Die Buchanans - 4-teilige Serie

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SUCHE: KÖCHIN, BIETE: LIEBE

Ein amüsantes (Liebes-)Menue aus der Feder von New York Times-Bestsellerautorin Susan Mallery. Vorspeise: Cal Buchanan braucht einen Spitzenkoch, um sein angeschlagenes Restaurant zu retten. Geld spielt dabei keine Rolle. Aber er hat ein anderes Problem: die beste Köchin ist seine Ex-Frau Penny. Hauptspeise: Penny braucht dringend einen Job. Also ist nichts verlockender, als Cals Angebot anzunehmen. Ihr Problem: Wie soll sie für den Mann arbeiten, den sie noch immer liebt? Nachspeise: Zuckersüß oder doch zartbitter? Das hängt davon ab, ob die beiden Dickköpfe auf die Lösung all ihrer Probleme kommen .

HABE MUTTER, BRAUCHE VATER

"Nur noch dreizehn Jahre. dann kann ich endlich wieder Sex haben." Elissa hat sich geschworen, ihr Liebesleben so lange zurückzustellen, bis ihre Tochter Zoe volljährig ist. Die Kleine ist da allerdings ganz anderer Meinung, denn Walker Buchanan, der nette Mieter aus der Wohnung über ihnen, ist genau der Mann, den sie sich immer als Vater gewünscht hat. Nur leider glaubt Walkers herrschsüchtige Großmutter, dass sie da auch noch ein Wörtchen mitzureden hat.

KENNE ALLE, WILL NUR EINE

'Gut im Bett? Wohl eher nicht'. Wutschnaubend liest Reid Buchanan einen Artikel, den eine verschmähte Flamme über ihn geschrieben hat. Um dem folgenden Presserummel um seine Person zu entgehen, zieht er vorübergehend in das Haus seiner Mutter. Aber wirkliche Ruhe findet er hier auch nicht, denn ans Krankenbett gefesselt sprüht Gloria noch mehr Gift und Galle als gewohnt. Wenn wenigstens die unscheinbare Krankenschwester Lori Johnston ihm zur Seite stehen würde. Doch sie wäscht ihm stattdessen den Kopf und trifft mit ihren Wahrheiten mitten ins Herz.

TAUSCHE MICH, NEHME DICH

Drei gescheiterte Beziehungen innerhalb eines Jahres. Eine Karriere, die den Bach runtergeht ganz klar, da muss ein neuer Anfang her. Also beschließt Dani Buchanan, alles hinter sich zu lassen und sich auf die Suche nach ihrem biologischen Vater zu machen. Mit einem Senator mitten im Wahlkampf um das Präsidentenamt hätte sie jedoch nicht gerechnet. Und auch nicht mit seinem attraktiven, aber arroganten Wahlkampfmanager Alex Canfield. Gleich bei ihrer ersten Begegnung fliegen die Fetzen und nach und nach auch die Funken.


  • Erscheinungstag 31.07.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783745751093
  • Seitenanzahl 1216
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Susan Mallery

Die Buchanans - 4-teilige Serie

1. KAPITEL

Vermutlich gehörte es sich nicht, dass Penny Jackson derartig beschwingt war, weil ihr Exmann zu ihr zurückgekrochen kam. Doch mit diesem Makel konnte sie gut leben.

„Du weißt, dass er dich anfüttern will“, sagte ihre Freundin Naomi.

„Oh ja. Rache ist süß.“ Penny lehnte sich in ihren Sessel zurück und malte sich alle möglichen Szenarien aus. „Ich will, dass er bettelt. Nicht, weil ich böse oder hasserfüllt bin, sondern weil …“

„Du tust es für alle geschiedenen Frauen dieser Welt? Als stellvertretenden Vergeltungsschlag?“, fragte Naomi.

Penny lachte. „Genau. Was bin ich doch fies und gemein.“

„Möglich. Aber du siehst heute besonders umwerfend aus, falls dir das hilft.“

„Ein bisschen.“ Penny strich ihren Pulli glatt und sah auf die Uhr. „Wir treffen uns zum Mittagessen in der Innenstadt. An einem neutralen Ort ohne Erinnerungen – weder gute noch schlechte.“

„Hüte dich vor den guten“, warnte Naomi sie. „Du bist schon immer leicht auf Cal reingefallen.“

„Das war doch vor über drei Jahren, das habe ich längst hinter mir gelassen. Jetzt bin ich wirklich über ihn hinweg.“

„Richtig.“ Naomi wirkte nicht besonders zuversichtlich. „Solange du nicht daran denkst, wie gut er in seinen Kleidern aussieht – oder ohne sie. Denk besser daran, wie er dir dein Herz gebrochen hat. Wie er dich belogen hat, als er sagte, er würde sich Kinder wünschen. Oder wie er über deine Träume hinweggetrampelt ist.“

Das ist leicht, dachte Penny, und ihre gute Laune verdüsterte sich.

Vor vier Jahren hatte sie sich als Köchin im „Buchanan’s“ beworben, einem der Restaurants, die Cals Familie gehörten. Es wäre ein Anfängerjob und sie verantwortlich für die Salate gewesen, und neben ihr gab es zehn weitere Kandidaten. Deshalb hatte Penny Cal gebeten, ein gutes Wort für sie bei seiner Großmutter einzulegen. Er hatte sich geweigert. Sie hatte den Job nicht bekommen.

„Diesmal kommt der Job zu mir“, sagte Penny. „Ich habe vor, das auszunutzen. Und ihn auch. Rein beruflich, versteht sich.“

„Richtig so!“, stimmte Naomi zu, doch sie klang kein bisschen überzeugt. „Er wird dir Probleme machen. Hat er immer schon. Sei vorsichtig.“

Penny stand auf und nahm ihre Handtasche. „Wann bin ich das nicht?“

„Fordere viel Geld.“

„Versprochen.“

„Und lass es dir ja nicht einfallen, Sex mit ihm zu haben.“

Penny lachte. „Also bitte. Das ist überhaupt kein Thema. Du wirst schon sehen.“

Penny war früh dran. Sie blieb in ihrem Auto sitzen, bis es fünf Minuten nach der vereinbarten Zeit war. Ein kleines, vielleicht unwichtiges Machtspiel ihrerseits, aber sie fand, sie hatte es sich verdient.

Sie betrat das ruhige, gediegen ausgestattete Bistro. Noch bevor sie die Kellnerin ansprechen konnte, sah sie Cal im hinteren Teil des Lokals stehen. Sie mochten gemeinsame Freunde haben und in derselben Stadt leben, aber da sie ihr Bestes getan hatte, nicht in seine Nähe zu kommen, waren sie einander nie über den Weg gelaufen. Dieses Mittagessen würde das ändern.

„Hi“, sagt sie mit einem forschen Lächeln.

„Hallo, Penny.“ Er musterte sie. Dann bot er ihr einen Platz ihm gegenüber an. „Danke, dass du dir Zeit genommen hast.“

„Wie könnte ich anders? Du wolltest am Telefon nicht viel verraten, und das hat mich neugierig gemacht.“ Sie setzte sich.

Cal sah gut aus. Groß, muskulös, dieselben gefühlvollen Augen wie damals. Schon ihm nur gegenüberzusitzen, weckte Erinnerungen an früher, als es noch gut zwischen ihnen gelaufen war. Sie hatten die Finger nicht voneinander lassen können. Nicht, dass er sie jetzt auf diese Art interessierte. Sie hatte ihre Lektion gelernt.

Was sie ihm nun zusätzlich übel nahm, war, dass er in den drei Jahren seit ihrer Trennung nicht an Gewicht zugelegt oder Falten bekommen hatte. Nicht einmal diesen Gefallen hatte er ihr getan. Im Gegenteil: Er sah hinreißend aus. Typisch Mann.

Und doch brauchte er ihre Hilfe. Oh ja, dieser Teil der Angelegenheit war ziemlich erfreulich. In ihrer Ehe hatte sie seinen Ansprüchen nie genügt. Nun sollte sie die Lage retten … oder, in diesem Fall, das Restaurant. Sie hatte zwar vor zuzusagen, aber sie würde ihn betteln lassen -und jede Sekunde davon genießen.

„Das ‚Waterfront‘ ist in Schwierigkeiten“, sagte er. Er brach ab, als die Kellnerin kam, um die Bestellung aufzunehmen.

Als die Bedienung gegangen war, lehnte Penny sich in ihren gepolsterten Sessel zurück und lächelte.

„Es soll mehr als nur in Schwierigkeiten sein. Ich habe gehört, es sei abgewirtschaftet. Kunden und Geld – beides weg.

Sie zwinkerte und versuchte, unschuldig dreinzuschauen. Cal würde sie zweifellos durchschauen und erwürgen wollen, aber er konnte nicht. Weil er sie brauchte. Weil er tatsächlich dringend Hilfe nötig hatte. Wie sie das an Männern liebte. Besonders an Cal.

„Die Dinge standen schon besser“, gab er zu. Er schien jede Sekunde des Gesprächs zu hassen.

„Das ‚Waterfront‘ ist das älteste Restaurant der berüchtigten Buchanan-Dynastie“, sagte sie vergnügt. „Das Flaggschiff. Zumindest war es das. Heutzutage hat es den Ruf, schlechtes Essen und noch schlechteren Service zu haben.“ Sie nippte an ihrem Wasser. „Zumindest hört man das.“

„Danke für die Information“, sagte er gepresst.

Penny merkte, dass das Gespräch ihn verärgerte. Sie ahnte, was er dachte – warum musste es von all den Köchen in ganz Seattle ausgerechnet sie sein? Sie wusste es auch nicht, doch manchmal musste man einfach die Gelegenheit beim Schopf packen.

„Dein Vertrag ist ausgelaufen“, sagte er.

Sie lächelte. „Ja, ist er.“

„Du suchst eine neue Stelle.“

„Ja, tue ich.“

„Ich möchte dich einstellen.“

Vier kleine Wörter. Einzeln waren sie sicher nicht sehr bedeutungsvoll, aber in dieser Kombination konnten sie alles für jemanden bedeuten. In diesem Fall für sie.

„Ich habe andere Angebote“, sagte Penny ruhig.

„Hast du eines angenommen?“

„Noch nicht.“

Cal war groß, ungefähr 1,90, und dunkelhaarig. Er hatte starke Wangenknochen, eine markante Kinnpartie, und sein Mund verriet oft, in welcher Stimmung er gerade war. Im Moment hatte er die Lippen zusammengekniffen. Er war wütend und stinksauer. Sie hatte sich niemals besser gefühlt.

„Ich bin hier, um dir einen Vierjahres-Vertrag anzubieten. Du übernimmst die Leitung der Küche zu üblichen Bedingungen.“ Das Gehalt, das er ihr nannte, ließ sie aufhorchen.

Penny nahm noch einen Schluck Wasser. In Wahrheit wollte sie nicht nur einen neuen Job. Sie wollte ihr eigenes Lokal. Für die Eröffnung eines eigenen Restaurants war jedoch eine hübsche Stange Geld nötig, aber die hatte sie nicht. Es gab die Möglichkeit, sich mehr Partner zu nehmen, als ihr lieb war – oder zu warten. Sie hatte sich fürs Warten entschieden.

Ihr Plan war, in den nächsten drei Jahren Geld zu sparen und dann das Restaurant ihrer Träume zu eröffnen. Ein gutes Einkommen war dafür zwar hilfreich, aber nicht genug.

„Kein Interesse“, sagte sie mit einem leichten Lächeln.

Cals Blick verdüsterte sich. „Was willst du? Abgesehen von meinem Kopf auf einem Pfahl …“

„Das wollte ich nie“, erklärte sie. Ihr Lächeln war nun echt. „Nun ja, zumindest nicht, nachdem wir geschieden waren. Es ist drei Jahre her, Cal. Diese Zeiten liegen hinter mir. Für dich nicht?“

„Natürlich. Warum bist dann nicht interessiert? Es ist ein guter Job.“

„Ich bin nicht auf der Suche nach einem Job. Ich möchte eine Chance.“

„Das bedeutet?“

„Mehr als einen Standard-Vertrag. Ich will am Lokal beteiligt sein und völlige Gestaltungsfreiheit in der Küche haben.“ Sie griff in ihre Jackentasche und zog ein gefaltetes Stück Papier heraus. „Ich habe eine Liste.“

Manchmal war es schwer, das Richtige zu tun, dachte Cal, als er den Zettel nahm und auseinanderfaltete. Diesmal war es nicht anders.

Er überflog die Liste, dann warf er sie ihr zurück. Penny wollte keine Chance, sie wollte seine Eier – geröstet mit Zwiebeln und dazu eine feine Sahnesauce.

„Nein“, sagte er entschieden und bemühte sich, nicht darauf zu achten, wie die Nachmittagssonne die rötlichen Schattierungen ihres glänzenden kastanienbraunen Haares reflektierte.

„Ist in Ordnung.“ Sie nahm den Zettel wieder an sich und machte Anstalten, aufzustehen. „Es war nett, dich wiederzusehen, Cal. Viel Glück mit dem Restaurant.“

Er griff über den Tisch rasch nach ihrem Handgelenk. „Warte.“

„Aber wenn es nichts gibt, worüber wir noch reden müssen …“

Ihre großen, blauen Augen sahen reichlich unschuldig drein, aber er traute ihrem offenen Blick nicht über den Weg.

Die Chance, Penny doch noch von dem Job zu überzeugen, war vorhanden; sonst hätte sie sich nicht die Mühe gemacht, herzukommen. Es war nicht ihr Stil, ihn für dumm zu verkaufen. Aber das bedeutete nicht, dass es ihr kein Vergnügen bereitete, ihn betteln zu lassen.

In Anbetracht ihrer gemeinsamen Vergangenheit hatte sie es sich vermutlich verdient. Trotzdem würde er um jeden Punkt feilschen und nur dort nachgeben, wo es sein musste. Mit ihr zu verhandeln, hätte sogar Spaß machen können – wäre sie doch nur nicht so schrecklich selbstgefällig.

Er streichelte mit dem Daumen über ihr Handgelenk. Er wusste, dass sie es hassen würde. Sie hatte immer über ihre langen Unterarme, die kräftigen Gelenke und Hände geklagt und behauptet, sie wären zu groß im Vergleich zum Rest ihres Körpers. Es war ihm immer verrückt erschienen, wie sehr sie auf diese nicht vorhandenen Makel fixiert war. Außerdem hatte sie die Hände einer Köchin – vernarbt, geschickt und stark. Er hatte ihre Hände immer gemocht, ob sie nun Essen in der Küche oder ihn im Schlafzimmer bearbeitet hatten.

„Das ist nicht machbar“, sagte er und deutete mit dem Kopf auf das Papier. Er ließ ihre Hand los. „Und du weißt es auch. Also, wo ist die echte Liste?“

Sie grinste und setzte sich wieder. „Ich habe gehört, du wärst verzweifelt. Ich musste es versuchen.“

„Nicht 50 verzweifelt. Was willst du?“

„Gestaltungsfreiheit beim Zusammenstellen der Menüs, die alleinige Leitung der Küche, mein Name auf der Speisekarte, das Eigentum über die von mir komponierten Spezialitäten, das Recht, jeden Geschäftsführer abzulehnen, den du mir vor die Nase zu setzen willst, vier Wochen Urlaub im Jahr und zehn Prozent vom Gewinn.“

Die Kellnerin brachte das Essen. Er hatte einen Burger bestellt, Penny einen Salat. Aber nicht irgendeinen Salat. Die Bedienung stellte acht Teller mit verschiedenen Zutaten vor Pennys Schüssel, in der vier Salatsorten angerichtet waren.

Er sah zu, wie sie Olivenöl, Balsamico und gemahlenen Pfeffer in ein Schälchen gab und den Saft einer halben Zitrone dazupresste. Sie verrührte alles mit einer Gabel und gab das gewürfelte, geräucherte Hühnerfleisch und Schafskäse auf ihren Salat. Sie schnupperte an den Pecannüssen, bevor sie sie dazugab. Sie nahm sich nichts von den Walnüssen, nur eine halbe Tomate und rote Zwiebeln statt der weißen und gab ihr Dressing bei. Dann durchmischte sie alles und nahm den ersten Bissen ihres Mittagessens.

„Wie schmeckt es?“, fragte er.

„Gut.“

„Warum isst du überhaupt auswärts?“

„Tue ich für gewöhnlich nicht.“

Früher hatte sie es tatsächlich nicht getan. Es hatte ihr vollkommen genügt, unglaublich leckere Gerichte in ihrer gemeinsamen Küche zu zaubern. Ihn wiederum hatte es glücklich gemacht, das Kochen ihr zu überlassen.

Er kam wieder auf ihre Forderungen zurück. Schon aus Prinzip würde er ihr nicht alles geben, was sie verlangte. Außerdem war das keine gute Art, Geschäfte zu machen.

„Du kannst die Gestaltungsfreiheit bei den Gerichten und in der Küche haben“, sagte er. „Spezialitäten bleiben im Besitz des Hauses.“

Alles, was ein Koch während seines Dienstverhältnisses in einem Restaurant an Gerichten komponierte, gehörte diesem Restaurant.

„Ich möchte die Rezepte mitnehmen, wenn ich gehe.“ Sie spießte ein Salatblatt mit der Gabel auf. „Das ist Teil des Deals, Cal.“

„Das wäre mir neu.“

„Die Sache ist die, dass ich nicht herrliche Gerichte erfinden und sie dann deiner Familie überlassen will, die alles andere als ein geschicktes Händchen hat.“ Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. „Bevor du dich jetzt verteidigst, erlaube mir zu erwähnen, dass das ‚Waterfront‘ vor fünf Jahren jedes Wochenende eine Warteliste hatte.“

„Du sollst deinen Namen auf der Speisekarte haben“, sagte er. „Als leitende Küchenchefin.“

Er merkte, dass sie beeindruckt war. Diesen Titel hatte sie zuvor noch nie gehabt. Er bedeutete ihr etwas.

„Und drei Prozent vom Gewinn“, fügte er hinzu.

„Acht.“

„Vier.“

„Sechs.“

„Fünf“, sagte er. „Aber du hast kein Mitspracherecht bei der Auswahl des Geschäftsführers.“

„Ich muss mit ihm oder ihr arbeiten.“

„Und er oder sie muss auch mit dir arbeiten.“

Sie grinste. „Aber ich habe doch den Ruf, bei der Arbeit nichts anderes als ein wahrer Sonnenschein zu sein. Du weißt das.“

Er hatte gehört, dass sie eine Perfektionistin war und keine Kompromisse in Sachen Qualität einging. Aber man hatte sie auch als schwierig und anstrengend bezeichnet. Und als schlichtweg brillant.

„Du kannst den Geschäftsführer nicht bestimmen. Er ist schon eingestellt. Zumindest für die nächste Zeit.“

Sie rümpfte die Nase. „Wer ist es?“

„Das wirst du schon noch herausfinden. Außerdem ist die erste Besetzung für diesen Job nur dafür da, einmal aufzuräumen. In ein paar Monaten wird jemand anderer eingestellt. Du kannst bei ihm oder ihr ein Mitspracherecht haben.

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Interessant. Ein Mann fürs Grobe für eine Aufräumaktion im großen Stil. Ich glaube, das gefällt mir.“

Sie holte tief Luft. „Wie wäre es mit fünf Prozent vom Gewinn, einem Dreijahres-Vertrag, ich bekomme ein Mitspracherecht beim nächsten Geschäftsführer und nehme meine Spezialitäten mit.“ Sie hob die Hand, als schwöre sie einen Eid. „Aber nur in mein eigenes Lokal. Du kannst sie weiter im Angebot des ‚Waterfront‘ führen.“

Ihr Plan, sich selbständig zu machen, überraschte ihn nicht. Die meisten guten Köche taten es. Nur wenige hatten das Kapital und das Know-how dafür.

„Oh, und das Gehalt, das du mir vorhin angeboten hast, war in Ordnung“, sagte sie.

„Natürlich war es das“, sagte er, „Ich bin davon ausgegangen, dass du all die anderen Sachen nicht bekommst. Wen bringst du mit?“

„Meinen Souschef und meine Assistentin.“

Es war üblich, dass Köche einige wenige Leute als Personal mitbrachten. Solange sie gut mit den anderen in der Küche zusammenarbeiteten, hatte Cal nichts dagegen.

„Du wirst deinen Urlaub nie nehmen“, sagte er. Zumindest hatte sie es früher nie getan.

„Das werde ich sehr wohl“, sagt sie. „Nur damit es keine Missverständnisse gibt, ich nehme meinen Urlaub ganz sicher.“

Er zuckte die Achseln. „Nicht, bevor wir eröffnet haben und der Laden läuft.“

„Ich dachte an Spätsommer. Bis dahin habe ich alles organisiert.“

Vielleicht. Sie hatte das Chaos noch nicht gesehen.

„War das alles?“, fragte er.

Sie überlegte kurz. Dann zuckte sie die Achseln. „Schick mir dein Angebot. Ich sehe es mir an und lasse dich dann wissen, ob wir im Geschäft sind.“

„So viel bekommst du nirgendwo sonst. Tu nicht so, als würdest du abspringen.“

Sie hatte wieder Oberwasser. „Man weiß nie, Cal. Ich möchte mir anhören, was mir deine Konkurrenz zu bieten hat.“

„Ich weiß, wer interessiert ist. Die nehmen dich nie mit einer so hohen Gewinnbeteiligung.“

„Stimmt natürlich. Aber ihre Restaurants sind erfolgreich. Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.“

„Das ‚Waterfront‘ könnte dich berühmt machen“, sagte er. „Die Leute würden auf dich aufmerksam.“

Er hätte ihr gern gesagt, dass sie nichts derartig Besonderes war, dass er fünf Köche aufzählen konnte, die den Job genauso gut machen würden. Das Problem war: Er konnte es nicht. In den letzten drei Jahren hatte Penny sich einen Namen gemacht, und genau den brauchte er, um das „Waterfront“ aus dem Dreck zu ziehen.

„Ich lasse dir den Vertrag morgen Nachmittag nach Hause zustellen“, sagte er.

Sie schnurrte beinahe vor Zufriedenheit. „Gut.“

„Du genießt es, nicht wahr?“

„Oh ja. Es macht mir nicht einmal etwas aus, für dich zu arbeiten. Denn jedes Mal, wenn du mich ärgern willst, werde ich dich daran erinnern, dass du es warst, der mich geholt hat. Dass du mich gebraucht hast.“

Rache. Er respektierte es. Es ärgerte ihn, aber er respektierte es.

„Warum tust du das?“, fragte sie, während sie eine Pecannuss vom Tischtuch auflas. „Du bist doch vor Jahren aus den Familiengeschäften ausgestiegen.“

Damals, als wir noch verheiratet waren, dachte er. Er war entkommen, nur um erneut wieder hineingezogen zu werden.

„Jemand muss das sinkende Schiff retten“, sagte er.

„Ja, aber warum du? Dir ist das Familien-Imperium doch egal.“

Er legte zwanzig Dollar auf den Tisch und erhob sich. „Ich brauche deine Antwort innerhalb von zwanzig Stunden nach Zustellung des Vertrags.“

„Du hast sie am nächsten Morgen.“

„In Ordnung.“ Er legte seine Visitenkarte neben das Geld. „Für den Fall, dass du dich mit mir in Verbindung setzen möchtest.“

Er verließ das Restaurant und ging zu seinem Auto. Penny würde zusagen. Sie würde ihn ein bisschen zappeln lassen, aber der Deal war so gut, dass sie ihn sich nicht entgehen lassen würde. Wenn sie es schaffte, das „Waterfront“ wieder zu dem zu machen, was es früher gewesen war, hatte sie in drei Jahren mehr als genug Kapital für ihr eigenes Lokal.

Er würde sich längst zurückgezogen haben, wenn es so weit war. Er hatte zugestimmt, eine Zeitlang nach dem Rechten zu sehen, um die Sache zum Laufen zu bringen, aber er hatte keine Lust, bis zum bitteren Ende zu bleiben. Sein Anteil war ausschließlich die Rettung des sinkenden Schiffs. Jemand anderer sollte es flott machen und dafür den ganzen Ruhm kassieren. Ihn interessierte nur, wegzukommen.

Penny betrat die „Downtown Sports Bar“ kurz nach zwei am Nachmittag. Die Mittagsgäste waren zum größten Teil schon gegangen. Nur ein paar Stammgäste verfolgten die verschiedenen Sportprogramme auf den zahlreichen Fernsehschirmen des Lokals. Sie ging direkt zur Bar und lehnte sich an das polierte Holz. „Hi, Mandy. Ist er da?“, fragte sie die vollbusige Blondine, die gerade Gläser polierte.

Mandy lächelte. „Hi, Penny. Ja, er ist in seinem Büro. Kann ich dir etwas bringen?“

Koffein, dachte Penny. Doch dann schüttelte sie den Kopf. „Lieber nicht, danke.“

Sie ging in den rechten Teil der Bar, wo ein Münztelefon stand und man zu den Toiletten gelangte. Auf einer der Türen war ein Schild mit der Aufschrift „Personal“. Von hier war es nicht weit in Reid Buchanans unordentliches Büro.

Er saß hinter einem Schreibtisch von der Größe einer Doppelbettmatratze. Die Beine auf dem Tisch, lehnte er lässig in seinem Bürostuhl und telefonierte. Als er sie sah, deutete er mit rollenden Augen auf den Hörer und winkte sie herein.

„Ich weiß“, sagte er ins Telefon, während sie sich zwischen ein paar Kartons, die er erst auspacken musste, zu seinem Schreibtisch durchschlängelte. „Es ist eine wichtige Sache, und ich wäre gern dabei, aber ich habe einen anderen Termin, den ich unbedingt wahrnehmen muss. Vielleicht nächstes Mal. Mhm. Sicher. Ihnen auch.“

Er legte auf und stöhnte. „Eine dieser bescheuerten Veranstaltungen einer ausländischen Regierung.“

„Was hättest du für sie tun sollen?“, fragte sie, nahm ein paar Ordner vom einzigen übrigen Sessel im Büro und setzte sich. Sie legte die Ordner zu den anderen Stapeln auf seinem Schreibtisch.

„Keine Ahnung. Dabei sein. Für die Fotografen lächeln. Vielleicht eine Rede halten.“ Er zuckte die Achseln.

„Wie viel hätten sie dir gezahlt?“

Er nahm seine Beine vom Tisch und sah sie an. „Zehn Riesen. Aber ich brauche das Geld nicht. Ich hasse das alles. Es passt nicht mehr zu mir. Baseball habe ich früher gespielt, und jetzt bin ich hier. Aus dem Sport habe ich mich zurückgezogen.“

Aber erst letztes Jahr, dachte Jenny. Jetzt, nur wenige Wochen vor dem Start der Saison, musste Reid doch Sehnsucht nach seinem alten Leben haben.

Sie schob einen der Stapel auf seinem Tisch aus dem Weg und sah ihn an. „Ich erinnere mich genau, du wolltest immer einen Schreibtisch, der groß genug ist, um darauf Sex zu haben. Es war ausdrücklich eine Bedingung, als wir einen kauften. Aber wenn er dermaßen in Unordnung ist, wird sich niemand auf deiner äußerst beeindruckenden Tischplatte ausziehen wollen.“

Er lehnte sich zurück und grinste sie an. „Ich brauche keinen Schreibtisch, damit sie sich ausziehen.“

„Davon habe ich gehört.“

Reid Buchanan war eine lebende Legende. Nicht nur wegen seiner unglaublichen Karriere als Pitcher in der Baseball-Profiliga, sondern auch dafür, wie sehr er von Frauen bewundert wurde. Teils lag es an seinem guten Aussehen und dem Charme, den alle Buchanan-Brüder besaßen, teils daran, dass Reid die Frauen einfach liebte. Unter seinen früheren Freundinnen waren klassische Model-Typen und Schauspielerinnen ebenso vertreten wie weibliche Öko-Freaks, die fast zehn Jahre älter als er waren. Klug, dumm, groß, klein, dünn, mit oder ohne Kurven, er mochte sie alle. Und sie mochten ihn.

Penny kannte Reid seit Jahren. Sie hatte ihn zwei Tagen nach ihrem ersten Treffen mit Cal kennengelernt. Sie machte gern Witze darüber, dass es Liebe auf den ersten Blick mit dem ersten und Freundschaft auf den ersten Blick mit dem zweiten Spross der Buchanans gewesen war.

„Du errätst nie, was ich heute getan habe“, sagte sie.

Reid zog die dunklen Augenbrauen hoch. „Schatz, da du mich in letzter Zeit schon so überrascht hast, versuche ich es erst gar nicht.“

„Ich habe mich zum Essen mit deinem Bruder getroffen.“

Reid lehnte sich zurück. „Ich weiß, dass du nur Cal meinen kannst, da Walker immer noch im Ausland stationiert ist. Also gut, ich habe angebissen. Warum also dieses Treffen?“

„Er hat mir einen Job angeboten. Er will mich als Küchenchefin im ‚Waterfront‘.“

„Was?“

Reid gehörte zwar zur Familie, doch bevor er sich letzten Juni die Schulter ruiniert hatte, war er nie in die Familiengeschäfte einbezogen gewesen.

„Das ist das Fischlokal, stimmt’s?“

Sie lachte. „Genau. Und das ‚Buchanan’s‘ ist das Steakhaus, du hast die Sport-Bar, und Dani kümmert sich um den ‚Burger Heaven‘. Himmel, Reid, das ist dein Erbe. Mit der Bar führst du einen Teil des Familien-Imperiums.“

„Nein. Was ich habe, sind zwei Aperitifs zum Preis von einem während der Happy Hour. Nimmst du den Job an?

„Ich denke schon.“ Sie beugte sich vor. „Er zahlt mir ein unglaubliches Gehalt, und ich bin am Gewinn beteiligt. Es ist genau das, worauf ich gewartet habe. In drei Jahren habe ich genug Geld für mein eigenes Lokal.“

Er sah sie an. „Ich habe dir doch gesagt, ich gebe dir das Geld. Sag mir nur wie viel, und ich stelle dir einen Scheck aus.

Sie wusste, dass er das konnte. Reid hatte Millionen in alle möglichen Geschäfte investiert. Aber sie würde sich von einem Freund nichts leihen. Das war ungefähr so, als ließe man sich von den Eltern aus der Patsche helfen.

„Ich muss das alleine machen“, sagte sie. „Das weißt du.“

„Klar. Aber vielleicht solltest du darüber nachdenken, warum du in dieser Sache so eigensinnig bist. Du machst es dir nur selbst schwer.“

Sie überhörte es. „Mir gefällt die Idee, das ‚Waterfront‘ wiederauferstehen zu lassen. Es wird mich noch berühmter und mein eigenes Restaurant dann noch erfolgreicher machen.“

„Lass dir diese Sache nicht zu Kopf steigen.“

Sie lachte. „Hört, hört. Das sagst ausgerechnet du, dessen Ego kaum in einen Flugzeug-Hangar passt.“

Reid stand auf und hockte sich neben sie. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste ihre Wangen. „Wenn es das ist, was du willst, werde ich für dich da sein. Das weißt du.“

„Danke.“ Sie strich ihm sein dunkles Haar aus der Stirn. Ihr Leben wäre in vielerlei Hinsicht viel einfacher gewesen, wenn sie sich in Reid verliebt hätte statt in Cal.

Er stand auf und lehnte sich an den Schreibtisch. „Wann fängst du an?“

„Sobald die Verträge unterzeichnet sind. Das alte Lokal hätte eine Totalrenovierung nötig, aber dafür haben wir keine Zeit. Es muss auch so gehen. Ich muss das Speiseangebot zusammenstellen und mich um Küchenpersonal kümmern.“

Reid verschränkte die Arme über der Brust. „Du hast es ihm nicht gesagt, nicht wahr?“

Sie rutschte auf ihrem Sessel hin und her. „Es ist keine wichtige Information.“

„Natürlich ist es das. Lass mich raten. Du dachtest, er würde dich nicht einstellen, wenn er es weiß – aber sobald du den Job hast, kann er dich deshalb nicht mehr feuern.

„So ungefähr.“

„Schlau gemacht, Penny. Aber du spielst doch sonst nicht solche Spielchen.“

„Ich wollte den Job. Es war die einzige Möglichkeit, ihn zu kriegen.“

„Es wird ihm nicht gefallen.“

Sie erhob sich. „Ich sehe nicht ein, welche Rolle es überhaupt spielt. Cal und ich sind seit fast drei Jahren geschieden. Jetzt werden wir zusammenarbeiten. Es ist sozusagen die Beziehung im neuen Jahrtausend.

Reid sah sie an. „Glaub mir, wenn mein Bruder herausfindet, dass du schwanger bist, wird dich das teuer zu stehen kommen. Und zwar aus mehr Gründen, als du ahnst.“

2. KAPITEL

Vier Tage später fuhr Penny zum „Waterfront“. Sie stellte ihren Wagen auf dem leeren Parkplatz ab. Es war ein typischer Maitag, kühl und bewölkt, und es sah nach Regen aus. Sie stieg aus. Es roch nach nassem Holz, Salz und Fisch. Möwen kreischten. Das alte Gebäude war ein trostloser Anblick. Trotz zahlreicher Renovierungsarbeiten war dem alten Haus deutlich anzusehen, dass es harte Zeiten hinter sich hatte.

Nichts war trauriger als ein leer stehendes Restaurant, dachte sie. Es war früher Vormittag. Um diese Zeit sollte hier geschäftiges Treiben herrschen, Vorköche sollten sich an die Arbeit machen und der Koch bereits die Spezialitäten des Tages geplant und die Lieferungen geprüft haben. Der Duft von feinen Gewürzen müsste in der Luft liegen und der Rauch vom Holzgrill zu riechen sein. Stattdessen blies der Wind eine Seite der „Seattle Times“ über ihren Wagen hinweg.

Das war nun ihr Restaurant. Sie hatte die Papiere unterschrieben und sie in Cals Büro zurückgeschickt. Die nächsten drei Jahre war das Lokal ihre Welt und sie die Herrscherin über sein Schicksal.

Sie spürte, wie sich ihr Magen vor Aufregung und Vorfreude zusammenzog. Unter normalen Umständen würde sie mit Freunden, einem gutem Essen und Wein feiern. Doch vorläufig müsste der Wein warten.

„Aus gutem Grund“, flüsterte sie und legte eine Hand auf ihren Bauch.

Ein Auto bog zum Parkplatz ein. Sie drehte sich um und sah einen dunkelblauen BMW Z4 neben ihrem Wagen halten. Beim Anblick des teuren Sportwagens fielen ihr mindestens ein halbes Dutzend Kommentare ein, die sie anbringen könnte, sobald Cal ausstieg. Hatte ihn das Wetter in den letzten 31 Jahren je interessiert? War ein Cabriolet im Winter eine kluge Idee?

Doch als sich die Wagentür öffnete und er herauskletterte, konnte sie nicht anders, als ihm zuzulächeln und zu winken. Während er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete und seine Lederjacke zurechtrückte, fühlte sie sich wie die Statistin in einem Werbespot für Herrenparfum. Ihr Job war, das männliche Modell mit offenem Mund anzuhimmeln. Eine eventuelle Sprechrolle müsste allerdings von jemandem übernommen werden, der noch normal denken konnte.

Sie spürte, wie sich ihre Kehle zusammenschnürte. Ihre Knie zitterten, und ihre ohnehin empfindlichen Brüste schienen sich nach seiner Berührung zu sehnen. Gar nicht gut, dachte sie. Unter diesen Umständen waren sexuelle Gefühle für ihren Exmann eine äußerst schlechte Idee.

Sorgen, dass das etwas zu bedeuteten hatte, machte sie sich nicht. Sie war schwanger, und das hieß, von Hormonen überschwemmt zu werden. Sie brach bei kitschiger Werbung in Tränen aus, schluchzte beim Anblick von Kindern, die Tiere umarmten, und hätte überhaupt die ganze Welt am liebsten in rosa Zuckerwatte gepackt.

Nein, was auch immer sie in diesem Moment für Cal empfand, hatte nichts mit ihm zu tun, sondern nur mit dem kleinen Wesen in ihrem Bauch. Doch das hieß nicht, dass sie sich nicht immer noch lächerlich machen konnte.

Sie musste sich ins Bewusstsein rufen, eine große, böse Köchin zu sein, die als hartnäckig, schwierig und manchmal perfektionistisch galt. Ihr ganzes Leben hatte sie mit scharfen Messern gearbeitet. Sie konnte Hühnerknochen mit ihren bloßen Händen brechen.

„Bereit, es mit der Welt aufzunehmen?“, fragte Cal, als er auf sie zukam.

„Natürlich. Zumindest, was meinen kleinen Teil von ihr betrifft.“ Sie folgte ihm zur Eingangstür. „Ich werde einen Schlüssel brauchen.“

Er zog einen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche. „Sie sind gekennzeichnet. Vorder- und Hintereingänge. Alle vorhandenen Lagerräume. Der Weinkeller und das Getränkelager.“

Er sperrte den rechten Teil einer Flügeltür aus Holz und Glas auf und ließ ihr den Vortritt. Sie betrat den halbdunklen, großen Raum und bereute es sofort.

„Was ist das denn?“, fragte sie und fächelte mit der Hand vor ihrer Nase. Es roch nach einer Mischung aus versengtem Fell, faulem Fisch und Fleisch und modrigem Holz.

„Es riecht etwas streng“, gab Cal zu. „Die Lagerräume sind nicht gereinigt worden, als der Laden dicht gemacht wurde. Als ich vorige Woche hier war, war der Gestank schlimmer.“

Schlimmer konnte sie es sich nicht vorstellen. Sie hatte schon so Mühe, sich nicht zu übergeben. In den fast vier Monaten ihrer Schwangerschaft war ihr noch nie übel gewesen. Bis jetzt.

Cal stieß die Vordertüren auf und schaltete die Lüftung ein. „Es wird gleich besser.“

Sie rieb ihren Schuh am Teppich. „Der Gestank wird vom Saubermachen allein nicht vergehen.“

„Ich weiß. Wir haben überall Holzboden, nur nicht hier. Wir werden die Böden neu streichen und dann diesen Belag auswechseln.“

Sie hoffte, dass das reichen würde.

Wenigstens war der Raum an sich in Ordnung. Hohe Wände und große Fenster. Wenn die Leute sich für ein Essen am Wasser entschieden, wollten sie im Allgemeinen auch die Aussicht darauf genießen. Sie entdeckte Flipcharts mit Plänen des Speisesaals.

„Wie du siehst, machen wir kosmetische Veränderungen“, erklärte Cal die Skizzen. „Wir haben keine Zeit für eine komplette Neugestaltung.“

„Oh.“

Penny ging weiter. Der Essbereich des Lokals lag weder in ihrer Verantwortung noch interessierte sie sich dafür. Lieber wollte sie sich etwas anderes ansehen – nämlich die Küche.

Sie ging durch eine große Schwingtür im hinteren Teil des Restaurants. Der Geruch war dort noch viel schlimmer, aber sie ignorierte ihn angesichts ihres neuen Einsatzbereiches.

Wenigstens ist es sauber, dachte sie, als sie den großen Holzgrill, die Dampfgarer, die acht Herde und Backrohre inspizierte. Es gab einen Bereich für die Vorköche mit einer langen Arbeitsplatte aus rostfreiem Edelstahl und mit Becken für die Salate, es gab stapelweise Töpfe, Bratpfannen und Schüsseln. Sie brauchte nicht einmal die Augen zu schließen, um sich vorzustellen, wie es sein würde. Die beinahe blendende Hitze vom Grill und von den Öfen, zischender Dampf und geschäftige Rufe wie „Bestellung fertig“ oder „servierbereit“.

Das Restaurant war im alten Stil gebaut und deshalb groß und gut belüftet. Der Bodenbelag sah neu aus, und als sie einen der Töpfe hochhob, merkte sie, dass er schwer war und gute Qualität hatte. Jetzt in den Lagerraum.

„Du könntest wenigstens so tun, als wärst du interessiert“, hörte sie Cal aus der Küche sagen.

Sie drehte sich zu ihm um. „Woran?“

„Am Essbereich. Welche Farben geplant sind und wie die Tische aufgestellt werden.“

„Oh, natürlich.“ Sie überlegte einen Moment, was sie sagen sollte. „Es war großartig. Beeindruckend.“

„Glaubst du, du kannst mich täuschen?“

„Nein, aber du solltest auch nicht überrascht sein. Das Einzige, was mich interessiert, ist die Größe des Restaurants und wie die Tische angeordnet werden.“

Bescheid zu wissen, wie viele Tische es für sechs und wie viele es für acht Personen geben würde und wie man größere Bestellungen bewerkstelligen konnte, war wichtig. Es gab wenig, was eine Küchen-Crew mehr hasste, als von einer Bestellung für zwölf Personen überrascht zu werden.

„Du bekommst diese Informationen“, sagte er. „Also, was denkst du?“

Sie grinste. „Nicht schlecht. Ich muss eine komplette Bestandsaufnahme machen. Wie viel Budget gibt es für Neuanschaffungen?“

„Gib mir eine Liste mit den Dingen, die du brauchst, und ich sage dir Bescheid.“

Sie rümpfte die Nase. „Ich leite die Küche. Also sollte ich auch entscheiden können, was gekauft wird.“

„Du vergisst, dass ich dich kenne. Ehe man sich’s versieht, hast du schon in Deutschland oder Frankreich wer weiß was für zwanzig Riesen bestellt.“

Sie wandte sich ab, damit er ihr Lächeln nicht bemerkte. „Das würde ich nie tun.“

„Oh, natürlich nicht. Und das sagt eine Frau, die sich ein Messer-Set als Hochzeitsgeschenk gewünscht hat.“

Sie wirbelte herum, damit sie ihm ins Gesicht schauen konnte. Sie war nur allzu bereit, es mit ihm aufzunehmen. „Cal …“

Schnell schüttelte er den Kopf und unterbrach sie. „Tut mir leid. Ich werde unsere Ehe nicht mehr erwähnen.“

„Gut.“

Die Tatsache, dass sie mit Cal Buchanan eine Beziehung hatte – oder früher gehabt hatte – würde sich wie ein Lauffeuer unter dem Küchenpersonal verbreiten, sobald das Restaurant auch nur eine Viertelstunde seinen Betrieb aufgenommen hatte. Aber man musste es den Leuten zumindest nicht unter die Nase reiben. Und ihr selbst auch nicht.

Es war merkwürdig, Cal zu sehen, mit ihm zu reden. Was genau sie fühlte, wusste sie nicht. Sie war nicht wütend. Möglicherweise verunsichert. Traurig. Zwischen ihnen beiden war es früher einmal schön gewesen. Aber ihm war es egal gewesen. Er hatte …

Okay, vielleicht war sie doch ein bisschen wütend. Wer hätte geahnt, dass nach drei Jahren noch so viele Gefühle da waren? Wenigstens würde sie nicht regelmäßig mit ihm zu tun haben.

„Ich werde dir eine Liste zusammenstellen“, sagte sie. „Sobald wir hier fertig sind, verschaffe ich mir einen Überblick.“

„Okay.“ Er sah ihr in die Augen. „Bitte versuch, jetzt nicht zu schreien.“

„Warum sollte ich?“

„Es gibt vertragliche Verpflichtungen.“

Sie wusste, dass nicht von den Verträgen der Angestellten die Rede war. Blieben also nur die Lebensmittel und die Zustellfirmen.

„Nicht mein Problem“, erklärte sie.

„Doch, ist es. Denn du musst dich darum kümmern.“

Das war typisch, dachte sie. Cal war ein Manager. Er mochte vom Kopf her verstehen, was ein Essen für zweioder dreihundert Gäste an Aufwand bedeutete, aber er fühlte es nicht mit dem Herzen.

„Ich arbeite nicht mit zweitklassigen Leuten“, sagte sie.

„Bekommen sie eine Chance, es eventuell zu vermasseln, bevor du sie als zweitklassig bezeichnest?“

„Hätte das Essen gute Qualität gehabt, wäre das Restaurant nicht geschlossen worden“, erklärte sie ihm. „Etwas ist also falsch gelaufen, und ich tippe dabei auf das Essen. Ich habe meine eigenen Leute, mit denen ich arbeiten will.“

„Wir haben Verträge.“

„Nein, du hast Verträge.“

„Du bist am Gewinn beteiligt, Penny. Du bist ein Teil von uns.“

Da es noch keinen Gewinn gab, war der Gedanke daran nicht sonderlich erfreulich. „Ich möchte meine eigenen Zusteller.“

„Wir nehme die, die wir bereits unter Vertrag haben.“

Sie kannte diesen störrischen Zug um seinen Mund. Ob sie nun kämpfte, schrie oder mit körperlicher Gewalt drohte, er würde nicht nachgeben. Ihre einzige Chance war Logik.

„Gut. Ich nehme sie für den Anfang, aber wenn sie es vermasseln, ist es aus. Dann nehme ich jemand anderen.“

„Meinetwegen.“

„Du redest besser ein ernstes Wort mit ihnen. Ich wette, dass sie nicht ihre besten Waren hierher geliefert haben. Das sollten sie lieber ändern.“

„Ich kümmere mich darum.“ Er zog seinen Palm aus der Jackentasche und machte sich eine Notiz. Cal war einer dieser Männer, die immer ein neues Lieblingsspielzeug hatten.

„Sollte das nicht der neue Geschäftsführer machen?“, fragt sie. „Solltest du nicht Kaffee verkaufen?“

„Merkwürdig, dass du das erwähnst“, sagte er.

Sie lehnte an der Theke und sah ihn an. Alle Warnsignale waren da – das Glänzen in den Augen, das leichte Lächeln und sein Gefühl, Herr der Lage zu sein. Nicht, dass er es gewesen wäre. Es war ihr Traum, von dem die Rede war, und sie würde ihn sich von niemandem mehr zerstören lassen.

„Lass mich raten“, sagte sie trocken. „Mir wird nicht gefallen, wen du eingestellt hast.“

„Ich weiß nicht“, sagte er achselzuckend. Dann lächelte er. „Ich bin derjenige.“

Sie war auf einen Namen gefasst gewesen, der ihr nichts sagte oder auf jemanden, mit dem sie früher zusammengearbeitet und den sie nicht gemocht hatte. Aber Cal? Ihr Magen hob sich kurz, als eine Flut von Gefühlen sie überschwemmte.

Nein. Nicht Cal. Das war keine so gute Idee.

„Du wirst keine Zeit haben“, sagte sie schnell. Oh, er war natürlich gut – so viel wusste sie noch. Er war vom Steak House der Familie weggegangen, um etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Dass es nicht geklappt hatte, war nicht seine Schuld. Im Gegenteil, der Gewinn hatte sich beträchtlich gesteigert. Aber hier? Jetzt?

„Ich nehme mir eine Auszeit von vier Monaten“, sagte er. „Ich werde zwar noch ins Büro im ‚Daily Grind‘ gehen, aber nur für ein paar Stunden pro Woche. Mein Haupteinsatzbereich ist das ‚Waterfront‘.“

„Warum bist du damit nicht herausgerückt, als ich dich das erste Mal gefragt habe?“

„Ich dachte, du würdest den Job dann ablehnen.“

Hätte sie? Sie war sich nicht sicher. Aber das würde sie ihn nicht merken lassen.

Sie lachte. „Meine Güte, Cal, ich dachte, dein Bruder wäre derjenige mit dem großen Ego. Jetzt sehe ich, dass es in der Familie liegt.“

Er wirkte kein bisschen verunsichert. Das sah ihm ähnlich. Stattdessen starrte er sie an. „Angesichts unserer Vergangenheit war es vernünftig, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass du ablehnst. Eine Zusammenarbeit kann unter vielen Bedingung eine Herausforderung sein, aber in einem Restaurant …“ Er verstummte.

Genau ihr Argument. Sie wandte sich ab. „Mir ist egal, mit wem ich arbeite, solange derjenige seinen Job gut macht. Also komm, gib hundertfünfzig Prozent, und wir werden miteinander auskommen.“

„Penny?“

Sie atmete tief durch, um ihren Ärger nicht hochkommen zu lassen. Einen großen, tief sitzenden Ärger, der sie aggressiv machte. Das ist Vergangenheit, sagte sie sich. Es ist seit Langem vorbei. Das musste sie sich ins Bewusstsein rufen.

Aber der Kummer, der auf sein Konto ging, wollte einfach nicht vergehen. Sie wollte ihn hinausschreien und eine Erklärung fordern. Aber es war sinnlos, darüber zu reden.

Eine Sache allerdings musste einfach heraus. Nichts Schwerwiegendes, und es war eigentlich auch nicht mehr von Bedeutung.

Sie wandte sich ihm wieder zu. „Was zum Teufel war los mit dir?“, fragte sie. Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Ich war deine Frau. Es war ein simpler Anfängerjob. Salate, Cal. Nur Salate. Warum konntest du nicht einfach zum Telefon greifen und ein gutes Wort für mich einlegen? Dachtest du vielleicht, ich wäre der Aufgabe nicht gewachsen?“

Das war es, worüber sie immer gegrübelt hatte. Die Gelegenheit, ihn zu fragen, ob er nicht an sie glaubte, hatte sich nie ergeben. Aber was sonst hätte der Grund sein können? Sicher war sie sich dessen jedoch nie gewesen, und jetzt wollte sie es wissen.

Er trat einen Schritt auf sie zu. Dann hielt er inne und schüttelte den Kopf. „Du machst mich verrückt. Die Sache mit dem Job ist wie lange her – vier Jahre? Spielt das wirklich noch eine Rolle?

„Ja, das tut es.“

„Du wirst es mir nicht glauben.“

„Versuch es.“

„Es war nicht so, dass ich nicht an dich geglaubt hätte. Nie. Du warst großartig. Die Beste. Es war wegen meiner Familie.“

Sie runzelte die Stirn. „Was? Hattest du Angst, deine Großmutter könnte merken, dass deine Ehefrau arbeitet? Sie wusste doch schon, dass ich einen Job habe, Cal. Es wäre keine Überraschung gewesen.“

„Nein. Ich wollte nicht, dass du mit ihr zu tun hast. Dass du ihr ausgesetzt bist.“

Penny wusste, dass er und Gloria einander nie nahegestanden hatten. Doch dass das der Grund gewesen war, fiel ihr schwer zu glauben.

„Ich bin mit zwei Schwestern aufgewachsen, und wir mussten uns zu dritt das Badezimmer teilen“, sagte sie. „Ich weiß, wie man mit anderen Menschen auskommt.“

„Ich wollte nichts riskieren. Ich wollte dich keinem Risiko aussetzen. Es ging nie um dich und den Job.“

Sie glaubte ihm nicht ganz. Aber wie hatte er vorhin gesagt – was für einen Sinn ergab es, jetzt darüber zu streiten? Er war zurückgekommen, hatte sie gebeten, für ihn zu arbeiten, und sie war einverstanden gewesen.

„Egal“, sagte sie achselzuckend. „Ich akzeptiere dich als Geschäftsführer auf Zeit. Komm mir nur einfach nicht in die Quere.“

„Nicht meine Art.“

„Es ist interessant“, fuhr sie fort, „Ich erinnere mich genau, dass du mir versichert hast, es würde eher ein Kamel durchs Nadelöhr gehen, als dass wir beide wieder zusammenarbeiten.

„Das ist aus dem Zusammenhang gerissen. Wir waren damals verheiratet. In einem Restaurant ist nicht genug Platz für ein Ehepaar.“

„Du hast damals jedenfalls viel angekündigt. Was davon ist eingetreten?“

Sie rechnete damit, dass ihn diese direkte Frage verärgerte. Stattdessen grinste er. „Ich glaube, es waren ungefähr sechzig Prozent.“

„Du bist aber großzügig.“

„Bei diesem Thema schon.“

„Das Thema bist du?“

„Sein Lächeln wurde breiter. „Wer sonst?“

„Männer“, knurrte sie. Sie schlüpfte aus ihrem Mantel und legte ihn auf der Theke ab. Dabei kehrte sie ihm bewusst den Rücken zu, damit er ihr Lächeln nicht bemerkte.

Cal, merkte sie, konnte immer noch in ihr das Bedürfnis wecken, ihn in kleine Teile zu zerstückeln. Aber langweilig war er wahrlich nie gewesen.

„Jetzt sind wir nicht verheiratet“, sagte sie. „Ich bin sicher, wir werden gut auskommen, solange du deine Grenzen kennst.“

Sie wandte sich ihm zu und deutete auf den Eingang zur Küche. „Das ist mein Reich. Komm ja nicht auf die Idee, es zu betreten und das Kommando zu übernehmen.“

„In Ordnung. Und Gloria hat versprochen, dem Restaurant fernzubleiben, es sei denn, sie kommt als Gast. Das war Teil des Deals, um mich zurückzubekommen. Sie wird auch dich nicht belästigen.“

„Gut zu wissen.“ Obwohl sie seine Großmutter nicht für so dämonisch hielt wie er, hatten die ältere Frau und sie einander nie richtig nahegestanden. Immer, wenn Penny in der Nähe war, hatte Gloria die Nase gerümpft, als rieche es schlecht.

Sie zog einen Notizblock aus ihrer Tasche. „Gut, kommen wir zur Sache. Ich brauche ungefähr eine Woche, um die Küche auf Vordermann zu bringen. Für das Personal habe ich bereits jede Menge Pläne. Also bleibt nur mehr das Saubermachen, ein paar Neuanschaffungen und der Einkauf von Lebensmitteln. Bevor ich alles besorge, müssen wir unser Essensangebot besprechen.

„Wann wirst du mit dem Menüplan fertig sein? Ich muss ihn absegnen.“

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Willst du mir sagen, was ich kochen soll?“

„In diesem Fall schon, ja.“

Da war sie allerdings anderer Meinung. Doch diesen Kampf würde sie mit ihm austragen, wenn der Menüplan fertig war. „Ich lasse dich in ein paar Tagen wissen, wie es läuft. Wie lange brauchst du für den Essbereich?“

„Zwei Wochen.“

Mit einem kleinen Stift machte er sich Notizen auf seinem Palm. Sie rückte näher und schaute ihm über die Schulter.

Großer Fehler. Plötzlich spürte sie ihn ganz nah. Die Hitze seines Körpers schien sie von innen her zu wärmen. Sie atmete seinen Geruch ein. Unglücklicherweise roch er wie früher. Nur nach sauberer Männerhaut und nach etwas, das einzig und allein Cal war.

Erinnerungen an Gerüche waren etwas Gewaltiges. Sie hatte das auf der Kochschule gelernt und setzte dieses Wissen beim Kochen ein. Nun war sie in einen Wirbel von Erinnerungen geraten. Sie dachte daran, wie sie bebend und erschöpft vor sexueller Befriedigung nackt neben ihm gelegen und seinen Atemzügen gelauscht hatte.

Sie trat einen großen Schritt weg von ihm.

„Ich nehme an, es gibt Pläne für die Eröffnung“, sagte sie. Sie war froh über den normalen Klang ihrer Stimme. Gedanken an Sex waren in Cals Fall völlig unpassend. Nicht nur, dass sie geschieden waren – sie war auch schwanger. Sie bezweifelte, dass ihn das antörnen würde.

„Ich will eine große, spritzige Party für den Eröffnungsabend. Keine Bedienung, nur Appetithäppchen. Es werden viele Leute kommen, und du hast die Chance, groß anzukündigen, was es in Zukunft alles geben wird. Wir laden die lokale Presse und die Reichen und Schönen ein.“

Sie lächelte. „Die Reichen und Schönen?“

Er schüttelte den Kopf. „Wirtschaftsbosse, Prominente und dergleichen.“

„Die werden sich unheimlich freuen, wenn sie merken, wie begeistert du bist.“

„Ich will, dass das Restaurant anläuft. Die Party ist ein notwendiges Übel.“

„Schreib das besser nicht in die Einladung“, schlug sie vor.

„Ich werde mir für die Eröffnung ein Buffet ausdenken, sobald ich die Menüs für das Restaurant zusammengestellt habe. Und – nur, damit du Bescheid weißt – den Leuten, mit denen du fixe Lieferverträge hast, werde ich so lange Aufträge geben, bis sie es vermasseln. Aber für die Party hole ich meine eigenen Leute. Ich habe da ein paar Fisch-Spezialisten.“

„Richtige Spezialfische?“, fragte er. „Mit Kiemen? Und Finne?“

Sie überdrehte die Augen. „Du weißt, was ich meine. Ich werde bei ausgefallenen Bestellungen mit ihnen zusammenarbeiten.“

„In Ordnung.“

Ein letzter Blick auf ihre Notizen. Was musste noch besprochen werden? Sie sah ihn an. „Hast du …“ Sie runzelte die Stirn, als sie seinen staunenden Blick bemerkte. „Was ist los?“

Er trat einen Schritt zurück. „Nichts.“

„Du schaust so merkwürdig. Woran denkst du?“

„Ich sagte doch, es ist nichts.“

„Aber irgendetwas ist doch.“

„Nein, es ist nichts.“ Innerlich fluchte Cal. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal dabei ertappt worden war, die Brüste eine Frau anzustarren. Warum sollten ihn die von Penny jetzt interessieren?

Sie taten es nicht. Er hatte sich seit Jahren nicht mehr für sie interessiert. Es war nur … sie sah anders aus. Sie strahlte ein Selbstbewusstsein aus, das er früher nie an ihr bemerkt hatte. Es konnte von dem Erfolg rühren, den sie kürzlich gehabt hatte. Aber da war auch noch die Sache mit ihren Brüsten.

Sie waren größer. Dessen war er sich sicher.

Wieder wanderte sein Blick hinunter auf ihre Brüste. Klar, größer. Ihr Pullover verbarg ihre Kurven bis über die Taille. Er war mit ihr verheiratet gewesen, hatte sie unzählige Male nackt gesehen. Er hatte ihren Körper immer gemocht, obwohl sie ständig darüber geklagt hatte, zu jungenhaft auszusehen. Alles eckig und gerade. Ihre Brüste waren klein gewesen. Aber jetzt …

Sie waren größer. Wie konnte das sein? Oh, natürlich, er wusste, dass es Implantate gab. Aber Penny war nicht der Typ dafür, oder? Und selbst wenn sie sich für eine Brustvergrößerung entschieden hätte -wäre es dann nicht mehr als nur eine Körbchengröße geworden?

Er schüttelte den Kopf und zwang sich, an etwas anderes zu denken. Er war Mitbegründer und Leiter eines Multimillionen-Unternehmens und verantwortlich für ein großes Restaurant. Und er war über dreißig. Selbstverständlich war er in der Lage, den Rest des Treffens ohne ständige Gedanken an die Brüste seiner Exfrau zu überstehen.

„Wen bringst du mit?“, lenkte er ab. „Du sagtest etwas von zwei Leuten.“

„Edouard, meinen Souschef, und Naomi.“

Er fluchte. „Nein.“

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Entschuldige, aber du hast nicht mitzureden. Sie ist mir eine Hilfe. Naomi arbeitet für mich, und sie ist die Beste in der Branche, wenn es ums Organisieren geht. Wir werden einen Chef de Service brauchen, wenn es hier überfüllt ist.“

Er wusste, dass die perfekte Organisation des Service in einem überfüllten Restaurant jeden Preis wert war. Jemand musste die Gerichte zu den Tischen dirigieren und dafür sorgen, dass die verschiedenen Gänge zur rechten Zeit an den rechten Ort kamen. Der Chef de Service, der diese Abläufe koordinierte, war gewöhnlich der Küche zugeordnet, arbeitete aber auch unterstützend im Restaurant. Er bewahrte den Überblick über beide Bereiche und konnte so den Koch auf dem Laufenden halten.

„Woher willst du wissen, dass wir so gut mit Gästen ausgelastet sein werden?“, fragte er. „Einen Kundenstock aufzubauen braucht Zeit.“

Sie lächelte. „Aber hallo, da bin ja auch noch ich. Sie werden kommen.“

„Sag einmal noch etwas über mein Ego“, grummelte er.

„Nein, danke.“

Sie ging weiter ihre Liste durch und brachte noch ein paar Einzelheiten zur Sprache. „Ich bezahle meine Köche richtig gut, also sei darauf gefasst.“

„Ich habe ein Budget.“

„Und ein Restaurant mit dem Ruf, schreckliches Essen zu haben. Du bist nur vier Monate hier, Cal. Ich weiß, was das bedeutet. Du willst einen guten Eindruck machen und dann aussteigen. Damit bin ich einverstanden, aber es wird nicht billig.“

„Halt es in Grenzen.“

„Ich tue, was nötig ist.“

Es gefiel ihm, dass sie Widerstand leistete. Sie war wieder ganz wie früher.

„Wir treffen uns am Montag und sehen dann weiter“, sagte er. „So gegen Mittag?“

„Ich werde ohnehin wegen der Vorstellungsgespräche hier sein. Komm einfach vorbei, wann es dir passt.“ Sie legte ihren Notizblock weg. „Ich bleibe noch und schaue mir die Küche an.“

„Die Schlüssel hast du. Sperr ab, wenn du gehst.“

„Natürlich.“ Sie lächelte und wandte sich ab. Er konnte sie nun von der Seite sehen, und sein Blick fiel auf ihre Brüste. Was zum Teufel war da los?

Nach dem Treffen mit Penny machte sich Cal auf den Weg zurück in sein Büro in der Daily-Grind-Firmenzentrale. Bis auf ein paar letzte Details hatte er alles für die vier Monate seiner Abwesenheit geregelt. Im Büro hörte er den Anrufbeantworter ab. Seine Assistentin würde ihn im „Waterfront“ über alles informieren, während er weg war. Außerdem würde er sich in dieser Zeit zweimal pro Woche mit seinen Geschäftspartnern treffen.

Die Firmenzentrale war im obersten Stockwerk eines ehemaligen Fabrikgebäudes am Highway 5 untergebracht. Von dort hatte er freien Blick auf einen Großteil der Innenstadt in Richtung Lake Union und auf den Aussichtsturm Space Needle. Bei klarem Wetter konnte er noch weiter sehen, aber dies war Seattle, und hier gab es nicht so viele schöne Tage. Sogar jetzt prasselte leichter Regen auf sein Panoramafenster und die Dachbeleuchtung.

Keine zwanzig Minuten nachdem er sich an seine Arbeit gesetzt hatte, rief seine Assistentin an. „Ihre Großmutter ist hier“, sagte sie leise.

Cal wünschte, er hätte eine Entschuldigung, um sie nicht treffen zu müssen. Leider bedeutete die Rettung des „Waterfront“ auch, vermehrt mit der alten Dame zu tun zu haben.

„Schicken Sie sie herein.“

Er erhob sich, um sie zu begrüßen. Gloria Buchanan schwebte mit einer Eleganz und Grazie in sein Büro, die verrieten, dass sie in einer weit stilvolleren Zeit geboren worden war.

Sie war schlank, mittelgroß und trug einen maßgeschneiderten Hosenanzug sowie gefährlich hochhackige Schuhe. Trotz ihrer mehr als 70 Jahre hielt sie sich sehr gerade. Ihr Haar war weiß und wie immer perfekt frisiert. Das Alter hatte kaum Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen. Dani, seine Schwester, behauptete steif und fest, Gloria hätte Schönheitsoperationen machen lassen. Entweder das – oder sie war tatsächlich eine Hexe und bewahrte sich ihr gutes Aussehen mit übernatürlichen Kräften.

„Hallo, Gloria“, sagte er und bot ihr einen Sessel an.

Sie nickte ihm zu und nahm Platz. Als er ihr gegenüber saß, fragte er sich, warum er sie nie Großmutter genannt hatte. Nicht einmal, als er jung gewesen war. Sie hatte es von Anfang an zu verhindern gewusst.

Sie legte ihren Pelzmantel ab und stellte ihre hellblaue Handtasche neben ihren Füßen am Boden ab. „Ich nehme an, du bist bereit für den Wechsel.“

Er nickte. „Ja, natürlich. Ab morgen ist mein Arbeitsplatz im, Waterfront‘.“

Sie sah sich in seinem geräumigen Büro um und rümpfte die Nase. „Du klingst nicht, als würdest du das alles hier vermissen.“

„Natürlich werde ich das. Wir haben mit Nichts angefangen und ein Imperium im Millionenwert daraus gemacht.“ Etwas, das jeder normale Mensch zu schätzen wüsste, dachte er grimmig.

„Ach ja, Drinks und Kekse. Was für ein Imperium“, sagte Gloria.

Cal hatte gelernt, dass es sinnlos war, mit ihr zu streiten. Sie sah die Welt, wie sie sie sehen wollte. Und wie er sie einschätzte, war ihr Blick kalt und deprimierend.

„Du bist doch nicht hier, um übers ‚Daily Grind‘ zu reden“, sagte er. „Warum kommst du nicht zur Sache?“

„Ich möchte über das Restaurant reden.“ sagte sie.

„Nein, willst du nicht.“

Sie riss ihre dunkelblauen Augen auf. „Entschuldige bitte?“

„Sei vorsichtig“, sagte er mahnend, „Es gibt bestimmte Spielregeln. Wenn du mir, was das Restaurant betrifft, auch nur bei einer Kleinigkeit in die Quere kommst, kündige ich. Ich habe dir versprochen, dass das Lokal in vier Monaten florieren wird. Aber nur unter der Bedingung, dass du dich heraushältst. Das ist mein Ernst. Ein einziger Ratschlag, ein einziger Vorschlag von dir, und es ist vorbei.“

„Du würdest wirklich dein Erbe im Stich lassen?“ Ihre Frage klang sowohl ärgerlich als auch gebieterisch.

„Das habe ich schon. Es ist leichter, als du denkst.“

„Ich habe für diese Familie und die Firma mein Leben geopfert“, sagte sie mit eisiger Stimme. „Ich habe mich selbst dafür aufgegeben.“

Er kannte diese Geschichte bereits. „Du hast genau das gemacht, was du wolltest“, erinnerte er sie. „Jeder, der dir in die Quere kam, wurde fertiggemacht und aus dem Weg geschafft.“

Seit seiner Geburt war das Unternehmen der Familie ihr Ein und Alles, und er vermutete, dass das auch schon vorher so gewesen war. Gloria würde alles tun, wenn es dem Namen Buchanan nützte. Die Ironie war, dass sie nicht einmal eine geborene Buchanan war. Sie hatte in die Familie eingeheiratet.

„Lass es mich noch einmal klarstellen“, sagte er, „Ich mache das nicht für dich. Ich helfe nur meinen Brüdern und Dani. Meine Güte, Dani sollte diejenige sein, die das ‚Waterfront‘ aus dem Dreck zieht. Ihr liegt mehr an dem Lokal als dem Rest von uns zusammen.“

Glorias Blick verfinsterte sich. „Dani ist nicht…“

„Verschone mich damit, es ist langweilig“, unterbrach er sie. „Wie gesagt, ich mache es nicht für dich. Ich mache es für den Fall, dass einer von uns einmal Kinder hat, die Interesse an den Geschäften zeigen. Ich investiere meine vier Monate, aber das war von meiner Seite dann auch schon alles.“

„Das klingt, als wäre es eine Verurteilung.“

„In gewisser Hinsicht ist es eine.“

„Callister.“

Er betrachtete sie. Zum ersten Mal erschien sie ihm richtig alt. Sogar schwach. Aber er würde nicht auf ihre Tricks hereinfallen. Sie war ein gerissener alter Kauz und hatte mehr als nur einmal auf ihm herumgehackt.

„Gut. Vier Monate“, sagte sie. „Ich habe gehört, wen du als Köchin eingestellt hast.“

Aus ihrem Mund klang es, als hätte er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen.

„Sie leistet hervorragende Arbeit, und ihr Name bringt uns Kunden“, sagte er. „Sie hat hart verhandelt, aber ich habe sie gekriegt. Und nur das zählt.“

„Verstehe.“ Es klang nicht so, als hätte sie auch nur irgendetwas verstanden. Gloria klang ärgerlich.

Cal fragte sich, was der alte Drache gegen Penny hatte. Abgesehen davon, dass nicht sie, Gloria, sie persönlich ausgesucht hatte.

Penny hatte nie verstanden, warum er sich immer so sehr bemüht hatte, sie der Kontrolle seiner Großmutter fernzuhalten. Damals, als sie noch verheiratet gewesen waren, hatte er Angst vor der Macht der alten Frau gehabt.

Jetzt war alles anders. Penny hatte den Ruf, zäh zu sein. Jede Wette, dass sie sich Gloria gegenüber behaupten konnte. Gut möglich, dass die beiden aneinandergeraten würden. Er hoffte nur, er würde bei diesem Spektakel dabei sein dürfen.

„Wenn Penny kocht, kommen sie“, sagte er.

„Hoffentlich gibt es kein Unglück in deinem Lokal.“

Cal witterte die Falle, aber seine Neugier war zu groß, um den Köder zu ignorieren. Das Einzige, was er von Pennys Leben nach der Scheidung wusste, waren Kleinigkeiten, die Reid beiläufig im Gespräch erwähnt hatte.

„Was soll passieren?“, fragte er.

„Sie hat einmal einen ihrer Mitarbeiter mit dem Messer attackiert. Offenbar hat der Mann nicht getan, was sie wollte. Sie nahm ein Küchenmesser und ging auf ihn los.“

Cal begann zu lachen.

Gloria sah in zornig an. „Das ist nicht witzig. Sie ist praktisch eine Mörderin.“

Er lachte immer noch. „Wurde sie angeklagt?“

„Ich weiß es nicht genau.“

Was bedeutete, dass es keine Anklage gegeben hatte. „Hoffentlich stimmt die Geschichte“, sagte er immer noch amüsiert. „Ich kann es kaum erwarten, Penny nach allen Einzelheiten zu fragen.“

3. KAPITEL

Qualifikationen sind ja gut und schön“, sagte Naomi. „Aber ich will jemanden, mit dem ich Sex haben kann.“

Penny beachtete ihre Freundin nicht und warf einen Blick auf die Bewerbung, die vor ihr lag. „Ich habe viel Gutes über ihn gehört“, sagte sie, während sie sich auf einem Block Notizen machte. „Setz ihn auf die Liste.“

„Aber er ist verheiratet und macht keine Seitensprünge.“ Naomis quengeliger Unterton war nicht zu überhören. „Das eine kann ich akzeptieren, aber das andere nicht.“

„Wir reden davon, ein Restaurant wiederauferstehen zu lassen, nicht von deinem Sex-Leben.“

„Warum muss sich das gegenseitig ausschließen? Ich kann eine gute Mitarbeiterin sein und ein tolles Sex-Leben haben. Tatsache ist, dass es mich bei Laune hält, wenn ich regelmäßig flachgelegt werde.“

Penny schaute auf ihre Notizen, damit Naomi ihr Lächeln nicht bemerkte. „Konzentrier dich“, sagt sie.

Naomi seufzte. „Seit du Chefin bist, hat man nicht mehr so viel Spaß mit dir.“

„Und so wird es wahrscheinlich bleiben. Wen haben wir als Nächsten?“

Während Naomi in den Unterlagen kramte, ließ Penny ihren Blick durch den neu gestalteten Speisesaal wandern. Der Raum war frisch gestrichen worden, und die Vorhänge waren neu. Der alte Teppich war verschwunden und der Holzfußboden abgeschliffen und neu versiegelt. Es roch nach Lack und nach den Reinigungsmitteln aus der Küche. Penny war dankbar, dass der schreckliche Gestank nach verrottetem Holz verschwunden war. Sie war im vierten Monat und hatte die Nase voll von morgendlicher Übelkeit.

„Arschloch im Anmarsch“, murmelte Naomi.

Penny drehte sich um und sah Cal auf sie zukommen. Er sah gut aus – groß und sehr attraktiv in seiner schwarzen Lederjacke und den Jeans. Sein Gang war elegant und federnd wie der aller Buchanan-Männer. Gute Gene. Leider hat er sie von Gloria, dachte sie. Ihre Sturheit und Entschlossenheit hatte die alte Frau an ihre Enkelkinder vererbt.

„Er ist kein Arschloch mehr“, sagte Penny. Sie schenkte dem plötzlichen Flattern in ihrem Bauch keine Beachtung. „Er ist unser Chef.“

„Für mich wird er immer der Idiot bleiben, um den du ganze zwei Wochen geweint hast, als er dich verlassen hat.“

Genau genommen war sie es gewesen, die aus der Wohnung ausgezogen war, aber Penny wusste, wie Naomi es meinte. Cal hatte nichts unternommen, um sie aufzuhalten – geschweige denn versucht, sie zurückzuholen.

„Das ist lange her“, erinnerte Penny sie. „Für mich ist es vorbei. Das sollte es für dich auch sein.“

„Möglich.“

Cal kam an ihren Tisch. „Meine Damen.“ Er präsentierte ein Tablett mit drei Bechern Kaffee. „Hier ist eine Kleinigkeit, die beim Eingewöhnen helfen soll.“

Naomi nahm sich einen Becher und betrachtete das Daily-Grind-Logo darauf. „Ich bevorzuge ja eher ‚Starbucks‘, aber in der Not frisst der Teufel Fliegen.“

„Nett“, sagte Cal und sah sie an. „Hallo, Naomi. Lange nicht gesehen.“

„Wie wahr.“ Sie stand auf. In ihren schwarzen Lederstiefeln war sie beinahe auf Augenhöhe mit Cal. „Wie geht’s?“

„Großartig.“

„Wie ich höre, leitest du das Restaurant.“

„Das ist richtig.“

Sie nahm einen Schluck Kaffee. „Jedes Mal, wenn ich in einem deiner Lokale bin, fällt mir ein, wie ich dich nackt gesehen habe. Ich muss dann immer kichern.“

Sprach’s und schlenderte davon.

Penny zuckte zusammen und schloss die Augen. Unglücklicherweise hatte Naomi Cal wirklich nackt gesehen; sie hatte sie einmal überrascht, als sie gerade miteinander schliefen. Nachdem Naomi sich zurückgezogen und die Tür hinter sich geschlossen hatte, waren ihre bitteren Klagen zu hören gewesen: Konnte man nicht einmal so höflich sein, wenigstens Geräusche zu machen, während man es tat? Dann wüsste der Rest der Welt, was sie gerade machten und würde nicht versehentlich hineinplatzen.

Cal setzte sich auf den frei gewordenen Sessel und nahm sich einen der übrig gebliebenen Kaffees. „Brauchst du sie wirklich?“, fragte er.

„Tut mir leid, ja. Sie ist großartig in ihrem Job, und sie hält mir den Rücken frei.“ Naomi würde Penny während der fortschreitenden Schwangerschaft entlasten. „Wir sind ein Team.

„Großartig.“

„Du bist nur vier Monate hier“, erinnerte Penny ihn. „So schlimm kann es doch nicht werden.“

„Wir reden von Naomi. Es könnte eine Katastrophe werden.“

„Doch nicht für unseren großen, bösen Manager.“

Er sah sie an. „Mir scheint, in deiner Stimme schwingt nicht genug Ehrfurcht mit. Das ist mein Restaurant, und solange ich hier bin, bin ich ein Gott.“

„Diese interne Mitteilung ist mir wohl entgangen. Könntest du sie mir noch einmal zukommen lassen?“

„Ich bringe dir persönlich eine Kopie davon.“ Sein Blick wanderte durch das Restaurant. „Was hältst du davon?

Sie folgte seinem Blick. „Es ist nett.“

„Nett? Weißt du, was das hier kostet?“

„Nein. Und es ist mir auch ziemlich egal. Der Speisesaal ist deine Angelegenheit.“

Er schüttelte den Kopf. „Du hast dich nicht verändert. Was passiert, wenn du dein eigenes Lokal eröffnest? Dort musst du dich dann sehr wohl damit auseinandersetzen.“

„Das schaffe ich schon. Naomi hat einen fabelhaften Geschmack.“

„Bist du sicher, dass du eine Art Sex-Shop daraus machen willst?“

Penny überlegte. „Gutes Argument. Ich werde mich dann an Reid wenden. Unter seinen früheren Freundinnen findet sich sicher eine Innenarchitektin.“

„Vorausgesetzt, er erinnert sich, welche es war.“

„Wieder ein gutes Argument. Du bist heute Morgen gut in Form.“

Er nahm einen Schluck Kaffee. „Und du bist angriffslustig. Seit wann?“

„Seit einhundertsiebenundvierzig Tagen. Es wurde in den Nachrichten gemeldet.“

„Das habe ich verpasst.“

„Ich nehme an, diese Meldung versteckt sich gemeinsam mit deiner Mitteilung, ein Gott zu sein.“

Er grinste, und sie lächelte zurück. Obwohl sie gerne mit dem Geplänkel weitergemacht hätte, war ihr klar, dass es besser war, auf einer professionellen Ebene zu bleiben. Ihre frühere Beziehung mit Cal hatte mit Scherzen begonnen und war von Minute zu Minute gefährlicher geworden. Dagegen war sie jetzt immun, aber riskieren wollte sie trotzdem nichts. Nicht, wenn es so überraschend leicht war, mit ihm auszukommen.

„Du bist eine ganze Weile aus dem Geschäft“, sagte sie. „Wie fühlt man sich, wenn man zurück ist?“

„Gut. Vertraut. Ich habe es, glaube ich, nicht vermisst, aber ein Restaurant zu leiten hat das gewisse Etwas. Alles verändert sich, keine Stunde ist wie die andere, geschweige denn ein Tag. Ständig steht man auf Kriegsfuß mit der Zeit. Hinter der nächsten Ecke lauert schon wieder eine Krise.“

„Klingt, als hättest du es vermisst.“

„Vielleicht habe ich das.“

„Ich hoffe, du weißt noch genug, um den Laden hier halbwegs zu schaukeln.“

„Dein Vertrauen ist überwältigend.“

Cal beobachtete Penny, als sie sich zurücklehnte, als wollte sie sich von ihm lösen. Er konnte ihre Gedanken so klar lesen, als hätte sie sie ausgesprochen.

Er hatte kein Vertrauen in sie gehabt.

Das stimmte zwar nicht, aber er wusste, dass sie ihm nicht glauben würde. Seine Versuche, sie vor Gloria zu schützen, hatte die Kluft zwischen ihnen nur vergrößert.

Uralte Geschichten, sagte er sich. Man sollte sie besser vergessen.

Sie griff in ihren abgenutzten Rucksack und zog eine Mappe hervor. „Hier sind einige Menüvorschläge. Ich habe die Gerichte markiert, die ich bei der großen Eröffnungsparty servieren möchte. Die Fragezeichen stehen dort, wo ich noch nicht weiß, was genau mir an diesem Tag zur Verfügung steht. Das Angebot ändert sich rasch, und meine Fisch-Leute können die exotischeren Angebote nicht vor dem Tag der Party versprechen.

Er nahm die Zettel an sich. „Die berüchtigten Fisch-Leute.“

Sie lächelte. „Manchmal kostümieren sie sich.“

„Das würde ich gern einmal sehen.“

Sie lachte.

Dieser Klang überschwemmte ihn unerwartet in einer heißen Welle. Er spürte, wie ihr Lachen ihn von innen wärmte und erregte.

Halt. Falsche Richtung. An aufgewärmte Beziehungen glaubte er nicht, jedenfalls nicht in Liebesdingen. Er und Penny waren Kollegen, mehr nicht.

Doch sogar während seines Rückzugs durchströmte ihn sexuelle Energie, und er kam nicht umhin, den Schalk in ihren Augen und das Leuchten ihrer Haut zu bemerken.

Sicher ging Ersteres auf seine Kosten, und das Zweite musste an der verdammt guten Beleuchtung des Restaurants liegen. Aber das glaubte er nicht einmal sich selbst.

„Hörst du überhaupt zu?“, fragte sie.

„Oh, ja. Fisch-Spezialitäten, die von der Laune deiner Spezialfächer abhängig sind.“

„Nein. Ich sagte, dass ich das Angebot meiner Spezialitäten langsam ausbauen werde. Alle Kreationen auf einmal auf die Speisekarte zu setzen, wäre unklug. Ich habe auch schon ein paar Ideen für Gerichte, die das Markenzeichen des ‚Waterfront‘ werden sollen. Sobald wir uns etabliert haben, biete ich sie als Tagesspezialitäten an, und wenn sie gut ankommen, setzen wir sie dauerhaft auf die Karte. Ideen für das Menü der Saison habe ich auch schon. Bestimmte Fischsorten gibt es zu bestimmten Zeiten im Jahr. Davon ausgehend werde ich kochen. Das Gleiche gilt für Obst und Gemüse.“

„Beeren im Sommer, Mus im Herbst“, sagte er.

Sie seufzte. „Ich halte mich zwar für einfallsreicher, aber im Grunde hast du recht. Das ist das Konzept.“

Er sah die Menüvorschläge durch. Sie enthielten das Wesentliche – gedämpften und gegrillten Fisch, Suppen, Salate, Beilagen.

Er kannte ihre Knoblauchkartoffeln von früher, und die Erinnerung daran ließ ihm das Wasser im Munde zusammenlaufen. Sie verwendete dafür eine geheime Zutat, die sie niemandem verriet, nicht einmal ihm.

Er überflog flink, aber aufmerksam die Liste mit den Spezialitäten. „Maiskuchen?“, fragte er. „Ich dachte, wir spezialisieren uns auf nordwestliche Küche. Kommt das nicht aus dem Südwesten?“

„Es kommt auf die Zubereitung an.“

Er zuckte die Achseln, dann schüttelte er den Kopf. „Fisch und Pommes frites? Wollen wir das hier wirklich? Fast Food statt Haute cuisine?“

Ihr Blick verdüsterte sich. „Sehe ich verärgert aus?“, fragte sie. „Denn du verkaufst mich hier wohl für dumm. Wolltest du ein besonderes Speiseangebot oder wolltest du es nicht?“

„Ja, aber …“

„Hast du mich eingestellt, damit ich für besondere kulinarische Erlebnisse sorge, oder nicht?“

„Ja, aber …“

„Vielleicht bist du dann so nett und gibst mir die Chance, meinen Job zu machen, bevor du anfängst, dich zu beschweren.“

„Penny“, sagte er leise und bestimmt. „Ich habe das letzte Wort beim Speiseangebot. Das steht im Vertrag.“

Fast konnte er ihr Zähneknirschen hören.

„Gut. Streich alles an, was dir fragwürdig erscheint. Dann kommst du in zwei Tagen wieder, und wir veranstalten ein Testessen. Du wirst die Gerichte ausprobieren, gegen die du Einwände hast. Ich werde in der Küche sein, wohin du dann gekrochen kommen wirst, um mich um Verzeihung zu bitten. Und du wirst nie, nie mehr meine Menüauswahl in Frage stellen.“

Er lachte leise. „Ich werde nicht gekrochen kommen und sehr wohl kritisieren, wenn es mir passt. Aber das Testessen klingt gut.“ Er nahm seinen Palm zur Hand. „Um wie viel Uhr?“

„Um drei.“

„Fein. Sollte ich allerdings nicht beeindruckt sein, bestimme ich, was auf die Speisekarte kommt“, erklärte er ihr.

„Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr.“

„Es soll ganz schlanke Kamele geben.“

Sie murmelte etwas, das er nicht verstehen konnte. Er verkniff sich ein Lächeln.

In den Jahren seit ihrer Trennung war sie hart im Nehmen geworden. Das gefiel ihm. Kein Zweifel, dass sie das Küchenpersonal ohne Probleme im Griff haben würde. Ihm fiel ein, was Gloria erzählt hatte. Dass Penny mit dem Messer auf jemanden losgegangen wäre. Er wollte die Geschichte gern hören, aber nicht jetzt.

Cal sah sich nochmals den Speiseplan an. „Wir sollten den Preis für die Menüs festsetzen, bei denen wir uns einig sind“, sagte er. „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es darüber Diskussionen geben wird.“

„Ich habe die Kostenaufstellung hier.“

Sie zog weitere Zettel hervor. Es waren Computerausdrucke, auf denen in einer Tabelle die geschätzte Größe der einzelnen Gerichte und die Zubereitungskosten aufgelistet waren.

„Deine Portionen sind zu groß“, sagte er. „Wir müssten zu viel dafür berechnen.“

„Besser, als wenn die Gäste hungrig nach Hause gehen und sich unterwegs einen Burger holen.“

Er machte sich auf einen Kampf gefasst. „Wer braucht 300 Gramm Heilbutt?“

„Bei Fisch sind solch kleine Portionen von 100 Gramm nicht üblich.“

„Wir reden hier aber von höchster Qualität.“

Sie klopfte mit ihrem Stift auf den Tisch. „Himmel, und ich dachte, das Restaurant sollte höchste Qualität bieten. Habe ich das falsch verstanden?“

Bevor er antworten konnte, betrat Naomi mit einem Mann, den Cal nicht kannte, den Speisesaal. Pennys Freundin trat einen Schritt zurück, zeigte auf den Neuankömmling und verkündete: „Ich will ihn!“

Cal stöhnte.

„Er ist der Wein-Lieferant“, sagte Naomi. „Wer gibt ihm die Aufträge?“

„Ich“, sagten Cal und Penny wie aus einem Mund.

Kurz nach neun am Mittwochabend betrat Cal die „Downtown Sports Bar“. Die meisten Gäste waren nach der Happy Hour und der Übertragung des letzten Spiels gegangen, und nur mehr ein paar Geschäftsleute und Stammgäste, die nicht nach Hause wollten, waren noch da. Was bedeutete, dass die Besucher hier zu 90 Prozent Frauen waren.

Sein Bruder Reid stand hinter dem Tresen und hielt Hof. Ungefähr ein Dutzend vollbusige Schönheiten hörten ihm zu, lachten und luden ihn unverblümt in ihr jeweiliges Bett ein. Oder vielleicht doch nicht nur in ein jeweiliges Bett. Bei Reid wusste man nie so recht.

So war er schon immer, dachte Cal grinsend, winkte seinem Bruder zu und steuerte auf eine Sitzecke zu. Reid hatte mehr als genug Frauen gehabt, die sich für ihn interessierten. Einerseits, weil er der Baseballstar im Highschool-Team gewesen, andererseits, weil er ein Buchanan war. Die Buchanan-Jungs hatten nie an mangelnder weiblicher Gesellschaft gelitten.

Als er zur Sitzecke kam, sah er seine kleine Schwester Dani. Sie hatte schon Platz genommen, ein Bier vor sich stehen und schaute gekränkt drein. An ihrem Gesichtsausdruck merkte er, dass sie die Neuigkeit bereits gehört hatte.

„Wie geht’s, Kleines?“, fragte er und setzte sich neben sie.

„Was glaubst du? Ich versuche immer noch, mir das Messer aus dem Rücken zu ziehen.“

Wenn sie noch Kinder wären, würde er sie an sich drücken und so lange kitzeln, bis sie zu schreien beginnt. Dann würde er sie umarmen. Aber das war nicht mehr möglich, und er wusste nicht, wie er sie trösten sollte.

„Hi, Cal.“

Er blickte auf und sah Lucy, eine der Kellnerinnen, auf sich zukommen.

„Das Übliche?“, fragte sie.

Cal nickte.

„Dani hat Nachos bestellt“, fügte sie hinzu. „Eine Portion für zwei?“

„Für drei. Reid gesellt sich auch zu uns.“

„Wird gemacht.“

Als sie sich umdrehte, kam ihr runder Po unter den engen Khaki-Shorts zur Geltung. Nur Reid konnte es sich erlauben, sein Personal im Winter in Seattle in kurzen Hosen und ausgeschnittenen T-Shirts arbeiten zu lassen.

Cal wandte sich seiner Schwester zu. Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf die Wange, aber sie wich zurück. Ihre dunkelbraunen Augen funkelten vorwurfsvoll.

„Wie konntest du nur?“, fragte sie.

„Verdammt, Dani, ich hatte keine Wahl. Du weißt, dass ich nicht zurück ins Geschäft will. Ich will sicher nicht für Gloria arbeiten. Aber ich konnte den Job entweder übernehmen oder zusehen, wie das Restaurant den Bach hinuntergeht, und das würde doch niemand von uns wollen.“

„Aha. Aber warum sollte das deine Sorge sein? Du konntest es kaum erwarten, von allem wegzukommen.“

„Es ist nicht meine Sorge“, sagte er sanft. „Aber deine. Reid ist jetzt im Geschäft. Walker wird Teil des Ganzen sein wollen, wenn er bei den Marines ausscheidet.“

Dani griff nach ihrem Bier. „Lauter gute Gründe. Du hast die Kinder vergessen. Sollte es nicht unser Wunsch sein, dieses großartige Unternehmen an unsere Kinder weiterzugeben? Nicht, dass einer von uns welche hätte. Ich sehe keine in meiner näheren Zukunft, aber, hey, es könnte geschehen. Einem von euch Jungs passiert vielleicht ein Ausrutscher, und ein Mädchen wird schwanger. Dann könnten wir noch eine zusätzliche Generation am Familiengeschäft beteiligen.“

Er wusste, dass sie verbittert war, und er konnte es ihr nicht verübeln. Ironischerweise kamen ihre Worte der Wahrheit viel näher, als sie ahnte. Ein Mädchen war von ihm schwanger gewesen. Vor siebzehn Jahren war seine Tochter geboren worden. Gloria war die Einzige in der Familie, die es wusste.

Beim Gedanken an seine Tochter fragte er sich, ob Lindsey irgendwann einmal Interesse am Familienunternehmen haben würde. Nicht, dass sie sich als Buchanan fühlte. Sie war adoptiert und sich dessen bewusst, zeigte aber keinerlei Interesse daran, wer ihre leiblichen Eltern waren.

„Ich möchte nicht den Rest meines Lebens im ‚Waterfront‘ verbringen“, sagte er und bedankte sich bei Lucy, die ihm sein Bier servierte. „Ich bin für vier Monate zurück und habe keine Ambitionen, das Lokal zu übernehmen.“

„Zu schade – denn Gloria würde es dir sofort übergeben.“ Dani strich sich eine Strähne ihrer kurzen, dunklen Haare hinters Ohr. „Sie ist eine einflussreiche Frau. Man sollte meinen, sie würde respektieren, dass ich genauso einflussreich, aber nicht so boshaft sein möchte. Aber interessiert sie das?“

Bevor er eine Antwort darauf finden konnte, trat Reid zu ihnen.

„Hallo, Kinder.“

Dani sah ihn wütend an. „Du wusstest es bereits, nicht wahr?“

„Was wusste ich?“ Reid machte ein unschuldiges Gesicht, als er sich neben Dani setzte und seinen Arm um sie legte. „Dass ich der am besten aussehende von den Buchanan-Brüder bin? Nicht, dass die Konkurrenz groß wäre.“

Cal schüttelte den Kopf. „Eines Tages wird dein Ego zurück auf die Erde stürzen und dich zerquetschen.“

„Unwahrscheinlich. Die vielen Schönheiten um mich herum werden mich schützen.“

„Alles, was vom Himmel herunterfällt, wird einfach an ihren Implantaten abprallen“, sagte Dani. „Du musst ihn von unten kriegen.“

Cal grinste. „Da hat sie recht.“

„Natürlich habe ich das“, sagte Dani. Sie schüttelte Reids Arm ab. „Du wusstest schon, dass Cal das ‚Waterfront‘ leitet.“

„Sicher. Penny hat es mir gesagt, als sie vorbeikam, um mir von ihrem Job als Küchenchefin zu berichten.“

Cal erschrak, als Dani mit den Händen auf den Tisch schlug. „Warum bin ich immer die Letzte, die etwas erfährt?“, fragte sie. „Könnt ihr Jungs mich über gar nichts auf dem Laufenden halten?“

„Warum regst du dich so auf?“, fragte Reid. „Es ist doch nicht dein Restaurant.“

Cal warf seinem Bruder einen wütenden Blick zu. „Halt die Klappe.“ Er wandte sich zu Dani. „Ich hätte es dir heute Abend gesagt.“

Dani starrte ihn an. „Du hast deine Exfrau angestellt, damit sie in deinem Restaurant kocht?“

„Sie ist gut, sie hat einen Namen, der Kunden bringen wird, und sie stand zur Verfügung.“

„Geradezu perfekt“, murmelte Dani. „Wenigstens ist es schon so spät, dass ich mir keine Sorgen machen muss, dass mir dadurch mein ganzer Tag verleidet werden könnte.“

Cal wusste nicht, was er sagen sollte. Er hasste es, dass Dani immer das Nachsehen hatte, wenn es ums Familiengeschäft ging.

„Penny ist eine großartige Chefköchin“, sagte Reid. „Das alte Lokal wird mit ihr ein Erfolg werden. Willst du das nicht?“

„Darum geht es nicht“, sagte Dani.

Lucy erschien mit einem riesigen Tablett voll Nachos. Sie langten ordentlich zu, und für ein paar Minuten plauderten sie nur darüber, wer von Walker gehört hatte und ob die Mariners eine gute Baseball-Saison haben würde.

Cal sah seine Schwester von der Seite an. Er konnte ihre Anspannung spüren und wusste, dass sie nicht glücklich war. Vielleicht lag es daran, dass er der Älteste und sie die Jüngste war. Oder vielleicht daran, dass sie das einzige Mädchen war. Aber er hatte immer auf sie auf gepasst. Niemand hatte sich mit Dani angelegt, ohne es nicht auch mit ihm zu tun zu bekommen, und das galt auch für seine Brüder.

Aber sie war nicht mehr das kleine Mädchen, und er konnte sie nicht mehr vor der ganzen Welt beschützen.

„Wie läuft es bei dir?“, fragte er.

Sie zuckte die Achseln. „Gut. Das neue Angebot mit dem kalorienarmen Essen macht sich gut. Wir gewinnen als Kunden dadurch die vielen Mütter, die auf Diät sind. Die Kinder können Burger und Pommes frites verschlingen, während Mom ihr Diätprogramm einhält.“

Sie klang nicht besonders begeistert, und er konnte ihr keinen Vorwurf machen. Dani hatte einen Abschluss in Restaurant-Management und war, als sie nach Seattle zurückgekehrt war, fest entschlossen gewesen, ihren Weg zu machen. Doch statt ihr eine entsprechende Position im „Waterfront“ oder im „Buchanan’s“, dem Steakhaus des Familienunternehmens, zu geben, hatte Gloria Dani in die Kleinstadt Tukwila in den „Burger Heaven“ geschickt. Dort hatte sie als Bedienung begonnen und war vor zwei Jahren zur Managerin befördert worden. Aber egal, wie hart Dani gearbeitet oder wie oft sie mit Gloria geredet hatte – die alte Frau weigerte sich, sie zu versetzen.

„Du lässt es zu, dass sie dich fertigmacht“, sagte Reid. „Wenn es dir gleichgültig ist, kann sie dich doch nicht verletzen.“

„Ich habe keine Ahnung, wie das gehen soll“, sagte Dani einfach.

Cal wusste, dass es stimmte: Dani hatte keine Wahl. Sie lebte für das Geschäft; sie war eben trotz allem durch und durch eine Buchanan. Sie konnte entweder durchhalten und hoffen, ihre Großmutter zu einem Sinneswandel zu bewegen – oder aussteigen.

Er legte den Arm um ihren Hals, zog sie an sich und küsste sie aufs Haar.

„Das Leben ist beschissen“, murmelte er.

„Wem sagst du das.“ Sie richtete sich auf und prostete ihnen mit ihrem Bier zu. „Themenwechsel. Auf Walker. Bleib gesund und komm zu uns nach Hause.“

Sie stießen auf ihren Bruder an, der derzeit einen Einsatz in Afghanistan hatte.

„Wenigstens können wir alle zusammen sein, wenn er das nächste Mal Urlaub hat“, sagte sie.

Cal nickte. „Dafür denken wir uns etwas Besonderes aus.

Dani rümpfte die Nase. „Oh, bitte. Weil ihr Jungs ja so gut im Planen von geselligen Treffen seid. Ich werde diejenige sein, die sich darum kümmert. Wir alle wissen das.“

Reid sah ihn an. „Seit wann ist sie so rechthaberisch?“

„Seit ein paar Jahren.“

„Ich bin immer noch größer als du“, erklärte ihr Reid.

Dani grinste. „Sicher, großer Held, aber du wurdest so erzogen, niemals ein Mädchen zu schlagen. Nicht einmal deine Schwester. Deshalb kannst du nichts dagegen tun.“

Cal saß im großen Speisesaal des „Waterfront“ und wartete. Pünktlich ging die Schwingtür der Küche auf und Penny kam heraus. Sie trug karierte Hosen, Holzpantoffel und eine weiße Kochjacke mit Dreiviertel-Ärmeln. Ein blauer Schal hielt ihr das zusammengebundene Haar aus dem Gesicht.

Doch statt eines Tabletts mit mehreren Gerichten hielt sie nur einen einzigen Teller in der Hand.

Er runzelte die Stirn, als sie Fisch und Pommes vor ihn hinstellte. „Das ist nicht das einzige Essen, bei dem ich Zweifel hatte“, sagte er. „Ich möchte auch die anderen noch probieren.“

„Versuch erst einmal dieses“, sagte sie und bemühte sich gar nicht, ihre Selbstsicherheit zu verbergen. „Koste es, dann kannst du jammern. Aber ich trete schon einmal ein paar Schritte zurück, damit du Platz hast, zu mir gekrochen zu kommen.“

Na gut. Sie hatte ihm Fisch und Pommes serviert. Wie konnte das schon schmecken?

Zugegeben, sie hatte ihm per Mail geschickt, was sie kochen würde. Auf dem cremefarbenen, ovalen Teller lagen drei Stück Fisch, waffelförmig geschnittene Pommes frites und farbenprächtiger Krautsalat in einem Kohlblatt.

„Hast du Malzessig?“, fragte er.

„Keine Chance.“

„Die Gäste könnten ihn wollen.“

„Nicht, bevor sie den Fisch gekostet haben. Ich erlaube ihnen, ihn später zu den Pommes frites zu nehmen, wenn sie wollen.“

„Wie großzügig. Wirst du ein Schild aufhängen, auf dem du das erklärst?“

Sie grinste. „Ich hatte vor, es einfach in die Speisekarte zu schreiben. Du weißt schon, ein Sternchen neben den Gerichten und dann eine kleine Fußnote, in der die Regeln erklärt werden.“

Ihre Selbstsicherheit machte ihm zu schaffen. Er kostete vom Fisch. Knusprig gebraten, aber das hatte er erwartet. Die Panierung war erstaunlich kross, ohne dabei zu hart zu sein. Während er kaute, entfaltete sich der Geschmack auf seiner Zunge. Der Fisch war lecker, mild und sehr zart. Er schmeckte auch den Hauch eines Gewürzes … Nein, halt. Es war eher süß als würzig.

Er nahm einen zweiten Bissen, um herauszufinden, was sie in die Panade getan hatte. Etwas Thailändisches? Nein, aber ein bestimmtes Chili-Gewürz. Was war dieser Geschmack?

Innerlich fluchte er. Dies hier war besser als gut – es machte süchtig. Er musste sich bewusst zurückhalten, um nicht den ganzen Fisch auf einmal zu vertilgen. Stattdessen machte er sich an die Pommes.

Durch die Waffelform wirkten sie eleganter als andere Pommes frites, und er sah, dass sie gewürzt waren. Er biss in ein Stück. Außen knusprig, aber innen weich und mit intensivem Kartoffelgeschmack. Und verdammt, die Gewürze verliehen ihnen eine ganz besonders außergewöhnliche Note.

Als er zum Krautsalat überging, war es endgültig um ihn geschehen. Er hätte es wissen sollen. Penny liebte es, so lange zu experimentieren, bis sie genau die richtige Gewürzmischung gefunden hatte. Kein Zweifel, an diesen Rezepten hatte sie monatelang gearbeitet.

Er sah sie an. Sie wartete mit verschränkten Armen und geduldigem Gesichtsausdruck.

„Du hast gewonnen“, sagte er mit einem Seufzer. „Es ist großartig. Ich weiß nicht, was du in den Teig gibst, in dem du den Fisch brätst …“

„Das werde ich auch nicht verraten“, sagte sie mit einem selbstzufriedenen Lächeln. „Küchengeheimnis.“

„Verstehe. Setz es auf die Speisekarte – und auch alles andere, was ich kritisiert habe.“

Sie lächelte süffisant. „Das habe ich schon. Naomi hat heute Morgen den Druckauftrag erteilt.“

4. KAPITEL

Nimmt jemand den verdammten Lachs vom hinteren Grill?“, knurrte Burt. Seine tiefe Stimme klang heiser vor Wut.

„Es ist nicht mein Lachs, du Mistkerl“, erklärte ihm Juan und halbierte mit seinem Messer säuberlich eine Lauchstange.

Penny schenkte den üblichen gegenseitigen Beschimpfungen der Männer, ihrem Hickhack und Imponiergehabe keine Beachtung. Ihre Küchen-Crew war erst dabei, sich an die Zusammenarbeit zu gewöhnen. Mit der Zeit würden sie ein perfekt eingespieltes Team sein, das die Gerichte blitzschnell zubereitete und gleichzeitig auf Geschmack und Qualität achtete. Aber an den ersten Abenden würde es jede Menge Pannen geben.

Keine große Sache, dachte Penny. Sie vertraute darauf, dass das Schicksal ihr freundlich gesinnt war. Eine Cocktailparty für vierhundert Leute war nur eine Aufwärmübung. Morgen würden sie echte Menüs servieren.

Edouard, ihr Souschef, rührte mehr Sauce für die Cornflakes an. „Der Lachs ist meiner“, sagte er, während er kalt gepresstes Olivenöl unterrührte. Er machte sich nicht die Mühe aufzuschauen. „Finger weg, ihr Memmen.“

Die Küche eines Restaurants war größtenteils eine Männerdomäne. Penny hatte auf der Kochfachschule gelernt, damit umzugehen. Anfangs war sie von den Beleidigungen und Schimpfwörtern, die selbst einem hartgesottenen Seemann die Schamesröte ins Gesicht treiben konnten, geschockt gewesen, doch mit der Zeit hatte sie gelernt, sie als das zu nehmen, was sie waren: als den speziellen Umgangston in einer Küche. Für gewöhnlich beteiligte sie sich nicht daran, aber wenn es nötig war, konnte sie jedem Einzelnen ihrer Crew mit entsprechend derben Worten Paroli bieten und ihn ganz schnell zum Schweigen bringen. Immer noch scheute sie keine Konfrontation.

Jemand stellte ein Tablett mit in Honigsauce gegrillten Shrimps auf die Arbeitsplatte. Sofort machte Naomi sich daran, die Teller zu dekorieren. Als Erstes träufelte sie etwas Sauce darauf, dann legte sie ein paar Kräuter und gehackte grüne Zwiebeln dazu. Es gab zwei kleine Schüsseln mit Hummercremesuppe, kunstvoll arrangierte Pommes frites in Waffelform, die mit kleinen gebackenen Fischstücken garniert waren, gebratenen Lachs auf Cornflakes und eine Auswahl an Desserts.

Penny konnte wegen des Zischens des Dampfkochtopfs, des surrenden Grills und der Rufe der Mitarbeiter kaum etwas hören. Aber ein Blick auf ihre Armbanduhr sagte ihr, dass die Cocktailparty schon mindestens dreißig Minuten im Gang war.

„Ich muss gehen“, murmelte sie und knöpfte auf dem Weg in ihr Büro ihre Kochjacke auf.

„Ja“, rief Edouard ihr nach. „Wenn du jetzt nicht gehst, bekommen wir überhaupt nichts vom Lob ab. Geh. Misch dich unter die Leute. Komm zurück und sag uns, dass wir fantastisch waren.“

„Wird gemacht“, sagte Penny und ging in ihr Büro. Sie schloss die Tür hinter sich und schlüpfte aus ihrer Jacke.

Darunter trug sie einen tief ausgeschnittenen Seidenpullover und eine zu ihren Hosen passende schwarze Jacke. Sie tauschte die Holzpantoffeln gegen hochhackige Stiefel. Ihr langes Haar fiel ihr jetzt offen über die Schultern. In der Küche wäre das eine völlige Katastrophe, aber ihr Job drehte sich heute Abend nicht ums Kochen, sondern darum, denen zu gefallen, die nach Cals Definition die Reichen und Schönen von Seattle waren.

Sie überprüfte ihr Make-up im Spiegel. Als sich die Tür öffnete, wich sie zurück. Naomi steckte ihren Kopf herein.

„Es gibt zwei Kellner, die ich in Erwägung ziehe“, sagte ihre Freundin. „Ich brauche bei der Auswahl deine Hilfe. Ich werde sie dir zeigen, und du lässt mich wissen, was du von ihnen hältst.“

„Okay.“

Naomi lächelte. „Du wirkst nervös. Du hast keinen Grund, es läuft großartig.“

„Du warst in der Küche. Du kannst es ebenso wenig wissen wie ich.“

„Ich habe es im Gefühl.“ Sie hielt inne. „War das nicht ein Lied aus dem Film ‚Flashdance‘?“ Sie summte kurz mit. „Oder ist es ‚What a Feeling‘? Ich werde alt, nicht wahr? Würde es etwas bringen, wenn ich sage, dass ich zwölf war, als ich den Film gesehen habe?“

„Warst du das?“

„Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern.“

Naomi war vergangenen Dezember vierzig geworden und hatte es mit einem verlängerten Wochenende in Mexiko und ein paar knackigen Jünglingen gefeiert. Penny hatte die Begabung ihrer Freundin, sich zu amüsieren, immer bewundert.

„Netter Pullover.“ Naomi deutete auf den smaragdgrünen Stoff.

„Ich sollte mit meinem Dekollete angeben, solange ich noch eines habe.“

„Guter Plan. Du hast noch fast keinen Bauch, und die Jacke versteckt das bisschen, das vorhanden ist. Komm, du kannst nicht ewig hier stehen bleiben.“

Penny nickte und ließ sich von Naomi hinaus ins Restaurant führen. Als sie die Küche verließen, ging ein junger, blonder Kellner an ihnen vorbei. Naomi packte ihn am Arm.

„Wie heißen Sie?“, fragte sie.

Er grinste sie an. „Ted.“

„Gut.“ Sie drehte sich zu Penny. „Das ist Kandidat Nummer Eins.“

Penny lachte noch, als sie sich zu den versammelten Gästen umdrehte.

Schon beim Anblick der Menschenmenge im Speisesaal sackte ihre Stimmung ab. Sie hatten fünfhundert Einladungen verschickt, und wie es aussah, hatten sich alle entschlossen, zu kommen.

Die dezente Musik war wegen des Geräuschpegels kaum zu hören. Die Leute standen in Gruppen, lachten und unterhielten sich, während Kellner in weißen Jacken mit Tabletts umhergingen und Essen anboten.

Die Bar war rege frequentiert, was bei den Gratis-Drinks kaum verwunderlich war. Penny sehnte sich kurz nach etwas, was ihre Nerven beruhigen würde. Dann riss sie sich zusammen und versuchte, sich zu entscheiden, in welche Richtung sie gehen sollte.

Genau in diesem Moment verteilten sich die Gäste, und die sich auflösende Menge gab den Blick frei auf die Mitte des Saals. Dort stand Cal, groß und sehr stattlich in seinem dunklen Anzug. Ihr Körper reagierte. Ihr wurde heiß, und sie fühlte sich schwach und liebesbedürftig.

Sie machte von ihrer Erfahrung in der Küche Gebrauch und bedachte sich insgeheim mit allen möglichen Schimpfnamen. Als es nichts gegen ihre äußerst unangemessene Leidenschaft ausrichtete, rief sie sich ins Bewusstsein, dass Cal und sie es schon mit einer Beziehung versucht hatten und gescheitert waren. Er hatte sie ohne mit der Wimper zu zucken gehen und sie daran zweifeln lassen, ob er sie überhaupt jemals geliebt hatte.

„Es gibt also nur dich und mich, Kleines“, flüsterte sie und legte zärtlich eine Hand auf ihren Bauch. Dann straffte sie die Schultern und tauchte in die Menge ein.

„Freut mich, Sie zu sehen. Danke, dass Sie gekommen sind.“

Penny lächelte, grüßte und machte für ihre zukünftige Kundschaft ein freundliches Gesicht. Sie ging auf Cal zu, der seinerseits gerade auf sie zukam.

„Es läuft großartig“, sagte er. „Viele sind gekommen.“

„Sicher sind sie das“, flüsterte sie ihm ins Ohr. „Das Essen ist gratis. Warten wir ab, wie viele von ihnen bereit sind, an einem anderen Abend zu bezahlen.“

Er lachte leise. Dann stellte er sie einigen Politikern vor.

„Wir sind früher immer hierhergekommen“, sagte eine zierliche, hübsche Anwältin. „In letzter Zeit allerdings …“ Sie verstummte.

Penny winkte ab. „Sie können ruhig sagen, dass es wirklich mies war. Ich war nicht diejenige, die gekocht hat.“

Die Frau lachte. „Das glaube ich gern. Ich habe fast alles gekostet. Es ist hervorragend.“

„Danke schön. Wir wollen traditionelle Spezialitäten anbieten und den Gästen die Möglichkeit geben, Verschiedenes zu probieren.

Cal legte seine Hand auf ihren Rücken, und ihre Nervenenden reagierten mit einer eigenen Version von ‚Flashdance‘.

„Haben Sie Pennys Fisch mit Pommes frites probiert? Es schmeckt unglaublich. Ich habe den Fehler gemacht zu sagen, es wäre zu einfach für unser Speiseangebot. Aber nach einem einzigen Bissen war ich bekehrt.“

Penny sah ihn von der Seite an. „Ich hätte nicht geglaubt, dass du es zugibst.“

„Ich war im Unrecht.“

Die Anwältin grinste. „Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir diesen Satz in Stein meißeln? Alle Frauen dieser Welt würden ihn gerne sehen.“

„Nein, danke.“

Cal entschuldigte Penny und sich, und sie gingen weiter zu einer Gruppe von örtlichen Geschäftsleuten. Er stellte sie vor und ließ sie dann ihre Philosophie erklären, warum sie wenn möglich nur heimische Produkte verwendete.

„Wir leben in einem wunderschönen Teil des Landes“, sagte sie, „Warum sollten wir diesen Vorteil nicht für uns nutzen?“

Ein Reporter der „Seattle Times“ näherte sich. „Wird es bei Ihnen Wein aus Washington geben?“

„Selbstverständlich. Und solchen aus Oregon und Britisch-Kolumbien. Wir werden natürlich auch eine Auswahl aus Kalifornien, Frankreich und anderen Ländern haben, aber unser Schwerpunkt liegt bei Weinen aus der Region.“

Die nächsten zwei Stunden verschwammen in einer Mischung aus Small Talk und Gesprächsfetzen, in denen der Verkauf des Restaurants angeschnitten wurde. Cal blieb an ihrer Seite, bis sie in die Küche huschte, um nach dem Rechten zu sehen. Als sie ins Restaurant zurückkehrte, geleitete Naomi gerade Gloria Buchanan zu ihr.

Die beiden waren ein seltsames Paar. Gloria war klein, mit weißem Haar und stechenden, blauen Augen. Ihre Kleider hatten wahrscheinlich mehr gekostet als so mancher kleine Inselstaat Schulden hatte. Naomi überragte sie in ihrer amazonenhaften Schönheit von 1,80 Meter bei Weitem. Ihr dunkles Haar fiel in Locken den Rücken hinunter, und ihre grünen Augen schienen die Welt auszulachen. Aber was wirklich Aufsehen erregte, war das herzförmige Tattoo auf ihrer nackten Schulter und die Art, wie sich ihre Brüste in dem schwarzen Top bewegten.

„Sieh an, wen ich gefunden habe“, sagte Naomi grinsend und ließ Glorias Arm los. „Kennen Sie sie nicht?“, fragte sie.

Gloria nestelte am Ärmel ihres winterweißen Wollblazers. „Wer ist diese Person?“, fragte sie.

„Hallo, Gloria“, sagte Penny mit einem gezwungenen Lächeln. Gloria hatte deutlich gemacht, dass sie Penny niemals vergeben würde, dass sie ihren kostbaren Enkelsohn verlassen hatte. Für Gloria war die Heirat mit einem Buchanan immer noch der Inbegriff des Glücks, der nur wenigen Menschen vergönnt war. „Schön, dich zu sehen. Das ist meine Freundin Naomi.“

„Penny und ich kennen uns schon ewig“, sagte Naomi fröhlich. „Wir lernten uns kennen, als sie noch auf der Kochfachschule war. Ich war ihre Zimmernachbarin, und sie kam herüber und beklagte sich über den Lärm.“

Naomi senkte die Stimme. „Es lag am Sex. Ich habe diese Vorliebe für jüngere Männer, und da kann es schon einmal etwas lauter werden. Es hat mir wirklich leidgetan. Aber Penny hat sich toll verhalten, und wir wurden Freundinnen.“

Glorias Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, aber ihre Lippen wurden schmal. Das war es, was sie verriet, eine Eigenart, die sie mit ihrem Enkel teilte.

Cal gesellte sich zu ihnen. Gloria sah ihn an. „Kennst du diese Frau?“, fragte sie und deutete auf Naomi.

Cal stöhnte. „Oh, ja.“

Naomi seufzte. „Erzähl ihr davon, wie ich dich nackt gesehen habe“, sagte sie und schlenderte davon.

Cal schaute von Naomi zu seiner Großmutter, dann entschuldigte er sich und ging. Unter diesen Umständen konnte Penny es ihm schwer verdenken. Unglücklicherweise blieb sie jetzt allein mit Gloria zurück.

„Callister hat dich also eingestellt“, sagte die alte Frau mit vor Ärger gepresster Stimme.

„Das hat er getan. Ich habe einen Dreijahres-Vertrag.“

„Ich verstehe.“

„Hast du das Essen probiert?“

Gloria warf einen Blick auf eines der Tabletts, die herumgereicht wurden. „Ich habe einen sehr empfindlichen Magen.“

Die Beleidigung war so unverschämt, dass es beinahe komisch war. Beinahe. Penny war nicht überrascht, nicht Glorias erste Wahl zu sein. Aus irgendeinem Grund hatte der alte Drache sie nie gemocht, und es war schwierig, für jemanden Zuneigung zu empfinden, der so entschlossen war, sie im Abseits stehen zu lassen.

„Zu schade“, sagte Penny. „Wir bekommen schwärmerische Rückmeldungen.“

„Das Essen ist gratis, Liebes. Was hast du erwartet?“

Das war ungefähr dasselbe, was auch Penny gedacht hatte. Nicht, dass sie es zugeben würde.

„Nun, es war sehr nett“, sagte sie. „Schön, dich wieder zu sehen, aber ich muss …“

Gloria packte sie am Arm. „Du wirst ihn nicht zurückbekommen, verstehst du.“

„Wie bitte?“

„Callister. Er ist über dich hinweg. Ich weiß nicht, was er je an dir gefunden hat.“

„Ja, ich weiß. Das hast du damals schon sehr deutlich gemacht.“ Penny riss sich los und wünschte, ihre Mutter hätte sie weniger streng dazu erzogen, höflich zu alten Leuten zu sein.

Cal hatte sie vielleicht, ohne mit der Wimper zu zucken, gehen lassen, aber Gloria hatte die Scheidung praktisch mit einer Party gefeiert. Zumindest hatte Reid es ihr so erzählt.

„Du warst nie die Richtige für ihn“, sagte Gloria. „Du hast dir nie genug Mühe gegeben. Welche Art Frau gibt schon ihre Ehe auf?“

Diese Anschuldigung war so ungerecht, dass Penny sich hastig aus dem Gespräch verabschiedete. Im Weggehen spürte sie den Wunsch sich umzudrehen und zu erklären, dass sie sich sehr wohl Mühe gegeben hatte. Sie hatte Cal von ganzem Herzen geliebt. Sie hätte alles für ihn getan – alles, nur nicht auf ein Kind zu verzichten. Eine eigene Familie zu haben war das Einzige, bei dem sie keine Kompromisse eingehen wollte. „Dumme alte Frau“, murmelte sie, schnappte sich eine Schale mit Hummercremesuppe und trank sie aus.

„Ich sah den Rauch und eilte zu Hilfe.“

Penny drehte sich um und entdeckte Reid hinter sich. Sie lehnte sich an ihn. „Deine Großmutter ist schrecklich. Ich hatte vergessen, wie sehr.“

„Niemand kann es wirklich vergessen. Du hast die Erinnerung nur verdrängt. Wir alle tun es. Dadurch überleben wir.“

Er legte beide Arme um sie und küsste sie aufs Haar. „Die Party ist toll. Die Leute schwärmen vom Essen. Ich glaube, du bist ein Erfolg.“

„Ich hoffe es.“

„Wie fühlst du dich?“, fragte er leise.

„Ich habe schrecklich Lust auf Orangensorbet. Obwohl ich umgeben von all diesem köstlichen Essen bin, ist es das Einzige, woran ich denken kann.“

„Ziemlich krank.“

„Das denke ich auch.“

Cal kam mit Naomi im Schlepptau auf sie zu.

„Unternimm etwas“, befahl er Penny. „Sie will meine Meinung zu den Kellnern hören.“

„Die Auswahl ist so groß“, sagte Naomi und richtete ihre Aufmerksamkeit auf Reid. „Oh, hallo. Du bist ja gar nicht beim Training für die Frühjahrssaison.“

„Dieses Jahr nicht.“

„Das ist zu schade. Ich genieße es immer, dir bei der Arbeit zuzusehen. Du bewegst dich wirklich gut.“

Penny erschauderte. „Aufhören. Ihr seid meine Freunde. Ich kann mit dem, was hier läuft, nicht umgehen.“

Reid bedachte sie mit einem Grinsen. „Du musst darüber hinwegkommen.“ Er streckte Naomi seine Hand entgegen. „Wollen wir?“

„Wir wollen.“

Gemeinsam schlenderten sie fort.

Penny sah ihnen nach. „Ich weiß nicht, um wen der beiden ich mir Sorgen machen soll. Wahrscheinlich war es unvermeidlich. Die beiden kennen sich seit Jahren. Aber Reid war immer gerade im Kommen oder im Gehen, und Naomi …“ Sie brach ab. „Ich bin nicht sicher, warum sie so lange gewartet hat. Wenigstens hält sie ihn davon ab, an den Start der Saison zu denken.“

„Nichts gegen deine Freundin, aber dazu ist keine Frau in der Lage.“

„Dann ist sie eine Ablenkung.“

„Vielleicht“, sagte Cal achselzuckend.

„Naomi hat ihn im Griff. Sie hat jeden im Griff.“

„Sie hat genug Übung.“

Penny wollte sich gerade darüber aufregen, als sie bemerkte, dass Cal gar nicht mit ihr redete. Oh, er stand ihr gegenüber und schaute deshalb in die richtige Richtung, aber seine Aufmerksamkeit galt mehr ihren Brüsten als ihrem Gesicht.

Ihr Körper hatte nie Aufsehen bei Männern erregt, und es war angenehm, dass er es jetzt tat. Merkwürdig, aber angenehm.

„Wollen wir?“, fragte sie und deutete auf die Gäste.

„Warum nicht?“

Und sie stürzten sich wieder in die Menge.

Cal war bestens gelaunt, als er aufwachte. Die Party am vergangenen Abend war gut gelaufen, und er rechnete damit, dass die Presse ausgiebig und positiv über das Ereignis berichten würde. Noch wichtiger jedoch war, dass die Leute über Pennys Essen redeten. Das brachte ebenso viele Kunden wie jeder Artikel. Wenn die Eröffnung genauso glatt über die Bühne ging wie die Party, hätte er bereits jetzt den Erfolg erreicht, auf den er erst in vier Monaten gehofft hatte, könnte sich verabschieden und zurück ins „Daily Grind“.

Er duschte und rasierte sich, und als er gerade aussuchte, was er anziehen sollte, läutete das Telefon. Er schaute auf die Uhr. Wer zum Teufel rief morgens um zehn nach sieben an?

Sofort dachte er an Walker. War seinem Bruder etwas zugestoßen? Er griff nach dem Telefon.

„Verdammt, Cal, das ist deine Schuld“, schrie Penny, noch bevor er Gelegenheit hatte, irgendetwas zu sagen. „Komm sofort her. Ins Restaurant“, fügte sie ohne weitere Erklärung hinzu. „Ich meine es ernst. Du hast zwanzig Minuten.“ Dann legte sie auf.

Trotz der knappen Zeit schaffte er es sogar 54 Sekunden früher. Was auch der Grund der Krise war, er nahm sich vor, mit ihr ein kleines Gespräch über die Beziehung zwischen Manager und Küchenchefin zu führen. Sie mochte die Küche leiten, aber das machte sie nicht zur Herrscherin der Welt.

Er bog zum Parkplatz ein und fuhr zum Hintereingang. Wie erwartet stapelten sich die morgendlichen Lieferungen hinter dem Haus. Dort stand Penny, neben ihr eine sehr zerzauste Naomi.

Er wollte nicht daran denken, wie Naomi die Nacht verbracht hatte. Nicht, wenn sein Bruder im Spiel war. Er parkte seinen Wagen und stieg aus. Penny sah ihn und rannte auf ihn zu.

„Riech“, sagte sie und hielt ihm ein großes Stück Fisch unter die Nase. „Riech.“

Er schnupperte und wünschte sofort, es nicht getan zu haben. Guter Fisch sollte überhaupt keinen Geruch haben. Alter Fisch roch nach Fisch. Dieser Fisch roch, als hätte er vor drei Wochen das Zeitliche gesegnet.

„Es ist alles Mist“, sagte sie. Ihre Augen sprühten Funken vor Wut, und ihre Wangen leuchteten so rot wie ihr Haar. „Man könnte Knoten in die Selleriestangen machen, und sie würden nicht brechen. Die Frühlingszwiebeln sind praktisch flüssig. Mist. Habe ich es dir nicht gesagt? Habe ich dir nicht gesagt, dass es einen Grund gab, warum das Restaurant geschlossen wurde? Hast du auf mich gehört?“

Sie holte tief Luft. „Hast du eine Ahnung, wie viele Reservierungen wir für heute Abend haben? Das Haus ist voll. Voll. Von sechs bis zehn ist jeder Platz durchgehend besetzt. Wir reden von Menüs für mehr als dreihundert Leute. Möchtest du wissen, wie viel Essen wir haben? Nichts. Nichts! Ich habe einen einzigen verdammten Sack Stärkemehl und drei Porreestangen und soll Abendessen für dreihundert Menschen zubereiten.“

„Penny …“

Sie beachtete ihn nicht. „Ich habe gesagt, dass sie es einmal vermasseln können. Nun, das haben sie. Jetzt hole ich meine eigenen Leute, was großartig ist, aber das Essen für dreihundert Personen heute Abend steht immer noch an. Ich will den Kopf des Schuldigen auf einem Tablett. Ich will ihn jetzt, und ich will ihn roh. Kochen werde ich ihn selbst.“

Mit diesen Worten machte sie am Absatz kehrt und marschierte ins Restaurant.

Er war hin- und hergerissen zwischen der Bewunderung für ihr Temperament und der Überlegung, wie er mit der momentanen Katastrophe umgehen sollte.

Naomi starrte ihn an. „Nicht schon wieder, großer Held. Du hast die Sache schon einmal vermasselt.“

Cal überhörte es. „Sag dem Typen, er soll alles zusammenpacken und zurückschicken.“ Er würde später anrufen und den Vertrag kündigen. Im Moment gab es ein größeres Problem. Essen für dreihundert Leute.

Er ging ins Restaurant und fand Penny im Kühlraum, wo sie überprüfte, was an Vorräten übrig war.

„Ich habe Scampi“, sagte sie mit leicht hysterischer Stimme. „Großartig. Wenn wir sie halbieren, kriegt jeder eine Portion. Wunderbar. Kommen Sie ins ‚Waterfront‘ und genießen Sie einen halben Scampi.“ Sie drehte sich um und bemerkte ihn. „Geh mir aus dem Weg.“

„Ich möchte helfen.“

„Das kannst du. Sag mir, dass du einen Wagen hast, der größer als dein teures Spielzeugauto ist.“

„Ich habe einen Lieferwagen.“

„Gut. Hol ihn. Zieh dir etwas Schmutziges an. Wir fahren zum Markt am Pike Place. Aber zuerst rufe ich meine Fisch-Leute an und sehe, was sie für mich tun können. Sie werden viel Geld für eine so kurzfristige Bestellung verlangen.“ Sie schauderte bei dem Gedanken.

„Wir bezahlen.“ Er trat zu ihr und fasste sie an den Schultern. „Es tut mir leid, dass die Lieferung Mist war, aber wir bekommen das in den Griff. Wir können am Eröffnungsabend ein Tagesmenü nach Empfehlung des Hauses anbieten und so tun, als wäre das immer schon unser Plan gewesen.“

„Ich weiß, aber du hast leicht reden. Du musst es nur am Computer ausdrucken und in die Speisekarte legen. Ich muss mir die ganze Sache ausdenken, schauen, ob wir genug Lebensmittel haben und dann kochen.“

„Du schaffst es.“

„Davon müssen wir ausgehen.“

Der Zweifel in ihren Augen war nicht zu übersehen.

Er konnte ihren Schmerz und den Ärger spüren und ihm fiel absolut nichts ein, damit sie sich besser fühlte. Sie hatte mehr verdient. Noch schlimmer war, dass es zum Teil seine Schuld war. Er hatte darauf bestanden, die alten Lieferanten zu behalten.

„Ich …“ „Ja? Jede Lösung wäre mir willkommen.“

Als er schwieg, seufzte sie. „Ach, ich kann auch kein Wunder aus dem Ärmel zaubern. Okay, treffen wir uns in fünfundvierzig Minuten am Markt. Wir schauen, was wird dort bekommen, und ich lasse mir ein Menü einfallen. Dann können wir loslegen und beten, dass es funktioniert.“

5. KAPITEL

A ls Cal am Eröffnungsabend um halb neun durch das Restaurant ging, waren alle Tische besetzt und kein einziger Platz an der Bar frei geblieben. Leise Musik mischte sich mit den Gesprächen und dem Lachen der Gäste. Er konnte den Duft der verschiedenen Gerichte riechen und hörte, wie überrascht sich die meisten Gäste über Pennys zahlreiche Spezialitäten äußerten.

Die Katastrophe war abgewendet worden.

Drei Stunden waren sie am Markt umher gelaufen und hatten Pilze, Schalotten, Fisch, Muscheln und Zutaten für Salate besorgt, um dann daraus ein Menü nach Empfehlung des Hauses zuzubereiten, das alle täuschen sollte. Er konnte nicht glauben, dass sie mit allem so schnell fertig geworden war, aber sie hatte es geschafft.

Er durchquerte den Saal und stieß die Schwingtür zur Küche auf. Im Gegensatz zur ruhigen Eleganz des Speisesaals herrschte in der Küche laute und hektische Betriebsamkeit.

„Los, mach schon!“, schrie einer der Köche. „Los, du verdammter Scheißkerl.“

„Du kannst mich mal“, antwortete ein anderer, ohne von seiner Pfanne aufzublicken, in der er Shrimps und verschiedene Gemüsesorten anbriet.

„Tisch drei. Ich muss die Suppe servieren“, rief Naomi. „Suppe, Kinder. Ist das so schwer?“

Ein weiterer Koch schob ihr eine volle Schüssel zu. Sie packte sie, stelle sie auf ein Tablett, drehte sich gekonnt damit um und eilte in den Speisesaal.

Cal ging zu Penny, die alles besorgt beobachtete. Eilig sah sie die Zettel mit den Bestellungen durch, dann wandte sie sich ihm zu. „Welcher Tisch ist als nächster dran?“

„Zwei Tische zu je vier Personen – in ungefähr fünf Minuten.“

„Gut, sobald die Leute Platz genommen haben, wechseln wir das Menü.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich hasse es.

„Ich weiß. Es tut mir leid.“

„Aha. Als würde mir das jetzt helfen.“

Er war genauso sauer wie sie, aber es hatte keinen Sinn, das zu zeigen. Es reichte, wenn einer von ihnen brüllte. Die Verträge mit dem früheren Lieferanten waren bereits gekündigt, und die neue Firma würde am nächsten Morgen anfangen. Er würde selbst hier sein und sich vergewissern, dass alles nach Plan lief. Wenn nicht, würde die Hölle los sein.

„Ich musste so etwas noch nie tun“, sagte Penny. „Es ist der Eröffnungsabend, Cal. Eine einzige Bestellung, die aus dem Rahmen fällt, und ich bin aufgeschmissen. Auf diesen Druck kann ich gut verzichten.“

Der kleine Drucker in der Ecke spuckte drei weitere Bestellungen aus. Penny stürzte sich auf sie. Er wich ihr aus und beschloss, die Küche zu verlassen. Unterwegs traf er Naomi.

„Droht sie noch immer, dich umzubringen?“, fragte sie.

„Sie sagt es mir nicht ins Gesicht.“

„Du hättest früher hier sein sollen.“ Naomi senkte die Stimme. „Orangensorbet. Bring ihr eines, und sie frisst dir aus der Hand. Gesetzt den Fall, du stehst auf solche Sachen.“

Er sah Naomi an. „Warum bist du so nett zu mir?“

Sie grinste. „Weil der Sex mit deinem Bruder so fantastisch war. Ich könnte die ganze Welt umarmen. Du solltest es einmal ausprobieren, aber das ist wohl eine Situation, die sich keiner von uns vorstellen möchte.“

„Das hast du gut erkannt.“

Er verließ die Küche und ging in sein Büro. Das Lokal zu verlassen war nicht möglich – nicht am Eröffnungstag. Aber er war der Geschäftsführer, er wusste, wie man delegierte. In seinem Büro angekommen, griff er zum Telefon und rief Reid an. „Tu mir einen Gefallen“, sagte er. „Halt auf dem Weg hierher irgendwo an und kauf bitte ein Orangensorbet.“

Es war nach Mitternacht, als die letzten Gäste gegangen waren. Die Küche war sauber gemacht worden, und das Personal hatte Dienstschluss. Penny saß an einem runden Tisch für sechs Personen und hatte die Füße auf einem Sessel. Ihr Rücken tat weh.

Jede Faser ihres Körpers schmerzte vor Erschöpfung. Sie war seit kurz nach sechs Uhr morgens im Restaurant. Ein 18-Stunden-Tag war in der Branche nicht unüblich, aber sie war schwanger, und offensichtlich machte das einen Unterschied.

„Du hast dich gut gehalten“, sagte Dani zu ihr. „Ich war beeindruckt.“

„Danke. Ich wünschte nur, wir hätten die Zusammen- Stellung der Menüs nicht mittendrin ändern müssen.“

Dadurch hatte sich die Arbeit in der Küche verdoppelt, aber sie hatten es geschafft. Die Premiere war ein Erfolg gewesen.

Hugh, Danis Mann, prostete ihr mit einem Glas Wein zu. „Auf Penny – eine ganz besondere Küchenchefin.“

„Auf Penny.“

Alle schlössen sich dem Trinkspruch an. Penny lächelte. „Danke. Ich weiß es zu schätzen. Wenn einer von euch sich jetzt noch freiwillig meldet, morgen meine Schicht zu übernehmen, wäre ich wirklich dankbar.“

„Keine gute Idee“, sagte Naomi, die neben Reid saß. „Du bist die Talentierte.“

„Das halte ich für ein Gerücht.“

Penny griff nach ihrem Glas Wasser. Fast eine halbe Stunde hatte sie schon so getan, als würde sie Wein trinken, und nun hatte sie genug von dem Spielchen. Die Hälfte der Leute am Tisch kannte die Wahrheit. Sie selbst natürlich. Naomi und Reid. Blieben nur Dani, Hugh und Cal, die nicht Bescheid wussten.

Penny sah zu Dani und ihrem Mann. Dani saß auf seinem Schoß und ließ die Beine über die Armstütze seines Rollstuhls baumeln. Hugh war groß und muskulös, ein ehemaliger Fußballspieler im Team der Universität von Washington. In seinem Abschlussjahr hatte er sich verletzt. Er war gestoßen worden und seither von der Hüfte abwärts gelähmt. Dani hatte ihm während der Zeit seiner Genesung und Rehabilitation beigestanden. Ihre Liebe war unerschütterlich.

Penny wusste nichts über das Sex-Leben der beiden, aber es war anzunehmen, dass es wegen Hughs Behinderung kein ganz konventionelles war. Was würde sein, wenn sie Kinder wollten?

Um Dani mit dem Thema nicht in eine möglicherweise unangenehme Situation zu bringen, entschloss sich Penny, ihre Neuigkeit vorerst für sich zu behalten. Sie würde Cal zwar schon sehr bald reinen Wein einschenken müssen, aber das musste ja nicht heute sein.

Apropos Cal … Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihren Exmann. Sie war immer noch sauer, weil er auf die alten Lieferanten bestanden hatte, die es dann vermasselt hatten. Aber sie musste zugeben, dass er sich angesichts des Schlamassels wie ein Ehrenmann verhalten und alles getan hatte, um zu helfen. In kritischen Situationen war er immer schon großartig gewesen; es waren die alltäglichen Kleinigkeiten, mit denen er nicht so gut umgehen konnte.

„Dein Fisch mit Pommes war eine Sensation“, sagte Cal und nickte ihr zu. „Ich verneige mich vor deinen überlegenen Kochkünsten.“

„Das solltest du auch“, sagte Naomi zu ihm.

„Es ist unser erster Sieg“, sagte Penny. „Hoffen wir, dass weitere folgen.“

Er stand auf. „Wir brauchen mehr Wein. Wer möchte noch welchen?“

Alle winkten ab, und Cal hatte das Gefühl, dass die Party bald zu Ende sein würde. Dani und Hugh mussten beide früh raus, und Reid und Naomi warfen einander so leidenschaftliche Blicke zu, dass sie wahrscheinlich bald aufbrechen würden, um Dinge zu tun, die er sich lieber nicht vorstellen wollte.

Er rüttelte sachte an Pennys Sessel. „Komm einen Moment in die Küche“, sagte er.

Sie stand auf und ging ihm nach. „Wenn wir hier Ratten haben, möchte ich es nicht wissen.“

„Es ist ein Restaurant in einem alten Gebäude. Was dachtest du denn?“

Sie schauderte. „Ich weiß, dass es unvermeidlich ist, aber ich will sie nicht sehen.“

„Ich habe einen ausgezeichneten Kammerjäger.“

„Gut so. Ich hasse Ratten. Es sind ihre Schwänze. Sie sehen so schuppig aus. Warum können ihre Schwänze kein Fell haben?“

„Nicht mein Fachgebiet.“

Er ging in den Kühlraum. Die Schachtel, die Reid vorhin gebracht hatte, stand noch genau dort, wo Cal sie hingestellt hatte. Orangensorbet schien zwar so gar nicht das zu sein, was Penny – die Königin der Feinschmecker – mögen würde, doch Naomi war zu glücklich mit Reid, um ihn zu belügen. Also zog er den Behälter heraus und stellte ihn auf die Arbeitsplatte.

„Ich habe gehört, dass du es gerne isst“, sagte er. „Das ist meine Art, Danke für die tolle Leistung zu sagen, die du heute vollbracht hast.“

Penny wich einen Schritt zurück. „Wer hat dir gesagt, dass du es kaufen sollst?“

„Naomi. Ich glaube, sie hatte Mitleid, weil ich mitbekommen habe, dass du mich umbringen willst.“

Penny nahm sich eine Schüssel und einen Löffel. „Ich habe nur gedroht, dir die Leber herauszureißen. Das ist ein Unterschied.“

„Ein sehr feiner.“

„Möchtest du etwas davon?“

„Nein, danke. Nicht meine Lieblingssorte.“

„Umso mehr bleibt für mich.“

Sie gab sich Sorbet in ihre Schüssel. Dann schob sie ihm die Box zu, damit er sie wieder verstauen konnte. Als er zurück in die Küche kam, hatte sie sich auf die Arbeitsplatte gesetzt und löffelte glücklich das Sorbet in sich hinein. Es hatte eine sehr merkwürdige orange Farbe.

„Könntest du nicht einfach Saft trinken?“, fragte er.

„Das ist nicht dasselbe.“

„Wenn du meinst.“ Er lehnte sich an die Arbeitsplatte gegenüber. „Du warst gut heute Abend.“

„Danke. Du warst auch nicht schlecht.“

Er lachte leise. „Oh, danke. Bist du noch wütend?“

„Nicht mehr sehr. Alles ist gut gelaufen.“ Sie schaute auf. „Ich mache meinen Job gut, Cal. Deshalb hast du mich eingestellt.“

„Ich weiß.“

„Dann komm mir um Himmels willen nicht in die Quere. Komme ich etwa aus der Küche und erkläre dir, wie man Servietten faltet?“

„Mein Job ist doch etwas anspruchsvoller.“

„Du weißt, was ich meine.“

„Das tue ich, und ich stimme dir zu. Die Küche ist dein Bereich.“

„Abgesehen von den Ratten.“

„Schön. Die Ratten gehören mir“, sagte er.

Sie leckte ihren Löffel ab. „Gloria ist nicht gekommen. Ich dachte, dass sie vielleicht vorbeischauen würde.“

„Sie war gestern Abend hier.“

„Oh, ich weiß.“

Er runzelte die Stirn. „Hat sie dich verärgert?“

Penny zuckte die Achseln. „Hast du etwas anderes erwartet?“

„Möchtest du darüber reden?“

„Eigentlich nicht. Sie ist eine kalte Frau. Das hat sich nicht geändert. Als wir verheiratet waren, hatte ich zwar nicht richtig Angst vor ihr, aber zur besten Freundin musste ich sie auch nicht haben.“

„Sie gehört nicht gerade zu meinen Lieblingsmenschen.“

„Das finde ich traurig“, sagte Penny.

„Warum?“

„Weil sie zur Familie gehört. Deine Eltern sind gestorben. Sie ist das letzte lebende Mitglied einer früheren Generation. Zu schade, dass sie es einem so schwer macht.“

Da sich nichts an seiner Familiensituation geändert hatte, seit er und Penny sich getrennt hatten, traf sie mit ihrer Einschätzung der Lage den Nagel auf den Kopf.

„Ich glaube, sie müsste einmal flachgelegt werden.“

Cal zuckte zusammen. „Bitte sag, dass du nicht von Gloria redest.“

„Ist doch wahr. Was glaubst du, wann der alte Vogel es das letzte Mal getan hat.“

„Ich werde nicht darüber nachdenken.“

„Ich verlange nicht, dass du im Zimmer anwesend bist und zusiehst. Ich meine, sie ist einsam. Es ist traurig.“

„Du bist netter zu ihr, als sie verdient.“

„Ich habe sehr wenig mit ihr zu tun, deshalb ist es leichter für mich. Obwohl sie mir gestern Abend wirklich auf die Nerven gegangen ist.“

„Was hat sie gesagt?“

„Was hat wer gesagt?“, fragte Reid, der mit Naomi die Küche betrat. „Dani und Hugh sind aufgebrochen. Wir sollen euch Gute Nacht von ihnen sagen. Wir machen uns auch auf den Weg nach Hause.“

„Danke fürs Kommen, Süßer“, sagte Penny zu Reid.

Er kam zu ihr und küsste sie auf die Wange. „Danke dir, du scharfes Mädchen.“

Penny lachte. „Gute Nacht, Naomi. Wir sehen uns morgen.“

„Morgen früh in alter Frische.“

Reid legte den Arm um sie. „Zumindest früh. Dass deine Assistentin heute viel zum Schlafen kommt, glaube ich eher nicht.“

Naomi lächelte. „Das mag ich an einem Mann.“ Als sie an Cal vorbeiging, tätschelte sie seinen Arm. „Willst du wissen, wie oft wir es die letzte Nacht getan haben?“

„Nicht für viel Geld.“

Als die Eingangstür im Vorderteil des Lokals ins Schloss fiel, grinste Penny. „Glaubst du, sie warten, bis sie bei ihm zu Hause sind, oder machen sie es schon im Auto?“

„Was ist los mit dir? Du bist heute in Hochform, was Gespräche über Sex betrifft.“ War sie in Stimmung? Er jedenfalls wäre nur allzu bereit. Penny hatte immer noch diese Wirkung auf ihn. Es genügte, wenn sie im selben Raum war wie er … „Man könnte glauben, du sprichst eine Einladung aus.“

Ihr Blick verdüsterte sich. „Denk nicht mal dran! Das ist meine Küche, und ich weiß, wo die Messer sind. Es ist nur interessant, Vermutungen anzustellen – gut, nicht über Gloria, weil ich sie mir nicht nackt vorstellen will, aber über Reid und Naomi. Komm schon, es ist einfach erstaunlich. Sie sind dabei, sich gegenseitig darin zu übertrumpfen, wer es im Leben auf die meisten Partner bringt.“

„Wird das mit der Zeit nicht eintönig?“

Pennys Augen funkelten angriffslustig. „Willst du sagen, Sex wird langweilig? Wie interessant.“

„Nein, ich meinte, dass der ständige Partnerwechsel eintönig wird. Das Zählen von Eroberungen habe ich aufgegeben, als ich ungefähr zwanzig war. Sex macht mir mehr Spaß, wenn ich in einer Beziehung bin.“

Bei Penny hatte er keinen Grund gehabt zu klagen. Sie war zärtlich, sensibel und so abenteuerlustig gewesen, dass er immer gespannt war, was als Nächstes passieren würde.

„Ich glaube, sie tun es, weil sie es können“, sagte sie. „Naomi ist bestimmt noch nie einem Kerl begegnet, der sie nicht wollte. Und Reid … Tja, Reid ist eben Reid. Er zieht die Frauen an.“

„Dich nicht.“

„Ich weiß. Für mich war er immer nur ein Freund.“

„Und nachdem wir uns getrennt hatten?“

Er hatte sich das schon öfter gefragt. Hatte sein Bruder sich etwa als Tröster angeboten? Nein, das war nicht möglich. Keiner von beiden würde ihm so etwas antun. Andererseits war Reid jemand, der sich nicht an Spielregeln hielt – und Penny hatte nach Rache gelechzt.

„Pfui“, sagte Penny. Sie klang sowohl aufrichtig als auch verärgert. „Warum um Himmels willen hätte ich mit deinem Bruder schlafen sollen? Das ist ekelhaft und geschmacklos. Als würdest du mit Naomi schlafen.“

„Nein danke.“

„Siehst du, das meine ich. Abgesehen davon hätte ich dir das nie angetan.“

„Warum nicht? Ich dachte, du hast mich abgrundtief gehasst.“

„Das habe ich. Aber ich wollte dich nicht bestrafen.“

Er dachte an die wilden Kämpfe und an all die Dinge, die sie ihm an den Kopf geworfen hatte. „Ich hatte einen anderen Eindruck.“

Penny stellte ihre leere Schüssel ab. Er hatte es damals nicht verstanden, und sie bezweifelte, dass er das jetzt tun würde. Aber sie meinte es so, wie sie es gesagt hatte: Sie hatte ihn nicht bestrafen wollen – sie wollte, dass er sie versteht. Dass er sie so sehr liebte, dass er ein Kind mit ihr haben wollte. Sie wollte, dass sie eine Familie wurden.

Tief in ihrem Inneren hatte sie daran geglaubt, dass er sie liebte. Aber er hatte Angst gehabt, ihr seine weiche Seite zu zeigen, weil Gloria sich auf jedes Anzeichen von Schwäche stürzte. Ihn zu verlassen war ein letzter Versuch gewesen, ihn dazu zu bringen, zuzugeben, wie wichtig sie ihm war. Der Plan war nach hinten losgegangen. Statt sie zurückzuholen, hatte er sie gehen lassen und entschieden, dass es für sie beide am besten war, dauerhaft getrennt zu bleiben.

„Es ist drei Jahre her“, sagte sie. „Ist es wirklich noch wichtig?“

„Wahrscheinlich nicht. Aber da wir gerade von der Vergangenheit reden – gestern habe ich eine interessante Geschichte über dich gehört.“

„Oh. Von wem?“

„Gloria.“

„Dann ist sie wahrscheinlich nicht wahr.“

„Sie sagte, du wärst auf einen deiner Köche mit dem Messer losgegangen, weil er nicht das gemacht hat, was du wolltest.“

„Das ist wahr.“ Als sie Cals schockierten Gesichtsausdruck bemerkte, kicherte Penny. „Nun, irgendwie.“

„Was ist passiert?“

„Dieser Typ hat mich genervt. Ihm gefiel nicht, dass ich vor ihm befördert wurde. Du weißt, wie die Kerle in der Küche sind. Jedes Wort ist derb, alles ist ein gigantisches Machtspiel. Der Typ hat mich in die Ecke gedrängt und mich berührt. Ich habe ihm gesagt, er soll aufhören, oder ich würde dafür sorgen, dass er es tut.“

Als Cal erstarrte, unterbrach sie sich. „Nur keine machohafte Aufregung. Das ist mein Ernst. Ich habe mich gewehrt.“

„Wie?“

Cal hörte sich zornig an. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt und sah aus, als wolle er es mit der ganzen Welt aufnehmen. So reagierte ein Mann, wenn eine Frau in Gefahr war. Es gefiel ihr, dass er immer noch einer von den Guten war, auch wenn er nicht gut für sie war.

„Eines Tages, als ich gerade dabei war, ein Hähnchen zu zerstückeln, rief jemand meinen Namen. Ich behielt das Messer in der Hand, als ich mich umdrehte. Genau in diesem Moment kam der Typ auf mich zu, während mich gleichzeitig jemand von hinten anrempelte. Ich fiel nach vorn und das Messer ebenfalls. Es rutschte genau zwischen seine Rippen.“

Sie zuckte die Achseln. „Ich habe kein lebenswichtiges Organ getroffen, und obwohl ich der Polizei erklärt habe, dass es ein Unfall war, dachten alle Männer in der Küche, es sei Absicht gewesen. Ihn eingeschlossen.“

„Was geschah, als er zurückkam?“

„Er nannte mich ‚Gnädige Frau‘.“

Cal grinste. „Schön für dich. Jetzt hast du den Ruf, eine knallharte Chefin zu sein.“

„Jetzt habe ich den Ruf, ein gefährliches Biest zu sein, das jedem die Augen auskratzt, der frech ist. Es gefällt mir. Es erleichtert mir meinen Job. Mich würde interessieren, wie Gloria davon erfahren hat.“

„Sie erfährt alles.“

„Aha. Was für ein erstaunliches Spionagenetzwerk.“

Plötzlich fiel Penny auf, wie ruhig es war. Bis auf den Mann, der den Speisesaal sauber machte, waren sie allein. Es war spät, sie war müde, und das machte sie empfänglich für die Anziehungskraft, die von Cal ausging.

Gefährlich, dachte sie. Es wäre längst Zeit für sie gewesen, nach Hause zu gehen.

„Es ist spät“, sagte sie.

„Das habe ich mir auch gerade gedacht.“

„Mach dich auf die Socken. Ich schließe ab.“

„Okay.“

Sie sprang von der Arbeitsplatte. Er ging zu ihr.

Es war einer dieser Momente, in denen sich Vernunft als äußerst überschätzte Eigenschaft erwies.

„Was denkst du gerade?“, fragte er.

„Nichts.“

„Du schwindelst.“

Trotz der Spannung grinste sie. „Klar. Aber ich bin süß dabei.“

Sie gingen aufeinander zu, bis sie sich fast berührten. Und dann lagen sie sich in den Armen, sein Mund auf ihrem.

Viele Dinge schwirrten ihr gleichzeitig durch den Kopf. Zuallererst der Gedanke, dass der Mann noch immer küssen konnte wie der Teufel. Obwohl seine Lippen sich nur sanft auf ihre legten, zitterte sie und spürte ein heißes Verlangen. Zweitens waren ihre Brüste außergewöhnlich empfindlich – wahrscheinlich eine Kombination aus Enthaltsamkeit und der Schwangerschaft. Sie ahnte, dass sie schon einem Orgasmus haben würde, wenn er nur ihre harten Brustwarzen berührte.

Sie wollte ihre Arme um ihn schlingen und sich dem Augenblick hingeben. Sie wollte sich in ihm verkriechen und herausfinden, wie weit sie miteinander verschmelzen konnten. Aber dann schlich sich dieser ärgerliche dritte Gedanke in ihren Kopf.

Dass es keine gute Idee war.

Sie wollte, es wäre so, aber das war es nicht. Vernünftige Leute fingen am Arbeitsplatz nichts mit ihrem Exmann an. Nicht einmal mit einem, der nur ein paar Monate hierblieb.

Sie nahm ihre ganze Kraft zusammen und trat einen Schritt zurück.

Seine Schultern sahen einladend aus, und sie hätte nichts dagegen gehabt, ihren ausgehungerten Körper an ihn zu pressen. Aber was dann? Hatte sie wirklich vor, mit ihm die Hüllen fallen zu lassen? Abgesehen von dem Problem, dass sie zusammenarbeiteten, wäre ihr Geheimnis in der ersten Sekunde verraten, in der er sie ohne Kleidung sah. Sie mochte in der Lage sein, ihren Zustand bei der Arbeit unter weiten Blusen zu verstecken, aber nackt war eindeutig zu sehen, dass sie schwanger war.

Nicht unbedingt die Art und Weise, wie sie es ihm sagen wollte, dachte sie.

„Du hast es immer noch“, sagte er mit weit geöffneten Augen und leiser Stimme.

„Du auch.“

„Keine gute Idee. Diese Mischung aus Arbeit und …“

Sie nickte. „Ich glaube, ich, äh, gehe jetzt.“

Sie ging in ihr Büro und schnappte sich ihre Handtasche und die Schlüssel. „Bis morgen früh.“

Er begleitete sie zum Hinterausgang. „Komm später. Ich werde um sieben hier sein und die Lieferungen kontrollieren. So bekommst du wenigstens etwas Schlaf. Falls es ein Problem gibt, rufe ich dich an.“

Das Angebot war zu himmlisch, um es abzulehnen. „Danke. Du musst den Fisch kontrollieren. Schnüffle daran. Er darf nach gar nichts riechen.“

Er lächelte. „Ich weiß, wie man Fisch einkauft, Penny. Ich habe das schon mal gemacht.“

„Na, dann.“

Sie zögerte. Plötzlich spürte sie den Wunsch nach mehr, war sich aber unsicher, wovon sie mehr wollte. Von dem Beisammensein? Von einem Abschied?

Was es auch war, sie und Cal hatten ihre Chance bereits gehabt und es total vermasselt. Es gab keinen Weg zurück.

Zwei Wochen später saß Cal über der Buchhaltung. Nachdem er die Zahlen zum zweiten Mal überprüft hatte, warf er den Bericht in die Luft.

„Verdammt, sind wir gut“, sagte er. Sie lagen bereits dreißig Prozent über den prognostizierten Einnahmen. Der Gewinn hatte sich nur um achtzehn Prozent gesteigert, aber das lag daran, dass Penny auf großen Portionen und teuren Zutaten bestand. So sehr es ihm auch widerstrebte, es zuzugeben – ihr Plan ging auf.

Jemand klopfte an seine halboffene Tür. Er blickte auf und winkte die junge Frau herein, die auf der Schwelle wartete.

Tina war noch in Straßenkleidung. Sie trug ihren Mantel und die Handtasche über dem Arm. In der Hand hielt sie ihre Stechkarte.

„Sie wollten mich sprechen?“, fragte sie.

Statt ihr anzubieten, sich zu setzen, deutete er auf die Uhr an der Wand.

„Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zu sagen, was Sie da sehen?“

„Es ist viertel nach fünf.“

„Richtig. Ihre Schicht beginnt um fünf.“

Tina seufzte schwer. „Ich weiß, aber es war viel Verkehr.“

Etwas, das es jeden Tag gab, dachte er. „Sie kennen die Regeln. Kein unentschuldigtes Zuspätkommen, Tina. Entweder Sie rufen an und geben Bescheid – oder Sie kommen pünktlich.“

Sie starrte ihn an. „Ist das Ihr Ernst? Sie sind wütend, weil ich fünfzehn Minuten zu spät bin?“

„Ich bin nicht wütend. Und Sie sind nicht nur zu spät. Sie sind gefeuert.“

Ihr Mund klappte auf und wieder zu. „Wegen fünfzehn Minuten?“

„Man hat Ihnen die Regeln erklärt, als Sie eingestellt wurden. Sie haben sie gemeinsam mit Ihrem Vertrag unterschrieben. Anrufen, wenn man zu spät kommt, oder der Job ist weg.“ Er beugte sich zu seinem Schreibtisch und griff nach ihrem Gehaltsscheck. „Ich begleite Sie hinaus.“

„Machen Sie sich keine Mühe.“

Sie riss ihm den Scheck aus der Hand und rauschte aus seinem Büro. Er schenkte dem Murren, das von draußen zu hören war, keine Beachtung und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. Penny kam herein.

„Jemand ist unglücklich. Eine der Kellnerinnen ist gerade beleidigt abgezogen.“

„Tina. Sie ist gefeuert.“

„Warum?“

Er deutete auf die Uhr.

Penny nahm ihm gegenüber Platz und seufzte. „Ich mache das auch. Sie feuern, wenn sie zu spät kommen. Man muss es tun, sonst nimmt einen keiner ernst. Ruft an und gebt Bescheid, was los ist, lasst mich nur nicht im Ungewissen. Ich kann es mir auf keinen Fall leisten zu spekulieren, ob wir am Abend vielleicht unterbesetzt sind.“

„Also sind wir uns einig.“

„In diesem Fall schon.“ Sie lächelte. „Freu dich nicht zu früh. Ich bin hier, um mich zu beschweren.“

Warum überraschte es ihn nicht? Penny hatte den Ruf, eine Perfektionistin zu sein. Vor drei Tagen war sie hereinspaziert und hatte mitgeteilt, dass die Blumen auf den Tischen zu stark rochen. Ihr Duft hatte sich störend mit dem des Essens vermischt. Sie verlangte höchste Qualität und akzeptierte nichts anderes.

„Was ist jetzt nicht in Ordnung?“

„Das Angebot an Wein ist schrecklich.“

„Stimmt, aber ich arbeite daran.“

Sie beugte sich vor. In ihrer weißen Küchenchef-Jacke und mit dem Tuch ums Haar sah sie sowohl professionell als auch ganz und gar weiblich aus. Eine faszinierende Kombination.

„Ich habe einen Plan“, sagte sie leise.

„Er wird mir nicht gefallen.“

„Das kannst du noch nicht wissen.“ Sie warf einen Blick über ihre Schulter nach hinten, als vergewissere sie sich, dass niemand mithörte. Dann lächelte sie. „Lass den Weinkeller im ‚Buchanan’s‘ ausräumen. Ich habe jemanden hinüber geschickt, um ihn sich anzusehen, und er ist fantastisch.“

„Ich plündere keines der Familien-Restaurants.“

„Warum nicht? Sie sind nicht unser Problem. Das ‚Waterfront‘ ist das, was wichtig ist. Nimm einfach die Hälfte von den guten Sachen. Das Weinangebot hier ist zu jung. Wir haben keinen wirklich teuren Wein. Du weißt, wie die Gäste es mögen, einander mit dem teuren Zeug zu beeindrucken. Wir verlieren sie sonst – gemeinsam mit den echten Weinkennern – als Kunden. Komm schon, Cal. Du hast Einfluss. Du kannst es tun.“

„Ich könnte, aber ich werde es nicht tun. Und bevor du anfängst, mich zu beschimpfen, lies das.“

Er nahm ein Blatt Papier von seinem Schreibtisch und reichte es ihr. Dann lehnte er sich zurück, bereit, den Triumph zu genießen.

Sie überflog nur die Seite und sah ihn dann an. „Was ist passiert?“

„Zwei Restaurants sind in Konkurs gegangen. Ich habe als Erster davon erfahren und ihre Weinbestände aufgekauft. Beide waren exzellent. Was sagst du nun?“

Sie grinste. „Du bist der Beste.“

„Und?“

Sie seufzte, lehnte sich zurück und legte theatralisch einen Handrücken auf ihre Stirn. „Du bist klug und witzig, und ich darf mich glücklich schätzen, für dich zu arbeiten. Oh, ich bekomme kaum Luft vor Aufregung, weil ich so nahe neben dir sitzen darf.“

„Jaja.“

Sie richtete sich auf. „Ernsthaft, es ist toll. Ich bin beeindruckt.“

Ihr Kompliment gefiel ihm. Sie war keine Frau, die man leicht beeindrucken konnte, und sie hatte keinen Grund, besonders nett zu ihm zu sein.

Es hat sich viel verändert, dachte er. Obwohl er gern mit Penny verheiratet gewesen war, war sie damals nicht sehr stark gewesen. Jetzt hatte sie Durchsetzungsvermögen, und er bewunderte ihre Fähigkeit, die Dinge in die Hand zu nehmen.

Hätte es mit ihnen geklappt, wenn sie damals so gewesen wäre? Oder hätten seine Geheimnisse trotzdem alles vermasselt?

Vermutlich letzteres, dachte er. Penny konnte eine Menge verzeihen. Aber er bezweifelte, dass sie verstanden hätte, warum er nicht riskieren konnte, ein weiteres Kind zu lieben.

Penny zog einen Zettel aus ihrer Jackentasche. „Ich kann mich morgen früh mit dir wegen der Gruppenreservierungen treffen. Ich bin für die Idee aufgeschlossen, aber ich möchte es langsam angehen lassen. Der Küchenbetrieb muss wie am Schnürchen laufen, und alle Probleme müssen gelöst sein, bevor wir anfangen, fünfzig Leute gleichzeitig abzufüttern.“

„Ich dachte mir, wir könnten mit einer sehr toleranten Gruppe beginnen. Im ‚Daily Grind‘ ist jedes Jahr im Juli ein Essen im Rahmen einer Preisverleihung. Wir können es hier machen. Auch wegen ein paar anderer Veranstaltungen bin ich angerufen worden. Zwei weitere im Sommer und drei im September.“

„Besorg mir die Details, und ich lasse dich wissen, was wir tun können. Die Termine im Sommer gehen in Ordnung, und ich werde für das Daily-Grind-Event kochen, wenn ich in der Küche bleiben und von dort aus zusehen darf.“

„Warum sollte dich das interessieren?“

„Berufliche Neugier. Es ist dein anderes Leben.“

Warum war es für sie interessant? „In Ordnung.“

„Aber wir können nichts für September fixieren.“

Er runzelte die Stirn. „Warum nicht?“

„Ich werde nicht hier sein.“

„Den ganzen Monat? Das kannst du nicht machen. Wir haben dann erst fünf Monate geöffnet.“

„Ich weiß, aber ich werde trotzdem weg sein, und du kannst mich nicht aufhalten.“ Sie hob die Hand, damit er sie nicht unterbrach. „Es ist nicht freiwillig. Cal. Gut, irgendwie doch, aber es ist kein Urlaub. Ich bekomme ein Baby.“

6. KAPITEL

Cals Gesichtsausdruck blieb unverändert, doch wie immer war es sein Mund, der ihn verriet. Seine Lippen bildeten eine dünne, missmutige Linie, und ein Wangenmuskel zuckte.

„Glückwunsch.“

In diesem einzigen Wort schwang eine riesige Welle Verärgerung mit, dachte Penny und bemühte sich, keine Reaktion zu zeigen. Sie hatte gewusst, dass ihn die Nachricht umhauen würde. Das Klügste wäre, dem Mann jetzt ein paar Minuten zu geben, um sich mit der Neuigkeit anzufreunden.

„Danke.“

„Ich wusste nicht, dass du dich mit jemandem triffst.“ Seine Lippen strafften sich. Sie hatte das Gefühl, als überlege er, sie zu küssen.

„Das tue ich nicht. Es gibt derzeit niemanden in meinem Leben.“

„Was ist mit dem Vater des Babys?“

„Er hat nichts damit zu tun.“

Sein gleichermaßen wütender wie missbilligender Gesichtsausdruck verärgerte sie.

„Mein Zustand hat überhaupt nichts mit dir zu tun“, erklärte sie. „Ich bin durchaus in der Lage, meinen Job trotz Schwangerschaft auszuüben. Es ist ein paar Jahrhunderte her, dass Frauen aus der Öffentlichkeit verschwinden mussten, solange sie in diesem Zustand waren.“

„Deine Arbeit ist das geringste Problem.“

Er stand auf und ging zu ihr. Sie erhob sich, damit sie auf Augenhöhe mit ihm war … zumindest ungefähr.

„Du hast mir absichtlich diese Information vorenthalten, als ich dir den Job angeboten habe“, sagte er.

„Ich habe es nicht erwähnt, weil ich wusste, dass du ausflippst, wenn du es erfährst.“

„Ich flippe nicht aus. Ich bin sauer. Wie weit bist du schon?“

„Im vierten Monat.“ Sie sah ihn von der Seite an. „Dass ich schwanger bin, ändert nichts daran, wie gut ich in der Küche bin.“

„Als Küchenchefin bist du zwölf Stunden am Tag auf den Beinen. Das kannst du nicht als Schwangere. Wie sollst du das Essen kosten? Gibt es nicht bestimmte Fischsorten, die du vermeiden musst? Und wie ist es mit Wein?“

„Ich kann sowohl das Essen als auch den Wein kosten. Ein Bissen oder ein Schluck sind nicht das Problem. Ich bin durchaus dazu in der Lage, und ich mache meinen Job verdammt gut, also lass mich in Ruhe.“

Er richtete sich auf. „Du hast mich angelogen. Du hast mir eine wesentliche Information vorenthalten. Ich kann dir deswegen Feuer unterm Hintern machen, das wissen wir beide.“

Sie öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Er hatte nicht ganz unrecht. Hätte sie in seiner Situation erfahren, dass ein Mitarbeiter in einer so wichtigen Angelegenheit gelogen hatte, würde sie ihn auch ohne zu zögern hinausbegleiten.

„Ich bin der Grund, warum dieses Lokal erfolgreich ist“, sagte sie mit bewusst leiser Stimme. „Meine Arbeit ist gut. Ja, du kannst mich feuern – aber was dann? Glaubst du, das Lokal kann überleben, wenn es seine Küchenchefin zwei Wochen nach der Eröffnung verliert?“

Sie starrte ihn an. Er sollte sie verstehen. „Ich habe alles durchgerechnet. Ich kann den Job machen und schwanger sein. Wir sind ein Team, Cal. Werde jetzt nicht unfair zu mir.

„Sag nicht, dass wir ein Team sind, wenn du ein Geheimnis wie dieses vor mir hast“, sagte er. „Noch etwas, was du mir eröffnen willst?“

„Nein.“

„Fein. Ich bin in ein paar Stunden zurück.“

„Aber wir haben gerade aufgemacht. Der Betrieb geht gleich los.“

„Ach? Du meintest doch, du hättest einen Plan. Setz ihn um.“ Dann drehte er sich um und ging.

Cal fuhr los, ohne nachzudenken. Er war nicht überrascht, als er sich plötzlich vor Reids Lokal befand. Er warf seine Autoschlüssel dem Parkplatzwächter zu, dann marschierte er in die überfüllte Bar.

Was zum Teufel war los? Penny schwanger? Er wusste, dass sie Kinder wollte – sie hatte das oft genug deutlich gemacht. Aber jetzt?

Er entdeckte seinen Bruder hinter der Bar und winkte ihn zu sich. Reid wechselte ein paar Worte mit der Kellnerin, die mit ihm hinter der Bar bediente, dann ging er zu Cal.

„Was ist los?“, fragte er.

Statt einer Antwort stürmte Cal in Reids Büro. Nachdem sein Bruder nachgekommen war, schloss er die Tür.

„Du wusstest von dem Kind.“ Es war eine Feststellung, keine Frage.

Reid wirkte erstaunlich unbekümmert. „Sie hat es dir also endlich gesagt, nicht wahr? Ich habe sie gewarnt, dass du es nicht gut aufnehmen würdest. Sieht so aus, als hätte ich mich nicht getäuscht.“

„Nicht gut aufgenommen? Du hast recht, das habe ich tatsächlich nicht. Was zum Teufel ist passiert? Hast du es unterstützt?“

Reid runzelte die Stirn. „He, mal langsam. Was geht es dich an, dass Penny schwanger ist? Du hast sie vor langer Zeit gehen lassen.“

„Das hat nichts damit zu tun.“ Es war ihm egal, mit wem seine Exfrau schlief oder was sie in ihrem Privatleben machte. Er war nur wütend, dass sie losgezogen war und sich ein Kind hatte machen lassen.

Reid lehnte sich an die Kante seines unordentlichen Schreibtischs. „Schau, es ist keine große Sache. Penny hatte schon seit Langem vor, ein Kind zu bekommen. Sie wollte immer eine Familie.“

Cal wusste genau, wie lange sie es bereits vorhatte. Er musste nicht einmal die Augen schließen, um sie vor sich zu sehen, wie sie sich auf der Couch an ihn geschmiegt, ihre Hand auf seinen Oberschenkel gelegt und geflüstert hatte: ‚Lass es uns noch einmal versuchen, Cal. Lass uns ein Kind machen.‘“

„Sie ist dreißig geworden und ihr wurde bewusst, dass es an der Zeit wäre“, fuhr Reid fort.

Cal packte ihn am Kragen. „Warst du es? Hast du mit ihr geschlafen?“

Sein normalerweise gelassener Bruder erstarrte sofort. Reid packte Cals Hand so fest, das es sowohl eine Strafe als auch eine Drohung war.

„Ich gebe dir genau zehn Sekunden, um das zurückzunehmen, sonst wische ich mit dir den Boden auf“, knurrte Reid.

„Wie kommst du darauf, dass du das kannst?“

Die beiden Männer warfen sich zornige Blicke zu. Reid gab als Erster nach. Er ließ Cal los und nahm beide Hände hoch.

„Niemand hat mit Penny geschlafen“, sagte Reid. „So war es nicht.“

Cal ließ ihn los. „Wie meinst du das?“

„Es gibt keinen Kerl. Penny war bei einer Samenbank. Du weißt schon, einer aus Spalte A, einer aus Spalte B. Sie hat den Samen aus einer Computerdatei. Verrückt, wenn du mich fragst, aber sie war anderer Meinung.“ Reid tippte ihm mit dem Finger an die Brust. „Warum wohl hat dir Penny von der künstlichen Befruchtung nicht selbst erzählt?“

Cal zuckte die Achseln.

Reid tippte ihm erneut auf die Brust. „Weil du ihr keine Gelegenheit gegeben hast, nicht wahr? Du hast voreilige Schlüsse gezogen. Verdammt, Cal, warum erwartest du von den Menschen immer das Schlechteste?“

„Das tue ich nicht.“

„Natürlich. Du bist ein wahrer Sonnenschein. Du solltest den Leuten vertrauen, dass sie das Richtige tun. Penny würde sich niemals mit einem Kerl einlassen, der ein Kind im Stich lässt, okay?“

Cal wich einen Schritt zurück. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Irgendwie hatte Reid den Kern der Sache getroffen. Das war es, was Cal nicht ertrug – den Gedanken, dass ein Mann sein eigenes Kind verließ. Ein Erwachsener hatte die Wahl – eine Wahl, die er mit siebzehn nicht gehabt hatte.

„Du hast recht“, sagte Cal, „Gutes Argument. Ich, äh … danke für die Erklärung.“

Sein Bruder lehnte sich wieder an den Schreibtisch und verschränkte die Arme über der Brust. „Du bist ganz schön durch den Wind, weißt du das?“

„Als ob ich das nicht wüsste.“

„Wir alle sind es. Dank Gloria.“ Reid schüttelte den Kopf. „Die Dinge, die sie uns machen ließ. All die Drohungen. So viele verdammte Geheimnisse.“ Er sah Cal an. „Penny will dieses Kind. Sie wird eine gute Mutter sein.“

„Darum geht es nicht.“

„Nein? Bist du wegen Lindsey so aufgebracht?“

Cal starrte seinen Bruder ungläubig an. Er konnte nicht glauben, was er gerade gehört hatte.

„Du weißt es?“, fragte er. Seine Stimme war rau vor Schrecken.

Reid nickte.

Es war siebzehn Jahre her, und Cal hatte nie jemandem von seiner Tochter erzählt. Gloria hatte es gewusst – sie wusste immer alles. Im Gegensatz zu seiner Highschool-Freundin, für die es eine Erleichterung gewesen war, das Kind zur Adoption freizugeben, hatte Cal mehr für seine Tochter gewollt. Er hätte sich gern selbst um sie gekümmert. Aber es war sein Abschlussjahr an der Schule gewesen, und es hatte keine Möglichkeit bestanden, für ein Kind finanziell aufzukommen, geschweige denn es großzuziehen.

Dann hatte Gloria ein Angebot gemacht. Cal könne das Kind behalten, doch sie, Gloria, würde die Kleine allein großziehen.

Alles in ihm hatte dagegen rebelliert. Doch sie hatte ihn in Zugzwang gebracht, und er hatte der Adoption schließlich zugestimmt.

Er erinnerte sich noch, wie er die Papiere unterschrieben hatte. Wie falsch ihm alles erschienen war. Es war zwei Wochen vor seinem achtzehnten Geburtstag gewesen – zu alt, um zu weinen, aber ihm war danach zumute gewesen. Am liebsten hätte er das Baby genommen und wäre davongelaufen. Nur weil die Adoptiveltern so freundlich gewesen waren, hatte er es überhaupt fertiggebracht, Lindsey herzugeben.

„Wie hast du von ihr erfahren?“, fragte Cal. „Niemand wusste es.“

„Vielleicht hätte es so sein sollen, aber Walker und ich wussten es beide. Wir haben gehört, als du dich deswegen mit Gloria gestritten hast. Ich glaube nicht, dass Dani es weiß. Sie war noch ziemlich klein.“

„Ihr habt nie etwas gesagt.“

„Warum sollten wir? Es war deine Entscheidung. Walker und ich haben darüber geredet, was wir an deiner Stelle getan hätten. Wir waren uns einig, dass wir beide das Kind, ohne zu zögern, zur Adoption freigegeben hätten.“

„Das sagt sich alles so leicht, wenn es einem nicht selbst passiert.“

„Vielleicht.“ Reid zuckte die Achseln. „Dann war es vorbei, und wir haben angenommen, dass es dein Geheimnis bleiben sollte. Wir dachten, dass du wüsstest, wo du uns findest, wenn du darüber reden wolltest.“

Reid schien ziemlich gelassen, aber Cal fragte sich, ob nicht mehr dahinter steckte. Ein Gefühl des Verrats, weil er seinen Brüdern bei einer so großen Entscheidung nicht vertraut hatte.

„Ich war der Älteste“, sagte er unsicher.

„Richtig. Du hast ein gutes Beispiel gegeben. Sag deinen jüngeren Brüdern nicht, dass du deine Freundin geschwängert hast. Das haben wir verstanden. Aus uns wurden Vorzeigejungs für Safer Sex. Mach dir keine Sorgen, großer Bruder. Deine Erfahrung war uns eine Lehre.“

Cal vermutete, dass etwas Wahres dran war.

„Wie alt ist sie jetzt? Fünfzehn? Sechzehn?“, fragte Reid.

„Siebzehn. Sie ist in ihrem Abschlussjahr an der Highschool.“

„Bist du in Kontakt mit der Familie?“

„Mit den Eltern. Sie schicken mir ein paar Mal im Jahr Fotos und Briefe. Lindsey weiß, dass sie adoptiert ist, hat aber kein Interesse an ihren leiblichen Eltern. Ihre Mutter kümmert das nicht.“ Alison hatte ihren Abschluss gemacht und war zurück in den Osten gezogen. Cal hatte nie mehr von ihr gehört und nahm an, dass von ihrer Seite keinerlei Interesse an dem Kind bestand, das sie aufgegeben hatte.

„Du hast mir immer leidgetan“, sagte Reid. „Du wolltest sie nicht weggeben.“

Jetzt war es Cal, der die Achseln zuckte. „Ich wusste nicht, wie ich mich um sie hätte kümmern können.“

„Du hast das Richtige getan. Wie immer. Es war höllisch, diese Charaktereigenschaft ständig unter die Nase gerieben zu bekommen.“

„Danke, dass du es mir nicht übel genommen hast.“

„Kein Problem. Aber jetzt geht es um Folgendes: Vielleicht ist es Zeit, das Richtige für Penny zu tun. Sie ist nicht schwanger geworden, um dich durcheinander zu bringen.“

„Ich bin sicher, sie empfindet es als einen zusätzlichen Spaß.“

„Möglich. Aber sie will das Kind. Das solltest du respektieren und sie in Ruhe lassen.“

Sein Bruder hatte nicht unrecht. „Ich denke darüber nach.“

„Mach das. Willst du ein Bier?“

„Nein, danke. Ich muss zurück ins Restaurant.“

Er streckte die Hand aus, und Reid schlug ein.

„Lass dich nicht unterkriegen, großer Bruder“, sagte Reid. „Es ist nicht dein Kind. Du brauchst diesmal nicht ins Schwitzen zu geraten.“

„Ja. Danke.“

Cal verließ das Büro und ging zum Vorderausgang. Nachdem ihm der Parkplatzservice seinen Wagen gebracht hatte, fuhr er zurück ins Restaurant.

Zu viel auf einmal war passiert, dachte er. Zu erfahren, dass Penny schwanger war und dass Reid und Walker von seiner Tochter wussten.

Er erinnerte sich an die Kämpfe, die er und Gloria damals ausgefochten hatte. Wie er sie mit dem ganzen Zorn eines siebzehnjährigen jungen Mannes angeschrien hatte, dem etwas Wertvolles verwehrt wurde. Es war ein Wunder, dass es nicht die ganze Nachbarschaft gehört hatte. Aber seine Brüder hatten nichts gesagt. Sie hatten gewartet, dass er zu ihnen kommen würde, und das hatte er nie getan.

Er hätte es tun sollen. Sie hätten ihn verstanden. Besonders vor dreieinhalb Jahren, als seine Ehe nicht mehr zu retten gewesen war. Penny hatte ihn unter Druck gesetzt, sich gefühlsmäßig auf ein gemeinsames Kind einzulassen. Er wiederum hatte sich so weit wie möglich distanziert und versucht, mit der Schreckensbotschaft umzugehen, dass bei seiner einzigen Tochter akute myeloische Leukämie diagnostiziert worden war.

Drei Monate hatte er gewartet, um zu erfahren, was passieren würde. Lindseys Adoptiveltern hatten ihn über jeden Behandlungsschritt auf dem Laufenden gehalten. Er erinnerte sich an die qualvolle Zeit, in der er nicht wusste, ob die Chemo anschlagen würde, ob seine Tochter überleben würde. Und schließlich an die Freude, als Lindsey die Krankheit besiegt hatte.

Hätte er Penny von ihr erzählen sollen? Damals war es ihm nicht möglich gewesen. Sie hätte nie verstanden, wie er sich so sehr um ein Kind sorgen konnte, dass er mit einer anderen hatte, aber gleichzeitig nicht gewillt war, ein Baby mit ihr zu haben. Und er hatte nicht gewusst, wie er es erklären sollte – und er hatte Angst gehabt, Lindsey noch einmal zu verlieren.

Und so hatte sie weiter gedrängt und er sich dermaßen zurückgezogen, dass sie ihn schließlich verlassen hatte. Die Trennung war ihm damals als das Beste für sie beide erschienen.

Er betrat das Restaurant und wechselte ein paar Worte mit dem stellvertretenden Geschäftsführer, dann ging er in die Küche. Wie immer war der Lärmpegel so hoch, dass sein Kopf von dem Geschrei, dem Zischen des Dampfkochers und dem Getöse des Grills dröhnte.

„Noch dreimal Lachs“, rief ein Kellner und setzte ein Tablett ab. „Die Dame möchte wissen, was du in die Sauce gegeben hast.“

Penny blickte auf, sah Cal und widmete ihre Aufmerksamkeit dem Kellner. „Tut mir leid, es ist ein Geheimnis. Aber ich verspreche, ich schreibe das Rezept ins erste Kapitel meines Kochbuchs, falls ich je eines veröffentliche.“

Als der Kellner gegangen war, sah Penny Cal von der Seite an. „Du bist während des Abendessens abgehauen.“

„Ich weiß.“

Ihr Gesichtsausdruck sagte ihm, dass er es nie mehr tun sollte, aber über ihre Lippen kam kein Wort. Dafür war Penny zu professionell. Sie würde ihm nicht vor den Angestellten die Leviten lesen.

„Wir müssen reden“, sagt er. „Gegen zehn?“

„Sicher. Ich bin diejenige mit der Chefkoch-Jacke.“

Bis viertel nach neun hatte sich die Lage beruhigt. Alle Bestellungen waren serviert, einige Tische hatten sich bereits geleert. Cal zog sich vor dem Treffen mit Penny in sein Büro zurück, um einige Schreibarbeiten zu erledigen. Er wusste nicht genau, was er ihr sagen würde. Er wollte sich für seine Überreaktion entschuldigen, aber er konnte ihr nicht von Lindsey erzählen – nicht, nachdem sie ihm eröffnet hatte, schwanger zu sein.

Er saß an seinem Schreibtisch, doch statt seinen Computer einzuschalten, lehnte er sich in seinem Sessel zurück und erinnerte sich daran, wie Penny ihm zum ersten Mal mitgeteilt hatte, schwanger zu sein. Sie hatten es beide nicht geplant. Manchmal funktionierte Verhütung einfach nicht.

Er war fassungslos gewesen – zuerst vor vollkommenem Glück, dann vor Schuld. Weil er dieses Kind behalten würde. Er würde alles miterleben, was er bei Lindsey versäumt hatte. Was, wenn er dieses Kind mehr lieben würde als Lindsey?

Er hatte nicht gewusst, wo er Antworten auf seine Frage bekommen oder wem er sich anvertrauen sollte. Deshalb hatte er nichts gesagt. Und Penny hatte bemerkt, dass seine Begeisterung mit der Zeit immer mehr abgeebt war, und hatte das nicht verstanden.

„Klopfklopf.“

Cal drehte sich um und sah Gloria in der Tür zu seinem Büro stehen. Er hielt ein Stöhnen zurück. Ja, richtig, noch mehr Stress war das, was er heute unbedingt gebrauchen konnte.

„Du solltest nicht hier sein“, sagte er zu seiner Großmutter.

Gloria fegte in den kleinen Raum und schnappte sich den einzigen anderen Sessel. „Ich habe keine Ahnung, warum du glaubst, ich verbringe mein Leben damit, alles zu kontrollieren. Nichts liegt mir ferner. Ich bin lediglich hier, um meinen Enkelsohn zu sehen. Ist daran irgendetwas falsch?“

Das wäre es nicht, wenn er ihr glauben würde. Aber das tat er nicht. Gloria verfolgte immer eine Absicht und hatte immer einen Grund.

„Schön“, sagte er. „Wenn dein Besuch rein privat ist, brauchst du auch nicht über das Restaurant reden.“

Sie presste die Lippen aufeinander. „Mir sind allerdings ein paar Dinge aufgefallen.“

Er starrte sie an. Sie atmete langsam aus.

„Ich werde sie nicht zur Sprache bringen. Obwohl ich nicht verstehen kann, warum du keine konstruktive Kritik willst. Man sollte annehmen, es wäre dir daran gelegen, dass das Restaurant optimal läuft.“

„Netter Versuch, aber ich gehe dir nicht in die Falle.“

„Aha, in Ordnung.“ Sie ließ ihren Mantel von den Schultern gleiten. „Ich wollte dich nur wissen lassen, dass Daniel gekündigt hat.“

Er starrte sie an. „Wer ist Daniel?“

„Daniel Langstrom. Der Generaldirektor. Also wirklich, Callister, kannst du nicht einmal so tun, als würde es dich interessieren? Er wollte nicht sagen, warum er geht. Es kommt sehr ungelegen. Er ist der Dritte innerhalb von fünfzehn Monaten, der kündigt. Die Suche nach Führungskräften ist eine sehr teure Angelegenheit. Ganz abgesehen vom Zeitaufwand. Man sollte meinen, dass Personalberater bessere Kandidaten vermitteln.“

„Die Personalberater sind nicht das Problem, Gloria“, sagte Cal. „Du bist es. Für dich zu arbeiten, ist die Hölle.“

Gloria erstarrte. „Ich muss doch sehr bitten. So kannst du nicht mit mir reden. Es ist unhöflich und ordinär.“

„Vielleicht, aber es ist wahr. Durch dich bekommt der Begriff ‚einmischen‘ eine neue Dimension. Es gibt keine Abläufe, an denen du nichts auszusetzen hast oder die du nicht ändern willst. Du mischst dich ein, du änderst deine Meinung fünfzehn Mal am Tag, und alle um dich herum wünschten, sie wären tot.“

Sie wurde bleich. „Das ist nicht wahr.“

„Ist dir noch nicht aufgefallen, welche Schwierigkeiten du hast, einen stellvertretenden Geschäftsführer, geschweige denn einen Generaldirektor zu behalten? Mich hast du vor Jahren vertrieben. Reid und Walker haben es nicht einmal versucht. Du musst einen Gang zurückschalten, sonst ist in der Firma bald keiner mehr übrig.“

„Das ist lächerlich. Du übertreibst. Nichtsdestotrotz möchte ich, dass du den Job als Direktor übernimmst.“

Eher ließe er sich an die Haie verfüttern. „Nein, danke. Ich habe einen Job.“

„In diesem Cafe.“ Bei ihr klang es, als würde er giftige Milchshakes an Kinder verkaufen.

„Ganz richtig. Mir gefällt es, Gloria. Ich bin stolz auf das, was ich mache.“ Er unterbrach sich, da ihm die Unmöglichkeit bewusst wurde, sie jemals zu überzeugen.

„Es ist dein Erbe“, sagte sie. „Du bist ein Buchanan.“

„Ich bin nicht interessiert. Niemand ist es, außer Dani. Weiß Gott, warum du es noch nicht geschafft hast, sie zu vergraulen – sie hält immer noch durch. Gib ihr eine Chance.“

Gloria schnaubte. „Das ist unmöglich. Sie ist keine von uns. Sie ist die Tochter ihrer Mutter, und das werde ich ihr nie verzeihen.“

„Meine Mutter hatte diese Affäre vor fast dreißig Jahren. Lass es endlich gut sein.“

„Niemals.“ Glorias Augen funkelten vor Zorn. „Sie hat meinen Sohn betrogen. Ist es dir egal, dass sie deinen Vater betrogen hat?“

Er war nicht glücklich darüber, aber es fiel ihm schwer, sich nach so langer Zeit darüber aufzuregen. „Es ist vorbei“, sagte er. „Mom und Dad sind tot.“

„Aber der Beweis der Affäre deiner Mutter lebt.“

„Du hast eine Einstellung wie im vorigen Jahrhundert“, sagte er. „Dani ist deine Enkelin.“

„Niemals. Sie ist nichts. Ich lasse sie aus reiner Freundlichkeit in dem Glauben, eine Buchanan zu sein.“

„So bezeichnest du es?“

Nach seinem Collegeabschluss hatte Gloria ihm die Wahrheit gesagt – ein merkwürdiges Geschenk. Sie hatte ihn mit der Information erpresst, damit er ins Familienunternehmen einstieg.

Er hatte niemals Teil des Imperiums werden wollen, aber sie hatte gedroht, Dani zu erzählen, dass sie nicht wirklich eine von ihnen war. Er hatte diesen ersten Job im „Burger Heaven“ angenommen, um sicherzugehen, dass Dani die Wahrheit nicht erfuhr.

Gloria sah ihn zornig an. „Seit meinem achtzehnten Lebensjahr bin ich ein Teil dieser Familie. Ich habe mich abgerackert, damit ihr dieses Erbe übernehmen könnt. Ich bin der Grund für den Reichtum dieser Familie.“

„Wir wären um einiges besser dran, wenn du es einfach gelassen hättest.“

Sie erhob sich. „Vielleicht ist dir die Familie egal, aber mir nicht. Deine Mutter hat meinen Sohn mit ihren Lügen und ihrem Betrug zerstört.“

„Nichts davon ist Danis Schuld. Sie ist die Einzige, der überhaupt etwas an der Firma liegt. Sie hat ihren Beitrag geleistet und macht ihren Job gut. Lass sie einen Sprung auf der Karriereleiter machen. Gib ihr die Chance, sich im ‚Buchanan’s‘ oder hier zu beweisen.“

„Niemals.“

Cal spürte das Bedürfnis, auf etwas einzuschlagen, aber er hatte seine Faust schon einmal in eine Wand gebohrt, und es war keine kluge Idee gewesen. „Ich sollte es ihr selbst sagen“, sagte er mehr zu sich selbst als zu Gloria.

„Aber das wirst du nicht.“ Seine Großmutter setzte sich wieder. „Du würdest deine Schwester niemals dermaßen verletzen.“

Sie hatte recht. Er würde Dani nie absichtlich wehtun, wenngleich er sich langsam fragte, ob es nicht viel schlimmer war, ihr die Wahrheit zu verschweigen.

„Um auf ein anderes Thema zu kommen – wusstest du, dass deine Küchenchefin schwanger ist?“

Er fluchte innerlich. Wie hatte sie es herausgefunden? Ihr Bedürfnis, Ärger zu stiften, war allerdings weniger überraschend.

„Natürlich“, sagte er, ohne zu erwähnen, dass er es erst heute erfahren hatte.

„Oh.“ Gloria klang enttäuscht. „Weißt du, wer der Vater ist?“

„Spielt das eine Rolle?“

„Sie ist nicht die Richtige für dich, Callister. Dieser Meinung war ich immer. Ich dachte, du hättest es auch eingesehen.“

„Mein Privatleben geht dich nichts an.“

Ihre kleinen Augen blickten ihn scharf an. Er wusste, dass sie sich fragte, warum er sich ihre Einmischung verbat – ob er es tat, weil zwischen Penny und ihm etwas lief, oder ob er es aus Prinzip nicht wollte.

„Du mochtest sie nie“, sagte er. „Hat es speziell mit Penny zu tun oder damit, dass du meine Frau nicht persönlich aussuchen konntest?“

„Ich bin sicher, ich hätte mehr Erfolg gehabt als du.“

Das reichte. Alte Dame oder nicht, er hatte genug von ihr. Er erhob sich.

„Es ist Zeit, dass du gehst.“

Sie nahm ihren Mantel und erhob sich. „Denk über den Direktionsposten nach“, sagte sie. „Er ist eine tolle Chance.“

„Das werde ich nicht.“

„Aber Callister …“

Er begleitete sie hinaus und schlug ihr die Tür vor der Nase zu.

7. KAPITEL

Penny richtete sich ihr Abendessen an. Die Aufräumarbeiten in der Küche waren beinahe beendet. Obwohl sie müde und reif fürs Bett war, war sie fast am Verhungern.

Zuerst hatte sie vor Ärger nicht ans Essen denken können, weil Cal das Restaurant verlassen hatte, als gerade die Gäste kamen. Später war sie beschäftigt und dann der Abend vorüber gewesen. Sie war entschlossen, die verlorene Zeit aufzuholen.

Ein großer Teller mit gebackenen Filets ihres berühmten Fisch mit Pommes-Menüs stand vor ihr, ein zweiter Teller mit Zwiebelkartoffeln und eine große Schüssel Salat mit allem erdenklichen Gemüse, das sie so auftreiben konnte. Es war genug für sechs bis acht Leute, aber manchmal wusste sie nicht mehr, wie man für nur eine Person kochte.

Sie hatte vage damit gerechnet, dass Naomi ihr Gesellschaft leisten würde, aber ihre Freundin hatte sich davongemacht, um Reids Bett vorzuwärmen. Penny hatte immer gewusst, dass die beiden irgendwann Sex haben würden. Sie hatte auch geahnt, dass sie auf ihre beiden engsten Freunde zwischendurch würde verzichten müssen, wenn sie nur mehr Augen füreinander hätten. Jetzt allerdings hatte sie nicht damit gerechnet.

Cal betrat den Speisesaal. Sie beachtete ihn nicht weiter und begann, ihren Teller mit Essen zu beladen.

„Wir hatten einen guten Abend“, sagte er.

Sie nickte.

„Die Zahlen liegen noch immer deutlich über den Erwartungen.“

„Du klingst überrascht“, sagte sie.

„Das bin ich. Ich hoffe, wir können das beibehalten.“

„Es gibt keinen Grund, warum wir es nicht können sollten. Die Lage ist gut, das Essen auch. Was spricht also dagegen?“

Er grinste. „Du warst schon immer optimistisch.“

„Besser als das Gegenteil.“

„Möchtest du Gesellschaft?“

Sie betrachtete ihn, seine attraktiven Gesichtszüge und den schön geschwungenen Mund. Er war nicht mehr wütend und sie selbst auch nicht. Oh, sie konnte so tun, als ob. Sie wäre in der Lage, sich innerhalb kürzester Zeit in einen Temperamentsausbruch hineinzusteigern – aber wozu?

„Nur, wenn du hungrig bist“, sagte sie, „Ich habe ein bisschen mehr gemacht.“

„Das sehe ich.“

Er setzte sich neben sie und nahm sich einen der leeren Teller. Er bediente sich und kostete dann die Kartoffeln.

„Immer noch mein Lieblingsessen“, sagte er.

Sie zuckte die Achseln. „Kartoffeln, Zwiebeln, Butter, ein paar Gewürze. Du bist bescheiden, Cal.“

„Ich weiß, was ich mag.“

Bei diesem Satz begannen ihre Alarmglocken heftig zu läuten, und sie entschloss sich, das Thema zu wechseln. „Vorhin habe ich Gloria hier gesehen. Gnädigerweise ist sie nicht in die Küche gekommen. Was wollte sie von dir?“

„Sie versucht, mir den Job als Generaldirektor des Unternehmens aufzudrängen. Der dritte Typ innerhalb von fünfzehn Monaten hat gekündigt.“

„Wenn er ihr direkt untersteht, kann ich gut verstehen, warum.“

„Das habe ich ihr auch gesagt. Ich habe ihr erklärt, dass sie alles verliert, wenn sie nicht sofort einen Gang zurückschaltet.“

„Du würdest den Job nie annehmen“, sagte Penny überzeugt. „Du hasst es, für sie zu arbeiten, und du würdest deinen Job im ‚Daily Grind‘ nicht aufgeben wollen.“

Er starrte sie an. „Woher weißt du das?“

„Liege ich falsch?“

„Nein.“

Sie lächelte. „Cal, du bist ein Mann. Du bist meistens nicht sehr schwer zu durchschauen. Obwohl du mich ein paar Mal fürchterlich überrascht hast.“ Doch darüber wollte sie jetzt nicht reden. „Was ist das Problem? Sie könnte Dani den Job anbieten. Sie würde die Gelegenheit sofort ergreifen, und ich glaube, sie würde ihre Sache gut machen.“

„Das habe ich auch gesagt, aber Gloria will davon nichts wissen.“

Typisch, dachte Penny. Gloria war immer schon schrecklich gewesen, wenn es um Dani ging. „Was ist ihr Problem? Was hat sie gegen deine Schwester?“

Sie rechnete damit, dass Cal der Frage ausweichen oder sagen würde, er wisse es nicht. Zu ihrem Erstaunen legte er seine Gabel auf den Teller, beugte sich zu ihr und senkte die Stimme.

„Sie ist keine Buchanan.“

Pennys Überraschung hätte nicht größer sein können, wenn Cal sich in einen tanzenden Tintenfisch verwandelt hätte. „Wie bitte? Sie ist deine Schwester.“

„Halbschwester. Selbe Mutter, anderer Vater. Mein Vater war immer sehr distanziert. Er hat getrunken – ich glaube, Gloria als Mutter zu haben, hat ihn so weit gebracht. An ihre Ehe erinnere ich mich nicht mehr allzu gut, aber sie wirkten nie besonders glücklich oder wie andere Paare. Irgendwann hat sie jemanden kennengelernt und hatte eine Affäre. Dani war das Ergebnis. Zum ersten Mal habe ich nach meinem Collegeabschluss davon erfahren. Ich hätte es nie vermutet. Niemand von uns hat das.“

Penny griff unwillkürlich nach seiner Hand und nahm sie in ihre. „Das ist unmöglich. Selbstverständlich ist Dani eine von euch.“

„Nein. Sie ist völlig anders. Ihr Aussehen, ihre Persönlichkeit. Sieh dir nur an, wie Gloria sie behandelt. Dani glaubt, es ist, weil sie ein Mädchen ist, aber es steckt mehr dahinter.“

Penny dachte an die Jahre, in denen sie und Cal verheiratet gewesen waren und mit dem Rest der Buchanan-Familie zu tun gehabt hatten. Gloria war zu allen unfreundlich und hart gewesen, aber ihre Art, mit Dani umzugehen, hatte immer etwas besonders Schreckliches an sich gehabt. Es war beinahe … Verachtung.

„Nein“, sagte Penny mehr zu sich selbst, als zu Cal. „Die Familie ist Danis Ein und Alles. Ihr Leben ist davon bestimmt, eine Buchanan zu sein. Das Einzige, was sie neben ihrer Ehe will, ist, die Firma zu leiten.“

„Gloria wird es nicht zulassen.“

Penny drückte seine Hand. „Wissen Reid und Walker Bescheid?“

Er nickte. „Gloria hat es ihnen erzählt und dann die Information dazu benutzt, ihnen zu drohen. Tut, was ich sage, oder ich erzähle eurer Schwester, dass sie nicht wirklich zur Familie gehört.“

Penny spürte einen Kloß im Hals. „Das ist entsetzlich. Ich konnte Gloria nie leiden, aber ich hätte nie gedacht, dass sie so bösartig ist. Arme Dani. Du musst es ihr nun sagen.“

Cal zog seine Hand weg und schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall. Ich will ihr nicht das Leben schwer machen.“

„Ihr Leben ist bereits schwer. Du hast Geheimnisse vor ihr, Cal. Das ist nicht gut. Ich spreche aus eigener Erfahrung.“

Sein Blick fiel auf ihren Bauch. Ohne ihre weiße Jacke war ihr Zustand deutlich zu sehen. Sie war sich nicht sicher, ob er bemerkt hatte, dass ihre Brüste größer waren, aber ihm konnte auf keinen Fall die ausgeprägte Rundung ihres Bauches entgangen sein.

„Ich kann es ihr nicht sagen. Es würde ihr zu weh tun.

„Es wird mehr wehtun, wenn sie es auf andere Weise erfährt.“

Er biss in ein Stück Fisch. Sie kannte den störrischen Zug um seinen Mund und seufzte. Sie würde ihn so lange bearbeiten, bis er nachgab.

„Ich verrate dir etwas“, sagt sie zu ihm, „Wenn wir über deine Familie reden, weiß ich meine eigene wieder viel mehr zu schätzen.“

„Wie geht es deinen Leuten?“

„Gut. Mein Dad arbeitet immer noch in der Verkaufsvertretung und lässt seine beiden Schwiegersöhne schwitzen, wem er sie übergibt.“

„Wissen sie denn Bescheid?“, fragte er und sah auf ihre Taille.

Sie legte eine Hand auf ihren Bauch. „Ja. Ich habe ihnen von dem Kind erzählt. Eigentlich habe ich mit ihnen darüber geredet, als ich vorhatte, schwanger zu werden. Mom wollte, dass ich warte, bis ich verheiratet bin, aber es gab keine große Debatte. Sie wissen mittlerweile, dass ich unkonventionell bin.“

„Weil du keine Hausfrau und Mutter wie Emily und Julie sein wolltest?“

Sie nickte. Ihre Schwestern hatten beide innerhalb von zwei Jahren nach dem Collegeabschluss geheiratet. Penny hatte nie verstanden, welchen Sinn es hatte, sich einen Mann zu angeln, sich dann zu Hause einzusperren und ein Kind nach dem anderen zu bekommen. Natürlich hatte sie auch nie geplant, eine alleinerziehende Mutter zu werden.

„Ich habe mich in einer Männerwelt behauptet“, sagte sie fröhlich. „Sobald sich die Schwangerschaft herumspricht, werden alle richtig nett zu mir sein. Und wenn nicht, habe ich Naomi, die mich beschützt.“

Er blickte sich im leeren Restaurant um. „Ist sie heute Nacht bei Reid?“

„Das ist anzunehmen. Ich bin sicher, sie treiben es sogar in diesem Moment wie die Karnickel.“

Cal schnitt eine Grimasse. „Hör auf damit. Dieses Bild möchte sich wohl keiner von uns vorstellen.“

Sie grinste. „Da hast du nicht unrecht. Naomi ist mehr auf Sex aus, als alle, die ich kenne.“

„Wem sagst du das. Als sie uns damals überrascht hat, war ich sicher, sie würde direkt anbieten, sich zu uns zu gesellen.“

Penny lachte. „Ich kann mir vorstellen, dass sie das vielleicht getan hätte, wenn wir nicht verheiratet gewesen wären. Später hat sie mir gesagt, du seist nackt viel beeindruckender, als sie je geahnt hätte.“

„Großartig. Ich will es gar nicht hören.“

„Aber Naomi ist gewissermaßen eine Legende“, neckte sie ihn. „Möchtest du nicht wissen, warum so viel über sie getratscht wird?“

„Nein.“

„Aber Cal …“

Er funkelte sie an. „Ich habe kein Interesse daran, Sex mit deiner besten Freundin zu haben, klar?“

„Okay. Es entgeht dir etwas.“

„Wenn du Genaues wissen willst, frag Reid. Ich bin sicher, er erzählt es dir gern.“

„Nein, danke.“ Penny genoss es, Cal mit Naomi aufzuziehen, aber in Wirklichkeit wollte sie nicht wissen, wie ihre Freundin im Bett war. Das wäre einfach zu bizarr.

„Wenn du schon nicht an Naomi interessiert bist“, sagte sie, „an wem bist du es dann?“

„Ist das eine Frage nach meinem Liebesleben?“

„Mhm.“ Sie glaubte nicht, dass es im Moment jemanden gab. Cal war nicht der Typ, der sie küsste, wenn er in einer Beziehung war.

„Ich mache diesbezüglich eine kreative Pause. Und du?“

„Du hast mit Reid geredet“, sagte sie. Sie wusste, dass es der einzige Ort war, wohin er verschwunden sein konnte, um Antworten zu bekommen. „Mehr gibt es nicht zu berichten.“

„Hast du dich deshalb zu einer künstlichen Befruchtung entschlossen?“

„Natürlich. Ich hatte es satt zu warten, bis Mr. Right auftaucht. Offenbar hatte sein Flug Verspätung, oder er hat versehentlich eine andere geheiratet.“

Cal hörte das nicht gern. Er war einmal dieser Mr. Right für sie gewesen. Selbstverständlich hatte sich das geändert, als ihre Ehe zerbrochen war.

„Ist es das, was du willst?“, fragte er. „Eine traditionelle Ehe?“

„Sicher. Eine alleinerziehende Mutter zu sein, war nie mein Lebensplan. Ich habe keine Angst, es allein nicht zu schaffen, aber ich wäre gern Teil eines größeren Ganzen gewesen. Ich kann es aber immer noch erreichen.“

Er zweifelte keine Sekunde daran. Penny hatte ihre Ziele immer konsequent verfolgt.

„Du hast September gesagt. Wann?“

„Am zwölften. Ich habe den Vorteil, den genauen Tag zu kennen, an dem ich schwanger geworden bin.“

„Geht es dir in der Küche gut?“

„Natürlich. Nach dem siebten Monat muss ich etwas mehr sitzen, aber ich werde trotzdem zurechtkommen. Die Schwangerschaft ist einer der Gründe, warum ich Naomi an meiner Seite haben wollte. Sie wird meinen Zustand ausgleichen. Ich werde kurz in Mutterschaftsurlaub gehen und nach drei Wochen wieder zurückkommen.“

Das überraschte ihn. „Willst du nicht länger bei dem Kind zu Hause bleiben?“

„Ich bringe das Baby mit zur Arbeit. Was glaubst du, warum ich das größere Büro genommen habe?“

Ein Baby? Hier? „Das kannst du nicht tun.“

„Wirklich nicht? Warum?“

Er starrte sie an, und ihm fiel kein einziger Grund ein.

„So sehe ich das auch“, sagte sie. „Warum sollte ich das Baby nicht mitnehmen? Zumindest in den ersten paar Monaten. Ich werde stillen, und deshalb brauche ich das Kind in meiner Nähe. Ich habe schon ein fantastisches Kindermädchen organisiert. Sie sieht aus wie Mary Poppins persönlich. Wenn mein Sohn oder meine Tochter alt genug für den Kindergarten ist, werde ich mein eigenes Restaurant haben.“

Sie war immer gut im Planen gewesen. „Das Kind wird wissen, was eine Bratpfanne ist, bevor es laufen kann.“

„Das hoffe ich.“

Er nahm sich noch von den Kartoffeln. Noch vier Monate. Kein Wunder, dass ihre Brüste größer waren. Er verkniff sich ein Lächeln. Penny würde ihm vorwerfen, es sei typisch Mann, dass ihm das als Erstes aufgefallen war.

Es würde auch andere Veränderungen geben, dachte er, als er sich an ihre erste Schwangerschaft erinnerte. Sie waren beide so aufgeregt gewesen. Ängstlich, aber glücklich. Dann hatten ihn Schuldgefühle gepackt, und er hatte nicht gewusst, wie er damit umgehen sollte.

Am vernünftigsten wäre gewesen, ihr von Lindsey zu erzählen. Aber er hatte nie den richtigen Augenblick oder die richtigen Worte gefunden. Er hatte sich von Penny und dem Baby, das in ihr wuchs, distanziert. Er hatte sein Bestes getan zu ignorieren, wie sie runder wurde, bis sie eines Tages in Tränen aufgelöst und mit vor Entsetzen heiserer Stimme angerufen hatte.

„Du warst schon einmal im vierten Monat“, sagte er. Er war unsicher, ob er die Vergangenheit ansprechen sollte.

Sie nahm sich mehr Salat auf ihren Teller. „Ich weiß. Ich habe darüber nachgedacht. Meine Ärztin meint, was damals passiert ist, lag vermutlich daran, dass etwas mit dem Kind nicht gestimmt hat. Das war der Grund, warum ich es verloren habe. Sie versichert mir, dass ich völlig gesund bin und es keinen Grund gibt, anzunehmen, ich würde dieses Kind verlieren.“

„Bist du schon über den Zeitpunkt von damals hinaus?

„In zwei Wochen.“

Er brauchte nicht zu fragen, ob sie sich Sorgen machte. Er sah es ihr an den Augen an.

Damals war sie am Boden zerstört gewesen. Er erinnerte sich, wie er sie gehalten hatte, als sie um den Verlust des kleinen Lebens geweint hatte. Für ihn war es sowohl traurig als auch eine Erleichterung gewesen. Er hatte sich nicht mehr entscheiden müssen, wen er mehr lieben würde – Lindsey oder das neue Kind. Aber Penny war in ihrem grenzenlosen Schmerz untröstlich gewesen.

Wie immer hatte die Zeit die Wunden geheilt. Acht Monate später hatte sie gesagt, dass sie es wieder versuchen sollten, und er hatte ihr erklärt, dass er keine Kinder wollte. Es war leichter gewesen, als ihr die Wahrheit zu sagen. Dass er keinen weiteren Verlust mehr verkraften konnte – nicht, wenn Lindsey gerade gegen ihre Leukämie kämpfte.

„Wir haben das früher ständig gemacht“, sagte Penny. „Aufbleiben und reden, während der Rest der Welt schlafen ging.“

„Diese Nächte in einem Restaurant …“, sagte er. „Wie in einem anderen Universum.“

„Mir haben die Leute, die früh aufstehen müssen, immer leidgetan. Es gefällt mir, bis zwei oder drei Uhr morgens aufzubleiben. Damals musste ich freilich nicht früh da sein, um die Lieferungen zu kontrollieren und meine Tagesspezialitäten zu planen.“

Er schaute zu den Tabletts, die immer noch voll mit Essen waren. „Willst du das mit nach Hause nehmen?“

„Sicher. Ich werde es zum Frühstück essen.“

„Fisch? Das ist ekelhaft.“

„Mein Fisch, großer Meister. Und er ist köstlich.“

„Nimm ihn mit.“

Er stand auf und ging in die Küche, um Behälter zu holen. Nachdem sie alles von den verschiedenen Tellern und Schüsseln eingepackt hatten, trugen sie das schmutzige Geschirr zurück in die Küche und holten ihre Mäntel.

„Brauchst du noch irgendetwas?“, fragte er, als er zugesperrt hatte und sie zum Auto begleitete.

„Na, großartig. Ich erzähle dir, dass ich schwanger bin, und du wirst übervorsichtig, stimmt’s?“

„Wenn übervorsichtig bedeutet, mich um dich zu sorgen, dann ja.“

Sie blieb bei ihrem Volvo stehen und lehnte sich an die Fahrertür. „Nicht dein Verantwortungsbereich.“

„Du bist eine Mitarbeiterin.“

„Du wärst nicht so besorgt, wenn eine deiner Serviererinnen schwanger auftaucht.“

„Ich war nicht mit einer meiner Serviererinnen verheiratet.

„Da sie kaum achtzehn sind, hätte das für Gesprächsstoff gesorgt.“

Er wusste, was Penny meinte. Sie war erwachsen und brauchte niemanden, der sich um sie kümmerte. Merkwürdig, wie anziehend ihre Unabhängigkeit war. Früher hatte sie so viel gebraucht – und jetzt tat sie es nicht.

Die Beleuchtung des Parkplatzes ließ das Rot ihres Haars leuchten. Ihre blauen Augen sahen dunkel und geheimnisvoll aus. Ihre Haut schimmerte hell.

„Die Schwangerschaft bekommt dir gut“, murmelte er.

„Wage es nicht, mir zu schmeicheln. Ich bin immun.“

Bei dieser Herausforderung musste er lächeln. „Tatsächlich?“

„Oh ja.“

Danach hatte er kaum eine Wahl. Er beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie zärtlich.

Halb hatte er damit gerechnet, dass sie zurückweichen würde. Stattdessen ließ sie ihre Hände unter seinen offenen Mantel gleiten und legte sie auf seine Hüften. Er zog sie enger an sich und stellte die Tasche mit dem mitgenommenen Essen auf das Autodach. Dann nahm er ihr Gesicht in seine Hände.

Sie neigte ihren Kopf zur Seite. Er konnte und wollte diese stumme, einladende Geste nicht übergehen. Als er mit seiner Zunge zärtlich ihre Unterlippe berührte, schmiegte sie sich an ihn. Er ließ sie in ihren Mund gleiten und fand sich in einem Paradies der Sinnlichkeit, das er nur allzu gut in Erinnerung hatte.

Sie war weich und warm und süß. Sein Blut wurde heiß vor Verlangen, bevor es ihm in die Lenden schoss und er steif wurde. Als er ihre Zunge mit seiner umspielte, wurde sein Begehren sogar noch stärker. Ihr Körper reagierte mit Zittern.

Der Griff ihrer Hände an seinen Hüften wurde fester. Er hörte, wie sie leise stöhnte. Dann presste sie sich an ihn. Er spürte den leichten Druck ihres Bauches und ihrer Brüste. Seine Hände glitten hinunter auf ihre Schultern, und er drückte sie zärtlich.

Der Kuss dauerte an, bis er spürte, wie sie in seiner Umarmung dahinschmolz. Er hatte oft genug mit ihr geschlafen, um zu wissen, was ihr schneller werdender Atem und die Art, wie sie sich heftig an ihn drängte, bedeuteten. Er war erregt und wurde, obwohl er es kaum mehr aushielt, immer erregter. Sie wollte es, und sie beide waren frei.

„Cal“, seufzte sie leise und löste sich leicht von seinen Lippen.

Er ließ seine Hände von ihren Schultern hinunter auf ihre Taille gleiten, dann legte er sie auf ihre schweren, vollen Brüste.

Ihre Brustwarzen waren bereits hart. Sie stöhnte, als er sie mit seinen Fingern streifte. Ihre Augen schlössen sich langsam, ihr Körper schwankte.

„Hör nicht auf“, flüsterte sie. „Oh ja. Genau so.“

Er rieb ihre Nippel zwischen Daumen und Zeigefingern und liebkoste sie, bis sie atemlos war. Sie öffnete die Augen.

„Das konntest du immer schon ausgesprochen gut“, flüsterte sie.

„Ich habe den Großteil meiner Teenagerzeit in meiner Phantasie geübt.“

Sie lächelte und legte ihre Hände auf seine. „Es gibt ungefähr fünfzig Gründe, warum das, was wir tun, eine schlechte Idee ist.“

Er drückte sie fest an seine Brust und küsste sie sanft auf den Mund. „Ganz deiner Meinung.“

„Ich arbeite mit dir. Sich mit einem Kollegen einzulassen, ist nie eine gute Idee.“

Er küsste sie erneut. „Ist das ein Grund? Oder sind es zwei Gründe?“, fragte er dicht an ihrem Mund.

Sie biss in seine Unterlippe. Es ließ seine Erektion schmerzhaft pochen.

„Zwei.“

„Gut, noch zwei weitere.“

„Ich bin deine Exfrau. Willst du wirklich, dass es mit uns in diese Richtung geht?“

Sie hatte vermutlich recht, aber im Augenblick war ihm alles egal. Er wollte nur, dass sie einander nackt in den Armen lagen und ihr schmerzhaftes Verlangen stillen konnten.

„Ich bin auch mit einem Kind von einem anderen Mann schwanger“, sagte sie. Ihre Stimme zitterte, als seine Hände auf ihre Hüften wanderten und sich dann auf ihren Po legten.

„Dass du schwanger bist, bedeutet nur, dass wir kreativer sein müssen“, flüsterte er dicht an ihrer Wange und begann, an ihrem Ohrläppchen zu knabbern.

„Wir stehen auf einem Parkplatz, der deiner Großmutter gehört, es gibt das Problem, dass Dani einen anderen Vater hat, meine beiden besten Freunde schlafen miteinander, und einer davon ist auch noch dein Bruder.“

Er verstand, worauf sie hinaus wollte, obwohl er es gern ignoriert hätte. Ein Teil von ihm war der festen Überzeugung, dass Reden eine maßlos überschätze Eigenschaft war und dass sie einfach zur schönsten Sache der Welt übergehen sollten. Aber sein erwachsenes und vernünftiges Ich war stärker und ging knapp als Sieger hervor. Er ließ sie los und trat einen Schritt zurück.

„Du meinst also, es gibt Schwierigkeiten“, sagte er.

Sie lachte. „Glaubst du nicht?“

Er schmunzelte. „Du hast nicht unrecht.“ Alle ihre Bedenken waren berechtigt, und es war vernünftig, dass sie als seine Exfrau und er sich nicht aufeinander einließen.

Es war seltsam. Vor zwei Monaten hatte er keinen Gedanken an Penny verloren. Jetzt war sie, wenn auch nur vorübergehend, in sein Leben zurückgekehrt, und er wollte sie, zumindest im Moment, in sein Bett kriegen. Was bedeutete das?

Gut, zum Teil hieß es, dass er lange keinen Sex gehabt hatte, aber es lag auch an Penny. Ihm gefiel, wie sie sich entwickelt hatte, und er hatte es mit ihr im Bett immer genossen.

„Es ist verlockend“, sagte sie, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn zärtlich. „Sehr sogar.“

„Gut.“

Er trat zurück und ließ sie in den Wagen einsteigen. Dann reichte er ihr die Päckchen mit dem Essen und wartete, bis sie weggefahren war, bevor er in sein eigenes Auto stieg und nach Hause fuhr.

Die Straßen waren leer, und er fuhr schnell. Das war gut, denn er wollte nicht zu viel Zeit zum Nachdenken haben. Nicht über Penny und wie er sie begehrte, nicht über Lindsey und auch nicht über Dani. Er wollte den Kopf freibekommen und ins Bett fallen. Morgen würde er mehr Antworten haben. Morgen …

Als Cal um die Ecke zu seinem Haus bog, sah er, dass davor ein fremdes Auto geparkt hatte und in mehreren Fenstern Licht brannte. Da sowohl Reid als auch Dani einen Schlüssel hatten, nahm er an, dass einer von beiden hier war. Nicht Reid, dachte er. Er hoffte, dass sein Bruder nicht Naomi hergebracht hatte, damit sie es in einem neuen Ambiente tun konnten. Seine Putzfrau hatte gerade die Betten frisch bezogen.

Doch als er in die Garage fuhr, öffnete sich die Haustür. Der Mann, der in der Schwelle stand, war groß, muskulös und hatte einen militärisch kurzen Haarschnitt. Cal grinste.

„Walker“, rief er, während er aus seinem Z4 ausstieg. „Wann bist du nach Hause gekommen?“

„Vor ungefähr drei Stunden. Ich habe einen Leihwagen am Flughafen genommen und bin hierher gefahren. Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich dich ein paar Tage belagere.“

„Bleib, solange du willst.“

Sie umarmten einander und traten ins Haus. Cal ging in die Küche vor und sah, dass bereits eine Flasche Scotch auf dem Tisch stand.

Er grinste seinen jüngeren Bruder an. „Das ist meine Erziehung.“

Walker nahm die Flasche und schenkte seinem Bruder ein. Er reichte ihm das Glas, dann nahm er seine eigenes. „Du hast immer feine Sachen vorrätig. Respekt.“

Sie stießen schweigend an und gingen ins Wohnzimmer. Walker nahm wie immer im Fauteuil gegenüber der Tür Platz, wo er mit dem Rücken zur Zimmerecke sitzen konnte.

Cal betrachtete seinen Bruder. Er konnte keine zusätzlichen Narben bemerken, was erfreulich war. Walker sah müde aus, und sein Blick wirkte verändert. Er hatte Dinge gesehen, Dinge getan. Das brachte eine Laufbahn in der Armee mit sich.

Während Cal nach dem College einen Job im Familienunternehmen angenommen hatte, waren sowohl Walker als auch Reid ausgebrochen. Reid hatte, wenn er nicht gerade mit Frauen beschäftigt war, für Baseball gelebt und nie einen Blick zurück geworfen, bis er sich voriges Jahr die Schulter ruiniert hatte.

Walker hatte sich unmittelbar nach seinem Highschoolabschluss bei den Marines beworben und wenige Wochen später seinen Dienst auf einem Schiff angetreten. Gloria war in Rage gewesen – sie hatte nicht nur einen weiteren Buchanan verloren, sondern Walker hatte auch nicht das College besucht. Er war aus Trotz zur Marine gegangen.

„Wie geht es dir?“, fragte Cal, während sie beide den Scotch und das Kaminfeuer genossen, das Walker gekonnt gezündet hatte.

„Gut.“

„Hast du viel erlebt?“

„Einiges.“

Walker hatte einen Großteil seines letzten Einsatzes in Afghanistan verbracht. Den E-Mails, die er regelmäßig geschickt hatte, war kaum mehr zu entnehmen gewesen, als dass er wohlauf war. Er hatte nichts Näheres darüber berichtet, was er erlebte oder wie seine Aufträge waren.

„Wie sieht es bei dir aus?“, fragte Walker. „Du hast erzählt, dass du das ‚Waterfront‘ übernommen hast.“

„Nur für vier Monate. Das Lokal war eine solche Katastrophe, dass Gloria es geschlossen …“

„… und dich geholt hat, um es zu retten.“

Cal zuckte die Achseln. „Es sind vier Monate“, wiederholte er. „Dann gehe ich zurück ins ‚Daily Grind‘.“

„Geht es Dani und Reid gut?“

Cal nickte. „Dani ist immer noch frustriert, weil Gloria ihr nicht erlaubt, vom ‚Burger Heaven‘ wegzugehen. Reid gewöhnt sich in der ‚Downtown Sports Bar‘ ein. Er ist berühmt, das bringt Kunden.“

„Sind die Kellnerinnen immer noch wohlgeformt und fast nackt?“

„Du kennst doch Reid.“

Walker grinste. „Ich muss einmal bei ihm vorbeischauen.“

„Wir sollten uns alle dort treffen. Wie lang hast du denn überhaupt Urlaub?“

Walker nahm einen Schluck von seinem Drink, dann stellte er das Glas auf den Beistelltisch und beugte sich vor. „Ich habe den Dienst quittiert.“

Cal starrte ihn an. „Du bist ausgeschieden?“

„So nennen sie es wohl. Ich war vierzehn Jahre dabei.“

Cal konnte sich seinen Bruder nirgendwo anders vorstellen als bei den Marines. „Warum?“

Walker zuckte die Achseln. „Es war Zeit.“

„Was hast du vor?“

„Ich weiß es nicht genau. Ich dachte, ich bleibe ein paar Tage hier und suche mir dann etwas Eigenes.“

„Sicher. Bleib, solang du magst. Ich arbeite zwölf, vierzehn Stunden am Tag, bin also nie hier. Und mein Liebesleben ist miserabel, also bist du auch dabei nicht im Weg.“

Walker griff nach seinem Glas. „Du triffst dich mit niemandem?“

„Schon eine Weile nicht.“ Er dachte daran, wie er und Penny sich geküsst hatten und beschloss, dass es nicht zählte. Wenn er es sich selbst nicht erklären konnte, wie zum Teufel sollte er es dann Walker erklären?

„Ich dachte, du würdest in der Armee bleiben, bis sie dich hinauswerfen“, sagte Cal. „Bist du okay?“

„Natürlich.“

Cal war sich nicht sicher, ob er es ihm glaubte. Da war etwas in Walkers Augen – etwas Dunkles.

„Willst du darüber reden?“, fragte er.

Walker sah ihn an. „Wollte ich das jemals?“

„Nein. Willst du dich betrinken?“

Walker grinste. „Da sage ich nicht Nein.“

„Gut. Ich rufe Reid an.“

„Störst du ihn nicht?“

Er dachte an Reid und Naomi. „Wahrscheinlich schon“, sagte er vergnügt. „Aber warum soll er denn nicht auch leiden?“

8. KAPITEL

Ich wollte, es wäre das Salz“, sagte Penny, die sich gerade aus einer Schüssel mit verschiedenen Nüssen die Haselnüsse herauspickte. „Aber ich glaube, es ist nicht nur das. Wenn es nur um das Salz ginge, wäre mir jede Nuss recht. Die Gelüste sind sehr speziell.“

Sie sah Reid an. Er zuckte die Achseln.

„Was?“ Sie verkniff sich das Lachen. „Du willst nichts von meinen Gelüsten hören?“

„Nicht unbedingt. Bei ein paar von ihnen hat es mich geekelt.“

„Und das von einem Mann, der im Fernsehen immer gespuckt hat.“

Reid polierte ein Glas und stellte es in die Vitrine hinter dem Tresen. „Ich spucke nie.“

„Alle Baseball-Spieler spucken.“

„Einige nicht.“

„Worum geht es dabei überhaupt? Warum die ständige Spuckerei? Rufen nicht die Mütter an und sagen, dass es widerlich ist? Denn das ist es. Igitt.“ Sie legte eine Hand auf ihren Bauch. „Okay, mir wird übel. Themenwechsel.“

„Ist mir recht.“

Lucy kam aus der Küche in die Bar. „Hier, für dich, Schätzchen.“

Penny nahm die große Kräuterlimonade mit Vanilleeis und seufzte. „Du bist eine Göttin. Danke.“

„Bedank dich nicht bei mir. Ich bringe nur die Bestellung. Lucy sah ihren Boss an. „Darf es auch etwas sein?“

„Im Moment nicht, danke.“

Lucy lächelte und ging zum einzigen Tisch in der Bar, an dem Gäste saßen.

Es war drei Uhr – die ruhige Zeit zwischen Mittagessen und Happy Hour. Penny wusste, dass sie bald ins „Waterfront“ zurückmusste, aber sie war fest entschlossen, es sich erst noch gut gehen zu lassen.

Während Reid zusah und so tat, als müsse er seinen Brechreiz unterdrücken, gab sie die Haselnüsse in ihr Getränk und rührte mit dem Löffel um. Die Kombination aus kalter, sprudelnder Limonade, dem cremigen Eis und den salzigen Nüssen war einfach himmlisch.

„Du bist nur neidisch“, sagte sie, nachdem sie einen Schluck probiert hatte, „weil dir diese Kombination nicht selbst eingefallen ist.“

„Oh, sicher. Das wird es sein. Neidisch.“ Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme über der Brust. „Hast du Walker schon getroffen?“

„Nein, aber ich kann es gar nicht erwarten. Ich war so überrascht, als Cal mir erzählt hat, dass er die Marines verlassen hat. Nie hätte ich das für möglich gehalten.“ Sie blickte sich in der leeren Bar um. „Kommt er hierher?“

„Irgendwann. Du freust dich bestimmt, dass er zu Hause ist.“

Sie schmunzelte. „Das tue ich. Und mach dir keine Sorgen. Ich werde Walker nie auf diese Weise lieben, wie ich dich liebe“, neckte sie ihn.

„Als würde mich das kümmern.“

Vermutlich tat es das wirklich nicht. Sie und Reid waren zu lang befreundet, als dass er sich jemals Sorgen machen würde, von ihr verlassen zu werden. Manchmal dachte sie, dass sie und Dani die einzigen Frauen in seinem Leben waren, zu denen er eine dauerhafte Beziehung hatte.

„Dein wahres Problem ist Naomi“, sagte sie, während sie ihr Eis löffelte. „Sie hat Walker noch nie getroffen. Du weißt, wie sehr Frauen auf Kerle stehen, die in der Armee sind.“

„Es ist doch sehr wahrscheinlich, dass sie sich für ihn interessiert.“

Sie sah Reid von der Seite an. „Das ist alles? Es ist dir egal, wenn die Frau, mit der du zurzeit schläfst, sich nach jemand anderem umsieht?“

„Naomi und ich verstehen uns. Wir haben eine gute Zeit miteinander.“ Er grinste. „Eine sehr gute Zeit.“

Sie zuckte zusammen. „Ich will keine Details.“

„Deine Freundin ist sehr …“

„Stopp!“

Er lachte in sich hinein. „Okay. Ich bin schon brav. Naomi und ich sind aus dem gleichen Holz geschnitzt. Wir wollen zusammen sein, solange es schön ist. Wenn es aufhört, Spaß zu machen oder ein Teil das Interesse verliert, ist es Zeit, sich neu zu orientieren.“

Sie hatte ihn lange genug in Aktion erlebt, um zu wissen, dass er die Wahrheit sagte. Aber es zu erleben und zu glauben, bedeutete nicht, es auch nachvollziehen zu können.

„Möchtest du nicht etwas Vertrauteres?“, fragte sie.

„Warum? Abwechslung macht die Sache spannend.“

„Eine Weile. Aber Menschen sind dazu bestimmt, Bindungen einzugehen.“

„Cal hat auch schon immer gesagt, bei mir wäre eine Schraube locker.“

Sie steckte einen Strohhalm in ihr Glas. „Reid, ich meine es ernst. Ich mache mir deinetwegen Sorgen. Hast du die ständigen One-Night-Stands nicht langsam satt? Hast du nie den Wunsch, zu heiraten?“

„Nein. Überhaupt nicht. Sieh dich um, Penny.“ Er deutete auf die Tische in der Bar. „Ich kann jeden Tag eine andere Frau haben. Niemand erwartet mich zu einer bestimmten Zeit zum Essen oder Fernsehen. Ich kann kommen und gehen, wie es mir gefällt, und mein Leben ist immer spannend. Warum sollte ich das gegen eine Frau, Kinder und einen Kredit tauschen?“

„Weil du dich verliebt hast.“ Es war ein altbekanntes Thema, aber sie hatte ihn – so oft sie es auch diskutiert hatten – nie verstanden. „Möchtest du nicht zu jemandem gehören? Möchtest du auf der Welt keine eigenen Spuren hinterlassen?“

„Ich werde in die Geschichte eingehen.“

„Ich meine nicht dich als berühmten Baseball-Spieler. Ich meine, Spuren mit jemandem zu hinterlassen, der dir wichtig ist. Jemand, der …“ Sie unterbrach sich. „Entschuldige. Ich weiß, dass wir vereinbart hatten, darüber nicht mehr zu reden. Wir streiten immer.“

Er trat näher zu ihr und streichelte ihr kurz über die Wange. „ Wir streiten nicht. Du bist beleidigt, weil ich nicht das will, was ich deiner Meinung nach wollen sollte.“

„Ich mache mir Sorgen um dich. Ich möchte nicht, dass du allein und ohne jemanden alt wirst, dem du etwas bedeutest.“

„Ich habe kein Problem damit.“

Hatte er das wirklich nicht? Wie war das möglich? Sein Lebensstil mochte für einen durchschnittlichen Achtzehnjährigen lustig und erstrebenswert sein, und sie konnte sich nicht vorstellen, dass es für Reid genug war, wenn er es nüchtern betrachtete. Aber vielleicht war es nur Wunschdenken von ihrer Seite.

Keiner der Buchanan-Männer war sehr erfolgreich in der Liebe gewesen. Nur Dani hatte eine glücklich, stabile Beziehung – und sie war nicht einmal eine Buchanan. Eine Tatsache, die Penny immer noch nur schwer akzeptieren konnte.

„Wie geht es dem Junior?“, fragte Reid.

Sie hatte den Verdacht, dass er das Thema wechseln wollte. Keine schlechte Idee, wie sie meinte.

„Gut. Ich habe eine Bilderbuch-Schwangerschaft, obwohl ich es immer noch leicht schaffe, bei allem gleich auszurasten.“

Sie legte ihre Hand auf ihr wachsendes Bäuchlein.

„Wie lange noch?“, fragte er. Seine Augen waren dunkel vor Sorge.

„Eine Woche“, sagte sie. „Ich weiß, dass der Zeitpunkt, bei dem ich das Kind damals verloren habe, nichts bedeutet. Aber mein Gefühl sagt mir, dass ich mich etwas mehr entspannen kann, wenn der Termin hinter mir liegt.“

„Das ist verständlich“, sagte er sanft. „Für dich war es damals der kritische Zeitpunkt.“

Er hatte recht.

„Ich sage mir ständig, dass es mir gut geht. Die Ärztin sagt das Gleiche.“

„Du wirst es glauben, wenn es so weit ist“, erklärte er ihr. „Wie läuft es eigentlich mit meinem Bruder?“

Sie nippte an ihrer Limonade. „Was meinst du? Cal geht es gut.“

„Als er hierherkam, weil er von deiner Schwangerschaft erfahren hatte, wollte er mir am liebsten die Knochen brechen. Er wollte alles über den Kerl wissen.“

Penny spürte, wie sie errötete, und versuchte, ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Glas vor ihr zu richten. „Ich bezweifle, dass er so aufgebracht war.“

„Du warst nicht dabei. Er wollte mich verprügeln.“

Hilflos sah sie Reid an. „Ich weiß, dass das nicht stimmt.“

„Vielleicht ist es übertrieben. Aber in ihm geht etwas vor.

Sie dachte an ihre letzte Begegnung. Ihre letzte, sehr persönliche Begegnung. Merkwürdig, vor drei Jahren war sie so wütend und verletzt gewesen, dass sie nie mehr wieder etwas mit ihm zu tun haben wollte. Aber jetzt…

„Wir arbeiten zusammen“, sagte sie. „Wir werden langsam Freunde.“

„Warum wirst du dann rot?“

Sie errötete noch heftiger, weil er sie ertappt hatte. „Das tue ich nicht. Es ist nur …“

Reid wartete geduldig.

„Es ist nur …“, wiederholte sie und seufzte. „Ich kann es nicht erklären. Wir kommen gut miteinander aus. Wir scheinen uns gegenseitig auf eine Art zu schätzen, wie es uns früher nicht möglich war.“ Sie hob die Hand, bevor er etwas erwidern konnte. „Ich meine es in einem nichtromantischen Sinn. Wir haben uns verändert. Es ist, als wären die Dinge verschwunden, die ich wirklich an ihm gehasst habe. Nur die guten Eigenschaften sind geblieben.“

„Klingt für mich ziemlich unsinnig“, sagte Reid. „Du bist nicht dabei, dich zu verlieben, oder?“

„Was? Natürlich nicht. Ich bin schwanger.“

„Wo besteht da ein Zusammenhang?“

„Ich denke nur an das Baby. Cal will keine Kinder.“

Etwas flackerte in Reids Blick. „Vielleicht doch. Du hast es vorhin selbst gesagt – er hat sich verändert.“

„Kein Interesse, selbst wenn es stimmt“, sagte Penny. „Ich brauche keinen Mann in meinem Leben.“

„Warum bist du dann so wild darauf, mir eine Frau zu verschaffen?“

„Ich bin in meiner Vergangenheit Bindungen eingegangen. Du nie.“

„Ich fühle mich meiner Familie verbunden.“

Das stimmte allerdings. Er war auch dem Baseball verbunden gewesen, aber an dieses Thema wollte sie nicht rühren. Sie hatte den Schmerz in seinen Augen gesehen, als die Spiele im Fernsehen gezeigt wurden.

„Ich finde es sehr interessant, dass du und Cal so gut miteinander auskommt“, erklärte er. „Und dass keiner von euch nach der Scheidung Ambitionen hatte, eine ernsthafte Beziehung einzugehen.“

Penny bemühte sich, unschuldig dreinzuschauen. „Wirklich? Cal hatte keine feste Beziehung?“

„Nein. Es gab ein paar Frauen, aber nichts von Bedeutung.“

„Ein paar? Wie viele?“

Reid grinste. „Warum interessiert dich das?“

„Das tut es nicht. Ich bin nur neugierig.“ Mehr als neugierig. Welche Frauen? Mit wem hatte Cal sich getroffen?

„Tut mir leid“, sagte Reid, „Ich verrate meinen Bruder nicht. Nicht einmal dir gegenüber.“ Er sah zur Eingangstür. „Hallo. Was gibt’s?“

Penny drehte sich um und sah Dani hereinkommen.

Sie nahm neben Penny Platz. „Hallo. Wie geht’s?“ Sie starrte auf Pennys Getränk. „Was ist das?“

„Eine Limonade mit Haselnüssen.“

Dani erschauderte. „Fällt das in die Kategorie der Gelüste?“

„Nein“, erwiderte Reid. „Es ist einfach ekelhaft.“

„Männer wissen diese Dinge nicht zu schätzen“, sagte Penny.

„Ich bin auch nicht sicher, ob ich sie schätze“, erwiderte Dani. „Wie fühlst du dich?“

„Gut. Ich lege zu.“ Sie zog an ihrem Pullover und zeigte stolz ihre Rundung.

Dani begutachtete ihr Bäuchlein, dann blickte sie zu Reid. „Bekomme ich eine Cola Light?“

„Sicher. Möchtest du etwas essen?“

„Nein, danke. Ich brauche nur Koffein.“

„Anstrengender Tag?“, fragte er und reichte ihr ein Glas.

„Oh, ja. Beim Mittagessen waren nur noch Stehplätze frei.“

Sie klang nicht sehr glücklich darüber, aber Penny konnte es ihr nicht verdenken. Dani hatte im Familiengeschäft immer nur erfolgreich sein wollen, und Gloria hatte sich ihr dabei ständig in den Weg gestellt.

Ihr fiel ein, was Cal erzählt hatte. Dass Gloria gedroht hatte, Dani die Wahrheit über ihren Vater zu erzählen, falls er nicht seinen Pflichten der Firma gegenüber nachkam. Penny wusste, dass sie es nicht zu entscheiden hatte, aber ein Teil von ihr war der Meinung, dass Dani den wahren Grund, warum Gloria nicht auf ihrer Seite war, wissen sollte.

Sie betrachtete ihre ehemalige Schwägerin. Dani war klein, mit hellbraunem Haar und haselnussbraunen Augen. Ihre Züge waren feiner als die ihrer Brüder, und sie wirkte ausgesprochen feminin. Sie hatte genug Ähnlichkeit mit ihnen, sodass niemand jemals die Wahrheit erahnen würde. Dennoch hatte sie viel an sich, was anders war.

Ihr hellerer Typ, ihre zierliche Statur. Dani hatte eine moderne Kurzhaarfrisur. Ihre gut geschnittenen Hosen und die kurze Jacke passten bestens zu ihrem schlanken Körper. Bei ihrem Anblick fühlte sich Penny wie ein schwerfälliger Riese.

Dani nippte an ihrer Cola, dann lächelte sie Reid zu. „Ich werde das Thema wechseln und eine Frauensache ansprechen, die dir vielleicht unangenehm sein wird.“

Er wich sofort zurück. „Danke für die Vorwarnung. Viel Spaß euch beiden.“ Schnell begab er sich an das andere Ende des Tresens.

„Männer sind so berechenbar“, sagte Dani. „Mir gefällt das sehr an ihnen.“

„Es hilft. Was ist los?“

„Ich wollte mit dir über die künstliche Befruchtung reden, die du hinter dir hast“, erklärte sie. Nicht jetzt“, fügte sie hinzu, „aber wärst du bereit, mir einmal davon zu erzählen?“

„Natürlich. Du kannst mich alles fragen, was du möchtest. Überlegst du, es auch machen zu lassen?“, fragte sie unsicher. Sie wusste nicht, ob sie sich mit der Frage auf allzu sensibles Terrain begab.

Dani nickte. „Aufgrund seiner Verletzung gibt es einige Dinge, die Hugh nicht tun kann, und das ist eines davon.“ Sie kräuselte die Nase. „Wir machen andere Sachen, von denen du vermutlich nichts hören willst.“

Penny grinste. „Ich würde mir gern vorher einen antrinken, und derzeit kann ich das nicht.“

Dani lachte. „In Ordnung. Es ist ohnehin nur Zukunftsmusik, aber ich dachte, es wäre großartig, wenn du mir darüber berichten würdest.“

„Sicher. Ich gebe dir auch den Namen meiner Ärztin. Sie ist fabelhaft. Sehr umgänglich und mit absolutem Verständnis für die Panik, die einen während des ganzen Verlaufs packt.“

„Es ist teuer, nicht wahr?“

„Oh ja. Die Kosten haben in meinen Finanzplan für ein eigenes Restaurant ein ziemliches Loch gerissen. Aber ich wusste, dass ich ein Kind will, bevor meine Eierstöcke zu Rosinen werden.“

„Guter Plan.“

Penny fischte noch eine Haselnuss aus ihrem Glas. „Du hast noch ein paar Jahre, bevor du dir wegen der Rosinen Sorgen machen musst.“

„So viele auch wieder nicht.“

Pennys Finger strichen über den Rand ihres Glases. „Warum hast du nicht …“ Dani blickte verstohlen über die Schulter, als wolle sie sich vergewissern, dass Reid immer noch am anderen Ende des Tresens war. Sie senkte die Stimme. „Warum künstliche Befruchtung? Du hättest dir einen Kerl suchen können, der mit dir schläft. Es wäre billiger gewesen.“

„Das Gleiche hat mich meine Mutter auch gefragt“, gab Penny zu. Sie erinnerte sich, wie betrübt ihre Eltern gewesen waren, als sie ihnen das erste Mal von ihrem Vorhaben erzählt hatte. „Aber durch die künstliche Befruchtung konnte ich mehr Informationen über die Familie des Vaters bekommen und unter anderem in Erfahrung bringen, welche Charaktereigenschaften vorhanden sind.“ Sie dachte kurz nach. „Ich wollte keine Scherereien“, gab sie zu. „Ich wollte nicht riskieren, dass der Vater einmal auftaucht und Ansprüche erhebt.“

„Du hättest ihn einen Vertrag unterschreiben lassen können“, sagte Dani.

„Richtig, aber er hätte es sich anders überlegen können. Was wäre, wenn er in zehn Jahre kommt und sagt, er möchte das Besuchsrecht. Ich wusste nicht, wie ein Gericht entscheiden würde, und ich wollte mich damit nicht auseinandersetzen müssen.“

„Was ist mit Reid?“, fragte Dani. „Er wäre nicht irgendwann aufgetaucht und hätte bei dir sein Besuchsrecht eingefordert.“

Penny erstarrte. „Mit dem Bruder meines Exmannes schlafen? Nein, danke. Das wäre geschmacklos.“

„Ist er das für dich? Cals Bruder?“

„Nur, wenn jemand über uns als Sexualpartner redet. Und ich glaube, er würde mir beipflichten.“

Dani lachte. „Gut. In Ordnung. Hugh und ich haben darüber gesprochen, dass wir ein paar Jahre warten und unser Leben in Ordnung bringen wollen, bevor wir eine Familie gründen. Es geht ihm an der Universität gut, und ich …“ Sie seufzte. „Egal. Ich glaube, es wäre jetzt eine gute Zeit. Vielleicht lenkt mich, ein Kind zu bekommen, von anderen Dingen ab.“

Penny legte ihre Hand auf Danis Arm. „Du meinst, im ‚Burger Heaven‘ festzusitzen?“

„Ja. Gloria hat den dritten Generaldirektor in ungefähr fünfzehn Monaten vergrault. Tatsache ist, dass ich bereit wäre, mit ihr zusammenzuarbeiten. Aber fragt sie mich? Gibt sie mir auch nur eine Chance? Ich sage nicht, dass ich die Firma leiten sollte, aber es muss andere Möglichkeiten geben, wie ich mich einbringen kann.“

„Wie beispielsweise, das ‚Waterfront‘ zu übernehmen?“, sagte Penny mitfühlend.

„Ich will es Cal nicht wegnehmen. Aber, ja, ich wäre dazu in der Lage.“

Penny lächelte. „Er bleibt nur vier Monate hier. Warum beginnst du nicht damit, dein Vorhaben jetzt in Angriff zu nehmen, damit du das Lokal übernehmen kannst, wenn er fort ist?“

Dani riss die Augen auf. „Aber du bist dort Küchenchefin, und wir waren einmal verwandt. Würdest du dich nicht mit jemand anderem als Geschäftsführer wohler fühlen?“

„Ich glaube, wir würden gut zusammenarbeiten“, sagte sie. „Ich weiß, dass du hervorragende Arbeit leistest.“

„Wirklich? Wow. Das ist wunderbar. Vielleicht rede ich mit Cal darüber und versuche herauszufinden, was er davon hält.“

„Cal wird es für eine fabelhafte Idee halten“, sagte Penny. Das wahre Problem würde Gloria sein.

„Dann nehme ich die Sache in Angriff“, sagte Dani. „Ich versichere dir, wenn ich nicht diese ungeheuer teure Krankenversicherung für Hugh bräuchte, hätte ich vor zehn Jahren im ‚Burger Heaven‘ gekündigt. Sobald er seinen Arbeitsvertrag hat, steige ich aus der Firma aus. Es sei denn, ich übernehme das ‚Waterfront‘.“

„Du hast also einen Plan.“

„Kann man so sagen.“ Dani nahm einen Schluck Cola und stellte dann das Glas auf den Tresen. „Ich weiß, es geht mich nichts an, aber wie geht es dir und Cal bei der Arbeit?“

„Wir kommen ziemlich gut miteinander aus.“ Penny zuckte die Achseln. „Ich glaube, wir mussten erst geschieden werden und drei Jahre voneinander getrennt leben, bevor wir Freunde werden konnten. Verrückt, oder?“

„Ich bin nicht sicher. Es ist nur zu schade, dass ihr die Dinge nicht früher klären konntet.“

Penny nickte, als wäre sie derselben Meinung. Aber es stimmte nicht. Es hatte keine Möglichkeit für sie und Cal gegeben, die Ehe aufrechtzuerhalten. Nicht, nachdem er ihr das Herz ganz und gar gebrochen hatte.

Bevor sie geheiratet hatten, waren sie sich einig gewesen, Kinder zu haben. Der einzige Streitpunkt war gewesen, wie viele – drei oder vier. Als sie das erste Mal schwanger geworden war, war er genauso glücklich gewesen wie sie. Sie hatten die Aufregung und die Ängste gemeinsam erlebt und waren entschlossen gewesen, das Beste für ihr Kind zu tun.

Mit der Zeit hatte sich Cal verändert. Als sie im vierten Monat war, hatte sie begonnen, sich zu fragen, ob er überhaupt Kinder mit ihr wollte. Er sprach nicht über das Baby und begleitete sie nicht einmal zu den Untersuchungen. Dann hatte sie die Fehlgeburt.

Bei den ersten Krämpfen war sie fürchterlich erschrocken. Sie war zur Ärztin geeilt, aber noch bevor sie es in den Behandlungsraum schaffte, war alles schon vorbei gewesen.

Cal hatte all die richtigen Dinge gesagt und hatte sie umarmt, während sie weinte, doch sie hatte ihm nicht getraut. In gewisser Weise hatte er eher erleichtert als traurig gewirkt.

Sie hatte sich gesagt, dass es falsch war, über ihn zu urteilen, weil die Menschen auf verschiedene Arten trauerten. Aber ihr Verdacht hatte sich wenige Monate später bestätigt, als sie vorgeschlagen hatte, es noch einmal zu versuchen.

Sie erinnerte sich immer noch, wie er am anderen Ende der Couch gesessen und die Wand angestarrt hatte, statt sie anzusehen. Er hatte ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er keine Kinder wollte. Weder jetzt, noch irgendwann. Und er wollte ihr damals nicht sagen, wodurch seine Einstellung sich geändert hatte.

Sie war verunsichert gewesen, ob er sie noch liebte und hatte deshalb alles versucht, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Aber irgendwie hatte er sich weiter und weiter entfernt, bis sie schließlich sein Herz nicht mehr erreichen konnte. Als einen letzten, verzweifelten Versuch, damit er zugab, dass ihm noch etwas an ihr lag, hatte sie ihn verlassen. Sie hatte gehofft, er würde ihr nachkommen und sie bitten zurückzukommen. Stattdessen hatte er ihr mitgeteilt, es sei so am besten.

Cal sah sich am Computer die Tageseinnahmen an. Immer noch lagen sie über den Vorausberechnungen, und bei den Reservierungen war kein Rückgang zu verzeichnen. Er hätte gern das neue Ambiente oder die Werbung dafür verantwortlich gemacht, aber er wusste, dass es zum größten Teil Pennys Kochkünsten zuzuschreiben war.

„Ist noch etwas übrig?“

Er blickte auf und sah Walker in der Tür zu seinem Büro stehen. „Sicher. Ich lasse dir etwas Gutes von Penny bringen.“

Er rief in die Küche an. Naomi hob ab.

„Warum nimmst du das Telefon?“, sagte sie als Begrüßung. „Weil du zu wichtig bist, die acht oder neun Meter von deinem Büro in die Küche zu gehen?“

„Genau. Wärst du so nett, Penny zu bitten, herzukommen?

„Es ist nicht so, dass sie für dich arbeitet“, sagte Naomi.

„Vielleicht solltest du dir den Vertrag ansehen. Sie tut es und du auch.“

„Oh, toll. Zeig deine Macht. Penny, man hat nach dir gerufen.“

Dann war die Verbindung beendet. Cal wandte sich wieder seinem Bruder zu. „Sie kommt gleich.“

Die Küchentür ging auf. Penny kam mit einem Geschirrtuch in der Hand heraus. „Du rufst mich an?“, fragte sie, als sie in sein Büro schaute. „Im Vertrag steht nichts von Anrufen …“

Sie verstummte, als sie Walker sah. Ihr Gesicht leuchtete auf, ihr Mund zeigte ein breites Lächeln, und sie lief los, als wären die Wölfe hinter ihr her.

„Walker! Du bist wieder da!“

Mit dem Vertrauen einer Frau, die weiß, dass sie aufgefangen wird, warf sie sich in seine Arme. Walker lächelte und umarmte sie.

„Hallo, Penny“, sagte er und lehnte seinen Kopf an den ihren.

„Du bist wieder da. Mein Lieblings-Marine ist wieder da.“

Cal wusste, dass Penny seine Brüder schrecklich gern hatte. Sie behauptete, es läge daran, dass sie mit zwei Schwestern aufgewachsen war und sich immer nach einem männlichen Gegenpart gesehnt hatte.

Bis zu diesem Moment hatte es Cal nicht gekümmert. Aber jetzt, als er beobachtete, wie Walker sich langsam mit Penny in seinen Armen im Kreis drehte und ihre Beine in der Luft strampelten, spürte er eindeutig das Bedürfnis, sich aufzuregen.

Er sagte sich, dass es ihm völlig egal war, was Penny in ihrem Privatleben machte. Sie war nicht mehr seine Frau. Ein oder zwei Küsse gaben ihm keine Rechte auf sie – und er wollte auch keine. Er sagte sich sogar, dass Walker sich nie für seine ehemalige Schwägerin interessieren würde. Aber es half nicht gegen das Unbehagen, das er tief in seinem Inneren spürte.

Walker setzte Penny ab. Sie strahlte ihn an. „Cal hat gesagt, du bist weg von den Marines. Ist das wirklich wahr? Für immer?“

„Es war an der Zeit.“

„Stimmt. Auf diese Weise sehe ich dich öfter. Okay, du musst mein Essen kosten. Ich habe den besten Fisch mit Pommes. Er wird dich umhauen. Und dann wirst du flehen, dass ich dir das Rezept verrate. Aber das tue ich nicht.“

In diesem Moment ging die Küchentür auf, und Naomi schlenderte heraus. Sie trug schwarze Jeans und einen engen roten Pullover, von dem sich ihr langes, lockiges, dunkles Haar effektvoll abhob. Sie sah wie eine sexy Amazone aus, die auf der Jagd war. Cal beobachtete, wie sich ihr Blick auf Walker richtete. Er gab seinem Bruder noch ungefähr dreißig Sekunden in Freiheit, bevor Naomi ihn für sich beanspruchen würde.

„Das ist also Walker“, sagte sie und kam näher. „Ich habe viel von Ihnen gehört, aber mit der Zeit habe ich mich gefragt, ob die anderen Sie nicht erfunden haben.“

Penny seufzte. „Oh, großartig. Noch eine Eroberung. Walker, das ist meine Freundin Naomi. Naomi, darf ich dir Walker vorstellen? Aber geh schonend mit ihm um. Er ist gerade bei den Marines ausgeschieden.“

Cal musste sich das Lachen verkneifen, weil Penny versuchte, seinen robusten jüngsten Bruder zu beschützen. Dann überlegte er, was Reid davon halten würde, wenn er erfuhr, dass er ersetzt worden war.

„Gnädige Frau“, sagte Walker, ließ Penny los und reichte Naomi die Hand.

Sie zuckte zusammen. „Wenn Sie mich noch einmal gnädige Frau nennen, trage ich Sie in mein schwarzes Buch ein.

„In Ordnung. Naomi.“

„Viel besser.“

Cal trat näher, damit ihm nichts von der Show entging.

Naomi musterte Walker von Kopf bis Fuß. „Wenn Sie gerade aus Übersee zurückgekommen sind, brauchen Sie vielleicht jemanden, der Ihnen zeigt, wie Seattle sich verändert hat. Ich wäre mehr als bereit dafür!“

„Ich weiß das Angebot zu schätzen, aber ich habe gehört, dass Sie mit meinem Bruder liiert sind.“

„Reid?“ Naomi zuckte die Achseln. „Ich war mit ihm liiert. Sie kennen doch Reid. Seine Aufmerksamkeit erlischt nach ungefähr fünfzehn Minuten.“

„Sie scheinen nicht allzu betrübt darüber zu sein.“

Sie lächelte. „Das liegt daran, dass meine Aufmerksamkeit zwei Minuten früher erlischt. Keine gebrochenen Herzen. Ich will nun mal keine ernsthafte Beziehung, nur eine Affäre.“

Die Einladung war eindeutig. Cal musste zugeben, dass Naomi ihr sexuelles Angebot in einer Art präsentierte, die sehr auf Männer wirkte.

Penny sah zwischen den beiden hin und her. „Wofür du dich auch entscheidest, Walker, ich rechne damit, dass du mit mir zu Abend isst“, sagte sie.

„Nichts anderes habe ich vor“, sagte er und zog sie an ihrem langen Zopf.

„Bitte essen Sie etwas.“ Naomi seufzte. „Sie werden Kraft brauchen.“

Walker sah Naomi lange an. „Ich weiß das Angebot zu schätzen …“, sagte er.

Ihre Augen wurden groß. „Sie lehnen ab?“

„Wie wäre es, wenn ich einen Gutschein nehme?“

Cal machte sich auf eine Katastrophe gefasst. Soviel er wusste, hatte noch nie jemand Naomi eine Abfuhr erteilt. Es überraschte ihn, als sie zu lachen begann.

„Ihr Pech, Soldat. Für den Fall, dass Sie ihre Meinung ändern – und das werden Sie tun –, hat Penny meine Nummer.“

Sie schlenderte zurück in die Küche. Walker sah ihr nach.

„Interessante Frau“, sagte er.

„So sagt man, ja“, erwiderte Penny. „Bist du wirklich nicht an ihr interessiert oder spielst du nur den Unnahbaren, um sie noch mehr auf dich aufmerksam zu machen?“

Walkers Gesichtsausdruck wurde ernst. „Ich spiele keine Spielchen.“

„Ach! Sie sind unter deinen Geschlechtsgenossen weit verbreitet. Okay, such dir einen Platz. Ich bringe etwas zu essen.“

„Darf ich mir nicht aussuchen, was ich möchte?“

„Also bitte. Auf welchem Planeten leben wir?“ Sie sah zu Cal. „Bist du hungrig? Ich kann einen zweiten Teller mitbringen.“

„Danke.“

Als sie in die Küche zurückgegangen war, sah Walker ihn an. „Deines?“

Cal wusste sofort, dass er das Kind meinte. „Sie ist doch meine Exfrau.“

Du hättest mich am liebsten verprügelt, als sie sich in meine Arme geworfen hat.“

Cal verstand nicht, wie Walker gemerkt haben konnte, was ihm durch den Kopf gegangen war. Er hätte viel Geld darauf verwettet, dass man es ihm nicht angesehen hatte. „Keine Ahnung, wovon du sprichst.“

„Richtig. Du hast also deine Exfrau nur eingestellt, weil sie eine tolle Köchin ist.“

„Hast du das Weihnachtsfest vergessen, als sie für uns gekocht hat?“

„Gutes Argument. Also, wie läuft es?“

„Gut. Besser, als ich dachte.“

„Und das Kind?“

„Sie meinte, es sei an der Zeit und ging zu einer Samenbank. Es gibt keinen Kerl.“

Walker sah ihm tief in die Augen. „Ein Glück.“

Zu dritt saßen sie an einem der Tische in der Nähe der Küche. Penny servierte zwei verschiedene Salate, ihren berühmten Fisch mit Pommes, gedünsteten Lachs, Kartoffeln und grüne Bohnen mit Senfsauce. Als Dessert versprach sie etwas Besonderes, wollte aber nicht verraten, was.

„Hast du eine Ahnung, was du jetzt tun willst?“, fragte Penny, als alle drei Teller angerichtet waren.

„Mir eine eigene Bleibe suchen“, sagte Walker. Er sah Cal an. „Nicht, dass ich nicht liebend gern bei dir wohne.“

Cal lachte leise. „Du kannst gern bei mir wohnen bleiben, solange du willst.“

„Ich weiß es zu schätzen, aber ich will etwas Eigenes. Zuerst eine Wohnung. Bis ich herausgefunden habe, wo ich leben möchte.“

„Bist du reich?“, fragte Penny.

Cal und Walker sahen sie beide an.

„Was ist?“, fragte sie. „Die Frage ist ernst gemeint. Ich bin neugierig. Hast du nicht ins ‚Daily Grind‘ investiert?“, fragte sie Walker.

„Mhm. Ich habe meine Ersparnisse für meinen großen Bruder geplündert.“

„Und du hast ein Vermögen damit gemacht“, erinnerte ihn Cal.

Vor fünf Jahren hatte Reid seinen zweiten Multimillionen-Vertrag abgeschlossen und sich angeboten, die ganze Sache zu finanzieren. Cal hatte abgelehnt und sich stattdessen mehrere Investoren gesucht. Walker war einer von ihnen gewesen.

„Ich bin gut ausgestiegen“, sagte Walker. Dann zuckte er die Achseln. „So bald muss ich nicht arbeiten gehen.“

Autor

Susan Mallery
<p>Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Susan Mallery unterhält ein Millionenpublikum mit ihren herzerwärmenden Frauenromanen, die in 28 Sprachen übersetzt sind. Sie ist dafür bekannt, dass sie ihre Figuren in emotional herausfordernde, lebensnahe Situationen geraten lässt und ihre Leserinnen und Leser mit überraschenden Wendungen zum Lachen bringt. Mit ihrem Ehemann, zwei Katzen und einem...
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