Die geerbte Braut

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"Marc! Marc!" Im Fieber ruft die junge Marguerite nach dem Mann, der sie im Arm hält - zärtlich wie niemand mehr, seit sie nach dem Tod ihrer Eltern zu ihrem hartherzigen Onkel nach Fenby Hall kam. Wieder gesundet, erfährt sie, wer sie so aufopfernd pflegte: Marcus Langley, Earl of Rutherford. Er hat das Gut geerbt und ist entsetzt über dessen Zustand. Deshalb beschwört er Marguerite, ihn nach London zu begleiten. Doch sie ist längst heimlich in Marcus verliebt und will alles - bloß kein Mitleid. Aber dann sagt man ihr eine unmoralische Beziehung mit ihm nach, und Marcus bittet Marguerite um ihre Hand. Nur um ihren Ruf zu retten? Oder fühlt er so wie sie?


  • Erscheinungstag 23.12.2008
  • Bandnummer 11
  • ISBN / Artikelnummer 9783862953714
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL
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Lady Hartleigh tanzte mit Marcus Langley, Earl of Rutherford, und ihre grünen Augen strahlten. Nicht einmal die kritischste von Almack’s Patronessen hätte etwas an der Art, wie er Ihre Ladyschaft über das Parkett führte, auszusetzen vermocht.

Mehrere Damen warfen dem zwanglos plaudernden Paar verstohlene Blicke zu. Schließlich wollte niemand den Earl of Rutherford kränken, falls das Gerücht zutraf, dass er sich endlich zum Heiraten entschlossen hatte. Er galt als eine der besten Partien der Saison, und das lag nicht nur an seinem großen Vermögen und seinem Titel, der einer der ältesten und angesehensten im ganzen Land war. Er sah auch vorzüglich aus, war stets elegant gekleidet und außerdem sehr sportlich. Daher war es nicht verwunderlich, dass seit seiner Rückkehr aus dem Krieg vor einigen Jahren viele Damen versucht hatten, ihn für sich zu gewinnen. Bis jetzt hatte er jedoch alle diese Bemühungen ignoriert.

Er war fünfunddreißig Jahre alt und galt als eingefleischter Junggeselle. Niemand konnte sich erinnern, dass er je ausgeprägtes Interesse für eine heiratsfähige Dame bekundet hatte. Wenn er in der Stadt weilte, was ohnehin nur im Frühjahr der Fall war, zog er es vor, sich seinen Vergnügungen hinzugeben. Den Rest des Jahres verbrachte er auf seinen verschiedenen Landsitzen.

In London kursierten Gerüchte über ausschweifende Feste, die er auf seinen Besitzungen veranstaltete und an denen keine anständige Frau teilnahm. Ihm ging der Ruf voraus, ein großer Frauenheld zu sein, und so mancher Ehemann tat gut daran, ein Auge auf seine Gattin zu haben, wenn Lord Rutherford in der Nähe war. Zu seinen Ehren musste jedoch gesagt werden, dass er kein Gefallen daran fand, junge und naive Frauen zu verführen oder sich mit einer verheirateten Frau einzulassen, deren Gatte diese Affäre aller Wahrscheinlichkeit nach nicht widerspruchslos hinnehmen würde. Bei Witwen ließ er diese Rücksicht jedoch nicht walten.

Zyniker und Leute, die mit ihm bekannt waren, behaupteten, seine Zurückhaltung sei weniger auf ethische Grundsätze zurückzuführen, sondern eher auf ein ausgesprochenes Desinteresse an unerfahrenen Frauen und einen ausgeprägten Sinn für Selbstschutz. Es hieß, er wolle sich keineswegs genötigt sehen, die Ehe mit einer Debütantin einzugehen.

Dennoch galt er trotz seines angegriffenen Rufs wegen des Titels, guten Aussehens und großen Reichtums in bestimmten Kreisen als vorzügliche Partie, sodass die Tatsache, ihn mit Lady Hartleigh tanzen zu sehen, einer ehrgeizigen Witwe, deren Leumund nicht der beste war, bereits genügte, um unter den Anwesenden Getuschel auszulösen.

Lady Diana Carlton, seine ältere Schwester, hatte sein Interesse an der hübschen Lady Hartleigh höchst missbilligend zur Kenntnis genommen.

„Ich frage mich, was er beabsichtigt“, äußerte sie verstimmt. „Er hat doch hoffentlich nicht vor, diese Person zu heiraten!“

Jack Hamilton, sein bester Freund, enthielt sich eines Kommentars.

„Warum antwortest du nicht?“, fuhr sie ärgerlich fort. „Du hast doch Einfluss auf ihn und weißt gewiss, mit welchen Absichten er sich trägt. Es gibt nicht viele Leute, die das von sich behaupten können.“

Belustigt schaute Jack sie an und erwiderte: „Ich teile deinen Standpunkt nicht, Diana. Immerhin ist es dir und eurer Tante gelungen, Marcus zu bewegen, die Ehe in Betracht zu ziehen. Das war doch eine erfolgreiche Beeinflussung.“

Wütend sah Diana Jack an und entgegnete: „Du bist dir sehr wohl darüber im Klaren, dass weder Tante Regina noch ich je im Sinn hatten, er solle Lady Hartleigh heiraten.“

„Ja, natürlich“, bestätigte Jack trocken. „Und genau deshalb werde ich mich nicht zu diesem Thema äußern, es sei denn, er schneidet es mir gegenüber an. Sollte er mich um meine Meinung zu dieser möglichen Verbindung bitten, dann werde ich ihm sagen, was ich davon halte.“

„Ich vermute, er kokettiert nur mit Lady Hartleigh, um uns zu ärgern“, sagte Diana seufzend. „Weißt du zufällig, wie weit er bei ihr gehen will?“ Jack zog es vor, nicht auf die Frage einzugehen.

„Der Titel darf keinesfalls an Aubrey fallen. Aubrey ist nett, aber nicht imstande, die Verantwortung zu tragen. Außerdem legt er keinen Wert auf den Titel. Nein, mein Bruder muss endlich heiraten!“

„Das ist ihm klar“, erwiderte Jack. „Er will jedoch nur eine Vernunftehe schließen, um einen Stammhalter zu bekommen. Ich nehme an, dass er gehofft hat, Aubrey werde sich als würdiger Erbe erweisen. Gewiss, euer Vetter ist honett, interessiert sich jedoch leider nur für seine Studien und seine Bücher. Ehrlich gesagt, Diana, an deiner Stelle würde ich Marcus selbst entscheiden lassen. Ich habe nur deshalb einigen Einfluss auf ihn, weil ich ihn nicht bevormunde. Also misch dich nicht ein. Er weiß, dass er heiraten muss, und das war ihm schon bewusst, ehe du und eure Tante so aufdringlich von ihm verlangt habt, er müsse die Erbfolge sichern.“

„Tante Regina hat darauf beharrt, ihm das so drastisch vorzuhalten. Sie äußert sich stets sehr freimütig und ohne Umschweife.“

„Nun, manchmal kann man damit übers Ziel hinausschießen“, meinte Jack trocken.

„Du machst aus deinem Herzen keine Mördergrube“, stellte Diana verdrossen fest und schaute ihn ungehalten an.

„Das dürfte der Grund dafür sein, dass ich noch ledig bin“, meinte er schmunzelnd und schaute auf, als jemand sich hinzugesellte. „Nanu, was machst du hier, Toby?“, fragte er dann verblüfft. „Du bist doch wahrlich kein leidenschaftlicher Tänzer.“

„Mir graust allein bei dem Gedanken!“, erwiderte Sir Toby Carlton, Dianas Gatte, und schüttelte sich übertrieben. „Ich finde es bereits anstrengend genug, Jack mit Lady Hartleigh tanzen zu sehen.“ Er warf einen Blick zu seinem Schwager hinüber und fuhr fort: „Ich hätte nicht erwartet, dass er mehr Interesse an ihr zeigt als an anderen Frauen, mit denen er in den letzten Jahren verkehrt hat. Im Gegenteil!“

„Gewiss“, sagte Jack. „Wenn ich mich jedoch nicht täusche, dann liegt genau darin die Gefahr.

Er will sich innerlich nicht binden.“

Er schaute zum Freund hinüber, der die meisten anderen Männer um einen halben Kopf überragte, und furchte leicht die Stirn. Die Musik war soeben verklungen, und Marcus geleitete die hübsche Lady Hartleigh zu dem Salon, in dem die Getränke serviert wurden. Ebenso wenig wie Diana wollte er miterleben, dass sein Freund sich ausgerechnet mit Lady Hartleigh vermählte, die bereits seine Mätresse war.

Wenn beide sich von Herzen lieben würden, hätte er einen anderen Standpunkt vertreten, und er war überzeugt, dass auch Diana dann nicht mehr gegen diese Verbindung gewesen wäre. Ihm lag daran, dass Marcus eine Frau fand, der er wirklich zugetan war und die es vermochte, ihm die Unnahbarkeit zu nehmen, mit der er die meisten Menschen auf Distanz hielt. Das würde jedoch nicht der Fall sein, wenn der Freund eine Frau heiratete, die ihn bei der ersten Gelegenheit betrog. Ganz im Gegenteil.

„Auch das noch!“, äußerte Diana verstimmt. „Lady Jersey kommt zu uns. Bestimmt will sie mit uns über Marcus reden.“

Die Countess of Jersey blieb vor der kleinen Gruppe stehen und sagte lächelnd: „Guten Abend, Lady Diana, Sir Toby, Mr. Hamilton. Was verschafft uns die Ehre?“, wandte sie sich dann an Mr. Hamilton. „Sind auch Sie wie Ihr Freund auf der Suche nach einer geeigneten Ehefrau? Das wäre zu schön, um wahr zu sein!“

Nachdenklich schaute Jack Ihre Ladyschaft an und äußerte kühl: „Auf diese Frage erübrigt sich jede Antwort, Madam!“

Er konnte sich diese Zurechtweisung erlauben, weil er das Oberhaupt einer alten und ungemein reichen Familie war.

Lady Jersey zuckte mit den Schultern. „Oh, wie Sie meinen! Ich glaube, es steht niemandem zu, Rutherford etwas vorzuschreiben. Das würde ihn zweifellos nur in seinen Absichten bestätigen. Ich wünsche allerseits einen angenehmen Abend“, fügte sie hinzu und schlenderte weiter.

Sir Toby seufzte erleichtert. „Gott sei Dank, dass sie gegangen ist! Sie zu ertragen ist anstrengender, als einen Walzer zu tanzen!“

„Du bist unmöglich, Toby!“, sagte Diana kichernd. „Hoffentlich hat sie dich nicht gehört!“

„Und wenn schon!“, erwiderte er gleichmütig. „Falls Sie mich darauf ansprechen sollte, sage ich ihr einfach, ich würde mir lediglich meine Kräfte für später aufsparen.“

Lord Rutherford hatte Lady Hartleigh ein Glas Champagner geholt, betrachtete angelegentlich die versammelte Menschenmenge und überlegte, wann er gehen könne, ohne unhöflich zu wirken. Nachdem er das getan hatte, weswegen er gekommen war – die Klatschmäuler aufzuscheuchen und seiner Schwester einen boshaften Blick zuzuwerfen –, sah er keinen Grund mehr zum Bleiben.

Er bedachte Lady Hartleigh, die gemächlich ihr Glas leerte, mit einem abwägenden Blick und sagte sich, er könne sie kaum nach Haus begleiten. Selbst er würde zu weit gehen, wenn er das täte.

„Sehen wir uns in der nächsten Woche, Marcus?“, fragte sie betont gleichmütig, doch ihr Blick war sehr bedeutungsvoll.

Marcus wusste genau, was sie hören wollte. Sie wollte wissen, wann er wieder mit ihr zusammen sein würde. Er dachte einen Augenblick lang über die Antwort nach und sagte dann achselzuckend: „Ich muss morgen geschäftlich nach Yorkshire, Althea, und nehme an, dass ich in den nächsten drei Wochen dort sein werde. Es tut mir leid.“

„Drei Wochen?“, wiederholte sie enttäuscht. „Das ist eine Ewigkeit. Kann dein Verwalter nicht die Sache regeln?“ Es war offenkundig, dass Marcus’ Standpunkt, sich persönlich um die seine verschiedenen Güter betreffenden Probleme kümmern zu müssen, sie sehr verärgerte.

„Vermutlich nicht“, erwiderte Marcus kühl. In seinen Augen war es nicht nacheifernswert, wie sein Vater die Besitzungen geleitet hatte. „Und in diesem Fall muss ich mir das Gut ansehen, weil ich es soeben erst geerbt und gehört habe, es sei in schlechtem Zustand.“

„Warum befasst du dich dann damit?“ Irritiert furchte Lady Hartleigh die Stirn. „Du könntest es doch gewinnbringend verkaufen.“

„Nein, das kann ich nicht.“

Marcus presste die Lippen zusammen, und Lady Hartleigh begriff sofort, dass sein Entschluss unumstößlich war. Nichts würde ihn dazu bringen, anderen Sinns zu werden. Also musste sie sich mit dem Unausweichlichen abfinden. Und wenn er drei Wochen lang enthaltsam gewesen war, würde er nach der Rückkehr bestimmt großes Verlangen nach ihr haben.

Sie redete sich nicht ein, dass ihm so viel an ihr gelegen war, um kein Interesse an anderen Frauen zu haben. Sie war jedoch davon überzeugt, dass er, wenn er geschäftlich zu tun hatte, wenig Zeit für Amouren haben würde. Falls es überhaupt in Yorkshire Frauen gab, die ihn in Versuchung führen konnten. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er sich für eine Frau vom Lande interessieren würde.

„Und wenn ich wieder hier bin, meine Liebe, werden wir uns über die Zukunft unterhalten müssen“, fuhr er fort und schaute leicht lächelnd Althea an.

„Über die Zukunft?“ Sie hatte sich bemüht, nicht zu hoffnungsvoll zu klingen. Bislang war sie der Meinung gewesen, er zöge nicht in Betracht, sie zu heiraten. Aber vielleicht hatte er doch vor, sich mit ihr zu vermählen. Falls er sie wirklich zu seiner Gattin machte, war das ein Triumph für sie. Zufrieden schlug sie die Augen nieder.

„Ja, die Zukunft“, sagte er ruhig. „Ich rate dir also, meine Liebe, sehr vorsichtig zu sein!“

Sie richtete den Blick auf ihn und sah, dass in seinen Augen ein harter Ausdruck stand. Es war ihm nicht entgangen, dass er nicht der einzige Mann in ihrem Leben war. Sie würde Blaise entmutigen müssen, denn es war sinnlos, dass er sich noch weiter um sie bemühte, wenn Marcus tatsächlich vorhatte, sie zu heiraten. Sie war nicht so unbesonnen, sich auf ein gefährliches Doppelspiel einzulassen. Sie hätte sich denken können, dass Marcus auf Blaise aufmerksam werden würde, denn schließlich hieß es von diesem, er habe die Angewohnheit, mit allen Mätressen des Earls zu schlafen. Blaise konnte warten. Althea war nicht willens, das Risiko einzugehen, Marcus zu verlieren, nur weil sie sich auf ein Abenteuer mit Blaise eingelassen hatte. Blaise würde sicher ebenso gern mit ihr ins Bett gehen, wenn sie die Countess of Rutherford war.

Um neun Uhr morgens verließ Lord Rutherford sein Haus. Er war sehr elegant gekleidet und trug als Schmuck nur einen Siegelring sowie eine Krawattennadel mit einer großen Perle. Derweil er zur Brook Street schlenderte, wo sein Freund wohnte, dachte er über seine Situation nach. Es gab keinen Zweifel daran, dass seine Absichten bekannt geworden waren. Am vergangenen Abend war er sehr von Frauen umschwärmt worden. Ältere Damen, die ihm bislang nur flüchtig Aufmerksamkeit geschenkt hatten, waren sehr bemüht gewesen, ihm ihre Töchter anzudienen.

Er lächelte zynisch. Im Allgemeinen warnten Mütter ihre jungen, unerfahrenen Töchter vor ihm. Er hatte ganz bewusst den Ruf genährt, ein Frauenheld zu sein, um sich davor zu schützen, von zimperlichen, einfältigen Debütantinnen belagert zu werden, die keine Ahnung davon hatten, wie man einem Mann Vergnügen bereitete.

In dieser Hinsicht wäre Althea die richtige Frau für ihn. Er schwelgte noch in Erinnerungen an ihr leidenschaftliches Verhalten, als der betagte Kammerdiener des Freundes ihn in den gemütlichen, wenngleich äußerst unordentlichen Raum bat, den Jack als Esszimmer benutzte.

„Lord Rutherford, Sir“, verkündete Fincham, ließ Seine Lordschaft eintreten und schloss dann hinter ihm die Tür.

„Guten Morgen, Marcus“, begrüßte Jack ihn und lud ihn ein, sich zu setzen. „Was hat dich so zeitig zu mir geführt? Ist dein zahlreiches Personal nicht in der Lage, dir ein anständiges Frühstück vorzusetzen?“

Marcus schenkte sich Tee ein, streckte die Beine aus und schaute den frühstückenden Freund an. „Schieß los, Jack“, antwortete er schmunzelnd. „Was reden die Leute? Ich bin bereit, das Schlimmste zu hören.“

Jack versuchte, Zeit zu gewinnen. Verständnislosigkeit heuchelnd, sah er Marcus an und fragte erstaunt: „Über was sollen die Leute reden?“

Amüsiert zog Marcus eine Augenbraue hoch.

„Ach, du meinst deine Ehepläne. Nun, man ist allgemein der Ansicht, es sei höchste Zeit für dich zu begreifen, dass dein ständig die Nase in Bücher steckender Vetter sich nicht als dein Erbe eignet und auch nicht dein Nachfolger sein will.“

„Und Lady Hartleigh?“, erkundigte Marcus sich neugierig. „Was hatte meine liebe Schwester über sie zu sagen?“

„Sie ist nicht sehr von dem Gedanken angetan, du könntest Lady Hartleigh heiraten.“

Marcus schnaubte verächtlich. „Vielleicht ist ihr das eine Lehre, sich in Zukunft nicht mehr in die Angelegenheiten anderer Leute zu mischen. Von Tante Regina einmal ganz abgesehen!“

„Hm, das wäre denkbar“, meinte Jack ausdruckslos.

Marcus merkte, dass sein Freund dachte, in diesem Punkt sei er wohl zu optimistisch. „Also dann, heraus mit der Sprache“, erwiderte er seufzend. „Erspar mir nichts.“

„Willst du wirklich wissen, was ich denke?“, fragte Jack ernst. „Ich befürchte, du wirst mich für verrückt halten.“

„Das wäre dann nicht zum ersten Mal“, sagte Marcus trocken.

„Also gut.“ Jack atmete tief durch. „Ich denke, eine schlechtere Wahl als Lady Hartleigh könntest du nicht treffen. Das hätte ich natürlich nicht gesagt, wäre ich nicht von dir um meine Meinung gebeten worden. Willst du wirklich eine Frau heiraten, bei der man sicher sein kann, dass sie sich, wenn sie die Möglichkeit dazu hat, mit der Hälfte der in der Stadt lebenden Männer amüsiert?“

Marcus zuckte mit den Schultern. „Warum sollte ausgerechnet ich Anstoß daran nehmen?“, fragte er ironisch. „Schließlich amüsiere ich mich seit Jahren mit Frauen. Ich sehe keinen Grund, weshalb ich befremdet sein sollte, vorausgesetzt, sie schenkt mir einen Stammhalter oder mehr Söhne oder wird zumindest schwanger, ehe sie ein Verhältnis mit einem anderen Mann beginnt. Schließlich führen die meisten Frauen meines Bekanntenkreises sich so auf, und für mich war das immer sehr bequem. Im Übrigen habe ich nicht vor, wie ein Mönch zu leben, nur weil ich mich verheiratet habe. Ich fände es etwas kleinlich, meiner Frau nicht die gleichen Freiheiten zu gestatten.“

„Um Himmels willen, Marcus!“, äußerte Jack erschüttert. „Denk an deine Zukunft! Willst du wirklich bis ans Ende deiner Tage an Lady Hartleigh gebunden sein? Glaubst du nicht, dass du, wenn du dich nur richtig umschauen würdest, eine Frau fändest, an der dir wirklich etwas liegt?“ Angesichts des erstaunten Ausdrucks in den Augen des Freundes schmunzelte Jack flüchtig. „Ich wusste, du würdest mich für überspannt halten.“

„Du kannst wirklich nicht mehr ganz bei Trost sein“, meinte Marcus. „Weshalb sollte ich mir eine Frau suchen, die ich mag, wenn sie es nur auf meinen Titel und mein Vermögen abgesehen hat?“

So schlimm stand es also um den Freund. „Ich glaube, Marcus, dass du dich unterschätzt“, entgegnete Jack ruhig. „Warum sollte eine Frau dich nicht um deiner selbst willen lieben? So wie deine Mutter deinen Vater geliebt hat?“

„Ich bezweifele stark, dass es eine Frau gibt, die sich derart von ihren Geschlechtsgenossinnen unterscheidet“, antwortete Marcus und verzog verbittert den Mund. „Jede Frau, mit der ich es bisher zu tun hatte, war in allererster Linie nur an meinem Geld interessiert.“

Das traf leider zu, aber hauptsächlich deswegen, weil der Freund nicht zugelassen hatte, dass eine Frau sein wahres Wesen kennenlernte. Frauen sahen in ihm stets nur den Earl of Rutherford, den berüchtigten Weiberhelden. Die wenigsten Menschen kannten seinen wahren Charakter, und das traf erst recht auf seine Mätressen zu.

„Ich gebe zu, dass du recht hast“, erwiderte Jack achselzuckend, „möchte dir jedoch, selbst wenn du der Ansicht bist, eine Liebesheirat oder zumindest eine Verbindung auf der Grundlage gegenseitiger Zuneigung sei nicht möglich, zu bedenken geben, dass eine Ehe, die mehr auf füreinander empfundenem Respekt und nicht nur auf körperlichem Verlangen beruht, eher erträglich ist.“

Im Stillen stimmte Marcus dem Freund zu. Natürlich war es Dummheit, Althea zu heiraten, nur um Diana zu ärgern. Unvermittelt fiel ihm ein, dass Althea mit ihrem Mann sechs Jahre lang verheiratet gewesen war, ohne Kinder zu bekommen. Folglich wäre es im Hinblick auf die Möglichkeit, dass sie unfruchtbar war, absoluter Unsinn, sie in der Erwartung, sie werde ihm einen Erben schenken, zur Gattin zu nehmen.

„An sich bin ich nur hergekommen, um dir mitzuteilen, dass ich verreisen werde“, sagte Marcus. „Meine Schwester ist informiert. Unser Großonkel Samuel, der Onkel unseres Vaters, ist kinderlos gestorben, und da er zu geizig war, um einen Anwalt für das Aufsetzen eines Testaments zu honorieren, ist sein Besitz in Yorkshire an mich gefallen. Soweit ich gehört habe, soll das Anwesen in beklagenswertem Zustand sein. Folglich werde ich wohl etliche Wochen fort sein. Von der Anwaltskanzlei habe ich erfahren, dass er eine entfernte Verwandte als Wirtschafterin beschäftigt und keine Vorsorge für sie getroffen hat. Ich begreife nicht, warum er das unterlassen hat, denn schließlich war er reich genug. Folglich werde ich ihr eine Abfindung zahlen müssen. Ich habe vor, noch heute Vormittag nach Yorkshire zu fahren“, fügte Marcus hinzu und stand auf.

„Ich fühle mich geschmeichelt, mein Bester, dass du dich herabgelassen hast, mein bescheidenes Heim zu beehren“, erwiderte Jack schmunzelnd.

„Ach, scher dich zum Teufel“, sagte Marcus belustigt. „Ich werde über das, was du über die Ehe im Allgemeinen gesagt hast, nachdenken“, setzte er ernst hinzu. „Aber nicht darüber, dass man nur aus Liebe heiraten sollte. Selbst wenn ich die Möglichkeit dazu hätte, wäre es nicht das, was mir vorschwebt. Im Übrigen wäre ich dir dankbar, wenn du meiner Schwester nichts von diesem Gespräch erzählst.“

„Natürlich gebe ich alles, was meine engsten Freunde mir im Vertrauen berichtet haben, sofort an deren Schwestern weiter!“, entgegnete Jack süffisant.

„Entschuldige“, sagte Marcus. „Ich wollte dich nicht kränken.“ Er verabschiedete sich und ging.

Jack war gleichermaßen erleichtert und beunruhigt. Wenigstens wollte Marcus noch einmal über die Ehe mit Lady Hartleigh nachdenken. Andererseits bedeuteten dessen Zynismus und die Verachtung für das andere Geschlecht nichts Gutes für die Ehe mit irgendeiner Frau. Falls je eine Frau seinem Charme erlag, würde er bestimmt einen Weg finden, wie er ihr wehtun und sie dazu bringen konnte, von Herzen zu bereuen, dass sie ihm je erlegen war.

Betreten überlegte Jack, ob Lady Hartleigh nicht vielleicht doch für den Freund die beste Wahl sei. Bei ihr wusste Marcus zumindest, was ihn erwartete, und es bestand nicht die geringste Möglichkeit, dass sie sich durch sein Verhalten und seine Seitensprünge verletzt fühlen würde.

Hinter Marcus’ Einstellung stand mehr als nur der Abscheu vor den Beweggründen der meisten Frauen. Nach fast zwanzig Jahren war er immer noch nicht imstande, über seine geliebte Mutter zu reden.

Zweifellos würde er seinen eigenen Weg ins Verderben gehen, und wenn er dabei das Gefühl hatte, glücklich zu sein, konnte niemand mehr etwas für ihn tun. Es sei denn, Winterbourne verführte Lady Hartleigh, ehe sie die Countess of Rutherford wurde.

Nur sehr wenige Menschen wussten, wie sehr Marcus ihn verabscheute. Und nur Jack waren der Grund für diese Abneigung und für das Vergnügen bekannt, das Winterbourne daran fand, sich mit den Mätressen des Freundes einzulassen.

2. KAPITEL
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Drei Tage nach der Abreise aus London fragte Marcus sich in der Bibliothek von Fenby Hall, ob in diesem Haus alles so schäbig sein mochte wie dieser Raum. Er setzte sich an den großen Mahagonischreibtisch und begann, das erste Abrechnungsbuch einzusehen. Offenbar hatte der Großonkel seit Jahren kein Interesse mehr an seinem Besitz gehabt. Nirgendwo waren Eintragungen zu finden, die auf Reparaturen oder Neuerungen schließen ließen. Auch die Löhne der Angestellten waren seit zwanzig Jahren gleich geblieben. Offenbar hatte der Großonkel nie Geld in sein Anwesen investiert und sich damit begnügt, von den Erträgen seiner beträchtlichen Investitionen zu leben.

Noch hatte Marcus das Gelände von Fenby Hall nicht inspizieren können, weil er tags zuvor sehr spät eingetroffen war. Er war jedoch überzeugt, dass die Cottages der Pächter und das Land in keinem besseren Zustand waren als das Herrenhaus. Verärgert fragte er sich, warum Miss Fellowes es zugelassen hatte, dass alles so vernachlässigt worden war.

Bis jetzt hatte er sie nicht kennengelernt. Als er sie abends zu sich gebeten hatte, war ihm von Mr. Barlow gesagt worden, sie habe sich beim Begräbnis stark erkältet und läge zu Bett. Sie ließe ausrichten, sie werde das Haus so schnell wie möglich verlassen und bei Mrs. Garsby in Burvale House eine neue Stelle als Kindermädchen antreten. Der betagte Butler hatte hinzugefügt, da sie noch nicht vollends genesen sei, habe seine Frau, auf das Verständnis Seiner Lordschaft bauend, ihr geraten, einstweilen nicht zu Mrs. Garsby zu wechseln.

Marcus fand, dass Miss Fellowes im Hinblick auf den schlechten Zustand des Hauses in den vergangenen fünf Jahren an Grippe gelitten haben musste. Er hoffte, der Großonkel möge ihr keinen allzu hohen Lohn gezahlt haben, da das, was sie geleistet hatte, das Geld nicht wert war.

Er hatte erwidert, es stehe ihr frei, so lange zu bleiben, bis sie gesund sei. Dann hatte er die Haushaltsbücher haben wollen, die ihm von einer älteren, kräftigen Frau gebracht worden waren.

„Ich bin Mrs. Barlow, die Köchin, Mylord“, hatte sie sich ihm vorgestellt und ihm die Haushaltsbücher übergeben.

Auf die Frage, warum kein Dienstmädchen sie ihm überbracht habe, hatte sie geantwortet, es gäbe kein Hausmädchen, und die Arbeit würde so gut wie möglich von Miss Fellowes erledigt, die ihr allerdings auch in der Küche helfe, da der verstorbene Hausherr kein weiteres Personal habe einstellen wollen.

Marcus hatte die Köchin fortgeschickt und in Gedanken der von ihm geschmähten Miss Fellowes Abbitte geleistet. Offensichtlich war der Großonkel ein größerer Geizhals gewesen, als er gedacht hatte.

Ein Blick in das erste Haushaltsbuch hatte die Äußerungen der Köchin bestätigt. Das Personal bestand nur aus den Barlows, Miss Fellowes und einem Stallknecht, der sich um die beiden Pferde und die Kutschen kümmerte.

Unwillkürlich fragte sich Marcus, warum Miss Fellowes nicht schon vor Jahren den Dienst quittiert hatte. Den Eintragungen im Haushaltsbuch zufolge war Miss Fellowes’ Vorgängerin vier Jahre zuvor entlassen und dadurch die jährliche Einsparung von zwanzig Pfund erreicht worden.

Marcus konnte sich des Verdachts nicht erwehren, dass sein knauseriger Großonkel Miss Fellowes überhaupt keinen Lohn gezahlt hatte. Zumindest waren diesbezügliche Ausgaben nicht in den Haushaltsbüchern verzeichnet. Daraus ließ sich schließen, dass Miss Fellowes keine Angestellte, sondern eine vom Großonkel abhängige arme Verwandte war, die er schamlos ausgenutzt und nicht einmal testamentarisch bedacht hatte. Marcus nahm sich vor, der Person, die er sich klein und zierlich vorstellte, weißhaarig und mindestens sechzig Jahre alt, auf möglichst taktvolle Weise Geld anzubieten, um die Hartherzigkeit des Großonkels auszugleichen.

Er verdrängte das für ihn nicht vorrangige Problem und wandte die Aufmerksamkeit wieder dem Rechnungsbuch zu.

Marcus fand seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt, nachdem er mit Mr. Padbury, dem Verwalter, das Gut inspiziert hatte. Je mehr er den überall herrschenden Verfall und die Vernachlässigung gesehen hatte, desto missgelaunter war er geworden. Mr. Padbury, der nicht wissen konnte, was die finstere Miene bedeutete, und voll und ganz die Vorstellungen des verstorbenen Großonkels teilte, versicherte ihm immer wieder, es gäbe noch weitere Möglichkeiten zu Einsparungen.

Einige Minuten später musste Mr. Padbury jedoch kreidebleichen Gesichts zur Kenntnis nehmen, dass seine Vorschläge Seine Lordschaft in höchstem Maße verärgert hatten und die Dinge in Fenby Hall sich von nun an sehr schnell verändern würden. Der Earl hatte ihm mitgeteilt, dass er, wenn er seine Posten behalten wolle, unverzüglich für bessere Lebensverhältnisse der Pächter sorgen und die Abzüge für die Nutzung der Cottages auf einen akzeptableren Betrag reduzieren müsse.

Die Instandsetzung des Besitzes würde ein Vermögen kosten. Marcus wünschte sich, sein geiziger Großonkel möge sich in Anbetracht der Ausgaben im Grabe umdrehen.

Der Butler betrat die Bibliothek, hüstelte verlegen und sagte stockend: „Verzeihung, Mylord. Ich bin Miss Fellowes’ wegen hier. Ich habe ihr soeben das Abendessen gebracht und festgestellt, dass es ihr sehr schlecht geht. Meine Frau meint, der Arzt müsse unbedingt gerufen werden.“

„Und warum ist das noch nicht geschehen?“

„Dazu brauchen wir Ihre Erlaubnis, Sir, und Sie waren den ganzen Tag außer Haus.“

Sprachlos starrte Marcus den Butler einen Moment lang an und fragte dann ungehalten: „Was habe ich damit zu tun? Wenn Miss Fellowes einen Arzt benötigt, steht es ihr selbstverständlich zu, ihn rufen zu lassen.“

Mr. Barlow sah eingeschüchtert aus. „Wir haben ihr schon vor Tagen gesagt, sie müssen unbedingt vom Arzt untersucht werden“, erwiderte er. „Das will sie jedoch nicht, weil sie ihn nicht bezahlen kann. Ihr Großonkel, Sir, hat ihr nie erlaubt, den Arzt kommen zu lassen, nicht einmal dann, als sie sich den Arm gebrochen hatte. Aber Dr. Ellerbeck kam ins Haus, weil meine Frau ihn benachrichtigt hatte. Ihr Großonkel hat sich dann geweigert, für die Kosten aufzukommen. Und das ist der Grund, weshalb Miss Fellowes den Arzt nicht kommen lassen will.“

„Das reicht!“, sagte Marcus erschüttert und sah Mr. Barlow zusammenzucken. Der Großonkel konnte nicht mehr bei Sinnen gewesen sein. „Schicken Sie sofort den Stallknecht zum Doktor. Er soll ihm ausrichten, er möge unverzüglich herkommen. Die Rechnungen, die für die Behandlung von Miss Fellowes’ Armbruch eingeschlossen, werde ich begleichen. Ich werde zu Miss Fellowes gehen und ihr versichern, dass sie sich in Zukunft keine Sorgen mehr machen muss.“

Das war das Mindeste, was er für sie tun konnte. Es wäre nicht anständig gewesen, die arme alte Frau nicht abzusichern. Er hatte sich entschlossen, ihr so viel Geld zu geben, dass sie sich ein Quartier mieten und angemessen leben konnte. Ihm war die Vorstellung zuwider, sie müsse sich, nachdem sein Großonkel sie so schäbig behandelt hatte, weiterhin ihren Lebensunterhalt an anderer Stelle verdienen. Sein Großonkel hatte eindeutig keine Ahnung davon gehabt, welche Verpflichtungen ihm oblagen.

„Ich weiß nicht, Sir, ob Miss Fellowes Sie verstehen wird. Sie hat hohes Fieber. Ich glaube, sie hat nicht einmal gemerkt, dass ich bei ihr war.“

„Wie krank ist sie wirklich?“, erkundigte Marcus sich betroffen.

„Sie ist sterbenselend, Sir. Ich war nicht früher bei ihr, weil es auch meiner Frau schlecht geht und ich ihr helfen musste. Sie hat sich jetzt ins Bett gelegt.“ Mr. Barlow missverstand Lord Rutherfords konsternierte Miene und fuhr hastig fort: „Das Abendessen ist jedoch fertig, Sir. Und Mr. Bates’ jüngere Tochter kommt uns tagsüber helfen, da Sie heute Vormittag gesagt haben, wir könnten Aushilfen einstellen.“

„Zum Teufel mit dem Dinner!“, platzte Marcus heraus. „Bringen Sie mich unverzüglich zu Miss Fellowes!“

Einige Augenblicke später starrte er die in einem großen, altertümlichen Himmelbett liegende Fieberkranke an. Ihr Gesicht war grau und schweißüberströmt. Ihre schmalen Hände zuckten; ihr Atem klang rasselnd, und sie hustete ständig.

„Zum Teufel!“, murmelte Marcus entsetzt. „Gehen Sie sofort zum Stall, Mr. Barlow, und richten Sie Mr. Burnet aus, er solle umgehend meine Karriole fahrbereit machen. Sie fahren mit ihm zum Doktor und sorgen dafür, dass er unterwegs nicht irgendwo einkehrt. Wo finde ich Feuerholz?“

Der Raum war feucht und kalt. Kein Wunder, dass Miss Fellowes krank geworden war. Sie hätte schon vor Tagen vom Arzt untersucht werden müssen. Wahrscheinlich hatte sie zunächst nur eine Erkältung gehabt, aus der dann eine böse Grippe mit Lungenentzündung geworden war.

„Ich werde den jungen Mr. Judd mit Holz heraufschicken“, antwortete Mr. Barlow, verbeugte sich und verließ den Raum.

Marcus starrte Miss Fellowes an und haderte mit sich, weil er nicht schon vor zwei Tagen nach ihr gesehen hatte. Sie war eindeutig schwer krank, und er fühlte sich für sie verantwortlich.

Im Übrigen war sie alles andere als betagt, höchstens zwanzig Jahre alt. Und Marcus befürchtete, es ergehe ihr so schlecht, dass sie den Sommer nicht mehr erleben würde.

Bis der Arzt eintraf, hatte Marcus Feuer gemacht, und die ausstrahlende Wärme vertrieb rasch die im Raum herrschende Kälte. Außerdem hatte er wiederholt Miss Fellowes mit einem angefeuchteten Tuch Stirn und Handgelenke gekühlt und sie, als sie nach etwas zu trinken verlangte, angehoben und ihr den Becher mit Wasser an die Lippen gehalten.

Sie hatte die Augen aufgeschlagen, ihn verwirrt angesehen und sich leise bei ihm bedankt, ehe ihr die Lider wieder zugefallen waren.

Endlich traf der Arzt ein, warf einen Blick auf sie und fragte vorwurfsvoll: „Warum hat man mich nicht früher geholt?“

Marcus erklärte ihm den Grund und fühlte sich dabei eigenartigerweise schuldbewusst. Dr. Ellerbeck schüttelte den Kopf und begann dann mit der Untersuchung der Kranken.

Marcus überlegte, ob er den Raum verlassen solle, wie es sich gehört hätte. Er entschied sich jedoch dagegen, drehte dem Bett nur den Rücken zu und wartete auf das Ende der Untersuchung.

Schließlich fragte Dr. Ellerbeck: „Wo ist Mrs. Barlow?“

Marcus erklärte ihm, auch ihr gehe es nicht gut.

„Miss Fellowes braucht jemanden, der ständig bei ihr ist“, erwiderte der Arzt. „Vielleicht finde ich morgen jemanden, der diese Aufgabe übernehmen kann. Aber wer bleibt heute Nacht bei der Kranken?“

„Ich“, antwortete Marcus spontan und dachte sogleich daran, dass sein Leben etwas außer Kontrolle zu geraten schien.

„Das wird anstrengend“, meinte Dr. Ellerbeck stirnrunzelnd. „Sie braucht Medizin und Salzlösung. Wahrscheinlich steigt das Fieber gegen Morgen an, sodass sie sehr unruhig sein wird.“

Marcus zuckte mit den Schultern. „Es gibt niemanden außer mir, der bei ihr bleiben könnte“, erwiderte er resigniert. „Und zum Teil bin ich an ihrem Zustand schuld. Ich hätte schon vor zwei Tagen nach ihr sehen sollen. Dem Wirtschafterehepaar kann man nichts anlasten. Die Leute konnten nicht ahnen, dass ich mich nicht wie mein Großonkel verhalten würde.“ Marcus war elend bei dem Gedanken, dass die junge Frau hier gelegen hatte und zu stolz gewesen war, den Arzt holen zu lassen, weil sie ihn nicht honorieren konnte, und zu verängstigt, jemandem zu sagen, wie krank sie wirklich war. Die Ärmste hatte offenbar niemanden, der sich um sie kümmerte. Marcus betrachtete ihr aschfahles Gesicht. Zumindest in den nächsten Tagen würde er sich um sie kümmern.

Dr. Ellerbeck schaute ihn prüfend an und äußerte dann bedächtig: „Ich möchte Sie nicht kränken, Mylord, aber wenn Sie bei Miss Fellowes bleiben, dann wird das zu Gerede führen.“

„Ich habe ohnehin nicht den besten Ruf“, erwiderte Marcus. „Sie werden sich auf mein Wort verlassen müssen, Sir, dass ich, wenn ich wirklich Vergnügen daran fände, unschuldige Frauen zu verführen, nie auf den Einfall käme, eine Kranke zu belästigen.“

„Ich habe mir keine Sorgen darum gemacht, Sir, ob Miss Fellowes bei Ihnen sicher ist“, sagte Dr. Ellerbeck ehrlich. „Viel mehr beunruhigt mich, wie die Einheimischen reagieren werden.“

„Glauben Sie wirklich, ich gäbe etwas auf deren Meinung, wenn ich der Ansicht bin, dass Miss Fellowes nicht unbeaufsichtigt bleiben kann?“, fragte Marcus ruhig. „Wie gesagt, außer mir gibt es niemanden, der diese Aufgabe wahrnehmen kann. Im Übrigen ist Mrs. Barlow im Haus, auch wenn sie unpässlich ist. Das müsste genügen, um den Klatschmäulern den Wind aus den Segeln zu nehmen.“

„Wie Sie meinen, Sir“, erwiderte Dr. Ellerbeck achselzuckend und informierte Seine Lordschaft, wie er sich bei der Pflege der Kranken zu verhalten habe. Marcus nahm die Anweisungen zur Kenntnis und stellte nur hin und wieder eine Zwischenfrage.

Schließlich sagte Dr. Ellerbeck: „Ich werde jemanden mit der Medizin und der Salzlösung zu Ihnen schicken. Miss Fellowes muss sehr viel trinken, damit sie nicht austrocknet und das Fieber gesenkt wird. Oh, und achten Sie darauf, dass sie etwas erhöht im Bett liegt, damit sie leichter atmen kann. Und von Zeit zu Zeit sollten sie ihr Stirn und Handgelenke kühlen.“

Marcus warf einen Blick auf die im Fieberwahn murmelnde, sich rastlos im Bett wälzende Kranke.

Dr. Ellerbeck furchte leicht die Stirn. „Ich komme morgen früh wieder her. Sie können mich natürlich früher rufen lassen, falls Sie meinen, das sei unbedingt erforderlich. Meine Bediensteten werden wissen, wo ich mich dann aufhalte.“ Nachdenklich schaute er Seine Lordschaft an und äußerte bedächtig: „Ich finde, Miss Fellowes sollte noch nicht erfahren, wer Sie sind, Sir. Das würde sie vermutlich nur aufregen.“

Marcus nickte verständnisvoll.

„Wie soll ich Sie ihr vorstellen?“

„Sagen Sie ihr, dass ich Marcus Langley heiße“, antwortete er.

Dr. Ellerbeck setzte sich auf das Bett, ergriff die Hand der Kranken und fuhr in leisem, aber befehlendem Ton fort: „Miss Fellowes! Machen Sie die Augen auf!“

Zu Marcus’ größter Überraschung schlug sie die Lider auf. Sie hatte blaugraue Augen und schaute verwirrt den Arzt an.

„So ist es brav, Miss Fellowes“, sagte Dr. Ellerbeck. „Sie sind sehr krank, aber machen Sie sich keine Sorgen. Der Herr hier ist Marcus Langley. Er wird bei Ihnen bleiben und Sie pflegen. Ich muss noch zu einer anderen Patientin und dann zu Mrs. Watkins, die wahrscheinlich heute niederkommen wird. Ich habe ihm erklärt, was er zu tun hat. Er wird Ihnen die Medizin geben und bei Ihnen wachen. Sie können volles Vertrauen zu ihm haben.“ Beruhigend tätschelte Dr. Ellerbeck Miss Fellowes die Hand.

Langsam schwand der verwirrte Ausdruck aus ihren Augen. Marcus sah sie den Blick auf ihn richten und schwach lächeln.

„Sie waren … schon … hier und haben … mir … etwas zu trinken … gegeben“, äußerte sie matt.

Es überraschte ihn, dass sie sich daran erinnerte. Lächelnd nickte er.

Sie erwiderte sein Lächeln und schloss müde die Augen.

Autor

Elizabeth Rolls
<p>Elizabeth Rolls, Tochter eines Diplomaten, wurde zwar in England geboren, kam aber schon im zarten Alter von 15 Monaten in die australische Heimat ihrer Eltern. In ihrer Jugend, die sie überwiegend in Melbourne verbrachte, interessierte sie sich in erster Linie für Tiere – Hunde, Katzen und Pferde – las viel...
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