Die Cowboys aus Brighton Valley (3-teilige Serie)

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DER BOSS, DIE BRAUT UND DAS BABY
Der reiche Unternehmer Jason Rayburn engagiert Juliana nur vorübergehend als Assistentin. Doch dann findet er in den Armen der schönen Künstlerin das Einzige, das ihm im Leben immer fehlte. Aber kann er sein Herz einer Frau anvertrauen, die von einem anderen schwanger ist?

DENN MEINE WELT BIST DU
Carly will als Countrysängerin um die Welt reisen, Rancher Ian hingegen in ihrem Heimatort bleiben. Da kann es noch so heiß knistern, es gibt einfach keine gemeinsame Zukunft für sie! Bis die süße Folge ihrer einzigen Liebesnacht plötzlich all ihre Pläne auf den Kopf stellt …

ZÄRTLICHKEIT AUF ZEIT?
Elenas Traum ist eine Boutique in Houston, weshalb sie Bradens Angebot ablehnen sollte: Der alleinerziehende Vater bittet sie, einen Sommer lang Nanny bei ihm zu sein. Aber sie sagt Ja und findet heraus, wie wunderschön es ist, eine Familie zu haben - leider nur auf Zeit …


  • Erscheinungstag 04.07.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747732
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Judy Duarte

Die Cowboys aus Brighton Valley (3-teilige Serie)

IMPRESSUM

Der Boss, die Braut und das Baby erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2015 by Judy Duarte
Originaltitel: „The Boss, the Bride & the Baby“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA EXTRA
Band 33 - 2016 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Rainer Nolden

Umschlagsmotive: petrenkod / Getty Images

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733747893

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Jay Rayburn war noch nie ein Frühaufsteher gewesen. Umso bemerkenswerter war es daher, dass er sich bereits den zweiten Kaffee eingoss, als die Sonne über der Leaning-R-Ranch aufging.

Wäre sein Vater nicht gestorben, wäre er heute in Houston. Wahrscheinlich läge er noch im Bett und würde über einen Besuch im Fitnessstudio nachdenken – anstatt über die dringend notwendige Reparatur des Scheunentors. Nach dem Sport würde er duschen und dann in die Stadt fahren, wo seine Firma Rayburn Energy, deren Gründer und Geschäftsführer er war, im obersten Stockwerk eines Hochhauses ihren Sitz hatte.

Nach dem Tod seines Vaters leitete er jetzt nicht nur Rayburn Enterprises, sondern war gleichzeitig auch noch einziger Treuhänder der Charles-Darren-Rayburn-Stiftung.

Schon jetzt hatte er alle Hände voll zu tun, um die einzelnen Bereiche auseinanderzuhalten. Genau aus dem Grund war er nach Brighton Valley zurückgekommen.

Die Ranch hatte zum Besitz seiner Urgroßmutter gehört – mochte sie in Frieden ruhen! Die Ranch sowie das gesamte Vermögen hatte Rosabelle Rayburn Charles vermacht unter der Bedingung, dass er es bei seinem Tod zu gleichen Teilen an seine Kinder vererbte. Ihre Enkel sollten es gemeinschaftlich und einvernehmlich verwalten.

Toll! Dabei waren Jason und seine Halbgeschwister noch nie einer Meinung gewesen. Granny hatte das natürlich gewusst. Er vermutete, dass es ihr letzter Versuch gewesen war, die Familie zusammenzubringen, was ihr zu Lebzeiten nicht gelungen war.

Natürlich gab es einen Grund für die Unstimmigkeiten: Jason, Brady und Carly hatten kaum etwas gemeinsam. Eigentlich standen sie einander wie Fremde gegenüber.

Deshalb musste Jason sich nun um den Verkauf der Leaning-R-Ranch kümmern. Denn als Geschäftspartner waren weder sein Bruder noch seine Schwester zu gebrauchen. Er konnte nur hoffen, dass sie sich auf einen Makler und einen Preis einigen würden.

Als Kind hatte Jason seine Ferien immer auf der Ranch verbracht und davon geträumt, Cowboy zu werden. Das war lange vorbei. Stattdessen war er nun Chef eines großen Unternehmens.

Manchmal wurde er noch von seinen Kindheitsträumen heimgesucht. Auch dafür gab es einen Grund. Er war so oft bei Großmutter Rayburn auf der Ranch gewesen, dass er sich hier wie zu Hause gefühlt hatte – mehr als irgendwo sonst. Auch das war lange her. Inzwischen war er durch und durch Stadtmensch geworden und brannte darauf, zurück nach Houston zu fahren.

Allerdings war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um in Erinnerungen zu schwelgen – vor allem nicht, wenn manche Gedanken so bittersüß waren, dass er schlucken musste wie ein kleiner Junge. Während er durchs Haus lief, um abzuschätzen, was noch alles zu erledigen war, stieg ihm in jedem Raum der Duft von Zitronenöl und Grannys Lieblings-Lavendellotion in die Nase, der immer noch in der Luft zu liegen schien. Es war also praktisch unmöglich, den Erinnerungen zu entkommen.

Fest entschlossen, sich nicht in der Vergangenheit zu verlieren, konzentrierte er sich auf die Aufgaben, die vor ihm lagen. Es gab viel zu tun. Einige geschäftliche Dinge konnte er glücklicherweise auch von hier aus erledigen. Die Firma würde ja nicht ihren Betrieb einstellen, nur weil er ein paar familiäre Angelegenheiten zu regeln hatte.

Sein Blick wanderte über die verblasste blaue Tapete mit Strohkörben voller Wildblumen. Die einst kräftigen Farben hatten Grannys Küche immer zum Leuchten gebracht.

Wie sehr vermisste er diese liebenswürdige alte Frau! Sie war für ihn wie eine Mutter gewesen – die einzige, die er jemals gehabt hatte.

Die Kaffeemaschine röchelte. Er nahm einen letzten Schluck von dem braunen Getränk und verzog das Gesicht, ehe er den Rest in den Ausguss kippte.

Er wollte gerade die Küche verlassen, als das Licht von Autoschweinwerfern durch das Fenster fiel. Kies knirschte unter den Reifen des Wagens, der vor dem Haus zum Stehen kam. Wer mochte das sein? So früh erwartete er niemanden.

Beim Blick aus dem Fenster bemerkte er eine Frau, die aus ihrem kleinen Pickup stieg. Ihr Haar hatte sie zu einem Knoten gebunden. Statt zur Vordertür zu kommen, lief sie geradewegs zum Hintereingang – als ob sie die Besitzerin des Hauses wäre.

Carly?

Seine Halbschwester hatte versprochen, ihm beim Inventarisieren der Möbel zu helfen, um das Haus für den Verkauf vorzubereiten. Es war der schwierigste Teil des Jobs, den er zu bewältigen hatte. Er hatte sie allerdings erst für den nächsten Tag erwartet. Was trieb sie hierher – einen Tag zu früh und in aller Herrgottsfrühe? Soweit er sich erinnerte, war sie ebenfalls keine Frühaufsteherin.

Jason betrat gerade das Hinterzimmer, als die Tür geöffnet wurde und Carly eintrat.

„Das ist aber eine Überraschung“, begrüßte er sie. „Heute habe ich noch gar nicht mir dir gerechnet. Möchtest du einen Kaffee?“

„Nein, danke. Ich kann nicht lange bleiben.“

„Was ist denn los?“

„Ich habe gerade ein Engagement bekommen. Es ist ziemlich wichtig für mich. Ich werde also ein paar Wochen nicht in der Stadt sein. Ich wollte dir nur sagen, dass auf dem Speicher ein paar Kisten stehen, die Granny für mich aufgehoben hat. Wirf sie nicht weg und verkauf sie auch nicht. Mir tut es selber leid, dass ich dir nicht helfen kann. Aber es geht wirklich nicht.“

„Nun ja, ich …“, begann er ein wenig ratlos.

„Braden könnte sich doch um alles kümmern“, unterbrach sie ihn.

Toller Vorschlag! Er und Braden sprachen praktisch nicht miteinander. Wie sollten sie da Partner bei einem so wichtigen Geschäft werden, ohne dass ständig die Fetzen flogen? Auch deshalb wollte er die ganze Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen – damit alle drei wieder ihrer eigenen Wege gehen konnten. Am Kontakt mit Carly lag ihm ebenso wenig. Sie war mit ganzem Herzen Sängerin und Schauspielerin. Damit konnte er überhaupt nichts anfangen. Ein weiterer Beweis dafür, dass sie nichts gemeinsam hatten – bis auf die DNA, die sie von ihrem Vater geerbt hatten.

„Ich habe auch einige Sachen für Braden im Wagen“, fuhr Carly fort. „Er kann sie sich dann hier abholen.“

„Wovon redest du?“

„Bradens Freund hat sie bei mir untergestellt. Ich habe sie eine Woche lang aufbewahrt. Aber da ich gekündigt habe, muss das Zeug ja aus der Wohnung. Hier ist es am besten aufgehoben; da braucht er sich auch keine Sorgen darum zu machen.“

Jason hatte stets eine engere Beziehung zu Carly gehabt als zu Braden. Als sie noch Kinder waren, hatte Jason Braden vorgeworfen, der Grund für die Scheidung gewesen zu sein, die seine Mutter aus der Bahn geworfen hatte. Später war ihm dann klar geworden, dass Braden ebenso ein Opfer gewesen war wie er selbst. Aber man konnte keine Beziehung bereinigen, die niemals eine richtige gewesen war.

„Wo ist Braden denn?“, wollte Jason wissen.

„Ich weiß nicht so genau. Irgendwo in Mexiko, glaube ich. Es war alles sehr mysteriös. Sein Freund hat das Bild und die Kisten irgendwann vorbeigebracht und gesagt, es sei wichtig, dass ich die Sachen für ihn aufbewahre.“

„Warum hast du sie nicht sofort zu Bradens Ranch gebracht?“

„Es muss einen Grund geben, warum er wollte, dass sie bei mir sind. Braden sollte es mir erklären, wenn er die Sachen abholt. Er sagte, er schuldete mir etwas. Aber jetzt schuldet er eben dir etwas.“

„Hat er denn gesagt, wann er zurückkommt?“

„Sobald wie möglich. In spätestens ein paar Wochen.“

„Himmel, ich will das hier alles so schnell wie möglich hinter mich bringen. So lange kann ich auch nicht aus der Firma wegbleiben. Ihr reist durch die Weltgeschichte, und ich muss den Kram hier alleine zusammenpacken …“

Sie schnaubte verächtlich. „Mit dir zu reden ist genauso, als würde man mit Dad reden. Ich wusste, dass du es nicht verstehen würdest.“

Ihre Worte waren wie eine Ohrfeige. Jason hatte immer versucht, die Anerkennung seines Vaters zu gewinnen und deshalb am selben College studiert, seinen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften gemacht und eine eigene Firma gegründet. Allerdings war es nie sein Ziel gewesen, genauso zu werden wie er.

„Versuch’s doch einfach mal.“

Sie verdrehte nur die Augen, die genauso groß und blau waren wie die ihrer Mutter.

Jason konnte ihr ihre Reaktion nicht verübeln. Sie waren einander nie besonders nahe gewesen. Sie war vierundzwanzig und damit sechs Jahre jünger als er. Sie hatte sich für Kunst und Musik interessiert, während er nur Sport im Kopf gehabt hatte, ehe er seinen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften gemacht hatte.

Aber da sich die drei Halbgeschwister nun einmal gemeinsam um den Besitz zu kümmern hatten – eine Aufgabe, die nahezu aussichtslos zu sein schien angesichts der Tatsache, dass sie es kaum ertragen konnten, gleichzeitig in derselben Stadt zu sein –, mussten sie wohl oder übel einen Weg finden, miteinander klarzukommen.

„Erzähl mir von deinem Engagement“, sagte er versöhnlich.

Sie ließ die verschränkten Arme sinken, legte den Kopf schräg und schaute ihn an, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Dann steckte sie die Daumen in die Taschen ihrer Jeans und beugte sich lächelnd nach vorn. „Ich trete in einem Nachtklub in der Nähe des Riverwalks auf. Der Gig geht über sechs Wochen … aber es könnte etwas Größeres daraus werden … und etwas Besseres.“

Sie sagte es so, als würde sie am Broadway auftreten.

Er beschloss, ihr Spiel mitzuspielen. „Das klingt ja großartig, Carly. Ich drücke dir die Daumen.“

Sie schwieg eine Sekunde und schob sich eine blonde Locke hinters Ohr. „Du hast also nichts dagegen, dass ich Bradens Sachen hier abstelle?“

Wenn sich der Verkauf der Ranch dadurch nicht verzögerte … Wenn er darüber nachdachte, musste er sich eingestehen, dass die Beziehung zu seinem Bruder viel schlechter war als sein Verhältnis zu Carly. Also lag es nur nahe, Braden den Gefallen zu tun.

„Und du kannst wirklich nicht noch eine Weile bleiben und mir beim Sortieren helfen …?“

„Leider nein. Ich fange heute Abend an, und ich muss am Nachmittag zur Kostümprobe in San Antonio sein. Das ist schon eine ziemliche Strecke.“

Mist! Wie sollte er das alles allein schaffen – eine Bestandsaufnahme des gesamten Inventars zu machen, sich um sein Büro und gleich auch noch um die ganze Firma zu kümmern? Und das alles ohne Hilfe?

Er hatte auf Carlys Unterstützung gehofft. Alles, was er entdeckte und anfasste, erinnerte ihn an seine Großmutter. Das war schon schwer genug. Carly konnte besser beurteilen, was sie behalten, was sie verkaufen und was sie entsorgen sollten.

„Dann muss ich mir eine andere Hilfe suchen“, seufzte er. „Und zwar schnell.“

Ein Lächeln breitete sich auf Carlys Gesicht aus. In diesem Moment war sie wirklich hübsch. Sie kam nach ihrer Mutter, einer populären Country- und Westernsängerin, die vor Kurzem ihre Karriere beendet und einen Politiker geheiratet hatte.

„Ich wüsste jemanden, der das machen könnte. Sie sucht auch gerade Arbeit.“

„Wer?“

„Erinnerst du dich an meine Freundin Juliana Bailey?“

Rote Haare, Zöpfe. Große braune Augen und Sommersprossen auf der Nase. „Ist das die, die ich immer ‚Bohnenstange‘ genannt habe?“

„Du würdest dich wundern. So dürr ist sie gar nicht mehr.“

„Was macht sie denn?“

„Nach dem College hat sie in einer Kunstgalerie in Wexler gearbeitet, ist aber vor Kurzem entlassen worden. Jetzt ist sie wieder in der Stadt und jobbt halbtags in Caroline’s Diner. Sie braucht aber etwas, wo sie mehr verdienen kann. Ich bin sicher, dass sie hier ganze Arbeit leisten würde. Wer weiß, vielleicht wird ja mehr daraus, wenn du mit ihr zufrieden bist.“

„Falls sie an einer Arbeit bei Rayburn Enterprises denkt … ich möchte ihr keine falschen Hoffnungen machen. Um Neubesetzungen kümmert sich die Personalabteilung; damit habe ich gar nichts zu tun. Aber hier könnte ich tatsächlich jemanden gebrauchen. Und ich werde sie auch gut bezahlen.“

„Du wirst es nicht bereuen. Juliana ist klug und ein absoluter Profi. Ich weiß gar nicht, warum die Galerie in Wexler sie entlassen hat. Möglicherweise ist das Geschäft pleite gegangen. Warum sollten sie sonst ihrer besten Angestellten kündigen?“

„Du brauchst hier keine Loblieder über sie zu singen. Im Moment nehme ich jeden.“

„Prima. Ich glaube, heute Morgen hat sie Dienst. Ihre neue Handynummer habe ich leider nicht, aber warum fährst du nicht einfach zu Caroline’s und redest mir ihr?“

„Echt? Du glaubst, sie wäre an so einer Arbeit interessiert? Auch wenn es nur vorübergehend ist?“

„Na ja, vielleicht gibt es ja doch etwas bei euch in der Firma. Du könntest ja zumindest mal nachfragen.“

„Okay. Das mache ich.“

„Danke, Jason. Du wirst es nicht bereuen.“

Aus irgendeinem unerfindlichen Grund bereute er es allerdings bereits. Er folgte Carly in den Hof. „Wie viele Kisten sind es denn?“, fragte er, als er neben ihr vor dem Pickup stand.

„Zwei. Eine mit Keramiksachen und die andere mit Papierarbeiten. Ein paar Gemälde sind auch dabei.“ Sie öffnete die Heckklappe und zog an einer Kiste. „Ganz schön schwer. Kannst du sie ins Haus tragen?“

Jason nahm die Kiste – und verspürte plötzlich den unbezähmbaren Wunsch, sie einfach auf den Boden zu werfen. Oder besser noch sie zu Bradens Ranch zu fahren, die nur zehn Meilen entfernt war.

„Hast du versucht, ihn anzurufen?“, fragte Jason, als er die Kiste im Haus abgestellt hatte.

„Mehrfach. Aber offenbar hat er keinen Empfang dort, wo er sich aufhält.“

„Hast du nicht gefragt, was er da unten macht?“

„Braden ist nicht gerade eine Plaudertasche.“

Das stimmte. Und Jason würde er sowieso nichts erzählen. Manchmal bedauerte Jason das. Er hätte es gern geändert. Aber es gehörten immer zwei dazu, eine gestörte Beziehung zu kitten.

Carly stellte die kleinere Kiste auf den Küchentisch, und sie gingen zurück, um die Bilder zu holen. Dabei wollte er eigentlich das Haus leerräumen, anstatt noch mehr Dinge anzuhäufen. Wenn es ihm nicht so wichtig gewesen wäre, das Verhältnis zu seinen Geschwistern zu verbessern, dann … er wusste selbst nicht, was er dann getan hätte.

Das war alles die Schuld seines Vaters! Warum musste er auch sterben und ihm das Chaos im Haus und die verkorksten Familienverhältnisse hinterlassen? Er hatte wirklich genug anderes zu tun.

Und warum zum Teufel verdrückte Braden sich an einen unbekannten Ort, wenn seine Familie ihn am meisten brauchte?

Doch noch ehe er Carly an seinen Gedanken teilhaben lassen konnte, saß sie bereits hinterm Steuer ihres roten Pickups und sauste über die Straße, als die Sonne über der Ranch aufging.

Und nun?

Er könnte in die Stadt fahren und bei Caroline’s frühstücken. Vielleicht ließ sich die neue Kellnerin mit einem besseren Angebot weglocken – Zimmer, Verpflegung und ein höheres Gehalt. Und möglicherweise die Aussicht auf einen festen Job – irgendwann einmal.

Es wäre zu schön, wenn sie auf seinen Vorschlag einginge.

2. KAPITEL

Juliana Bailey hatte gehofft, das Leben in der Kleinstadt endlich hinter sich lassen zu können. Und jetzt war sie ganz kleinlaut nach Brighton Valley zurückgekehrt.

Hinter ihrem Rücken tuschelten die Leute, dass man ihr in der Galerie im nahegelegenen Wexler gekündigt habe und sie deshalb in die Zweizimmerwohnung über dem Drugstore zu ihrer Mutter und ihrer Großmutter gezogen sei. Sie schlief auf dem Bettsofa und lief jeden Tag zu Caroline’s Diner, das einen Block weit entfernt lag. Aber auch diesen Job würde sie nicht mehr lange haben. Denn sie war fest entschlossen, der Stadt den Rücken zu kehren, ehe ihr Geheimnis ans Licht kam. Bis jetzt konnte sie es unter ihrer gelben Arbeitsschürze verbergen, die eigentlich eine Nummer zu groß für sie war.

Außer ihrer Frauenärztin Selena Ramirez-Connor wusste glücklicherweise niemand, dass sie einem Mann auf den Leim gegangen war, der „vergessen“ hatte ihr mitzuteilen, dass er verheiratet war. Doch wenn sie ihrer Mutter, die als Sekretärin im Pfarramt arbeitete, und ihrer Großmutter, die eine Stelle im Rathaus hatte, den Skandal ersparen wollte, musste sie so bald wie möglich wieder aus Brighton Valley verschwinden.

Das Problem war: Juliana hatte gerade eine hübsche Wohnung in der Nähe der Galerie in Wexler gemietet. Als sie sich dann entschieden hatte, die Stadt zu verlassen, musste sie ihre gesamten Ersparnisse aufwenden, um vorzeitig aus dem Vertrag herauszukommen. Danach hatte sie nicht mehr genug Geld gehabt, sich ein Apartment in der Stadt zu suchen – und einen Job hatte sie ebenfalls nicht in Aussicht. Und dann war da auch noch das Baby, das in fünf Monaten auf die Welt kommen würde … Irgendwie saß sie gerade in der Falle.

Sie füllte gerade die Kaffeetasse des einsamen Gastes an Tisch drei – ein älterer Herr mit schütterem Haar –, als ihr Blick auf das fettige Würstchen auf seinem Teller fiel, das in einem See von glibberigem Eigelb schwamm. Ihr Magen drehte sich, und einen Moment lang befürchtete sie, auf die Toilette rennen zu müssen.

Rasch schloss sie die Augen und schluckte den Anflug von Übelkeit hinunter. Eigentlich hatte sie gehofft, das morgendliche Unwohlsein, das sie sechs lange Wochen geplagt hatte, endlich hinter sich gelassen zu haben. Aber es gab immer noch Momente wie diesen …

„Danke, Schätzchen“, sagte der alte Herr gerade. „Haben Sie noch ein paar von den Zimtrollen? Margie sagte, sie hätte sie gestern erst gemacht.“

„Ich frag mal nach. Ansonsten könnte ich Ihnen die Muffins empfehlen.“

„Auch nicht schlecht!“

Die Glocke über der Eingangstür kündigte einen neuen Gast an. Normalerweise wanderte ihr Blick bei dem Geräusch nicht automatisch zur Tür – das überließ sie Margie, der anderen Kellnerin, die jeden Kunden sofort mit einem strahlenden Lächeln begrüßte, in der Hoffnung, den neuesten Klatsch zu erfahren. Und da Margie ihrerseits ebenso auskunftsfreudig war, musste Juliana doppelt achtgeben, nichts von ihrem Zustand zu verraten. Die Neuigkeit würde sich in Windeseile verbreiten – und ihrer Mutter und Großmutter noch mehr Peinlichkeiten bereiten.

Aus irgendeinem Grund schaute Juliana diesmal doch zur Tür. Ein neues Gesicht. Nein, nicht wirklich neu. Aber eines, das sie seit Jahren nicht gesehen hatte.

Jason Rayburn – denn kein anderer konnte es sein – war erwachsen und ein stattlicher Mann geworden.

Er war mindestens einen Meter fünfundachtzig groß, und sein dunkles Haar wirkte auf elegante Art zerzaust. Sie hatte gehört, dass der wohlhabende Geschäftsmann sich in Brighton Valley aufhielt, aber niemals damit gerechnet, dass er hier auftauchen würde. In seinen verblichenen Jeans und dem Leinenhemd passte er allerdings in diese Umgebung – obwohl ihn mit den Einwohnern des Ortes kaum noch etwas verband.

Sie hatte seine Karriere verfolgt, und irgendwie faszinierte er sie. Eigentlich hatte die ganze Rayburn-Familie stets im Fokus ihres Interesses gestanden – inklusive Carly und Braden. Sie hatten zwar denselben Vater, konnten aber kaum unterschiedlicher sein.

Carly und Braden kannte sie gut. Jason dagegen war mehr der Einzelgänger – reich und erfolgreich, nach allem, was sie über ihn gehört hatte.

Gleich nach dem College war er in die Firma seines Vaters eingetreten. Zurückgekommen war er danach nur noch selten – das letzte Mal zum Begräbnis seiner Großmutter. Und danach war er sofort wieder verschwunden.

Er ließ seinen Blick durch das kleine Restaurant schweifen. Als er sie entdeckte, breitete sich ein Lächeln auf seinem hübschen Gesicht aus. Auf seinen Wangen bildeten sich zwei Grübchen, und in seinen grünen Augen blitzte es amüsiert.

Lässig wie ein Mann, der gewohnt ist, zu bekommen, was er will, schritt er auf sie zu. Fast hätte sie die Kaffeekanne fallen lassen.

„Sieh mal an“, sagte er, und sein Lächeln wurde noch breiter, „wenn das nicht die Bohnenstange ist.“

Sie erwiderte sein Lächeln. „Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich einen Stein nach dir geworfen, als du mich das letzte Mal so genannt hast.“

„Das stimmt. Ich hatte etwas wenig Nettes über meinen Bruder Braden gesagt, und du wolltest ihn verteidigen. Und wenn ich mich richtig erinnere, hast du mich nicht getroffen.“

„Das stimmt auch. Aber ich habe deinem Pferd einen Schrecken eingejagt.“

„Zum Glück bin ich ein guter Reiter.“

Sie hob die Kaffeekanne. „Ich mache gerade frischen. Ich bringe dir einen an deinen Tisch – wenn du dich hinsetzen willst.“

„Klingt gut. An welchen Tischen bedienst du denn?“

Mit einer Kopfbewegung deutete sie zur Fensterfront. „An allen, die da stehen.“

„Okay.“

Kurz darauf kam sie mit der Speisekarte und frischem Kaffee an seinen Tisch. „Milch und Zucker?“

„Schwarz.“

„Ich nehme sofort deine Bestellung auf.“

„Lass dir Zeit.“

Sie spürte seine Blicke auf ihrem Rücken, als sie zur Theke zurückging. Sofort stellte Margie sich neben sie. „Ist das nicht Jason Rayburn?“, flüsterte sie, während sie sich koffeinfreien Kaffee einschenkte.

„Ja. Carly hat mir kürzlich erzählt, dass er zurzeit auf der Ranch ist, um sie zu verkaufen.“

„Das habe ich auch gehört.“ Klar, dass Margie schon darüber Bescheid wusste. Nichts, was im Ort geschah, entging ihrer Aufmerksamkeit. „Er ist groß geworden, seit ich ihn zuletzt gesehen habe. Meine Güte, wie lange ist das jetzt her? Ich habe ihn kaum erkannt. Er sieht wirklich klasse aus. Ein Traummann. Er und Braden sind sich nicht besonders grün, stimmt’s?“

„Wie kommst du darauf?“

„Er ist ganz wie sein Vater. Und du kennst doch das Sprichwort: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“

Charles Rayburn war bei seinen Großeltern väterlicherseits auf der Leaning-R-Ranch aufgewachsen. Aber sein Großvater mütterlicherseits hatte ihm das Studium finanziert und ihm den beruflichen Weg geebnet. Man erzählte sich, dass er damals bei Nacht und Nebel aus Brighton Valley verschwunden war.

„Ich werde mal seine Bestellung aufnehmen.“ Juliana steuerte auf den Tisch am Fenster zu, an dem Jason Platz genommen hatte. „Was darf’s denn sein?“

„Eier nach Farmerart. Die habe ich ewig nicht gegessen.“

„Kommen sofort.“ Doch anstatt sich umzudrehen, blieb sie noch einen kurzen Moment stehen und betrachtete seine Augen. Sie waren von einem ganz besonderen Grün …

Blödsinn! Jetzt war nicht der Moment, um über Farben und Maltechniken nachzudenken. Ihren Traum, Künstlerin zu werden, konnte sie ein andermal zu Ende träumen!

Deshalb machte sie auf dem Absatz kehrt und ging in die Küche, um seine Bestellung weiterzugeben. Sie war schließlich hier, um zu arbeiten, und nicht, um irgendwelchen Fantasien nachzuhängen.

„Möchtest du noch Kaffee?“, fragte sie, als sie wenig später mit der Kanne in der Hand an seinem Tisch vorbeikam.

„Gern.“ Er maß sie mit einem Blick, als wollte er sie abschätzen.

Überlegte er, wie sehr sie sich verändert hatte? Gefiel ihm, was er sah? Erneut rief sie sich zur Ordnung, weil sie ihre Gedanken in diese Richtung wandern ließ. Obwohl es eigentlich ganz natürlich war – so, wie er sie anschaute …

„Carly hat mir erzählt, dass du hier arbeitest“, sagte er.

„Nur tageweise. Die Galerie in Wexler hat mir gekündigt. Ich möchte nach Houston. Das hier mache ich nur vorübergehend, um etwas Geld zu verdienen.“

„Dann habe ich ja Glück, dass ich den richtigen Tag erwischt habe.“

Sie fragte sich, ob er gekommen war, um hier zu frühstücken, oder doch eher, um sie zu sehen. Schnell verdrängte sie den Gedanken. „Ich freue mich auch, dich wiederzusehen, Jason. Wie lange ist es her? Zehn Jahre?“

„So ungefähr.“

Sie lächelte und deutete mit einer Kopfbewegung zur Küche. „Ich schau mal nach, was deine Bestellung macht.“

Wie aufs Stichwort stellte Caroline seinen Teller auf die Theke. Juliana holte ihn und servierte Jason das Frühstück – Eier, Tortillas und Butter.

„Hat meine Schwester dir erzählt, dass ich auf der Ranch bin?“, wollte er wissen.

„Sie hat’s erwähnt.“

„Hat sie dir auch gesagt, warum?“

„Du willst sie verkaufen, nicht wahr?“ Sie bedauerte es genauso sehr wie Braden, behielt den Gedanken aber für sich.

„Ich muss den kompletten Hausstand inventarisieren und für den Verkauf vorbereiten. Das ist verdammt viel Arbeit, und ich brauche jemanden, der mir dabei hilft. Carly hat gesagt, dass du eventuell Interesse an dem Job hast.“

„Kommt darauf an.“ Juliana konnte das Geld natürlich gut gebrauchen.

„Falls du von Geld sprichst – da lasse ich mich nicht lumpen.“

Unwillkürlich legte sie eine Hand auf ihren Bauch – eine Geste, die sie sich in letzter Zeit angewöhnt hatte. Wie lange würde sie ihren Zustand noch verheimlichen können? Sie durfte höchstens noch ein paar Wochen, maximal einen Monat bleiben, ehe das Baby so groß wurde, dass alle Welt von ihrem Zustand erfuhr. „Was genau hast du dir denn vorgestellt?“

„Kann man hier auf dich eine Zeitlang verzichten? Ich brauche eine Vollzeitkraft für etwa drei Wochen.“

Sie arbeitete vier Stunden im Restaurant. Vermutlich hatte Caroline ihr den Job nur gegeben, um Julianas Großmutter einen Gefallen zu tun.

„Ich würde dir tausend Dollar pro Woche zahlen“, bot Jason an.

Ihre Augen wurden groß, und ihr Puls schlug schneller. So viel Geld würde sie nirgendwo anders verdienen können. Sie hätte genug, um nach Houston ziehen und sich eine andere Stelle suchen zu können.

„Auf der Ranch gibt es ein Gästezimmer“, fuhr er fort. „Du kannst dort wohnen, wenn du nicht jeden Tag hin- und herfahren willst. Aber ich sag dir gleich: Es ist viel Arbeit. Meine Großmutter hat eine Menge Sachen angesammelt – und sie war nicht besonders ordentlich, was die Aufbewahrung angeht.“

Juliana verspürte nicht allzu viel Lust, mit Jason allein auf der Ranch zu sein. Der Vater dieses Mannes hatte im Ruf gestanden, ein Schürzenjäger zu sein, und wenn der Sohn genauso war … Zurzeit hatte sie die Nase voll von Männern, die so tickten.

Und was sollten die Leute denken, wenn sie erfuhren, dass sie weit draußen auf der Ranch allein mit Jason war?

Andererseits war der großzügige Lohn zu verführerisch, um das Angebot abzulehnen.

Außerdem: Wenn sie zu Jasons Zufriedenheit arbeitete, würde er sie vielleicht sogar für eine Position bei Rayburn Energy in Houston empfehlen, und sie könnte Brighton Valley für immer den Rücken kehren.

Die Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf. Sie war schon einmal auf einen verführerischen Mann hereingefallen und hatte nicht die geringste Lust, diese Erfahrung noch einmal zu machen. Hatte Margie nicht gesagt, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm?

Na, wenn schon! Schließlich ging es nur um einen Job und um nichts anderes. Jason erwartete anständige Arbeit von ihr – sonst nichts.

„Also – was sagst du dazu?“, unterbrach er ihre Gedanken.

„Wann soll ich anfangen?“

Kaum war Jason auf die Ranch zurückgekehrt, als sein Handy klingelte. Am anderen Ende meldete sich Marianne, seine Assistentin. Sie wollte mit ihm über einige Vorgänge sprechen. Nachdem sie die einzelnen Punkte abgearbeitet hatten, fragte Jason: „Gibt’s sonst noch was?“

Marianne zögerte. „Wir haben eine Rechnung von einer Detektei namens DII erhalten. Die Initialen stehen für ‚Diskrete Internationale Investigationen‘. Sie wollen dreitausend Dollar – plus fünfzehnhundert Spesen.“

Jason richtete sich in seinem Sessel auf. „Wofür zum Teufel soll das denn sein?“

„Soweit ich herausbekommen habe, handelt es sich um eine Ermittlung, die Ihr Vater vor etwa vier Monaten in Mexiko in Auftrag gegeben hat. Braden hat die Rechnung an die Firma schicken lassen und mir gesagt, das sei in Ordnung.“

„Wer hat Braden berechtigt, eine Rechnung in dieser Höhe zu begleichen?“ Noch wichtiger war die Frage: Warum hatte sein Vater einen Privatdetektiv engagiert? Hatte es irgendetwas mit dem Umstand zu tun, dass er sich in Mexiko aufgehalten hatte, als er starb?

„Ich weiß es nicht, Sir. Deshalb wollte ich die Rechnung auch erst in die Buchhaltung weitergeben, wenn ich mit Ihnen gesprochen habe.“

„Danke, Marianne. Halten Sie sie erst mal zurück. Ich will sie mir selbst ansehen.“ Nachdem er aufgelegt hatte, versuchte er, seinen Bruder auf dem Handy zu erreichen. Das ungewohnte Klingelsignal verriet ihm, dass Braden noch in Mexiko war. Aber er antwortete nicht.

Während der nächsten Stunden war Jason damit beschäftigt, Schränke und Schubladen zu leeren. Zwischendurch rief er immer wieder seinen Bruder an und wurde zunehmend ärgerlicher, weil er nicht ans Telefon ging.

Als ein Wagen vor dem Haus vorfuhr, blickte er gereizt aus dem Fenster. Doch seine schlechte Stimmung verflog im Nu, als er die attraktive Rothaarige sah, die aus ihrem weißen Honda stieg.

Juliana.

Er stieg über die Sachen hinweg, die er auf dem Boden verstreut hatte, und ging zur Tür, um sie zu begrüßen.

Er staunte nicht schlecht, als sie vor ihm stand. War es möglich, dass sie noch hübscher geworden war, seitdem er sie zuletzt gesehen hatte? Oder lag es nur daran, dass er sie nun ohne ihre komische gelbe Schürze sah, die sie im Restaurant tragen musste?

Die Nachmittagssonne malte goldene Strähnen in ihr kupferrotes Haar, das ihr über die Schultern fiel. Ihre karamellbraunen Augen blitzten unter langen dunklen Wimpern. Sie hatte immer noch ein paar Sommersprossen auf ihrer Stupsnase. Jason ertappte sich dabei, dass er sie am liebsten gezählt hätte.

Sie trug ein leicht transparentes cremefarbenes Top, das ein wenig zu groß zu sein schien und locker über ihre Shorts fiel. Er fand es sexy. Ihre nackten Füße mit den sorgfältig lackierten Nägeln steckten in Sandalen.

„Schön, dass du gekommen bist“, begrüßte er sie, während er sie von Kopf bis Fuß musterte.

Verdammt, lass das! ermahnte er sich. Er war tatsächlich froh, dass sie gekommen war, denn er brauchte die Unterstützung. Dass sie seine Stimmung aufgehellt hatte, ja, dass ihm sein ganzer Tag auf einmal viel angenehmer erschien – darüber wollte er jetzt lieber nicht nachdenken.

„Gib mir dein Gepäck.“

„Das ist nicht schwer.“

„Trotzdem. Seitdem ich auf der Ranch bin, habe ich das Gefühl, der Geist meiner Großmutter schwebt über mir. Und die würde mich jetzt bestimmt an meine Manieren erinnern.“

„Wenn das so ist.“ Sie reichte ihm den Koffer. Ihre Handtasche und den kleinen Rucksack hielt sie fest. „Ich will sie schließlich nicht enttäuschen.“

Er führte Juliana durch das Wohnzimmer, in dem es aussah, als hätte eine Bombe eingeschlagen, und über den Korridor in das Zimmer seiner Großmutter. Es gab zwar mehrere Gästezimmer im Haus, aber dieses war das größte, und es hatte ein eigenes Bad.

„Ich hoffe, du fühlst dich hier wohl.“ Er hob den Koffer auf die geblümte Steppdecke, die über dem großen Bett lag.

„Bestimmt. Vielen Dank.“ Sie legte ihre Handtasche und den Rucksack neben den Koffer, ehe sie sich in dem Zimmer umschaute, das er seit Jahren nicht betreten hatte – abgesehen vom Abend zuvor, als er frische Bettwäsche aufgezogen und das Fenster geöffnet hatte, um den Raum zu lüften.

Juliana trat an die Stirnwand, an der ein goldgerahmtes Porträt von seiner Großmutter hing. Es schien kurz vor ihrem Tod vor drei Jahren gemalt worden zu sein.

„Das Bild sieht ihr sehr ähnlich“, meinte Juliana. „Genau so habe ich sie in Erinnerung: die Augen, die Nase, das Lächeln …“

Jason stellte sich neben sie. „Es sieht fast aus wie ein Foto, nicht wahr? Aber es wirkt weicher. Und es ist in der Tat sehr wirklichkeitsnah.“

„Hat sie es selbst in Auftrag gegeben?“

„Ich nehme an. Ich habe es gestern Abend auch zum ersten Mal gesehen.“

Juliana trat näher an das Bild heran. „Camilla Cruz. Hm. Von der Künstlerin habe ich noch nie etwas gehört. Wahrscheinlich stammt sie nicht von hier. Sie hat Talent.“

Das war merkwürdig. Wo sollte seine Großmutter sie kennengelernt haben? Aber das ist ja unerheblich, dachte Jason. „Pack erst mal deine Sachen aus und mach dich ein bisschen frisch. Ich habe mir hier ein provisorisches Büro eingerichtet – im Flur die zweite Tür links. Da können wir über deine Arbeit reden.“

„Prima. Ich beeil mich.“

Juliana brauchte nur ein paar Minuten, um ihre Sachen einzuräumen. Anschließend ging sie in Jasons provisorisches Büro, dessen Wände mit Holzpaneelen verkleidet waren. Durch das Erkerfenster schaute man in den Vorgarten bis hinüber zu der großen roten Scheune.

Auf einem Tisch neben einem Bücherregal stand ein Drucker, mit dem Jason auch faxen und kopieren konnte. Neben einem altmodischen Computer mit Röhrenmonitor, die beide seit Jahren nicht mehr benutzt worden waren, hatte er seinen Laptop aufgebaut.

„Du hast dir dein eigenes Büro mitgebracht?“

Grinsend schaute er von seiner Arbeit hoch. „Ich habe Großmutter vergeblich zu überreden versucht, sich einen moderneren PC anzuschaffen. Sie hatte sich so an ihren Dinosaurier gewöhnt, dass sie sich nicht von ihm trennen wollte. Für meine Zwecke brauche ich was Moderneres.“

Sie nickte. „Wo soll ich denn anfangen?“

Er warf einen Blick auf seinen Laptop und betätigte die Maus. Der Drucker erwachte zum Leben. „Ich drucke dir ein Formular aus, auf das du die Sachen im Haus eintragen kannst. Einige davon sind antik. Ich würde gern den Zeitwert ermitteln.“

„Und was ist mit dem Erinnerungswert?“

Verständnislos sah er sie an. „Carly hat mich das auch gefragt. Manche Leute hängen nun mal an Dingen wie Möbeln. Ich nicht. Und mein Bruder bestimmt auch nicht.“

„Da irrst du dich.“ Sie biss sich auf die Lippen. Sie sollte besser erst nachdenken, bevor sie redete. „Tut mir leid, wenn ich das sage, aber ich glaube, du kennst deinen Bruder nicht besonders gut.“

Er hielt kurz inne. „Da hast du recht – Braden und ich stehen uns nicht besonders nahe. Und wenn du aus Brighton Valley kommst und den lokalen Tratsch kennst, weißt du auch, warum.“

Die Gerüchte waren ihr tatsächlich zu Ohren gekommen. Und Braden hatte ihr auch einiges erzählt, aus dem sie Rückschlüsse auf das Verhältnis der Halbbrüder ziehen konnte. Charles Rayburn, Vater der beiden, hatte während seiner Ehe, aus der Jason hervorgegangen war, eine Affäre mit einer anderen Frau. Sie war schwanger geworden – mit Braden. Jasons Mutter hatte sofort die Scheidung eingereicht, aber aus irgendeinem Grund hatte Charles Bradens Mutter nie geheiratet.

„Familie kann man sich nun mal nicht aussuchen“, meinte Juliana. „Trotzdem seid ihr Brüder. Und wenn man mehr als fünfundzwanzig Jahre zusammen verbringt, sollte man doch irgendeine Beziehung zueinander haben.“

„Glaub mir, ich bin gar nicht traurig darüber, dass wir so unterschiedlich sind.“

„Hast du das Braden erzählt?“

„Wenn wir mal ein paar Stunden miteinander verbringen könnten, würde ich es vermutlich tun.“ Er stand auf, ging zum Drucker hinüber und reichte ihr das Formular. „Das hier ist selbsterklärend.“

Okay, er wollte nicht länger über seine Gefühle zu seinem Bruder reden. Warum auch? Es ging sie sowieso nichts an. Sie betrachtete das Papier und nickte. „Wann soll ich damit anfangen?“

„Sofort.“

„Machst du keine Mittagspause?“

Er warf einen Blick auf die Uhr auf seinem Schreibtisch. „Sollten wir besser. Manchmal vergesse ich die Zeit und arbeite, bis mir der Magen knurrt.“

„Soll ich uns etwas kochen?“

„Das gehört eigentlich nicht zu unserer Abmachung. Aber wenn es dir nichts ausmacht – ich sage nicht Nein. Viel habe ich allerdings nicht im Haus. Nur ein bisschen Brot und Schinken. Ich habe nämlich noch nichts eingekauft.“

„Ich schau mal, was ich finde.“

„Wir können uns das Kochen gern aufteilen“, schlug er vor. „Aber an den Tagen, an denen ich dran bin, gibt’s wahrscheinlich nur Pizza vom Lieferservice. Ich bin kein guter Koch.“

„Das geht schon in Ordnung.“ Sie schmunzelte amüsiert und wollte in die Küche gehen.

„Ich habe noch eine Frage“, hielt er sie zurück.

An der Tür drehte sie sich um.

„Woher kennst du Braden so gut?“

„Wir waren Nachbarn, ehe die Ranch meiner Großmutter zwangsversteigert wurde. Wir sind oft zusammen ausgeritten. Ich glaube, man könnte sagen, wir waren ziemlich gute Freunde.“

Er musterte sie mit einem Blick, der ihr verriet, dass er das kaum glauben konnte. Oder als sei er ein wenig eifersüchtig.

Aber auf wen? Auf sie oder Braden?

In seinen grünen Augen fand sie keine Antwort auf ihre stummen Fragen.

3. KAPITEL

Juliana hatte einen köstlichen Eintopf aus Thunfisch und Tomaten zubereitet. Zum Nachtisch gab es Kuchen und Pfirsiche aus der Dose. Jason war beeindruckt von ihren hausfraulichen Fähigkeiten. Das hätte er ihr wirklich nicht zugetraut.

Ihr langes rotes Haar hatte sie zu einem Knoten gebunden, aus dem ein paar Strähnen herausgerutscht waren. Ob sie es mit Absicht gemacht hatte, um ihn zu reizen? Aber dann hätte sie wahrscheinlich auch ein knapperes Top angezogen.

Einträchtig standen sie nebeneinander am Spülbecken und säuberten die letzten Teller. Das hatte er immer getan, wenn er auf der Ranch war. An diesem Abend machte es ihm sogar richtig Spaß.

„Habe ich dir schon gesagt, dass mir das Essen sehr gut geschmeckt hat?“, fragte er.

„Ja, schon mehrfach. Aber sag es ruhig noch mal!“ Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Morgen muss ich allerdings einkaufen gehen. Die Auswahl heute war nicht besonders groß – Tunfisch und Dosentomaten. Und der Kuchen war eine fertige Backmischung, die deine Großmutter wohl noch gekauft hat.“

„Und sie war noch nicht abgelaufen?“

„Nein. Bei ihren Einkäufen hat sie offenbar weit in die Zukunft geplant.“

„Wo hast du eigentlich so gut kochen gelernt?“

„Von meiner Mom. Sie kann aus wenigen Zutaten wirklich fantastische Mahlzeiten zaubern.“

Jason hatte noch nie viel von seiner Vergangenheit preisgegeben. Deshalb war er fast selbst überrascht, als er sich sagen hörte: „Du Glückspilz. Meine Mutter ist gestorben, als ich noch ein Kind war.“

„Wie alt warst du denn?“

„Zehn.“

„Oh. Das tut mir leid. Wenigstens warst du alt genug, um ein paar Erinnerungen an sie zu haben.“

Leider keine guten. Die Jahre, in denen er allein mit seiner Mutter gelebt hatte, waren nicht die schönsten gewesen. Nachdem ihr Mann sie betrogen hatte, war sie in Depressionen verfallen.

Als er dann eine Stiefmutter bekam und wieder zu seinem Vater zurückzog, war Carlys Mutter viel zu sehr mit ihrer eigenen Gesangskarriere beschäftigt gewesen, um ihr eigenes Baby zu versorgen – ganz zu schweigen von einem Jungen, der nicht ihr eigener war. Also wurde Jason auf ein Eliteinternat geschickt.

Es hatte ihm nichts ausgemacht; es war sogar gut für ihn gewesen. Das hatten alle gesagt. Alle außer seiner Großmutter. Er hatte einmal mitbekommen, wie sie seinem Vater Vorhaltungen machte, welch ein Fehler das sei. Aber als der Sommer vorbei war, wurde er wieder auf die Thorndike-Schule geschickt.

Immerhin waren ihm die Ferien geblieben …

Glücklicherweise stellte Juliana keine weiteren Fragen. Er hatte sich noch nie wohl gefühlt in Gegenwart von Menschen, die ihm mit ihrem übertriebenen Mitgefühl auf den Leib rückten. Und von seiner Mutter redete er überhaupt nicht gern.

Seine Großmutter hatte versucht, ihm die Mutter zu ersetzen, aber es war natürlich nicht das Gleiche. Er hatte das Gefühl, zu den Kindern zu gehören, die mehr oder weniger alleine groß werden mussten. Kaum jemand hatte ihm mit Rat und Tat zur Seite gestanden, wenn er nicht weiter wusste. Auf diese Weise war er zwar früh selbstständig geworden; dennoch dachte er ungern an diese unglücklichen Jahre – vor allem nicht jetzt, mit einer gut aussehenden Frau an seiner Seite. Deshalb wechselte er das Thema. „Ich habe noch einen schönen Merlot in der Speisekammer. Wie wäre es mit einem Glas Wein?“

„Ein Glas Saft wäre mir lieber, wenn es dir nichts ausmacht. Dabei könnten wir auch gleich einen Plan für morgen aufstellen. Wie gesagt, ich koche gern. Das Einzige, was mir keinen Spaß macht, ist der Abwasch hinterher.“

Am liebsten hätte er einen Plan für heute Abend gemacht – mit leiser Musik, Kerzenlicht – vielleicht hätten sie auch getanzt … Aber mit ihrem Vorschlag hatte Juliana all seine romantischen Vorstellungen beiseitegewischt. Vielleicht sollte er ihr dafür sogar dankbar sein. Bei Rayburn Enterprises mussten alle Angehörigen der Führungsebene einen Kurs absolvieren, in dem es um sexuelle Belästigung ging – und wie man die weiblichen Angestellten im Unternehmen davor schützen konnte.

Er lächelte flüchtig. „Genau das war auch meine Absicht. Setz dich auf die Terrasse; ich hole Saft, Wein und Gläser.“

Kurz darauf kam er mit einer entkorkten Flasche Wein und einer Dose Orangensaft nach draußen. Nachdem er beide Gläser gefüllt hatte, setzte er sich neben sie. Die Lampe tauchte die Veranda in warmes gelbes Licht.

Er nahm einen Schluck Wein und betrachtete die Tür zur Scheune, die halb aus den Angeln hing. Gleich morgen würde er Ian McAllister, den Vorarbeiter, darum bitten, den Schaden zu reparieren. Einen neuen Anstrich konnte sie auch gebrauchen – wie übrigens das ganze Gebäude.

Juliana ließ ebenfalls ihre Blicke schweifen und stellte fest, dass noch eine ganze Menge Reparaturen nötig waren, bis die Ranch wieder so aussah, dass Jasons Großmutter sich wohlgefühlt hätte und stolz auf ihr Heim gewesen wäre.

Jason war sich im Klaren darüber, dass er mehrere Handwerker engagieren musste, um das Anwesen wieder auf Vordermann zu bringen. Allein wäre Ian mit dieser Aufgabe überfordert. Warum hatte er die Männer noch nicht eingestellt? Warum zögerte er so lange damit?

„Was willst du eigentlich mit der Ranch machen?“, fragte Julia in seine Gedanken hinein.

„Großmutter hätte es am liebsten gehabt, wenn Braden, Carly und ich sie gemeinsam erhalten. Aber ich sehe keine Möglichkeit, wie wir das tun könnten.“ Jason griff zum Saft und füllte ihr Glas erneut. „Dafür sind wir drei einfach zu unterschiedlich. Wir würden nie auf einen gemeinsamen Nenner kommen – egal, auf welchem Gebiet.“

Sie hatten ja noch nicht einmal gemeinsame Erinnerungen an ihre Kindheit. Die waren nämlich genauso unterschiedlich gewesen wie die drei Frauen, die ihnen das Leben geschenkt hatten.

Da Jason als Einziger ohne Mutter aufgewachsen war, hatte er schon immer ein engeres Verhältnis zu ihrem gemeinsamen Vater gehabt – obwohl sie kaum gemeinsame Sachen wie Wochenendausflüge oder Campingurlaube gemacht hatten. Dafür war sein Vater immer viel zu beschäftigt gewesen.

Interessanterweise war es beiden immer wichtig gewesen, für wohltätige Organisationen Verantwortung zu übernehmen oder zu spenden. Sowohl Charles als auch Jason waren großzügige Gönner. Es war das Einzige, das sie beide verband und in Jason ein gewisses Gemeinschaftsgefühl erzeugt hatte. Und obwohl er keine Tränen vergossen hatte, als er die Nachricht vom Tod seines Vaters erhalten hatte, der vor einigen Monaten in Mexiko gestorben war, empfand er immer noch ein Gefühl von Traurigkeit, wenn er an ihn dachte.

Eine Weile saßen Jason und Juliana schweigend nebeneinander und lauschten den nächtlichen Geräuschen der Ranch, die bei Jasons Ankunft wie eine verlassene Geisterstadt gewirkt hatte. Es hatte weder Kühe auf den Weiden noch den Wachhund Mick gegeben, der ihn hätte begrüßen können. Die Scheune, einst in strahlendem Rot gestrichen, war mit den Jahren immer baufälliger geworden, sodass Ian sie vermutlich gar nicht allein würde instand setzen können. Er musste einen Zimmermann oder sogar noch andere Handwerker mit den Reparaturen beauftragen müssen.

Aber erst als er die mit Brettern verrammelten Fenster erblickt und die Haustür aufgeschlossen hatte, war ihm schlagartig die Bedeutung der Redensart klargeworden, derzufolge man nie wieder nach Hause zurückkehren konnte.

Wenn er zuvor auf die Leaning-R-Ranch gekommen war, hatte er den Duft von gebratenem Hühnchen, Roastbeef oder Apfelkuchen schon von Weitem gerochen, die seine Großmutter zubereitet hatte. Dieses Mal war ihm nur der Staub in die Nase gestiegen, und alles hatte ausgesprochen trostlos gewirkt.

Als Erstes hatte er die Fenster im Parterre von den Brettern befreit und die Morgensonne in die Räume gelassen. Anschließend hatte er einen Reinigungsdienst in Wexler damit beauftragt, das Haus auf Vordermann zu bringen.

Jason hatte zwar nur die Schulferien auf der Ranch verbracht, aber es war die einzige Beständigkeit in seinem Leben gewesen. Dieser Ort steckte voller schöner Kindheitserinnerungen.

Dennoch wollte er das Anwesen noch vor den Sommerferien zum Verkauf anbieten – falls er Carly und Braden dazu überreden konnte, den Vertrag mit dem Makler zu unterzeichnen. Carly hatte sich schon störrisch gezeigt, womit er nie gerechnet hatte. Braden würde wahrscheinlich genauso reagieren, wenn er denn erst einmal auftauchte. Andererseits hatte ihn sein Halbbruder schon oft überrascht. Die beiden trennten nur drei Jahre, aber eng war ihr Kontakt nie gewesen, solange Jason sich erinnern konnte.

Er nahm einen weiteren Schluck von seinem Merlot und rollte ihn auf der Zunge hin und her.

„Was hast du denn als Nächstes vor?“, fragte er. „Irgendwelche Pläne?“

„Ich suche mir einen Job in der Stadt – wahrscheinlich in Houston.“

„Nicht in Wexler?“

„Nein!“ Sie klang kühl und abweisend.

Hm. Schlechte Erinnerungen vielleicht?

Carly hatte ihm erzählt, dass man ihr gekündigt hatte und dass sie nur vorübergehend nach Brighton Valley zurückgekommen war.

Ob sie finanzielle Probleme hatte? Einem Betrüger auf den Leim gegangen war? Oder einem Liebhaber?

Es war zu früh, sie danach zu fragen. Trotzdem war seine Neugier geweckt.

Jedenfalls profitierte er davon, dass sie Wexler den Rücken gekehrt hatte. Und sei es auch nur deswegen, dass er nun mit einer schönen Frau unter den Sternen auf der Terrasse sitzen konnte.

Der Mond tauchte die Umgebung in ein romantisches Licht. Jason, dessen Libido plötzlich erwacht war, überlegte, ob aus diesem Abend mehr werden könnte als nur eine belanglose Unterhaltung. Aber sein Verstand riet ihm, es nicht darauf ankommen zu lassen.

Juliana hatte ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie lediglich aus geschäftlichen Gründen auf die Ranch gekommen war. Wenn er diese Grenze überschritt, fuhr sie möglicherweise sofort wieder ab und ließ ihn in seinem Chaos allein.

Er warf ihr einen verstohlenen Blick zu. Sie sah ihn tatsächlich an. Als sich ihre Blicke kreuzten, schaute sie schnell in eine andere Richtung. Es wäre ein Leichtes für ihn, die Hand auszustrecken und sie zu berühren.

Zumindest könnte er sie fragen, warum sie auf keinen Fall nach Wexler zurückgehen wollte.

Juliana hatte ihren Arbeitgeber nicht anstarren wollen. Aber er war so tief in Gedanken versunken, dass sie glaubte, er würde es nicht bemerken.

Sie hatte sein Profil betrachtet, sein Haar, das auf attraktive Weise zerzaust war – wofür er bestimmt viel Geld beim Frisör gelassen hatte. In seinen Jeans und dem Leinenhemd mit hochgekrempelten Ärmeln sah er aus wie ein echter texanischer Rancher. Und dazu noch verdammt gut.

Sie stellte sich ihn in einem Designeranzug vor – am Kopf eines Konferenztisches in einem Büro hoch oben über der Stadt. In dieser Rolle machte er bestimmt auch eine gute Figur. Außerdem gehörte er zu der Sorte Männer, die einer Frau ganz leicht den Kopf verdrehen konnte.

Natürlich nicht ihr. Sie hütete sich, ihn allzu attraktiv zu finden.

„Noch etwas Orangensaft?“, fragte er sie.

„Nein, vielen Dank. Das war schon reichlich.“ In ihrem Zustand musste sie öfter auf die Toilette laufen als sonst. Nach allem, was sie bereits getrunken hatte, konnte sie sich glücklich schätzen, wenn sie in der Nacht nicht aufwachte.

„Es geht mich wahrscheinlich nichts an“, begann er. „Aber ich würde dich gern etwas fragen.“

Normalerweise war sie ziemlich offen. Aber die Erfahrungen der vergangenen Monate hatten sie vorsichtig gemacht. „Kommt auf die Frage an.“

„Du hast mir erzählt, dass du umziehen willst. Ich verstehe, dass du in einer größeren Stadt leben möchtest. Und ich habe das Gefühl, dass du Wexler nicht schnell genug den Rücken kehren kannst. Das könnte an schlechten Erinnerungen liegen …“

Sie straffte die Schultern und rutschte auf ihrem Stuhl zurück. Unwillkürlich legte sie die Hand auf ihren Bauch. „Du hast recht.“

„Was die schlechten Erinnerungen angeht?“

„Dass es dich nichts angeht.“ Ihre Antwort klang schroffer, als sie beabsichtigt hatte.

Ein dumpfes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Ehe es zu drückend wurde, fügte sie hinzu: „Es sind tatsächlich auch schlechte Erinnerungen.“

„Im Zusammenhang mit deiner Arbeit?“

Der Mann ließ nicht locker! Sie drehte sich zu ihm und durchbohrte ihn mit ihrem Blick. Was sollte dieses Verhör? Hätte er sie das nicht vorher fragen müssen – bevor er sie eingestellt hatte?

Musste sie ihrem neuen Arbeitgeber, auch wenn er es nur vorübergehend war, all diese Fragen beantworten?

Sie zögerte. Vielleicht würde eine kurze und aufrichtige Antwort seine Neugier stillen, und sie konnte diese peinliche Unterhaltung beenden.

„Ja und nein“, erwiderte sie deshalb. „Aber keine Bange – ich habe weder betrogen noch gestohlen. Und das Zeugnis, das ich an meinem letzten Arbeitstag bekommen habe, ist auch sehr gut. Ich wurde nicht gefeuert. Ich habe gekündigt. Das Einzige, worüber sie sich beklagen können, ist, dass ich ziemlich kurzfristig gekündigt habe.“

Er nickte. Ehe er weiterfragen konnte, fuhr sie fort: „Aber da du mir nun mal Einblick in deine persönlichen Dinge gewährst, wenn ich für dich arbeite, und du ein besseres Gefühl hast, wenn du die Wahrheit kennst: Ich hatte eine Affäre, die quasi über Nacht zu Ende gegangen ist. Danach wollte ich nur noch so weit weg wie möglich. Brighton Valley ist nur eine Zwischenstation.“

„Es tut mir leid“, meinte er.

„Die verkorkste Beziehung?“

„Dass ich dich mit Fragen gelöchert habe. Aber für dich freut es mich, dass du mit dem Kerl Schluss gemacht hast.“

Um ihre Lippen zuckte es, als sie ein Lächeln zu unterdrücken versuchte. Sie musste wachsam bleiben. Nachher ließ sie sich noch zu einer Bemerkung hinreißen, die sie hinterher bereute. So viel wusste sie bereits jetzt schon: Bei einem Mann wie Jason Rayburn musste sie auf der Hut sein – vor allem, wenn man mit ihm auf einer Terrasse im Mondlicht saß.

Wäre er wie sein Bruder, dann hätte sie kein Problem damit. Braden kannte sie so gut wie kaum einen zweiten in Brighton Valley. Die Familie seiner Mutter hatte seit Generationen eine Ranch betrieben. Sein Großvater hatte eine Weile im Stadtrat gesessen. Und seine Mutter war in der Kirchengemeinde von Wexler aktiv gewesen. Er kam aus einer soliden Familie. Sie hatte sich oft gefragt, was seine Mutter an seinem Vater gefunden hatte – vor allem, wenn es stimmte, was man so über Charles Rayburn hörte.

Juliana riskierte einen weiteren Blick zu Jason, als er einen Schluck Wein nahm und dann in die Nacht hinausschaute. Der Vollmond leuchtete mit Millionen Sternen um die Wette.

Nicht nur die Sterne funkelten. Ihre Augen blitzten auch, als ihr auf einmal jede Menge romantischer Gedanken durch den Kopf schossen, die hier nun wirklich mehr als unangebracht waren. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie kürzlich von einem Mann hintergangen worden war und diese Enttäuschung endlich vergessen wollte. Vielleicht war auch die romantische Stimmung schuld … und die Tatsache, dass sie Jason immer attraktiver fand.

Das waren genügend Gründe, um nicht länger hier draußen sitzen zu bleiben. Wer weiß, welche Probleme sich daraus entwickeln konnten. Zumindest könnte sie in Versuchung geraten …

Sie hatte einen Job zu erledigen. Und sie bekam dafür mehr Geld, als sie jemals gedacht hatte. Deshalb nahm sie sich vor, das Beste daraus zu machen.

Selbst wenn sie kein Angebot bei Rayburn Enterprises bekommen sollte – ein gutes Zeugnis konnte sie immer gebrauchen. Das von der Galerie würde bestimmt nicht so positiv ausfallen. Nach ihrer abrupten Kündigung hatte sie sich noch gar nicht getraut, um eine Beurteilung zu bitten. Inzwischen hatte sich ihre Affäre vermutlich herumgesprochen. Das hatte zwar nichts mit ihrer Arbeitskraft zu tun, aber bei ihrem ehemaligen Chef wusste man nie, wie er auf so eine Nachricht reagieren würde …

Juliana hatte den Überblick über die Schafe verloren, die sie in dieser Nacht gezählt hatte. Der Orangensaft sorgte dafür, dass sie andauernd auf die Toilette musste. Nach Mitternacht gab sie es auf, einschlafen zu wollen. Irgendwo hatte sie gelesen, dass warme Milch helfen konnte. Aber im Kühlschrank gab es keine. Kamillentee war eine andere Option, aber auch den hatte sie in der Küche nicht gesehen.

Sie überlegte, was sie am nächsten Tag einkaufen sollte. Und da sie ohnehin hellwach war, stand sie kurzentschlossen auf, streifte ihren Bademantel über und ging in die Küche, um eine Einkaufsliste zu machen.

In Jasons provisorischem Büro brannte noch Licht. Hatte er vergessen, es auszuschalten, als er ins Bett gegangen war?

Barfuß lief sie über den Korridor bis zur Tür, die nur angelehnt war. Jason saß am Schreibtisch und starrte mit gerunzelter Stirn auf seinen Laptop.

Versonnen betrachtete sie sein verwuscheltes Haar, sein schönes hübsches Gesicht, die schlanken Finger, die auf die Tastatur tippten. Er schien wirklich ein Arbeitstier zu sein.

Schließlich schaute er auf und entdeckte sie an der Tür. „Oh, entschuldige bitte. Habe ich dich etwa geweckt?“

Sie lächelte. „Ich habe noch gar nicht richtig geschlafen. Was machst du da?“

„Ich löse ein Problem. Wenigstens versuche ich es. Wir arbeiten gerade eine Marketingstrategie aus, die noch nicht wirklich rund ist. Ich überlege die ganze Zeit, was noch fehlt.“

„Ich wünschte, ich könnte dir helfen.“

„Ich auch. Aber selbst die fähigsten Köpfe bei Rayburn haben noch keine zündende Idee gehabt. Das Layout funktioniert einfach noch nicht.“ Er stieß sich vom Schreibtisch ab. „Soll ich mir jetzt noch einen Kaffee kochen oder Schluss machen?“

„Kaffee ist wohl das Letzte, was du jetzt brauchst.“

Er grinste spitzbübisch. „Vermutlich hast du recht. Schade, dass wir weder Eis noch Kekse im Haus haben.“

„Habe ich alles auf meine Einkaufsliste geschrieben. Das heißt, falls du möchtest, dass ich einkaufen gehe.“

„So weit hatte ich noch gar nicht gedacht. Aber klar, wir müssen ja auch essen. Also, wenn es dir nichts ausmacht einzukaufen – ich habe nichts dagegen.“

Erneut fiel sein Blick auf den Laptop, und sofort bildeten sich wieder Sorgenfalten auf seiner Stirn.

„Kann ich es mir mal ansehen?“, fragte sie. „Vielleicht habe ich eine Idee.“

Er unterdrückte ein Lächeln. Die besten Leute von Rayburn waren an dem Problem schier verzweifelt. Juliana hatte doch überhaupt keine Erfahrung, was diese Dinge anbetraf. Sie hatte in einer Kunstgalerie gearbeitet. Von dem, worum es in seiner Firma ging, hatte sie doch gar keine Ahnung.

Trotzdem lehnte er ihr Angebot nicht ab. Schaden konnte es ja nicht.

Er rollte mit seinem Stuhl beiseite, um ihr Platz zu machen. Dann zeigte er ihr mit ein paar Mausklicks die Grafiken und Schaubilder, die ihm die Marketingabteilung vor ein paar Stunden zugemailt hatte.

Sie betrachtete sie eine Weile schweigend. „Ich verstehe, was du meinst“, sagte sie schließlich. „Es fehlt das gewisse Etwas.“

Das hatte er auch schon bemerkt. Alle wussten, dass etwas fehlte. Doch keiner wusste, was genau es war.

„Vielleicht wird ein Schuh draus, wenn du den Text von der Grafik Nummer drei mit dem Bild von Nummer vier zusammenfügst. Dann nimmst du den Hintergrund vom ersten Bild – ich glaube, das Ganze wäre dann verständlicher und klarer. So könnte es doch funktionieren.“

„Vielleicht.“ Er schien noch nicht überzeugt zu sein. „Ich werde darüber nachdenken. Danke.“

Als sie neben ihm stand, stieg ihm ein Hauch ihres Dufts in die Nase. Süß und verführerisch. Irgendwie exotisch. War es ihr Parfüm? Ihre Körperlotion? Oder ihr Shampoo?

Aus den Augenwinkeln betrachtete er ihre zerzauste Frisur. Es machte sie unwahrscheinlich sexy – trotz des biederen Morgenmantels, den sie trug.

Wieder spürte er eine unerklärliche Anziehungskraft, die er unmöglich ignorieren konnte – vor allem nicht um diese Zeit … und mit mehreren Schlafzimmern nur wenige Schritte entfernt.

Bevor er es sich versah, nahm er eine Locke ihres Haares und wickelte sie spielerisch um den Finger. „Hat dich schon mal jemand gefragt, ob deine Haarfarbe echt ist?“

Ihr stockte der Atem. „Ja, mehrfach. Und sie ist echt.“

„Ich weiß es doch. Ich habe dich schließlich schon gekannt, als du noch klein warst. Der Farbton ist wirklich … bemerkenswert. Ich könnte mir vorstellen, dass sich viele Leute fragen, ob so etwas Schönes tatsächlich Natur sein kann.“

Ihre Blicke trafen sich. Ein paar Sekunden lang kam es ihm vor, als würden sie beide den Atem anhalten.

Dann trat sie einen Schritt zurück, und er ließ ihre Locke los. Trotzdem hatten beide das Gefühl, dass sie noch irgendetwas verband.

Sie biss sich auf die Unterlippe und legte die Hand auf ihren Bauch. Diese Geste hatte er schon häufiger bei ihr beobachtet. Eine Marotte von ihr. Andere Frauen bissen sich auf den Fingernagel oder fuhren sich durchs Haar. Dass eine Frau dauernd die Hand auf ihren Bauch legte, hatte er allerdings noch nie gesehen.

Er fand es irgendwie süß – die Geste und auch die Tatsache, dass er sie nervös machte.

Sie trat noch einen Schritt zurück. Ihr war sichtlich unbehaglich zumute. Mit einem Blick zur Tür stammelte sie: „Ich … ich mache mal die Einkaufsliste fertig. Und dann werde ich versuchen, noch ein bisschen zu schlafen. Sonst kriege ich morgen nichts auf die Reihe.“

Unvermittelt hatte er das Gefühl, dass diese Frau Gold wert war – sowohl als Angestellte als auch als Liebhaberin. Beides konnte er leider nicht von ihr haben. Deshalb nickte er nur stumm.

Als ihre Schritte leiser wurden, schaute er wieder auf seinen Laptop, auf dem noch immer die Skizzen zu sehen waren, die ihm die Marketingabteilung geschickt hatte. Er dachte über Julianas Vorschläge nach. Ihre Ideen waren wirklich nicht schlecht.

Sie hatte zwar vermutlich kaum Ahnung von kaufmännischen und wirtschaftlichen Dingen. Aber mit Kunst kannte sie sich aus. Schließlich klickte er seine Mailbox an.

Hi Doug,

tu mir einen Gefallen und probier folgendes: Nimm den Hintergrund von Nummer eins. Dann setze den Text von Nummer drei darauf und kombiniere ihn mit den Grafiken auf Nummer vier. Schick mir bitte umgehend das Ergebnis. Ich möchte mir diese Version mal ansehen.

Jason

Er drückte auf „Senden“. Er war kein Künstler, aber er wollte sich selbst davon überzeugen, ob es „funktionierte“, wie Juliana gesagt hatte. Er hatte jedoch bereits jetzt das Gefühl, dass ihre Idee dem, was sie suchten, ziemlich nahekam.

Wenn das stimmte, dann hatte sie bereits jetzt ihr Geld mehr als verdient. Obwohl es für ein solches Urteil natürlich noch zu früh war. Erst einmal mussten sie eine ganze Ranch ausräumen – und er musste sich mit vielen Erinnerungen herumschlagen.

Für all das blieben ihm gerade noch drei Wochen.

4. KAPITEL

Obwohl Jason kaum geschlafen hatte, wachte er früh auf und machte sich sofort daran, das Frühstück vorzubereiten. Kurz darauf betrat Juliana frisch geduscht die Küche. Die Kaffeemaschine gurgelte die letzten Tropfen in die Kanne, und in der gusseisernen Pfanne brutzelte der Speck.

„Das riecht aber gut“, schnupperte sie. „Ich dachte, du könntest nicht kochen.“

„Ich war bei den Pfadfindern“, verteidigte er sich. „Da lernt man auch kochen. Wenn auch eher über dem Lagerfeuer.“

Sie hatte die Bluse nicht in ihre Jeans gesteckt und den untersten Knopf offen gelassen. Verdammt sexy, dachte er.

„Außerdem sollst du hier draußen in der Wildnis ja nicht verhungern“, fügte er grinsend hinzu.

„Apropos verhungern“, griff sie das Stichwort auf. „Irgendwann werde ich heute einkaufen fahren müssen. Wenn du es nicht selber machen willst.“

Er zog seine Brieftasche hervor und fischte ein paar Hundert-Dollarscheine heraus. „Reicht das?“

„Ich wollte nur ein paar Lebensmittel kaufen – nicht den ganzen Laden.“ Sie nahm die Scheine und steckte sie in die Tasche ihrer Jeans. „Aber erst heute Nachmittag. Nach dem Frühstück werde ich mich erst mal an die Bestandsaufnahme machen.“

„Prima.“ Mit dem Kopf deutete er auf die Kaffeekanne. „Möchtest du eine Tasse?“

„Nein, danke. Ich nehme den Rest vom Orangensaft.“

Er holte die Tüte aus dem Kühlschrank und leerte sie in ein Glas, das er aus dem Schrank geholt hatte. „Schreib Orangensaft auf die Einkaufsliste.“

„Mach ich.“ Sie sah sich in der Küche um. Rund um den zerkratzten alten Eichentisch standen mehrere Stühle. An den Wänden hingen Fotos, Schmuckschilder aus Emaille mit Sprichwörtern und gestickte Bilder, die seine Großmutter über die Jahre gesammelt hatte.

Jason wollte nur so viel Zeit wie nötig in diesem Raum verbringen, denn er befürchtete, sentimental zu werden, falls er zu lange in Erinnerungen schwelgte. Er glaubte den Geist seiner Großmutter noch spüren zu können, hörte ihre Stimme, ihre Ermahnungen, ihr Lachen …

Juliana betrachtete eine der Emailletafeln, in die ein Bibelspruch eingraviert war. Gewöhne einen Knaben an seinen Weg, so lässt er auch nicht davon, wenn er alt wird. Die Sprüche Salomos 22,6.

„Hast du meine Urgroßmutter gekannt?“, fragte er.

Lächelnd drehte Juliana sich zu ihm um. „Wer in Brighton Valley hat sie nicht gekannt? Sie war ein warmherziger, liebevoller Mensch. Sie hat sich im Kindergarten engagiert, obwohl sie selbst kein Kind dort hatte, und sie war in der Kirchengemeinde aktiv. Als meine Mutter im Krankenhaus lag, haben sie und die anderen Frauen der Gemeinde uns verpflegt.“

„Und als Großmutter krank war? Ist sie da auch versorgt worden?“

„Ich bin mir nicht sicher. Soweit ich weiß, hat sie nie über ihre Krankheit gesprochen. Vermutlich wusste niemand etwas davon.“

„Du glaubst, sie hat keinem etwas davon erzählt?“

„Das glaube ich.“

Ihre Familie hätte es trotzdem wissen – und sich mehr um sie kümmern müssen. Wenigstens einer von ihnen hätte in ihrer letzten Stunde bei ihr sein müssen.

Sofort plagten ihn Gewissensbisse. Warum war er nicht bei ihr gewesen, als sie starb?

Gut, er hatte ihr regelmäßig Geld geschickt und sie zu Weihnachten und zu ihrem Geburtstag besucht. Zwar nicht immer genau an dem Tag, aber zumindest kurz davor oder danach.

Autor

Judy Duarte
<p>Judy liebte es schon immer Liebesromane zu lesen, dachte aber nie daran selbst welche zu verfassen. „Englisch war das Fach in der Schule, was ich am wenigsten mochte, eine Geschichtenerzählerin war ich trotzdem immer gewesen,“ gesteht sie. Als alleinerziehende Mutter mit vier Kindern, wagte Judy den Schritt zurück auf die...
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