Dezembernacht mit dem sexy Boss

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Fassungslos sieht Sam Henry, wer über die Weihnachtstage seine Haushälterin sein soll: eine schöne junge Frau mit verboten viel Sex-Appeal! Joy Curran macht sich zusammen mit ihrer süßen Tochter daran, sein Haus zu schmücken und ein romantisches Fest der Liebe vorzubereiten. All das erinnert den Künstler an seinen größten Verlust, dessentwegen er zurückgezogen in den Bergen lebt. Doch warum brennt Sam insgeheim vor Verlangen, Joy zufällig in einer kalten Dezembernacht unterm Mistelzweig zu treffen und sie heiß und lustvoll zu küssen?


  • Erscheinungstag 29.10.2019
  • Bandnummer 2104
  • ISBN / Artikelnummer 9783733725440
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Sam Henry hasste den Dezember.

Die Tage waren so kurz, dass sich die Nächte wie eine Ewigkeit hinzogen. Es war kalt und dunkel. Und dann der ganze Weihnachtstrubel mit seinen Lichtern, Bäumen und Weihnachtsliedern. Jegliche Erinnerung an die Feiertage zerfraß sein Herz und seine Seele wie Säure.

Er starrte finster in das lodernde Feuer im Kamin und fuhr mit den Fingern über das polierte Kaminsims. Wie gern würde er den Monat Dezember aus dem Kalender streichen.

„Sie können nicht den Kopf in den Schnee stecken und so tun, als würde Weihnachten nicht stattfinden.“

Sam warf der Frau in der offenen Tür einen Blick zu.

Kaye Porter, seine Haushälterin/Köchin/Nervensäge, starrte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Ihr dichtes, mit grauen Strähnen durchzogenes Haar war über einer Schulter zu einem Zopf geflochten. Kopfschüttelnd stemmte sie die Hände in die Hüften. „Dafür liegt eh nicht genug Schnee, und Weihnachten kommt, ob Sie es wollen oder nicht.“

„Es kommt nur, wenn ich es zulasse“, erwiderte Sam.

„Tja, versuchen Sie es, ich bin ab morgen weg.“

„Ich gebe Ihnen eine Gehaltserhöhung, wenn Sie Ihre Reise absagen.“

Sie lachte kurz auf. „Keine Chance. Meine Freundin Ruthie und ich machen das jedes Jahr, das wissen Sie sehr gut. Unsere Zimmer sind gebucht, und wir werden auf keinen Fall stornieren.“

Natürlich hatte er es gewusst – aber nicht daran denken wollen. Noch ein Grund, den Dezember zu hassen. Jedes Jahr fuhren Kaye und Ruthie einen Monat lang in Urlaub. Eine Kreuzfahrt auf die Bahamas, dann ein Aufenthalt in einem pompösen Strandhotel, gefolgt von einer weiteren Kreuzfahrt nach Hause. Kaye behauptete, es sei eine Therapie für sie, die sie brauche, um den Rest des Jahres das Leben mit einem Miesepeter wie ihm zu ertragen.

„Wenn Sie Weihnachten so sehr lieben, warum verbringen Sie es dann jedes Jahr am Strand?“

Sie seufzte schwer. „Wissen Sie, Weihnachten findet überall statt. Auch an heißen, sandigen Orten. Wir kaufen uns Bäumchen für unsere Zimmer und dekorieren sie. Und die Hotels beleuchten die ganzen Palmen. Es ist wunderschön.“

„Na gut.“ Sam stieß sich vom Kamin ab und steckte die Hände in die Hosentaschen seiner Jeans. Jedes Jahr versuchte er sie umzustimmen, und jedes Jahr verlor er. „Soll ich Sie zum Flughafen bringen?“, fragte er resigniert.

Kaye lächelte. „Nein, aber danke. Ruthie holt mich morgen früh ab. Sie lässt ihren Wagen am Flughafen, also kommen wir auch wieder zurück.“

„Okay.“ Sam atmete tief ein. „Schöne Reise“, murmelte er.

„Der Enthusiasmus in Ihrem Wunsch ist nur einer der Gründe, warum ich diese Reise brauche. Sie machen mir Sorgen, Sam. Sich auf diesem Berg einzuschließen und mit kaum jemandem außer mir zu reden …“

Sam hatte das schon tausendmal gehört. Kaye wollte unbedingt, dass er wieder „anfing zu leben“. Es schien ihr egal zu sein, dass er kein Interesse daran hatte. Während sie weiterredete, sah er sich in dem größten Zimmer des Hauses um, das Kaye gern sein „persönliches Gefängnis“ nannte.

Das Haus war ein Blockhaus. Das Holz hatte die Farbe von warmem Honig. Dank der großzügigen Verglasung hatte man aus jedem Fenster einen atemraubenden Ausblick. Das Haus war von Kiefernwäldern umgeben, davor lag ein breiter privater See mit einem schmalen Strand. Es hatte eine riesige Garage und mehrere Außengebäude einschließlich einer nach Sams Vorgaben ausgestatteten Werkstatt, in die er sich in diesem Moment sehnlichst wünschte.

Dieses Haus, diese Zuflucht, war genau das, was er gesucht hatte, als er vor fünf Jahren nach Idaho gekommen war. Es lag abgeschieden, und die nächste Kleinstadt war fünfzehn Minuten entfernt. In einstündiger Entfernung gab es eine Großstadt mit Flughafen und jeder Art von Zerstreuung. Nicht dass er jemals dort hinfuhr. Kaye holte alles für ihn aus Franklin. Er selbst war kaum in der Stadt.

Der einzige Zweck seines Umzugs hierher war gewesen, Ruhe zu finden. Frieden. Einsamkeit. Manchmal redete er wochenlang mit niemandem außer Kaye.

„Jedenfalls“, sagte sie gerade, „kommt meine Freundin Joy morgen gegen zehn, um meine Vertretung zu übernehmen.“

Er nickte. Wenigstens hatte Kaye wie immer dafür gesorgt, dass eine ihrer Freundinnen sie während ihres Urlaubsmonats vertrat. Sam würde sich nicht mit Kochen, Putzen oder sonst etwas herumschlagen, sondern nur auf Abstand von der Vertretung bleiben müssen.

Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich werde sie doch wohl nicht dabei erwischen, wie sie meinen Schreibtisch durchstöbert, oder?“

Kaye zuckte zusammen. „Betty war eine schlechte Wahl.“

Er gab ihr recht. Betty war nett gewesen, hatte ihre Nase aber in alles gesteckt, was sie nur finden konnte. Nach einer Woche hatte Sam sie nach Hause geschickt und sich die restlichen drei Wochen von Grillkäsetoast, Dosensuppen und Tiefkühlpizza ernährt.

„Ja, das würde ich auch sagen.“

„Äh, tja.“ Kaye räusperte sich. „Das war mein Fehler, ich weiß. Aber meine Freundin Joy ist keine Schnüfflerin. Sie werden sie mögen.“

„Ist nicht nötig“, versicherte er ihr. Er wollte Joy nicht mögen. Zur Hölle, er wollte nicht einmal mit ihr reden, wenn es sich vermeiden ließ.

„Natürlich nicht.“ Kaye schüttelte den Kopf und warf ihm einen Blick zu, wie eine Lehrerin ihn für das aufsässigste Kind der Klasse übrighatte. „Werden Sie nur nicht menschlich oder so. Könnte ein schlimmer Präzedenzfall werden.“

„Kaye.“

Sie arbeitete für ihn, seit er hierhergezogen war. Und seitdem mischte sie sich weit mehr in sein Leben ein, als er es eigentlich zulassen wollte. Unglücklicherweise kümmerte sie sich nicht nur um sein Haus, sondern auch um ihn. Aber Kaye war einfach eine Naturgewalt, und ihre Freundinnen schienen ihr in dieser Hinsicht sehr zu ähneln.

„Schon gut. Also, Joy weiß bereits, dass Sie ein Griesgram sind und in Ruhe gelassen werden möchten.“

Er runzelte die Stirn. „Schönen Dank.“

„Habe ich etwa unrecht?“ Als er nicht antwortete, nickte sie. „Sie ist eine gute Köchin und hat ihr eigenes Internetunternehmen.“

„Das haben Sie mir alles schon erzählt“, bemerkte er. Nur nicht, welche Art von Unternehmen die unglaubliche Joy betrieb. Was konnte eine Frau um die fünfzig oder sechzig schon online anbieten? Strickunterricht? Babysitting? Hundesitting? Seine Mutter verkaufte handgenähte Kleider im Internet.

„Ich weiß, ich weiß“, wiegelte Kaye ab. „Sie wird Ihnen aus dem Weg gehen, weil sie den Job hier braucht. Der Brandschaden in ihrem Haus ist nicht vor Januar beseitigt. Also ist das hier ein Gottesgeschenk für sie.“

„Auch das haben Sie mir schon erzählt.“ Tatsächlich hatte er bereits mehr als genug über Joy, die Wunderfreundin, gehört. Laut Kaye war sie aufgeweckt, clever, arbeitete hart, hatte einen tollen Sinn für Humor und konnte fast alles, außer über Wasser zu gehen.

„Wie ist das Feuer in ihrem Haus noch mal ausgebrochen? Ist sie eine Brandstifterin? Eine schreckliche Köchin, die ihren eigenen Herd angezündet hat?“

„Natürlich nicht!“, schnaubte Kaye und straffte sich. „Es gab einen Kurzschluss. Das Haus, das sie gemietet hat, ist einfach uralt. Der Besitzer lässt gerade die ganze Elektrik erneuern. Danach sollte es wieder sicher sein.“

„Da bin ich aber beruhigt.“ Offensichtlich musste er keine Angst haben, dass Kayes Freundin so alt war, dass sie vergaß, Öfen oder Ähnliches auszuschalten.

„Ich versuche nur, Ihnen zu versichern, dass Sie den Monat Dezember überleben werden, wie jedes Jahr.“ Sie lächelte ihn verständnisvoll an.

Bei ihrem kurzen Anflug von Mitleid presste Sam die Zähne zusammen. Das war das Problem mit den Menschen, die zu viel über ihn wussten. Sie glaubten, das Recht zu haben, ihm Trost zu spenden, obwohl er es weder wünschte noch nötig hatte. Sam hatte Kaye gern, aber es gab Bereiche seines Lebens, die verschlossen bleiben sollten. Aus gutem Grund.

Er würde auf seine Art durch die Feiertage kommen. Was bedeutete, dass er die endlose Abfolge erzwungen fröhlicher Weihnachtsfilme meiden würde, in denen der hartherzige Held sich um hundertachtzig Grad drehte und sich der Liebe und dem Geist der Weihnacht öffnete.

Herzen sollten niemals offen sein. Es machte sie zu verletzlich und konnte sie zerbrechen.

Für diese Art Schmerz würde er sich nie wieder öffnen.

Nachdem Kaye am nächsten Morgen abgereist war, brachen die Leere und die Stille über Sam herein. Er sagte sich, dass er es so am liebsten hatte. Niemand, der ihn störte. Niemand, der ihn ansprach. Kaye und er kamen so gut miteinander aus, weil sie sein Ruhebedürfnis respektierte. Warum also fühlte er jetzt, wo er in diesem großen Haus allein war, wie ein Kribbeln seine Wirbelsäule hinaufkroch?

„Es ist Dezember“, murmelte er laut. Das reichte, um das Gefühl von Unbehagen zu erklären, das an ihm nagte.

Jedes Jahr machte dieser verdammte Monat sein Leben fast unerträglich. Sam fuhr sich durchs Haar und strich dann über seine Bartstoppeln. Er kam einfach nicht zur Ruhe. Er ging nicht einmal in die Werkstatt, obwohl die Arbeit dort ihn beruhigte und zu beschäftigt hielt, um an …

Bei dem Gedanken trat er innerlich sofort auf die Bremse. Er konnte es nicht riskieren, Türen zu öffnen, die besser verschlossen blieben.

Finster starrte er aus dem vorderen Fenster in die kalte, dunkle Landschaft. Die stahlgrauen Wolken hingen so tief, dass es aussah, als würden sie die Spitzen der Kiefern streifen. Der See, im Sommer von strahlendem Saphirblau, lag vor ihm wie eine Schicht gefrorener Zinn. Die ganze verdammte Welt wirkte so öde und bitter, dass sie nur noch verschlimmerte, was er sowieso jede verdammte Minute fühlte.

Erinnerungen drängten an die Oberfläche, aber wie immer schob er sie weg. Er hatte zu lange und zu hart daran gearbeitet, über seine Vergangenheit hinwegzukommen, zu leben und zu atmen und, zur Hölle, zu überleben, um all das jetzt aufzugeben. Er hatte seine Dämonen bekämpft und wollte verdammt sein, wenn er sie lange genug herausließ, dass sie ihn fertigmachen konnten. Sein Entschluss stand fest.

Sam runzelte die Stirn, als ein alter, blauer Viertürer in seine Einfahrt einbog und vor dem Haus anhielt. Einen Moment lang dachte er, Kayes Freundin Joy würde eintreffen. Dann stieg die Fahrerin aus, und der Gedanke verpuffte.

Sie war viel zu jung. Alle anderen Frauen waren in Kayes Alter oder älter gewesen. Diese Frau schätzte er auf Ende zwanzig. Sie drehte den Kopf, um sich das Haus anzusehen. Sam warf nur einen Blick auf sie und wurde von einer Lust übermannt, die ihm den Atem raubte. Alles in ihm zog sich zusammen, während er die Frau beobachtete. Er konnte nicht den Blick von ihr abwenden, während sie dastand und das Haus musterte. Sie war wie ein Sonnenstrahl an diesem grauen Tag.

Ihr kurzes, gelocktes Haar war hellblond. Der scharfe Wind blies es ihr ums Gesicht und färbte ihre Wangen rosig. Der Blick ihrer blauen Augen blieb an dem Haus hängen, selbst als sie um das Auto herumlief. Sie hatte schwarze Jeans an, die lange Beine umschlossen, und abgetragene Wanderstiefel. Der purpurrote Parka, den sie über einem cremefarbenen Pullover trug, wirkte wie eine Farbexplosion in einer schwarz-weißen Welt.

Sie war wunderschön und bewegte sich mit dieser mühelosen Grazie, die Männer dazu brachte, jede ihrer Bewegungen zu verfolgen. Sam ärgerte sich über seine Feststellung. Er war nicht an Frauen interessiert. Und wollte nicht fühlen, was sie ihn fühlen ließ. Er musste herausfinden, was zur Hölle sie hier wollte, und sie so schnell wie möglich loswerden.

Sie musste sich verfahren haben. Seine Einfahrt war – absichtlich – nicht leicht zu finden. Er bekam selten Besuch, hauptsächlich von seiner Familie, wenn er seine Eltern oder seine Schwester nicht länger abwehren konnte. Wenn die Frau sich verirrt hatte, sollte er ihr gleich den Weg zurück in die Stadt beschreiben und sich dann wieder mit … womit auch immer beschäftigen.

„Verdammt“, entschlüpfte es ihm, als sie eine der hinteren Wagentüren öffnete und ein kleines Mädchen heraussprang. Die Begeisterung auf dem Gesicht der Kleinen war für Sam wie ein Dolchstoß ins Herz. Er schnappte nach Luft und zwang sich wegzusehen. Er beschäftigte sich nicht mit Kindern. Schon seit Langem nicht mehr. Ihre Stimmen. Ihr Lachen. Sie waren zu klein. Zu verletzlich.

Zu zerbrechlich.

Dunkelheit breitete sich mitten in seiner Brust aus. Er wandte sich vom Fenster ab und lief Richtung Haustür. Je früher er diese wunderschöne Frau und ihr Kind loswurde, desto besser.

„Das ist ein Feenschloss, Mami!“

Joy Curran warf einen Blick auf ihre Tochter, deren Gesicht vor Freude leuchtete. Mit ihren fünf Jahren war Holly gerade verrückt nach Prinzessinnen, Feen – und Magie, die sie in allem zu sehen glaubte.

Lächelnd sah Joy von ihrer Tochter zu dem großen Haus. In diesem Fall musste sie Holly recht geben. Es sah wirklich wie ein Schloss aus.

Das zweigeschossige Gebäude war umgeben von Kiefern, die wie Wachtposten zu seiner Verteidigung wirkten, aber die großzügigen Fenster erlaubten hie und da einen Blick ins Innere. Auf der umlaufenden Veranda standen Stühle und Liegen, die Besucher zum Hinsetzen einluden. Vor dem Haus lag ein See, ein langer Steg ragte in das jetzt zugefrorene Wasser. Es gab ein Sonnendeck mit Möbeln, die für den Winter mit Planen zugedeckt worden waren, und eine Feuerstelle.

Während die Kleine mit fliegenden Zöpfen auf und ab hüpfte, schnappte Joy sich ihre Handtasche und ging auf die Haustür zu. Kälte umfing sie und ließ sie zittern. Es hatte noch nicht viel Schnee gegeben, aber die Kälte drang bis in ihre Knochen. Die Kiefern waren alle grün, aber das Gras war braun und hie und da von Schneeflecken bedeckt. Holly hoffte immer noch, Schneeengel und Schneemänner machen zu können, aber bisher hatte Mutter Natur nicht mitgespielt.

Das majestätische Haus sah aus, als wäre es aus dem ihm umgebenden Wald gewachsen. Es war wunderschön, wenn auch ein bisschen furchteinflößend. Und nach allem, was Joy gehört hatte, traf das auch auf den Mann zu, der hier lebte. Kaye hatte zwar einen Narren an ihm gefressen, aber sie nahm ja auch alles an streunenden Hunden, Katzen und verwundeten Vögeln auf, was ihr über den Weg lief. In der Stadt kursierten allerdings jede Menge Gerüchte über Sam Henry.

Joy wusste, dass er Maler gewesen war. Sie hatte ein paar seiner Gemälde online angesehen, angesichts derer sie ihn als warmherzig, optimistisch und, tja, nett eingeschätzt hätte. Laut Kaye war er jedoch still und lebte zurückgezogen wie ein Einsiedler. Kaye glaubte, dass Einsamkeit dahinter steckte, aber Joys Meinung nach musste man einfach unter Leute gehen, wenn man nicht einsam sein wollte. Sam Henry wurde so selten in der Stadt gesehen, dass sein Auftauchen einer Bigfoot-Sichtung gleichkam. Sie selbst hatte nur hin und wieder einen Blick auf ihn erhaschen können.

Doch all das spielte jetzt keine Rolle. Sie und Holly brauchten den kommenden Monat über eine Bleibe, und dieser Job als Haushälterin/Köchin/Reinigungskraft hatte sich genau zur rechten Zeit ergeben. Sie nahm Holly bei der Hand und ging auf die Tür zu, während ihre Tochter neben ihr her hüpfte und über Prinzessinnen und Schlösser plapperte.

Eine Sekunde lang beneidete Joy sie um ihre einfache Sicht auf das Leben. Für die Kleine war es ein Abenteuer in einem magischen Schloss. Für Joy bedeutete es, in ein großes, abgeschiedenes Haus zu einem geheimnisumwobenen und – laut Kaye – griesgrämigen Mann zu ziehen. Gut, Kaye lebte hier ständig und das seit Jahren. Also würde sie selbst wohl einen Monat überstehen. Sie setzte ein Lächeln auf, trat auf die Veranda und klopfte an der Doppeltür.

Sie lächelte immer noch, als kurz darauf die Tür aufgerissen wurde und sie in ein Paar argwöhnisch blickender, brauner Augen sah. Die überraschende Anziehungskraft, die der Mann auf sie ausübte, traf Joy mit voller Wucht. Sein dichtes Haar war lang und reichte bis über den Kragen seines dunkelroten Hemdes. Es bewegte sich leicht, als eine kalte Windböe hindurchfuhr. Ein Backenbart bedeckte seine Wangen, und sein Mund war zu einem schmalen Strich verzogen.

Der Mann war groß, hatte breite Schultern, schmale Hüften und lange Beine, die in einer abgetragenen Jeans steckten. Ohne die zusammengekniffenen Augen und den grimmigen Gesichtsausdruck hätte er leicht der Hauptdarsteller in einer von Joys persönlichen Fantasien sein können. Dann sprach er, und die besagten Fantasien verblassten.

„Das hier ist Privatbesitz.“ Seine Stimme war eher ein Knurren. „Wenn Sie in die Stadt wollen, fahren Sie zurück zur Hauptstraße und dann nach links. Bleiben Sie auf der Straße, dann sind Sie in zwanzig Minuten da.“

Na, das fing ja gut an!

„Herzlichen Dank.“ Joy versuchte verzweifelt, ihr Lächeln und ihren Optimismus zu bewahren. „Aber ich habe mich nicht verfahren. Ich komme gerade aus der Stadt.“

Sein Stirnrunzeln vertiefte sich. „Warum sind Sie dann hier?“

„Ich freue mich auch, Sie kennenzulernen.“ Joy schob Holly ein Stück hinter sich. Nicht, dass sie Angst vor ihm hatte, aber sie wollte ihre Tochter nicht einem Mann aussetzen, der so aussah, als würde er ihnen lieber die Tür vor der Nase zuschlagen, als sie hereinzulassen.

„Ich wiederhole“, sagte er. „Wer sind Sie?“

„Ich bin Joy. Kayes Freundin?“ Eigentlich hatte sie es nicht als Frage gemeint.

„Sie scherzen.“ Seine Augen weiteten sich, als er sie schnell – aber gründlich – von Kopf bis Fuß musterte.

Sie wusste nicht, ob sie sich geschmeichelt oder beleidigt fühlen sollte. Aber als er seine abweisende Art beibehielt, entschied sie sich für beleidigt.

„Gibt es ein Problem?“, fragte sie. „Kaye sagte mir, dass Sie mich erwarten und …“

„Sie sind nicht alt.“

Sie blinzelte. „Vielen Dank für diese Feststellung. Sollte Kaye allerdings jemals hören, dass Sie sie alt nennen, wird das nicht gut für Sie ausgehen.“

„Das ist nicht …“ Er zögerte kurz. „Ich hatte eine Frau in Kayes Alter erwartet. Nicht jemanden wie Sie. Oder …“, er warf einen kurzen Blick auf Holly, „… ein Kind.“

Warum hatte Kaye ihm nichts von Holly gesagt? Besorgt überlegte Joy, ob er sich jetzt nicht mehr an seine Zusage halten würde. Doch sie würde ihn daran erinnern, dass er sein Wort gegeben hatte. Sie konnte nicht mehr zurück.

Joy atmete tief ein und ignorierte seinen kühlen Blick. „Tja, danke für diesen warmen Empfang. Hören Sie, es ist kalt hier draußen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gern hereinkommen und mich einrichten.“

Er schüttelte den Kopf und öffnete den Mund, aber Holly kam ihm zuvor.

„Bist du der Prinz?“ Sie trat hinter ihrer Mutter hervor, legte den Kopf schief und musterte ihn.

„Der was?“

Joy verkrampfte sich. Sie wollte Holly nicht den Mund verbieten … und war sich auch nicht sicher, ob sie es konnte. Aber sie würde sich sofort einmischen, wenn dieser feindselig wirkende Mann etwas sagte, das ihr nicht gefiel.

„Der Prinz“, wiederholte Holly. Bei dem winzigen Lispeln in ihrer Aussprache wurde Joy das Herz weich. „Prinzen wohnen in Schlössern.“

Joy bemerkte im Gesicht des Mannes einen kaum wahrnehmbaren Anflug von einem Lächeln, der sofort wieder verschwand. Trotzdem fühlte sie sich sofort besser.

„Nein.“ Seine Stimme klang plötzlich freundlicher. „Ich bin kein Prinz.“

Joy verkniff sich einen Kommentar. Angesichts des Blicks, den er ihr zuwarf, schien er nur darauf zu warten. Aber ihn noch mehr zu irritieren, würde sie und Holly nicht aus der Kälte und in dieses Haus bringen.

„Aber er sieht aus wie ein Prinz, oder, Mami?“

Ein Prinz mit lausigen Manieren. Ein Fürst der Finsternis allenfalls.

„Sicher, Liebling.“ Joy lächelte ihre Tochter an und trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Wann durften sie endlich ins Schloss?

Doch der Mann stand immer noch in der Tür, ohne sich zu rühren. Sie versuchte es mit Vernunft. „Hören Sie, es tut mir leid, dass wir nicht das sind, was Sie erwartet haben. Aber hier sind wir. Kaye hat Ihnen von dem Feuer in unserem Haus erzählt?“

„Die Feuerwehrmänner haben mich in ihrem großen Wagen sitzen lassen. Die Lichter waren an, und überall hat es geblinkt.“

„Wirklich?“ Sein Lächeln legte erneut einen Kurzauftritt hin.

„Und es hat ganz scheußlich gerochen.“ Holly befreite ihre Hand, um sich die Nase zuzuhalten.

„Das hat es.“ Joy strich mit der Hand über Hollys Kopf. „Und es hat so viel Schaden angerichtet, dass wir dort nicht bleiben können, während es repariert wird. Aber können wir das drinnen besprechen? Es ist kalt hier draußen.“

Einen Moment lang war sie sich nicht sicher, ob er nachgeben würde, aber dann nickte er und öffnete ihnen die große, schwere Tür. Wärme schlug ihnen entgegen, und Joy hätte vor Erleichterung fast geseufzt.

Von innen wirkte das Haus noch größer als von außen. Überall brannten Lampen. Ein langer Flur führte in den rückwärtigen Teil des Hauses. Rechts führte eine Treppe in das obere Stockwerk. Nahe der Haustür standen ein handgefertigter Kleiderständer mit einem halben Dutzend Haken und eine gepolsterte Bank.

Joy schlüpfte aus ihrem Parka und hängte ihn auf einen der Haken, bevor sie Holly ebenfalls die Jacke auszog und sie neben ihre hängte. Die Wärme des Hauses umfing sie, und alles, was sie denken konnte, war, dass sie wirklich gern bleiben wollte. Dieses Haus mit seinem behaglichen Glanz war … einladend. Trotz seines Besitzers.

Der sie beobachtete. Sein Blick zeigte ihr, dass er wünschte, sie und Holly wären nicht da. Aber den Gefallen würden sie ihm nicht tun.

Das Haus war riesig. Es gab reichlich Platz für Holly und sie zum Wohnen und um Sam Henry aus dem Weg zu gehen. Auf dem großen Grundstück konnte die Kleine spielen. Für nur einen Mann zu kochen und zu putzen würde ihr viel Zeit lassen, um an ihrem Laptop zu arbeiten. Wenn er sie hinauswarf, müsste sie mit ihrer Tochter einen Monat lang in einem Hotelzimmer leben. Allein der Gedanke, so lange eine Fünfjährige bespaßen zu müssen, die in einem Zimmer gefangen war, ermüdete Joy.

„Okay, wir sind drinnen“, sagte er. „Reden wir.“

„Das Haus ist wunderschön.“ Sie ging an ihm vorbei – wodurch sie ihn zwang, ihr zu folgen – und warf einen Blick durch die erste Tür in das große Wohnzimmer.

Die deckenhohen Fenster gaben den Blick auf den gefrorenen See, eine große Rasenfläche und eine Armee von Kiefern frei. Auf einer Seite war ein riesiger Kamin, in dem ein Feuer brannte. Ein großer Flachbildfernseher nahm den Großteil einer anderen Wand ein. Überall im Raum waren braune Ledersofas und – sessel verteilt, die auf hellen Teppichen standen. Es gab handgefertigte Holztische mit Lampen und Büchern darauf. An einer weiteren Wand standen Regale mit noch mehr Büchern.

„Ich lese gern. Was für ein toller Ort dafür.“ Joy beobachtete, wie Holly durch den Raum direkt auf die Fenster zulief. Sie presste die Handflächen gegen das Glas und spähte hinaus.

„Tja, mir gefällt es auch.“ Er stellte sich neben sie und verschränkte die Arme vor der Brust. „Also …“

„Sie werden gar nicht merken, dass wir hier sind“, sagte Joy rasch. „Und es wird eine Freude sein, sich um dieses Haus zu kümmern. Kaye arbeitet hier so gern. Holly und ich werden sicher genauso glücklich sein.“

„Ja, aber …“

Sie ignorierte sein Stirnrunzeln und die Unterbrechung. Er würde sie nicht aufhalten. „Ich kann mich allein umsehen. Sie müssen mich nicht herumführen. Ich finde schon …“

„Genau darüber …“

Er wirkte irritiert und tat Joy schon fast leid. Aber nicht leid genug, um aufzuhören. „Wann möchten Sie zu Abend essen?“ Bevor er antworten konnte, sagte sie: „Wie wäre es mit sechs Uhr?“

„Ich habe noch nicht zugestimmt …“

„Kaye sagte, dass Holly und ich ihre Zimmer neben der Küche nehmen sollen. Also werde ich mich einfach dort einrichten. Und Sie können wieder zu dem zurückkehren, was sie vor unserer Ankunft getan haben.“ Sie lächelte strahlend. „Holly, komm her. Wenn ich alles verstaut habe, sehe ich mir Ihre Vorräte an und fange an, das Abendessen zu kochen, wenn Ihnen das recht ist.“ Und auch, wenn es das nicht ist.

„Nur weil Sie so schnell reden, dass ich nicht zu Wort komme, bedeutet das nicht, dass die Sache besiegelt ist.“

Sein grimmiger Gesichtsausdruck stand seinem eisigen Ton in nichts nach. Aber so leicht würde Joy nicht aufgeben. „Es gibt nichts zu besiegeln. Wir haben verabredet, dass wir einen Monat lang hier sein werden, und das werden wir.“

Er schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass das funktioniert.“

„Das können Sie nicht wissen, und ich glaube, Sie irren sich.“ Sie brauchte diesen Job. Diese Unterkunft. Einen Monat lang. Sie würde sich das von ihm nicht nehmen lassen. Mit gesenkter Stimme, damit Holly sie nicht hörte, sagte sie: „Ich erinnere Sie an unsere Abmachung.“

„Wir haben keine Abmachung.“

„Aber Sie haben eine mit Kaye.“

„Kaye ist nicht hier.“

„Weswegen wir hier sind.“ Der Punkt geht an mich. Joy grinste ihn an.

„Gibt es Feen im Wald?“, fragte Holly.

„Ich weiß es nicht, Süße“, erwiderte Joy.

„Nein“, sagte Sam.

Autor

Maureen Child
<p>Da Maureen Child Zeit ihres Lebens in Südkalifornien gelebt hat, fällt es ihr schwer zu glauben, dass es tatsächlich Herbst und Winter gibt. Seit dem Erscheinen ihres ersten Buches hat sie 40 weitere Liebesromane veröffentlicht und findet das Schreiben jeder neuen Romance genauso aufregend wie beim ersten Mal. Ihre liebste...
Mehr erfahren