Die heißen Küsse des Highland-Kriegers

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"Flieh, Mädchen!" Voller Furcht versteckt die schöne Schottin Derryth sich in den wilden Highlands, als ein Angriff des grausamen Kriegers, der nur "der Wolf" genannt wird, bevorsteht. Doch die Männer des Wolfs finden sie, und ihr Anführer, der mächtige Dull der Namenlose, erklärt sie zu seiner Beute. Derryth ist hin- und hergerissen zwischen der Angst vor seinem eisblauen Blick und der Sehnsucht nach seinen heißen Berührungen. Und dann entdeckt sie auf seinem Arm eine entlarvende Tätowierung: Dull ist nicht namenlos, sondern ein Kincaid! Also ist der Wolf ihr gemeinsamer Todfeind - nur die Liebe kann sie jetzt noch schützen …


  • Erscheinungstag 18.06.2019
  • Bandnummer 341
  • ISBN / Artikelnummer 9783733736583
  • Seitenanzahl 264
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Als der Befehl seines Herrn erscholl, kletterte der Junge den Niedergang hinauf und begann heftig zu blinzeln. Nach der langen Zeit im dämmrigen Frachtraum war das trübe Licht an Deck viel zu hell und schmerzte ihm in den Augen wie die gleißende Sonne über dem Mittelmeer.

Dabei schien gar keine Sonne, sondern es herrschte dichter Nebel und die gleiche durchdringende Kälte, die in den vergangenen wer weiß wie vielen Tagen in den Bauch des Schiffs gekrochen war und durch seine Lumpen bis in seine Knochen.

Ungeduldig wischte er sich über die Augen, um das Brennen loszuwerden, das sich anfühlte wie aufsteigende Tränen. Er hatte vor langer Zeit aufgehört zu weinen, nachdem die strafende Peitsche des Sklavenhändlers ihm Gefühle nachhaltig ausgetrieben hatte.

„Hierher, Junge“, rief sein schwarzäugiger venezianischer Besitzer in seine Gedanken hinein. Die Stimme sandte eine Woge von Hass durch den Jungen.

Solange er zurückdenken konnte, hatte ihm dieser Hass das Herz verzehrt. Hatte ihn am Leben gehalten, während andere gestorben waren, so wie sein einziger Freund Omid, der ihm an einem Tag noch die Sagen von den Trojanern und Griechen erzählt hatte, von Achilles und Hektor, und am nächsten reglos und kalt dagelegen hatte … um noch vor dem Mittag von der See verschlungen zu werden.

Der Junge gehorchte, seine Ketten rasselten, als er sich in Bewegung setzte und vor seinem bärtigen Gebieter und einem zweiten Mann, den er noch nie gesehen hatte, stehen blieb. Aber Fremde waren nichts Ungewöhnliches auf dem Schiff. Sie kamen, trafen ihre Wahl, gaben dem Sklavenhändler Geld und gingen mit Männern und Jungen, denen man ihre Lebensgeister und ihre Seelen geraubt hatte, davon.

„Das ist er.“ Der Sklavenhändler wies auf seinen Kopf. „Aye, seht Euch nur sein helles Haar an … und die blauen Augen.“

Ein abschätzender Blick aus dunklen Augen glitt an ihm herunter.

„Ein schottischer Junge unter all diesen Griechen und Slaven? Wie ungewöhnlich. Wie befremdlich.“ Der Mann hörte sich an, als amüsierte ihn die Feststellung. Er lehnte sich gegen die Reling. „Ich wüsste zu gerne, wie das möglich ist.“

Der Sklavenhändler stieß ein raues Lachen aus.

Schottisch … Der Junge wusste nicht, was das Wort bedeutete. Wenn er ehrlich war, verstand er kaum, was der Mann mit dem fremd klingenden Zungenschlag sagte. Er sprach mit einem starken Akzent, den er noch nie gehört hatte, der jedoch eigenartigerweise dem Tonfall aus seinen Träumen ähnelte.

Der Junge hielt den Kopf gesenkt, wie er es gelernt hatte, und so entging ihm nicht, dass die Stiefel des Besuchers aus feinstem dunklem Leder gearbeitet waren. Und dass der Saum seiner schweren Wolltunika reich mit Blättern und Kreissymbolen bestickt war.

Der Fremde seufzte, als lastete ihm etwas schwer auf der Seele. „Wie könnte ich, so ich denn auch nur einen Funken von Gewissen in mir trage, zulassen, dass ein Stammesbruder von mir, und sei er auch von niedrigster Geburt, das Leben eines Sklaven führt?“

Würde der Mann ihn kaufen und sein neuer Gebieter werden? Würde er das Schiff verlassen und in diesem fremden, kalten Land leben? Wahrscheinlich nicht. Bis jetzt hatte nie jemand genug Geld geboten.

Die Stiefel traten näher. „Was sein Alter angeht, liege ich richtig mit meiner Einschätzung, dass er …?“

„Zwölf, würde ich sagen.“ Die Peitsche über das Deck ziehend, trat der Sklavenhändler vor, packte den Jungen am Handgelenk und riss ihm den Arm hoch. „Und so gesund und stark wie ein Bulle. Seht Ihr seine Muskeln? Er wurde ordentlich gefüttert, musste tüchtig arbeiten und wurde nicht viel geschlagen.“

Der Fremde musterte ihn mit seinen dunklen Augen. „Wie heißt du, Junge?“, verlangte er ruhig zu wissen.

Der Junge dachte angestrengt nach. Sein Name? Niemand hatte ihn je beim Namen genannt. Keinem Namen wie Omid oder Ivar jedenfalls.

„Junge“, antwortete er mit krächzender Stimme.

Der Fremde warf den Kopf in den Nacken und lachte dröhnend.

Dann musterte er ihn abermals. In seinen dunklen Augen leuchtete Zufriedenheit. „Wie würde es dir gefallen, ein Soldat für Schottland zu werden, Junge? Wie würde es dir gefallen, für mich zu kämpfen?“

1. KAPITEL

An Caisteal Niaul, Inverhaven, März 1390

Es war nach Mitternacht, es goss wie aus Eimern, und es war kalt.

„Zählt es denn gar nicht, dass ich nicht fortgeschickt werden will?“ Derryth MacClaren saß auf ihrem Pferd, die Zügel in den mit dicken Fäustlingen behandschuhten Händen. Die Brust war ihr eng vor Angst und Schrecken.

Vor wenigen Momenten, so schien es ihr, hatte sie noch in ihrem warmen Bett gelegen und geschlafen. Um im nächsten Augenblick von einem Krieger der Kincaids in den Sattel gehoben zu werden. Bei strömendem Regen. Ein Fuhrwerk stand da … und eine Gruppe von Kincaid-Männern, die sich in der Nähe versammelt hatten und leise miteinander sprachen. Sie trugen dunkle Kapuzen und Pelze, unter denen Waffen hervorschimmerten. Zweifellos handelte es sich um ihre Wächter.

Nur dass sie die Burg nicht verlassen wollte, nicht durch das Tor in die Dunkelheit draußen hinausreiten wollte, selbst wenn die stärksten und fähigsten Krieger des Clans sie auf dem Weg beschützten. Obwohl sie sich noch immer schlaftrunken fühlte, begann die eisige Luft ihre Gedanken zu klären.

In einen dunklen Kapuzenumhang gehüllt, stand ihre ältere Halbschwester Elspeth Braewick, Lady Kincaid, im Schatten des Burgfrieds und sah zu ihr hoch. Regentropfen glitzerten auf ihrem Gesicht.

„Selbstverständlich zählen deine Wünsche“, antwortete sie leise und versöhnlich. „Aber manchmal musst du darauf vertrauen, dass Entscheidungen getroffen werden, die zu deinem eigenen Besten sind. Es tut mir leid, Derryth, aber in dieser Angelegenheit hast du kein Mitspracherecht. Du musst gehen.“

„Was für eine erbärmliche Antwort, Elspeth!“ Derryth runzelte die Stirn. „Ich bin doch kein Kind mehr, von dem man blinden Gehorsam erwarten könnte.“ Sie war neunzehn, beinahe zwanzig. „Sag mir, warum du mich fortschickst.“

Sie hatte nur eine verschwommene Erinnerung daran, dass sie von Elspeth geweckt und anschließend von zwei schweigenden Mägden angekleidet worden war. Unter dem dicken pelzgefütterten Umhang trug sie Bauernkleidung – aus wasserabweisendem Stoff, Leder und Wolle, grob zusammengenäht, und darunter gleich zwei Paar Hosen aus Wolle. Man hatte ihr einen Dolch um die Hüfte geschnallt, und statt ihres sanften grauen Ponys saß sie auf einem zähen jungen Maultier.

Den Blick unbeirrt auf ihre Schwester geheftet, umfasste sie die Zügel fester. Weshalb hatte man sie nicht eingeweiht in diesen Plan? Weshalb wurde sie ausgerechnet jetzt fortgeschickt, mitten in der Nacht?

Und plötzlich … wusste sie es.

„Es ist wegen des Wolfs, habe ich recht?“ Ihre Stimme war nur ein Flüstern, und das Herz in ihrer Brust wurde ihr schwer wie Stein. Allein seinen Namen auszusprechen ließ alles vor ihren Augen verschwimmen und machte ihr die Kehle eng. Und obwohl sie die vergangenen zwei Jahre in Frieden gelebt hatten, schwebte der dunkle Schatten einer feindlichen Präsenz über Inverhaven wie eine unablässige Drohung.

„Aber nein, natürlich nicht.“ Die Schwester schüttelte den Kopf. Ihre zusammengezogenen Brauen und das angedeutete Lächeln erklärten Derryths Einfall zu einer abwegigen Idee. Aber bezeichnenderweise sah Elspeth beiseite, während sie sprach.

Derryth begriff. Irgendeine unangenehme Wahrheit wurde ihr vorenthalten. Ihr Pulsschlag beschleunigte sich.

„Ich glaube dir nicht. Er hat den Kincaids wieder gedroht, ist es nicht so? Schick mich nicht fort. Ich bin entschlossen, bei dir und Niall zu bleiben. Ich habe keine Angst.“

Eine glatte Lüge. Sie hatte Angst vor dem Wolf – Alexander Stewart, Earl of Buchan – und der schrecklichen Zerstörung, mit der er die Kincaids zu überziehen drohte. Aber die Liebe zu ihrer Schwester und allen anderen Bewohnern von Inverhaven machte sie tapferer, als ihr zumute war.

Wie Elspeth war Derryth eine geborene MacClaren. Doch nachdem Elspeth vor zwei Sommern Niall Brae­wick, den Laird des Clan Kincaid, geheiratet hatte, gehörten die Kincaids auch zu Derryths Familie. Die erbitterte Feindschaft, die einstmals zwischen den beiden Clans geherrscht hatte, war zu einer entfernten Erinnerung verblasst.

Seit dem Frühsommer wohnte Derryth als Gast ihrer Schwester und ihres Schwagers auf An Caisteal Niaul, der legendären Wolkenburg des Clan Kincaid. Bei den Feiern und Festen hatte sie mehrere aufregende Beinahe-Romanzen erlebt, ohne ihre Zuneigung jedoch einem speziellen Bewunderer zu schenken, da keiner die Anforderungen ihres wankelmütigen Herzens erfüllte. Doch im Laufe der Zeit war Inverhaven praktisch ihre Heimat geworden.

Und nun schickten sie sie fort, zu ihrem anderen Zuhause, der Festung der MacClarens bei Falranroch, wo ihre verwitwete junge Stiefmutter Bridget regierte.

„Natürlich hast du keine Angst, und die brauchst du auch nicht zu haben, weil es absolut nichts gibt, das dir Anlass dazu böte.“ Ihre dunkelhaarige Schwester sprach leichthin, doch der unbehagliche Unterton in ihrer Stimme entging Derryth nicht. „Aber der Winter ist praktisch vorüber, und Bridget verdient ein wenig Erholung von der Erziehung unserer kleinen Schwestern.“ Elspeth lächelte flüchtig. „Mairi und Kat werden überglücklich sein, dich wiederzusehen nach der langen Abwesenheit.“

Mairi und Kat vermisste sie wirklich. Ihr unablässiges kindliches Plappern und Lachen. Trotzdem wollte sie Els­peth nicht verlassen, nicht nachdem sie einander so nahe gekommen waren in der Zeit nach dem Tod ihres Vaters im letzten Jahr. In ihrer Trauer, so schien es, hatten sie einander zum ersten Mal mit anderen Augen sehen können. Davor hatte Derryth die ältere Schwester für rechthaberisch gehalten, während sie sie nun als ihre engste Freundin betrachtete. Die Zeit hatte ihnen so viel genommen – ihre Mütter und nun ihren Vater, den sie innig geliebt hatten, auch wenn er weit davon entfernt gewesen war, perfekt zu sein. Im Augenblick schien es das Wichtigste zu sein, dass sie zusammenblieben.

Wenn tatsächlich alles gut und in Ordnung gewesen wäre auf Inverhaven, wie ihre Schwester behauptete, und sie lediglich fortgeschickt würde, um ihrer Stiefmutter mit den kleinen Schwestern zu helfen, hätte sie ohne Weiteres mit der Abreise warten können, bis das Wetter sich besserte, statt mitten in der Nacht aufzubrechen, noch dazu bei wolkenbruchartigem Regen.

Angst breitete sich in Derryths Magengrube aus. Kein Zweifel, man schickte sie fort, um sie vor etwas zu schützen, und das bedeutete, Elspeth und Niall wussten um eine Gefahr oder eine Bedrohung.

„In zwei Tagen bist du auf Falranroch“, sagte ihre Schwester in ihre Gedanken hinein. „Und ehe du dich versiehst, schläfst du wieder in einem gemütlichen Bett.“

Elspeth lächelte gezwungen, doch Derryth wusste, dass die Feuchtigkeit in ihren Augen nicht vom Regen herrührte, sondern von Tränen.

Unwillkürlich schossen auch ihr Tränen in die Augen. Elspeth war immer die Starke gewesen, sie hatte kaum jemals geweint. Und jetzt vergoss sie aus irgendeinem Grund Tränen ihretwegen. Weil sie Angst hatte? Weil sie einander vielleicht nie wiedersehen würden?

„Ich weiß gar nicht, warum wir so rührselig sind!“ Derryth schniefte und streckte die Hand aus. „Du wirst es mir ja doch nicht sagen.“

Elspeth ergriff ihre Finger und seufzte. Das bemühte Lächeln um ihre Lippen verblasste.

„Es ist wie immer“, sagte sie resignierend. „Du entlockst mir meine Geheimnisse.“ Sie warf Derryth einen liebevollen Blick zu und drückte ihr die Hand. „Gestern kam der alte Pächter Carmag auf die Burg und bestand darauf, mit Niall zu sprechen. Bei der Feldarbeit habe er drei, vier Soldaten auf einem Hügel in der Ferne gesehen, berichtete er.“ Elspeths Stimme wurde brüchig. „Männer des Königs.“

Derryth zuckte unmerklich zusammen, doch dann setzte sie sich kerzengerade auf. Das Herz trommelte ihr wie wild gegen die Rippen, während ihr Verstand die Worte der Schwester in ihrer ganzen Tragweite zu begreifen begann. Die Luft um sie her schien kälter zu werden, die Umgebung dunkler.

Also hatte sie doch recht gehabt.

Männer des Königs.

Genauso gut konnte man sie Buchans Männer nennen, jedenfalls hier, in dieser entlegenen Ecke der Highlands, so weit entfernt von Scone und Edinburgh. Als dritter Sohn König Roberts und, wie einige behaupteten, sein Lieblingssohn, befehligte der Wolf einen Trupp königlicher Kämpfer und privater Söldner. Zwar hatte er vor zwei Jahren viel von seiner Macht eingebüßt, sie jedoch nach und nach zurückgewonnen, sodass er inzwischen wieder genauso gefährlich war wie ehedem. Allerdings hatte er bis jetzt Abstand gehalten.

Plötzlich wollte Derryth nichts mehr als in den Wohnturm zurückkehren, in ihr weiches warmes Bett, und weiterschlafen, um vielleicht, wenn sie am nächsten Morgen erwachte, zu entdecken, dass alles nur ein böser Traum gewesen war.

Womöglich aus innerer Unruhe hob Elspeth die Hand an ihre Kehle und nestelte an der schlichten Bronzespange, die ihren Umhang zusammenhielt. Dann setzte sie zu sprechen an: „Niemand sonst hat sie gesehen, und der alte Carmag ist nicht der zuverlässigste Zeuge. Wie du dich sicher erinnerst, ist es erst zwei Wochen her, dass er nackt und betrunken in der Burg auftauchte und behauptete, die Feen hätten ihm seine Kleider gestohlen. Heute ritt Niall persönlich los, begleitet von einem Trupp seiner Männer, um die Gegend abzusuchen, doch er fand nichts. Kein Lager, keine Soldaten, nicht einmal die kalten Überbleibsel eines Feuers.“ Ihre Stimme wurde weicher. „Du siehst also, wir wissen nicht, ob es tatsächlich Soldaten waren, oder …“, sie zuckte mit den Schultern, „… ein Trugbild von Licht und Schatten im Wald. Wenn es aber tatsächlich Soldaten gewesen sein sollten, dann waren es sicher Späher, ausgesandt von Buchan. Und wenn uns etwas zustößt …“

„Ein Angriff.“ Das Wort kam Derryth über die Lippen, ehe sie es zurückhalten konnte. Sie fröstelte, nicht so sehr wegen der feuchtkalten Luft. Vor annähernd neunzehn Jahren hatte Buchans Heer genau hier, in dieser Burg ein schreckliches Blutvergießen angerichtet.

Elspeth nickte. Sie war blass geworden. „Oder eine Belagerung. Für den Fall möchten Niall und ich dich in Sicherheit und weit fort von hier wissen, ehe die Gefahr eintritt. Wir schicken heute Sendboten zu unseren Verbündeten und fordern die Dorfbewohner auf, auf die Burg zu kommen, jedenfalls fürs Erste.“

Endlich, die Wahrheit. Elspeths Worte und die Angst, die in ihren Augen zu lesen war, verursachten Derryth einen dumpf schmerzenden Knoten in der Magengrube. Ihr wurde elend. Elspeth, die immer so stark und entschlossen war. Ihre treusorgende Schwester. Vielleicht zum ersten Mal wurde Derryth klar, dass auch Elspeth jemanden brauchte, der sich um sie kümmerte.

„Ich lasse dich nicht allein. Nicht in deinem Zustand“, sagte sie fest und machte Anstalten abzusitzen.

Elspeth, deren Umhang ihre achtmonatige Schwangerschaft kaum zu verbergen vermochte, umfasste Derryths Hand, die auf dem Sattelknauf lag, und hielt sie fest. „Es ist Buchan, von dem wir sprechen. Für ihn macht es keinen Unterschied, dass du eine Frau bist.“ Angst und Verzweiflung standen in Elspeths Augen. „Er ist verantwortlich für den Tod vieler unschuldiger Kincaids. Nicht nur Nialls Vater und seine Krieger, sondern auch seine Mutter und sein jüngster Bruder. Er würde dich und mich genauso brutal umbringen.“

Niall kam auf sie zu, ein schottisches Plaid über der Schulter, und trat an Elspeths Seite. Er war ein beeindruckender Mann, dunkelhaarig, groß und stark, und man hatte das Gefühl, dass die Luft in seiner Umgebung aufgeladen war. Wenn er sich näherte, strafften sich seine Krieger unwillkürlich. Mägde und Knechte bewegten sich schneller. Nicht aus Angst, sondern weil er eine so starke Ausstrahlung hatte und sich ihren Respekt jeden Tag aufs Neue verdiente. Im Gegenzug wollten sie seine Zustimmung und sein Lob erwirken.

„Du kannst nicht hierbleiben, mein Mädchen“, sagte er mit seiner volltönenden tiefen Stimme. „Also hör auf zu streiten, sonst fühlt deine Schwester sich nur umso schlechter. Sie wird dich besuchen kommen, sobald das Kind geboren ist. Ich will euch in Sicherheit wissen, bis die Gefahr, so es sie denn gibt, vorbei ist. Abgesehen davon bist du eine viel zu verwöhnte junge Dame, als dass du die Entbehrungen einer Belagerung aushalten könntest.“

Sein Ton war neckend, aber ernst genug, dass sie wusste, er machte keinen Spaß, doch bei seiner letzten Bemerkung errötete Derryth vor Scham. Sie war tatsächlich verwöhnt, und hübsche Dinge und Zerstreuungen waren ihr immer viel zu wichtig gewesen. Selbst jetzt protestierte ihre Haut gegen den kratzigen Stoff der groben Kleidungsstücke, die sie trug. Hässliche, formlose Gewänder, die sie niemals für sich ausgesucht hätte.

Etwas in ihr krümmte sich angesichts der Kleinlichkeit ihrer Beschwerden. Deshalb schickten sie sie fort, ganz bestimmt. Sie betrachteten sie als hilfloses Geschöpf, um das sie sich nur würden Sorgen machen müssen. Und wie auch anders? Außer dass sie heiratsfähig war und damit ein brauchbares Instrument, mit dem sich ein Bündnis stärken oder ein neues schmieden ließ, hatte sie sich nie als wahrhaft nützlich oder wertvoll für jemanden erwiesen.

Die Last ihrer Mängel war erdrückend. Sie wusste, dass ihre Schwester und ihr Schwager sie liebten, doch im Gegensatz zu Elspeth konnte sie nicht einmal ein Schwert richtig halten oder eine Wunde nähen oder auch nur eine Gans rupfen. Und über Erfahrung bei der Geburt eines Kindes verfügte sie schon gar nicht. Stattdessen hatte sie unendlich viel Zeit damit verbracht zu lernen, wie sie ihr Haar glätten, locken und es anderweitig verändern konnte, wie man Lippen und Wangen so geschickt mit Kirschsaft färbte, dass der Kunstgriff niemandem auffiel. Sie hatte sticken gelernt, weil sie fand, dass ihre schlichten Kleider etwas Schmückendes brauchten. Aber wozu sollten fantasievolle Muster gut sein in Zeiten wie diesen?

Tränen brannten ihr in den Augen. Sie machte sich Vorwürfe. Warum hatte es diese Situation gebraucht – die Bedrohung von allem, was ihr lieb war –, damit sie begriff, dass es höchste Zeit für sie war, ein besserer Mensch zu werden?

„Derryth, du hast nichts falsch gemacht“, sagte Els­peth plötzlich, als hätte sie ihre Gedanken gelesen. „Aber wir könnten es nicht ertragen, wenn dir etwas passieren würde.“

Derryth schüttelte den Kopf. „Elspeth, siehst du denn nicht, dass ich es genauso wenig ertragen könnte, wenn euch etwas passiert?“

„Du musst darauf vertrauen, dass ich meine Frau und unser Kind beschützen werde.“ Niall legte den Arm um ihre Schwester und drückte ihr sacht die Schulter – eine tröstende, ermutigende Geste.

Voller Liebe sah Elspeth ihn an. Sie wirkte zierlich und zerbrechlich in der schützenden Umarmung ihres starken Ehemannes. Niall war ein berühmter Krieger und gefürchtet für sein Verhandlungsgeschick und seine Kriegskunst. Und dennoch konnte ihre Schwester ihn mit einem Blick besiegen. Ihn mit einem Wort zum Schweigen bringen, oder auch nur mit einem Kuss.

Wie sie die beiden beneidete! Derryth seufzte unhörbar. Würde sie je eine so tiefe, leidenschaftliche Liebe finden? Sie sehnte sich nach einem Gefühl romantischer … alles verzehrender Liebe, doch bis jetzt war sie niemandem begegnet, der den Wunsch nach einer dauerhaften Bindung in ihr wachgerufen hätte.

Niall richtete den Blick auf sie. „Du musst jetzt aufbrechen. Bereite dich darauf vor, dass deine Schwester und unser Kind in ungefähr zwei Wochen bei dir sein werden, vielleicht schon in einer Woche, wenn das Kind so gesund ist, wie wir hoffen.“

Er lächelte, doch selbst hier draußen in dem spärlichen Licht konnte Derryth die dunklen Schatten unter seinen Augen erkennen, so als hätte er kaum geschlafen, nachdem ihn die Kunde von der Anwesenheit der Soldaten auf seinem Land erreicht hatte. Er fühlte sich verantwortlich für sie alle – seine Ehefrau und seinen Clan, und ja, selbst für sie, die er „kleine Schwester“ nannte. Und ja, auch sie liebte ihn wie einen Bruder.

Sie zwang sich, nicht allzu gekränkt zu sein, dass man sie fortschickte, und sich stattdessen auf Nialls Worte zu konzentrieren. Er hatte ihr eine Aufgabe gegeben – Vorbereitungen für die Ankunft von Elspeth und ihrem Kind zu treffen, und dieser Pflicht würde sie sich mit Begeisterung widmen. Was immer die Zukunft brachte, sie musste eine nützliche Rolle darin spielen. Sobald sie auf der Festung der MacClarens eintraf, würde sie Schritte unternehmen, um sich in wichtigen Angelegenheiten zu bilden und eine Frau zu werden, die man für andere Dinge bewunderte als einen raffiniert geflochtenen Zopf oder ein hübsches Gewand. Wenn sie sich das nächste Mal begegneten, würde sie etwas ganz Besonderes geworden sein und alle überraschen. Dann würden Niall und Elspeth nicht auf die Idee kommen, sie fortzuschicken.

Doch was, wenn ihre schlimmsten Befürchtungen sich bewahrheiteten und sie die beiden nie wiedersah? Es war keine grundlose Befürchtung. Sie musste sich nur vor Augen halten, was in der Vergangenheit geschehen war, um zu wissen, dass die Gefahr überall in den Highlands lauerte und der Tod jeden Moment zuschlagen konnte. Ein Gefühl von Bangigkeit erfüllte sie, sie konnte nicht mehr denken, und die Brust wurde ihr so eng, dass ihr das ­Atmen schwerfiel.

„Elspeth“, stieß sie erstickt hervor, als ihre Gefühle sie überwältigten.

Auch wenn sie dem Mann noch nie begegnet war, so hasste sie Buchan doch von ganzem Herzen – für das Unrecht, das er tat, für die Angst, die er verbreitete. Und ­dafür, dass er ihre Familie auseinanderriss.

Sie beugte sich zu Elspeth, schlang ihr den Arm um die Schulter und atmete den vertrauten, tröstlichen Duft ihrer Haut und ihres Haars ein. Niall umarmte sie beide, hüllte sie in seine Wärme. Er küsste Derryths Schläfe, dann die seiner Frau.

„Ich liebe euch beide“, flüsterte Derryth ergriffen.

Sie hob den Blick, als sie Schritte hörte. Die ältere Frau, die sich gemächlichen Schrittes näherte, lächelte sie an.

„Da bin ich, mein Mädchen.“ Fest eingemummelt in Gewänder, die Derryths ähnlich waren, machte die Frau einen reisefertigen Eindruck. Sie trug einen großen bestickten Beutel und einen zugedeckten Weidenkorb. „Alles bereit? Ach, macht euch keine Sorgen, Kinder. Wir schaffen das schon. Ich habe Brot und Käse und Schinken und Honigkuchen dabei, um unseren Hunger unterwegs zu stillen.“

Niall wandte sich zu ihr um und nahm ihr den schweren Korb ab.

Sollte Fiona sie also begleiten? Derryth seufzte erleichtert, und ihre Anspannung ließ ein wenig nach. Wenn Fiona dabei war, konnte alles nicht so schlimm werden.

Elspeth lächelte der früheren Dienerin, die stets auch eine geschätzte Freundin gewesen war, warmherzig zu. Ihre Worte bestätigten, was Derryth bereits vermutet hatte. „Fiona hat angeboten, dich auf der Reise zu begleiten. Sie will Mairi und Kat wiedersehen und sie wird mir mit dem Kind zur Seite stehen, wenn ich komme.“

„Das Kind!“, rief Fiona lebhaft. „Es wird ein kräftiger Junge, das habe ich dir immer gesagt, und ich kann es gar nicht erwarten, ihn das erste Mal zu sehen, nachdem Ina ihn mit Gottes Hilfe und ohne dass ich sie ablenke, sicher auf die Welt gebracht hat.“

Auf Elspeths und Nialls Gesicht zeigte sich ein Lächeln. Fiona war Elspeths und Derryths Kinderfrau gewesen. Inzwischen lebte sie in einem kleinen Cottage am Rande der Ortschaft, doch sie war immer noch ein beständiger und unterstützender Teil ihres Lebens. Auch stand sie vielen Frauen im Dorf als Hebamme zur Seite, doch nun, da ihr Augenlicht schlechter wurde und die Gicht in ihren Händen sie quälte, hatte sie Elspeths Magd Ina unterwiesen, damit sie ihren Platz einnehmen konnte.

Einer der jüngeren Krieger, Nathan mit Namen, trat vor und half Fiona auf den Karren.

Niall sah zum Himmel hinauf und machte eine ernste Miene. „Es ist Zeit. Wir dürfen dich nicht länger aufhalten, wenn du morgen vor Einbruch der Dämmerung Falranroch erreichen willst. Ich habe den Männern Anweisungen erteilt. Wenn euch jemand begegnet und Fragen stellt, seid ihr gewöhnliche Leute mit dem Namen MacClellan und befindet euch auf der Durchreise zu euren Verwandten, den Drummonds, denen ihr helfen werdet, im Frühjahr die Felder zu bestellen.“ Die beiden Clans, deren Namen er genannt hatte, waren keine erklärten Verbündeten, den Kincaids jedoch wohlgesinnt genug, um die Behauptung auf Nachfrage zu bestätigen. Neun Krieger würden sie begleiten. „Ihr nehmt die Straße nach Cairnmore.“

Deargh trat aus der Tür des Wohnturms. Mit seinem fast zur Gänze tätowierten Schädel und dem ebenfalls tätowierten Gesicht wirkte er wie ein Wesen der Nacht – ein Angst einflößendes Wesen für jeden, der ihn nicht kannte. Der erfahrene Krieger mit dem silbrigen Bart war Nialls gefürchteter stellvertretender Befehlshaber. Er hatte Niall das Leben gerettet in jener Nacht vor vielen Jahren, als der Laird und Lady Kincaid getötet worden waren, ihn in Sicherheit gebracht und zu dem Anführer erzogen, der er heute war. Deargh trug ein dunkles Plaid, dicke Lederstiefel und einen Pelzumhang über die Schultern. Ein Schwert hing ihm von der Hüfte.

Er grinste Derryth im Vorbeigehen zu, übermütig wie immer. „Was für eine perfekte Nacht, um in den Highlands umherzustreifen.“

„Aye, wahrhaftig.“ Angesteckt von seiner guten Laune, nickte Derryth lächelnd.

Ihr wurde klar, wie sehr sie ihrem Schwager am Herzen lag, wenn er Deargh zu ihrem Schutz abkommandierte. Die Gewissheit, dass der erfahrene Krieger sie begleitete, ließ sie aufatmen vor Erleichterung.

Was die Straße nach Cairnmore anging – es war nicht der kürzeste Weg nach Falranroch, doch Derryth wusste ohne zu fragen, weshalb Niall die Strecke ausgesucht hatte. Sie führte fort von Carmags Farm und der viel befahrenen Straße nach Barradale, genau in die andere Richtung. Wenn Buchan tatsächlich Soldaten ausgesandt hatte, war die Wahrscheinlichkeit, dass sich ihre Pfade kreuzten, geringer. Auf dem Weg, den sie nahmen, gab es nur wenige Siedlungen, da das Terrain steinig und rau und kein gutes Ackerland war.

„Sobald die Männer dich abgeliefert haben, reiten sie zurück, damit wir wissen, dass Fiona und du sicher angekommen seid.“

Und weil die Krieger bei der Verteidigung von Inverhaven gebraucht wurden. Derryth wusste es, auch ohne dass Niall es sagte. Kurz darauf hatte Fiona sich auf dem Fuhrwerk eingerichtet. In mehrere Lagen Decken und Pelz gehüllt saß sie da.

Elspeth griff nach Derryths Hand und drückte einen Kuss auf die von den Fäustlingen bedeckten Knöchel. „Leb wohl, Schwester, und auf Wiedersehen. Sehr bald, das verspreche ich dir.“

„Dann wirst du bereits Mutter sein!“, rief Derryth aus.

Elspeth lachte. „In der Tat!“

Tränen schimmerten in ihren Augen. Auch Derryth sah alles verschwommen.

„Weine nicht, Elspeth“, sagte sie schluchzend, „weil ich dann auch weinen muss. Leb wohl, liebe Schwester. Bis bald.“

Derryth sandte ein Stoßgebet zum Himmel, dass sie einander bald wiedersehen würden und all ihre Angst sich als unnötig erweisen mochte, griff nach den Zügeln und lenkte das Maultier hinter das Fuhrwerk, das sich in Richtung des Burgtors in Bewegung gesetzt hatte. Die Krieger folgten geräuschlos zu Fuß.

Kurz darauf rasselten die schweren Ketten, und das Burgtor, das normalerweise offen blieb, sodass jeder ungehindert ein- und ausgehen konnte, schloss sich hinter ihnen. Hoch oben auf dem Wehrgang konnte Derryth die Silhouetten der Wachleute sehen. Es waren viel mehr als gewöhnlich, und sie spähten wachsam in die Dunkelheit.

Sie holte tief Luft und bemühte sich, ihrer Aufregung und ihrer Angst vor der Dunkelheit Herr zu werden, indem sie ihre Gedanken auf die Zukunft richtete, auf ihre Pflichten auf Falranroch, wo sie alles für Elspeths Ankunft vorbereiten und Katrin und Mairi eine bessere Schwester und Freundin sein würde. Ein Vorbild an Stärke, genau wie es Elspeth für sie gewesen war.

Es hatte aufgehört zu regnen, doch in dem offenen Gelände blies ein scharfer Wind. Sie wischte sich über die Wangen, entschlossen, keine weiteren Tränen zu vergießen, und stellte den Kragen ihres Umhangs hoch, sodass er die untere Hälfte ihres Gesichts bedeckte. Das Dorf, das zu Inverhaven gehörte, lag still in der Dunkelheit. Die Bewohner schliefen, und Rauch stieg aus den Schornsteinen auf. Eine Zeit lang hatte Niall für die Verteidigung von Inverhaven und das umliegende Clan-Gebiet ein größeres Heer von Söldnern unterhalten. Viele der Männer und ihre Familien waren geblieben und Teil des Clans geworden, doch eine ebenso große Zahl von ihnen hatte Niall, als es Frühling geworden war, um ihre Entlassung gebeten und war davongezogen, um neue Abenteuer zu bestehen.

Das Maultier trottete vor sich hin. Derryth entspannte sich, so gut sie konnte, doch der Dolch an ihrer Hüfte saß ungünstig. Sie schob die Waffe ein Stück herunter, damit der Griff ihr nicht bei jedem Schritt des Esels gegen die Rippen stieß.

Es regnete in unregelmäßigen Abständen, doch sie war so dick eingemummelt, dass sie nicht fror. Die Reise war ermüdend, ein nicht enden wollendes Auf und Ab über Stock und Stein. Nach einer Weile konnte sie die Burg mit ihrem hoch aufragenden Bergfried in der Dunkelheit nicht mehr erkennen, wenn sie über die Schulter blickte. Irgendwann war die Straße keine Straße mehr, nur noch ein ausgetretener Pfad, den man kaum sehen konnte.

Drei Stunden lang, vielleicht auch vier, war nur das monotone Rumpeln der Wagenräder zu hören, hin und wieder Laute von Nachttieren und gelegentlich ein Husten oder ein Murmeln von einem der Männer. Irgendwann wurden Derryth die Lider schwer … Sie nickte ein …

Sie erwachte mit einem Ruck und riss die Augen auf. Der Himmel über ihnen war indigoblau und bildete einen lebhaften Kontrast zu den tintenschwarzen Schatten um sie her – es waren die großen Bäume eines Waldes.

Plötzlich horchte sie auf. War da ein Geräusch gewesen?

Doch, ja, sie hatte etwas gehört … oder nicht?

2. KAPITEL

Was für ein Geräusch auch immer es gewesen sein mochte, die Männer hatten es ebenfalls vernommen.

Der Karren kam zum Halten, die Krieger blieben stehen. Vor ihnen auf dem Pfad stand Deargh reglos und hob Schweigen gebietend die Hand.

Von einem Moment zum andern war Derryth vollkommen wach. Sie straffte die Schultern, ließ den Blick suchend über die Umgebung schweifen. Geräuschlos trat Nathan zu ihr und nahm das Maultier beim Zaumzeug.

Dann … ein Knacken in der Dunkelheit. Ein leises Rascheln.

„Nathan“, flüsterte Derryth verängstigt.

„Still“, zischte er mit einer Schärfe zurück, die ihre Angst nur verstärkte. Sie sah, wie sich seine Schulter unter seinem Umhang bewegte, und wusste, dass er nach seinem Schwert griff.

Die dicken Gewänder, die sie vor der Kälte und dem ­Regen geschützt hatten, fühlten sich mit einem Mal schwer und beengend an. Nathans Beispiel folgend, umfasste sie den Griff ihres Dolchs, zog ihn vorsichtig aus der Scheide, um ihn für alle Fälle bereitzuhalten. Gleichzeitig betete sie, dass keiner da war und dass die Geräusche von Futter suchenden Tieren herrührten.

Als plötzlich eine Stimme durch die Dunkelheit hallte, fuhr sie zusammen.

„Halt! Wer seid Ihr?“

„Durchreisende“, beantwortete Deargh die Frage des Unsichtbaren gleichmütig. „Wir führen nichts Böses im Schilde, wollen nur an unser Ziel kommen.“

„Weshalb reist Ihr nachts“, fragte die Stimme lauernd. „Bei Dunkelheit und Regen?“

„Damit wir die Aufmerksamkeit der Kincaids nicht auf uns ziehen.“ Deargh machte eine Pause. „Es geht die Kunde, dass sie über Hunderte mordlustiger Söldner gebieten, die ihr Land und ihre Burg schützen sollen.“ In misstrauischem Ton fügte er hinzu: „Seid Ihr zufällig einer von ihnen?“

Der Mann lachte in sich hinein. „Nein, Bauer. Wir sind keine Kincaids.“

Der Tonfall, in dem der Unsichtbare sprach, hatte etwas Höhnisches, Drohendes. Nathan richtete sich zu seiner vollen Größe auf, stellte sich breitbeinig in Positur, ­jederzeit bereit, den Kampf aufzunehmen und die ihm und seinen Mitstreitern anvertrauten Frauen zu verteidigen.

Derryth lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Gleich würde etwas passieren.

Plötzlich begannen sich die Schatten am Rand ihres Blickfelds zu bewegen … umringten sie, und es wurde schnell klar, dass es sich nicht um einen Mann handelte, sondern ein Dutzend. Es waren keine Soldaten, sondern, den Plaids und Fellumhängen sowie den bloßen Füßen nach zu urteilen, Highlander. Doch Derryth wusste, dass nicht alle Highlander Helden waren.

Die Männer rückten näher, auf eine Furcht erregende Weise in sich hinein lachend, schnaubend und knurrend. Im trüben Licht des frühen Morgens wirkten ihre Mienen kalt und grausam.

„Was sollen wir mit ihnen machen?“, hörte sie eine andere Männerstimme fragen.

Stille senkte sich über die Szene. Alle standen reglos da, abwartend … lauschten gespannt.

„Sie umbringen“, schlug der Highlander, der als Erster gesprochen hatte, vor. Derryth stockte der Atem. „Aber nicht die da.“ Der Sprecher wies auf sie. „Für die da haben wir einen Verwendungszweck.“

Seine Kumpane starrten sie an. Derryth pochte das Herz vor Angst bis in die Haarwurzeln.

Mit einem tiefen grollenden Laut schlug Nathan seinen Umhang zurück und riss sein Schwert in die Höhe. Ein paar Schritte weiter tat Deargh es ihm gleich und ebenso die anderen Kincaids.

„Bleibt in Deckung.“ Dearghs Ton duldete keinen Widerspruch. „Habt Ihr gehört?“

Die Krieger der Kincaids bewegten sich vorwärts, formten einen Schutzschild mit ihren Körpern. Derryth beobachtete sie gebannt, voller Angst.

Plötzliche landete eine Hand auf ihrem Schenkel, packte fest zu, lenkte sie ab. Erschrocken wirbelte sie herum, wollte ihrem Angreifer ins Gesicht sehen und ihm den Dolch zwischen die Rippen rammen, doch ihr Arm verfing sich in dem schweren Umhang, und die Waffe war nutzlos.

Ihr Puls begann zu rasen, als ein weiterer Angreifer auftauchte. Und noch einer. Knurrende, murmelnde, in sich hinein lachende Schatten. Hände, die an ihrem Umhang zerrten, so fest, dass sie um ein Haar aus dem Sattel rutschte.

„Deargh!“, rief sie verzweifelt, umklammerte die Zügel und presste die Schenkel gegen die Flanken des Maultiers, um sich im Sattel zu halten. Der Dolch fiel klappernd zu Boden.

Um sie her brüllten die Kämpfenden, Schwerter schlugen klirrend aufeinander.

Angst … Derryth wand sich im Sattel, zog an den Zügeln, gleichzeitig stieß sie dem Maultier die Absätze in die Flanken in dem Versuch zu flüchten. Das Tier tat einen Satz, trat auf der Stelle, machte jedoch keine Anstalten, sich in Bewegung zu setzen.

„Wagt es nicht, sie anzurühren!“, brüllte Deargh von irgendwoher aus der Dunkelheit.

Im Dreck herumstampfend, begannen zwei … nein, drei der Angreifer sie zu bedrängen. Ihr beißender Geruch stach ihr in der Nase.

„Verschwindet!“ Ihre Stimme drohte zu kippen.

Sie fürchtete um ihr Leben, um das Leben Fionas und das der Männer. Würden sie alle sterben?

Ihre Angreifer umringten sie. Wieder stieß sie dem Esel die Absätze in die Flanken, und endlich sprang das Tier vorwärts, nur um im nächsten Moment von unzähligen Händen festgehalten zu werden, genau wie sie. Dann wurde sie aus dem Sattel gezerrt.

„Nein!“ Sie schrie und trat um sich, ihre Stiefel trafen Körperteile und aufgeweichten Boden.

Sie riss sich los, stolperte durch den Matsch, spürte, wie ihre Fußgelenke gepackt wurden …

Mit dem Gesicht nach unten landete sie auf dem Boden, wurde durch den kalten Morast gezogen. Ihr Umhang und ihre Röcke blieben an Steinen hängen, entblößten ihre Beine bis zu den Hüften.

„Nein!“, protestierte sie abermals gellend und klammerte sich verzweifelt an Grasbüschel, kämpfte mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte. Ein harter Ruck, dann war sie ihren Umhang los, noch ein Ruck, diesmal den Pelz.

„Sie hat Temperament.“ Einer der Kerle lachte kehlig.

„Umso besser“, befand ein zweiter und stimmte in das Lachen ein.

Immer noch waren die rauen Kampfrufe von Männern zu hören. Fiona schrie. Das Getrampel vieler Stiefel … Es schien näher zu kommen. Noch mehr Angreifer?

„Aufhören!“, donnerte die Stimme eines Mannes durch die Dunkelheit. „Keine Bewegung.“

Nichts hörte auf.

Sie wurde auf den Rücken geworfen, spitze Steine bohrten sich in ihr Hinterteil, in ihre Schulterblätter. Sie erhaschte einen flüchtigen Blick auf den Himmel über ihr, dann füllten geifernde Männergesichter ihr Gesichtsfeld, gierig aufgerissene Augen, geifernde Mäuler mit faulen Zähnen. Sie schlug um sich, krallte die Fingernägel in Muskeln, dann wurden ihre Arme gepackt, und sie wünschte sich verzweifelt, den Dolch gegen sich selbst gerichtet zu haben, um sich dem, was ihr bevorstand, zu entziehen. Sie schrie aus vollem Halse, schrie und schrie, bis eine verdreckte Hand ihr den Mund verschloss.

„Lasst sie los.“ Diesmal klang die befehlsgewohnte Stimme drohend.

Ein paar der Männer stürzten davon, aber die meisten ignorierten die Aufforderung. Hände packten ihre bloße Wade, und Derryth wand und drehte sich verzweifelt, riss das Bein aus der Umklammerung los und trat dem Angreifer mit voller Wucht gegen das Kinn. Sein Kopf ruckte zurück, dann stierte er sie hasserfüllt an, schnappte sich fluchend ihr Fußgelenk und hielt sie fest wie in einem Schraubstock. Sie schrie.

„Loslassen, sage ich“, ließ sich die fremde Männerstimme erneut vernehmen.

Schritte näherten sich, kamen in ihre Richtung. Dann ein dumpfer Schlag. Ein Mann stöhnte – wie bei einem Hieb.

„Fahrt zur Hölle“, knurrte die gebieterische Stimme. Wieder ein dumpfer Schlag, der klang wie ein Fausthieb, dann hörte Derryth das abrupte Reißen von Stoff. „Fahrt zur Hölle, allesamt, ihr dreckigen, undisziplinierten Bastarde, die ihr seid.“

Der Angreifer, der rittlings auf ihr saß, flog wild mit den Beinen schlagend rückwärts durch die Luft wie ein Geschoss von einem Katapult.

Alles ging so schnell, dass Derryth nur eine verschwommene Bewegung wahrnahm. Und leuchtend blondes Haar. Blitzende eisblaue Augen. Kantige hohe Jochbeine. Die Priester in der Kirche priesen Gottes Engel als überirdisch schöne, Furcht erregende Wesen. Vor Angst benebelt, betete sie, dass es ein Engel war, der sie gerettet hatte.

Die anderen waren verschwunden … und er kam. Türmte sich über ihr auf. Ein Engel.

Ihr Herzschlag geriet ins Stolpern, setzte aus … Wie betäubt starrte sie ihn an … überwältigt.

Doch er war kein Engel. Die Gestalt, die neben ihr in die Knie ging, war ein muskelbepackter, sehniger, riesiger Krieger. Ein beängstigender Anblick aus Kraft und Zorn. Ohne Hemd, nur mit eng anliegenden Hosen und ungeschnürten Stiefeln bekleidet, sah er aus, als wäre er gerade erst aus dem Bett gesprungen. Wie gebannt verfolgte sie das Spiel seiner ausgeprägten Schultermuskeln, als er die Hand nach ihr ausstreckte.

Alles in ihrer zog sich zusammen bei der Vorstellung, dass er sie berührte. Sie schrie auf, rutschte rückwärts – fort von ihm –, doch ihre Ellenbogen und Absätze fanden keinen Halt im Morast, und sie war inzwischen zu schwach für einen Fluchtversuch. Sie konnte ihn nur schwer atmend ansehen.

Er hatte die Wegelagerer vertrieben. Aber war er ihr Retter? Oder verbarg sich hinter seinem menschlichen Antlitz nur eine weitere Bestie?

Das bläuliche Licht des frühen Morgens enthüllte seine Gesichtszüge. Sie wirkten streng und Respekt einflößend und wie aus Stein gemeißelt. Mit seinen kalten Augen musterte er sie leidenschaftslos. Sein Haar, wiewohl schulterlang, war an den Schläfen rasiert, was seine schrägen, hohen Jochbeine unterstrich.

Wieder streckte er die Hand nach ihr aus.

„Nein!“, brachte sie rau hervor und zuckte zusammen. Ihre Stimme war nur mehr ein heiseres Krächzen.

Entweder hörte er ihren Protest nicht, oder es war ihm egal, was sie wollte.

Der Morast klebte zäh an ihr, als er sie hochhob und auf den Armen hielt wie ein Kind. Sie versuchte ihn fortzustoßen … doch seine Brust und seine Schultern erwiesen sich als so hart und unnachgiebig wie Festungsmauern. Sie war ihm vollkommen ausgeliefert, und jeder noch so winzige Rest von Hoffnung in ihr erlosch. Der Eindruck drängte sich ihr auf, dass dieser Moment der Auftakt zu einem neuen Abschnitt ihres Lebens war … oder aber der Auftakt zu ihrem Tod – beides erschien ihr möglich.

Ihr Haar und ihre Kleidung waren schwer vor Dreck und Nässe, und Derryth sah sich verzweifelt nach den anderen um. Sie warf einen Blick über die Schulter ihres Retters, sah Nathan von Soldaten umringt mit gekrümmten Schultern dastehen. Blut lief ihm aus der Nase, bildete einen dunklen Kontrast zu seiner blassen Haut, doch er hob den Kopf, und sein brennender Blick begegnete ihrem, als ihr Entführer sie an ihm vorbeitrug. Ein anderer Soldat hielt Fiona, die sich mit schreckgeweiteten Augen und hochroten Wangen angstvoll umsah, am Arm fest. Deargh und die anderen, denen man ihre Waffen abgenommen hatte, wurden zusammengetrieben. Obwohl sie verletzt waren und bluteten, blickten sie grimmig und aufrührerisch drein.

In einiger Entfernung und im frühen morgendlichen Dunst schwer zu erkennen, entdeckte Derryth eine Reihe von Zelten zwischen den Bäumen, die meisten klein und rechteckig, einige größer und rund mit in der Mitte spitz zulaufenden Dächern, dazwischen Fuhrwerke, Esel und Pferde und viele, viele Krieger, aber keine Banner. Angesichts ihrer großen Zahl sank Derryth der Mut. Über dem Lager lag Stille und eine Aura der Heimlichkeit.

Die Männer, die sie angegriffen hatten, gehörten zu einem Heer und waren die wohl armseligsten Highlander, die Derryth je gesehen hatte – obszön, grob, mit verfilzten, verwilderten Bärten, zerlumpten, ausgebleichten Plaids und barfuß. Die Soldaten dagegen boten ein ganz anderes Erscheinungsbild. Ihr Haar und ihre Bärte waren ordentlich geschnitten, sie trugen gelbe Tuniken und Lederstiefel, und der Mann, der sie hochgehoben hatte, war, wie Derryth vermutete, ihr Anführer. Er sah weder aus wie ein Highlander, noch sprach er wie einer.

Der Boden wurde steiniger und knirschte unter seinen Stiefelsohlen, als er sie in das Lager trug. Plötzlich blieb er stehen, atmete hörbar aus und maß die Männer, die wartend dastanden – sowohl die, die sie angegriffen, als auch die, die dazwischengegangen waren, mit einem finsteren Blick.

„Nehmt die Männer, die sich meinem ausdrücklichen Befehl widersetzt haben, gefangen“, befahl er mit volltönender Stimme. „Sie werden ihre gerechte Strafe erhalten. Was die Landfahrer angeht, so setzt sie ebenfalls fest – getrennt von den anderen –, bis ich beschlossen habe, was mit ihnen geschieht.“

Sie alle erwartete demnach ein Urteilsspruch. Sein Urteilsspruch. Auch sie. Derryth hielt den Atem an. Die Gesichter verschwammen, als er sie weitertrug, vorbei an Fiona.

„Mein Mädchen!“ Die alte Amme schlug sich die Hände vor das Gesicht.

„Gnade, Herr!“ Der Highlander, dem sie sich näherten, sprach mit gedämpfter, flehender Stimme. „Ich habe versucht, sie aufzuhalten.“

Derryths Blick glitt über das Gesicht des Mannes – eindeutig einer ihrer Angreifer. Sie erstarrte, umklammerte unwillkürlich den Arm ihres Retters. Sie holte Luft, um dem Schurken zu widersprechen, doch der Heerführer kam ihr zuvor.

„Du wagst es, mich anzulügen?“, fragte er kalt. Die drohende Vergeltung, die seine Tonlage verhieß, machte Derryth frösteln.

„Aber ich habe doch nichts getan …“ Der Highlander winselte fast.

„Du widersprichst?“, unterbrach der hellhaarige Krieger ihn knapp. Sein Augenausdruck ließ jede Wärme vermissen. „Denk gut nach. Willst du weiter streiten?“

Der Mann blieb still. Anspannung lag in der Luft.

„Geh zu den andern und warte dort.“ Der Krieger sprach mit beängstigender Ruhe. Seine Stimme durchschnitt die Stille des frühen Morgens wie eine scharfe Klinge. „Ich verspreche dir, es dauert nicht lange, bis ich wieder da bin.“

Der Highlander wurde blass. Er schluckte schwer, schlug die Augen nieder und machte einen Schritt rückwärts. Dann senkte er ängstlich den Kopf.

Der hellhaarige Hüne ging weiter, auf die Zelte zu. Er trug sie an seinen Männern vorbei, die zurücktra­ten, um ihn vorbeizulassen. Alles geschah sehr schnell, je­der Schritt brachte Derryth weiter von ihren Begleitern fort. Die Erkenntnis veranlasste sie zu reagieren, und sie stieß ihm den Ellbogen gegen die Arme, gegen den Brustkorb.

Plötzlich hörte sie ihn etwas murmeln, und als sie den Kopf hob, sah sie einen Mann auf sie zukommen. Er hatte schulterlanges dunkles Haar, eine kräftige lange Nase und trug einen Morgenrock aus Brokat und darunter eine bestickte Tunika. Mehrere bewaffnete Krieger in meisterlich gearbeiteten eisernen Rüstungen, wie Derryth sie noch nie gesehen hatte, begleiteten ihn. Obwohl er jung war – zu jung, als dass er Buchan hätte sein können –, strahlte seine Haltung und die Art, wie er sich bewegte, Autorität aus. Derryth hörte auf zu kämpfen und blickte zu Boden. Sie wollte nicht mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen als unvermeidlich.

„Cull. Antworte mir“, rief der Fremde ihrem Retter entgegen. „Was ist passiert?“ Es war weniger eine Frage als ein Befehl.

Cull.

Cull – der Mann, der sie trug – verlangsamte seine Schritte und blieb stehen.

„Die Highlander haben eine Gruppe Landfahrer überfallen, in der Absicht, sie auszurauben und anschließend zu töten. Um ein Haar hätten sie dem Mädchen Gewalt angetan.“

Dem Mädchen. Ihr. Tränen schossen Derryth in die Augen. Sie war auch jetzt noch nicht in Sicherheit.

„Und?“ Der Dunkelhaarige zog die Brauen hoch, als beunruhigte es ihn nicht im Mindesten, dass beinahe ein Verbrechen stattgefunden hätte.

„Damit haben sie unseren gesamten Einsatz aufs Spiel gesetzt“, erwiderte Cull ohne zu zögern. „Wäre einer der Landfahrer dem Massaker entkommen und hätte bei den Kincaids Schutz gesucht – um unser Überraschungsmoment wäre es geschehen gewesen. Die Männer haben meinem ausdrücklichen Befehl zuwidergehandelt, sich still zu verhalten und unsichtbar zu bleiben und vor allem, mich umgehend von zufällig vorbeikommenden Reisenden zu informieren. Ich werde sie bestrafen, damit alle andern wissen, woran sie sind.“

Sein Tonfall verriet einen Anflug von Hochmut, und die Lässigkeit, mit der er dem Fragesteller begegnete, eine gewisse Vertrautheit zwischen den beiden Männern. Er klang keineswegs unterwürfig, sondern wie jemand, der selbstverständlich davon ausging, dass seine Antwort akzeptiert wurde. Derryth schluckte beklommen. Also stimmte es. Ein Angriff auf die Kincaids stand bevor. Und die Folgen – was würden die Folgen für sie und die anderen sein, die den vorrückenden Streitkräften in die Arme gelaufen waren?

Der Dunkelhaarige lachte in sich hinein.

„Nun, mein Vater wird einen Grund gehabt haben, dir das Kommando für die Männer zu übertragen“, erwiderte er bissig. „Bestraf sie also, wenn dir der Sinn danach steht.“

Vater? Sprach er von Buchan?

Aus dem Augenwinkel sah Derryth den Dunkelhaarigen kalt lächeln. „Ja“, fuhr er beinahe spöttisch fort, „statuier ein Exempel und bestraf sie so hart, wie du es für angemessen hältst.“ Er hob die Hand, deutete auf Cull, dann legte er sich den Zeigefinger an die Lippen, als wäre ihm plötzlich ein Gedanke gekommen, und fügte hinzu: „Aber natürlich brauchen wir bei dem geplanten Vorhaben jeden einzelnen Mann, daher hoffe ich, dass du sie am Leben lässt und dafür sorgst, dass ihre Wehrtauglichkeit erhalten bleibt. Ich glaube, Vater würde es so wollen.“

Dem geplanten Vorhaben. Bei den Worten beschleunigte sich Derryths Herzschlag zu einem Rasen. Ein Angriff auf die Festung von Inverhaven stand bevor. Ihre ­Gedanken überschlugen sich. Wie konnte sie entkommen? Wie ihre Verwandten warnen?

„Das versteht sich von selbst“, sagte Cull in ihre Gedanken hinein.

Einer der Begleiter des Dunkelhaarigen trat vor. Mit dunklen Hosen, Stiefeln und einem Kettenhemd bekleidet, glich er äußerlich dem Mann im Brokatmantel, jedenfalls was Haar- und Augenfarbe und die breite, gebogene Nase anging.

„Was schlägst du vor, sollen wir mit unseren unglück­lichen Landfahrern anstellen?“, fragte er, jedoch ohne den Sarkasmus des Mannes, von dem Derryth annahm, dass er sein Bruder war.

„Eine berechtigte Frage, Robert, fürwahr.“ Der Dunkelhaarige nickte. „Schließlich ist es nicht so, dass wir sie einfach freilassen können, nun, da sie uns gesehen haben. Möglicherweise sind es Kincaids, und wie Cull ganz richtig bemerkte, dürfen wir nicht riskieren, dass sie umkehren und unsere Feinde warnen, habe ich recht?“

Derryth schloss die Augen, lauschte aufmerksam, um sich jedes Wort genau einzuprägen.

„Voll und ganz, Duncan“, pflichtete der Mann im Kettenhemd seinem Bruder bei. Derryth war sich sicher, dass es sich tatsächlich um Brüder handelte. Söhne ein und desselben Vaters.

Robert … Duncan …

Buchan hatte viele illegitime Sprösslinge, alle von verschiedenen Frauen. Er war berüchtigt dafür. Aber Derryth wusste, dass er zwei erwachsene Söhne hatte, die seit einiger Zeit seine Interessen in den Highlands durchsetzten. Der eine von ihnen hieß Robert … der andere Duncan. Angeblich hatte Robert Stewart der Braut von Faelan Kincaid geholfen, der Haft des Wolfs zu entkommen und zu ihrem Ehemann zurückzukehren. Gleichwohl war er seinem Vater gegenüber loyal, sonst wäre er nicht hier, um die Kincaids anzugreifen.

Autor

Lily Blackwood
Lily Blackwood lebt mit ihrem Ehemann, ihren beiden Kindern, einem anhänglichen Golden Retriever und zwei frechen Katzen in Texas. In ihrer Freizeit geht sie gerne auf Flohmärkte und kocht, erst kürzlich hat sie außerdem gelernt zu stricken. Sie liebt alles Historische und findet es spannend, sich in eine Zeit zu...
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