Prinzen auf Brautschau - 5 königliche Liebesromane

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DER ITALIENISCHE PRINZ UND DIE TÄNZERIN von JESSICA GILMORE

Auf der Isola dei Fiori hat Posy von ihrer Tante die Villa Rosa geerbt. Auch eine Bucht gehört dazu – wo Posy bei einem abendlichen Bad auf einen unverschämt attraktiven Mann trifft. Zum ersten Mal erfährt sie, was das wirklich ist: atemberaubende, berauschende Hingabe. Sie ahnt nicht, wer ihr geheimer Liebhaber ist: Kronprinz Nico Del Castro, der so schnell wie möglich eine Zweckehe eingehen muss – und seine Braut gefunden hat!

EIN PRINZ FÜR NORAH von VALERIE PARV

Dem Inselreich Sapphan steht eine Traumhochzeit bevor. Der Thronfolger Prinz Philippe will die bildschöne Norah zur Frau nehmen. Allerdings ist die mehr als überrascht: Zwar geht damit für sie ein Traum in Erfüllung– aber er hätte sie ja wenigstens mal fragen können!

EINE BRAUT FÜR DEN PRINZEN von MAISEY YATES

Hochzeitsvermittlerin Jessica soll eine standesgemäße Braut für Prinz Stavros finden. Aber keine der Schönheiten, die sie ihm vorstellt, fasziniert ihn so wie Jessica selbst. Leider ist sie als geschiedene Frau und Bürgerliche absolut nicht die Richtige für sein Land. Und schon bald steht Stavros vor der dramatischsten Entscheidung seines Lebens: Herz – oder Krone?

ENTFÜHRT IN DEN PALAZZO DES PRINZEN von RAYE MORGAN

Heimlich schleicht Isabella sich nachts aus dem kleinen italienischen Dorf zum verbotenen Palazzo. Nur hier wachsen die Kräuter für die berühmte Pasta ihres Restaurants. Plötzlich steht er vor ihr, der geheimnisvolle Prinz Maximilian: ganz in Schwarz, groß, muskulös – und unglaublich anziehend …

EMILY UND DER PLAYBOY-PRINZ von INDIA GREY

Schon einmal wollte der berühmt-berüchtigte Playboy-Prinz Luis die schöne Emily mit allem verwöhnen, was er als Mann zu geben hatte. Damals war Emilys Antwort Nein. Doch jetzt bittet Luis sie, Nanny für seine tanzbegeisterte kleine Nichte zu werden. Ein verlockendes Angebot– auch wenn Emily ahnt: Es ist riskant, ihr Schicksal in die Hände des Prinzen zu legen …


  • Erscheinungstag 06.03.2025
  • ISBN / Artikelnummer 9783751536950
  • Seitenanzahl 631
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
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Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
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Geschäftsführung: Ralf Markmeier
Redaktionsleitung: Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)
Produktion: Jennifer Galka
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© 2017 by Jessica Gilmore
Originaltitel: „A Proposal from the Crown Prince“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 122018 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Gudrun Bothe

Abbildungen: Harlequin Books S.A. / Natasha Nicholson, shutterstock_Shaiith, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 06/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783733710200

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

Posys Wangen schmerzten, aber ihr Lächeln hielt. Sie zuckte mit keiner Wimper, während ein dünnes Schweißrinnsal über ihre Stirn lief und ein anderes quälend langsam entlang ihrer Wirbelsäule den Rücken hinunter. Ihre Muskeln flehten um Gnade, doch sie rührte sich keinen Millimeter – ein Bein gebeugt, einen Arm weit ausgestreckt, den Kopf im Nacken, den Blick starr auf die jubelnde Menge gerichtet.

Standing Ovations! Alle waren auf den Beinen, Bravo-Rufe schallten durchs Auditorium, während üppige Blumenbuketts auf der Bühne abgelegt wurden.

Wie mochte es sich anfühlen, an Darias Stelle zu sein? fragte sich Posy, während die Primaballerina Luftküsse ins ekstatische Publikum warf, im Wissen, dass all der Jubel allein ihr galt. Was für ein Privileg, in einem brandneu inszenierten Ballett zu tanzen, das speziell für eine Person choreografiert worden war und das kritische Londoner Publikum dazu verführte, einem zu Füßen zu liegen.

Daria und sie hatten vor Jahren zusammen in der Ballettschule angefangen, als einzige Elevinnen ihres Jahrgangs, die es in die Company geschafft hatten. Und jetzt stand Daria vorn auf der Bühne, während sie selbst in der Balletttruppe im Hintergrund tanzte.

Aber sie würde die Hoffnung nicht aufgeben, bevor die Prüfungsergebnisse bekannt gegeben wurden. Vielleicht war sie in diesem Jahr ganz vorn mit dabei und bekam ein paar kleinere Solorollen. Und damit möglicherweise die Chance, zur Primaballerina aufzusteigen und so weiter und so weiter … bis zur Theaterchefin.

Aber mit Vierundzwanzig, fünf Jahre nach ihrem Abschluss an der Akademie, würde es mehr als nur ein Quäntchen Glück erfordern.

Andererseits … dachte Posy mit zusammengebissenen Zähnen, würden Tausende von Ballettelevinnen alles dafür geben, jetzt an meiner Stelle zu sein. Selbst, wenn der Schweiß wie glühende Lava in ihren geschminkten Augen brannte. Ihr aber reichte es nicht, wie weit sie bisher gekommen war. Sie wollte mehr.

Nachdem der letzte Vorhang endlich gefallen war, hielt Posy sich länger als gewöhnlich im Bühnenhintergrund auf. Ruhig verharrte sie in einer Ecke, während die anderen Tänzer aufgeregt durcheinanderschnatterten. Die Bühnenarbeiter begannen, die Kulissen abzubauen und in der Requisite zu verstauen.

Wie stets nach den Samstagabendvorstellungen herrschte eine ganz besondere Unruhe, voller Erwartung auf wohlverdiente Freizeit, da sonntags kein Unterricht stattfand. So konnten sich auch die Tänzer zwischen die Touristen aus aller Welt mischen, die mit einbrechender Dunkelheit in den Covent Garden strömten, um dort in einem der angesagten Clubs den Tag ausklingen zu lassen.

Aber Posy konnte ihre Entmutigung einfach nicht abschütteln und so wartete sie, bis der Backstage-Bereich sich geleert hatte, bevor sie sich zum Aufbruch rüstete. Als sie die Garderobe erreichte, die sie sich mit anderen Tänzerinnen teilte, war sie verwaist, abgesehen von Make-up und Haarbürsten auf den Tischen vor der Spiegelwand, abgestreiften Strumpfhosen auf dem Boden und Ballettschuhen, die sich in einer Ecke stapelten. Auf einer langen Stange hingen Kostüme, die bis zur nächsten Aufführung gereinigt und repariert werden mussten.

Mit einem Seufzer sank Posy auf ihren Stuhl und mied den Blick in den hell erleuchteten Spiegel. Sie wollte weder das verwischte Bühnen-Make-up sehen noch ihre für gewöhnlich üppige dunkle Haarmähne, die sie seit Jahren als fest gezwirbelten Ballettknoten im Nacken trug. Oder ihre durch hartes Training muskulöse und zugleich hagere Schulterpartie, die ihre Schlüsselbeine prominent zur Schau stellte.

Ihr Make-up juckte und fühlte sich klebrig auf der Haut an, die Schultern schmerzten und die Knöchel waren geschwollen, genau wie ihre Füße.

Doch wie lautete das oberste Gebot? Lächeln und Mühelosigkeit ausstrahlen, auch wenn man das Gefühl hatte, im nächsten Moment ohnmächtig umzusinken. Heute Abend erschienen ihr die Spitzenschuhe besonders eng und die geschnürten Bänder schnitten ihr ins zarte Fleisch. Es dauerte ihr viel zu lange, sie zu lösen, um den schmerzhaften Druck zu lindern. Posy verzog das Gesicht, während sie vorsichtig gequetschte Zehen und überdehnte Fußgelenke bewegte. Normalerweise nahm sie jeden Stich gelassen hin. Normalerweise …

„Du siehst deprimiert aus, Chérie .“

Posy fuhr zusammen. Sie hatte angenommen, dass alle gegangen waren. Bevor sie den Kopf wandte, zwang sie sich zu einem sorglosen Lächeln. „Hallo, Elise“, begrüßte sie ihre französische Kollegin. „Keine Sorge, mir geht es gut. Nur ein kleiner Ende-der-Saison-Blues , wie üblich.“

Ballettlehrer, Choreografen und Solisten standen bereits in den Startlöchern für eine Australientour, nach der sie auseinanderdriften würden, um Gastauftritte in unterschiedlichen Ensembles wahrzunehmen. Für alle, die über keine internationale Reputation verfügten, dehnte sich die Sommerpause entsprechend länger und ereignisloser aus.

Posy füllte die Zwangspause mit Unterrichtsstunden in Sommerschulen, inklusive Extrakursen und nahm auch sonst jeden Job an, der weitestgehend etwas mit ihrer Passion zu tun hatte. Sie wusste, dass sie als angestellte Tänzerin mit festem Gehalt besser dran war als viele andere, trotzdem erschienen ihr die Wochen und Monate ohne ihre übliche Routine irgendwie verloren.

Elise schnalzte leise mit der Zunge und ließ sich anmutig auf dem Stuhl neben Posy nieder. „Also, ich freue mich über den Break , so heißt das doch hier in London, oder?“, fragte die zierliche Französin mit breitem Lächeln. „Ich dachte, dir geht es genauso. Hast du nicht ein eigenes Ferienhaus in Italien?“

Posy hob die Schultern. Sie wusste, dass sie mehr Enthusiasmus wegen der unverhofften Erbschaft ihrer Patentante hätte zeigen müssen, aber ihr letzter Aufenthalt auf der Isola dei Fiori hatte sie ernüchtert. Anlässlich der spontanen Hochzeit ihrer Schwester Miranda, die sie in der Villa Rosa gefeiert hatten, war sie schon überwältigt gewesen – allerdings eher vor Panik als vor Entzücken. Die riesige Villa war früher ein echtes Prunkstück gewesen. Jetzt war der Lack sozusagen ab, der Glanz verblichen, die Bausubstanz zweifelhaft und der Garten sicher immer noch ziemlich verwildert, trotz Immis tapferer Bemühungen. Es würde ein Vermögen kosten, alles instand zu setzen.

Ein Vermögen, das sie nicht besaß.

„Irgendwann in diesem Sommer werde ich bestimmt noch einmal hinfahren, aber momentan ist Imogen dort und ich bin nicht sicher, ob sie auf Gesellschaft aus ist.“ Seltsamerweise war die Villa in den letzten Monaten für ihre drei Schwestern so etwas wie ein Zufluchtsort gewesen. Für sie alle schien es ein Jahr der Neuorientierung zu sein: zuerst für Miranda oder Andie, wie alle sie nannten, dann für Portia und jetzt Immi.

Posy wusste, dass es keinen triftigen Grund gab, warum sie nicht gleichzeitig mit ihrer Schwester in der Villa sein sollte, aber die Jahre in der Ballettschule hatten sie irgendwie zum Außenseiter in ihrer eigenen Familie gemacht.

„Wenn ich ein Haus am Meer hätte, würde ich auf der Stelle dorthin fliegen und wahrscheinlich nie wieder zurückkommen.“ Elise musterte Posy mit scharfem Blick. „Es sei denn, du hast einen ganz bestimmten Grund, weshalb du unbedingt hier rumhängen willst?“

Posy zog umständlich eine Haarnadel nach der anderen aus ihrem Knoten, um Elise nicht ansehen zu müssen. „Ich will lieber in der Nähe bleiben, falls jemand während der Tournee krank wird oder sich verletzt und sie einen Ersatz brauchen. Ich hasse die Vorstellung, meine Chance zu verpassen, nur weil ich mich in der Weltgeschichte herumtreibe.“

„Posy, wie lange tanzen wir jetzt schon zusammen? Drei Jahre?“

Sie schluckte wegen Elises ungewöhnlich ernstem Ton und nickte dann.

„In dieser Zeit wurde keine von uns gebeten, irgendetwas zu zeigen oder zu tun, was uns aus der hinteren Reihe geholt hätte, während Neuzugänge Duette, Solos und Charakterrollen bekommen haben.“

Gequält kniff Posy die Augen zusammen, weil sie die bittere Wahrheit nicht leugnen konnte. „Aber das muss doch nicht bedeuten, dass wir nie …“

„Nicht!“, unterbrach Elise sie scharf. „Tu dir das nicht an. Ich bin jedenfalls nicht Tänzerin geworden, um als dekoratives Hintergrundbild zu fungieren.“

„Was … was meinst du damit?“

„Ich gehe weg. Ich habe mich einer Tanz-Tournee angeschlossen.“

Posy starrte Elise aus aufgerissenen Augen an. „Du willst schäbige Garderoben und Bühnen in wechselnden Kleinstädten gegen die Geschichte und Reputation des London Ballet eintauschen? Warum?“

„Um zu tanzen“, erwiderte Elise schlicht. „Ich bin als erste Solistin engagiert, und kann mit Chance im nächsten Jahr zur Theaterchefin aufsteigen. Im Herbst werde ich die Clara und Aurora tanzen, und wenn ich hart an mir arbeite, vielleicht auch Odette/Odil in Schwanensee. Ich verdiene das. Warum kommst du nicht mit? Ich weiß, dass sie sofort zugreifen würden, wenn du …“

Doch Posy schüttelte abwehrend den Kopf. Sie gehörte hierher und nirgendwo anders. Das war die Bühne, die sie erobern wollte. „Ich kann nicht. Aber ich wünsche dir alles Glück der Welt, wenn es das ist, was du wirklich willst.“

Elise lachte. „Was ich wirklich will, ist ein hübscher Prinz, der mich vor sich auf sein weißes Pferd wirft und von all dem wegholt. Aber da so etwas im wirklichen Leben nicht passiert, will ich wenigstens tanzen. Posy, vergiss nicht, dass da draußen eine ganze Welt existiert, die es vielleicht zu erkunden und zu erobern lohnt. Denk daran, bevor du endgültige Entscheidungen fällst. Aber jetzt kommst du erst mal mit. Es ist Samstagnacht und bei Luigi ist ein Tisch für uns reserviert.“

„Geh schon vor. Ich will mich rasch umziehen und muss noch meine Jacke aus dem Studio holen. Wir sehen uns dann dort, ja?“

„Okay, aber beeil dich. Es tut nicht gut, allein zu sein, wenn die Gedanken kreisen.“

Es gibt eine ganze Welt da draußen. Elises Worte hallten durch Posys Kopf, während sie langsam die Treppe hinaufstieg, die zu den Proberäumen führte, wo sie in den letzten Jahren den Großteil ihrer Zeit verbracht hatte. Ja, es gab diese Welt da draußen, aber das hier war alles, was ihr von dem Moment an vorgeschwebt hatte, als sie zum ersten Mal ihre Ballettschuhe angezogen hatte. Sie hatte Freunde, Romantik, Universitätsstudium … sogar ihre Familie geopfert, um diese Korridore entlangzugehen und in diesen Studios zu proben. Wie könnte sie ihren Traum aufgeben, solange er noch in ihrer Reichweite lag?

Posy hatte erwartet, den Studiotrakt dunkel vorzufinden, doch überall brannten Lichter. Sie blieb stehen, um den vertrauten Raum zu betrachten: die verspiegelten Wände mit den davor angebrachten Übungsstangen, die abgewetzten Sofas vor der Wand mit den riesigen Fenstern mit Blick auf Covent Garden und die Londoner Skyline. Hier hatte sie neun Stunden pro Tag, sechs Tage die Woche verbracht. Hier war sie mehr zu Hause als in ihrem winzigen Schlaf-Apartment, das nur ein paar Straßen entfernt lag.

Posy schnappte sich ihre Jacke, die sie auf einem der Sofas hatte liegen lassen. Plötzlich hatte sie es eilig, aus dem Gebäude und vor ihren schweren Gedanken zu fliehen. Elise hatte recht, in diesem Zustand allein zu bleiben, wäre ein Fehler. Im Luigi’s , vor einem Teller Pasta und mit einem Glas Wein in der Hand, würde es ihr gleich viel besser gehen. Als sie sich umwandte, sah sie zwei Personen im benachbarten Atelier verschwinden und erstarrte, als sie den Ballettmeister Bruno und Marietta Kirotsova, die von allen bewunderte Theaterchefin erkannte. Die beiden waren ins Gespräch vertieft und hatten sie offenbar nicht bemerkt.

Posys Herz klopfte schmerzhaft weit oben im Hals. Das war ihre Chance, quasi auf dem Silbertablett präsentiert …

Sie konnte ihnen folgen und sie fragen, was sie tun sollte, woran sie noch arbeiten könnte und wie sie sich von anderen unterscheiden musste, um endlich ihren rechtmäßigen Platz als Solo-Künstlerin einzunehmen. Noch einmal atmete sie tief durch und versuchte, die aufsteigende Panik in den Griff zu bekommen.

Was sollte schon passieren? Sie konnte mit Kritik und Ablehnung umgehen. Sie hatte sich daran gewöhnen müssen. Aber dies hier könnte zum wichtigsten Moment ihres bisherigen Lebens werden.

„Beweg dich, Posy!“, trieb sie sich zwischen zusammengebissenen Zähnen an, aber ihre Füße gehorchten ihr nicht. Vielleicht war sie doch ein Feigling und wollte lieber weiter hoffen, als zu wissen, dass es keine Hoffnung gab?

Alle unsinnigen Spekulationen verflüchtigten sich, als sie ihren Namen laut und deutlich durch die angelehnte Tür hörte. Sie versuchte, sich bemerkbar zu machen, doch ihre Stimme versagte ihr ebenso den Dienst wie ihre Beine.

„Rosalind Marlowe? Oh, du meinst Posy?“

Das war Brunos Stimme mit dem schweren italienischen Akzent, der sich auch nach Jahrzehnten in London noch nicht gelegt hatte. Posy schluckte mühsam und wünschte sich sonst wo hin.

„Sie tanzt bereits in der fünften Saison hier. Glaubst du, sie ist so weit für einen Solopart?“

Posy hielt den Atem an, kniff die Augen zu und fieberte mit der glühenden Leidenschaft eines kleinen Kindes der richtigen Antwort entgegen, die all ihre Sorgen und Zweifel in einem Handstreich wegwischen würde.

„Nein.“

Damit zerplatzte ihr Traum wie eine Seifenblase.

„Sie ist eine hervorragende Tänzerin, rein technisch gesehen möglicherweise die beste. Ich könnte sie mir eines Tages als Coryphée vorstellen. Außerdem wäre sie eine wundervolle Lehrerin. Aber ihr fehlt das Feuer, die Leidenschaft, die nötig ist, um aus der Reihe zu treten. In einer Charakterrolle würde ihr niemand die Frau abnehmen, die leidenschaftlich geliebt und gelebt hat. Eigentlich schade, aber wie ich bereits sagte, technisch ist sie unübertroffen und eine Bereicherung für …“

Mehr musste sie nicht hören. Irgendwie gewann Posy die Kontrolle über ihre Beine zurück und trat ihren Rückzug in tödlicher Ruhe an. Sie würde niemals eine Solistin sein, niemals im Rampenlicht stehen und sehen, wie ihr das Publikum zu Füßen lag. Und was noch viel schlimmer war, sie würde niemals die Passagen tanzen, die sie so gut kannte und liebte. Würde niemals Julia oder Giselle sein.

Sie hatte versagt …

2. KAPITEL

Würde ihn jemand fragen, hätte Nico frei heraus geantwortet, dass er überall auf der Welt lieber festsitzen würde als hier auf der Isola dei Fiori. Trotzdem versöhnte er sich zunehmend mit seinem Schicksal.

Vielleicht war es dieses weiche Licht eines typisch italienischen Sommerabends, während eine kühle Meeresbrise die Hitze des Tages vertrieb. Und dann der Duft des Jasmins, der sich mit dem salzigen Tanggeruch des Meeres vermischte, oder die grünen Klippen, die sich ins azurblaue Meer zu stürzen schienen, außer an den weißen Sandstränden.

Die Isola dei Fiori mag ja ein Gefängnis sein, aber zumindest ein überwältigend schönes, dachte Nico mit bitterem Lächeln, während er den Pfad in Richtung der Villa Rosa zurücklegte.

Obwohl der unterhalb der Villa liegende Sandstreifen theoretisch jedermann offenstand, wie alle Strände auf der Insel, war er zugleich Eigentum der Krone. Der einzig bekannte Weg dorthin führte durch den verwilderten Garten der verblassenden rosa Villa, die majestätisch am Rande der Klippe thronte. Doch wer die Insel wie seine Westentasche kannte, wusste auch von dem anderen Pfad, der in das versteckte Paradies führte. So wie Nico.

Ob es ihm gefiel oder nicht, jede Wegbiegung, jeder Grashalm und jedes Sandkorn war in seinem Herzen verankert, und gemahnte ihn dadurch unweigerlich an seine Verpflichtungen.

Der geheime Zugang, eher ein Ziegenpfad als ein normaler Weg, lag verborgen zwischen zwei Felsbrocken. Nico starrte auf das wuchernde Grün, das einen Großteil des Zugangs bedeckte. Wie oft war er mit Alessandro hier runtergejagt und häufig genug auch bis zum weißen, warmen Strand hinuntergerollt und hatte sich Stunden später zerkratzt und sonnenverbrannt wieder von ihrem verbotenen Abenteuer zurückgeschlichen …

Seine Augen brannten. Nein, er würde jetzt nicht an Alessandro denken. Aber das war schwer, wenn nicht unmöglich, da jeder Stein, jeder Halm und Baum eine wehmütige Erinnerung an ihn bedeutete, die ihm tief ins Herz schnitt. Zwei Jahre hatten den Schmerz nicht lindern können.

Grimmig beschleunigte er seine Schritte, als könnte das Adrenalin, das jetzt durch seine Adern strömte, die dumpfe Trauer hinwegspülen. Es schien tatsächlich zu funktionieren, weshalb Nico das Tempo noch beschleunigte und halb stolpernd, halb fallend den Strand erreichte, wo er augenblicklich die Schuhe von den Füßen schleuderte, um den warmen Sand auf der bloßen Haut zu spüren.

Seit seinem letzten Besuch hier war mehr als ein Jahrzehnt vergangen und nichts schien sich verändert zu haben. Auch wenn er in der Zwischenzeit zu den aufregendsten Plätzen der Welt gejettet war, an einem Abend wie diesem war der Zauber dieser versteckten kleinen Bucht schwer zu schlagen. Geformt wie ein Hufeisen, schmiegte sie sich im anmutigen Bogen um zerklüftete Felsen. Die Wellen rollten sanft ans Ufer, und Nico erinnerte sich daran, dass man eine gewisse Strecke im seichten Wasser zurücklegen musste, bevor es tief genug zum Schwimmen war.

Da die Felsen eine natürliche Barriere vor der erfrischenden Sommerwindbrise bildeten, war es hier unten sehr heiß. Sein T-Shirt klebte am Körper. Nach einem Blick übers azurblaue Meer glaubte Nico das Wasser bereits auf seiner erhitzten Haut zu spüren. Nach der sengenden Tageshitze musste es eine angenehme Temperatur haben.

Nicht, dass Alessandro oder er früher auch nur einen Gedanken auf derartige Nebensächlichkeiten verschwendet hätten, wenn sie sich frühmorgens, nachts oder auch mitten im Winter in die Fluten gestürzt hatten. Im Sommer waren Strand und Meer ihr liebster Spielplatz gewesen, bis Alessandro in seine Aufgaben hineingewachsen war und ihre Kindheit als ferne, sehnsuchtsvolle Erinnerung hinter ihnen gelegen hatte.

Nico seufzte und straffte sich. Jetzt war es an ihm, diese Bürde zu schultern und seine Verantwortung so ernst zu nehmen, dass ihm kaum Zeit für abendliche Bäder im Meer bleiben würde. Eigentlich schon jetzt nicht. Das Vernünftigste wäre es, kehrtzumachen und nach Hause zu gehen.

Er ballte die Hände zu Fäusten. Nein, ab sofort würde er ein Leben lang vernünftige Entscheidungen fällen müssen, seine Pflichten immer an die erste und sich selbst an die letzte Stelle stellen. Der heutige Abend gehörte noch ihm allein, in Erinnerung an zwei Jungen, die sich früher heimlich von Traditionen und Verantwortungen davongestohlen hatten, um im Mondschein zu baden.

Sein Körper übernahm die Regie, während sein Verstand noch zögerte. Keine Minute später lagen das verschwitzte T-Shirt, Shorts und Boxershorts als zusammengeknüllter Haufen im Sand, während er splitterfasernackt mit ausgebreiteten Armen in Richtung Meer sprintete.

Kaum, dass er die Wasserkante erreicht hatte, fragte sich Nico, ob die spontane Idee wirklich so brillant gewesen war, wie er geglaubt hatte. Wenn ihm heimlich Paparazzi gefolgt waren und sich nun irgendwo im Verborgenen die Hände rieben und ihre Kameras schussbereit hielten?

Doch bereits in der nächsten Sekunde schüttelte er sämtliche Skrupel ab. Wenn sich diese Schmeißfliegen tatsächlich so unternehmungslustig zeigten, hatten sie das Foto ihres Lebens irgendwie auch verdient, oder?

Die Vorstellung, wie sein Onkel reagieren würde, entlockte Nico ein Grinsen. So gesehen würde es sich fast lohnen …

Das Wasser war genauso belebend, wie er es sich erhofft hatte. Die Wellen nicht zu hoch, die Temperatur zunächst angenehm warm, später äußerst erfrischend, sobald er weiter hinausschwamm. Nico durchpflügte das kühle Nass mit kräftigen Schwimmstößen. Als er sich irgendwann auf den Rücken drehte und zurückschaute, war der Strand nur noch ein dünner heller Streifen.

Eine Zeit lang ließ er sich träge von den Wellen schaukeln, blinzelte in die langsam versinkende Sonne und genoss die letzten warmen Strahlen auf seiner salzigen Haut. Fast unmöglich, sich vorzustellen, dass derart paradiesische Momente bereits ab morgen der Vergangenheit angehören sollten. Stattdessen erwartete ihn eine streng geregelte Existenz hinter Palastmauern, gespickt mit altbackenen Zeremonien und Pflichten, die ihn rund um die Uhr in Anspruch nehmen würden.

Wozu, früher oder später, auch die passende Ehefrau gehören würde, samt zu gründender Familie …

Ein erschreckender Gedanke, der seine gute Laune blitzartig sinken ließ.

Nicos Schwimmbewegungen in Richtung Ufer fielen nicht weniger kraftvoll aus als zuvor, zeugten aber nicht länger von Freiheitsdrang, sondern eher von resignierter Entschlossenheit und dem inneren Kampf gegen einen kaum zu bezwingenden Fluchtinstinkt.

Er suchte das Ufer nach seinem achtlos hingeworfenen Kleiderhaufen ab – und dann sah er sie …

Mit einem unterdrückten Fluch begann Nico, Wasser zu treten, um die veränderte Sachlage besser in Augenschein nehmen zu können.

Sie stand auf der anderen Seite des Felsens, der den hufeisenförmigen Strand in zwei Hälften unterteilte, direkt neben dem Zugang zu einem natürlichen Thermalbad. Ihr Boot war nicht zu sehen, aber es schien ihm, als wäre sie gerade erst an Land gegangen. Wenn er sich vorsichtig bewegte, könnte er vielleicht unbemerkt ans andere Ufer gelangen, sich seine Kleider schnappen und verschwinden, bevor sie ihn überhaupt bemerkte. Oder er blieb so lange im Wasser, bis sie verschwunden war.

Nachdem sein Entschluss gefasst war, musterte er das Mädchen noch einmal, aber sie war zu weit weg, als dass er ihre Gesichtszüge erkennen konnte. Eine schmale, zierliche Gestalt mit einer Fülle dunkler Locken, die Arme vor der Brust verschränkt. Sie spazierte an der Wasserkante entlang und starrte auf den Boden. Alles an ihr sprach von Bedrückung, ja, Verzweiflung und rührte etwas in ihm an, gegen das er sich nicht wehren konnte. Vielleicht, weil er ähnlich empfand?

Gerade hatte er beschlossen, doch heimlich an Land zu waten, da richtete sie sich auf, strich sich die dunkle Haarflut mit einer graziösen und gleichzeitig dramatisch anmutenden Geste aus dem Gesicht und vollführte eine anmutige Pirouette nach der anderen.

Eine geheimnisvolle Strandnixe bei ihrem Abendritual …

Nico spürte, dass er Zeuge einer sehr intimen Szene geworden war, brachte es aber nicht fertig, den Blick abzuwenden. Gefangen von der unbewusst präsentierten Grazie, mit der sie ihr weißes leichtes Kleid über den Kopf zog und es wie ein Blütenblatt zu Boden fallen ließ, hielt er unbewusst den Atem an.

Jetzt war es zu spät, um sich unbemerkt davonzustehlen.

Sie trug keinen BH und es dauerte weniger als zwei Sekunden, bis sie ihren winzigen Slip abgestreift hatte, um mit der gleichen Grazie ins Meer zu steigen, mit der sie sich zuvor ihrer Kleidung entledigt hatte. Sie musste auf jeden Fall eine Nixe oder Sirene sein. Und er war – wie Odysseus – zu fasziniert und bezaubert von diesem Wunderwesen, um sich zurückzuziehen.

Jetzt konnte er nur noch abwarten und darauf hoffen, dass sie ihn nicht sah. Eine vergebliche Hoffnung, das wusste Nico, als sie plötzlich mitten in der Bewegung erstarrte, von einer vorwitzigen Welle erfasst wurde und erschrocken nach Luft schnappte.

Mein Stichwort! dachte er mit grimmiger Befriedigung und schwamm langsam auf sie zu. Aber nicht zu nah, um sie nicht noch mehr zu beunruhigen, als er es offensichtlich bereits getan hatte.

„Perfekter Abend für ein Bad im Meer.“

Wenn Blicke hätte töten können, wäre er jetzt Haifischfutter. „Das ist Privatbesitz.“

„Was? Das Meer?“, spottete Nico und begegnete lächelnd dem empörten Blitzen in den dunklen, sprechenden Augen. „Und du bist Poseidons Geliebte, die ihren Anspruch über Wasser und Wellen geltend macht?“

Posy schluckte. „Der Strand … er ist privat.“

„Ist er nicht, wie du sehr wohl weißt, meine kleine Nixe“, korrigierte er sie im Konversationston. „Er ist Eigentum der Krone und steht allen offen. Und selbst, wenn es nicht so wäre, bist du keine Del Castro .“ Seine Zuversicht war nicht gespielt, da er naturgemäß jeden Ableger des verzweigten königlichen Stammbaumes kannte.

„Aber es gibt nur einen Weg, der nach unten zum Strand führt, und der ist in Privatbesitz“, trumpfte Posy wenig beeindruckt auf. „Und ich weiß, dass du nicht mit dem Boot hierhergekommen bist.“

„Man findet immer einen zweiten Weg, wenn man entschlossen ist und weiß, wo man suchen muss“, konterte er amüsiert.

„Haben Sie mich etwa beobachtet?“, fragte Posy, plötzlich verunsichert.

„Nicht absichtlich“, gestand Nico mit schiefem Lächeln. „Der Strand war leer, als ich hier ankam, also bin ich es, der sich beschweren müsste. Denn du bist in meine Privatsphäre eingedrungen, kleine freche Nixe.“

Sein Lächeln und der neckende Tonfall waren an sie verschwendet. Die fein geschwungenen dunklen Brauen wanderten nach oben und die Mundwinkel herunter. „Ein Gentleman hätte sich bemerkbar gemacht.“

„Aber ich bin kein Gentleman, frag meinen Onkel.“ Ihre unnachahmliche Grazie, die sie immer noch wie ein unsichtbarer Mantel umgab, faszinierte ihn. „Außerdem gibt es einen triftigen Grund, warum ich mich nicht unbedingt bemerkbar machen wollte. Ich habe nämlich nicht mehr an als Sie.“ In diesem speziellen Moment erschien ihm die gesetzte Anrede durchaus angemessen.

Posy presste die Lippen zusammen und warf mit einer stolzen Geste den Kopf in den Nacken. „Ich denke, es ist an der Zeit, dass Sie sich zurückziehen, Sir !“

„Nicht, wenn Sie mir dabei zusehen, Miss .“

Sie starrte ihn an, mit brennenden Wangen und funkelndem Blick. „Glauben Sie mir, ich habe schon ziemlich alles gesehen.“

Nico grinste breit. „Wie es aussieht, stecken wir in einer Zwickmühle“, sagte er und schwamm langsam näher. Hätte diese vorlaute Nixe echte Wut oder Angst gezeigt, wäre er mit einer Entschuldigung davongeschwommen, aber irgendetwas verriet ihm, dass sie dieses kleine Intermezzo ebenso genoss wie er.

Sie schien jünger zu sein, als er auf den ersten Blick hin vermutet hatte, etwa Mitte Zwanzig. Sie hatte einen makellosen hellen Porzellanteint, der im geradezu dramatischen Kontrast zu den dunklen Augen und dem nachtschwarzen Haar stand.

Keine klassische Schönheit, aber ein fesselndes Gesicht, das von Ernsthaftigkeit und einer gewissen Würde sprach, die einen geradezu zwangen, ein zweites Mal hinzuschauen. Oder noch öfter.

„Also, du und ich hier im Wasser, unsere Kleider da hinten am Strand. Ich bin nicht sicher, wie unser nächster Schritt …“ Nico ließ die Frage offen, obwohl er sehr genau wusste, was er jetzt am liebsten täte: nämlich weiter in ihre Richtung zu schwimmen, um zu sehen, ob ihre Augen vor Verlangen noch dunkler würden, wenn er ihre anbetungswürdigen Lippen küsste.

Einfach nur, um zu vergessen, dass man ihm morgen eine Liste geeigneter Frauen präsentieren würde, aus denen er eine auswählen sollte, als handele es sich um ein neues Handy oder etwas ähnlich Profanes.

Noch ein letztes Mal wollte er sich an jemanden verlieren, den er selbst erwählt hatte. Eine letzte Nacht in Freiheit, voller Leidenschaft und Ekstase.

Posy hätte empört sein müssen, schockiert oder sogar ängstlich. Auf jeden Fall sollte sie vorsichtig sein. Dieser Mann hatte sie beobachtet und war offenbar gezielt hierhergekommen, um in ihre Privatsphäre einzudringen. Und anstatt sich mit einer Entschuldigung zurückzuziehen und sie ihrem abendlichen Bad zu überlassen, starrte er sie an, als wolle er sie …

Sie schauderte, aber nicht vor Angst oder Panik, sondern wegen des wohligen Kribbelns in ihren Armen und Brüsten. Verzweifelt trat sie Wasser und rang um Fassung. „Unser nächster Schritt?“, fragte sie eine Spur zu hoch und räusperte sich vorsichtshalber. „Es gibt keinen … kein unser , meine ich. Sie schwimmen zurück zu Ihrem Kleiderhaufen und ich zu meinem und keiner von uns beiden dreht sich nach dem anderen um. Verstanden?“

Sein Lächeln, oder besser unverschämtes Grinsen wurde noch breiter, wenn möglich. „Wenn du darauf bestehst, meine zauberhafte Nixe.“

„Ich bin nicht …“ Sie brach ab und biss sich auf die Unterlippe.

„Aber wie sonst sollte ich ein Zauberwesen sonst nennen, das selbstvergessen am Ufer tanzt, bevor es sich nackt in die Fluten stürzt? Eine Meerjungfrau? Eine Sirene? Oder bist du eine Selkie und legst dein Robbenfell nur für eine Nacht ab, um einen armen anfälligen Mann, der deiner betörenden Schönheit verfällt …“

„Dann nennen Sie mich schon lieber Posy“, stoppte sie ihn schnell.

„Freut mich aufrichtig, deine Bekanntschaft zu machen, Posy“, schwenkte er sofort um. „Ich bin Nico.“

„Ich wünschte, ich könnte das Gleiche behaupten“, knurrte sie ungnädig. „Aber gerade heute wollte ich lieber allein sein.“

„Ich auch“, entfuhr es ihm so spontan und aufrichtig, dass sich ihre Augen unmerklich weiteten. Nico lächelte schwach. „Dies ist der perfekte Ort dafür, nicht wahr? Ich habe hier wirklich niemanden vermutet, sonst hätte ich ganz sicher eine Badehose mitgenommen.“

„Ja.“ Posy wusste gar nicht, in welchem Punkt sie ihm damit zugestimmt hatte, aber irgendwie sprach der seltsame Fremde ihr aus der Seele. „Also gut“, verkündete sie resolut. „Jetzt, da wir uns einander vorgestellt haben, können wir dieses improvisierte Treffen auch beenden. Sie da lang, ich hier …“

„Okay, ich hoffe, du findest noch, weshalb du heute Abend hergekommen bist, Posy …“ Er hielt kurz inne und umfasste sie mit einem warmen Blick, ehe er elegant abtauchte und erst nach einer langen Strecke unter Wasser wieder an die Oberfläche kam und auf den Strandteil zuhielt, wo seine Kleider lagen.

Wie paralysiert starrte Posy ihm hinterher und erhaschte einen flüchtigen Eindruck von trainierten Muskeln unter bronzefarbener Haut … bevor sie sich zusammenriss und selbst auf den Weg machte. Wie gut sich das kühle Wasser auf ihren brennenden Wangen anfühlte!

Perfekt geformte männliche Körper waren ihr naturgemäß nicht fremd, schließlich verbrachte sie den Großteil ihrer Zeit in Gesellschaft wohlgebauter Tänzer in hautengen Lycra-Anzügen. Sie war daran gewöhnt, von ihnen gehalten, getragen und herumgewirbelt zu werden, die Hände ihrer Partner demonstrativ besitzergreifend überall auf ihrem Körper zu spüren. Außenstehende würden niemals nachvollziehen können, dass sie keinen einzigen Gedanken an Sex verschwendete, wenn ihr Partner seine Hand zwischen ihre gespreizten Schenkel schob. Der Körper eines Tänzers war so etwas wie öffentliches Eigentum.

Sie war an Nacktheit gewöhnt und daran, sich selbst ohne Scheu nackt zu präsentieren … oder wenigstens so gut wie nackt.

Daher irritierte Posy ihre starke Reaktion auf die Blöße des ungebetenen Eindringlings umso mehr. Dabei hatte sie so gut wie gar nichts zu sehen bekommen, was sie nur noch mehr verunsicherte und ihr Verhalten absurd erscheinen ließ.

Sie hatte sich wie eine Närrin aufgeführt! Warum war sie nicht gleich umgekehrt, als sie ihn bemerkt hatte? Sie konnte sich glücklich schätzen, dass dieser Nico kein Sittenstrolch war, der sonst was im Sinn hatte …

Posy erstarrte. Wer sagte ihr denn, dass er nicht nur zum Schein auf ihren Vorschlag eingegangen war, um sie in Sicherheit zu wiegen, und jetzt irgendwo versteckt am Strand oder an der Grotte auf sie lauerte?

Unsinn! Er war auf die andere Strandseite zugesteuert und hatte nicht einmal in ihre Richtung geschaut. Und sie war kein bisschen enttäuscht darüber …

Sie hatte gehofft, sich mit einem abendlichen Spaziergang und einem Bad im Meer von ihrer schier endlosen Fragen- und Problemliste ablenken zu können. Unverhofft musste Posy kichern, was in einem nervösen Schluckauf endete. Funktioniert hatte ihr Plan, wenn auch anders als gedacht. In den letzten zehn Minuten hatte sie nicht einen Gedanken an unbezahlte Rechnungen oder ihre nebulöse Zukunft verschwendet.

Der private Aufgang zur Villa Rosa führte an einer Grotte vorbei, hinter der ein natürlicher Felsenpool lag, den eine heiße Quelle speiste. Der Pool mochte als eine besondere Sehenswürdigkeit auf der Isola dei Fiori gelten, verbunden mit einer romantischen Sage um Poseidon und eine seiner heimlichen Geliebten. Doch Posy hätte die Legende liebend gern gegen ein dichtes Dach, einen neuen Boiler oder eine funktionierende Telefonleitung eingetauscht. Ganz zu schweigen von den Rechnungen, die in den nächsten Monaten fällig würden.

Sie versuchte, das Gedankenkarussell zu stoppen, ehe sie von Panik überwältigt wurde. Ihre Brust fühlte sich so eng an, dass sie kaum Luft bekam. Bleiben oder gehen? Was tun, wenn ich nicht mehr tanzen darf? Wer oder was bin ich ohne mein geliebtes Ballett? Warum sollte ich ohne Ballett überhaupt noch jeden Tag aufstehen?

„Posy? Alles in Ordnung mit dir?“

Es dauerte eine Weile, bis die männliche Stimme den grauen Nebel durchdrang. Sie schaute auf, und Nico direkt in die Augen. Er stand immer noch auf seiner Seite des Felsenbogens und wirkte ernsthaft besorgt. Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Ja, danke, alles bestens.“

Nico rührte sich keinen Millimeter. „Warum überzeugt mich das nicht?“

Posy bemühte sich, ihre verkrampfte Haltung zu lockern und machte ein strenges Gesicht. „Was ist mit dem vereinbarten Rückzug, ohne sich umzuschauen?“

„Ich wollte nur sicher sein, dass es dir gut geht. In diesen einsamen Buchten treibt sich gern Gesindel herum“, behauptete er dreist.

Sie sollte endlich gehen. Sie wollte es auch, aber irgendwie kam sie nicht in Gang. „Wie rücksichtsvoll von dir …“, murmelte sie schwach. „Nochmals danke.“

„Ich bin eben ein ritterlicher Typ.“ Die Sonne war hinter ihm nahezu untergegangen und tauchte ihn und die ganze Welt in ein rosarotes Licht. Oder lag es an dem Zauber dieser kleinen verwunschenen Bucht, dass der dreiste Eindringling Posy plötzlich als ihr persönlicher fürsorglicher Ritter erschien?

Er war größer als gedacht, schlank, aber offensichtlich durchtrainiert, was seine Haltung und die definierte Arm- und Beinmuskulatur belegten. Das dunkle Haar, noch nass vom Bad im Meer, reichte ihm fast bis in die Augen, die vor nahezu schamlosem Selbstvertrauen und unverhohlenem Begehren funkelten.

Sich kaum bewusst, was sie tat, rückte Posy näher an ihn heran, während sich Nico immer noch nicht vom Fleck rührte. Gleichzeitig verfolgte er aufmerksam jeden ihrer Schritte.

Posy war es gewohnt, sich anmutig und kontrolliert zu bewegen, doch jetzt wusste sie nicht, wohin mit ihren Gliedmaßen. Ihr Körper war ihr plötzlich fremd.

Von ihm kannte sie nur den Vornamen. Nein, das war nicht ganz richtig. Sie wusste, dass auch er Ruhe und Abgeschiedenheit am Strand gesucht hatte … und dass sie einfach nicht ihren Blick von ihm losreißen konnte. Mit jeder Faser ihres Körpers zog es sie unwiderstehlich zu ihm hin. Sie war ein Bewegungsmensch, eine Tänzerin aus Leidenschaft und hungerte nach Berührung, verzehrte sich nach der Vereinigung mit einem Partner, in einem Rausch, wo alle Körperteile zum richtigen Zeitpunkt an der exakt richtigen Stelle platziert wurden, wie nach einer unsichtbaren Choreografie höchster Ekstase.

Das hatte sie zumindest bis vor Kurzem von sich selbst geglaubt.

Doch so war es nicht. Ihren Körper und ihre Seele ihrer Kunst zu opfern, hatte sich gerächt. Sie war hoch geflogen und tief gefallen …

Was hatte sie mit anhören müssen? Sie hat kein Feuer, keine Leidenschaft. Die unleugbare Wahrheit hinter den harten Worten verletzte sie am meisten.

Posy versuchte, die aufsteigenden Tränen wegzublinzeln. Vor der untergehenden Sonne glich Nico einem personifizierten Feuergott – Mars, der auf die Erde gekommen war, um sie zu retten. Konnte er sie mit seinem Feuer berühren? Sie wärmen und zum Leben erwecken?

Posy wagte einen weiteren Schritt, während Nico lässig am Felsenbogen lehnte und sie beobachtete. Sie schluckte heftig und fuhr sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen. „Nicht zu ritterlich, hoffe ich …“

Sein Blick hielt ihren gefangen. „Hängt von den Umständen ab.“

„Wenn ich tatsächlich eine Selkie wäre, würdest du auf meine Robbenhaut aufpassen, nur für diese eine Nacht …“ Damit spielte sie auf eine Sage in der schottischen Mythologie an, in der verliebte Männer die wunderschönen Meeresnymphen versuchten an sich zu binden, indem sie ihre Robbenhaut versteckten, ohne die sie nicht ins Meer zurückkehren konnten.

„Ich würde eine Selkie nie hintergehen, weil ich möchte, dass sie allein aus freiem Willen zu mir kommt und vielleicht bleibt …“

„Würde sie?“

„Ich glaube schon.“

Noch ein weiterer Schritt. Jetzt war sie nah genug, um das Begehren in seinen Augen zu sehen, das seine zur Schau getragene Lässigkeit Lügen strafte. Der zuckende Muskel auf der dunklen Wange war ein weiteres Indiz dafür. Er wollte sie.

„Das denke ich auch … aber nur für eine Nacht.“

Er nickte, weil er sie verstand. „Ein wildes Geschöpf kann man nicht zähmen.“

Seit sie denken konnte, hatte das Ballett die erste Stelle in ihrem Leben eingenommen. Die wenigen Affären, auf die sie sich eingelassen hatte, waren im Vergleich zu ihrer angestrebten Karriere bedeutungslos gewesen. Bruno mochte der Meinung sein, dass es ihr an Leidenschaft fehlte, aber alles, was ihr zur Verfügung stand, was sie bewegte und antrieb, hatte sie in ihre Arbeit investiert. Sie war ihr zugleich Steckdose zum Aufladen wie Ventil gewesen.

Ohne diese körperliche Auslastung wusste Posy nicht wohin mit ihrem Überdruck an Emotionen. Sie hatte gehofft, im Meer zu schwimmen, könne Abhilfe schaffen, aber sie hatte sich getäuscht.

Vielleicht konnte Nico ihr helfen, wenn sie ihn ließ.

Wenn sie es sich selbst gestattete.

Aber Posy Marlowe ging normalerweise nicht nackt baden. Und noch weniger ließ sie sich auf heiße Flirts mit fremden Männern im Meer oder am Strand ein. Niemals würde sie freiwillig ihr Kleid ausziehen und nackt vor einem völlig Fremden stehen, während die Sonne am Horizont ins Meer tauchte, und das einzige Geräusch die Wellen waren, die ans Ufer rollten.

Mit zitternden Händen zerrte sie an dem feuchten Baumwollstoff, ließ das Kleid auf den Sand fallen und hob schüchtern den Blick, als sie hörte, wie er scharf Luft holte. „Vielleicht gelingt es dir ja doch, es für einen Abend zu zähmen?“

„Nicht zu zahm, hoffe ich“, brachte er heiser hervor, trat aus dem Torbogen und suchte in ihrem aufgelösten Gesicht und den dunklen Augen nach Aufklärung. Als sie voller Ungeduld ihre Hand auf seine Brust legte und sachkundig und voller Neugier die Konturen seiner Muskeln nachzeichnete, gab er leise lachend auf und zog sie an sich.

Und dann versank die Welt für Posy in einem leidenschaftlichen Kuss und sie gab sich ganz Nicos kundigen, erfahrenen Händen hin, die sie in Sphären entführten, die ihr bislang verschlossen geblieben waren.

Nur für eine Nacht …

3. KAPITEL

Nico verbeugte sich leicht in Richtung seines Onkels, bevor er aus dem Thronsaal flüchtete, eisern darum bemüht, seine Gesichtszüge zu kontrollieren. In der Vergangenheit hatte er seinem Temperament zu oft freien Lauf gelassen, und gebracht hatte es ihm nichts.

Wenn König Vincenzo der Fünfte zu etwas entschlossen war, konnten weder Logik noch Vernunft etwas dagegen ausrichten. Früher hatte sich Nico um die Wünsche und Anordnungen seines Onkels einfach geschickt herumlaviert, doch inzwischen war die Sachlage wesentlich komplizierter.

„Verdammt, Alessandro …“, murmelte er leise vor sich hin, während er durch die schwere Doppeltür hinausstrebte. „Du konntest so viel besser mit ihm umgehen als ich.“

Die Wächter, die auf beiden Seiten der offenen Türen im vollen Ornat ihrer lächerlich pompösen und viel zu heißen Uniformen Wache standen, verrieten mit keinem Wimpernzucken, ob sie gehört hatten, wie er seinem Unmut Luft machte. Vielleicht sollte er bei ihnen Unterricht nehmen.

Die Eingangshalle war breit genug für zwei Luxuskarossen, die hier mit Leichtigkeit nebeneinander hätten fahren können, die gewölbte Decke so hoch wie der Himmel und der Marmorboden derart poliert, dass Nico bezweifelte, ob er je einer Sicherheits- oder Risikobewertung unterzogen worden war.

Als kleine Jungs hatten Alessandro und er hier unter den missbilligenden Blicken ihrer Vorfahren, die von den riesigen Porträts auf sie hinunterschauten, waghalsige Schlitterpartien unternommen. Ungeachtet der zierlichen Tischchen und antiken Stühle mit den spindeldürren Beinen, die überall herumstanden.

In regelmäßigen Abständen waren diskret verkleidete Türen in die kunstvolle Holzvertäfelung eingelassen worden, durch die man in Büros, Veranstaltungsräume und andere Gemächer gelangte, die keinem bestimmten Zweck dienten.

Ihm selbst standen, als Büro oder um Meetings und Audienzen abzuhalten, mehrere Räume zur Verfügung. Daneben gab es noch ein privates Domizil im Westflügel. Zumindest hatte man nicht versucht, ihm Alessandros Suite zu geben. Es fiel ihm schon schwer genug, sich in der formellen, seelenlosen Umgebung zu bewegen, ohne ständig an seinen Cousin denken zu müssen.

Nicht, dass er sich hier je wohlgefühlt hätte. Dafür musste er zu oft allein in der kalten Pracht der Familiensuite bleiben, während seine Eltern nach Paris, London oder New York gejettet waren. Und selbst, wenn sie im Palast waren, schienen sie ihn kaum wahrzunehmen, zu sehr damit beschäftigt, die Privilegien ihres luxuriösen Lebensstils zu genießen, um sich zu etwas so Banalem wie privaten Familienmahlzeiten herabzulassen oder mit ihrem kleinen Sohn zu spielen.

Zum Glück hatte seine Großmutter ihn zu ihrem Liebling erklärt – und er selbst seinen zwei Jahre älteren Cousin Allessandro geradezu vergöttert. Sie waren ihm die Familie, die er gebraucht hatte. Und jetzt war der eine gegangen und die andere würde auch irgendwann nicht mehr da sein.

„Euer Hoheit?“

Es dauerte ein paar Sekunden, bevor er die respektvolle Anrede und den Titel auf sich bezog. Widerstrebend blieb er stehen, um der Palastangestellten Gelegenheit zu geben, ihn einzuholen.

„Euer Hoheit …“, keuchte sie noch einmal atemlos und schwankte auf ihren absurd hohen Absätzen. Jeder im Palast kleidete sich, als würde er aufgrund seiner Optik beurteilt. Konservativ geschnittene dunkle Anzüge und Kostüme standen nach der unausgesprochenen Palast-Uniform-Regel besonders hoch im Kurs.

Nicos eigene verblichene Jeans zum lässigen Leinenhemd standen dazu im herben Kontrast.

Ihre Hoheit möchte Sie bei nächster Gelegenheit sehen.“

Was so viel bedeutete wie auf der Stelle . Seine Großmutter war auf ihre eigene Weise ebenso stur wie sein Onkel. „Danke.“

Die Palastangestellte zögerte. Offenbar hatte sie Order, ihn direkt dorthin zu begleiten, doch Nico dachte nicht daran, sich vorführen zu lassen, nicht einmal von Graziella del Castro, der Dowager Queen , was so viel wie Königinwitwe bedeutete.

„Ich mache mich gleich auf den Weg.“

Die Frau nickte zögernd und zog sich mit einem energischen Stakkato ihrer hohen Absätze zurück, was er wohl als eine Art Rüge betrachten durfte.

Nico seufzte leise und ärgerte sich bereits über seine armselige Mini-Revolution. Er war ja gar nicht wütend auf seine Großmutter … nicht einmal auf seinen Onkel. Es war einfach Schicksal.

Ein Schicksal, das ihm seinen Cousin entrissen hatte und ihm eine Zukunft bescherte, wie er sie nie haben wollte.

Mit einem unterdrückten Fluch kehrte er um und holte die Palastangestellte mit wenigen Schritten ein. „Keine Sorge, ich werde jetzt direkt hingehen.“

Sie stutzte und nickte, aber Sorgen hatte sie sich bestimmt nicht gemacht. Das taten Palastangestellte nie, oder sie ließen es sich zumindest nicht anmerken.

Wie ihr Sohn, der König, und Nico selbst, hatte seine Großmutter zwei Suiten. Einmal ihre formalen Empfangs- und Geschäftsräume im Hauptteil des Palastes und zusätzlich ihre eigene private Suite im Westflügel, bestehend aus Schlafzimmer, Esszimmer, Arbeitszimmer und Salon.

Bis vor einem Jahr war sie tagsüber für gewöhnlich im Erdgeschoss zu finden gewesen. Entweder sie saß an ihrem antiken Schreibtisch oder kerzengerade auf dem thronähnlichen Stuhl in ihrem Empfangssalon und verweigerte eine langsamere Gangart, obwohl ihr siebzigster Geburtstag schon ein paar Jahre zurücklag. Aber nach Allessandros Tod verbrachte sie mehr und mehr Zeit in ihren privaten Räumen.

Und dorthin war Nico unterwegs, die breite Marmortreppe hinauf, weiter durch eine Balkongalerie, die auf beiden Längsseiten die Thronhalle flankierte, ehe er vor der eher unscheinbaren diskreten Tür stand. Zumindest hätte sie das sein können, wenn sie nicht von uniformierten und bewaffneten Soldaten bewacht worden wäre.

Der großzügige Korridor, in den man gelangte, war nicht so prachtvoll gestaltet wie im unteren Geschoss, doch obwohl Nico Farben wie Altrosa und Creme eher ablehnend gegenüberstand, erschien es ihm als geradezu erfrischender Kontrast zu dem pompösen Gold und Purpur im öffentlichen Teil des Palastes.

Kaum eine Minute später klopfte er an ihre Tür.

„Bitte einzutreten.“

Er tat wie geheißen, ging auf seine Großmutter zu, deutete eine elegante Verbeugung an und zog ihre schmale welke Hand an seine Lippen. „Euer Gnaden …“

„Versuch nicht, mir Honig um den Bart zu schmieren“, warnte sie ihn wenig damenhaft.

Nico lächelte und bedachte die fragile und zugleich eindrucksvolle alte Dame mit einem liebevollen Blick. Das silberne Haar trug sie zum gewohnten französischen Chignon aufgesteckt, ihre Kleidung war wie immer elegant, mit einem gewissen Schick. Doch unter den müden Augen lagen dunkle Schatten, die sein Lächeln schwinden ließen.

Kein Wunder, da sie innerhalb von nur fünf Jahren ihren Mann, den jüngsten Sohn und ihren Enkel begraben hatte.

Der Herzinfarkt seines Großvaters war kein wirklicher Schock, da die Warnzeichen seit Jahren nicht zu übersehen gewesen waren. Aber der Tod seines eigenen Vaters durch einen Helikopterabsturz folgte kurz darauf. Dass sie dann auch noch Alessandros unerwarteten tödlichen Zusammenbruch verkraften mussten, hatte nicht nur die Familie, sondern das ganze Insel-Königreich bis ins Innerste getroffen und erschüttert.

Nico konnte es immer noch nicht fassen, dass ein so sportlicher junger Mann wie Allessandro ohne Vorwarnung umfallen und einfach tot sein konnte. Nichts, was er über den sogenannten Sekundentod gelesen und recherchiert hatte, gab ihm darüber ausreichend Aufklärung oder Trost. Schon gar nicht die lapidare Aussage, dass niemand etwas im Vorfeld hätte tun können, um es zu verhindern. Auch er nicht.

Die gesamte königliche Familie litt immer noch unter den schrecklichen Schicksalsschlägen, aber seine Großmutter nahm es am schwersten und schien sich nicht mehr erholen zu können. Nico versuchte, sich seine Sorge um sie nicht anmerken zu lassen.

„Ich wollte dir nur meinen Respekt erweisen“, sagte er weich.

„Hmm …, erweist du ihn auch deinem Onkel gegenüber?“, wollte sie wissen und bedeutete ihm, auf einem steifen Sofa Platz zu nehmen, das rechtwinklig zu ihrem Sessel stand.

Nico folgte brav, indem er sich auf die Kante hockte und aufpasste, dass er nicht vom glatten Satinbezug abrutschte. „Aber sicher …“, behauptete er geschmeidig. „Zumindest habe ich mir Mühe gegeben, ihn nicht in aller Öffentlichkeit bloßzustellen“, korrigierte er sich dann.

„Er hasst Veränderungen, und du weißt das.“

Sie mochte sich weitestgehend in ihre Privatgemächer zurückgezogen haben, trotzdem bekam die Dowager Queen durchaus mit, was im Palast vor sich ging.

„Großmutter, wir haben gar keine Wahl. Die Veränderung wird stattfinden, ob es uns gefällt oder nicht“, argumentierte er in einem Anflug von Ungeduld. „Ist es nicht besser, dass wir die Kontrolle übernehmen, anstatt uns überrollen zu lassen?“

„Aber Touristen, Nico …“ Seine Großmutter hätte nicht angewiderter klingen können. Als hätte er vorgeschlagen, direkt neben dem Palast ein Kernkraftwerk zu errichten. „Mit all diesem Lärm und Rummel, den sie machen, mit ihren Shorts und sonderbaren Essensgelüsten. Das passt einfach nicht zu uns.“

„Es hängt von den Touristen ab.“ Dasselbe hatte er schon versucht, seinem Onkel zu erklären. Nico holte tief Luft, bevor er seine einstudierte Rede zum zweiten Mal vom Stapel ließ. „Es gibt ja längst Touristen, die aus eigenem Antrieb auf die Isola dei Fiori kommen, weil wir hier anders sind. Sie suchen Ruhe und Erholung, wollen schwimmen, wandern und die unverfälschte Natur genießen. Und genau diese Klientel müssen wir gezielt ansprechen. Weder wollen noch können wir mit den typischen Mittelmeer-Ferien-Resorts mithalten. Aber wenn wir uns auf Hochzeitsreisende, die Ruhe und Romantik suchen, und auf sportliche Naturliebhaber konzentrieren, müsste gar nicht so viel verändert und investiert werden. Ein paar neue Hotels, Restaurants und Cafés und bessere Verkehrsanbindungen. Das wär’s auch schon.“

„Aber …“

„Unsere Bevölkerung braucht Arbeitsplätze. Schulen und Krankenhäuser müssen modernisiert werden, sonst wandert unsere Jugend ab aufs Festland.“

So, wie er es getan hatte.

„Aber warum alles derart überstürzen, Nico? Du bist doch gerade erst hier angekommen und konfrontierst deinen Onkel aus dem Stand mit deinen Plänen und Beratern. Lass ihm doch Zeit, sich an die neue Situation zu gewöhnen.“

„Diese Zeit haben wir nicht, Nonna .“ In seiner inneren Erregung gebrauchte er unbewusst die Anrede aus Kindertagen. Nico hielt kurz inne und überlegte, wie weit er seine Großmutter überhaupt ins Bild setzen sollte. „Du weißt ja, dass ich im letzten Jahr nach Harvard zurückgekehrt bin, um mein Diplom in Betriebswirtschaft zu machen. In dem Zuge habe ich mich ausführlich mit unseren Finanzen beschäftigt.“

Die Inselmonarchie war nicht rein konstitutionell. Die königliche Familie nahm auch politisch gesehen noch eine sehr aktive Rolle ein. Sobald Nico begriffen hatte, welche Pflichten als Thronfolger auf ihn zukamen, hatte er seine Forschungsarbeit am MIT , dem Technischen Institut in Massachusetts, aufgegeben, um stattdessen in Harvard zu studieren. Er hatte nicht lange gebraucht, um zu erkennen, dass eine Menge harter Arbeit vor ihm lag. Lebenslange Arbeit.

„Ich liebte meinen Großvater, das weißt du, aber er war ein ebenso großzügiger Verschwender wie sein eigener Vater. Schau dir nur den Palast an. Und dazu alles andere: Flugzeuge, Autos, Villen, Skihütten …“

„Und ein Apartment für jede Geliebte, nicht zu vergessen die jährliche Apanage und Unmengen von Juwelen“, ergänzte die Königinwitwe bitter. „Und Geliebte gab es in rauen Mengen.“

Nico schluckte kurz und beschloss, besser nicht näher auf dieses brisante Thema einzugehen. „Jedenfalls wurde hier über zwei Generationen hinweg schlecht gehaushaltet. Es wird weit mehr als ein paar Sparmaßnahmen erfordern, fünfzig Jahre Misswirtschaft aufzuholen.“

„Und du glaubst, der Tourismus kann das leisten?“

„Es ist ein vernünftiger und überschaubarer Anfang. Wir brauchen industrielle Fertigungsbetriebe, die sich hier ansiedeln, aber das ist noch mal ein ganz anderer Schritt. Mein Traum ist es, die Isola dei Fiori eines Tages als leuchtendes Beispiel für erneuerbare Energien und andere Formen umweltfreundlicher Technik zu sehen.“

Nico holte tief Luft. Genau darum hatte er seit Jahren nahezu jede freie Stunde in der Forschungsuniversität in Cambridge verbracht, wichtige Kontakte geknüpft, an seiner Doktorarbeit gefeilt und niemals die Hoffnung aufgegeben, irgendwann seine eigene Forschungsfirma gründen zu können.

Aber die aktuelle Krise erforderte drastische Maßnahmen.

„Sag mir, wie ich dir helfen kann, Nipotino .“

Enkelsöhnchen! Ihre liebvolle Anrede ließ seinen Hals eng werden.

„Du bist ein wichtiger Teil meiner Strategie, Nonna “, erwiderte er rau. „Zuerst musst du mir helfen, meinen Onkel zu bearbeiten. Ich weiß, er hat versucht, alles richtig zu machen. Aber der Verkauf der alten Luxusjacht und der Skihütte reicht nicht aus. Er muss der Tourismuskampagne nicht nur selbst seine volle Unterstützung zusichern, sondern auch die Minister von dem Konzept überzeugen.“

„Was hat er heute dazu gesagt?“

Nico zuckte mit den Schultern. „Das Übliche. Dass ich zu jung bin, um zu verstehen … dass ich zu lange weg war und womöglich noch glaube, irgendein alberner Universitätsabschluss könne meinen Mangel an Erfahrung ausgleichen. Alles, was ich mir schon hunderttausendmal habe anhören müssen.“ Was nicht hieß, dass es ihn nicht jedes Mal erneut wurmte.

Er war zweiunddreißig, keine zwanzig und stolz auf seine Abschlüsse, die er sich verdammt hart erarbeitet hatte. Aber sein Onkel zog es vor, den Müll zu glauben, der in der Presse stand: Nico Del Castro, ein Playboy, wie er im Buche steht …

In seinen Jugendjahren mochte das zugetroffen haben, wie bei seinem Vater und Großvater vor ihm. Doch irgendwann war er dem entwachsen. Sein Onkel hatte kein Recht, ihn einem Generalverdacht zu unterwerfen.

„Ich werde mit ihm reden“, versprach seine Großmutter.

„Danke, Nonna , aber da ist noch was …“ Nico musste sich einen energischen Ruck geben, um fortzufahren. „Ich muss heiraten.“

„Ja?“ Ihre Augen leuchteten auf. Das Thema schien ihr zu gefallen.

„Und ich brauche dich, um mir eine Braut auszusuchen. Ich weiß, du hast eine Liste mit passenden Namen. Besser ich heirate eine, die mit dieser Art zu leben groß geworden ist, als jemanden, der den Zirkus nicht kennt und damit naturgemäß überfordert sein muss. Allerdings habe ich eine Bedingung …“

„Nur eine?“, kam es spöttisch zurück.

„Ich brauche eine Braut, die bereit ist, sich vermarkten zu lassen, auch wenn das etwas anrüchig klingt. Eine Frau, die öffentliche Auftritte gewohnt ist, bestenfalls sogar liebt und sucht. Meine Marketingberaterin findet, dass eine königliche Hochzeit der perfekte Eyecatcher als Werb...

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