters aus. „Das habe ich nicht anders erwartet“, brummte er.

„Gut. Und du wirst sie auch nicht mit allerlei Süßholzraspeln dazu bewegen, dir mehr Salz fürs Abendbrot zu geben! So wie du mit dem Zeug herumstreust, könnte man glatt meinen, wir wären reich wie der König.“

Während Kenneth’ Miene sich verdüsterte, sann Riona über etwas anderes nach. Falls sie sich tatsächlich mit Onkel Fergus nach Dunkeathe begab, würde das bedeuten, dass sie sieben Tage lang von Glencleith fernbleiben würden und somit auch nicht ihre eigenen Lebensmittelvorräte würden verzehren müssen. Ihr Onkel würde kein übertrieben großherziger Gastgeber sein, sondern sich bewirten lassen!

„Nun gut, Onkel“, lenkte sie ein. „Du hast mich überredet. Zumindest sollte ich hinreisen und mir dieses Prachtexemplar von einem Normannen einmal ansehen.“ Strahlend schloss Fergus sie in die Arme. „So ist’s brav, meine Schöne! Und wenn er dich nicht nimmt, dann ist er ein Narr und deiner ohnehin nicht würdig!“

Davon war Riona keineswegs überzeugt. Außerdem war ihr die Vorstellung peinlich, sich mit anderen weiblichen Wesen vergleichen zu müssen und zweifellos als nicht geeignet befunden zu werden. Falls jedoch ihr Gang nach Dunkeathe Cousin und Onkel glücklich machte und sie dadurch etwas Geld einsparen konnten, dann würde sie einige Unannehmlichkeiten gern in Kauf nehmen.

„Na, Riona? Was habe ich dir gesagt?“ rief Onkel Fergus aus, als der Pferdekarren einige Tage später den Kamm des Hügels erklomm. Vor ihnen lag ein Flusstal, und ostwärts des Flusses erhob sich Dunkeathe Castle, ein wuchtiges Glanzstück des Maurer- und Steinmetzenhandwerks, welches einen jeden, der seiner ansichtig wurde, beeindrucken musste.

Um die Burg herum formten weitere, wenn auch viel kleinere Gebäude ein ansehnliches Dorf. Zu beiden Seiten der dorthin führenden Straße lagen Gehöfte, umgeben von Feldern mit Gerste und Hafer sowie von Weiden, auf denen Kühe und Schafe grasten. Die Hügel rings um das Tal waren bewaldet – wohl für das Jagdvergnügen des Lehnsherrn, wie Riona vermutete. Wahrscheinlich gingen er und seine Freunde dort mit Hunden und Habichten auf die Pirsch.

Welch ein Kontrast zu Glencleith, das über den kärgsten, steinigsten Boden im ganzen Land verfügte!

„Sagte ich nicht, dass es eine prächtige Wehranlage sei?“

„Fürwahr, und es stimmt!“ murmelte Riona, die das mächtige Bauwerk studierte, dessen Entstehung Jahre gekostet haben musste.

Zwei massige Steinmauern sowie ein Burggraben dazwischen bildeten den äußeren Befestigungsring. Die Mauern waren verstärkt durch Türme, von denen aus man die Straße, den Fluss und die jenseits des Tales ansteigenden Hügel überwachen konnte. Das Torgebäude wirkte wie eine kleine Bastion für sich und ließ die Fuhrwerke, die unter dem hölzernen Fallgatter durchzogen, geradezu zwergenhaft erscheinen.

Riona vermochte sich nicht vorzustellen, welche Mengen an Steinen und Mörtel man für diesen Bau verwendet, wie viele Handwerker daran gebaut und was das alles gekostet hatte. Offenbar musste Sir Nicholas großzügig von König Alexander entlohnt worden sein, und zwar mit mehr als nur dem Grund und Boden, auf welchem das Castle stand. Außerdem verfügte er wohl über ein ganzes Heer an Soldaten, Gesinde und Bogenschützen. Es gab Zeiten, da fiel ein reibungsloses Wirtschaften schon auf einem kleinen Anwesen wie dem des Onkels nicht leicht. Somit konnte sie nur ansatzweise ermessen, welchen Schwierigkeiten der Burgherr zu Dunkeathe sich möglicherweise gegenübersah. Aber sicherlich beschäftigte er einen Verwalter und andere Helfer.

Möglicherweise beruhten die Gerüchte von Sir Nicholas’ überragendem Können in der Schlacht und beim Turnier doch nicht auf Übertreibungen. Falls er tatsächlich aus bescheidenen Verhältnissen stammte, wie es ihr Onkel behauptete, so hatte er eine Menge erreicht, wollte man denn Erfolg an Reichtum und diesem Kastell allein messen.

„Wir sind nicht die Einzigen, die seiner Einladung zur Brautschau gefolgt sind“, bemerkte Onkel Fergus, wobei er mit dem Kopf in Richtung der anderen Karren und Wagen wies, die bereits vor ihnen über die Landstraße rumpelten. Etliche der Gefährte waren reich verziert, von Wachen eskortiert und begleitet von weiteren Männern in langen Mänteln, die auf edlen Pferden mit farbenprächtigem Zaumzeug ritten. Nach Rionas Einschätzung handelte es sich dabei um Edelleute. Andere Gespanne wiederum waren mit Fässern beladen, vermutlich mit Ale oder Wein gefüllt, sowie Körben oder Säcken voller Proviant – so reichhaltig, dass es, zumindest dem Äußeren nach, für die Speisung einer ganzen Menschenmenge gereicht hätte.

Ja, wie viele Kandidatinnen erwartete dieser Sir Nicholas denn?

Riona bemühte sich, nicht darüber nachzudenken oder jene Reisenden und deren Gefährte nicht mit dem bejahrten grauen Klepper und dem altersschwachen Karren ihres Onkels zu vergleichen. Über ihre Kleidung oder die Schottentracht von Fergus wollte sie sich nicht den Kopf zerbrechen.

„King Alexander muss über die Dienste von Sir Nicholas hocherfreut gewesen sein“, meinte sie schließlich, während sie sich dem mächtigen Torhaus näherten.

„Aye, dem Vernehmen nach hat er eine herausragende Rolle bei der Niederschlagung der jüngsten Rebellion gespielt“, bestätigte Fergus. „Und wie man hört, soll er ein stattliches Mannsbild sein“, ergänzte er augenzwinkernd. „Kühn, reich und auch noch ansehnlich – das findet man selten!“

Als sie ans Torgebäude gelangten, traten ihnen zwei Wachen in den Weg, beide in Kettenhemden und schwarzen Waffenröcken, ausgerüstet mit Lanzen sowie mit Schwertern an der Seite. Etliche Soldaten patrouillierten auf den überdachten Wehrgängen droben auf der Mauer, ganz so, als rechne Sir Nicholas jeden Moment mit einer Belagerung.

Die Zeiten indes waren ausgesprochen friedlich. Außerdem hätte es wohl eines riesigen Heeres, großer Entschlossenheit und gewaltiger Anstrengungen bedurft, um diese Festung einzunehmen. Riona fiel kein schottischer Führer ein, dem eine solche Streitmacht zur Verfügung stand oder der unter diesen Umständen einen Aufstand gegen Alexander angezettelt hätte. Denn gegen den Normannen zu Felde zu ziehen hätte gleichzeitig bedeutet, sich mit dem Herrscher anzulegen, der ihn entlohnt hatte. Vermutlich wollte der Herr von Dunkeathe mit diesem Aufgebot jedermann seine Macht und Stärke demonstrieren.

„Heda! Was haben wir denn hier?“ fragte einer der Torwächter, dessen Akzent seine angelsächsische Herkunft verriet. Argwöhnisch beäugte er die beiden Neuankömmlinge. „Was ist in dem Karren?“

Riona ließ sich von der Unverschämtheit des Postens nicht beeindrucken. Eigentlich hätte er sie in respektvollerem Ton anreden müssen, ungeachtet ihrer Kleidung oder des Zustandes ihres Fuhrwerks.

„Unser Gepäck“, beschied sie kurz angebunden. „Wäret Ihr nun so gut, uns den Weg frei zu machen …“

„Von euresgleichen lasse ich mir nichts befehlen“, schnarrte der Soldat, wobei er sie nochmals verärgert musterte und dabei ungehalten die aschblonden Brauen zusammenzog. „Was fällt euch ein? Meint ihr, ihr könnt uns auf den Arm nehmen?“ Er wandte sich an seinen Kameraden. „Sieh nur, Rafe, die halten uns wohl für Einfaltspinsel oder so!“

Onkel Fergus’ Hand zuckte zum Dolch an seinem Gürtel. „Was sagen die da, diese Rotzlöffel?“ wollte er wissen.

Zwar hatte Fergus sich das Normanno-Französische angeeignet, sich aber nie die Mühe gemacht, auch die Sprache der Sassenach, also der angelsächsischen Nachbarn, zu lernen. Er hatte es stets seiner Nichte überlassen, mit Kaufleuten oder Händlern aus den südlichen Gefilden zu verhandeln.

Es hätte Riona gerade noch gefehlt, dass es zu einer Auseinandersetzung zwischen ihrem Onkel und diesen vermutlich kampferprobten und wahrscheinlich bösartigen Soldaten gekommen wäre. In seinen besten Tagen mochte Fergus zwar ein vortrefflicher Kämpfer gewesen sein, doch das lag lange zurück.

„Überlass das mir, Onkel“, bat sie und kletterte dabei vom Karren herunter. „Ich rede mit ihnen und werde ihnen schon begreiflich machen, mit wem sie’s zu tun haben!“

Der dünnere der beiden Posten richtete seine Lanzenspitze auf den Wagen. „Ich wette, ihr kommt da mit etwas an, das ihr verkaufen wollt, und obendrein zu Schwindelpreisen! Nun, was es auch sei – Seine Lordschaft kauft nichts!“ Die Lanze immer noch wie eine Verlängerung seiner Hand haltend, wies er die Straße hinunter. „Verschwindet von hier, zurück in das Torfmoor, aus dem ihr hergekommen seid!“

Um Beherrschung bemüht, marschierte Riona auf die beiden zu. „Dies hier ist Fergus Mac Gordon Mac Darbudh, Thane of Glencleith!“ verkündete sie, trat dabei direkt vor den Posten hin und drückte dessen Lanze beiseite.

„Ach“, konterte der feixend. „Der Kerl da in dem Rock, das soll ein schottischer Ritter sein? Der Thane zum torfigen Tümpel, was? Und du, wer bist du? Seine Tochter? Oder sein … was weiß ich?“

Rionas Lippen verzogen sich vor Abscheu. Sie straffte ihre Gestalt zu ihrer ganzen Größe. „Er ist mein Onkel. Und ich bin Lady Riona of Glencleith! Und nun werdet ihr uns passieren lassen! Sonst werde ich eurem Herrn Meldung erstatten über eure Unverschämtheiten!“

Der stämmigere der zwei Posten machte kugelrunde Augen. „Ach, eine feine Dame bist du also!“ Ein plötzliches Begreifen leuchtete in seinen stechenden Augen auf. Grinsend stieß er seinen Kameraden in die Seite. „Guck, Harry! Sie sagt, sie wäre ’ne Lady! Die kommt bestimmt, um Sir Nicholas zu freien.“ Er legte den Kopf in den Nacken und brüllte hinauf zu den Posten auf den Wehrgängen. „Habt ihr’s gehört? Die glaubt, sie hätte Chancen bei Sir Nicholas.“

Während die Wachmannschaft in schallendes Gelächter ausbrach, machte Riona auf dem Absatz kehrt – und stellte fest, dass ihr Onkel inzwischen direkt hinter ihr stand.

„Jetzt ist es genug!“ verkündete er und griff nach seinem Dolch. „Ich verstehe zwar nicht, was die sagen, aber dass es unverschämt ist, das steht wohl fest. Ich werde diesen angelsächsischen Schnöseln mal Manieren beibringen!“

Die Hand auf seinen Arm gelegt, hinderte Riona ihn, seine Klinge zu zücken. „Lass gut sein, Onkel. Die sind die Aufregung nicht wert. Komm lieber, machen wir uns auf die Suche nach ihrem Herrn und Gebieter!“

Onkel Fergus zögerte, und für einen Augenblick fürchtete Riona schon, er werde es tatsächlich mit den jüngeren und schwerer bewaffneten Soldaten aufnehmen wollen. Zu ihrer Erleichterung nickte er dann aber. „Einverstanden“, brummte er widerwillig. „Der ist auch wichtiger als diese Taugenichtse hier!“

Während sie noch grübelte, wie sie ins Innere der Burg gelangen sollten, begab Riona sich zum Karren zurück und kletterte auf das Sitzbrett. Onkel Fergus setzte sich neben sie. Als sie zu den beiden Wachposten blickte, die nach wie vor feixend und lachend am Tor standen, kam ihr plötzlich eine Idee.

Sie lupfte die Zügel und ließ sie klatschend auf den Pferderücken niedersausen, nicht gar so scharf, dass es wehtat, aber doch straff genug, die Mähre tüchtig zu erschrecken. Empört aufwiehernd, galoppierte der Gaul los. Fergus schrie auf und klammerte sich am Sitz fest.

„Aus dem Weg!“ rief Riona den Posten zu.

Der eine schubste den anderen in den Burggraben und purzelte sogleich hinterdrein.

Geschieht euch recht! dachte Riona, als der Klepper sein Tempo verlangsamte und in einen nervösen Trab fiel. Inzwischen hatten sie den Torbogen durchfahren und befanden sich im offenen Bereich der Vorburg. Riona blickte zurück, denn sie fürchtete, die Wachen beim Tor oder auf den Mauergängen würden sie verfolgen. Sie hörte aber, wie jemand rief, man solle sie getrost lassen; der Burgherr werde den Eindringlingen schon die passende Abfuhr erteilen.

Fürwahr kein tröstlicher Gedanke, doch immerhin hatte sie sich nicht von den Wachposten abwimmeln lassen wie unerwünschtes Bettelvolk!

„Oh weh, meine Schöne! Die werden dich in bleibender Erinnerung behalten!“ meinte Onkel Fergus laut lachend.

Riona war nicht überzeugt, dass das Gutes versprach. „Ich hätte mich nicht gehen lassen dürfen! Wie eine Walküre auf sie loszupreschen, das war nun wahrlich nicht sonderlich damenhaft!“

Ihr Onkel tätschelte ihr das Knie. „Die Kerle benahmen sich unverschämt und flegelhaft, obwohl du sie nicht beleidigt hast. Sobald du Sir Nicholas’ Gemahlin bist, kannst du sie fortschicken lassen.“

Falls die Streitmacht des Herrn von Dunkeathe aus Raubeinen dieser Sorte bestand, dann hätte Riona lieber darauf verzichtet, Burgherrin zu werden. Ja, sie musste sich regelrecht zusammennehmen, sonst hätte sie den Onkel auf der Stelle gebeten, schnurstracks nach Hause zu fahren. Diese ganze Zitadelle erschien ihr bei weitem zu ungeheuerlich, zu Furcht einflößend und zu normannisch.

Nunmehr gelangten sie an das zweite, ebenso beeindruckende Tor. Durch die Torhalle fiel der Blick direkt in den Innenhof und auf eine riesige Ansammlung von Pferdegespannen, Dienstboten, Reittieren und Soldaten. Der Lärm, der von ihnen ausging, glich der Brandung des Meeres, ein ständiges An- und Abschwellen, unterbrochen von gelegentlichem Gewieher oder einem in schroffem Ton geblafften Befehl.

Riona machte sich schon auf die nächste Auseinandersetzung mit den rüpelhaften Sassenach gefasst. Diesmal indessen stand nur ein einzelner Mann neben dem Durchgang. Nach ihrer Einschätzung von mittlerem Alter, war er auf keinen Fall Schotte, denn er trug die Kleidung eines Normannen und hatte das hellbraune Haar in jener sonderbaren Fasson gestutzt, wie es der normannischen Mode entsprach – gerade so, als habe man ihnen vor dem Schneiden eine Schüssel über den Kopf gestülpt. In seinen Händen hielt er eine Wachstafel nebst Griffel. Wahrscheinlich, so vermutete sie, handelte es sich um eine Art Schreiberling.

„Die Küche liegt links neben dem Burgsaal“, sagte der Mann, als Fergus das Pferd zügelte. Vielleicht war dieser Schreiber doch kein Normanne, denn er sprach vortrefflich Gälisch.

„Gut zu wissen, sollte der Hunger uns plagen“, gab Onkel Fergus zurück, offenbar bemüht, sich im Zaume zu halten. „Ich bin Fergus Mac Gordon Mac Darbudh, Thane of Glencleith, und das hier ist meine Nichte, Lady Riona. Es ist uns zu Ohren gekommen, dass Sir Nicholas auf Brautsuche ist.“

Die Augen des Mannes verrieten zwar seine Überraschung, aber er hatte sich schnell wieder in der Gewalt. „Aha. Könnt Ihr auch einen Nachweis über Euren Titel erbringen?“

Damit hatte Riona nicht gerechnet. Vor dem geistigen Auge sah sie sich bereits in schmachvollem Rückzug an den angelsächsischen Wachposten vorbeifahren, als ihr Onkel sagte: „Benötigt Ihr einen Beweis, so kann ich die Urkunde des Königs vorlegen. Genügt Euch ein Dokument mit königlichem Siegel?“

Entgeistert starrte Riona ihn an. Mit keinem Wort hatte er ihr gegenüber erwähnt, dass er seine Adelsurkunde mitführte. Nichtsdestotrotz war sie erleichtert, denn so blieben ihr weitere Peinlichkeiten erspart.

„Gewiss doch!“ erwiderte der Mann am Tor. Fergus kletterte von seinem Sitz herunter und kramte in dem Ledersack herum, in dem sich seine Kleidung befand. „Ach, da ist sie ja schon“, brummte er, zog eine Pergamentrolle heraus und glättete sie. „Eigenhändig von Alexander unterzeichnet und besiegelt!“

Der Schreiber überprüfte die Urkunde einen Moment lang. Riona merkte, wie sie den Atem anhielt.

„Scheint alles seine Ordnung zu haben“, meldete er dann. Damit reichte er das Dokument an Fergus zurück, der es wieder aufrollte, bevor der Mann Rionas und Fergus’ Namen auf sein Täfelchen kritzelte. „Willkommen auf Dunkeathe Castle, Mylord, Mylady! Ich bin Robert Martleby, Sir Nicholas’ Verwalter.“

„Erfreut, Eure Bekanntschaft zu machen, Martleby!“ rief Fergus in seiner üblichen aufgeräumten Art.

„Das Vergnügen ist meinerseits, Mylord. Wenn Ihr nunmehr so freundlich sein wollt und weiter in den Innenhof der Hauptburg fahren würdet, so wird Euch der Marschall sagen, wo Ihr Euer Pferd und Euer … äh, Gefährt unterstellen könnt.“

„Was ist mit unserem Quartier?“ erkundigte Fergus sich.

„Im Burghof wird man Euch den Weg dorthin weisen“, versicherte Martleby.

„Vortrefflich!“ tönte Fergus, indem er wieder auf seinen Karren kletterte.

Er hob die Zügel an, schnalzte kurz mit der Zunge, und schon rumpelte das Gefährt über das Kopfsteinpflaster in den Burginnenhof hinein. Dort angelangt, war ihnen, als würde der Lärm überwältigend, schlimmer noch als bei Maifeier und Markt zusammengenommen. Es mussten sich wohl an die hundert Personen dort aufhalten, einige noch auf ihren Wagen, andere hoch zu Ross und viele waren schon abgesessen. Zwischen den Menschen und den Fuhrwerken hasteten Diener hin und her, und Grüppchen von Soldaten mischten sich unters Volk. Fuhrmänner brüllten sich gegenseitig an und versuchten, ihre diversen Gefährte zu manövrieren, die ja nicht nur Gäste, sondern auch beträchtliches Reisegepäck beförderten.

Zum Glück muss ich nicht Ordnung in dieses Gewimmel bringen, dachte Riona. Ausnahmsweise durfte sie einfach die Hände in den Schoß legen und auf Anweisungen warten, statt sich selbst den Kopf über Lösungen zerbrechen zu müssen.

Andererseits war ihr das bloße Zusehen aber ebenfalls zuwider. Eine Möglichkeit, dieses Chaos zu beherrschen, hätte darin gelegen, die Leute in einer Reihe antreten zu lassen, damit sie sich beim Verwalter meldeten. Eine andere wäre gewesen, den Fuhrleuten Knechte zuzuweisen, um sie zu den Ställen zu lotsen. Indem man jedem Gast einen Dienstboten zuordnete, der sich um Gepäck und Unterkunft kümmerte, hätte man das Tohuwabohu noch weiter in den Griff bekommen können.

Onkel Fergus brauchte zwar ein Weilchen, doch nach einiger Zeit gelang es ihm, Pferd und Wagen von der dicht bevölkerten Hofmitte geschickt zur Seite zu lenken. Die Duftschwaden, die aus dem benachbarten Gebäude waberten, verrieten Riona, dass sie sich offenbar in der Nähe der Küche befanden.

„Nun, meine Schöne“, fragte Onkel Fergus, wobei er sich den Bart kraulte und den Blick über den Burghof schweifen ließ. „Was glaubst du: Wer von diesen edlen Herren mag wohl Sir Nicholas sein?“

„Wenn ich das wüsste“, erwiderte sie, wobei sie von einem vornehm gekleideten Herrn zum nächsten schaute.

Keiner von ihnen entsprach ihrer Vorstellung von einem kampfgestählten Söldner.

Fergus wies mit dem Kopf auf einen würdevoll wirkenden Mann reiferen Jahrgangs, der auf einem Grauschimmel saß. „Und der da?“

„Wie alt soll Sir Nicholas sein?“

„Ja, du hast Recht. Der da ist nicht jung genug. Vielleicht jener dort drüben?“ Er zeigte auf einen Reiter, der offenkundig noch jung an Jahren war. Gewandet in hellgelben Damast, thronte er auf einem Schimmel, dessen Zaumzeug mit Silberbeschlägen verziert war, ebenso wie die Sporen des Reiters.

„Der sieht mir ganz und gar nicht danach aus, als sei er jemals Soldat gewesen“, argwöhnte Riona.

Die Stirn angestrengt in Falten gelegt, nickte ihr Onkel beifällig. „Richtig. Der da würde sich nicht sein feines Tuch beschmutzen wollen. Kämpfen aber ist eine blutige, schweißtreibende, schmutzige Angelegenheit! Dann vielleicht der dort?“

Der Richtung des Zeigefingers folgend, fiel ihr Blick auf einen Mann, der in der Hofmitte stand, umringt von etlichen fein gekleideten Herren und einigen Soldaten, die ihn offenbar allesamt gleichzeitig mit Fragen bestürmten. Er war dunkelhaarig, aber nicht mehr ganz jung, und wie er gleichsam als Antwort auf den Frageansturm zu den Ställen wies, wirkte er unübersehbar nervös. „Das wird wohl der Marschall sein“, vermutete sie.

„Da magst du Recht haben“, stimmte Fergus ihr zu und schickte sich an, vom Karren herunterzusteigen. „Und da er derjenige ist, der weiß, wo wir Pferd und Wagen unterbringen können, werde ich am besten ein Wörtchen mit ihm reden. Mal sehen, ob ich nicht gleichzeitig etwas über unser Quartier in Erfahrung bringen kann. Bleib du hier, Riona, bis ich zurückkomme. Und halte Ausschau nach unserem Gastgeber! Ich bin überzeugt, dass er irgendwo in der Nähe steckt und seine Gäste begrüßt.“

Da war sich Riona nicht so sicher, wenngleich Sir Nicholas damit auch gegen die guten Sitten verstieß. Da sie indes ohnehin nichts Besseres vorhatte, nickte sie zustimmend und winkte ihrem Onkel zum Abschied zu, bevor dieser sich ins Gedränge stürzte.

Gespannt darauf, wie lange er wohl fortbleiben würde und wie Sir Nicholas denn wirklich aussah – sie zweifelte nicht, dass die Beschreibung ihres Onkels doch zu schmeichelhaft ausfiel –, wandte Riona sich wieder der Menschenmenge im Burghof zu. Mit dem Entladen der Fuhrwerke beschäftigt, schleppten dort etliche Knechte Kisten und Bündel in ein auf der anderen Seite des Burghofs stehendes großes Gebäude, welches einer Kaserne geglichen hätte, wären die Bogenfenster nicht gewesen. Möglicherweise handelte es sich um die Unterkünfte für Familienmitglieder oder das Gesinde. Daneben erstreckte sich ein weiterer, länglicher Bau, vermutlich der Palas.

Zusätzlich zur Küche gab es Stallungen und andere Gebäude, anscheinend Zeughäuser, sowie eine Waffenkammer. Riona nahm an, dass noch weitere Bauten vorhanden waren, die man jedoch nicht sehen konnte und in denen wahrscheinlich die Gäste untergebracht werden sollten.

Vielleicht, so überlegte sie, guckt Sir Nicholas ja gerade aus einem der Fenster im ersten Geschoss des Wohnquartiers, schaut dem Treiben zu und lacht sich eins ins Fäustchen, weil so viele gekommen sind. Wahrscheinlich ergötzt er sich an der Beflissenheit derer, denen so sehr daran gelegen ist, dass eine Kandidatin aus ihrer Familie seinen Gefallen findet!

Womöglich aber befand er sich auch in seiner Kemenate und zerbrach sich gerade den Kopf darüber, wie er die notwendige Verpflegung für diesen Menschenauflauf bezahlen und wo er die Gästeschar unterbringen sollte. Sich einen wettergegerbten, nicht übermäßig gewitzten Veteranen vorzustellen, der sich sorgenvoll den Schädel kratzte und über die richtigen Mengen an Proviant spekulierte, war zwar amüsant, allerdings wenig angebracht. Ganz offenbar war Sir Nicholas so reich, dass er sich gewiss nicht mit solch profanen Dingen abgab.

Oder er war zur Jagd, um dem Trubel rechtzeitig zu entfliehen, bis alles geregelt war! Dann konnte er nämlich in einer Traube aus stampfenden Hufen, klirrenden Waffen und flatternden Umhängen in seine Burg einreiten wie ein strahlender Held beim Triumphzug.

Nun, so überlegte Riona, zumindest würde es eine Person auf Dunkeathe Castle geben, die nicht mit Ehrfurcht und Entzücken reagieren würde – obschon sie einräumen musste, dass sie doch ein klein wenig neugierig war auf den Mann, der einer möglichen Heirat wegen einen solchen Rummel riskierte. Vielleicht war er ja doch eine ausgezeichnete Partie, was die so zahlreich Angereisten vermuten ließen!

Welche der Damen ihn wohl gewinnen würde? Jene dort drüben, die gerade aus dem blau bemalten Wagen stieg? Es hätte Riona gewundert, wenn die jünger gewesen wäre als sie selbst. Die Brünette, die soeben den Burgsaal betrat? Auch die war zwar edel gewandet, wirkte aber alles andere als hoheitsvoll. Außerdem konnte Riona hören, wie sie während des ganzen Marsches über den Burghof in einem fort kicherte.

Eventuell die blutjunge, anmutige Dunkelhaarige auf dem Zelter? Die in dem wunderhübschen blauen Samtmantel mit Säumen aus Fuchspelz? Trotz ihrer teuren Kleidung wirkte sie verloren, einsam und mehr als nur ein wenig verängstigt. Auch sah sie nicht aus, als wäre sie älter als sechzehn.

Das arme Ding war möglicherweise gegen seinen Willen hier. Voller Mitgefühl bedachte Riona das Mädchen, als es gerade in ihre Richtung schaute, mit einem freundlichen Lächeln. Seine Augen weiteten sich voller Erstaunen. Nach wie vor lächelnd, hob Riona ratlos die Schultern, als wolle sie sagen: Ich weiß auch nicht, was ich hier zu suchen habe!

Die junge Frau erwiderte ihr Lächeln, bis der Galan im gelben Damast sich näherte und ihre Aufmerksamkeit erforderte. Er half ihr aus dem Sattel, und gemeinsam betraten sie den Palas.

Nachdem sie verschwunden waren, ließ Riona müßig den Blick über die Wagen und Menschen gleiten, die noch im Hof verblieben waren. Dabei fiel ihr ein Mann auf, den sie zuvor nicht bemerkt hatte. An die Stallwand gelehnt, beobachtete er genau wie sie das Treiben auf dem Burghof.

Ein Edelmann konnte er nicht sein, denn er trug bloß ein Lederwams ohne ein Hemd darunter, so dass Arme und Brust entblößt waren. Seine übrige Kleidung war ebenso schlicht und unscheinbar: braune wollene Breeches, ein breiter Gürtel mit Bronzeschnalle und abgewetzte Lederstiefel. Die Art und Weise, wie die hautengen Beinkleider sich um die Schenkel spannten, ließ erkennen, dass nicht nur seine Arme muskelbepackt waren. Seine hageren, dunklen Züge verrieten den reifen Mann in den allerbesten Jahren.

Wahrscheinlich, so ihre Vermutung, war er ein Soldat, der gerade dienstfrei hatte und auf Befehle wartete oder auf einen Vorgesetzten, der sie erteilte. Sogar ein Schotte konnte er sein, denn obgleich er die Kleidung der Männer aus dem Süden trug, fiel ihm das dunkelbraune Haar bis auf die Schultern – ganz anders als bei den Normannen.

Seine reglose Gespanntheit gemahnte sie an eine Katze. Sie hatte einmal einen Kater gekannt, welcher bewegungslos und ohne einen Mucks einen ganzen Morgen lang vor einem Mauseloch lauerte und darauf wartete, dass die Maus sich zeigte. Riona zweifelte nicht, dass dieser Mann mit derselben Geduld auf seine Beute warten konnte. Anscheinend besoldete Sir Nicholas seine Truppe gut, denn ein Kämpfer von diesem Format verdingte sich ganz gewiss nicht billig.

Eine der Mägde, eine hübsche Kleine mit einem Muttermal auf dem Busenansatz, eilte vorbei. Der Mann blickte in ihre Richtung, was an sich wenig überraschend war. Verwunderlich war indes die Reaktion der hübschen Magd. Statt kokett zu lächeln wie bei Begegnungen mit anderen Männern, sowohl Edelleuten als auch Knechten, verhielt sie sich plötzlich argwöhnisch, wenn nicht gar bang. Sie beschleunigte ihre ohnehin schnellen Schritte und hastete regelrecht an Riona vorüber.

Der Blick des Dunkelhaarigen folgte der Magd – bis er dem von Riona begegnete.

Ihr war, als würde sie auf dem Boden festgenagelt und in aller Seelenruhe gemustert. Niemals war sie Gegenstand einer solch eindringlichen Besichtigung gewesen! Nie zuvor hatte der Blick eines Mannes sie derart bestürzt und verlegen gemacht.

Unverzüglich schlug sie die Augen nieder. Im nächsten Moment jedoch bereute sie schon, dass sie sich hatte einschüchtern lassen, und mahnte sich, nicht so albern zu sein. Warum sollte sie ihm nicht geradeheraus ins Gesicht sehen? Schließlich war sie ja keine Magd oder irgendeine Gehilfin! Er hatte ihr nichts zu befehlen!

Mutig hob Riona den Blick und wich seiner beharrlichen Musterung nicht aus, entschlossen, ihn so lange anzustarren, bis er als Erster wegschaute. Beider Blicke begegneten sich und hielten einander fest.

Langsam hob der Dunkelhaarige eine Augenbraue.

Glaubte er etwa, er könne sie mit diesem wortlosen Verhör zum Wegschauen bewegen? Bildete er sich ein, sie würde ihm den Sieg in diesem seltsamen kleinen Spiel gönnen? Niemals!

Gemächlich zog auch sie ihre Augenbraue hoch.

Jetzt bog sich bei ihm die andere, woraufhin sie seinem Beispiel folgte.

Langsam breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.

Riona lächelte gleichfalls.

Den Blick unverwandt auf Riona gerichtet, ließ der Mann die Arme sinken. Dann stieß er sich von der Stallwand ab und schlenderte auf sie zu.

2. KAPITEL

Kommt er etwa auf mich zu? Bei allen Heiligen – was würde er wohl sagen? Oder tun? Vielleicht gar ein unanständiges Angebot machen?

Rionas Atem ging schneller, während sie sich einredete, sie werde ihn schon lehren, dass sie eine ehrbare und tugendhafte Dame sei und keine Dienstmagd, vor der er sich Unverschämtheiten herausnehmen konnte. Außerdem, so mahnte sie sich, als er mit jenem gemächlichen, aber zielbewussten Gang auf sie zusteuerte, brauchst du nicht rot zu werden wie eine verdatterte Jungfer!

Wenn du aufhörst, ihn anzustarren, ist er vielleicht zufrieden und lässt dich in Ruhe!

„He, du da!“ ertönte plötzlich gebieterisch eine Frauenstimme.

Der Soldat hielt inne, und sowohl er als auch Riona wandten sich dem Wagen zu, von welchem die Stimme herüberschallte.

Über dem Gefährt prangte eine bemalte Plane aus Segeltuch. Am Wagenheck befand sich ein zeltähnlicher Einlass, dessen Seitenklappen gerade von einer rotwangigen Zofe mittleren Alters beiseite geschlagen wurden. Sie trug ein Kleid aus brauner Wolle sowie ein weißes Kopftuch dazu. Neben der Zofe saß eine blasse junge Frau mit blondem Haar und einem hauchdünnen Schleier aus weißer Seide, gehalten von einem schmalen goldenen Diadem. Ihr Hals war lang und schlank, das rechtwinklig dekolletierte Mieder ihres dunkelgrünen Seidengewandes mit Goldfäden bestickt. Was ihr Gesicht betraf, so hätte man es für sehr schön halten mögen, wären da nicht ihre rubinroten Lippen gewesen, die sich gerade verächtlich kräuselten.

„Jawohl, du!“ raunzte sie in affektiertem, hochmütigem Tonfall den Soldaten an. „Komm her!“

Er tat, wie ihm befohlen wurde.

Die reiche Schöne hob eine juwelengeschmückte Hand. „Lade das ab!“ befahl sie und wies auf ein benachbartes Gespann mit etlichen hölzernen Truhen und Kisten darauf. „Erkundige dich bei meinem Vater Lord Chesleigh, wohin sie gebracht werden sollen. Und gib Acht, dass du nichts zerbrichst! Sonst lasse ich dich auspeitschen!“

„Wie Ihr wünscht, Mylady“, antwortete der Dunkelhaarige, die Stimme sanft, tief und ebenso kraftvoll wie alles andere an ihm. Seinem Akzent nach konnte er kein gewöhnlicher Bauerntölpel sein und war auch wohl nie einer gewesen. Vielleicht handelte es sich um den Hauptmann der Burggarnison. Dennoch war es ein Rätsel, wieso sich ein Mann in dieser Position herablassen sollte, solch niedere Arbeiten zu verrichten.

Riona beobachtete weiter, wie er die über den Karren gespannten Stricke löste, welche die Ladung vor dem Herabstürzen sicherten. Eins nach dem anderen wuchtete er die Gepäckstücke vom Wagen und stellte sie akkurat auf dem Kopfsteinpflaster ab, wobei sich seine Muskeln wölbten und das Wams sich über dem breiten Rücken straffte. Selbst nachdem er alles so gut wie erledigt hatte, war er kaum in Schweiß geraten.

Inzwischen war der ältere Edelmann, den Onkel Fergus anfangs fälschlicherweise für Sir Nicholas gehalten hatte, zu der im Wagen sitzenden jungen Dame getreten.

„Vorsicht mit denen da!“ schnarrte er überflüssigerweise den Soldaten an, um sich sodann der Lady zuzuwenden. „Ich muss gestehen, ich bin enttäuscht von unserem Gastgeber. Eigentlich müsste er uns persönlich begrüßen!“

„Ein Glück, dass er’s nicht tut, Vater!“ entgegnete sie. „Ich würde mir gern erst ein frisches Gewand anziehen, bevor ich ihm vorgestellt werde.“

„Man hat uns lediglich zwei kleine Kämmerchen zugewiesen“, grummelte der Edelmann.

„Sobald du erklärt hast, was uns dem Rang nach zusteht, wird er’s gewiss gern bereitstellen. Immerhin bist du Lord Chesleigh!“ stellte die junge Dame fest.

Mit diesen Worten reichte sie ihm die schlanke Hand, damit er ihr aus dem Wagen half. Die goldenen Ringe an ihren Fingern funkelten im Sonnenlicht. Sie erhob sich mit majestätischer Würde, musste sich aber, wegen des Segeltuchdaches halb gebückt, weit vorbeugen, um den Fuß auf den Schemel setzen zu können, den ein Diener ihr hastig als Absteigehilfe hingestellt hatte.

Selbst diese umständliche Prozedur bewältigte sie mit Anmut und Eleganz. Als sie sich aufrichtete, wallte ihr das Gewand in fließenden, weichen Falten um die schlanke Taille; die Sonnenstrahlen ließen die Goldstickereien aufleuchten, und der vergoldete Gürtel um ihre schmalen Hüften schimmerte. Das Kleid mit der noch freien Hand gerafft, zeigte sie einen zierlichen Lederhalbschuh, ehe sie endlich festen Boden betrat. Fast mutete es wie ein Wunder an, dass sie sich dazu herabließ, über etwas so Gewöhnliches wie Kopfsteinpflaster zu schweben.

Lord Chesleigh wandte sich an den Soldaten. „Frag bei Martleby nach, wohin das Gepäck von Lord Chesleigh und seiner Tochter gebracht werden soll. Dann sorg dafür, dass es auch dorthin befördert wird!“

„Jawohl, mein Herr!“

Chesleigh musterte sein Gegenüber mit herrischem Blick. „Und spute dich gefälligst!“

Mit diesem Befehl ließ der normannische Lord den Mann im Lederwams stehen, als fürchte er, er könne sein feines Tuch beschmutzen, falls er ihm näher kam als drei Fuß. Seine Tochter folgte ihm hinterdrein, wenn auch mit etwas graziöseren Schritten.

Statt sich jedoch der Kisten und Koffer anzunehmen oder Hilfe herbeizurufen, drehte der Soldat sich um und ging auf Riona zu.

Sie bemühte sich, nicht vor Schreck zusammenzuzucken und sich keinesfalls anmerken zu lassen, dass sie eventuell entsetzt war. Und aufgeregt. Wozu keinerlei Anlass bestand. Stattdessen nahm sie sich vor, mit der gebotenen Würde zu erklären, dass er keine Dienstmagd vor sich hatte und auch keine Marketenderin, die Handelsware feilzubieten gedachte.

Ungefähr einen Fuß vor ihrem Karren blieb er stehen und betrachtete sie unbeirrt mit dunklen, undurchdringlichen Augen. Abermals war ihr, als sei sie von ihm und diesem Blick gefangen – ein Gefühl, welches ihr eigentlich unangenehm hätte sein müssen. Das aber war es nicht. Es war vielmehr … erregend.

„Möchtet auch Ihr, dass ich Euch beim Gepäckabladen helfe?“ fragte er mit jener tiefen, leicht heiseren Stimme, die ihre eigenen Versuchungen zu bieten schien und mehr als eine schlichte Frage ausdrückte.

Bei allen Heiligen Schottlands – was ist bloß in mich gefahren?

Ehe Riona überhaupt irgendeine Antwort geben konnte, wurden beide durch eine Bewegung auf dem Mauergang über ihnen abgelenkt, so dass sie zu der dort patrouillierenden Wache emporschauten. Mit einem Gesichtsausdruck, der beinahe an Panik grenzte, guckte der Posten auf den Dunkelhaarigen herunter und nahm schlagartig zackige Habachtstellung ein. Ebenso augenblicklich ging es Riona auf, dass der vor ihr Stehende kaum ein einfacher Soldat sein konnte.

Ein verhältnismäßig junger und stattlicher Mann, der den Eindruck machte, als sei er geübt im Waffenhandwerk und im Gefecht, und den offenbar das ganze Gesinde fürchtete …

Natürlich!

„Nein danke, Sir Nicholas“, erwiderte sie ohne eine Spur von Neugierde oder Verwirrung. „Ich bin überzeugt, Ihr habt mancherlei andere Dinge zu tun.“

Seine Miene verdüsterte sich. „Fürwahr, das habe ich.“

„Dann lasst Euch bitte nicht durch Plaudereien mit mir aufhalten. Mein Onkel und ich können uns allein um unser Gepäck kümmern.“

Der Mann, der ihrer nunmehr festen Überzeugung nach Sir Nicholas of Dunkeathe war, verneigte sich förmlich, machte dann auf dem Absatz kehrt und schritt davon. Riona blieb zurück und grübelte darüber nach, wieso ein normannischer Edelmann so tat, als sei er keiner.

Kurz darauf stand der Herr von Dunkeathe am Bogenfenster seines Gemachs und blickte hinaus über den Burghof, der mittlerweile von Fuhrwerken, Pferden und Gästen fast geräumt war.

Die Kammer war so schmucklos wie der Mann selber, das Mobiliar schlicht und unscheinbar, der Fußboden unbedeckt. Keinerlei Gobelins zierten die glatten Steinmauern. An der Wand lehnte eine unbemalte, mit Lederscharnieren und Bronzeschloss ausgerüstete Holztruhe, in welcher die Schriftrollen mit der Erfassung des zu erhebenden Zehnten sowie die Übertragungsurkunde des Lehens aufbewahrt wurden. Auf einem Tisch neben der Türe standen die einzigen Gegenstände von Schönheit: eine silberne Karaffe sowie zwei fein gearbeitete Silberkelche.

Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, beobachtete Sir Nicholas die junge Frau, die entweder erraten hatte, wer er war, oder es auf anderem Wege herausbekommen haben musste. Inzwischen war sie zwar von dem altersschwachen Karren heruntergestiegen, aber keinen Schritt von der Stelle gewichen. Offenbar wartete sie immer noch auf ihre Herrschaft und eine Anweisung, wohin sie sich zu begeben habe.

„Eingetroffen sind zehn Ladys mitsamt ihrem hochwohlgeborenen Anhang, sechsundzwanzig Dienstboten und einhundertzehn Soldaten“, bemerkte sein Burgvogt Robert Martleby, der hinter ihm stand. „Das sind zwei Damen nebst Gefolge mehr, als wir erwartet hatten.“

Zu welcher edlen Herrschaft mochte die junge Frau mit den strahlenden Augen und dem braunen Haar wohl gehören? Das hätte Nicholas gern gewusst. Eine Magd von diesem Beckmesser Lord Chesleigh sowie dessen schöner Tochter war sie nicht, denn die hätten sie sofort dafür gezüchtigt, dass sie sich von einem Unbekannten ansprechen ließ.

Ihm gegenüber hatte sie eine erstaunliche und verwegen anmutende Dreistigkeit an den Tag gelegt und sich auf eine Weise verhalten, die sich nur wenige weibliche Wesen zutrauten, Dienstboten erst recht nicht. Ihre kühne und aufreizende Art hatte in ihm den Wunsch geweckt, sie kurzerhand in sein Bett einzuladen. Ihre hellen, funkelnden Augen versprachen ganz offenbar Leidenschaft, Begierde und Erregung.

Natürlich hätte er es nicht getan. Nie im Leben hatte er eine Dienstmagd verführt. Und jetzt, da er ja um eine Braut werben sollte, kam dies auf keinen Fall infrage.

Robert Martleby hüstelte verlegen, um seinen Herrn darauf aufmerksam zu machen, dass er noch da war. Also richtete Nicholas notgedrungen sein Augenmerk wieder auf die zu besprechende Angelegenheit und wandte sich seinem Verwalter zu. „Ungeachtet der unerwarteten Anzahl – hast du dafür Sorge getragen, dass sämtliche Gäste mit ihrem Gesinde und ihren Eskorten untergebracht sind?“

„Jawohl, Mylord. Für eine Reihe Soldaten mussten wir allerdings im Wirtschaftshof Zelte aufschlagen. Ich habe einige von unseren Leuten hinzubefohlen, damit keine Klagen kommen wegen schlechter Behandlung. Außerdem werden sie ein Auge auf die Fremden haben.“

Nicholas nickte beifällig. „Für Lord Chesleigh und seine Tochter wirst du ein geräumigeres Quartier ausfindig machen müssen. Die zugewiesenen sind ihm zu beengt.“

Stirnrunzelnd überflog der Burgvogt die Liste, die er in der Hand hielt.

„Stellt das ein Problem dar?“

„Vielleicht kann er mit Sir Percival de Surlepont die Unterkunft tauschen.“

„Wodurch Sir Percivals Kammer direkt neben meinem Schlafgemach läge?“

„Richtig, Mylord.“

„Dann lass den Tausch also durchführen, und tu so, als habe es sich um ein Versehen gehandelt, das korrigiert werden musste. Für Percival muss es sich so anhören, als sei es keine Zumutung oder die Folge einer Beschwerde, sondern eine besondere Ehre!“

„Sehr wohl.“

„Wen hat Percival mitgebracht?“

Robert warf einen Blick auf sein Täfelchen. „Seine Cousine, Lady Eleanor.“ Er schaute auf und sah Nicholas an. „Allem Anschein nach ist er ihr nächster männlicher Verwandter.“

„Und wie ist sie?“

„Hübsch und bescheiden.“

Nicholas erinnerte sich zwar an die jungen Damen im Schlosshof, konnte sich freilich an keine besondere entsinnen. Bei den einzigen zwei weiblichen Wesen, die ihm noch gegenwärtig waren, handelte es sich um die furchtlose Magd und die dünkelhafte Tochter von Lord Chesleigh. „Wie alt ist diese Lady Eleanor?“

„Siebzehn.“

Er wollte kein Mädchen, sondern eine gestandene Frau zur Gattin, die in der Lage war, die Führung des Haushaltes zu übernehmen und Verantwortung zu tragen. Auch stand ihm nicht der Sinn danach, seine Hochzeitsnacht mit einer verschüchterten, verängstigten Braut zu verbringen. Jene kecke, helläugige Magd mit dem dichten, über den Rücken fallenden Zopf und den kleinen widerspenstigen Strähnen, die ihr vorwitzig in die kluge Stirn fielen, würde bestimmt nicht verschüchtert sein! Ganz warm wurde ihm, als er sich ausmalte, wie sie wohl reagieren würde, wenn er sie in die Arme schloss und ihren Mund mit dem seinen eroberte.

„Sir Percival versicherte mir, dass ihre Mitgift nicht unbeträchtlich ausfallen würde, Mylord.“

Abermals musste Nicholas sich zusammenreißen und sich jenes Dienstmädchen aus dem Kopfe schlagen. „Wie man hört, soll die Familie ziemlich begütert sein.“

„Genau, Mylord, so ist es. Und eine umfangreiche Mitgift käme uns bei der Lösung einiger Probleme außerordentlich gele…“ Angesichts der missvergnügten Miene seines Herrn errötete Robert und ließ den Satz unvollendet.

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