Die Braut, die sich nicht traut

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St. Lucia ist ein Traum: Rosanna und Michael ziehen sich die Schuhe aus, laufen barfuß durch den Sand und sehen hinaus aufs Meer, das im Mondschein glitzert. Es könnten ihre Flitterwochen sein, doch da beide am Tag der Hochzeit, die Michaels vermögende Eltern ausgerichtet haben, nicht in der Kirche erschienen, platzte ihre Trauung. Aber es war ein Wink des Schicksals, dass sie sich zufällig wieder trafen. Und so sind sie trotz allem nach St. Lucia geflogen, wo ursprünglich die Hochzeitsreise hingehen sollte. Diese eine Chance haben Mike und Rosanna noch, ihre Liebe zu retten ...


  • Erscheinungstag 02.03.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733745943
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

„Willst du nicht doch bleiben?“ Mike legte den Arm um Rosanna und zog sie an sich. „Wenn es nach mir ginge, würdest du jeden Abend neben mir einschlafen. Nur so kann ich sicher sein, dass du das Erste bist, was ich morgens sehe.“

Rosanna ging es nicht anders. Auch sie konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als sich vor dem Einschlafen eng an Mike zu schmiegen und morgens genauso wieder aufzuwachen. Und wie sie das Gefühl liebte, liebte sie den Mann, der es in ihr auszulösen verstand und sie jetzt mit seinen Küssen zum Bleiben überreden wollte.

„Es muss sein, Liebling.“ Schweren Herzens löste sie sich aus seiner Umarmung. Natürlich gab es Angenehmeres, als an einem Sonntagabend aus dem warmen Bett zu steigen und zu ihrer leeren Wohnung zu fahren. Aber noch schlimmer war es, sich am nächsten Tag im Morgengrauen durch den Berufsverkehr zu quälen. „Schließlich muss ich mich noch umziehen, bevor ich zur Arbeit gehe.“

„Warum bringst du nicht endlich einige von deinen Sachen mit?“, wandte Mike ein. „Dann ersparst du dir den Stress und ermöglichst uns eine weitere gemeinsame Nacht.“

So verlockend es klang, Rosanna hatte sich bisher nicht dazu durchringen können. Zu sehr fürchtete sie, mit jedem Stück, das sie aus ihrer Wohnung hierher schaffte, ein wenig von ihrer Unabhängigkeit aufzugeben. Ehe sie sich’s versah, wäre sie öfter bei Mike als bei sich zu Hause. Und über kurz oder lang würde er von ihr erwarten, dass sie auch die Hausarbeit übernahm. Dutzende Male hatte sie das bei anderen Frauen beobachten können, und ihr sollte so etwas nicht passieren.

Nein, sosehr sie Mike auch liebte – bei ihm einzuziehen, und selbst auf Raten, ging zu weit. Sogar die Tatsache, dass in ihrer Umhängetasche eine Zahnbürste, ein frischer Slip und eine seidene Strumpfhose verstaut waren, hatte weniger mit ihrer Beziehung als mit ihrem Beruf zu tun. Als Journalistin musste sie auf alle Eventualitäten vorbereitet sein – selbst bei einem Provinzblatt wie dem Chronicle.

„Notfalls bin ich sogar bereit anzubauen“, rief Mike ihr hinterher, während sie ins Bad ging, um zu duschen.

„Du überschätzt meine Garderobe ganz erheblich“, erwiderte sie und drehte das Wasser auf. Bevor sie sich unter die Brause stellte, sah sie noch einmal durch die halb geöffnete Tür. „Außerdem könnte das mit dem Anbau schwierig werden. Schließlich wohnst du im zweiten Stock!“

Mike sprang aus dem Bett und kam ins Bad. „Da kannst du mal sehen, was ich für dich alles auf mich nehmen würde. Trotzdem brauchst du dich nicht so breit zu machen.“

Ein wenig widerwillig ließ Rosanna Mike mit unter die Dusche, peinlich darauf bedacht, jede allzu intensive Berührung zu vermeiden. Alles andere hätte bedeutet, dass sie doch erst im Morgengrauen nach Hause kommen würde.

„Wie kann ich dich bloß überzeugen?“, fragte Mike und begann, ihr den Rücken einzuseifen, wobei er die Hände zärtlich vom Hals zu ihren Hüften gleiten ließ.

Du hast es fast schon geschafft, dachte Rosanna, denn unter seiner Berührung drohte sich ihre Entschlossenheit in Luft aufzulösen.

„Lass uns doch endlich zusammenziehen, Liebes“, flüsterte Mike ihr ins Ohr. Rosanna erschrak bei dem Gedanken, dass sie ihm um den Hals fallen und ihm alles versprechen würde, wenn er auch nur eine Sekunde lang mit seinen Zärtlichkeiten weitermachen würde.

Im selben Moment löste er sich jedoch von ihr, weil er auf eine Antwort zu warten schien. Rosanna drehte sich zu ihm um.

„Und warum sollte ich das tun?“

„Erstens, weil ich unwiderstehlich bin.“ Mike lächelte herausfordernd. „Zweitens, weil du es hasst, mitten in der Nacht nach Hause zu fahren, und drittens, weil wir bestimmt viel Spaß miteinander hätten.“

Erneut zog er Rosanna an sich. Eng umschlungen standen sie unter dem Wasserstrahl. Und dass Mikes Kuss, mit dem er jetzt ihre Lippen bedeckte, sie so sehr erregte, ließ sie erahnen, dass er nicht übertrieben hatte. Bestimmt würden sie viel Spaß miteinander haben.

Denn Mike war tatsächlich unwiderstehlich. Aber Rosanna war dickköpfig, ganz besonders, was die Frage des Zusammenziehens betraf. Und es wurde Zeit, dass sie ihm erklärte, warum sie es nicht wollte. Schweren Herzens löste sie sich von Mike, um aus der Dusche zu steigen und nach einem Handtuch zu greifen.

„Wo willst du jetzt schon wieder hin, kleine Ausreißerin?“, protestierte er.

„Mike, hör mir mal zu.“ Als er Rosannas ernsten Tonfall bemerkte, gefror das Lächeln auf seinem Gesicht. Er stellte das Wasser ab und wartete gespannt.

„Du kennst doch meine Cousine“, begann sie zögerlich. Hätte Mike sich nicht wenigstens ein Handtuch um die Hüften legen können?

„Crysse? Nettes Mädchen, aber im Vergleich zu dir …“

„Und du weißt auch, dass sie seit Jahren mit ihrem Freund Sean zusammenlebt.“

„Eine wilde Ehe ist heutzutage doch nichts Ungewöhnliches“, entgegnete Mike und trat auf Rosanna zu. Als er ihr die Hände um die Schultern legte, um sie fast unmerklich und doch zielstrebig zum Bett zu dirigieren, musste sie all ihre Kraft aufbieten, um zu widerstehen.

„Hör mir doch mal zu, Mike“, nahm sie den Faden wieder auf. „Da gibt es nämlich etwas, was du noch nicht weißt. Bevor sie zusammengezogen sind, hat Sean sich rührend um Crysse gekümmert. An jedem Wochenende hat er sie ausgeführt. Sonntags hat er immer das Frühstück gemacht und ihr ans Bett gebracht. Oft sind sie den Rest des Tages einfach liegen geblieben und haben sich ausgemalt, wie es sein würde, wenn sie erst verheiratet wären und Kinder hätten. Sie waren richtig glücklich miteinander. Und dann hat Sean vorgeschlagen, dass sie zusammenziehen.“

„Recht hat er“, meldete sich Mike zu Wort. „Und um dir den Gedanken schmackhaft zu machen, verspreche ich hiermit, dir den Rest deines Lebens Frühstück ans Bett zu bringen.“

„Genau das hat Sean auch gesagt“, wandte Rosanna ein. „Crysse hat ihm geglaubt. Und am nächsten Tag ihre Wohnung gekündigt.“

„Ich beginne zu ahnen, dass die Geschichte kein gutes Ende nimmt.“

„Das kommt darauf an, mit wessen Augen man es betrachtet“, erwiderte Rosanna. „Sean ist nämlich sehr zufrieden mit der Lösung. Eine billigere Putzfrau kann er gar nicht bekommen. So kommt sich Crysse nämlich vor. Denn die gesamte Hausarbeit bleibt natürlich an ihr hängen. Und drei Mal darfst du raten, wer sonntags das Frühstück macht.“

Mike schien begriffen zu haben, warum Rosanna die Geschichte erzählt hatte. „Das heißt also Nein? Endgültig und definitiv Nein?“

„Nimm das bitte nicht persönlich“, versuchte sie ihn zu trösten. „Ich hänge viel zu sehr an meinem Beruf, als dass …“

„Und wenn ich es doch persönlich nehme?“, unterbrach er sie. Sein Ton war schärfer geworden.

Urplötzlich hatte sich die Stimmung zwischen ihnen ins Gegenteil verkehrt. Rosanna fühlte sich, als balanciere sie am Rande eines Abgrundes, der vor wenigen Minuten nicht einmal existiert hatte. Ihr Herz begann zu rasen. Sie wollte Mike nicht verlieren. Sie liebte ihn doch. Um aber das Leben aufzugeben, für das sie sich entschieden hatte, brauchte sie die Gewissheit, dass er sie auch liebte. Und zwar bedingungslos.

„Entweder ich ziehe zu dir, oder es ist aus zwischen uns. Willst du das sagen?“, fragte sie ängstlich.

„Nein, mein Engel.“ Mike streckte den Arm aus, streichelte ihre Wange und strich ihr zärtlich die kurzen dunklen Locken aus dem Gesicht. „Was ich sagen … fragen will …“ Er zögerte, als müsste er erst nach den richtigen Worten suchen.

„Rosanna Blake“, sagte er schließlich mit großem Ernst, „ich möchte mit dir zusammenleben. Abend für Abend möchte ich dich beim Einschlafen in meinen Armen halten. Und weil mir das, was du von Crysse und Sean erzählt hast, eine Lehre sein soll, bleibt mir nur eins: Dich zu fragen, ob du meine Frau werden willst.“

1. KAPITEL

„Sie müssen sich endlich entscheiden, Miss Blake. Die Zeit drängt.“

„Ich gebe Ihnen heute Nachmittag Bescheid.“ Wütend legte Rosanna den Hörer auf die Gabel. Im selben Moment ärgerte sie sich über ihre Unfreundlichkeit. Schließlich konnte der Architekt nichts dafür, dass es ihr egal war, welche Schränke in die neue Küche eingebaut wurden. Nicht egal war ihr dagegen die Aussicht, wie ihre Mutter zu enden: als Hausfrau, die ihre Erfüllung darin fand, ihrer Familie drei Mal täglich eine Mahlzeit zu servieren.

Warum hatte sie bloß Mikes Antrag angenommen? Sie hätten es doch wie Crysse und Sean halten und zusammenziehen können, ohne zu heiraten. Mikes Hemden bügeln zu müssen wäre im Vergleich zu dem, was sie jetzt durchmachte, das bei Weitem geringere Übel.

Denn längst hatten andere die Regie übernommen, und Rosannas einzige Aufgabe schien darin zu bestehen zu gehorchen. Etwa ihrer Mutter, die sehr genaue Vorstellungen darüber hatte, wie der schönste Tag im Leben ihrer Tochter aussehen sollte. Oder Mikes Vater, der ihnen in allen Fragen, die das neue Haus betrafen, Vorschriften machte, die er vergeblich als Ratschläge zu tarnen versuchte.

Was sie auch sagte, welche Einwände sie auch vorbrachte, es schien, als wäre die liebe Verwandtschaft so sehr mit den Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt, dass alle kein Ohr mehr dafür hatten, was Rosanna eigentlich wollte.

So hatte sie eher an eine Trauung im kleinen Kreis gedacht, am liebsten in einer Kapelle auf dem Lande, sie in einem schlichten Brautkleid, Mike in einem der Anzüge, die in seinem Schrank hingen. Nach der eigentlichen Zeremonie hätte man in einem Landgasthaus einkehren und eine Kleinigkeit essen können.

Aber ihre Mutter fand für die Hochzeit ihrer Tochter die Kathedrale von Melchester gerade gut genug. Vor den Augen der zahlreichen Gäste und angeführt von Brautjungfern, sollte Rosanna in ihrem weißen Hochzeitskleid mit langer Schleppe zu den Klängen der Orgel vor den Altar treten, um vom Bischof persönlich getraut zu werden. Allein mit dem Blumenschmuck, den sie sich vorstellte, hätte ein Florist ein ganzes Jahr zu tun. Vom anschließenden „gemütlichen Zusammensitzen“ ganz zu schweigen …

Daran wollte Rosanna jetzt lieber nicht denken. Die Hochzeit war ihr geringstes Problem. Den einen Tag würde sie schon irgendwie überstehen. Viel mehr bedrückte sie ein unscheinbarer Briefumschlag, den sie seit Tagen in ihrer Handtasche verwahrte. Der Absender war eine namhafte überregionale Zeitung.

Wenn das Leben so einfach war, wie ihre Mutter ihr weiszumachen versuchte, hätte Rosanna jetzt zum Telefon gegriffen und die Nummer gewählt, die auf dem Umschlag angegeben war. Freundlich, aber bestimmt, hätte sie das Angebot, beim Globe als Redakteurin anzufangen, abgelehnt – auch wenn sie sich diesen Job immer gewünscht hatte. Sie war nicht mehr zu haben. Am Sonnabend würde sie heiraten.

So einfach war das Leben aber nicht. Und deshalb drückte sich Rosanna wieder einmal vor einer Entscheidung und beließ den Umschlag in ihrer Handtasche.

„Alles in Ordnung, Rosanna?“

„Wie bitte?“ Rosanna schreckte aus ihren Gedanken auf und bemerkte Emily Woottons besorgten Blick. „Ja, ja, alles bestens“, erwiderte sie, als sie sich bewusst wurde, dass sie an ihrem Schreibtisch in der Redaktion des Chronicle saß, und versuchte ein Gesicht zu machen, das den Satz glaubhaft klingen ließ: „Ich heirate am Sonnabend.“

„Wie schön für Sie!“

Genau in diesem Punkt war sich Rosanna nicht so sicher. „Ich muss zugeben, dass ich mich mehr auf die Flitterwochen als auf die Hochzeit freue. Vielleicht gelingt es mir ja am Strand von St. Lucia, die Aufregung der letzten Wochen zu vergessen.“

Erneut bemühte sie sich zu lächeln. „Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, wir sprachen über den Verein, den Sie gegründet haben. Sie wollen also eine alte Schule in ein Ferienheim für Kinder aus sozial schwachen Familien umbauen“, setzte sie das Interview fort, bevor sie der Versuchung erlag, einer Frau, die sie kaum kannte, ihr Herz auszuschütten.

Aber warum eigentlich nicht? Mit wem hätte sie denn sonst reden sollen? Mit ihren Freunden etwa? Nicht einer von ihnen hätte verstanden, dass sie nicht glücklich darüber war, in wenigen Tagen Mike zu heiraten und mit ihm in ein neues Haus zu ziehen. Sie verstand es ja selbst nicht.

Wenn sie die Zeit doch zurückdrehen könnte zu jener Nacht, in der Mike sie gefragt hatte, ob sie seine Frau werden wolle. Dann hätte sie sich noch einmal davon überzeugen können, dass es ihm Ernst damit war. Wirklich Ernst. Denn in letzter Zeit war er nicht gerade besonders aufmerksam und liebevoll mit ihr umgegangen.

„Das ist doch bestimmt wahnsinnig teuer. Gibt es ein Spendenkonto, auf das wir die Leser hinweisen können?“

„Dringender als Geld brauchen wir im Moment Freiwillige, die uns beim Innenausbau helfen. Tapezieren, Streichen, all die Dinge, die man ohne großen finanziellen Aufwand auch selbst machen kann“, erläuterte Emily und strahlte Rosanna an. „Haben Sie nicht Lust, Ihre Pläne für die Hochzeitsreise zu ändern? Wer will schon in die Karibik?“

Rosanna wusste selbst nicht, warum sie dieser kleine Scherz so traurig machte, aber am liebsten hätte sie ihren Tränen freien Lauf gelassen. „Rosanna“, hörte sie Emily besorgt fragen, „fehlt Ihnen was?“

„Entschuldigen Sie bitte, Emily“, erwiderte sie und kramte ein Taschentuch hervor. „Es ist nur die Aufregung. Die Nerven, verstehen Sie?“

Rosanna war mit den Nerven tatsächlich ziemlich herunter. Aber daran war weniger die Hochzeit selbst, als vielmehr die Aussicht schuld, in einem Haus wohnen zu müssen, das sie hasste, seit sie es zum ersten Mal gesehen hatte.

Mike und sie hatten lange überlegt, ob sie nach der Hochzeit in seine oder in ihre Wohnung ziehen sollten. Beide waren groß genug, günstig gelegen und preiswert. Aber noch bevor sie sich einigen konnten, war das Unheil über sie hereingebrochen.

Es begann ganz harmlos mit einer Einladung zum Essen. Mikes Eltern waren mit ihnen zu einem Restaurant gefahren, das draußen vor der Stadt lag. Wie zufällig führte der Weg dorthin an dem Haus vorbei, in dem sie bald wohnen sollten: ein großer Kasten aus roten Ziegelsteinen mit fünf Schlafzimmern, drei Badezimmern und einem riesigen Garten. Scheinbar harmlos hatte Mikes Vater gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, dort einzuziehen. Und ohne eine Antwort abzuwarten, erzählte er ihnen freudestrahlend, dass er es bereits gekauft habe, um es ihnen zur Hochzeit zu schenken.

Rosanna wusste nur zu gut, was das für sie bedeutete. Für eine Frau, die in ihrem Beruf Karriere machen wollte, war das Haus denkbar ungeeignet. Immer mehr wurde ihr bewusst, dass sie mit der Hochzeit nicht nur ihren Namen aufgeben müsste. Von Samstag an wäre sie nicht mehr Rosanna Blake, sondern Mrs. Michael Lee, als wäre sie mit der Eheschließung in den Besitz ihres Mannes, des Zeitungsverlegers Michael Lee, übergegangen.

Nun war Mike ja kein Unmensch. Er würde ihr erlauben weiterzuarbeiten – jedenfalls so lange, bis sich die ersten Anzeichen einer Schwangerschaft einstellten. Und um Rosanna in aller Deutlichkeit zu verstehen zu geben, was von ihr erwartet wurde, hatte sein Vater in einem der Zimmer vorsorglich eine Blümchentapete anbringen lassen.

So würde aus ihnen mit den Jahren eine ganz normale Familie werden, die sich in regelmäßigem Abstand vergrößerte. Mit Kindern, Haus und Garten noch nicht ausgelastet, würde sie sich im örtlichen Wohltätigkeitsverein engagieren und es binnen kurzer Zeit zur Vorsitzenden bringen. Auf ihrem Sonntagsspaziergang würde jeder, der ihnen begegnete, respektvoll grüßen, und sollte sie beim Einkauf mal ihr Geld vergessen haben, so wäre es nicht das geringste Problem, anschreiben zu lassen.

Wie Rosanna es auch drehte und wendete, es lief genau auf das hinaus, wovor sie sich immer gefürchtet hatte. Über kurz oder lang wäre sie eine Kopie ihrer eigenen Mutter. Und zwar eine schlechte.

In aller Klarheit sah Rosanna das vor sich, und sie hatte niemanden, mit dem sie über ihre Ängste reden konnte. Am wenigsten mit Mike. Für den schien sich mit ihrem Jawort alles erledigt zu haben. Richtiggehend fremd war er ihr in letzter Zeit geworden. Vielleicht trug sie deshalb den Brief mit dem traumhaften Angebot immer noch unbeantwortet in ihrer Handtasche herum – wie einen Rettungsring.

„Na ja.“ Cal schien wenig begeistert. „So ganz dein Stil scheint es mir nicht zu sein. Mit deinem Häuschen in Maybridge hat es jedenfalls wenig Ähnlichkeit.“

„Gemütlich machen kann man es sich hier auch“, wandte Mike ein. Er hatte keine Lust, über dieses leidige Thema zu diskutieren. Nicht einmal mit seinem ältesten und besten Freund Cal.

„Außerdem ist es im Vergleich zu dem Herrenhaus, in dem Rosanna aufgewachsen ist, geradezu klein. Da kann man ja verstehen, dass sie sich darauf freut, hier einzuziehen.“

So herzlich, wie sie sich bei seinem Vater bedankt hatte, als er ihnen ihr neues Haus gezeigt hatte, war es Mike absolut zwecklos vorgekommen, auch nur den Versuch zu machen, sie von den Vorteilen alternativer Lebensformen zu überzeugen. So hatte er es gar nicht erst gewagt, sie zu fragen, ob sie es sich vorstellen könnte, in einem alten Bauernhaus zu leben.

„Was ich darüber denke, ist ja sowieso egal“, lenkte Cal ein. „Hauptsache, ihr werdet glücklich damit.“ Er schien nicht überzeugt, dass so etwas überhaupt möglich war. „Wann wollt ihr denn einziehen?“

Viel zu bald, lag Mike auf der Zunge. Dabei wurde es Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass dieses Monstrum ihr neues Zuhause werden sollte. Eins musste er seinem Vater lassen: Das hatte er geschickt eingefädelt. Weil er die Einstellung seines Sohnes genau kannte, hatte er darauf vertraut, dass Rosanna ihm die Überzeugungsarbeit abnehmen würde. Und der alte Fuchs hatte ja auch recht behalten. Rosanna hatte es vor Begeisterung fast die Sprache verschlagen. Wie hätte er, Mike, das Geschenk noch ablehnen sollen?

Als Mike bemerkte, dass Cal ihn aufmerksam musterte, rang er sich ein Lächeln ab. „Die Handwerker haben versprochen, dass sie mit ihren Arbeiten fertig sind, wenn wir aus den Flitterwochen zurückkommen“, antwortete er schnell, um Cal nicht die Gelegenheit zu geben, seine wahren Gefühle zu erraten.

Leider kannte dieser ihn viel zu gut. „Du klingst nicht gerade begeistert“, erwiderte Cal. Und um Mike ein wenig aufzuheitern, suchte Cal nach einem Scherz. So, wie der Raum aussah, den sie gerade betraten, brauchte er nicht lange zu überlegen. „Mit dem Kinderzimmer können sie sich ja wohl etwas mehr Zeit lassen“, sagte er und musterte die Tapete, die keinen Zweifel erlaubte, wie der Raum später genutzt werden sollte.

„Auch das hat uns mein Vater eingebrockt. Ein Wink mit dem Zaunpfahl.“

„Er scheint seinen Herzinfarkt ja gut überstanden zu haben.“

„Manchmal kommt mir der Verdacht, dass es sich eher um eine Magenverstimmung gehandelt hat.“ Und damit um den Versuch, Mike in den väterlichen Verlag zu lotsen. Den erfolgreichen Versuch. Denn kaum hatte Mike erfahren, dass sein Vater ins Krankenhaus musste, war er reumütig nach Hause zurückgekehrt und hatte ohne Murren die Leitung des Verlages unternommen, der unter anderem den Chronicle herausgab.

Aber statt seinem Vater unlautere Absichten zu unterstellen, sollte er ihm eher dankbar sein. Immerhin hätte er sonst Rosanna nicht kennengelernt. Und ihre erste Begegnung würde er Zeit seines Lebens nicht vergessen.

Mit einer Stimmung, die so schwarz war wie Druckertinte, war er am Morgen seines ersten Arbeitstages auf dem Weg zu seinem Büro, als Rosanna unvermittelt auf den Flur einbog und ihm direkt in die Arme lief.

Der Zusammenprall war so heftig, dass sich der Inhalt einer schwarzen Umhängetasche über den Fußboden ergoss. Während Rosanna sich bückte, um ihr Handy in Sicherheit zu bringen, schimpfte sie wie ein Rohrspatz: „Haben Sie denn keine Augen im Kopf?“

Mike war drauf und dran, ihr klarzumachen, wer hier keine Augen im Kopf hatte, als er es sich anders überlegte. Er sagte einfach gar nichts und beobachtete stattdessen Rosanna, die sich langsam wieder aufrichtete. Für wenige Sekunden schien die Welt in gespannter Erwartung stillzustehen – und wenn nicht die Welt, dann zumindest Mikes Herz.

„Oh nein“, hörte er sie plötzlich sagen und registrierte verwundert ihr verlegenes Lächeln, „da bin ich wohl mal wieder ins Fettnäpfchen getreten. Dabei sollte ich wissen, dass es sich nicht gehört, den neuen Boss anzuraunzen, bevor man ihm offiziell vorgestellt worden ist.“

Mike konnte nicht anders, als sie weiter stumm anzustarren. „Sie sind doch Mr. Lee?“, vergewisserte sich Rosanna. „Auf dem Schreibtisch Ihres Vaters steht nämlich ein Foto …“

„Ich heiße Mike.“ Endlich hatte er die Sprache wiedergefunden. „Und ich bin nicht der neue Boss, sondern nur eine Aushilfe. Bis mein Vater wieder gesund ist.“

„Wenn das so ist: Guten Tag, Mike. Ich bin Rosanna. Rosanna Blake.“ Als sie ihm die Hand reichte, fiel ihr Blick auf ihre Armbanduhr. „Und mal wieder spät dran.“ Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und eilte zum Treppenhaus. Mike sah ihr noch nach, als sie längst aus seinem Blickfeld verschwunden war. Dabei strahlte er übers ganze Gesicht. Und das war noch schamlos untertrieben.

So war er auf Rosanna aufmerksam geworden. Und natürlich setzte er alles daran, sie wieder zu sehen. Obwohl er anfänglich nicht mehr als einen Flirt im Sinn hatte, ein kurzes Intermezzo, das die wenigen Wochen, die er hier wäre, nicht gar so eintönig machen würden. Jedenfalls nichts Ernstes.

Und genau das schien sie zu spüren. Denn auch wenn er all seinen Charme spielen ließ, hielt sie ihn länger hin, als er es von anderen Frauen gewohnt war. Zu seiner Verwunderung machte ihm dieses Katz-und-Maus-Spiel richtiggehend Spaß.

Der einzige Haken war, dass er in diesem Spiel die Rolle des Inhabers eines großen Verlages und ihres Vorgesetzten übernahm. Er kam sich nicht einmal schäbig dabei vor, denn diese Frau war eine kleine Notlüge wert, und er war froh, dass er etwas zu seinen Gunsten in die Waagschale werfen konnte. Später wäre immer noch Gelegenheit, ihr zu sagen, dass der Michael Lee, den sie kennen und lieben gelernt hatte, eigentlich gar nicht existierte.

Aber irgendwie konnte er sich nie dazu durchringen. Selbst dann nicht, als aus dem Spiel längst Ernst geworden war. Vielleicht aus Angst, Rosanna könnte an dem wirklichen Michael Lee kein Interesse haben? An einem Mann, der sich in einem ehemaligen Pferdestall eine kleine Tischlerwerkstatt eingerichtet hatte und den Heuboden als Wohnung nutzte. Vor allem an einem Mann, der nichts anderes wollte!

Und dann fragte er sie, ob sie seine Frau werden wolle. Sie brauchte eine ganze Weile, um ihre Fassung zurückzugewinnen. Als sie dann kaum hörbar und doch aus tiefster Überzeugung Ja sagte, war er der glücklichste Mensch auf Erden. Erst später ging ihm auf, dass es dadurch nicht leichter würde, ihr reinen Wein einzuschenken. Und nachdem sein Vater ihnen ihr neues Haus gezeigt und ihnen feierlich die notarielle Beglaubigung des Kaufvertrages überreichte, war es dafür endgültig zu spät. So würde Rosanna also in wenigen Tagen in dem Glauben vor den Altar treten, den Erben eines renommierten und erfolgreichen Verlages zu heiraten.

„Weiß sie eigentlich, dass du nie vorhattest, in die Fußstapfen deines Vaters zu treten?“ Cal hatte mal wieder seine Gedanken erraten. „Du hast nie mit ihr darüber gesprochen, stimmt’s?“

„Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten, Cal.“

„Das ist meine Angelegenheit. Immerhin bin ich dein Trauzeuge.“

„Ach Cal“, gab Mike seinen Widerstand auf, und ihm war anzumerken, wie sehr ihn das Ganze bedrückte. „Du kennst sie doch selbst. Sie stammt nun mal aus einer vornehmen Familie, und entsprechend ist sie aufgewachsen. Da kann sie sich noch so viel Mühe geben, es sich nicht anmerken zu lassen …“

Er unterbrach sich und sah seinen Freund traurig an. „Der ganze Kram mit den sozialen Themen, über die sie schreibt, war doch letztlich nichts als ein schöner Zeitvertreib, bis sie endlich unter die Haube kommt.“

„Hast du noch alle Tassen im Schrank?“, herrschte Cal ihn an. „Du scheinst nicht eine einzige Zeile von ihr gelesen zu haben. Sonst würdest du nicht einen solchen Blödsinn daherreden. Deine zukünftige Frau ist nämlich eine verdammt gute Journalistin.“

„Das mag ja sein, Cal. Trotzdem habe ich nie gewagt, ihr vorzuschlagen, in meine Werkstatt zu ziehen und von dem zu leben, was ich mit meiner Hände Arbeit verdiene.“

„Und du bist wirklich bereit, das alles für Rosanna aufzugeben und stattdessen tagein, tagaus über Bilanzen zu brüten?“ Cal sah Mike an und grinste. „Vielleicht sollten sich die Handwerker mit dem Kinderzimmer besonders beeilen.“

Mike fuhr sich mit beiden Händen durch das blonde, leicht gewellte Haar. Sosehr er es versuchte, wollte es ihm nicht gelingen, über diesen Scherz lachen. Dafür sah er dem kommenden Sonnabend mit viel zu gemischten Gefühlen entgegen.

Cal runzelte die Stirn. Es erfüllte ihn mit großer Sorge, dass sich sein bester Freund in ziemlich desolater Verfassung befand. Warum machte sich Mike etwas vor? Auch wenn er es nicht zugeben wollte, hatte er tief in seinem Innern mit dem Leben, das er sich immer erträumt hatte, längst abgeschlossen und sich mit dem Gedanken abgefunden, dass er schon sehr bald Inhaber der Firma Lee Publications sein würde. Denn noch bevor die Tinte auf dem Trauschein getrocknet war, würde sein Vater zum Notar gehen und Mike den Verlag überschreiben.

„Es ist dein Leben, Mike. Und die Entscheidung, was du daraus machst, liegt ganz allein bei dir. Dabei sagt man ja gemeinhin den Frauen nach, dass sie dazu neigen, kurz vor der Hochzeit kalte Füße zu bekommen.“

„Weißt du was, Crysse? Ich kann beim Globe anfangen.“

Rosannas Cousine saß an der Nähmaschine und säumte das Kleid, das sie bei der Hochzeit tragen wollte. „Beim Globe?“, fragte sie ungläubig. „Es ist doch schon eine Ewigkeit her, dass du dich dort beworben hast. Lange bevor du Mike kennengelernt hast. Und hast du mir nicht erzählt, du hättest damals eine Absage bekommen?“

„Falsch!“, stellte Rosanna klar. „Sie haben damals geantwortet, dass sie sich melden, sobald sie Bedarf haben. Und jetzt haben sie Bedarf. Um etwas gegen die sinkende Auflage zu tun, krempeln sie die Zeitung ziemlich um. Unter anderem planen sie eine Seite, die sich gezielt an Frauen wendet. Und dafür wollen sie mich engagieren.“

Crysse zog eine Stecknadel aus dem Stoff ihres cremefarbenen Seidenkleides und klemmte sie zwischen die Lippen. „Kannst du mir mal verraten, warum bei dir immer alles so verdammt glatt läuft?“

„Was hast du gesagt?“

„Nichts“, antwortete sie barsch und nahm die Stecknadel aus dem Mund. „Nichts Wichtiges jedenfalls.“

„Was ist los mit dir, Crysse?“

„Das habe ich doch gerade gesagt: nichts!“ Als sie die besorgte Miene ihrer Cousine sah, ließ sie den Kopf sinken. „Außer dass ich langsam, aber sicher neidisch werde“, gestand sie leise.

„Neidisch?“, fragte Rosanna verwundert. „Doch wohl nicht auf mich?“

„Wundert dich das? Schließlich scheinst du das Glück gepachtet zu haben – ganz im Gegensatz zu mir. Du hast einen Mann, wie ihn sich eine Frau nur wünschen kann, einen Mann, dem die Worte ‚Ehe‘ und ‚Familie‘ noch etwas bedeuten. Obendrein einen großzügigen Schwiegervater, der euch zur Hochzeit ein Haus schenkt, in dem Platz für einen ganzen Kindergarten ist. Damit nicht genug, bietet man dir jetzt noch deinen Traumjob an. Und du hast nichts Besseres zu tun, als dich den ganzen Tag darüber zu beklagen, wie sehr dir die ganzen Hochzeitsvorbereitungen auf die Nerven gehen. Man könnte fast meinen, du willst Mike gar nicht heiraten.“

Rosanna legte den Füllfederhalter zur Seite, mit dem sie die Tischkarten geschrieben hatte. Sie stritt ja gar nicht ab, dass sie ihrem Ärger ein wenig Luft gemacht hatte. Nicht zuletzt deshalb war sie ja hergekommen. Eine ihrer Stärken als Journalistin lag darin, die Dinge nüchtern und sachlich zu betrachten. In ihrem Privatleben wollte ihr das in letzter Zeit allerdings nicht so richtig gelingen. Und wer, wenn nicht Crysse, konnte sie dazu bringen, sich die Flausen aus dem Kopf zu schlagen?

„War ich wirklich so schlimm?“ Vielleicht hatte sie ja doch ein wenig übertrieben.

Autor

Liz Fielding
<p>In einer absolut malerischen Gegend voller Burgen und Schlösser, die von Geschichten durchdrungen sind, lebt Liz Fielding in Wales. Sie ist seit fast 30 Jahren glücklich mit ihrem Mann John verheiratet. Kennengelernt hatten die beiden sich in Afrika, wo sie beide eine Zeitlang arbeiteten. Sie bekamen zwei Kinder, die inzwischen...
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