Die Tech-Tycoons der Familie Moss - 4-teilige Miniserie

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Das Tech-Unternehmen der Familie Moss ist ein Vorreiter auf dem Weltmarkt. Doch die Großmutter der Moss-Geschwister droht, ihre Anteile an einen Onkel zu verschenken – wenn die Geschwister nicht schleunigst heiraten! Wird es ihnen gelingen, die wahre Liebe rechtzeitig zu finden?


Miniserie von SHANNON MCKENNA

EIN VERLOCKEND HEISSES ULTIMATUM

HEIRATE MICH, GELIEBTER GANOVE!

BLITZHOCHZEIT – UND DANN?

RISKANTER DEAL IN LAS VEGAS


  • Erscheinungstag 20.03.2025
  • ISBN / Artikelnummer 9783751536981
  • Seitenanzahl 576
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de
Geschäftsführung: Katja Berger, Jürgen Welte
Leitung: Miran Bilic (v. i. S. d. P.)
Produktion: Christina Seeger
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© 2022 by Shannon McKenna
Originaltitel: „Their Marriage Bargain“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA , Band 2300 08/2023
Übersetzung: Maike Claußnitzer

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2023 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783751515719

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

„Das ist doch wohl nicht dein Ernst!“ Caleb Moss starrte seine Großmutter an. „Ich finde das nicht witzig.“

Elaine Moss trug einen eleganten weißen Hosenanzug. Kerzengerade stand sie am Fenster von Calebs Eckbüro und sah hinaus auf die Innenstadt von Seattle.

„Es ist mein voller Ernst“, erwiderte sie. „Ich habe keine Angst davor, unpopuläre Entscheidungen zu fällen. Eine Fähigkeit, die du dir als CEO aneignen musst, junger Mann.“

„Ich bin vierunddreißig, Gran.“

„Das weiß ich, mein Schatz. Genau deshalb tue ich es ja.“

„Was? Darauf bestehen, dass ich vor meinem Geburtstag in zwei Monaten heirate? Das kann ich nicht, Gran, selbst wenn ich wollte. Es gibt da nämlich ein kleines Problem: Ich habe keine Verlobte.“

„Dann such dir eine“, gab seine Großmutter leichthin zurück. „Du kannst dich auch weigern. Dann gratuliere ich dir herzlich zu deinem Geburtstag und reiche die Anteilsmehrheit von MossTech an deinen Onkel Jerome weiter. Der wird dich sofort feuern und seine Speichellecker und Jasager einstellen. Er wird auch Marcus und Maddie feuern. Aber ihr drei seid sehr begabt. Daher mache ich mir keine Sorgen um eure langfristigen Karrierechancen.“

„Und was wird aus MossTech? Ist dir Grandpa Bertrams Vermächtnis egal?“

Elaine warf ihm einen scharfen Blick zu. Die Spitze hatte sie getroffen. Seine Großmutter nahm sich alles, was ihr Familienunternehmen, das auf hochmoderne Lebensmittel- und Landwirtschaftstechnologie spezialisiert war, sehr zu Herzen. „Natürlich ist es mir nicht egal. Aber seine drei Enkel sind auch sein Vermächtnis. Und wenn man in mein Alter kommt, beginnt man allmählich, die Dinge anders zu sehen.“

„So geht das aber nicht. Wir sind hier nicht am Hof von Heinrich dem Achten.“

„Gott sei Dank“, murmelte Gran. „Die Art von harmonischer Ehe, die mir vorschwebt, hat er ja nicht gerade vorgelebt.“

„Das ist kein Witz“, stieß Caleb zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Da stimme ich dir hundertprozentig zu.“ Gran nickte. „Ihr alle müsst heiraten. Ihr Jungs, bevor ihr fünfunddreißig werdet, Maddie, bevor sie dreißig wird. Unfair, ich weiß, aber Männer können sich diesbezüglich etwas mehr Zeit lassen.“

„Dazu hat Maddie bestimmt auch etwas zu sagen.“

„Das kann sie gern tun“, meinte Gran. „Aber es ändert nichts an den Tatsachen.“

Grans Blick verriet Caleb, dass weiterer Widerstand zwecklos war. Entweder spielte er mit oder es herrschte Krieg. Und bei Gran musste man sehr gut darüber nachdenken, sich auf einen Krieg einzulassen. Sie war einem immer drei Schritte voraus.

„Jerome wird MossTech an die Börse bringen“, sagte Caleb. „Dann verlieren wir die Kontrolle über den moralischen Kompass des Unternehmens. Das wollte Grandpa Bertram nicht.“

„Nein. Aber manchmal muss man die Kontrolle über eine Sache aufgeben, um die über etwas anderes in der Hand zu behalten.“

„Jetzt hör schon auf mit den kryptischen Plattitüden“, erwiderte er. „Du kannst mich nicht zwingen.“

„Nein, aber selbst wenn ich noch heute an einem Herzinfarkt sterben würde, würde das nichts ändern. Die Sache ist abgemacht, mein Schatz. Ich habe nur darauf gewartet, dass die entsprechenden Papiere fertig werden, um euch davon zu erzählen – und darauf, dass Marcus nach Hause kommt. Aber dann hat sich seine Rückkehr zweimal verschoben. Dein Geburtstag steht bevor, also fange ich mit dir an, Caleb. Du bist der Älteste. Damit bist du als Erster dran.“

„Aber Gran, ich kann doch nicht …“

„Es stört mich, dass Marcus durch die Weltgeschichte reist. Und es zeugt von deiner mangelnden Urteilskraft als CEO, dass du deinem CTO erlaubst, sich mit einer Machete durch den Dschungel zu schlagen.“

„Es verhindert, dass er in Schwierigkeiten gerät“, meinte Caleb.

„Das gilt auch für eine Ehe“, bemerkte Gran. „Nichts hält einen energiegeladenen Mann so beschäftigt wie eine Familie.“

„Gran, sei vernünftig“, bat er. „Du hast uns dazu erzogen, MossTech wichtig zu nehmen, und jetzt wirfst du das alles weg?“

Gran kniff die Lippen zusammen. „Wenn du erst alt bist und die Strippen ziehst, um dein Vermächtnis zu bewahren, wirst du mich vielleicht verstehen.“

„So lange kann ich nicht warten“, stieß er hervor.

Sein Haustelefon summte.

„Mr. Moss?“ Es war sein Assistent Sergio. „Mr. Herbert Riley von Riley BioGen ist hier, um Sie zu sehen. Er steht zwar nicht in Ihrem Kalender, aber er sagt, dass … äh … Mrs. Moss den Termin vereinbart hat.“

„Warten Sie kurz, Sergio.“ Caleb wandte sich an Gran. „Wir hatten morgen einen Termin mit Riley. Die Situation ist schon heikel genug, weil du und Jerome versucht, seine Firma zu schlucken. Warum, um alles in der Welt, hast du ihn heute herbestellt?“

Gran fuhr sich durch ihr kurzes weißes Haar. „Du wirst schon sehen. Lass ihn nicht warten, Caleb. Ich weiß, dass ihr Männer gern das Alphatier spielt, aber ich finde so etwas einfach nur unhöflich.“

Ha. Das musste gerade seine Großmutter, die Alphatier-Königin, sagen.

Er drückte auf den Knopf des Haustelefons. „Schicken Sie ihn rein, Sergio.“

Als CEO von MossTech leitete Caleb das Unternehmen mit eiserner Hand, aber es geriet immer alles durcheinander, wenn Gran ihren Einfluss geltend machte. Sobald sie anfing, Befehle zu erteilen, vergaßen die Leute, wer wirklich das Sagen hatte. Früher war sie selbst CEO gewesen und ihr gehörte immer noch die Anteilsmehrheit. Aber jetzt machte ihm das erwartungsvolle Funkeln in ihren Augen Angst.

Sergio öffnete die Tür. „Mr. Herbert Riley“, verkündete er. „Ms. Tilda Riley.“

Caleb erstarrte. Tilda? Das konnte nicht sein. Sie war doch am anderen Ende der Welt.

Tilda und ihr Vater kamen herein, und Caleb hatte plötzlich das Gefühl, sich im freien Fall zu befinden.

Es war neun Jahre, drei Monate, drei Wochen und zwei Tage her. Unbarmherzig listete sein Gehirn sogar die Stunden, Minuten und Sekunden auf.

Sie war neunzehn gewesen, als er sie zuletzt gesehen hatte. Kurvig, aber klein, sogar mit hohen Absätzen. Ihr blonder Schopf hatte ihm nur bis unter das Kinn gereicht. Herzförmiges Gesicht. Bezaubernde grüne Augen, die alles enthüllten, was sie dachte oder empfand.

Das Letzte, was er in ihren Augen gelesen hatte, waren Panik, Kränkung und Verletzlichkeit gewesen.

Jetzt hingegen sah sie ihn ohne jede Emotion an. Ihr dichtes blondes Haar war elegant hochgesteckt. Keine einzige Strähne fiel ihr ins Gesicht. Sie trug auch keinen rosafarbenen Lipgloss mehr. Ihre sinnlichen Lippen waren in einem heißen Rot geschminkt, als würde sie keine Gefangenen machen. Sie lächelte nicht. Aber er hatte auch kein Lächeln verdient.

Wie durch einen Nebel nahm er wahr, was Gran gerade sagte.

„… kennen Sie natürlich meinen Enkel, Caleb Moss, unseren CEO?“

„Natürlich.“ Herbert Riley, Tildas Vater, Besitzer und CEO von Riley BioGen, schüttelte Caleb die Hand.

„Tilda“, murmelte Gran. „Schön wie eh und je. Es freut mich, dass Sie wieder in diesem Teil der Welt sind. Ich habe Sie vor ein paar Wochen bei Ava Maddox’ Verlobungsbrunch gesehen.“

„Ja, es war schön, nach so langer Zeit alte Freunde wiederzutreffen.“ Tilda begrüßte Gran, bevor sie Caleb die Hand hinstreckte. Sie war eiskalt.

„Wo waren Sie doch gleich?“, fuhr Gran fort. „Singapur? Südkorea? Taiwan?“

„Überall in Asien“, antwortete Tilda lächelnd. „Wohin auch immer mich die Arbeit geführt hat.“

Gran schnalzte mit der Zunge. „Weit weg.“

Herbert brummelte: „Zu weit.“

„Sie müssen begeistert sein, Ihre Enkelin wieder hierzuhaben, sodass Sie sie verwöhnen können.“

„Das bin ich auch“, stimmte Herbert ihr zu.

Ein Ruck ging durch Caleb. Dann wandte er sich an Tilda. „Du bist verheiratet?“

Ihr Blick richtete sich auf ihn. „Nein“, gab sie kühl zurück.

Das peinliche Schweigen, das daraufhin eintrat, wurde von Herbert Riley unterbrochen. „Also, Elaine … Wir sind auf Ihre Bitte hin hergekommen und haben nicht viel Zeit. Warum haben Sie darauf bestanden, dass Tilda und ich Sie heute besuchen?“

„Setzen Sie sich.“ Gran deutete auf das Sofa und die Sessel. „Soll ich Sergio bitten, Kaffee oder Tee zu bringen? Espresso? Scotch?“

Gran war es gewohnt, Befehle zu erteilen, aber es ärgerte Caleb, dass sie vor Tilda in aller Selbstverständlichkeit über sein Büro, seinen Assistenten und seinen Alkohol verfügte.

Außerdem sah er Belustigung in ihren Augen aufblitzen.

„Für Scotch ist es noch zu früh.“ Herbert schüttelte den Kopf. „Kommen wir bitte zum Geschäftlichen.“

Erst jetzt fiel Caleb auf, dass sie alle noch standen und darauf warteten, dass er sich zu ihnen gesellte, bevor sie sich setzten. Verdammt. Er murmelte eine Entschuldigung und ging zur Sitzgruppe hinüber.

Gran ließ sich auf einem Sessel nieder. „Ich wollte, dass wir uns allein treffen, weil das hier mit der Person besprochen werden muss, die davon am stärksten betroffen ist.“

„Wenn MossTech Riley BioGen übernimmt, ist jeder in meiner Firma davon betroffen“, erklärte Herbert. „Damit meine ich: arbeitslos. Über achthundert Menschen.“

„Das ist mir bewusst“, sagte Gran. „Ich schlage eine Lösung vor. Bei der spielen die beiden jungen Leute hier eine Rolle.“ Sie zeigte auf Tilda und Caleb.

„Gran, komm auf den Punkt“, bat Caleb ungeduldig.

„Sei nicht unhöflich“, raunte Gran. „Ich schlage hiermit etwas anderes als Jeromes Idee vor. Eine freundliche Fusion, bei der die Arbeitsplätze bei Riley BioGen erhalten bleiben.“

„Ihre Angebote sind aber nicht freundlich“, warf Tilda ein. „Sie wussten, dass Dad gesundheitliche Probleme hatte, und haben das ausgenutzt, um sich heimlich bei uns einzukaufen. Jetzt manipulieren Sie unsere Aktionäre.“

„Das ist Jeromes Werk, meine Liebe“, widersprach Elaine.

Tildas Augen funkelten. „Sie haben es zumindest billigend in Kauf genommen.“

„Wir wissen, wie viele Schulden Sie haben“, sagte Gran. „Wenn Sie unser Angebot nicht annehmen, geht Riley BioGen bankrott.“

„Das bekommen wir schon in den Griff“, gab Tilda zurück.

„Ich weiß eine andere Lösung. Vielleicht lassen Sie mich einfach ausreden“, sagte Gran. „Sie sind ein kluges Mädchen. Uns wäre es lieber, mit vereinten Kräften weiterzumachen, statt Ihre Firma zu zerstören.“

Tilda schlug die Beine übereinander und gewährte Caleb einen Blick auf ihren wohlgeformten Unterschenkel. „Warum so plötzlich? Was wollen Sie, Mrs. Moss?“

„Das Allernatürlichste“, antwortete Gran leise. „Eine Eheschließung.“

Zum Teufel. Nein. Caleb wurde übel, während Tilda nur verwirrt dreinsah.

Herbert runzelte die Stirn. „Im übertragenen Sinne natürlich.“

„Nein. Nicht im übertragenen Sinne“, sagte Gran.

In dem Schweigen, das darauf folgte, riss Tilda die Augen auf. „Kommt nicht infrage. Soll das ein Witz sein?“

Nun weiteten sich Herbert Rileys ebenfalls. „Mein Gott, Elaine. Lassen Sie mal Ihre Medikamente neu einstellen.“

„Dafür sorge ich schon“, sagte Caleb. „Ich entschuldige mich hiermit. Ich …“

„Entschuldige dich nicht für mich, Caleb.“ Grans Tonfall war scharf. „Ich übernehme die Verantwortung für jedes Wort, das ich sage.“

Tilda lachte verlegen. „Wow. Danke, Mrs. Moss. Das ist ein sehr romantisches Angebot, und ich bin zutiefst geschmeichelt, aber ich muss leider ablehnen.“

„Dann machen wir mit der feindlichen Übernahme weiter“, erklärte Gran entschlossen.

Tilda und ihr Vater tauschten bestürzte Blicke.

„Gran“, sagte Caleb, „es ist eine Sache, mich unter Druck zu setzen. Aber das kannst du Tilda nicht antun.“

„Nein?“, fragte Gran. „Das würde doch auch dein Problem lösen, oder?“

„Welches Problem?“ Tilda kniff die Augen zusammen.

„Das hier ist noch nicht mal die verrückteste Idee, die meine Großmutter heute hatte“, stieß er hervor. „Sie hat mich davon in Kenntnis gesetzt, dass ich heiraten muss, bevor ich fünfunddreißig werde. Sonst erlebe ich mein blaues Wunder.“

„Elaine, Sie machen sich lächerlich“, sagte Herbert. „Die beiden kennen sich kaum.“

Nachdenklich sah die alte Dame Caleb und Tilda an. „Ich glaube, die beiden kennen sich sehr gut.“

Tilda sprang auf. Ihr Gesicht war rot angelaufen. „Gehen wir, Dad.“ Sie schaute zu Caleb hoch. „Beruf ein Familientreffen ein, Caleb. Es wird Zeit, deiner Großmutter die Autoschlüssel wegzunehmen, bevor noch jemand zu Schaden kommt.“

„Hüten Sie Ihre Zunge“, blaffte Elaine. „Überlegen Sie es sich. Sehen Sie sich Ihre Bilanzen an und denken Sie an Ihre Angestellten.“

Caleb kam gerade noch rechtzeitig zur Tür, um sie zu öffnen, bevor Tilda es tun konnte.

„Tut mir leid“, sagte er leise. „Ich hatte keine Ahnung. Ich schwör’s.“

Aber Tilda würdigte ihn keines Blickes, als sie hoch erhobenen Hauptes hinausrauschte.

2. KAPITEL

Was war nur mit ihr los? Warum hatte sie nicht die Akte aus der Tasche gezogen? Wütend auf sich selbst, marschierte Tilda durch die riesige Lobby von MossTech. Sie besaß eine Geheimwaffe, aber sobald sie Caleb Moss’ attraktives Gesicht sah, vergaß sie, sie zu benutzen. Verdammt.

„Süße, es tut mir leid.“ Die Stimme ihres Vaters, der hinter ihr hereilte, klang atemlos und abgehackt. „Ich … Ich muss mich kurz hinsetzen. Einen Moment.“

Erschrocken drehte Tilda sich um. Sie hatte sich so auf sich selbst konzentriert, dass sie vergessen hatte, wie angegriffen ihr Dad gerade war. Sie nahm seinen Arm. „Dad, ist es dein Herz?“

„Nein“, röchelte er. „Ich brauche nur eine Pause. Das Café. Sie haben Stühle.“

Tilda führte ihren Vater zu dem kleinen Café und half ihm, sich auf einen weich gepolsterten Stuhl an einem Tisch zu setzen. Sie hasste es, ihn so zu sehen. Seine Lippen waren grau.

Sie kniete sich vor ihn. „Dad, soll ich einen Krankenwagen rufen? Wenn wir jetzt einen Fehler machen, werde ich mein Leben lang Schuldgefühle haben.“

Ihr Vater tätschelte ihr die Schulter. „Mein tapferes Mädchen. Glaub mir, ich weiß, wie sich ein Herzinfarkt anfühlt. Das hier ist keiner. Mir ist bloß schwindlig.“

„Ich hole dir einen Tee. Möchtest du auch ein Stück Kuchen?“

„Nur Tee, Süße. Danke.“

Tilda musste an der Theke nicht lange warten. Bald war sie mit einer Tasse Kaffee für sich selbst, Tee für ihren Dad und etwas Zitronenkuchen zurück. Sie hatte mit einem unangenehmen Treffen gerechnet, weil MossTech das Unternehmen ihres Vaters schon länger vor sich hertrieb wie ein Lamm zur Schlachtbank. Sie war auf Angriff, Abwehr und Gegenangriff gefasst gewesen, aber sicher nicht auf einen verkappten Heiratsantrag.

Allerdings musste sie zugeben, dass Caleb auch überrumpelt gewirkt hatte.

In seiner Familie herrschten wirklich seltsame Verhältnisse. Sie beneidete ihn nicht um seine Großmutter. Kein Wunder, dass er einen Dachschaden hatte.

Es wäre schön gewesen, festzustellen, dass sie ihn in ihrer Erinnerung verklärt hatte, aber nein: Caleb Moss war immer noch verdammt heiß.

Die neun Jahre hatten ihn nur reifer werden lassen und ein paar ausdrucksvolle Fältchen in sein wunderschönes Gesicht gemeißelt. Aber sein großer, kraftvoller Körper wirkte durchtrainierter denn je. Seine Wangenknochen waren noch so markant wie früher. Und dieser intensive Blick. Der sexy Mund. Zu sinnlich für einen Mann, der innerlich eiskalt war.

Das war unfair. Wie ein falsches Versprechen.

In seiner rebellischen Zeit waren seine Haare lang und ungebändigt gewesen. Jetzt trug er sie kurz, im Nacken ausrasiert, oben kaum länger. Kurze Haare standen ihm genauso. Und diese Augen … Genau wie die ihrer Annika.

„Hier ist dein Tee, Dad. Earl Grey, Milch, Zucker.“ Sie nahm einen stärkenden Schluck von ihrem Kaffee. „Fühlst du dich schon etwas besser?“

„Ja.“ Ihr Vater schenkte ihr ein mattes Lächeln.

„Du musst Stress vermeiden“, tadelte sie ihn sanft. „Lass dein Team und mich alles regeln. Deshalb bin ich doch wieder hier.“ Sie zückte ihr Handy und rief Adam aus dem Juristenteam von Riley BioGen an.

„Hi, Tilda“, sagte Adam. „Sehen wir uns gleich bei Murray?“

„Nein, wir müssen den Termin verschieben, Adam. Dad geht’s nicht gut. Ich bringe ihn zur Kardiologin. Sie wird uns sagen, ob wir direkt in die Notaufnahme fahren sollen.“

Sie legte auf und steckte ihr Handy wieder ein. „Das wäre erledigt.“

„Ich bin kein gebrechlicher Tattergreis“, murrte ihr Vater und griff nach seiner Tasse. „Ich hätte das Meeting schon noch überstanden.“

„Ich schau mal, ob Dr. Walensky Zeit für dich hat. Schließlich bin ich nicht vom anderen Ende der Welt zurückgekommen, um dich zu verlieren. Und Annika lernt endlich ihren Großvater kennen. Also konzentrier dich darauf, wieder gesund zu werden – und auf den Kampf gegen Moss.“

Herbert Riley verschluckte sich an seinem Tee und tupfte sich den Mund mit der Serviette ab, die seine Tochter ihm reichte. Er schüttelte den Kopf. „Diese Sippschaft“, sagte er hustend. „Das war surreal.“

Tilda war gerade damit beschäftigt, telefonisch einen Termin bei der Kardiologin zu machen, musste aber daran denken, dass ihr Vater nicht wusste, dass sie früher einmal geglaubt hatte, Caleb Moss zu heiraten sei der Höhepunkt irdischen Glücks. Damals war sie noch jung und dumm gewesen.

Sie steckte ihr Handy wieder ein. „Berechnend wie immer.“

„Aber du bist kein Aktivposten, den man so einfach verschieben kann. Du bist meine kostbare, einzigartige Tochter. Das sollten diese Blutsauger nicht vergessen.“

Tilda drückte seine Hand. „Danke, Dad.“

„Wieso hat Elaine dich überhaupt auf dem Schirm?“, fragte ihr Vater. „Ich wusste gar nicht, dass du sie kennst.“

„Nur vom Sehen. Ich habe sie auf Ava Maddox’ Verlobungsparty getroffen, als du noch in der Reha warst. Ava hatte mir gesagt, dass Kinder auf der Party sein würden. Also sind Annika und ich hingegangen. Maddie, Veronica und Elaine Moss waren alle da.“

„Hast du Calebs Reaktion bemerkt? Als hätte Elaines Vorschlag auch ihn kalt erwischt. Aber sie schien zu glauben, dass ihr einander kennt.“

Tilda zögerte kurz. „Das tun wir auch. Erinnerst du dich, dass ich im Sommer nach meinem Abschluss in Stanford das Praktikum in San Francisco gemacht habe? Caleb hatte da gerade ein Start-up mit einem Freund gegründet. Ava Maddox hat uns einander vorgestellt. Wir haben eine Weile gedatet.“

Ihr Vater riss die Augen auf. „Das hast du mir nie erzählt.“

Sie zuckte die Schultern. „Es ist nichts daraus geworden, also war es nicht wichtig.“

„Das sieht Elaine Moss offenbar anders. Gibt es da noch etwas, das du mir verheimlichst?“

Der Zitronenkuchen fühlte sich trocken in ihrem Mund an. Schnell spülte sie ihn mit einem Schluck Kaffee hinunter. „Ich …“

„Wann genau warst du mit ihm zusammen?“, fragte ihr Vater mit Nachdruck.

„Dad, bitte.“

„Gleich nach dem Praktikum hast du den Job in Kuala Lumpur angenommen. Im Mai danach hast du mich angerufen und mir gesagt, dass ich Großvater geworden bin. Ich hätte beinahe einen Herzinfarkt bekommen.“

„Ja“, sagte Tilda.

„Caleb Moss ist Annikas Vater“, stellte Dad fest.

Guter Gott. Dass jemand die Wahrheit so unverblümt aussprach, konnte sie nach dem Wiedersehen mit Caleb nicht gebrauchen.

„Er weiß nichts von Annika“, erklärte sie. „Nachdem wir uns getrennt hatten, habe ich nie wieder mit ihm gesprochen. Ich habe erst in Kuala Lumpur erfahren, dass ich schwanger war.“

„Warum, zum Teufel, hast du ihm nichts gesagt? Er hat Verpflichtungen!“

„Ich wollte ihn nicht sehen“, sagte sie. „Ich wollte nicht einmal seine Stimme am Telefon hören und auch nicht, dass seine Familie mein Baby als Druckmittel einsetzt. Es ist schwer genug, alleinerziehend zu sein. Ich wollte nicht auch noch mit ihm um Annika kämpfen müssen.“

„Elaine weiß Bescheid“, sagte ihr Vater.

Tilda erschrak. „Ich habe es nie jemandem erzählt.“

„Dann hat sie es erraten. Ich kenne diese Frau seit vierzig Jahren. Sie hat einen messerscharfen Verstand.“

„Das ist nicht möglich“, sagte Tilda.

„Was war das Problem mit Caleb?“, fragte Dad. „War er grausam? Gewalttätig?“

„Oh nein, Dad. Nur ein Allerweltsarschloch. Er hat mit mir Schluss gemacht, das ist alles. Eiskalt und unerwartet.“

Düster brummelte ihr Dad etwas Unverständliches. „Undankbarer Mistkerl“, fuhr er dann fort. „Aber eins ist mir aufgefallen, Süße. Du hattest die Akte bei dir, mit der du ihnen hättest drohen können, hast sie aber nicht einmal aus der Tasche gezogen. Was war da los?“

Sie zuckte die Schultern. „Ich war durcheinander“, erklärte sie. „Abgelenkt. Vielleicht benutze ich sie noch. Wir werden sehen.“

„Ich möchte eigentlich nicht, dass du dir die Hände schmutzig machst“, meinte ihr Vater. „Du kannst deine Energie besser einsetzen. Du bist eine brillante Ingenieurin und Datenanalystin. Du solltest an Innovationen forschen, an deinem KI-Algorithmus. Wie heißt er doch gleich? Far See?“

„Far Eye“, verbesserte Tilda ihren Vater. „Und ich mache mir nicht die Hände schmutzig. Ich kämpfe ums Überleben. Jetzt müssen wir aber los, wenn wir rechtzeitig in Dr. Walenskys Praxis sein wollen.“

Die Untersuchung bei der Kardiologin dauerte nicht lange. Tilda und Herbert waren beide erleichtert, als die Ärztin ihm empfahl, nach Hause zu fahren und sich zu entspannen. Nachdem er nach einer Operation am offenen Herzen wochenlang im Krankenhaus gelegen hatte und dann noch länger in der Rehaklinik gewesen war, hätte er sich nicht gefreut, auch nur in die Nähe eines Krankenhausbetts zu kommen.

Als sie zu Hause eintrafen, waren Annika und ihre Babysitterin gerade von einem Ausflug ins Naturkundemuseum zurück. Strahlend lief Annika ihnen entgegen und erzählte sofort von ihrer Virtual-Reality-Tour durch den menschlichen Blutkreislauf.

Tilda ging rasch nach oben, um sich Leggings und einen Pullover anzuziehen und dann das Abendessen auf den Tisch zu bringen. Annika hielt ihren Großvater mit ihrem Geplapper beschäftigt. Über die Küchentheke hinweg betrachtete Tilda das Gesicht ihres kleinen Mädchens, während sie die Speisen anrichtete, die die Haushälterin bereitgestellt hatte.

Annika hatte Calebs dunkle Augen und markante Wangenknochen geerbt. Aber dennoch sah ein hübsches kleines Mädchen eben wie ein hübsches kleines Mädchen aus, nicht wie ein erwachsener Mann.

Wie war Elaine nur so schnell dahintergekommen? Caleb war nicht auf Avas Party gewesen.

Als sie mit dem Nachtisch fertig waren, warf Tilda einen Blick auf die Uhr. „Du musst ins Bett, Süße.“

„Kann ich erst noch ein Video sehen?“, bettelte Annika.

„Nein, ab ins Bett. Kämm dir die Haare und putz dir die Zähne. Ich komme und gebe dir einen Gutenachtkuss.“

Nachdem Annika ihren Großvater im Wohnzimmer umarmt hatte und nach oben gelaufen war, schloss er die Augen und lehnte sich blass und erschöpft zurück.

„Alles in Ordnung, Dad?“, fragte Tilda aus der Küche.

Er öffnete die Augen nicht. „Ich bin nur traurig, dass ich die Lücke bei Annika nicht ausfüllen kann.“

„Was für eine Lücke?“

Ihr Dad wedelte mit der Hand. „Als Vaterfigur. Ich habe einfach nicht die Kraft.“

Sie trocknete sich die Hände ab und ging ins Wohnzimmer. „Natürlich nicht. Du nimmst Betablocker, verdammt noch mal! Dein Brustbein braucht noch Monate, um zu verheilen. Aber dann kommst du wieder in Schwung.“

„Nicht genug“, sagte er schwach.

Erschüttert setzte sie sich aufs Sofa und beugte sich zu ihm. „Du musst positiv denken, Dad.“

Er nickte. „Ich versuche es, versprochen.“

Tilda hatte Annika in ihrem eigenen früheren Kinderzimmer untergebracht. Als sie dort ankam, lag das kleine Mädchen schon zusammengerollt im Bett und sah seine Mutter besorgt an. „Mom, geht es Grandpa gut?“

„Er ist nur müde, weil er starke Medikamente nimmt“, erklärte Tilda. „Aber er wird wieder gesund.“

„Hoffentlich“, sagte Annika. „Ich will wenigstens einen Grandpa haben.“

„Was soll das denn heißen?“

„Als ich mit Kaylea unterwegs war, hat sie sich über ihre Familie beschwert. Sie hat eine Mom, einen Dad, eine Schwester, zwei Brüder, zwei Onkel, drei Tanten, acht Cousins und Cousinen und sechs Großeltern.“

„Sechs? Wow!“

„Ja, sie hat mehr als andere, weil beide Grandmas zweimal geheiratet haben. Und sie beschwert sich, dass ständig das Bad besetzt ist. Aber ich finde, es klingt schön.“ Annika kuschelte sich an sie. „Kaylea ist nett, aber ich vermisse meine Schulfreunde.“

„Ich weiß, Süße. Es tut mir auch leid, dass ich dich hierher verpflanzen musste.“

„Wir mussten ja herkommen, um Grandpa zu helfen. Aber heute Abend war er so traurig. Ich konnte ihn nicht zum Lachen bringen.“

„Es ist aber lieb von dir, dass du es versucht hast“, sagte Tilda leise und gab Annika einen Gutenachtkuss.

Als sie wieder nach unten kam, setzte sie sich aufs Sofa und zog eine Mappe aus ihrer Aktentasche.

„Ist das die Akte, die MossTech ruinieren könnte?“, fragte ihr Dad.

„Ja. Sieh sie dir an.“ Sie legte ihm die Mappe auf den Schoß.

Ihr Vater schien davor zurückzuscheuen, die Akte zu berühren. „Wie bist du überhaupt dazu gekommen?“

„Durch einen Investor, den ich kenne. Ich habe mich neulich auf einer Tech-Konferenz in Rio mit ihm getroffen, weil er mit dem Gedanken spielt, Far Eye zu finanzieren. Weston Brody.“

Herbert wirkte beeindruckt. „Wirklich? Brody Venture Capitalists? Far Eye muss wirklich Potenzial haben, wenn jemand wie er sich dafür interessiert.“

„Ja, das Projekt gefällt ihm. So sind wir ins Gespräch gekommen. Er hat mir erzählt, dass MossTech es auf Riley BioGen abgesehen hat, und mir die Akte angeboten. Darin ist ein Tagebuch, das John Padraig, der Leiter eines MossTech-Labors in Sri Lanka, vor dreiundzwanzig Jahren geführt hat. Weißt du noch, wie das Labor dort damals in die Luft geflogen ist?“

„Natürlich. Ein Terroranschlag. Jeromes Frau Naomi ist dabei ums Leben gekommen. Ich kannte sie, seit ich an der Caltech studiert hatte. Sie hatte eine Tochter in deinem Alter. Veronica. Es hat mir das Herz gebrochen.“

„Ja“, sagte Tilda. „Padraig war dort Laborleiter. MossTech hat eine gegen Schädlinge und Dürre resistente Hirsesorte entwickelt. Sie war der perfekte Nährboden für einen giftigen Schimmelpilz. Viele Leute sind daran gestorben, aber es wurde vertuscht. Schweigegeld und gefälschte Laborberichte. Das steht alles in Padraigs Tagebuch. Er war überzeugt, dass Naomi all das im Namen von Elaine, Bertram und Jerome Moss arrangiert hatte.“

Ihr Vater überflog die Papiere. „Warum geht Brody damit nicht selbst an die Öffentlichkeit?“

„Er möchte negative Folgen für seine eigene Firma vermeiden. Also benutzt er mich.“

„Das tun sie doch alle“, sagte er verbittert.

„Ach komm, Dad. Er will uns helfen.“

Ihr Vater brummelte zweifelnd. „Naomi war meine Doktormutter an der Caltech, bevor sie Jerome Moss geheiratet hat. Sie hatte Prinzipien. So etwas hätte sie nie getan. Irgendetwas stimmt hier nicht.“

„Also wäre es falsch, die Akte einzusetzen?“

„Wenn sie über jeden Zweifel erhaben wäre, würde ich dir raten, es zu tun. Aber kannst du dir da sicher sein?“

Sie seufzte. „Ich versuche schon, mir darüber klar zu werden, seit Wes sie mir gegeben hat.“

„Ich würde die Finger davon lassen“, riet ihr Dad. „Riley BioGen ist nur eine Firma. Dinge beginnen und enden. Das ist der Lauf der Welt.“

„Ich will aber nicht, dass all die Leute, die seit Jahrzehnten für dich arbeiten, ihre Jobs verlieren.“

„Ich auch nicht“, erklärte ihr Vater traurig. „Aber ich glaube nicht, dass diese Akte das verhindern kann.“

Tilda schwieg lange. „Ich könnte Caleb heiraten“, sagte sie dann. „Das würde es verhindern.“

Die Papiere entglitten ihrem Vater und landeten auf dem Boden. „Kommt nicht infrage. Du bist schon einmal vor diesem Mann davongelaufen und er weiß nicht einmal von Annika.“

„Heute ist alles anders“, warf Tilda ein. „Annika ist mir genug. Ich brauche nichts von Caleb – bis auf seine Unterschrift unter ein paar Dokumenten. Wenn er Interesse daran hat, als ihr Vater Teil ihres Lebens zu sein, lasse ich mir schriftlich geben, dass ich die Kontrolle über alle Entscheidungen habe, die sie betreffen. Warum also nicht? Es ist nur ein geschäftlicher Schachzug.“

„Warte noch“, bat ihr Dad. „Denk in Ruhe darüber nach.“

Tilda erinnerte sich, was Caleb in der Nacht gesagt hatte, in der sie ihm ihre Liebe gestanden hatte.

Den Fehler würde sie nicht noch einmal machen. Sie zog Elaines Visitenkarte aus der Tasche und gab die Nummer in ihr Handy ein.

„Ich habe genug nachgedacht“, erklärte sie. „Jetzt wird es Zeit zu handeln.“

3. KAPITEL

„Bitte sag mir, dass das nicht dein Ernst ist, Gran.“ Maddie war aufgebracht.

„Es ist beschlossene Sache“, erwiderte Elaine resolut.

Caleb hatte den beiden den Rücken zugewandt und starrte durchs Fenster von Elaines Bibliothek ins Freie. Er war so wütend, dass seine Hände zitterten. „Du hast uns einer Gehirnwäsche unterzogen“, sagte er. „Und wir sind alle darauf reingefallen. Führt Grandpa Bertrams Vermächtnis fort! Ernährt die Hungernden, sichert die Zukunft! Jetzt benutzt du Grandpas Unternehmen als Druckmittel, um uns nach deiner Pfeife tanzen zu lassen.“

Elaine schniefte. „Du übertreibst.“

„Ernsthaft?“, mischte Maddie sich ein. „Die Jungs dürfen warten, bis sie fünfunddreißig werden, aber ich nur bis dreißig? Das ist unfair.“

„Erzähl das den höheren Mächten, Süße. Männer haben mehr Zeit, wenn es um die Fortpflanzung geht. Auf alle Fälle müsst ihr euch alle daran halten. Wenn auch nur einer von euch ablehnt, bekommt Jerome die Anteile.“

„Ich dachte, das Ethos von MossTech wäre dir wichtig“, meinte Caleb. „Menschen sind mehr wert als Profit. War das gelogen?“

„Absolut nicht. Es ist mir sehr wichtig.“ Gran ließ sich in einen Sessel sinken. „Aber in meinem Alter beginnt man, sich seine Fehler bewusst zu machen. Und mein größter Fehler war, dass ich eurer Mutter zu viel habe durchgehen lassen.“

„Wir sind nicht wie sie, Gran“, gab Maddie scharf zurück.

„Das weiß ich. Aber mit euch bin ich deshalb übers Ziel hinausgeschossen. Ich war streng und fordernd. Seht euch doch an: ehrgeizige, von ihrer Arbeit besessene Singles. Keiner von euch lässt auch nur ansatzweise den Wunsch erkennen, eine Familie zu gründen. Das kann ich nicht zulassen.“

Caleb stieß einen frustrierten Laut aus. „Und wie bist du zu dieser Erkenntnis gekommen? Im Traum? Durch einen brennenden Dornenbusch?“

„Mach dich nicht über mich lustig, Junge“, ermahnte ihn Gran. „Es war auf Ava Maddox’ Verlobungsparty.“

„Auf der Party war ich auch“, warf Maddie ein. „Ich kann mich nicht erinnern, dass dort Engel mit flammenden Schwertern erschienen sind.“

„Das reicht“, blaffte Gran.

„Na gut, Ava hat sich einen heißen Typen geangelt, mit dem sie schöne Babys machen kann. Und jetzt bist du eifersüchtig, weil ich keinen habe?“

„Den wirst du auch nicht bekommen, wenn du achtzig Stunden die Woche über Zahlen brütest“, gab Gran zurück. „Aber Avas Zukünftiger hat mich nicht darauf gebracht, sondern Tildas kleines Mädchen.“

Als sie Tildas Tochter erwähnte, verkrampfte sich Calebs Magen. „Was ist mit ihr?“

„Das fragst du mich ernsthaft?“, sagte Gran. „Sobald ich dieses Kind gesehen hatte, habe ich meine Assistentin angerufen und sie recherchieren lassen. Annika Ruth Riley, acht Jahre alt, geboren in Kuala Lumpur. Nach einem Blick auf sie war mir sofort klar, was du, Caleb, neun Monate vorher mit Tilda Riley getrieben hast.“

Schockiert runzelte er die Stirn. „Was?“

„Du warst damals doch in San Francisco, oder?“

Maddie riss die Augen auf. „Mein Gott. Stimmt das?“

Caleb öffnete den Mund und schloss ihn wieder. „Ich … weiß es nicht.“

„Ich schon.“ Elaine klang überzeugt.

„Ach komm, Gran.“ Maddie schüttelte den Kopf. „Ohne DNA-Test kannst du dir nicht sicher sein.“

„Doch. Das Kind ist eurer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Es war, als hätte ich ein Gespenst gesehen.“

Sie wandten sich beide Caleb zu.

„Stimmt das?“, fragte Maddie noch einmal.

„Was?“, gab er zurück. „Ich habe gerade erst erfahren, dass dieses Mädchen existiert!“

„Dann stelle ich dir jetzt eine ganz einfache Frage“, sagte Elaine. „Warst du vor neun Jahren mit Tilda Riley im Bett?“

„Wir hatten etwas miteinander“, räumte er ein. „Aber seit sie ins Ausland gezogen ist, habe ich nichts mehr von ihr gehört.“

„Das kleine Mädchen ist auf der anderen Seite der Welt aufgewachsen.“ Das Zittern in Grans Stimme machte ihn nervös. „Vielleicht hätte ich meine Urenkelin nie kennengelernt. Du musst bei Tilda ja einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben, wenn sie bis nach Kuala Lumpur geflüchtet ist. Toll gemacht, Caleb.“

„Ja, sie verabscheut mich. Das hätte ich dir sagen können, wenn du mich vorgewarnt hättest.“

„Ich durfte dir keine Zeit lassen, eine Verteidigungsstrategie zu entwickeln.“

„Gran, ist dir gar nicht klar, wie krank das alles ist?“

Das Handy seiner Großmutter summte in ihrer Handtasche und sie zog es hervor. „Wenn man vom Teufel spricht. Es ist Tilda.“

Caleb war erschüttert. „Du hast ihre Nummer in deinem Handy gespeichert?“

„Ich habe meine Hausaufgaben gemacht. Und ich habe ihr meine Karte gegeben. Es ist gut, im Gespräch zu bleiben. Anders als du es getan hast. Neun Jahre lang. Um Himmels willen, Caleb …“

„Verdammt, Gran …“

„Psst!“ Sie nahm ab und stellte auf Lautsprecher. „Tilda! Danke für den Anruf.“

„Guten Abend, Mrs. Moss.“ Tildas Stimme klang samtig. Caleb spürte, wie ihm ein Schauer über die Haut lief, als würde er gestreichelt.

„Keine Förmlichkeiten! Bitte nenn mich doch Elaine.“

„Danke. Ist Caleb bei dir? Ich will ihn sprechen, habe aber seine Nummer nicht.“

„Ja, wir haben uns gerade über dich unterhalten. Was für ein Zufall.“ Elaine reichte das Handy weiter.

Caleb schaltete die Freisprechfunktion ab und hielt sich das Telefon ans Ohr. „Hallo?“

„Hallo, Caleb.“ Tilda klang amüsiert. „Lass uns eins vorab klären. Elaines Vorschlag hat dich offenbar überrascht. Sollte ich also davon ausgehen, dass der Heiratsantrag gar nicht gilt?“

„Äh …“ Caleb brach ab, um sich zu sammeln. „Warum fragst du?“

Sie stieß einen ungeduldigen Laut aus. „Wenn deine Großmutter Unsinn geredet hat, sag es mir, dann belästige ich dich nicht weiter.“

Er unterdrückte das Zittern in seiner Stimme. „Was ist mit deiner Tochter?“

„Was spielt das für eine Rolle?“

„Ist sie von mir?“

Einen Moment lang schwieg Tilda. „Ja“, gestand sie dann.

Eine Schockwelle durchlief seinen Körper und er ließ sich auf einen der Sessel in der Bibliothek fallen. Das Blut rauschte ihm in den Ohren.

„Caleb? Bist du noch dran?“

„Ja“, sagte er erstickt.

„Du hast meine Frage nicht beantwortet. Was ist mit dem Heiratsantrag?“

„Der gilt“, stieß er hervor. „Aber wir müssen reden.“ Er fing Grans Blick auf, dann Maddies. Er hatte ganz vergessen, dass sie auch noch da waren. „Unter vier Augen. Heute Abend in der Black Dog Tavern. Du bist bei deinem Dad, oder? Ist dir halb elf recht? Ich kann dich abholen.“

„Wir treffen uns im Black Dog.“

Er zögerte. „Willst du nicht, dass ich sie kennenlerne?“

„Annika? Nicht heute Abend. Sie liegt seit einer Stunde im Bett. Bis nachher, Caleb.“

Er legte Grans Handy auf den Tisch und rang nach Luft.

„Was hat sie gesagt?“ Fragend sah Elaine ihn an.

„Das geht dich nichts an.“ Er marschierte aus der Bibliothek und zur Haustür.

„Caleb! Komm sofort zurück!“ Die Stimme seiner Großmutter verklang, als er das Haus verließ und zu seinem Auto sprintete.

Vielleicht hatte er sogar noch Zeit, zu duschen und sich zu rasieren, wenn er sich beeilte.

Tilda rutschte auf der Rückbank des Autos hin und her, wütend auf sich selbst, weil sie ihr Haar offen trug. Sie hatte sich aus lauter Frust dazu entschieden, nachdem alle Versuche, es hochzustecken, gescheitert waren. Ihre Arme fühlten sich wie Pudding an. Aber hochgesteckte Haare sandten eine wichtige Botschaft aus: dass sie, Tilda, erwachsen und misstrauisch war. Kein Mädchen, mit dem man spielen konnte, um es dann wegzuwerfen. Das ließen die offenen blonden Locken, die ihr über die Schultern fielen, nicht erahnen.

Sie betrat das Lokal. Sofort entdeckte sie Caleb ganz hinten in der Ecke. Prompt wurde sie noch nervöser und ging zu ihm.

„Hallo, Caleb.“

Er deutete auf den Platz ihm gegenüber. Sie ließ sich auf die Bank gleiten und faltete die Hände auf dem Tisch. „Wow“, murmelte sie. „Das ist vielleicht peinlich.“

„Meine Großmutter bietet mich ja auch nicht jeden Tag als Heiratskandidaten an“, sagte er. „Ich entschuldige mich für den Schock.“

„Mich erschüttert so schnell nichts mehr.“

Die Kellnerin erschien. Sie bestellten Bier und Caleb zeigte auf die Speisekarte. „Willst du was essen? Die Burger sind gut.“

„Ich habe keinen Hunger.“

Eine Weile musterten sie einander.

„Mein Gott, Tilda“, brach Caleb das Schweigen. „Warum hast du mir nicht von Annika erzählt?“

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Erinnerst du dich, was du an unserem letzten Abend zu mir gesagt hast?“

Caleb wirkte verlegen. „Das würde ich lieber vergessen.“

„Du hast gesagt, dass Liebe nicht existiert. Dass mir die Chemie meines eigenen Körpers etwas vorgegaukelt hätte. Dass das, was ich für dich empfunden habe, nur das war, was alle Jungfrauen für ihren ersten Liebhaber empfinden.“

Er zuckte zusammen. „Ich war ein Riesenarschloch.“

„Eindeutig. Erst in Asien habe ich festgestellt, dass ich schwanger war. Je länger ich gewartet habe, desto weniger wollte ich es dir sagen. Annika und ich kommen sehr gut allein zurecht. Jetzt lernt sie ihren Großvater kennen. Also ist alles gut.“

„Ich habe von Herberts Herzproblemen gehört. Ich bin froh, dass es ihm besser geht.“

„Noch besser würde es ihm gehen, wenn seine Firma nicht vor einer feindlichen Übernahme stünde. Spar dir deine Plattitüden.“

„Ich meine es ehrlich“, sagte er. „Und wenn wir schon mal bei der Wahrheit sind: Riley BioGen hatte bereits Probleme, bevor Jerome zur Jagd geblasen hat.“

„Lass uns die Debatte vertagen“, bat sie.

„Wie du meinst.“

Die Kellnerin servierte ihr Bier. Tilda trank einen Schluck. „Mit deiner Großmutter ist nicht zu spaßen. Mischt sie sich immer so in deine Angelegenheiten ein?“

Er lachte auf. „Heute hat sie sogar mich schockiert. Als CEO hat sie mit eiserner Hand regiert. Aber das heute war nicht normal.“

„Also meint sie es ernst? Du musst bis zu deinem Geburtstag heiraten?“

„Ja. Maddie, Marcus und ich müssen alle heiraten, sonst überträgt sie die Kontrolle über die Firma an meinen Onkel. Der hat eine ganz andere Vision für MossTech. Eine, die wir nicht teilen.“

„Datest du sonst noch jemanden?“, fragte sie. „Andere Heiratskandidatinnen? Entschuldige bitte, dass ich so direkt frage, aber wir sollten alles auf den Tisch legen. Keine Überraschungen.“

Caleb schüttelte den Kopf. „Niemanden. Ich habe mich in letzter Zeit ganz auf die Arbeit konzentriert.“

„Und es wäre dir recht, wenn wir unsere Probleme lösen, indem wir heiraten?“

„Ja“, sagte er.

„Sie soll aber keine weiteren Urenkelkinder fordern“, warnte Tilda.

„Gran kann niemand kontrollieren.“

„Was ich damit meine, ist, dass es nur eine Ehe auf dem Papier wäre“, erklärte sie. „Ein geschäftliches Arrangement. Wenn wir die Bedingungen erfüllen, bekommen wir, was wir wollen. Du machst es deiner Großmutter recht und hast dein Unternehmen sicher.“

„Und die Gelegenheit, meine Tochter kennenzulernen“, ergänzte er.

Sie war überrascht über die Ergriffenheit, die ihr plötzlich die Kehle zuschnürte. Ihr gefiel die Vorstellung, dass Annika die Wärme, Sicherheit und Geborgenheit erleben würde, einen Vater zu haben. Tilda hatte nicht gewusst, wie sehr sie sich insgeheim danach gesehnt hatte.

Sie schluckte schwer. „Das ist nur fair.“

„Und du?“, fragte er. „Was willst du?“

„Ich will, dass das Lebenswerk meines Vaters geschützt wird und dass seine Angestellten ihre Jobs behalten.“

„Das ist im Interesse aller. Riley BioGen steht gut da und ist mit all seinen qualifizierten Mitarbeitern mehr wert.“

„Es muss für dich schwer zu verdauen sein, dass Elaine MossTech als Druckmittel einsetzt“, bemerkte sie.

„Es macht mich fuchsteufelswild“, gestand er. „Wir haben unseren Gewinn vervierfacht, ohne je unsere Prinzipien zu verraten. Und plötzlich will sie das alles an diesen intriganten Bastard Jerome übergeben.“

„Klingt, als ob du nicht viel von ihm hältst“, meinte Tilda.

„Nein, Jerome ist nicht sehr liebenswert. Vor allem nicht Gran gegenüber.“ Caleb zuckte die Schultern. „Die Aussicht auf eine Urenkelin motiviert sie.“

„Hm … Woher weiß sie eigentlich von Annika? Ich habe nie jemandem erzählt, dass du der Vater bist, noch nicht einmal meinem Dad.“

„Offenbar ähnelt sie meiner verstorbenen Mutter“, meinte Caleb. „Gran hat Annika auf Ava Maddox’ Party gesehen. Sie war erschüttert.“

„Verstehe.“

„Hast du ein Foto von ihr auf deinem Handy?“

Tilda rief ein paar Bilder von Annika auf und reichte ihm ihr Smartphone.

Caleb scrollte durch die Fotos. „Es stimmt“, sagte er. „Ich erinnere mich kaum an meine Mutter, aber ich habe Fotos von ihr in dem Alter gesehen. Es könnte dieselbe Person sein. Sie ist ein sehr hübsches Mädchen.“

„Sie ist ein wunderbares Kind. Lieb, witzig, klug, aufmerksam. Sie hat keine Angst, ihre Meinung zu sagen, und spürt instinktiv, wenn man ihr etwas vormacht. Ich wette, das hat sie nicht von mir.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Willst du mir Angst machen?“

„Ich erzähle dir nur, wie sie ist. Und das bringt mich zu einem wichtigen Punkt. Ob wir nun heiraten oder nicht, Entscheidungen, die Annika betreffen, fälle ich.“

Caleb nickte. „Schon klar. Eine Ehe nur auf dem Papier, Riley BioGen wird mit Samthandschuhen angefasst und Annika gehört dir.“

Sie musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen. „Da wäre noch etwas: ein Fluchtweg. Irgendwann muss es uns freistehen, uns scheiden zu lassen.“

„Laut Grans Bedingungen erst nach fünf Jahren.“

„Wow“, sagte sie. „Das ist eine lange Zeit. Natürlich sollten wir solange andere Beziehungen führen dürfen, wenn wir wollen. Diskret natürlich.“

Plötzlich lag Spannung in der Luft.

„Gibt es da jemanden, von dem ich wissen sollte?“, fragte er vorsichtig.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin nur vorausschauend.“

„In Ordnung.“ Caleb scrollte noch einmal durch die Bilder auf ihrem Handy.

„Wie fühlt es sich an, sie zu sehen?“, fragte sie.

„Seltsam“, sagte er. „Ich habe so viel verpasst und keine Ahnung, wie sie als Baby aussah. Wie ihre Stimme klingt.“

Tilda unterdrückte eine Aufwallung von Schuldgefühlen. „Ich konnte dir nichts von ihr sagen, Caleb.“

„Das verstehe ich“, erwiderte er. „Mir ist klar, wie du dich vor neun Jahren gefühlt haben musst. Ich habe dich mit aller Macht von mir gestoßen. Das bereue ich. Aber ich hoffe, dass ich die verlorene Zeit wiedergutmachen kann.“

„Also hast du Interesse daran, ihr Vater zu sein? Wirklich?“

„Ja.“ Er schob ihr Handy zurück über den Tisch. „Das ist das Wichtigste, was wir irgendwie hinbekommen müssen, du und ich.“

Die Gefühle, die über sie hereinbrachen, erschreckten sie. „Ich bin froh, dass du es so siehst. Aber eins musst du wissen: Es ist harte Arbeit und du kannst keinen Rückzieher machen. Denn wenn du ihr Hoffnungen machst, dass sie einen echten Dad bekommt, und sie dann enttäuschst, verfolge ich dich bis ans Ende der Welt und mache Hackfleisch aus dir. Verstanden?“

Caleb grinste. „Annika hat großes Glück, dich als Mutter zu haben. Nein, ich werde sie nicht enttäuschen. Maddie und Gran brennen auch darauf, sie kennenzulernen.“

„Na gut.“ Tilda atmete tief aus. „Dann sollen sich unsere Anwälte treffen, um alles auszuhandeln. Was ist mit dem Aufgebot?“

„Ich sorge dafür, dass meine Leute sich darum kümmern.“

„Prima.“ Sie nickte. „Dann sind wir für heute fertig.“

„Ich begleite dich zu deinem Auto“, bot Caleb an.

„Ich hatte mir ein Uber gerufen.“

„Noch besser. Dann fahre ich dich nach Hause.“

Sie war zu durcheinander, um sich eine Ausrede einfallen zu lassen und sein Angebot abzulehnen. Bald darauf saß sie in seinem Porsche und fragte sich, ob sie einen gewaltigen Fehler begangen hatte.

Als sie fast schon am Haus ihres Dads waren, ergriff Caleb das Wort. „Es tut mir leid, was ich damals gesagt habe. Ich bin nicht stolz darauf.“

Tilda dachte daran, wie lange sie gebraucht hatte, um wieder auf die Beine zu kommen. Jahrelang hatte sie sich in den Schlaf geweint. Ihr Zorn war langsam zu Eis erstarrt.

„Entschuldige dich nicht“, gab sie zurück. „Was zerbrochen ist, lässt sich nicht reparieren. Das ist Schnee von gestern. Jetzt geht’s nur ums Geschäft.“

„Ich verstehe“, sagte er.

„Dann gute Nacht. Wir sehen uns.“

Als sie die Autotür öffnete, beugte er sich über ihre Hand und hauchte ihr einen sanften Kuss auf die Fingerknöchel. Schnell stieg sie aus.

Während sie dabei zusah, wie die Rücklichter des Wagens in der Nacht verschwanden, brannte Calebs Kuss noch immer auf ihrer Hand.

4. KAPITEL

„Ich wünschte, ich könnte dabei sein“, meinte Marcus, „aber du hast nicht rechtzeitig Bescheid gesagt. Die Einladung kommt aus heiterem Himmel.“

Caleb entfernte sich von Maddie, Elaine und seiner Cousine Ronnie, die aufgeregt miteinander diskutierten, um seinen Bruder am Telefon besser verstehen zu können. „Wenigstens habe ich dich erreicht, bevor es so weit ist“, erklärte er. „Es ist ja keine echte Ehe. Es geht nur ums Geschäft.“

„Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?“

„Ich bin mir mit überhaupt nichts mehr sicher“, gestand er.

„Es macht Spaß, dich einmal so nervös zu erleben, Junge. Vielleicht bringt das etwas Schwung in deine perfekte kleine Welt.“

Caleb stieß einen missbilligenden Laut aus. „Na klar. Du weißt doch, dass Gran es auch auf dich abgesehen hat, oder? Maddie wird zwar dreißig, bevor du fünfunddreißig wirst, aber trotzdem solltest du anfangen, über eine Lösung nachzudenken.“

„So weit kommt’s noch“, brummelte Marcus.

Ha. Wenn Caleb sich hatte breitschlagen lassen, würde er seinen Bruder nicht so leicht vom Haken lassen. Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für einen Streit. „Wir reden später“, sagte er. „Ich muss jetzt auflegen.“

„Okay. Glückwunsch und so weiter.“

Caleb beendete das Gespräch und wandte sich wieder den Frauen zu, die alle darauf bestanden hatten, dabei zu sein. Maddie und seine Cousine Ronnie hatten Tränen in den Augen. Zum Glück betraf die Forderung seiner Großmutter nicht Ronnie, die bloß eine Nichte und keine Enkelin war, aber sie war ja ohnehin schon verlobt mit Jareth, einer TV-Größe, die ihr half, ihre Wissenschaftsshow zu produzieren.

Caleb hatte seiner Schwester und seiner Cousine erklärt, dass es nur ums Geschäft ging und kein Anlass zur Aufregung bestand.

Aber er würde gleich heiraten. Tilda Riley. Und seine Tochter kennenlernen. Er konnte kaum atmen.

Die Standesbeamtin, eine dünne Frau mit strenger Miene, traf ein. Aber die Braut kam zu spät. Wie man ihm gesagt hatte, war das auch ihr gutes Recht.

Er konnte kaum ein nervöses Zusammenzucken unterdrücken, als das Haustelefon summte. „Mr. Moss, Ms. Tilda Riley, Mr. Herbert Riley und Miss Annika Riley sind hier, um Sie zu sehen.“

„Schicken Sie sie herein“, sagte er.

Maddie strahlte. Sie und Ronnie hatten darauf bestanden, sich dem Anlass angemessen fein zu machen. Ronnie trug ein eisblaues Etuikleid. Ihre dunkelroten Locken fielen ihr offen über die Schultern. Maddie hatte sich für ein pfirsichfarbenes Minikleid entschieden, das ihre goldbraune Haut, ihre schwarzen Locken und ihre langen Beine sehr vorteilhaft zur Geltung brachte. Seine Großmutter war wie immer stilvoll und elegant in einen taubengrauen Hosenanzug gekleidet.

Jetzt kam sie auf ihn zu und rückte seine Krawatte zurecht. „Du siehst schick aus“, murmelte sie. „Hübscher Junge. Armani?“

Caleb zuckte die Schultern. „Ich habe einfach den erstbesten Anzug aus dem Schrank gezogen.“

Grans Lippen zuckten. „Gute Wahl.“

Die Tür schwang auf, und Tilda kam herein, gefolgt von einem kleinen Mädchen und Herbert Riley.

In ihrem elfenbeinfarbenen Hosenanzug und mit hochgesteckten Haaren sah sie einfach umwerfend aus. Ein eng anliegendes Spitzentop unter dem Blazer und die figurbetonte Hose schmeichelten ihren sexy Kurven. Elfenbeinfarbene Pumps, eine Handtasche in der gleichen Farbe und ein Strauß aus weißen Rosen komplettierten ihr Outfit.

Das kleine Mädchen trug ein weißes Spitzenkleid. Sie hatte einen Kranz aus Rosen auf ihrem glänzenden dunklen Haar und hielt einen Blumenstrauß wie ihre Mutter. Aufmerksam sah sie ihn an.

Er kannte diesen Blick. Wie eine Forscherin, die durch ein Mikroskop spähte und auf statistisch signifikante Ergebnisse hoffte.

Tilda lächelte in die Runde und wandte sich dann ihm zu. „Caleb …“

„Hey, Tilda.“ Er streckte Annika die Hand hin.

Das kleine Mädchen schüttelte sie. „Ich bin Annika.“

„Und ich Caleb“, sagte er. „Freut mich sehr, dich kennenzulernen. Ich hoffe, wir werden Freunde.“

Das werden wir ja sehen, schien Annikas Blick zu sagen. „Das hoffe ich auch“, erwiderte sie höflich.

Caleb sah wieder Tilda an. „Schöne Blumen. Du hast keine Kosten und Mühen gescheut.“

„Daran ist Annika schuld. Deshalb sind wir auch so spät dran. Sie hat darauf bestanden, dass wir bei einem Blumenladen haltmachen, um Sträuße und einen Kranz für sie zu besorgen. Ich habe mich aber geweigert, selbst einen zu tragen.“

„Hätte aber hübsch ausgesehen.“ Annikas Tonfall war missbilligend.

„Nicht zu einem Hosenanzug“, gab Tilda zurück. „Zu einem langen weißen Kleid vielleicht.“

„Dann hättest du ein Kleid anziehen sollen! Es ist eine Hochzeit, Mom!“

„Ihr seht beide fantastisch aus.“ Caleb schaute Annika an. „Die Blumen sind perfekt. Ich bin sehr froh, dass ihr beide sie habt. Gut, dass du darauf bestanden hast.“

„Ich weiß.“

„Annika …“ Tildas Stimme hatte einen warnenden Unterton. „‚Danke‘ wäre die angemessene Antwort gewesen.“

Annika verdrehte die Augen und sah ihn wieder an. „Danke.“

Dann stürzten sich Elaine, Maddie und Ronnie auf Annika und die Kleine wurde mit Küssen und Komplimenten zu ihren schönen Haaren und ihren Blumen überschüttet. So konnten er und Tilda einander ansehen.

„Bist du dir sicher?“, fragte sie. „Du wirkst angespannt.“

„Ich muss erst einmal damit fertigwerden, sie kennenzulernen.“

„Es ist noch nicht zu spät, einen Rückzieher zu machen“, antwortete sie. „Wir haben noch nichts unterschrieben. Nur den Ehevertrag letzte Woche.“

Caleb schüttelte den Kopf. „Wir haben viel zu gewinnen, wenn wir es durchziehen. Wenn du noch dabei bist, bin ich es auch.“

Herbert kam auf ihn zu. „Hallo, Caleb“, begrüßte er ihn unterkühlt.

„Hallo, Herbert.“ Er schüttelte ihm die Hand.

„Du weißt nicht, was für ein Glück du hast“, meinte sein zukünftiger Schwiegervater. „Komm lieber schnell dahinter, und behandle sie besser als beim letzten Mal, sonst bekommst du es mit mir zu tun.“

„Dad, eigentlich führe ich hier gerade ein privates Gespräch mit meinem Verlobten.“

Herbert drehte sich auf dem Absatz um und marschierte zum Eckfenster, um auf die Skyline von Seattle hinauszustarren. Seine Körpersprache strahlte gerechten Zorn aus.

„Tut mir leid“, murmelte Tilda. „Er ist heute ein bisschen emotional.“

„Das würde mir auch so gehen“, gab er zurück.

„In ein paar Jahren erlebst du das auch“, meinte sie. „Ständig wirst du dir Sorgen machen, dass jemand Annika verletzt oder ausnutzt.“

Caleb warf einen Blick auf seine Tochter, die gerade mit Elaine, Maddie und Veronica lachte. „Ich kann es immer noch nicht fassen.“

„Das wirst du nie können“, murmelte Tilda. „Das Staunen hört erst in dem Moment auf, in dem du stirbst, keine Sekunde früher.“

Er lachte auf. „Willst du mir Angst machen?“

„Ich weiß es nicht. Funktioniert es denn?“

Er schüttelte den Kopf und bot ihr den Arm. „Also, was meinst du? Sollen wir es tun?“

Sie hakte sich bei ihm unter. „Auf in die Höhle des Löwen.“

Er lachte. „Bin ich so abschreckend?“

Sie lächelte. „Ich ziehe dich nur auf.“

Caleb hatte damit gerechnet, dass sie schnell die nötigen Worte austauschen und dann eine Reihe von Dokumenten unterzeichnen würden, aber als sie ihre Plätze einnahmen, durchflutete plötzlich Sonnenschein den Raum. Tilda stand ihm gegenüber und musterte ihn mit klaren Augen. Seine Großmutter stand neben der Standesbeamtin. Annika und Herbert hatten sich hinter Tilda aufgebaut. Annika hielt stolz ein kleines Spitzenkissen, auf dem die Eheringe mit ausgefransten alten Bändern festgeschnürt waren. Elaine hatte auch darauf bestanden, Tilda den Verlobungsring zu schenken, den Grandpa Bertram ihr vor sechzig Jahren angesteckt hatte. Ein Opal und Diamanten funkelten an Tildas schlanker Hand.

Herbert starrte Caleb böse an, als wollte er ihm sagen, dass er Tilda ja nicht enttäuschen sollte. Maddie und Ronnie rahmten ihn ein, weil sie sich zu seinen Trauzeuginnen ernannt hatten.

Es ...

Autor

Shannon Mc Kenna
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