Die Glut in deinen Augen

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"Was ist das zwischen uns?" Nach einem Unfall hat die Feuerwehrfrau Erin das Gedächtnis verloren. Sie weiß nur eins: Sobald sie Bo Myers trifft, brennt die Leidenschaft lichterloh. Nur warum fühlen sich Bos Berührungen zugleich erregend neu und rätselhaft vertraut an?


  • Erscheinungstag 04.05.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733752330
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Komm schon Erin, ein bisschen Spaß wird dir guttun!“

Bevor Erin Riley protestieren konnte, hatte ihre beste Freundin Dana sie schon bei der Hand genommen und mit sich auf die Theke gezogen. Sie grinste breit und begann zu tanzen.

Erin zögerte einen Moment, dann ließ sie sich darauf ein. Vielleicht hatte Dana recht und sie musste wirklich einmal den Alltag hinter sich lassen. Dafür waren sie schließlich ausgegangen, oder nicht? Um Spaß zu haben!

Die umstehenden Gäste der Bar blickten zu ihnen hoch. „Tanzen, tanzen!“, tönten sie, lauter und lauter – und Erin begann wie von selbst die Hüften zur Musik zu wiegen. Plötzlich wurden auch ihre Gedanken leicht und frei.

Es fühlte sich gut an. Besser, als sie gedacht hatte. Sie hob die Arme und tanzte ausgelassener, angefeuert von den Pfiffen und der Bewunderung der Menge. Erin nahm das bewundernde Glitzern in den Augen der Männer wahr, spürte, wie ihre Bewegungen sie anheizten, und fühlte sich so stark und verführerisch wie lange nicht mehr.

Ja, Dana hatte richtig gelegen! Das hier war genau das, was sie gerade brauchte!

Es lag eine wirklich schwere Zeit hinter ihr. Vor einigen Monaten hatte ihr Job bei der Feuerwehr sie fast das Leben gekostet, doch sie hatte eine zweite Chance bekommen. Ein neues Leben nach dieser entsetzlichen Explosion, die sie in einem Gebäude hatte miterleben müssen.

Nach etlichen Operationen und einer Woche in künstlichem Koma war sie schließlich wieder aufgewacht – fast ohne Erinnerungen. Nur einige wenige Erinnerungsfetzen aus ihrer Kindheit waren noch da, aber ihr gesamtes restliches Leben erschien ihr wie ausgelöscht. Die Ärzte konnten nicht sagen, ob Erin sich jemals wieder erinnern würde. Das musste die Zeit zeigen. Doch mit jedem Tag, der verging, wurde die Chance auf eine vollständige Genesung geringer. Das verunsicherte und ängstigte Erin mehr, als sie zugeben wollte.

Am schwierigsten war der Umgang mit den Menschen um sie herum. Dana spürte, dass sie mit einigen von ihnen besonders verbunden war. Mit Dana, mit ihrer Schwester und auch mit den Feuerwehrleuten aus ihrem Team. Acht Jahre lang hatten sie zusammengearbeitet, doch sie erinnerte sich an nichts mehr. Sie musste einfach darauf vertrauen, dass sie sich kannten und dass sie nur ihr Bestes wollten.

Auch der Unfall selbst lag in völliger Dunkelheit. Erin hatte sich das Hirn zermartert, was genau geschehen war – vergeblich. Ein Kollege war bei diesem Einsatz ums Leben gekommen und die Ermittlungen dauerten an. Es schmerzte Erin, dass sie nichts zur Aufklärung beitragen konnte. Sie fühlte sich schuldig und konnte doch nichts daran ändern. Solange ihre Erinnerung in düsterem Nebel lag, konnte sie nichts zur Aufklärung des Unfalls beitragen.

Sie war sich selbst fremd. Nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war, hätte sie jede Wette abgeschlossen, dass in ihrer Wohnung eigentlich ein Mann lebte. Es gab nichts Feminines, keine Kleider, keine High Heels. Selbst ihre Pyjamas bestanden aus Boxershorts und viel zu weiten T-Shirts mit dem aufgedruckten Emblem der Feuerwehrstaffel.

Diese Zeiten waren vorbei. Erin hatte begriffen, dass dieser Unfall auch eine Chance war. Sie konnte vollkommen neu beginnen und ein Leben führen, das sie zuvor vielleicht niemals gewagt hätte.

Das Ergebnis war ein Shoppingtrip mit Dana und eine vollkommen neue Garderobe. Und dieser Abend in der Bar.

Als der Song vorbei war, halfen die anwesenden Männer Erin und Dana von der Theke herunter. Es waren fast nur Feuerwehrleute und Cops hier, deshalb fühlte Erin sich seltsam sicher. Scott, einer der Männer aus ihrem Team, war mit Dana zusammen.

„Ich kann dich keine Sekunde aus den Augen lassen, oder?“, sagte er lachend und drückte Dana einen Kuss auf die Lippen, der sich schnell vertiefte. Das Funkensprühen zwischen den beiden war auch einige Meter entfernt noch regelrecht zu spüren.

Erin räusperte sich. „Okay, ich … gehe dann mal an den Tisch zurück und esse eine Kleinigkeit.“

Dana winkte ihr zu, ohne die Lippen von Scotts zu lösen, und Erin wandte sich lächelnd ab. Hier wurde sie ganz sicher nicht gebraucht, die beiden kamen prima alleine klar.

Nach wenigen Schritten bemerkte sie einige ihrer ehemaligen Arbeitskollegen an einem Tisch. Sie lachten ihr zu.

„Hey, Butterblume! Wie sieht’s aus?“

Erin lächelte und trat zu ihnen an den Tisch. Seit sie wieder einigermaßen zu gebrauchen war, arbeitete sie im Blumenladen ihrer Schwester. Daher der neue Spitzname.

„Bei mir ganz gut, und bei euch?“

Leroy beugte sich vor. „Wir haben uns etwas überlegt“, sagte er. „Die Ärzte meinten doch, es wäre hilfreich, wenn du Geschichten von der Zeit vor dem Unfall hören würdest, nicht wahr? Wir könnten dir eine Menge erzählen.“

„Einiges davon würdest du vielleicht lieber nicht hören“, sagte Peter grinsend, und Erin konnte nicht anders, als das Grinsen zu erwidern. Es tat gut zu wissen, dass die Jungs ihre Freunde waren und dass sie ebenso sehr wollten, dass ihre Erinnerungen zurückkehrten, wie sie selbst.

„Klingt, als wäre es einen Versuch wert“, sagte Erin. „Also, legt los.“

„Da war z. B. dieser Einsatz bei einem Feuer im Altenheim. Riley rettete einen alten Mann, und der war erst bereit, sich ärztlich behandeln zu lassen, nachdem er dich um ein Date gebeten hatte.“

Erins Kinnlade fiel herunter. „Wie bitte? Das ist wirklich passiert?“ Es fühlte sich seltsam richtig an, dass sie von allen bei ihrem Nachnamen genannt wurde. Irgendwie fühlte sie sich mehr wie eine „Riley“ als eine „Erin“ – auch, wenn sie jetzt sexy gekleidet war. Vielleicht war das noch eine alte Gewohnheit, die von ihrem Unterbewusstsein gesteuert wurde?

„Doch, es ist wahr. Und das Schönste daran ist, du hast tatsächlich zugesagt.“

Derek legte ihr eine Hand auf den Arm, als er Erins irritierten Blick wahrnahm. „Keine Sorge, du bist einfach nur nett zu ihm gewesen. Du hast ihn einige Male im Krankenhaus besucht und ihr habt zusammen etwas gegessen und alte Filme gesehen. Das war das Date. Als er einige Monate später gestorben ist, hat seine Familie sich bei dir dafür bedankt. Es hat ihm wirklich viel bedeutet. Du hast diesen alten Mann sehr glücklich gemacht.“

Erin schluckte schwer und nickte stumm.

„Ein anderes Mal kamen wir an Halloween alle verkleidet in die Feuerwache. Du warst Prinzessin Leia. Und die Bilder in der Zeitung waren großartig. Du hast den gesamten Einsatz in dieser Nacht mit den typischen geflochtenen Zöpfchen bestritten.“

Erin musste bei der Vorstellung lachen und fasste sich an den Kopf. Wegen der Operationen hatte man ihr die Haare abrasieren müssen, und auch jetzt waren sie noch sehr kurz. Sie fühlte sich mit der Frisur aber wohl und konnte sich nicht vorstellen, einmal lange Haare gehabt zu haben. Aber es musste wohl so sein. Dennoch, es war nicht die kleinste Erinnerung daran geblieben.

Plötzlich spürte sie Tränen in sich aufsteigen. Rasch bückte sie sich und nestelte an ihrem Schuh, um die anderen nicht merken zu lassen, was mit ihr los war. Sie fühlte sich so verletzlich! Sie wollte ihre Erinnerungen zurück! Das, was die Jungs ihr erzählten, erschien ihr immer, als beträfe es einen wildfremden Menschen. Nicht sie selbst. Die Vorstellung, dass sie sich an ihr früheres Leben vielleicht niemals wieder erinnern würde, war unglaublich beängstigend, und manchmal, in Augenblicken wie diesem, überrollte die Angst sie fast.

Als sie wieder auftauchte, waren ihre ehemaligen Kameraden bereits in ein anderes Gesprächsthema vertieft. Erin war froh darum und setzte sich an einen Tisch in der Nähe, um in Ruhe zu essen. Doch sie wurde das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Irgendjemand schien sie im Auge zu behalten.

Suchend wandte sie den Kopf – und erstarrte mitten in der Bewegung.

Dort, am anderen Ende der Bar, saß Bo Myers. Sein Blick ruhte so fest auf ihr, dass Erin für einen Moment kaum noch atmen konnte. Ein erregtes Prickeln jagte ihr über die Haut, ohne dass sie es sich erklären konnte.

Bo war der Fire Marshal für diesen Bezirk und sie hatte ihn nach ihrem Unfall einige Male getroffen. Er war auch in ihrem Krankenzimmer gewesen, als sie aus dem Koma erwacht war. Und auch wenn Erin es sich nur ungern eingestand – Bo Myers war einer der interessantesten Männer, die ihr jemals begegnet waren. Er sah nicht nur gut aus – groß, durchtrainiert, mit einer ureigenen Power, die faszinierend war –, sondern es war die Ausstrahlung, die ihn umgab, die sie gefangen nahm. Er wirkte stets souverän, ernst, zielstrebig. Sie konnte sich nicht erinnern, ihn jemals mit einem Lächeln auf den Lippen gesehen zu haben. Und doch schien es ihr, als wären sie sich vertraut, auf einer Ebene, die sie nicht erklären konnte.

Jedes Mal, wenn sie ihm begegnete, fühlte sie in sich den Impuls, sein Haar zu berühren. Es war kurz und immer ein wenig verstrubbelt, so als wäre er gerade aus dem Bett gestiegen. Doch jetzt, in diesem Moment, war es sein fast hypnotischer Blick, der Erin aus dem Konzept brachte. Er beobachtete sie. Und er wollte ganz offensichtlich, dass sie es wusste.

Ihre Teamkollegen hatten ihr erzählt, dass Bo früher mit ihnen zusammen gearbeitet hatte, bevor er die Abteilung gewechselt hatte. Erin konnte sich das kaum vorstellen. Bo war so vollkommen anders als die anderen Jungs – still und distanziert. Er wirkte wie geschaffen für den Job des Ermittlers, den er jetzt ausübte.

Genau deshalb hatte er sich in ihre Träume geschlichen – Träume, in denen er und sie nackt waren. Träume, die Erin lieber für sich behielt.

Doch die Art, mit der er sie jetzt musterte, beunruhigte und erregte sie zugleich. Hastig stand sie auf. „Zeit, nach Hause zu gehen“, murmelte sie sich selbst zu, verabschiedete sich kurz von ihren Kollegen und machte sich auf den Weg zur Tür. Sie hatte es nicht weit bis zu ihrer Wohnung und die frische Luft würde ihr sicher guttun. Sie musste den Kopf freibekommen. Dringend.

Aus dem Augenwinkel sah sie, dass auch Bo Myers aufstand. Sie zögerte unmerklich, wandte den Kopf und schluckte trocken. Oh Gott. Er kam direkt auf sie zu.

Bo Myers war sich nicht sicher, warum er Erin folgte. Er hätte auf Abstand bleiben müssen. Professionell und souverän. Doch das war absolut unmöglich. Hätte er im Vorfeld gewusst, dass sie an diesem Abend hier sein würde, er hätte sich eine andere Bar gesucht. Es gab mehr als genug davon in Syracuse.

Er hatte seinen Augen nicht getraut, als Erin auf die Theke gestiegen war, um dort vor allen zu tanzen. Das ähnelte ihr so gar nicht – zumindest nicht öffentlich. Für ihn hatte sie früher öfter getanzt, wenn sie allein gewesen waren. Bo wusste, dass er sich nicht einmischen durfte, denn all das ging ihn nichts mehr an. Doch zu sehen, mit welchen Blicken manche der Kerle in der Bar Erin förmlich verschlungen hatten, war furchtbar gewesen.

Noch schlimmer war allerdings die Tatsache, dass sie sich an nichts erinnerte.

Als er sie einholte, blickte sie hastig nach links und rechts, als suche sie einen Weg zur Flucht. Bo registrierte das überrascht, denn er hatte nie etwas getan, das dieses Verhalten rechtfertigen würde. Im Gegenteil. Eigentlich war er es, der die Flucht ergreifen müsste, sobald Erin den Raum betrat.

„Riley“, sagte er und blinzelte. Auf den letzten Scotch hätte er vielleicht verzichten sollen, für eine vernünftige Unterhaltung war Alkohol nicht wirklich förderlich. Aber schon seit einiger Zeit schlief er schlecht, und mit einem Drink, so bildete er sich ein, wurde es leichter. Aber das war wahrscheinlich auch nur eine Illusion. „Wie geht’s?“

„Danke, ich wollte gerade gehen.“

Erin hatte immer diese besondere Art gehabt, ihn anzusehen, und auch heute hatte Bo ganz kurz das Gefühl, in ihren wunderschönen grünen Augen zu versinken. Doch dann löste sie ihren Blick von seinem. Ihre Bewegungen wirkten spröde, sehr distanziert. Es war merkwürdig, Erin so zu sehen. Alles an ihr erinnerte ihn an früher. Und doch war alles vollkommen verändert.

Er schluckte schwer. Er wusste alles über Erin. Er kannte jeden Millimeter ihres Körpers, er wusste, was sie liebte und was sie hasste, worauf sie stand, was sie zum Lachen brachte und dass sie es nicht leiden konnte, vor anderen zu weinen. Dass er sie nicht mehr berühren durfte, war noch immer viel schwerer zu ertragen, als er es sich eingestehen wollte.

Einen Monat vor Erins fürchterlichem Unfall im brennenden Lagerhaus hatten sie sich getrennt. Bo hatte mehr gewollt als eine unverbindliche Beziehung, und Erin war dazu nicht bereit gewesen. Sie hatte sich nicht voll auf ihn einlassen wollen. Deshalb hatten sich ihre Wege getrennt. Es war nichts vorgefallen, es gab keinen Streit, keinen Hass. Erin hatte ihn nur nicht genügend geliebt. Das war bitter gewesen.

Und der Tag ihres Unfalls war der bisher schlimmste in seinem Leben gewesen.

Doch Erin hatte überlebt, nur das zählte. Auch wenn sie sich nicht an ihre Beziehung erinnerte und ihn in diesem Moment ansah, als würde sie am liebsten auf der Stelle die Flucht ergreifen.

Für sie war er nur einer von vielen baggernden Männern in dieser Bar. Und es gab absolut nichts, was er dagegen tun konnte.

„Gute Nacht, Marshal“, sagte sie nun, nickte ihm förmlich zu, drehte sich um und verließ ohne ein weiteres Wort die Bar.

Bo presste die Kiefer aufeinander und kehrte an seinen Tisch zurück, in sich das Gefühl brennenden Schmerzes. Sein ganzes Leben schien sinnlos ohne Erin. Er war genau dort, wo er immer hingewollt hatte. Er war Brandermittler. Doch es bedeutete ihm rein gar nichts mehr. Im Gegenteil, selbst in seinem Job wurde er ständig an sie erinnert.

Er legte einige Scheine auf den Tisch und wandte sich zur Tür. Er musste nach Hause. Es brachte nichts, hier herumzusitzen und sich den Kopf über die Vergangenheit zu zerbrechen. Betrinken konnte er sich auch zu Hause, ohne dass es jemand mitbekam. Das war wahrscheinlich sogar wesentlich schlauer.

Es war eine warme Juninacht und Bo steuerte auf den Parkplatz zu. Er konnte nur hoffen, dass Erin nicht mehr mit dem Auto gefahren war. Auch sie hatte an diesem Abend einige Bier getrunken.

Ein Schatten bewegte sich nur wenige Meter von ihm entfernt. Bo runzelte die Stirn. „Erin?“

Sie saß auf einem der Picknicktische aus Holz, die den Parkplatz säumten. Als er sie ansprach, zuckte sie zusammen. „Oh. Hallo.“

„Was tust du hier?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich schnappe ein wenig frische Luft. Und ich sehe mir die Sterne an. Ist es nicht verrückt, dass ich genau sagen kann, wie die einzelnen Sternbilder heißen, mich aber an die wirklich wichtigen Dinge überhaupt nicht erinnern kann?“

Bo nickte. „Ja, das klingt wirklich ein bisschen verrückt. Aber du weißt, was die Ärzte gesagt haben. Es ist eine Frage der Zeit, und dann …“

„Ja, das weiß ich!“, unterbrach sie ihn. „Es war auch mehr eine rhetorische Frage.“

„Oh, verstehe. Entschuldige bitte.“

Erin straffte sich. „Und was machst du noch hier?“

„Ich bin auf dem Heimweg. Aber ich bin froh, dass ich dich nochmal treffe. Um ehrlich zu sein, der Tanz vorhin auf der Theke … Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee war. Und das wollte ich dir sagen.“

Erin runzelte die Stirn. Ein gereiztes Funkeln trat in ihre Augen. „Ach ja? Und warum war das keine gute Idee?“

„Es könnte immerhin sein, dass du früher oder später deinen alten Job zurückhaben möchtest. Die Jungs sehen dich aber schon jetzt mit anderen Augen. Das könnte alles sehr kompliziert machen.“

Erin sprang vom Tisch. „Na und? Was geht dich das an?“

Bo fasste sie kurz am Arm. „Da ist noch etwas.“

„Und das wäre?“

„Die Familie von Joe möchte, dass wir genauer ermitteln. Gegen dich.“

Erin lachte heiser auf. „Wie bitte? Sie denken also, ich wäre für seinen Tod verantwortlich?“

„Sie trauern und suchen einen Schuldigen. Wir alle wissen, dass du nichts dafür kannst. Es war ein Unfall. Aber es wäre klug, wenn du dich ein wenig zurückhältst. Bis alles geklärt ist.“

Bo wusste, dass das Unsinn war. Er wollte nicht, dass Erin sich zurückhielt, weil das die Ermittlungsarbeit beeinflusste, denn das tat es so oder so nicht. Er bat sie um Zurückhaltung, weil er selbst dann besser damit klarkam. Er ertrug es nicht, zu wissen, dass andere Männer sie begehrend anblickten. Und noch weniger ertrug er den Gedanken, sie könnte mit irgendeinem von ihnen etwas anfangen.

„Vergiss es“, sagte sie und wandte sich abrupt zum Gehen. Bo machte zwei große Schritte und hielt sie erneut auf. „Und jetzt? Was machst du jetzt?“, fragte er leise.

Erin musterte ihn, und plötzlich war da wieder diese Unsicherheit in ihrem Blick. Und Neugier. Sie waren sich so nah, dass ihre Körper sich fast berührten. Bo roch den feinen Duft von Erins Parfum und sein Herz begann schneller zu schlagen.

„Was ist das zwischen uns?“, fragte sie leise. „Ich verstehe es nicht.“

Bo schluckte. „Was verstehst du nicht?“

„Ich kenne dich nicht. Ich glaube, ich mag dich nicht einmal besonders. Und trotzdem ist da dieses Gefühl … Wenn ich dich ansehe, dann passiert irgendetwas mit mir. Warum?“

Sie erinnerte sich also! Oder irgendetwas in ihrem Unterbewusstsein erinnerte sich. War das vielleicht ein Anfang?

Bo nahm Erins Kinn vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger. Er wusste, es wäre besser jetzt zu gehen. Doch er konnte nicht.

„Ich weiß genau, was du meinst“, flüsterte er und blickte ihr tief in die Augen. „Mir geht es nämlich ebenso.“

Sie starrte ihn an und schmiegte nur eine Sekunde später ihre Wange in seine Handfläche. Die Berührung jagte ein Glühendes Ziehen durch Bo. Er konnte nichts dagegen tun. Und er wollte es auch nicht.

Alles andere wurde unwichtig, es gab nur noch Erin und ihn. Er wollte ihr nah sein. Viel näher als jetzt gerade.

Sanft legte er eine Hand in Erins Nacken und zog sie zu sich. Ihre Lippen trafen sich, und zum ersten Mal seit Monaten hatte Bo das Gefühl, wieder atmen zu können. Sein Herz weitete sich.

Es hätte ein kurzer, flüchtiger Kuss werden können, doch es wurde so viel mehr. Das Verlangen baute sich in Sekundenbruchteilen auf und Bo spürte, dass Erin sich ihm entgegendrängte. Wie früher. Auch wenn sie sich daran nicht mehr erinnern konnte.

Er öffnete die Lippen und erforschte mit der Zungenspitze ihren Mund, bis ihre Zungen sich trafen. Der Kuss wurde tiefer, inniger. Bo konnte sich nicht erinnern, jemals eine Frau so leidenschaftlich geküsst zu haben. Er legte alles in diesen Moment, was er hatte, während er eine Hand unter Erins Shirt schob. Ihre Haut fühlte sich samtig an. Bo hörte, wie sie scharf den Atem einzog, als er mit den Lippen an ihrem Hals entlangwanderte. Ganz plötzlich löste Erin sich von ihm, als hätte sie erst jetzt begriffen, was gerade geschehen war.

Bo konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Er streckte eine Hand nach ihr aus. „Erin, bitte …“

Doch schon rannte sie an ihm vorbei, die Straße hinunter.

Bo blickte ihr nach, das Herz noch immer wild pochend. Verdammt! Was hatte er sich nur dabei gedacht? Er hätte sich besser unter Kontrolle haben müssen!

Niemand wusste von der Beziehung zwischen ihnen. Sie hatten sie immer geheim gehalten. Wenn nun herauskam, dass sie sich geküsst hatten, würde man ihn von den Ermittlungen für diesen Fall abziehen. Im besten Fall blieb es dabei, aber im schlimmsten würde man vermuten, dass er versuchte, irgendetwas zu vertuschen, was Erin betraf. Nein, er durfte nicht darüber nachdenken, wie kompliziert dann alles werden würde. Es durfte einfach nicht an die Öffentlichkeit kommen. Auf keinen Fall!

Er atmete tief durch und tastete in seiner Tasche nach seinem Handy, um ein Taxi zu rufen. Sein Herz pochte noch immer wie wild und ließ sich kaum beruhigen.

Eines war vollkommen klar: Was auch immer dieser Kuss nach sich ziehen würde – er war es mehr als wert gewesen.

2. KAPITEL

„Blöde Dornen!“ Erin zog die Hand zurück und betrachtete den Blutstropfen an ihrer Fingerspitze. Sie wickelte hastig ein Taschentuch darum, um die Blutung zu stoppen.

Die Arbeit als Floristin war wirklich nicht ihre Lebensaufgabe, aber immerhin lenkte dieser Job sie vom pausenlosen Grübeln ab. Und davon, alleine zu Hause zu versauern.

Die Gedanken an Bo Myers allerdings konnte heute auch diese Arbeit nicht vertreiben.

Seit er sie am vorigen Abend geküsst hatte, war alles anders geworden. Sie hatte schon zuvor von ihm geträumt, aber jetzt waren diese Fantasien sehr viel konkreter geworden. Erin hatte kaum geschlafen in dieser Nacht, und am meisten irritierte sie das Gefühl, dass dieser Kuss richtig gewesen war. Als hätte es so sein müssen zwischen ihnen. Es hatte sich so vertraut angefühlt.

In ihren Träumen hatte Bo neben ihr gelegen, und jeder Millimeter seines Körpers war ihr bekannt vorgekommen. Da war diese mandelförmige Narbe an seiner Hüfte, die sie nicht vergessen konnte. Und die Intensität seiner Küsse, die sie mehr und mehr gefangen genommen hatte. Und sie hatte Äpfel in ihrem Traum gesehen, als läge sie unter einem riesigen Baum mit reifen Früchten. Woher kamen diese seltsamen Bilder?

Sie schüttelte die Fragen ab, kümmerte sich um die restlichen Rosen und ging nach vorne in den Verkaufsraum.

Ihre Schwester Kathleen, die am liebsten einfach nur Kit genannt wurde, saß bereits über der Tagesabrechnung.

„Ist es schon so spät?“, fragte Erin verwundert.

„Es ist halb fünf. Ich habe den Laden heute ein bisschen früher geschlossen.“

Erin spürte, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann. „Wäre es in Ordnung für dich, wenn ich auch ein wenig früher Schluss mache?“

Kit musterte sie prüfend. „Gehst du wieder mit den Jungs von der Feuerstaffel aus? Wie gestern?“

Schlagartig baute sich eine unangenehme Spannung auf. Erin wusste, dass Kit ihren früheren Job nie gemocht hatte, und der Unfall hatte sie in ihrer Meinung, dass er zu gefährlich war, nur noch bestärkt. Doch Erin war erwachsen! Sie konnte ausgehen, wohin sie wollte, mit wem sie wollte. Ohne dass sie dafür Kits Einverständnis brauchte. Dennoch wollte sie nicht mit ihrer Schwester streiten.

„Ich sehe dir an der Nasenspitze an, dass irgendetwas dich beschäftigt“, sagte Kit und legte den Kopf schief. „Also, raus damit.“

Erin wählte ihre Worte mit Bedacht. „Sag mal … Weißt du vielleicht, ob ich vor dem Unfall mit jemandem zusammen war? Hatte ich Dates? Gab es einen bestimmten Mann in meinem Leben?“

Kit hob eine Braue. „Nicht dass ich wüsste. Du warst eigentlich immer nur mit deiner Arbeit beschäftigt. Warum fragst du? Hast du dich an etwas erinnert?“

„Ich bin mir nicht sicher“, erwiderte Erin. „Es könnte eine Täuschung sein. Ich habe gestern Abend in der Bar jemanden getroffen und es fühlte sich so vertraut an. Es war merkwürdig. Und jetzt frage ich mich, ob zwischen uns früher vielleicht mehr war.“

Kit lächelte matt. „Ganz ehrlich? Du hast nie jemandem von deinen Dates erzählt. Es könnte also gut sein, dass du dich mit jemandem getroffen hast und ich habe keine Ahnung davon. Kannte er dich denn?“

Erin nickte. „Ja, definitiv. Und da war etwas zwischen uns. Eine besondere Spannung, verstehst du?“

Die Tatsache, dass sie sich an nichts erinnerte, schloss auch ihr Sexleben mit ein. Es war unglaublich irritierend, nicht zu wissen, ob es da jemanden gegeben hatte. Vor ihrem Unfall hatte sie zumindest die Pille genommen. Aber hatte das etwas zu sagen? Erin wusste es nicht.

„Okay, und was hat er gesagt?“, bohrte Kit nach.

„Nicht viel“, erwiderte Erin. „Ich bin auch eher vor ihm geflüchtet, um ehrlich zu sein. Ich war ein wenig überfordert mit der Situation.“

Kits Miene wurde weicher. „Ich kann mir vorstellen, dass das unheimlich sein muss. Du triffst einen Mann, der mehr über dich weiß als du selbst. Aber vielleicht kann er dir weiterhelfen?“

Autor

Samantha Hunter
<p>Bevor Samantha Hunter sich voll und ganz dem Schreiben widmete, arbeitete sie zehn Jahre als Lehrerin für kreatives Schreiben an der Universität. Ihr erster Liebesroman, Virtually Perfect, den sie 2004 fertigstellte, wurde direkt veröffentlicht. Sieben weitere Liebesromane folgten bis heute. Samantha Hunter ist mit Leib und Seele Autorin. Und wenn...
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